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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0



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AM TAG ALS DER REGEN KAM (Gerd Oswald/BRD 1959)


"Wennde schon saufen musst, dann kauf' dir wenigstens was Ordentliches."

Am Tag als der Regen kam ~ BRD 1959
Directed By: Gerd Oswald

Westberlin: Der kriminelle Werner Maurer (Mario Adorf) hat eine kleine Gang um sich geschart, die er mit eiserner Hand kontrolliert und mit deren Hilfe er bereits diverse Raubüberfälle gedreht hat. Seinem Vater (Gert Fröbe), einst erfolgreicher Internist, darf wegen eines Kunstfehlers nicht mehr praktizieren und ist nunmehr schwerer Alkoholiker. Für Robert (Christian Wolff), ein Mitglied aus Werners Clique, wird es derweil zu viel: Er hat sich in ein Flüchtlingsmädchen (Corny Collins) aus dem Osten verliebt und will mit ihr ein neues Leben beginnen. Zaghaft vertaut er sich dem Polizisten Thiel (Horst Naumann) an...

Neorealistischer Ausläufer angesiedelt in Westberlin, im Gefolge von anderen Jugendporträts der fünfziger Jahre unter der Produktionsägide von Artur Brauner entstanden, dabei jedoch eines der fesselndsten mir bekannten Exemplare der Gattung. Gerd Oswald stand eine durchweg exzellente Besetzung zur Verfügung, die betont still, methodisch und vor allem ohne zu chargieren aufspielt und für die - nominell Christian Wolff, Elke Sommer, Ernst Jacobi oder Claus Wilcke -, "Am Tag als der Regen kam" vielfach als eines von mehreren Karriere-Sprungbrettern fungierte. Besonders hervorstechend ist dabei Mario Adorf als trauriger Rebellionsverbrecher, dessen Pläne und deren Drumherum weniger Ausdruck von echter, krimineller Energie sind denn vielmehr seine private Replik auf eine öde, verkorkste Jugend in der künftigen Mauerstadt. Gert Fröbe indes stellt einmal mehr unter Beweis, dass er einer der größten deutschsprachigen Schauspieler nicht nur der Stunde, sondern ganz allgemein war und ist. Eine beeindruckende, herzzereißende Leistung in einem analog dazu brillant inszenierten Zeitporträt, das zudem exemplarisch dazu taugt, all jenen, die hinter dem deutschen Kino der Wirtschaftswunderjahre bloßen, kunstbefreiten Eskapismus wähnen, eine ordentliche Lektion zu erteilen.

9/10

Gerd Oswald Berlin Subkultur Vater & Sohn Alkohol Freundschaft Jugend


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DER KNOCHENMANN (Wolfgang Murnberger/AUT 2009)


"Des is moi Privatsach'. Gehen's jetzt."

Der Knochenmann ~ AUT 2009
Directed By: Wolfgang Murnberger

Brenner (Josef Hader), durch Bertis (Simon Schwarz) Hilfe nunmehr tätig als Inkasso-Beauftragter für eine Auto-Leasing-Firma, soll in der Provinz einen gewissen Alexander Horvath ausfindig machen, der die letzten Raten für seinen Beetle nicht bezahlt hat. Im Wirtshaus "Löschenhof", das von dem freundlichen, aber bärbeißigen Wirt Löschenkohl (Josef Bierbichler) betrieben wird, endet die Spur betreffs Horvath zwar abrupt, dafür ergeben sich jedoch neue Fährten. Löschenkohls Sohn Pauli (Christoph Luser), der seinem Vater eifersüchtig das Gasthaus streitig macht, will unbedingt herausfinden, wohin immer wieder große Beträge vom Hauskonto verschwinden. Brenner verkuckt sich derweil in Paulis Frau Birgit (Birgit Minichmayr) und soll dem alten Löschenkohl urplötzlich helfen, die Zwangsprostituierte Valeria (Dorka Gryllus) über die slowakische Grenze nach Österreich zu schaffen. Den Alten umwittern derweil noch sehr viel dunklere Geheimnisse...

Mit "Der Knochenmann", dem dritten Teil der just zur Tetralogie angewachsenen Kino-Reihe um den Privatschnüffler Brenner, erreicht die Reihe ihren bisherigen Höhepunkt. Wo bereits "Silentium!" einen recht heftigen Kurswechsel aufzeigte, indem er sich in Auslegung und Gestus deutlich derber gestaltete als der Erstling "Komm, süßer Tod", wirkt "Der Knochenmann" nochmal eine Spur bitterböser. Hier nämlich ist es, wie der abermals phantastische Off-Kommentator bereits vorab versichert, die Liebe, in all ihren manchmal unfairen, furchtbaren Ausprägungen, die jener tiefschwarzen Geschichte Zucker gibt. Alle lieben sie oder haben Sehnsucht; der Brenner, der alte Löschenkohl, sein Sohn, dessen Frau, die arme Valeria (bezaubernd tragisch: Dorka Gryllus), der Alexander Horvath und sogar der Berti, der es irgendwie gar nicht fassen kann. Doch es gibt nichts umsonst im verschneiten, österreichischen Grenzgebiet: Um seine Angebete aus dem slowakischen Puff herausholen zu können, wird Löschenkohl Senior (Bierbichler erinnerte mich, wie überhaupt die gesamte Koloratur des Films, ein bisschen an seine Rolle in und gemeinhin an Tykwers eisigen "Winterschläfer") zum unaufhaltsamen, hackebeilschwingenden Serienmörder, den eine Leiche mehr oder weniger kaum schert, nicht allein, weil er die Grenze einmal überschritten hat, sondern fürderhin aufgrund seiner formidablen "Entsorgungsmöglichkeiten" (welche er, mahnt ahnt es, wohl noch weiter perfektionieren würde, käme ihm der Brenner nicht irgendwann drauf).
Bierbichler präsentiert sich hier als entfernter, österreichischer Verwandter der texanischen Sawyers, der nicht nur seine Knochenmühle auf Dauerbetrieb hält, sondern dem Brenner zwischendurch auch mal ein zartes Zuhälter-Gulasch serviert, das dieser genüssich vertilgt. Komm, böser Tod!

10/10

Wolfgang Murnberger Wolf Haas Brenner Wien Hotel Prostitution Slowakei Bratislava Vater & Sohn Österreich


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SILENTIUM! (Wolfgang Murnberger/AUT 2004)


"Vergiss' es, Brenner. Wir sind hier in Salzburg."

Silentium! ~ AUT 2004
Directed By: Wolfgang Murnberger

Brenner (Josef Harder) arbeitet als Kaufhausdetektiv in Salzburg, doch nicht für lang. Gottfried Dornhelm (Peter Streimel Weger), der Schwiegersohn des Präsidenten (Udo Samel) der Opern-Festspiele, hat sich nämlich umgebracht. Ausgerechnet, nachdem er kurz zuvor den hiesigen Erzbischof (Franz X. Schuch) bezichtigt hat, sich vor Jahren an den Schülern des Jungeninternats "Mariana" vergangen zu haben, so auch an ihm selbst. Dornhelms Witwe Konstanze (Maria Köstlinger) glaubt indes nicht an Selbstmord und engagiert Brenner, sich einmal genauer im Mariana umzusehen. Nachdem ihm ein Kreuz auf den Kopf gefallen ist, trifft Brenner seinen alten Kumpel Berti (Simon Schwarz) wieder und stößt gemeinsam mit ihm auf eine Schweinerei nach der anderen, in die Hochkultur und Klerus gleichermaßen involviert sind...

Mit etlichen charmanten Querverweisen an eherne Klassiker wie Polanskis "Chinatown" oder Hitchcocks "North By Northwest" bestückt, toppt der zweite Brenner-Film seinen Vorgänger noch. Allerdings ist auch das Thema um vergangene Missbrauchsfälle im Kirchenrahmen, die die erst ein paar Jahre später die Medien flutenden Anklagen realer Opfer vorwegnahmen, ein heißes Eisen, ebenso wie der sich zum "Retter der Kirche" aufspielende Präfekt Fitz (Joachim Król), der seine Prostitutionsaktivitäten mit seiner göttlichen Rettungsmission rechtfertigt. Der Humor ist nochmal deutlich schwärzer, bitterer, sarkastischer und vor allem geschmacksentgleister als in "Komm, süßer Tod": Wenn etwa Jürgen Tarrach sich als feister Startenor von einer gehemmten, jungen Zwangsprostituierten in den Mund pinkeln lässt ("Jungfrauensekt ist wie Schmieröl für meine Stimmbänder!"), dann geben Lachen und Empörung sich exemplarisch für den gesamten Film die Klinke in die Hand. Herbert Fux und Christoph Schlingensief haben erstklassige Gastauftritte und der Brenner, der sich zu Beginn der 'whole bloody affair' eine WG mit einem ausgestiegenen Ex-Nazi teilt, der später einen üblen Heldentod zu sterben hat, wächst einem nochmal mehr ans Herz. Super.

9/10

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LIBERTY HEIGHTS (Barry Levinson/USA 1999)


"You don't walk out on Sinatra, sir."

Liberty Heights ~ USA 1999
Directed By: Barry Levinson

Baltimore, 1954: Während die gesellschaftliche Öffnung in Rassenfragen zwar auf dem Papier präsent ist, vollzieht sie sich in der Realität nur höchst gemächlich. Die beiden Brüder Van (Adrien Brody) und Ben Kurtzman (Ben Foster) leben im jüdischen Viertel Liberty Heights und finden sich von den "Anderen" in ihrem Alter nur schwerlich akzeptiert. Besonders ihre jeweils große Liebe erweist sich als nicht unproblematisch: Während Van sich in die aus schwerreichem Hause stammende, divaeske Dubbie (Carolyn Murphy) verkuckt, bendelt Murphy mit seiner farbigen Klassenkameradin Dylvia (Rebekah Johnson) an. Hinzu kommt die Liebäugelei von Kurtzman Sr. mit mafiösen Aktivitäten, die der Familie einigen Trubel beschert.

Im vierten und (bislang?) letzten Film seiner "Baltimore-Tetralogie" beweist Levinson wie kaum ein anderer gegenwärtig aktiver US-Regisseur vor allem Eines: Dass er stets dann am Besten ist, wenn das Thema seiner Arbeit ein persönliches, ihn selbst involvierendes ist. Familie, Geschwister, Freundschaft, der alltägliche, wechselseitige Rassismus, Generationskonflikt, Coming of Age und ein wenig Halbwelt-Romantik fließen ein in die anekdotenhafte Erzählweise von "Liberty Heights", der als schönes, sehr geschlossenes Stück über das Erwachsenwerden reüssiert. Manchmal urkomisch, dann und wann dramatisch und vor allem nostalgisch verklärt wandelt Levinson geradezu traumwandlerisch sicher durch dieses kleine Stück Fünfziger-Jahre-Romantik, das die uneingelösten Versprechen von Levinsons letzten Filmen, bei denen er sich spürbar unbehaglicher gefühlt haben dürfte, vielfach wieder wettmacht.
Ob es für oder gegen einen Regisseur spricht, dass er seinen Zenit nur dann erreicht, wenn das Sujet ihn wirklich anspornt, mag diskutabel sein. Immerhin stößt man so mehr oder weniger regelmäßig auf kleine Goldadern beim Schürfen.

8/10

Barry Levinson Baltimore period piece Brüder Familie Coming of Age amour fou Rassismus ethnics


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BEDLAM (Mark Robson/USA 1946)


"This is the age of reason, mylord!"

Bedlam ~ USA 1946
Directed By: Mark Robson

London, 1761: Das, was sich in der künftigen Historie dereinst "Zeitalter der Aufklärung" schimpfen mag, ist zum damaligen Zeitpunkt in der englischen Metropole noch nicht recht ausgeprägt. Die kregle Nell Bowen (Anna Lee) lebt als Mündel bei dem dekadenten Tory Lord Mortimer (Billy House), der nichts mehr liebt, als extravagante Späße. Als Nell gewahr wird, welch unmenschliche Zustände in dem von dem kriecherischen George Sims (Boris Karloff) geleiteten Irrenhaus "St. Mary Of Bethlem", im Volksmund "Bedlam" genannt, vorherrschen, setzt sie alles daran, diesen Abhilfe zu leisten. Ihr Vorschlag an Mortimer jedoch, einen Teil seines Vermögens zur Reformierung von Bedlam beizusteuern, stößt auf wenig Gegenliebe, zumal Sims, dem am Erhalt des status quo gelegen ist, insistiert. Als sich Nell in ihrer Verzweiflung an den Whig Wilkes (Leyland Hodgson) wendet, scheint alles eine vielversprechende Wende zu nehmen, doch da lässt Sims sie öffentlich für geisteskrank erklären...

Ein vorrangig mit traditionsbewusster Poe-Poesie liebäugelndes, schwarzhumoriges Königsdrama, das einen letzten großen Höhepunkt für Val Lewtons RKO-Umtriebe markiert. "Bedlam" entpuppt sich im Verlauf seiner Erzählung, die mit hochsophistischem Elan soziale Missstände einkreist und der hollywoodtypischen, romantischen Verklärung der Alten Welt einen feist grinsenden Riegel vorschiebt, als existenzialistisches Manifest. Der Film gibt sich im Gedenken an "Masque Of The Red Death" sogar betont links und klassenkämpferisch; die Herrschenden sind wahlweise fette, reiche Mastschweine, die ihr Vergnügen selbst über Menschenleben stellen oder sadistische Opportunisten, die nach oben buckeln und nach unten treten. Gelegenheit für den o-beinigen Boris Karloff zu einer seiner denkwürdigsten Leistungen: Als "Master" George Sims, der seinen "Patienten" noch weitaus größere Pein bereitet haben muss, als der Film offenkundig auszusprechen im Stande ist [das Maurerkellen-Attentat auf ihn durch die vermeintlich katatonische Dorothea (Joan Newton) spricht Bände] und der seinen diabolisch veranlagten Posten um keinen Preis hergeben oder auch bloß beurteilt wissen will, bietet Karloff etliche Bühnen für nuancierteste Darstellungen des Bösen. Dass das in der Werbung des Films so sensationsträchtige "Irrenhaus" mitsamt seinen "loonies" am Ende als Ausgangspunkt für humanistische Reformen dasteht, mag man als ausgestreckten Mittelfinger in Richtung Publikum wahrnehmen. Mir jedenfalls gefällt dieser Gedanke ausgesprochen gut.

9/10

Mark Robson Val Lewton London Psychiatrie period piece Madness


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CRÓNICAS (Sebastián Cordero/MEX, EC 2004)


Zitat entfällt.

Crónicas ~ MEX/EC 2004
Directed By: Sebastián Cordero

Der TV-Sensations-Journalist Manolo Bonilla (John Leguizamo) ist mit seinem Team (Leonor Watling, José María Yazpik) für einen in Miami ansässigen Latino-Sender in Ecuador unterwegs. Hier treibt seit Längerem ein Kindermörder sein Unwesen, der bereits Dutzende von Opfern auf dem Gewissen hat. Eine zufällige Spur ergibt sich, als der Bibel-Vertreter Vinicio Cepeda (Damián Alcázar) einen kleinen Jungen anfährt, dessen Zwillingsbruder bereits von dem "Monster von Babahoyo" ermordet wurde. Als der verzweifelte Vater (Henry Layana) der toten Jungen Vinicio auf offener Straße verbrennen will, landen beide Männer im Gefängnis. Manolo springt für Vinicio in die Bresche und verkauft ihn zunächst als unschuldiges Opfer unglücklicher Umstände. Doch ein weiteres Gespräch weckt in Manolo einen schrecklichen Verdacht: Vinicio selbst scheint der gesuchte Kindermörder zu sein, verfügt er doch über höchst brisante Informationen bezüglich des Falles. Bevor Manolo die Sache mit seinem Anchorman (Alfred Molina) klären kann, wird der bereits fertiggestellte Bericht gesendet; Vinicio kann unbehelligt abtauchen und seinem blutigen Geschäft weiter nachgehen.

Die Schuldigkeit des arroganten Journalisten: Weil "Don Manolo", wie ihn seine lateinamerikanischen Fans ehrerbietig rufen, eine flotte Story wittert, die ihn einmal mehr als Anwalt der Unterdrückten ausweisen wird, macht er sich mitschuldig im Falle des Monsters. Dass Vinicio Cepeda (dessen Figur augenscheinlich ihr verschleiertes, authentisches Vorbild in dem kolumbianischen Kindermörder Pedro Alonso Lopéz hat) der gesuchte Killer ist, daran lässt der Film keinen Zweifel: Gleich zu Beginn wird er beim Epilog eines seiner furchtbaren Verbrechen gezeigt. Es geht "Crónicas" also ganz eindeutig nicht um die Entlarvung des Täters, sondern darum, dass allein die Sensationsgeilheit des prominenten Fernsehmachers und vor allem dessen weigerung, sich zu seinem Fehler zu bekennen, Cepedas Flucht ermöglicht und ihn weitere Bluttaten begehen lassen wird.
"Crónicas" verzichtet auf eine allzu scharfe Umreißung des Gebotenen und legt Wert darauf, das "Monster von Babahoyo" trotz seiner irrsinnigen Aktionen als Mensch zu porträtieren, was Damián Alcázar, der seinen Part großartig ausfüllt, nebenbei vortrefflich gelingt. Vinicio Cepeda wird nie als Ungeheuer dargestellt oder auch nur als bedrohlich denunziert: hier ist ein gottesfürchtiger, etwas einfacher Mann, der seine Familie liebt, eine freundliche, gar unterwürfige Art an den Tag legt und seine Lügenkonstrukte offenbar selbst glaubt. Kein Haarmann, kein Kürten, kein Hannibal Lecter - nur ein verwirrter Mensch mit todbringenden Neigungen. In den Szenen mit Alcázar entwickelt "Crónicas" eine Kraft, die ihm sonst leider abgeht. Daran, dass der Film, der unter produktionstechnischer Beteiligung der renommierten mexikanischen Filmemacher Alfonso Cuarón und Guillermo del Toro entstand, einst als Prestigeobjekt für das lateinmamerikanische Kino gedacht war, bleiben am Ende wenig Zweifel. Mit John Leguizamo und Alfred Molina konnten zwei berühmte Ethno-Gesichter verpflichtet werden. "Crónicas" wurde bei der Academy als Beitrag für den besten internationalen Film eingereicht und er schlägt bei all seiner Medienschelte und vor allem angesichts seines grauenvollen Topos einen allzu gemächlichen Ton an.
Im Rahmen des Serienkiller-Films sicher ein interessanter Exkurs, mehr jedoch kaum.

6/10

Sebastián Cordero Serienmord Ecuador Alfonso Cuarón Guillermo del Toro Fernsehen Unfall Madness


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WAG THE DOG (Barry Levinson/USA 1997)


"A good plan today is better than a perfect plan tomorrow."

Wag The Dog ~ USA 1997
Directed By: Barry Levinson

Als nur zwei Wochen vor den Wahlen bekannt wird, dass der amtierende US-Präsident eine minderjährige Schülerin auf Besuch im Weißen Haus verführt hat, wird Connie Brean (Robert De Niro), Vertuschungsspezialist allererster Güte, hinzugezogen. Mithilfe des Hollywood-Produzenten Stanley Motss (Dustin Hoffman) inszeniert Brean kurzerhand einen Krieg gegen Albanien, um die mediale und öffentliche Aufmerksamkeit von dem Skandal abzulenken. Trotz diverser Unwägbarkeiten geht der Plan letzten Endes voll auf, nur dass Motss schließlich seine geheime Verschwörerrolle nicht mehr spielen mag...

Nach der Lewinsky-Affäre um Bill Clinton gab es gleich einen ganzen Schwung von Politsatiren, die mehr oder weniger scharf die Öffentlichkeitsarbeit des Weißen Hauses und die Beeinflussbarkeit der medialen Objektivität ins Kreuzfeuer nahmen. "Wag The Dog" dürfte darunter wohl den vordersten Platz einnehmen, denn hierin wird die PR-Maschinerie des obersten Landesvertreters mitsamt ihrer Manipulations- und Verschleierungsmöglichkeiten gnadenlos mit einer praktisch allmächtigen Verbrecherorganisation gleichgesetzt. Dass Robert De Niro den freundlich auftretenden Medienberater Connie Brean personifiziert, ist dabei kein Zufall. Der in Gangsterrollen versierte Mime trägt hier zwar keine Maßanzüge und wirkt mit seinem buschigen Bart eher wie ein liebenswerter Kauz; wie groß tatsächlich sein Machtradius, zu welcher Eiseskälte er fähig ist und dass jede seiner zunächst ironisch wirkenden Todesdrohungen gegen aufmüpfige Mitwisser höchst ernst gemeint ist, wird spätestens gegen Ende des Films auf kompromisslose Weise verdeutlicht. Gegen Brean haben selbst CIA, FBI und Militär keine Chance, er ist der Mann am längsten Hebel der Staatsräson. Wie "Wag The Dog" seinen Spagat zwischen Komik und durchaus ernst gemeinter Regierungsschelte vollzieht, seine schneidige Scriptarbeit, das macht ihn zu einer der brillantesten und nachhaltigsten Arbeiten Levinsons. Ein wenig Kritik darf und muss der unbeständigen, teils unentschlossenen Inszenierung gelten, die sich mitunter nicht recht entscheiden kann, ob sie eher einem modisch-hektischen Pseudoreportage-Stil oder doch klassischer Erzählkunst zugetan sein möchte. Anhand dessen ließe sich mutmaßen, ob ein anderer Regisseur noch mehr aus dem Stoff hätte herausholen mögen.

8/10

Barry Levinson Satire Hollywood Politik Fernsehen


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I NEVER PROMISED YOU A ROSE GARDEN (Anthony Page/USA 1977)


"I like it here, outside."

I Never Promised You A Rose Garden (Ich hab' dir nie einen Rosengarten versprochen) ~ USA 1977
Directed By: Anthony Page

In den vierziger Jahren wird die erst sechzehnjährige Deborah Blake (Kathleen Quinlan) in die geschlossene Psychiatrie für Frauen überwiesen. Ihre etwas unbeholfene Diagnose lautet auf Schizophrenie. Deborah zieht sich häufig in die von ihr selbst kreierte, archaische Phantasiewelt "Yr" zurück, in der man sogar eine ganz private Sprache spricht. Sie verliert häufig ihr Zeitempfinden, neigt zu heftigen, emotionalen Ausbrüchen und irrationalen Angstzuständen sowie Selbstverstümmelungen. Mit der sensiblen, intensiven Hilfe der Therapeutin Dr. Fried (Bibi Andersson) gelingt es Deborah nach drei Jahren, ihre Psychose langsam in den Griff zu bekommen.

Eine beeindruckend-faszinierende Produktion aus dem mit solch vermeintlich sperrigen Stoffen eher selten assoziierten Hause Corman und zugleich sicherlich einer der eminentesten Filmbeiträge zum Thema Psychiatrie. In ihrem gleichnamigen, teil-autobiographischem Roman schilderte die Autorin Joanne Greenberg unter dem Pseudonym 'Hannah Green'. Ihre von den Ärzten als solche bezeichnete Schizophrenie bildete dem Vernehmen nach ein Konglomerat aus psychotischen Episoden, Depressionen und einer Borderline-Störung. Halluzinationen und der Verlust zeitlich geordneter Wahrnehmung kennzeichnen ihr Krankheitsbild, derweil das schlecht geschulte Pflegepersonal, allen voran der unbeholfene Hobbs (Reni Santoni), mit den Patientinnen häufig nach eigenem, oftmals sehr willkürlichen Gutdünken verfahren.
Page gelingt es, dem Rezipienten die sich oftmals abrupt vollziehenden Sprünge zwischen irrealis und Außenwahrnehmung durch seine empathische Darstellung von Deborahs Leiden begreiflich zu machen, hinzu kommt Kathleen Quinlans bravouröse Darstellung der jungen Frau und ihrer Krankheitssymptome. Die Finanzierung des zuvor allseits als heikel angesehenen Projekts gelang infolge des enormen Erfolges von "One Flew Over The Cuckoo's Nest", wobei Pages Film im Gegensatz zu dem von Forman auf eine allzu kritische, metaphorische Darstellung psychiatrischer Bestrebungen als sozial-medizinisches Instrument der Entmündigung verzichtet, um sich stattdessen eben intensiver auf die Person Deborahs sowie die inneren und äußeren Bemühungen betreffs ihrer Genesung konzentrieren zu können.

8/10

Anthony Page Roger Corman Joanne Greenberg Psychiatrie Madness Freundschaft


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IL ROSSETTO (Damiano Damiani/I, F 1960)


Zitat entfällt.

Il Rossetto (Unschuld im Kreuzverhör) ~ I/F 1960
Directed By: Damiano Damiani

Die vierzehnjährige Silvana (Laura Vivaldi) ist heimlich in ihren Nachbarn Gino Luciani (Pierre Brice) verliebt, eine Tagelöhner und Klinkenputzer. Als in ihrem Haus eine als "leichtes Mädchen" bekannte Frau ermordet wird, fällt Gino spontan in den Verdächtigenkreis. Er jedoch behauptet, die Tote überhaupt nicht gekannt zu haben. Als Silvana ihm eröffnet, dass sie ihn am Tattag aus der Tür der Ermordeten habe kommen sehen, wird Gino jedoch nervös und schiebt dies auf Silvanas Einbildung. Von un an widmet er dem Mädchen mehr Zeit als beiden guttut und schließlich landet Gino als Hauptverdächtiger bei Commissario Fioresi (Pietro Germi). Dessen Verhör zieht eine Schlammschlacht nach sich, die vor allem die urplötzlich im Mittelpunkt des polizeilichen und öffentlichen Interesses stehende Silvana übel mitnimmt.

Ein Kriminalfall und wie er sämtliche Beteiligten und Unbeteiligten auf das Nachhaltigste involviert - für einen veritablen Vertreter des Neorealismus ist Damianis Frühwerk mit seinem wunderbar passgenauen Originaltitel ("Der Lippenstift") dann allerdings doch eine minimale Spur zu kolportagehaft geraten. Dabei liegt gerade darin der besondere Reiz des Films, nämlich Lokalkolorit und triviale Dramaturgie zu kreuzen, um daraus einen ebenso formal durchkomponierten wie sezierenden Genrefilm zu machen. Pierre Brice darf als schmieriger Filou noch große, man mchte bald konstatieren "ungewohnte" schauspielerische Qualitäten demonstrieren, wie es ihm in den Folgejahren nicht zuletzt durch seine immer normierteren elf "Winnetou"-Einsätze leider kaum mehr möglich war. Der eigentliche Star des Films dürfte jedoch Laura Vivaldi sein, die durch ihre berückende Darstellung eines emotional hoffnungslos überforderten, fragilen Mädchens im Angesicht selbstgerechter Maskulinität, die gleich aus mehrerlei Richtungen auf sie einprasselt, zu zerbrechen droht.

8/10

Damiano Damiani Rom Coming of age





Filmtagebuch von...

Funxton

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