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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE MAN IN THE GRAY FLANNEL SUIT (Nunnally Johnson/USA 1956)


"If you're going to be slick, be slick in the city."

The Man In The Grey Flannel Suit (Der Mann im grauen Flanell) ~ USA 1956
Directed By: Nunnally Johnson

Für den Ehemann und Familienvater Tom Rath (Gregory Peck) ergeben sich gleich mehrere Probleme: Seine Frau Betsy (Jennifer Jones) wirft ihm vor, nach seinem Kriegseinsatz nicht mehr den früheren Biss zu besitzen und sich allzu schnell mit dem Mindesten zufrieden zu geben. Als sich Tom die Chance bietet, bei einem großen New Yorker Fernsehsender als PR-Berater anzufangen, wird er zudem mit seiner Vergangenheit konfrontiert: Als alliierter Offizier hatte er zu Kriegszeiten in Rom ein Techtelmechtel mit einer Italienerin (Maria Montagne), aus dem, wie er von einem ihm zufällig wiederbegegneten Kameraden erfährt, ein mittlerweile zehnjähriger Sohn hervorgegangen ist, der in Armut aufwächst. Hinzu kommt, dass Toms Besitzrecht betreffs des von seiner verstorbenen Mutter geerbten Hauses von deren früherem Faktotum (Joseph Sweeney) angefochten wird. Kann Toms Ehe dieser elementaren Dreifach-Krise standhalten?

Nach einem ehedem berühmten Roman des Autors Sloan Wilson entstand dieses Prestige-Projekt der Fox, das in mehrerlei Hinsicht Erinnerungen an "The Best Years Of Our Lives" wachruft und nicht zuletzt diesbezüglich ganz bestimmt für den Gewinn vieler Preise konzipiert wurde. Zumindest die Academy jedoch zeigte sich verhalten und Johnsons Film, eine seiner wenigen Regiearbeiten, ist heute kaum mehr als eine Studio-Fußnote, wie so häufig zu Unrecht. Mag "The Man In The Gray Flannel Suit" auch nicht ganz die ausgestellte Famboyanz der Werke eines Douglas Sirk besitzen - als klassisches Drama mit all den dazugehörigen Attributen präsentiert er sich als tadelloses Kinostück, das in seiner existenzialistischen Tragweite oben genanntem Filmemacher durchaus Paroli zu bieten vermag. Mag Gregory Peck in der Rolle des leidenden Versagers, der an sich und seinem Leben einige Scharten auszuwetzen hat, auch fehlbesetzt sein: Den notwendigen Glamour bringt er recht mühelos in sein Porträt jenes amerikanischen Allerweltsmannes mit ein, wenngleich man stets felsengfest der Überzeugung bleibt, dass er am Ende wieder Oberwasser gewinnen wird. Der Titel bezieht sich natürlich in denkbar anonymster Form auf Tom Rath als Repräsentanten seiner Generation: kriegstraumatisiert, geheimnisumwittert, neuen Gesellschaftsfacetten wie Feminismus und Karrierismus noch nicht gewachsen. Ein Kerl, der wiederum kämpfen muss, um in jener ungewohnten Welt bestehen zu können. Interessanter in diesem Zusammenhang fast noch die Nebenfiguren: Fredric March als herzkranker Senderchef, der irgendwann seinen beruflichen Aufstieg vor seine Familie geschoben hat und Lee J. Cobb in einer ausnahmsweise rundum liebenswerten Rolle als ruraler Richter, dem Tom Rath am Ende viel zu verdanken hat.

8/10

Ehe Familie WWII Veteran New York Connecticut Rom Nunnally Johnson


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NIGHTCRAWLER (Dan Gilroy/USA 2014)


"A friend is a gift you give yourself."

Nightcrawler ~ USA 2014
Directed By: Dan Gilroy

Er scheint aus dem Nichts zu kommen, aber hier ist er nun: Louis Bloom (Jake Gyllenhaal), arbeitslos, moralisch flexibel, zu diversen Schandtaten bereit, um über die Runden zu kommen. Als er zufällig den Nightcrawler Joe Loder (Bill Paxton) bei der Arbeit beobachtet, weiß Louis: so was kann er nicht nur, das muss er selbst machen. Als Nightcrawler gilt es, möglichst aufregendes Filmmaterial aus möglichst kurzer Distanz an den meistbietenden TV-Sender zu veräußern, auf dass dieser einen möglichst reißerischen Aufmacher für seine Morgennachrichten bringen kann. Mit einer kleinen Kamera und einem Funkscanner ausgestattet macht sich Louis auf den Weg um Verletzte, Sterbende und Kriminelle auf seine Linse zu bannen, ohne das geringste Bisschen Pietät oder gar Respekt dabei zu empfinden. Als sein Mitarbeiter, der Tagelöhner Rick (Riz Ahmed), hinter Louis' aalglatte Fassade blickt, wird er ihm gefährlich. Anders als die alternde Redakteurin Nina (Rene Russo), die Louis mehr und mehr in seinen Bann schlägt.

Eine vergleichsweise offen interpretierbare Satire über den modernen Berufsaufsteiger und seine Methodenvielfalt. Louis Bloom ist eine Art westküstlicher Gordon Gekko der Nacht, ein gewissenloser Opportunist, der jede sich ihm bietende Chance zu seinem Vorteil zu nutzen bereit ist und seinen Weg sogar noch weitaus unbeirrbarer geht als seine bereits ungenießbaren Berufsgenossen. Sein kaltes Lächeln legt Louis Bloom nie ab, ebenso wenig wie seine Fassung und sein stets beherrschtes, höfliches Erscheinen. Hinter seiner Stirn jedoch verbergen sich rückhaltloses Kalkül und unbezwingbarer Aufstiegswille. Wer oder was Louis Bloom vorher war, lässt "Nightcrawler" ganz gezielt offen; er tritt als weitestgehende tabula rasa auf, von der man eingangs lediglich erfährt, dass er auch vor Gewalt nicht zurückschreckt, um einen schnellen Dollar zu machen. Seine "Bestimmung" folgt jedoch auf dem Fuße: Die Option, aus dem Leid Anderer, auch um deren komplette Entmenschlichung Willen, unter dem Deckmantel der öffentlichen Informationspflicht Kapital zu schlagen.
Dabei verharrt Gilroys Fokus nicht allein auf Louis Bloom; letzten Endes ist auch er nur ein Zahnrädchen in einer massenmedial überfütterten Welt, in der die schlechtesten Nachrichten im Sinne ihres Verkaufspotenzials stets die besten sind. All die Angestellten und Bürger, die zum allmorgendlichen Müsli die neuesten Schreckensmeldungen ihrer Metropolis verlangen, um dann auf der Arbeit bloß fruchtbaren Gesprächsstoff auspressen zu können, sind es, die Figuren wie Nina Romina und Louis Bloom erst ermöglichen. Nicht die sind die Amoralischen, wir, ihre bereitwillig zahlende Kundschaft, sind es.

8/10

Dan Gilroy Los Angeles Madness Fernsehen Satire Nacht


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SLEEPERS (Barry Levinson/USA 1996)


"Hell's Kitchen. It is the lost and found of shit."

Sleepers ~ USA 1996
Directed By: Barry Levinson

Im Sommer 1967 verursachen vier jugendliche Freunde aus Hell's Kitchen, Lorenzo (Joe Perrino), Michael (Brad Renfro), John (Geoffrey Wigdor) und Tommy (Jonathan Tucker) aus kriminellem Leichtsinn heraus einen schweren Unfall: Ein von ihnen gestohlener Hot-Dog-Wagen zerquetscht beinahe einen unbeteiligten Passanten. Es folgt ein rund anderthalbjähriger Jugendarrest im Wilkinson-Gefängnis, der das Leben der Jungen nachhaltig verändert: Die Wächter um den sadistischen Nokes (Kevin Bacon) prügeln, foltern, missbrauchen, vergewaltigen die Freunde, die aus Scham über das Erlebte nie zu sprechen wagen. Rund 15 Jahre später begegnen John (Ron Eldard) und Tommy (Billy Crudup) Nokes zufällig in einer Kneipe und erschießen ihn. Michael (Brad Pitt), nunmehr Staatsanwalt, sieht in dem Mord die Möglichkeit, seine lange schwelende Rache an der Wachmannschaft von Wilkinson in die Wege zu leiten. Zusammen mit Lorenzo (Jason Patric) fasst er einen komplexen Plan, wie John und Tommy freikommen und die alte Rechnung beglichen werden kann.

Nach dem doch sehr sleaze-affinen "Disclosure" machte sich Levinson an ein wesentlich ernsteres und brisanteres Thema: Den sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlen im Staatsgewahrsam. Basierend auf einem Buch von Lorenzo Carcaterra, der ebenjene im Film wiedergegebene Ereignisse, oder zumindest Teile davon, höchstselbst erlebt haben will.
Als ich "Sleepers" damals erstmalig im Kino sah, fand ich ihn ärgerlich bis mäßig, weil hier offensichtlich einer probierte, Scorsese seine Dömäne streitig zu machen, und das auch noch mit Unterstützung seines (damaligen) Hausstars Robert De Niro. Besonders das erste Viertel des Films, dass mit teils humorig-liebevoll-nostalgischem, teils sozialkritischem Blick die typische Jugend jener vier New Yorker Jungs in den Spätsechzigern abbildet, wirkt mit seiner weichen Unterlage zeitgenössischer Songs wie der zigste Abzug einer x-mal betrachteten Fotografie. Doch auch was dem folgt, kann nicht eben als innovativ bezeichnet werden: Psychische Sollbruchstellen, die nie aufgearbeitet wurden, ein komplexer Racheplan, ein Priester, der mit seinem Glauben und Gewissen hadert, weil er einen - moralisch gerechtfertigten - Meineid leisten soll. Die Figuren stammen durchweg aus der Kiste der Kintopp-Stereotypen, vom alternden Revier-Paten (Vittorio Gassman) über den prügelnden Familienvater (Bruno Kirby) und den fetten Kioskbetreiber (Frank Medrano), bis hin zum versoffenen Anwalt (Dustin Hoffman) und besagtem, väterlichen Pfarrer (De Niro). Und natürlich darf und muss einer der vier miesen Knastwärter (Terry Kinney) auch echte Reue zeigen. Vielfache Gelegenheit für eine mehr als beachtliche Starbesetzung, ihr gewohnt patentes Können zu demonstrieren, was auch für die tadellose Formseite von "Sleepers" gilt, die unter anderem einen tränentreibenden John-Williams-Score vorschützt.
Heuer gefällt mir "Sleepers" etwas besser, weil ich mich mittlerweile im Stande sehe, sein doch sehr kalkülbedachtes Wesen zugunsten seiner fraglos vorhandenen Qualitäten weitgehend abstrahieren zu können. Das macht sein allzu emsiges Bestreben, vor allem feuilleton- und zuschauergerechtes Kino herzustellen, jedoch nicht unbelassen. Dass damit sein tatsächlich schlimmes, ja, furchtbares Sujet zu einem schicken Hochglanzfilm "umgearbeitet" wird, hinterlässt bei mir nach wie vor einen schalen Beigeschmack.

6/10

Barry Levinson New York Freundschaft Sexueller Missbrauch Rache Courtroom Jugendarrest Gefängnis


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DISCLOSURE (Barry Levinson/USA 1994)


"Back then, they were keen on you - now they're keen on your job."

Disclosure (Enthüllung) ~ USA 1994
Directed By: Barry Levinson

Der bei einem Computerkonzern beschäftigte Familienvater Tom Sanders (Michael Douglas) wird zum Opfer einer firmeninternen Intrige, deren Ziel es ist, ihn wegen Inkompetenz vor die Tür setzen zu können. Der umständlich inszenierte Plan beginnt mit dem Versuch, Tom durch die neue Führungskraft Meredith Johnson (Demi Moore), zugleich eine frühere Geliebte Toms, diffamiere zu lassen. Die spitze Lady versucht Tom zu verführen, was dieser jedoch noch gerade abbremsen kann, bevor es zum Koitus kommt. Am nächsten Morgen hat er eine Beschwerde wegen sexueller Nötigung am Arbeitsplatz auf dem Tisch, kann sich jedoch mithilfe der Anwältin Catherine Alvarez (Roma Maffia) erfolgreich aus der Sache herauswinden. Doch der Tom daraufhin neu offerierte Arbeitsvertrag hat einen bösen Widerhaken...

Edeltrash, der nach zwanzig Jahren ein ebenso unterhaltsames wie belustigendes Zeitdokument abgibt. Weniger der große Aufhänger und -reger von Roman und Film, die Gender-Problematik um sexuelle Unflätigkeiten am Arbeitsplatz, welche ja stets ein Symbol des Machtgefälles darstellt und in der Regel von Mann an Frau verübt wird, zu diametralisieren, macht "Disclosure" retrospektiv bezeichnend, sondern seine höchst reaktionäre Angst vor einer omnipräsenten Technokratisierung. Damals noch neue, hippe Begriffe wie 'Cyberspace', 'Virtual Reality', 'Internet', 'E-Mail' und 'Mobiltelefon' spielen enorme Rollen bei der wechselseitigen Ausspionierung und bezogen auf anonyme Stichwortlieferanten. Die Welt von "Disclosure" ist an Konservativismus kaum mehr zu überbieten: Das wohlsituierte, obermittelständische Familienbild erweist sich als ebenso etabliert wie die klar definierten Rollenbilder von Mann und Frau im sozialen Gefüge und am Arbeitsplatz. Das häusliche Frauchen Mrs. Tom Sanders (Caroline Goodall, offenbar bewusst entfärbt) etwa ist zwar juristisch gebildete Akademikerin, aber brav und treu und selbst in schärfsten Krisensituationen tapfere Flankiererin ihres schlingernden Gatten; selbstbestimmte Frauen wie Meredith Johnson derweil sind neurotische, erfolgsgeile Schlampen, die es angesichts ihres halbseidenen Aufstigsgebahrens an ihren Platz zu verweisen gilt. Das eigentliche Spiel spielen sowieso weißhaarige Managertypen wie der von Donald Sutherland lustvoll karikierte Bob Garvin, der trotz aller Übervorteilungsspielchen am Ende dort bleibt, wo er ist: an der Spitze.
Dass "Disclosure" vor losen Enden und Logiklöchern nur so strotzt, verzeiht man ihm angesichts seiner naiven, beim besten Willen nicht ernstzunehmenden Establishment-Hofierung fast blind. Außerdem gibt es zwei wunderbar komische Szenen, die mit zum Witzigsten des Dekadenkinos zählen (Sanders' Albtraum von Bob Garvin und ihm im Fahrstuhl und wie er später im Zuge seiner Privatspionage im "Four Seasons" vor einer Putzfrau erschrickt. Super!)
Ein Film, ebenso doof wie amüsant.

5/10

Barry Levinson Cyberspace Mobbing Verschwörung femme fatale Seattle Michael Crichton


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DÉSIRÉE (Henry Koster/USA 1954)


"Don't worry, no one's going to pull up my skirts and look!"

Désirée ~ USA 1954
Directed By: Henry Koster

1794 erscheinen der junge Korse Napoleon Bonaparte (Marlon Brando) und sein Bruder Joseph (Cameron Mitchell), wo sie die Schneiderfamilie Clary kennenlernen. Deren jüngste Tochter Désirée (Jean Simmons) verliebt sich heftig in den ebenso exzentrischen wie zielstrebigen Napoleon, der sich anschikt, die Ideale der Revolution in ganz Europa zu verbreiten. Nachdem Napoleon nach Paris abgereist ist und lange nichts von sich hören lässt, reist Désirée im besorgt nach. Zu ihrem Entsetzen muss sie vor Ort feststellen, dass Napoleon mittlerweile seine Hand bereits der gesellschaftlich etablierten Josephine de Beauharnais (Merle Oberon) angetragen hat. Während Napoleons Aufstieg unaufhaltsam voranschreitet, finde Désirée Trost in den Armen des Hofmarschalls Bernadotte (Michael Rennie). Doch Napoleons Liebe zu der einst aus strategischen Gründen Verschmähten versiegt nie ganz. Désirée findet jedoch ihr Glück an der Seite ihres Mannes, der als gewählter König von Schweden schließlich zu einem der Todfeinde und Besieger Napoleons avanciert. Sein endgültiges Exil auf St. Helena tritt Napoleon erst an, nachdem Désirée ein letztes Mal mit ihm zusammentrifft.

Ein edler Schmachtfetzen, der nach "The Robe" neuerlich Henry Kosters Kunst im Umgang mit dem noch jungen CinemaScope-Format demonstriert. Neben den exquisiten Kostümen und Interieurs gestalten sich somit vor allem Bildgestaltung und Kadrage als veritabler Augenschmaus. Im betonten Verzicht darauf, eine Napoleon-Biographie oder gar ein Schlachtengemälde zu präsentieren, weichen sowohl der stets aus verdunkelten Augen linsende Brando als auch jedwede eventuelle Form gewaltigen Aktionismus' aus der Dramaturgie des Films, der seinem Titel gemäß tatsächlich um eine Charakterstudie seiner liebenswerten Titelfigur bemüht bleibt. Wenngleich die rund 21 erzählte Jahre umfassende Geschichte um Désirée Clary eng mit Aufstieg und Fall des sich selbst krönenden Imperators verwoben ist, tritt dieser trotz unentwegter Omnipräsenz ("Désirée" lässt keinen Zweifel daran, dass dieser kleine Mann und sein gigantisches Ego die gesamte Ära in außerodentlichem Maße prägen) gewissermaßen in den personellen Hintergrund. Gerade dieser bewusste Verzicht auf eine Exponierung seiner Person verleihen "Désirée" eine für den hollywoodschen Kostümfilm jener Jahre ungewohnte Zurückhaltung und Intimität. Umso höher ist er, mancher Klischeefalle zum Trotz, als eigenständiges Stück Kino ein- und wertzuschätzen.

8/10

Henry Koster period piece Historie Napoleon amour fou Ehe Frankreich Paris Schweden Stockholm Familie Adel Marseille Biopic


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BIRDMAN OR: (THE UNEXPECTED VIRTUE OF IGNORANCE) (Alejandro González Iñárritu/USA 2014)


"Popularity is the slutty little cousin of prestige."

Birdman: Or (The Unexpected Virtue Of Ignorance) [Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)]~ USA 2014
Directed By: Alejandro González Iñárritu

Während er in den Neunzigern mit der Rolle des Superhelden "Birdman" noch als einer der größten Hollywoodstars seiner Zeit reüssieren konnte, ist von Riggan Thomsons (Michael Keaton) damaligem Ruhm heuer nicht mehr allzu viel übrig. Eine zerbrochene Ehe liegt hinter ihm und eine verlotterte Tochter (Emma Stone), die bereits Fachfrau in Sachen Drogenmissbrauch ist. Um sich im Alter kreativ zu verwirklichen, inszeniert Thomson am Broadway das Carver-Stück "What We Talk About When We Talk About Love" mit sich selbst in einer der Hauptrollen. Sein früheres, fiktives alter ego des Birdman sitzt ihm jedoch permanent im Nacken und versucht unter dessen vehementem Widerstand, Thomson zu einem neuerlichen Film-Frühling anzustiften. Nachdem dieser den anderen Hauptdarsteller (Jeremy Shamos) wegen seines offenkundigen Unvermögen geschickt aus dessen Engagement gekickt hat, engagiert Thomson in letzter Sekunde den exzentrischen Mike Shiner (Edward Norton) für den Part. Bereits die ersten Vorpremieren geraten wegen der Unvereinbarkeiten zwischen Thomson und Shiner zu einem mittelmäßigen Disaster; die letzte wird ein triumphaler Erfolg - doch um einen hohen Preis.

Iñárritus vorletzten Film "Biutiful" habe ich mir bis dato verkniffen, seine "Todestrilogie" hat mir indes sehr bis recht gut gefallen, wenngleich die allermeisten der mir bedeutsamen Zeitgenossen sie als fürchterlich dröge und pathetisch aburteilen. Manchmal muss man auch seinen eigenen Kopf behalten dürfen.
"Birdman" (ich erlaube mir, die Kurzform zu benutzen), steht diesen quergeschriebenen Filmen nun teilweise entgegen. Es scheint mir, als haben Iñárritu und seine Autoren instensivst Bob Fosses "All That Jazz" studiert. Auch hierin geht es um einen alternden Broadway-Aktiven am Scheideweg, dessen seelischer Spannungszustand angesichts von Übernächtigung, Überarbeitung und ungesundem Lebenswandel Purzelbäume schlägt, bis realis und irrealis sich für ihn untrennbar vermengen. Zugleich sind die Einflüsse Fosses gerade die Stärkungsmittel des Films: Keaton müht sich erfolgreich, eine Roy Scheiders damaliger Darbietung zumindest annähernd ebenbürtige Show zu liefern; Iñárritus Inszenierung kann man nur als waghalsig bezeichnen. Es gibt bekanntermaßen keinen sichtbaren Schnitt und trotz der zeitlichen Ausdehnung der Geschichte auf mehrere Tage ausschließlich den Gebrauch von Kniffen wie dem Zeitraffer, die kurze Atempausen ermöglichen. Die Wahl dieser formalen Extravaganz erlebt man im Angesicht der zerfasernden Persönlichkeit Riggan Thomsons zumindest als nicht durchweg willkürlich; um die innere Spannung dieses Mannes nachzuvollziehen, ist jene szenische Verdichtung ein probates Mittel der Veranschaulichung.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass man "Birdman" mit einer solitären Betrachtung nicht Herr werden bzw. keine endgültige qualitative Kategorisierung gewährleisten kann. Zum jetzigen Zeitpunkt vermag ich lediglich zu konstatieren, dass Iñárritu einen interessanten, komplexen Film geschaffen hat. Ob ich ihn allerdings wirklich mag, wird mir erst die Zukunft weisen.

8/10

Alejandro González Iñárritu Best Picture Broadway New York Persönlichkeitsstörung Theater Hollywood Vater & Tochter Ensemblefim Raymond Carver Satire


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THE BABADOOK (Jennifer Kent/AUS, CA 2014)


"You can bring me the boy."

The Babadook ~ AUS/CA 2014
Directed By: Jennifer Kent

Die Altenpflegein Amelia (Essie Davis) lebt mit ihrem knapp siebenjährigen Sohn Samuel (Noah Wiseman) in einem Vorort von Adelaide. Samuel ist nicht eben wie andere Kinder; seine blühende Phantasie gebiert Monster, die es zu bekämpfen gilt, er neigt zum Außenseitertum und die anderen Kinder meiden ihn, wenn sie ihn nicht gerade aus der Reserve zu locken versuchen. Amelia versucht sich so gut es geht mit der Situation zu arrangieren, wünscht sich jedoch insgeheim, ein ganz "normales", unkompiziertes Kind zu haben. Damit nicht genug, hadert sie mit ihrem Dasein als Witwe und alleinerziehende Mutter: Ihr Mann Oskar (Benjamin Winspear), Sams Vater, ist just bei einem Autounfall in jener Nacht ums Leben gekommen, in der er Amelia zur Entbindung ins Krankenhaus fuhr.
Als Sam das Kinderbuch "Mister Babadook" entdeckt und sich von Amelia vorlesen lässt, wird dessen Titelgestalt, ein finsteres, böses Wesen, zu einer neuerlichen Obsession Sams. Doch diesmal ist alles noch schlimmer als sonst: Sam scheint wirklich von der Existenz des Babadook überzeugt zu sein und bald mehren sich auch für Amelia die Zeichen, dass es sich beim Babadook um mehr als eine Phantasiegestalt handeln muss...

Mit "The Babadook" ist der Jungfilmeacherin Jennifer Kent ein ausgezeichnetes Langfilmdebüt geglückt. Nicht nur einer der grausligsten und spannendsten Horrorfilme der letzten Monate und Jahre ist dabei herausgekommen, sondern vor allem eine intelligente Reflexion über die möglichen Nöte der modernen, westlichen Mutter. Die These, dass der Babadook (trotz all seiner schrecklichen Auftritte und Lebenszeichen im Film) lediglich als Metapher zu begreifen ist für Amelias psychisches Konglomerat aus verdrängter Trauer und erzieherischer Unwägbarkeit, gekoppelt vielleicht noch mit weiterverzweigten Problemen wie Isolation und Stress, halte ich im Nachhinein für geradezu zwingend. Vieles spricht ohne Umschweife dafür. Allein Amelias Haus und dessen Einrichtung in tristem Schwarz und Grautönen symbolisieren eine merkwürdige Morbidität, die zum Einen nicht recht zu der jungen Frau passen mag und zum Anderen völlig fehlgewählt als Lebensumgebung eines kleinen Kindes scheint. Dann der Junge: Ein sich mitunter wahrlich schrecklich gebärdendes Gör, bei dessen Verhaltensausfällen einem selbst noch vor der Mattscheibe die Fremdscham die Krause hochkrabbelt. Kurzum: Amelia, zu Beginn des Films noch ganz Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs, hat sich in den folgenden neunzig Minuten durch genau einen solchen zu kämpfen - in seinen denkbar schrecklichsten, konsequentesten Auswüchsen sozusagen.
Wenn Horror und Poesie ihre ja genuin sehr enge Verwandtschaft so luzide durchscheinen lassen wie in "The Babadook", dann weiß man, man hat es mit jemandem zu tun, der Film und Genre begriffen hat, zumal das ultimative Grauen sich hierin als genau das identifiziert findet, was es stets war: als eine Spiegelung seelischer Abgründe.

10/10

Jennifer Kent Mutter & Sohn Madness Dämon Australien Adelaide


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AVALON (Barry Levinson/USA 1990)


"If I knew things would no longer be, I would have tried to remember better."

Avalon ~ USA 1990
Directed By: Barry Levinson

Sam Krichinskys (Armin Mueller-Stahl) Lieblingsgeschichte ist die, wie er am 4. Juli 1914 in Baltimore ankam und die Stadt unter einem Lichtermeer aufleuchten sah. Das, so Sam, musste das Paradies sein. Als jüngster von vier russisch-jüdischen Brüdern war Sam dereinst der letzte von ihnen, der aus der Alten Welt emigrierte, um in den Staaten sein Glück zu versuchen. Als Tapezierer und zwischenzeitlich als Nightclub-Besitzer verdient Sam einen ehrlichen Dollar. Gegen Ende der Vierziger ist er Großvater des kleinen Michael (Elijah Wood), sein ganzer Stolz. Michaels Dad Jules (Aidan Quinn) - Sams Sohn - und seine Frau Ann (Elizabeth Perkins) haben indes noch nicht ganz herausgefunden, wie das große Geld zu machen ist. Zusammen mit seinem Cousin Izzy (Kevin Pollak) macht Jules den ersten Discount-Markt von Baltimore auf - ein Geschäft, das sich zunächst gut anlässt.

Der schönste Film aus Barry Levinsons Baltimore-Zyklus ist "Avalon", ein liebevoll-antiquarischer Blick auf die Vierziger und wie drei Generationen russischstämmiger Juden sich jeweils ihrem Alter gemäß an das Leben im gelobten Amerika adaptieren. Besonders Sam und seine drei Brüder (Lou Jacobi, Leo Fuchs, Israel Rubinek), ein Quartett knötternder alter Besserwisser, die ihre Weisheiten stets in breitem Jiddisch zum Besten geben, sind Levinson als Basisfiguren rundum geglückt. Wenn es zwischen ihnen einen Streit gibt, dann, das spürt der Zuschauer bis ins Mark, sollte dieser nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Ansonsten besteht "Avalon" aus Klein- und Kleinst-Anekdötchen; wie in Woody Allens "Radio Days", der ein hervorragendes Doppel mit dem vorliegenden Werk abgibt, ist die Perspektive hierin eine vornehmlich nostalgische - jene Tage waren vielleicht nicht einfacher, aber zumindest unschuldiger. Oder man wollte sie schlicht so wahrnehmen. Nun wäre "Avalon" eher keine ausgesprochene Komödie; trotz eines klaren Überhangs verschmitzter Szenen. Auch tragische, beklemmende Augenblicke spart Levinson nicht aus und da sein Film auch wie eine Art biographische Klammer fungiert, erleben wir Sam Krichinsky am Ende steinalt und bereits dem Ende zugeneigt, wie sein kleiner Urenkel (Christopher James Lekas) ihn im Seniorenheim besucht. Was bei Allen vor lauter offener Rührseligkeit ein No-Go wäre, ist für Levinson nichts weniger denn obligatorisch.

9/10

Barry Levinson Familie ethnics Baltimore period piece


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MAPS TO THE STARS (David Cronenberg/CA, USA, D, F 2014)


"On the stairs of Death I write your name, Liberty."

Maps To The Stars ~ CA/USA/D/F 2014
Directed By: David Cronenberg

Nach langen Therapiejahren am anderen Ende des Landes kehrt die brandnarbige Agatha Weiss (Mia Wasikowska) nach Kalifornien zurück. Sie hatte dereinst das Haus ihrer Familie niedergebrannt, weshalb sowohl ihr jüngerer Bruder Benjie (Evan Bird) als auch ihre Eltern Stafford (John Cusack) und Christina (Olivia Williams) sie vorläufig lieber nicht in ihrer Nähe sähen, zumal die Weisses noch unter anderen schwelenden Nöten, die diametral zu ihrer glamourösen Hollywood-Existenz stehen, leiden. Benjie, ein Kinderstar, leidet mit seinen dreizehn Jahren bereits unter mehr Süchten, Neurosen und Allüren als viele seiner erwachsenen Kollegen, Stafford ist ein renommierter Psychologe, der unter anderem die traumatisierte, unter Halluzinationen leidende Schauspielerin Havana Segrand (Julianne Moore) behandelt, Christina leidet unter schweren Depressionen. Der Schmelztiegel des Irrsinns droht überzulaufen.

Dass David Cronenberg als derzeit heißester Aspirant bezeichnet werden muss, die sardonischen Milieu-Vivisektionen eines Bret Easton Ellis in all ihrer analytischen Tragweite verlustfrei in Filmform zu transponieren, stellt er nach "Cosmopolis" neuerlich unter Beweis. Dabei berufen sich seine Quellen gar nicht auf Ellis, sondern, im vormaligen Falle, auf Don DeLillo und betreffs "Maps To The Stars" auf den hierzulande faktisch leider unbekannten Hollywood-Karikaturisten Bruce Wagner. Hier hat man augenscheinlich ein immenses Maß an philologischer Verwandtschaft, die die Kehrseiten sozialer Grandezza als ein albtraumhaftes Kaleidoskop psychischer Störungen und verschleppter, generationenumfassender Traumata herausarbeitet. Eine Zusammenarbeit zwischen Cronenberg und Ellis wäre somit eigentlich nicht nur konsequent, sondern höchst wünschenswert.
Wie dem auch sei; "Maps To The Stars" genehmigt sich als Poptpourri dysfunktionaler Zwischenmenschlichkeiten im verführerisch schimmernden Los Angeles die Aufrechterhaltung einer gepflegten cineastischen Tradition: nach "Short Cuts", "Magnolia" und "Crash", um nur die augenfälligsten zu nennen, geht es wieder einmal in den sunshine state, der eigentlich doch desolation state heißen müsste. Julianne Moore ist auch hierin als Mutter aller Nervenzusammenbrüche zu durchleiden, was ja allein schon einen gewissen Wert bekleidet. Doch auch der Rest überzeugt: so scharfkantig geschrieben und bald röntgenstrahlartig durchschauend habe ich jedenfalls schon länger keine Gesellschaftssatire mehr wahrgenommen. Wenigstens seit "Cosmopolis" nicht. Am Ende bleibt dann abermals die bewusste Erkenntnis: Es gibt keine Stars, nur die Sterne am Himmel. Und, im Zweifelsfalle, ein paar bedauernswerte Mitmenschen, irgendwo.

9/10

David Cronenberg Familie Bruder & Schwester Satire Hollywood Madness Drogen Inzest Ensemblefilm Los Angeles


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INSOMNIA (Erik Skjoldbjærg/NO 1997)


Zitat entfällt.

Insomnia (Todesschlaf) ~ NO 1997
Directed By: Erik Skjoldbjærg

Der für seine Hatnäckigkeit bekannte schwedische Kriminalkommissar Jonas Engström (Stellan Skarsgård) wird in Norwegen angefordert, um den Mord an einer Schülerin aufzuklären. Jenseits des Polarkreises scheint derzeit die Mitternachtssonne; es wird nicht dunkel, was Engström den Schlaf raubt. Zusammen mit seinem Partner Erik Vik (Sverre Anker Ousdal) begibt er sich dennoch unverzüglich an die Tätersuche, die sich eigentlich rasch abschließen ließe, jedoch durch unbedachtes Vorgehen seitens Engströms in einer Katastrophe endet: Im dichten Nebel erschießt Engström Vik, der eigentliche Mörder kann entkommen. Engström, dessen Renommee bereits wegen einer länger zurück liegenden "Unpässlichkeit" angekratzt ist, schiebt seinen tödlichen Faux-pas dem Gesuchten zu, fälscht Beweise und Spuren und torpediert dadurch gezielt die Ermittlungen, um seine Lügen zu verschleiern. Der ursprüngliche Mörder indes, der arrivierte Autor Jon Holt (Bjørn Floberg) instrumentalisiert den zunehmend übernächtigten Engström, um selbst nicht überführt zu werden.

Mit dem Psychogramm eines Polizisten, dessen moralische Verwahrlosung mindestens so fortgeschritten ist wie die des von ihm gesuchten Mörders, ist Erik Skjoldbjærg vermittels ausgekühlter Bilder einer der beeindruckendsten skandinavischen Thriller der letzten Jahrzehnte gelungen. Wo in der nordischen Kriminalliteratur wie auch im Film die Beamten zumeist zwar in irgendeiner Form angegriffene, aber integre Ermittler sind, die sich als Identifikationsfigur für den Rezipienten hervorragend eignen, bekommt man in der Person Jonas Engströms deren erklärtes Schatten-Pendant vorgestellt, einen, der ausnahmsweise garantiert nicht fortsetzungstauglich ist. Skarsgård verkörpert diesen Noir-Typus mit grimmiger Verzweiflung, in der sich auf verhängnisvolle Weise Inkompetenz und Gewissenlosigkeit vermengen. Engströms Antagonist Holt ist auf seine Weise zwar ein arroganter Widerling; immerhin steht dieser jedoch zu seinen Obsessionen und gewissermaßen sogar zu seiner Natur. Im Laufe der Geschichte kristallisiert sich Engström dann als der Schlimmere der beiden heraus; als nicht minder paraphil veranlagter, gewissenloser Kartenzinker, für den die Erlösung ausbleibt und es kein Zurück aus der Pesthölle des Gewissens gibt.

9/10

Erik Skjoldbjærg Norwegen Madness Duell





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