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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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A BRONX TALE (Robert De Niro/USA 1993)


"The saddest thing in life is wasted talent."

A Bronx Tale (In den Straßen der Bronx) ~ USA 1993
Directed By: Robert De Niro

Bronx, 1960: Der kleine Calogero Anello (Francis Capra) wächst nach Kräften behütet von seinem Vater Lorenzo (Robert De Niro) auf, der in der Gegend als Busfahrer arbeitet. Sein heimliches Idol jedoch ist der Gangsterboss Sonny (Chazz Palminteri), der als lokaler Pate das Viertel im Griff hat. Als Sonny eines Tages auf offener Straße einen Mann erschießt, ist Calogero der einzige Zeuge. Er verzichtet jedoch darauf, Sonny bei der Polizei zu verraten und wird bald darauf zum heimlichen Ziehsohn des Gangsters. Von nun an hat Calogero, den Sonny nur kurz C. nennt, zwei Väter, die sich als diametrale Pole ihrer Einwandererkultur jedoch gegenseitig nicht riechen können. Acht Jahre später findet C. (Lillo Brancato) seine erste große Liebe in der Person der farbigen Jane (Taral Hicks), die zwar nur ein paar Straßen weiter wohnt, die infolge ihrer Hautfarbe jedoch Welten von C. trennen. Entgegen aller Widerstände bleiben die Zwei dennoch ein Paar. Für Sonny indes hält das Schicksal noch eine späte Retourkutsche bereit.

Manchmal etwas geschwätzig und sowieso übermächtig beeinflusst vom milieuzeichnerischen Chronismus seines damaligen Hausregisseurs Martin Scorsese stellte Robert De Niro mit "A Bronx Tale", der auf einem Theaterstück Chazz Palminteris beruht, sein Regiedebüt auf die Beine. Der Film ist die typische Coming-of-Age-Story eines junges Italoamerikaners in den Sechzigern und beinhaltet somit auch starke Parallelen zu Generationsporträts wie Kaufmans "The Wanderers", die sich nicht zuletzt in ihrer gewohnt prachtvollen Songauswahl niederschlägt.
Erst der Kern der Geschichte macht den Film schließlich zu etwas Besonderem: Die Väter-Dublette und der daraus resultierende Konflikt. Während C.s leiblicher Vater Lorenzo den harten aber herzlichen, ehrlich arbeitenden Italoamerikaner reräsentiert, der mit der 'ehrenwerten Familie' bis auf einen freundlichen Gruß hier und da nichts zu tun haben will, steht Sonny für das nachbarschaftliche Großtum des neuen Mafioso, behangen mit teurem Zwirn und schicken Klunkern, vor dem jeder in der Gegend Angst hat. Dennoch sind Sonnys Lebensweisheiten denen Lorenzos in bestimmten Punkten deutlich voraus: Den altweltlichen Rassismus hat er längst beigelegt und sein ansozialisiertes Misstrauen gegenüber dem Milieu erweist sich als vollkommen berechtigt. Dennoch beweist sich Lorenzos Konservativismus am Ende als die buchstäblich langlebigere der beiden Strömungen in C.s Leben und auch, wenn er manche der unkonventionellen Leitsätze Sonnys - etwa in Bezug auf die Offenheit anderen Ethnien gegenüber - noch zukünftig beherzigen dürfte, wird sein leiblicher Vater schon aufgrund seiner bedingungslosen Liebe zu seinem Sohn stets der didaktische und pädagogische Gewinner bleiben. Nichtsdestotrotz wird hier das Herandämmern einer neuen, in vielerlei Hinsicht klügeren Generation illustriert.

8/10

Robert De Niro period piece Rassismus Mafia New York Coming of Age Ethnics based on play


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BACKDRAFT (Ron Howard/USA 1991)


"It's a living thing, Brian. It breathes, it eats, and it hates."

Backdraft ~ USA 1991
Directed By: Ron Howard

Dass sein kleiner Bruder Brian (Stephen Baldwin) zur Chicagoer Feuerwehr kommt, ist dem alten Hasen Stephen 'Bull' McCaffey (Kurt Russell) ein Dorn im Auge, ist doch einst bereits ihr Vater (Kurt Russell) bei einem Einsatz ums Leben gekommen. Tatsächlich schafft es Stephen bald, seinen Bruder wieder aus seiner Einheit herauszuekeln, so dass Brian bei den Brandursache-Ermittlern landet. Zusammen mit Donald Rimgale (Robert De Niro), selbst ein früherer Firefighter, setzt sich Brian auf die Spur eines feuerversierten Killers, der seine Opfer mittels gezielter 'backdrafts' mordet.

Ein "Backdraft", das lernt man im Film, kommt dann zustande, wenn ein Brand in einem kleinen Raum sämtlichen Sauerstoff verschlungen hat. Das nunmehr entstandene Vakuum ist jedoch noch heiß genug, um sich bei neuer Sauerstoffzufuhr wieder zu entzünden und einer riesigen Zunge gleich nach vorn zu schnellen. Eine hübsch perfide Art, ahnungslos Türen öffnende Leute umzubringen. Oder eben Feuerwehrleute. "Backdraft" dürfte das Herz eines jeden Pyromanen höher schlagen lassen: Howard inszeniert, orchestriert, choreographiert das Feuer und setzt es mit großer Leidenschaft ins Bild. Der Filmdialog spricht ständig vom Feuer als einer Art lebendem, denkenden Gegner, den es zu durchschauen gilt, bevor man ihn effektiv bekämpfen kann. "Backdraft" versteht sich auch unmissverständlich als Heldenepos und Ehrerbietung an die Feuerwehrleute der USA, einer eingeschworenen Arbeitersubkultur mit hohem Ehrenkodex und von unvergleichlichem Mut. Vor dem Hintergrund dieses Ansinnens schlägt er allerdings permanent über die Stränge; der deutsche Untertitel "Männer, die durchs Feuer gehen" hätte treffender "Männer, die in Zeitlupe durchs Feuer gehen" geheißen. Wenn Kurt Russell, einen kleinen schwarzen Jungen im Arm, zu der schon ekelhaft pathetischen Musik Hans Zimmers in Slo-Mo durch eine brennende Tür bricht, dann sagt der Film alles über sich. Stargespickte Füllszenen, in denen alibihaft uninteressante Beziehungsgeflechte erörtert werden, dienen lediglich dazu, das Ganze auf Länge zu bringen und den Film nicht als eine einzige Pyroshow dastehen zu lassen. "Backdraft" ist so etwas wie der "Top Gun" des Katastrophenfilms, eine selbstverliebte Egoshow Ron Howards, die immerhin als eine stilistische Maßgabe für das noch folgende Neunziger-Kommerzkino Bestand hat und sich ihrer beeindruckenden Feuerszenen wegen anschauen lässt. Ansonsten weist das Ding bereits genau in die Richtung, die mit "Apollo 13", einem für mich wirklich unansehnlichen Stück Scheiße von Film, ihren traurigen Höhepunkt erreichen sollte. Amerika, deine Helden.

5/10

Chicago Ron Howard Gregory Widen Feuer Feuerwehr Brüder Serienmord


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COMPULSION (Richard Fleischer/USA 1959)


"Please, Artie - I'll do anything you say."

Compulsion (Der Zwang zum Bösen) ~ USA 1959
Directed By: Richard Fleischer

Chicago in den Zwanzigern. Den beiden jungen Studenten Artie Straus (Bradford Dillman) und Judd Steiner (Dean Stockwell) ist ihre materiell-verwöhnende und zugleich emotional vernachlässigende Erziehung zu Kopf gestiegen: Artie ist ein eitler, selbsträsonistischer Narziss, Judd hat eine dependente Persönlichkeitsstörung. Was sie eint, ist der mitunter sadistische Hang zu maß- und vor allem sinnloser Gewalt. Als sie einen kleinen Jungen aus der Nachbarschaft entführen und töten, werden sie durch einige missgünstige Zufälle überführt und landen bald vor Gericht. Als Verteidiger engagieren ihre Eltern Anwalt Wilk (Orson Welles), einen engagierten Gegner der Todesstrafe...

Beachtliches Kriminaldrama, das ebenso wie Hitchcocks "Rope" auf dem realen Fall um die beiden Gewaltverbrecher 'Leopold & Loeb' basiert, die 1924 das perfekte Verbrechen planen und durchführen wollten und dabei einen vierzehnjährigen Jungen aus der Nachbarschaft umbrachten. Der zum Entstehungszeitpunkt von "Compulsion" noch lebende, wieder entlassene Leopold versuchte, den Film zu torpedieren, jedoch erfolglos.
Bei Fleischers kinohistorisch vergleichsweise wenig beachteten Film handelt es sich um ein erfreulich wenig tendenziöses und dennoch sicher formuliertes Plädoyer gegen die Todesstrafe. Der an vorderster Stelle genannte Orson Welles taucht zwar erst im letzten Drittel der Geschichte auf, beherrscht diese jedoch vollkommen durch seine darstellerische Präsenz, an deren Finale - wie könnte es anders sein - ein flammendes, ausgedehntes Plädoyer wider den populistisch-rachsüchtigen Justizblutdurst seiner Zeitgenossen steht; auch dieses freilich authentisch. Die ersten beiden Akte dienen indes der sorgfältigen Ausgestaltung der beiden Charaktere Straus und Steiner und ihrer verhängnisvoll maßgeschneiderten Beziehung zueinander. Die Zwei lassen sich genealogisch als Urahnen von Ellis' Patrick Bateman einordnen, denen der familiäre Wohlstand einen psychischen Strick dreht und die, wenngleich von ganz unterschiedlicher diagnostischer Provenienz, ein fatales Duo bilden, an deren Negierung jedweder sozialen Werte schließlich jenes unfassliche Verbrechen steht. Fleischers Interesse an der differenzierten Darstellung brüchiger Täter-Personae, die sich später wieder in "The Boston Strangler" und "10 Rillington Place" manifestieren sollte, steht hier bereits deutlich im Vordergrund.
Zukunftsweisendes Qualitätskino von ungebrochener Aktualität kam dabei heraus.

9/10

period piece Chicago Courtroom Madness Richard Fleischer Todesstrafe


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THE MEN (Fred Zinnemann/USA 1950)


"Go out! Live your life!"

The Men (Die Männer) ~ USA 1950
Directed By: Fred Zinnemann

Ken Wilcheck (Marlon Brando) ist einer von zahlreichen Kriegsveteranen, denen im Krieg der Rücken zerschossen wurde und der dadurch im Rollstuhl gelandet ist. Fast noch schlimmer als die physischen Narben erweist sich jedoch der ihn rapide verlassende Lebensmut. Ken zieht sich völlig in sich zurück und wird zum schweigsamen Eigenbrötler. Erst der Kontakt zu anderen, vom selben Schicksal gebeutelten Patienten und der unermüdliche Kampf seiner Verlobten Ellen (Teresa Wright) um seine Liebe richten Ken nach einigen herben Rückschlägen schließlich langsam wieder auf.

Nach Wylers mitreißendem "The Best Years Of Our Lives", ebenfalls mit der bezaubernden Teresa Wright, ein weiteres Kriegsheimkehrer-Drama, diesmal jedoch deutlich konzentrierter umrahmt und nicht episch, sondern als Kammerspiel angelegt. Brando, dessen Leinwanddebüt der Film ist, wirft gleich ein gutes Pfund seiner Kunst in die Waagschale und zurrt sogleich seinen zukünftigen Ruf als 'angry young man' fest: Als unnahbarer Versehrter, der parallel zum Verlust seiner Beinmuskulatur verlernt hat, sich selbst zu lieben, gibt er einen der beeindruckendsten Schauspiel-Einstände, die ich kenne. Nach Monty Clift in "The Search" war Brando somit bereits der zweite Jungakteur seiner Generation, dem Zinnemann ein Sprungbrett darbot - interessanterweise wieder in einem Nackkriegsdrama.
Der mit knapper Erzählzeit gefasste Film steht und fällt mit den beeindruckenden Darstellern; neben Brando sind das auch die famos aufspielenden Everett Sloane, Jack Webb und eine Teresa Wright, die sieben Jahre nach "Shadow Of A Doubt" wirkt, als sei sie um das Doppelte gereift. Zinnemann indes nimmt sich zugunsten der dramatischen Kraft seiner Geschichte vollkommen zurück und agiert vollends als "unsichtbarer" Regisseur. Das wäre wohl das von jedweder Eitelkeit befreite Genie eines Meisters.

9/10

Fred Zinnemann Stanley Kramer Veteran Los Angeles


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THE RULES OF ATTRACTION (Roger Avary/USA, D 2002)


"In the end all I could think about was..."

The Rules Of Attraction (Die Regeln des Spiels) ~ USA/D 2002
Directed By: Roger Avary

Sean (James Van Der Beek), Lauren (Shannyn Sossamon) und Paul (Ian Somerhalder), allesamt Kinder aus Wohlstandsfamilien, bewältigen ihren orientierungslosen College-Alltag durch Promiskuität und Drogen. Allein die Liebe ist nicht für sie.

Weitgehend beachtliche Ellis-Verfilmung, die vielleicht sogar noch ein bisschen besser geworden wäre, hätte Avary sie in der Entstehungsperiode des Romans, nämlich 1987, angesiedelt. Betrachtet man Ellis' Romanwerk als einen zusammenhängenden, fortlaufenden Geschichten-Zyklus - eine durchaus probate Perspektive, da der Autor sich gemäß seines Alters beim Schreiben jeweils ein anderes Entwicklungsmilieu vorknöpft und darüberhinaus diverse Figuren immer wieder auftauchen (der bald nochmal in "The Informers" auftretende Sean ist der jüngere Bruder von Patrick Bateman, der im Roman berichtende Clay aus "Less Than Zero" findet in der Adaption leider keinen Platz, der schwer drogenbenebelte Victor wird der spätere Protagonist von "Glamorama") - wäre "The Rules Of Attraction" sich als Bindeglied zwischen der in Kalifornien angesiedelten High-School-Bestandsaufnahme "Less Than Zero" und der im Yuppie-Umfeld spielenden Wall-Street-Satire "American Psycho" einzuordnen. Leider lassen die weit voneinander liegenden Verfilmungen die Herstellung einer ähnlichen Komplexität vermissen.
Die Protagonisten von "The Rules Of Attraction" sind Studierende fortgeschrittener Semester, die einmal mehr eine komplett sinnentleerte Existenz führen, bis zu alltäglich gewordenem Luxus hin in ihrem Leben stets alles in Rachen und Arsch geschoben bekommen haben und für die 'Motivation' in jeder Hinsicht ein Fremdwort ist. Wie in seinen umliegenden Geschichten stellt Ellis heraus, dass die amerikanische Oberklasse zugleich das emotionale Prekariat im Lande darstellt, eine dekadente Kaste ausschließlich widerwätiger Personen, von denen man keine zum Freund haben möchte. Manch einer mag das als Hindernis empfinden, sich "The Rules Of Attraction" anzunähern, doch geht es hier nicht um die etwaige Evokation von Sympathie für die Protagonisten, sondern um eine ausdrücklich erwünscht distanzierte Betrachtung, die sich durch Avarys elliptische, teils schon als brillant zu bezeichnende Inszenierung wiederum andient. Dennoch schließt das Sujet grund- und vorsätzlich eine engere Beziehung zwischen Film und Rezipient aus.

8/10

Roger Avary Bret Easton Ellis New Hampshire Winter Drogen College Ensemblefilm


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THERE'S ALWAYS TOMORROW (Douglas Sirk/USA 1956)


"I never knew how to give love - only how to take it."

There's Always Tomorrow (Es gibt immer ein Morgen) ~ USA 1956
Directed By: Douglas Sirk

Der Spielzeugfabrikant Cliff Groves (Fred MacMurray) fühlt sich von seiner Familie und besonders von seinr langjährigen Ehefrau Marion (Joan Bennett) vernachlässigt. Stets stehen die Kinder im Vordergrund und Marion findet nichtmal mehr die Zeit, mit ihm ins Theater zu gehen. Da taucht aus heiterem Himmel seine Jugendliebe Norma (Barbara Stanwyck) wieder auf, mittlerweile eine erfolgreiche Modeschöpferin in New York. Bei ihr findet Cliff die Zuwendung und das Verständnis, welche er daheim bereits seit Jahren vermisst. Doch Norma ist zu vernünftig, um mit Cliff durchzubrennen.

Dein Mann, das verletzliche Wesen. Fred MacMurray ist ganz hervorragend als an sich wohlgemuter Familienvater, der urplötzlich feststellen muss, dass er seit langem die letzte Geige im Hause spielt. Seine quäkende Jüngste (Judy Nugent) absorbiert förmlich die gesamte Aufmerksamkeit seiner Frau, die beiden Älteren (Gigi Perreau, William Reynolds) sind verwöhnte, naseweise Teenager, die ihren angenehmen Lebensstandard längst als selbstverständlichkeit verinnerlicht haben. Norma Vale fungiert da eher als Katalysator denn als Bremsstein, denn sie eröffnet, von Cliffs Sohn Vinnie bezüglich der vermuteten Affäre mit seinem Vater zur Rede gestellt, den Geschwistern, dass nicht der Wankelmut ihres Vaters Ursache der Familienkrise ist, sondern ihre eigene Unfähigkeit zu aufrichtiger Dankbarkeit. Das ist natürlich ein starker Topos, besonders im familiär genordeten US-Kino der Fünfziger. Dass ein Mann in den besten Jahren eine solche Vulnerabilität an den Tag legt, dürften damals Viele als geradezu ungeheure Rollenunterminierung aufgefasst haben. Möglicherweise zu Recht.
Eines von Sirks schönsten Meisterwerken.

9/10

Douglas Sirk Los Angeles Kalifornien Familie Amour fou Midlife Crisis


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TRUST (David Schwimmer/USA 2010)


"Oh my God - I was raped!"

Trust ~ USA 2010
Directed By: David Schwimmer

Die vierzehnjährige Annie (Liana Liberato) durchlebt gerade Höhen und Tiefen der frühen Pubertät: Ihr Körper verändert sich und sie findet sich hässlich, ihre beste Freundin (Zoe Levin) ist ihre letzte Bezugsbastion. Da lernt sie in einem Internet-Chat einen gewissen "Charlie" kennen, der nicht nur ein offenes Ohr für ihre Sorgen und Nöte hat, sondern ihr zugleich vehement Komplimente macht. Zwar kommt es Annie etwas befremdlich vor, dass Charlie ihr etwa einmal die Woche gesteht, fünf Jahre älter zu sein als er bis dato vorgab, dennoch entwickelt sich aus der schüchternen Annäherung eine zaghafte Beziehung. Diese gipfelt schließlich in einem Treffen, bei dem sich Charlie als pädophiler Spätdreißiger entpuppt, der Annie in einem Hotelzimmer zum Koitus nötigt. Es dauert ein paar Tage, bis das Mädchen begreift, was da wirklich mit ihr passiert ist. Vor allem ihr Dad (Clive Owen) kann mit der Situation jedoch überhaupt nicht umgehen.

Just your usual Schicksals-Movie, wie es hüben und drüben üblicherweise gern via Eigenproduktion der privaten TV-Sender als 'Film der Woche' gezeigt wird. Warum die recht hausbackene und psychologisch nicht sonderlich differenziert angelegte Story von "Trust" nun auf Kinoebene angelegt und umgesetzt wurde, muss man nicht verstehen. Die Ingredienzien jedenfalls sind genau dergestalt, wie man sie in einem klischeebepackten Drama dieser Sorte erwarten sollte. Darstellerisch gibt es nichts zu mäkeln, Clive Owen, Catherine Keener und auch die junge Liana Liberato sind gute Leute. Handwerklich allerdings ist die ganze Kiste trotz der Idee, Chat-Dialoge über andere Szenen zu legen, allerbiederste Krampfkost. Schwimmer und seine Autoren baden in Redlichkeit und mühen sich dazu schrecklich ab, jeglichen Moralfallen vom Voyeurismus über Adoleszenz-Diskurse zu entgehen, die modernen Kommunikationswege als einen Abgrund voller perverser Sexualstraftäter zu diffamieren und die missbrauchte Annie zu einem aseptisch-asexuellen Wesen zu verklären. Der Perversling derweil ist der janusköpfige, brave Familienvater und - Lehrer. Holzhammer-Populismus in Reinkultur. Na klar. "Trust" mag für paranoide, christliche Mitteltandseltern medieninkompetenter Töchter möglicherweise das symbolisieren, was "Rosemary's Baby" für hochschwangere Frauen darstellt. Nur eben dass letzterer bei aller Hysterie den Mut zur Abstraktion besaß und von einem Meisterregisseur inszeniert wurde.
Wenn man eines vorher noch nicht wusste, dann weiß man's nach "Trust" unter Garantie: Die Welt ist schlecht. Amen.

4/10

David Schwimmer Internet Chicago Familie Vergewaltigung Paraphilie


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RAMPART (Oren Moverman/USA 2011)


"You know what I think? I think you were a dirty cop from day one."

Rampart ~ USA 2011
Directed By: Oren Moverman

L.A. 1999: Der Streifenpolizist Dave Brown (Woody Harrelson) ist vermutlich der meistgehasste Cop der Stadt. Permanent lässt sich sein Name mit Gewalttaten in Verbindung bringen, was die Medien populistisch fachgerecht auzuschlachten verstehen und auch sein Privatleben, geprägt von Promiskuität, Nikotin, Alkohol- und Medikamentenmissbrauch gleicht einer Katastrophe. Dennoch weigert sich Brown strikt, sein Berufsideal zugunsten einer aus seiner sicht verweichlichten öffentlichen Meinung aufzugeben.

Sehenswerter, grandios montierter und inszenierter Polizeifilm, dem man James Ellroys kreativen Input recht umschweifelos anmerkt. Getragen von einem großartigen Ensemble, das unter anderem Ned Beatty in einer schönen Altersrolle aufbietet, ist "Rampart" vor allem ein Film über Anachronismen. Diverse Zitate verdeutlichen, dass Dave Brown ein legitimer Erbe der Dinosaurier-Polizisten vom Schlage eines Harry Callahan, freilich gemixt mit einem Viertel Bad Lieutenant ist, ein Misanthrop, der die Uniform benutzt, um möglichst unkompliziert seiner eigenen, herrischen Natur frönen zu können. Brown weiß Menschen für sich "einzunehmen"; diverse Personen schulden ihm einen Gefallen. Sei es der Apotheker, von dem Brown seine Benzos rezeptfrei bezieht oder der Hotelrezeptionist, der ihm für lau eine Notunterkunft gewährt. Vor den Stadtoberen, Staatsanwälten und Anzugträgern, hat Dave keine Angst. Er weiß, wie das Spiel gespielt wird und ist schlau genug, im Sanktionsfalle zurückschlagen zu können. Dass er auf der anderen Seite verantwortlich ist für zahlreiche ungerechtfertigte Gewaltakte, bekommt der kleine, demonstrationsbereite Mann auf der Straße mit. Allein es interessiert Dave nicht. Er lässt sich nicht ändern. Und warum auch? Schließlich ist er nichts weiter als das konsequente Echo der Straßenschluchten.

8/10

Los Angeles Korruption Oren Moverman James Ellroy


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23 (Hans-Christian Schmid/D 1998)


"Nichts ist wahr. Alles ist erlaubt."

23 ~ D 1998
Directed By: Hans-Christian Schmid

Hannover in den 1980ern: Der junge Computerhacker Karl Koch (August Diehl) ist besessen von Robert Anton Wilsons Roman-Anthologie "Illuminatus!" und deren verschwörungstheoretischen Hirngespinsten. Über die Fiktion hinaus beginnt er selbst, in der Realität Ungereimtheiten festzustellen wie das sich ständig wiederholende Auftauchen der Zahl 23 und ihrer Quersumme 5. Karl glaubt, dass praktisch alles um ihn herum bloß Teilfacetten einer diffusen Weltverschwörung widerspiegelt.
Als er über Gras zum Kokain gerät und mit obskuren Geschäftspartnern anfängt, für den Ostblock Computernetzwerke auszuspionieren, verschlimmert sich seine bereits pathologische Paranoia bis hin zur Psychose. Dennoch scheint nicht alles bloß blühende Phantasie zu sein...

Hm, als Porträt der Achtziger und ihrer historischen Funktion als Schlussakt des Kalten Krieges ist "23" weniger interessant, als psychologisch angelegtes Porträt eines drogeninduzierten Psychotikers dafür umso mehr. Dass Bits und Bytes schon seit jeher dazu angetan waren, Gehirne und vor allem Seelen zu erweichen, wissen Zeitgenossen schon, seit ihre Klassenkameraden sich vor gut 25 Jahren mit Atari und Commodore im heimischen oder benachbarten Kinderzimmer eingeschlossen und halb zu Tode gedaddelt haben. Brenzlig wurde es damals jedoch auch für Leib und Leben, wenn sich das Interesse am Computer in politisch fragwürdige Bahnen überführt fand - sprich, zu Spionagzwecken genutzt wurde. Erst die unheilige Mixtur aus alldem jedoch machte Karl Kochs letzte junge Lebensjahre so brisant: Seine psychische Ausgangssituation, seine Suche nach Zwischenmenschlichkeit, seine Suchtanfälligkeit, schließlich ein formloser Hang zum Protest. Da musste es irgendwann knallen. Als er schlussendlich verschwand und eine Woche später verkohlt in einem Wald aufgefunden wurde, näherte diese myseriöse Entwicklung zunächst natürlich Karls spekulatives Realitätskonstrukt und sorgte für eine gewisse Mythisierung in geneigten Kreisen. Tatsächlich ist davon auszugehen, dass der junge Mann, der aus Gründen der Strafaussetzung mittlerweile gezwungen war, als Laufbursche für die Landes-CDU zu arbeiten, nicht mehr konnte und sich - natürlich mit knapp 24 Jahren - selbst angesteckt hat. Faszinierend und filmreif ist dieses Schicksal sicherlich allemal und entsprechend sehenswert hat Schmid es umgesetzt.

8/10

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A STAR IS BORN (George Cukor/USA 1954)


"This is the way the world ends - not with a bang, but with a whimper."

A Star Is Born (Ein neuer Stern am Himmel) ~ USA 1954
Directed By: George Cukor

Der für seine Alkoholeskapaden berüchtigte Hollywood-Schauspieler Norman Maine (James Mason) wird bei einer Gala auf die Gesangs- und Tanzkünstlerin Esther (Judy Garland) aufmerksam. Noch in der selben Nacht beschgließt er, Esther kennenzulernen und sie auf ihr latentes, schlummerndes Starpotenzial aufmerksam zu machen. Von Maines Ansprache überzeugt, bewirbt sich Esther beim Film. Normans Einschätzung erweist sich als goldrichtig, nach kleineren Komparsenauftritten ist Esther, die sich jetzt Vicki Lester nennt, bald der größte Zuschauermagnet der Traumfabrik. Doch parallel dazu sinkt Normans Stern unweigerlich ins Bodenlose. Sein Studio kündigt den Vertrag mit ihm auf, da er als nicht mehr versicherbar gilt und seine Trunksucht verschlimmert sich zusehends. Dennoch hält Vicki bis zuletzt zu ihm und ist sogar bereit, ihren Erfolg ihm zuliebe zu opfern.

"A Star Is Born" wurde bis heute dreimal verfilmt, wobei Cukors Version als die gelungenste gilt. Als 'Film-Musical' im klassischen Sinne kann man das zumindest in seiner restaurierten, notgedrungen unter der Zuhilfenahme von Standbildern zusammengeflickten Fassung recht ausgedehnte Scope-Prachtstück nicht unbedingt bezeichnen. Die Gesangseinlagen sind jeweils Teil der filmimmanenten Gegebenheiten und werden, durchweg von Judy Garland, als Bühnen- oder private Stücke dargebracht und nicht wie bei Minnelli, Donen und den anderen klassischen Musicalregisseuren als expressionistisch-surrealistisches Mittel zur Befindlichkeitsäußerung eingesetzt. Von mehrerlei Warte aus betrachtet ist "A Star Is Born" ein gewaltiges Werk: Als stolzer Repräsentant des noch jungen Breitwandformats (und Cukors erste Arbeit mit selbigem) sowie als Schauspielerfilm fidelt er in der obersten Garde. Die sich geradezu aufzehrenden James Mason und Judy Garland scheinen beinahe Übermenschliches zu leisten und das selbstreflexive Element - damals noch keine Selbstverständlichkeit, wenngleich bereits mehrfach exerziert - wirkt ebenso mutig wie rührend-nostalgisch. Mason war damals auf Suchtkranke und Verlierertypen adaptiert, derweil die privaten bzw. psychischen Aufs und Abs von Judy Garland bildlich denen einer Achterbahn ähnelten. Insofern trägt die Besetzung der Hauptrollen bereits planerisch genialische Züge und wurde von den beiden auch hinter der Kamera wild flirtenden Stars großflächig belohnt.
Klassisches Eventkino mit allem, was dazu gehört.

9/10

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Filmtagebuch von...

Funxton

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