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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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ALBINO (Jürgen Goslar/BRD, UK, RSA, RHO 1976)


Zitat entfällt.

Albino (Der flüsternde Tod) ~ BRD/UK/RSA/RHO 1976
Directed By: Jürgen Goslar

Rhodesien in den Siebzigern. Als ein marodierender farbiger Albino (Horst Frank) als Anführer eine Gruppe Guerilleros Sally (Sybil Danning), die Frau des weißen PolizistenTerick (James Faulkner) in dessen Abwesenheit auf seiner heimischen Farm vergewaltigt und umbringt, zieht dieser auf eigene Faust los, um den verhassten Verbrecher zu stellen, seine ehemaligen Kollegen dicht auf den Fersen.

Erstaunlich differenzierte Abhandlung über den Zustand der weißen Kolonialisten in Afrikas Südosten, deren Tage bereits in den Siebzigern längst gezählt waren - glaubt man Goslars finsterer Bestandsanalyse. Die schwierige Situation, es sowohl den Ureinwohnern als auch den Besatzern in der x-ten Generation ein gleichberechtigtes Miteinander zu ermöglichen, wird hier kurzerhand durch die nach außen kanalisierte, blanke Aggression eines in Afrika tatsächlich mythologisierten Wesens gesprengt: Eines schwarzen Albino, den Horst Frank unter einer geradezu unfassbar beklemmenden Maskerade darstellt.
In diversen Gegenden Afrikas werden Albinos noch heute von der Bevölkerung wahlweise geächtet oder als Wesen magischer Kraft mystifiziert; teilweise betreibt man einen florierenden Handel mit ihren Organen und Extremitäten, da diesen Zauberkräfte innewohnen sollen. Daniel Carney, auch Autor der Romanvorlage zu "The Wild Geese", hat dieses Sozialphänomen zum Zentrum seiner Geschichte gemacht: Ausgerechnet jenes außergewöhnliche Menschenexemplar vereint die Wut eines Kontinents in sich und lässt den blutigen Aufschrei der Rebellion durch das altehrwürdige Haus des Feindbildes hallen.
"Albino" setzt weniger auf visuelle Härten, seine unbequeme Atmosphäre, die allenthalben spüren lässt, dass das Leben in diesem äußerlich so schönen Land unter den gegenwärtigen Umständen nur als lebensfeindlich empfunden werden können, da der Hass jederzeit explodieren könnte, macht ihn so sehenswert. Goslars Film, der auch viel von den finsteren Italowestern von Questi und Corbucci in sich vereint, schmeckt vielleicht während des Verspeisens im klassischen Sinne nicht sonderlich deliziös, aber er macht im baldigen Anschluss garantiert für lange Zeit satt und zufrieden.

9/10

Daniel Carney Jürgen Goslar Rape & Revenge Südafrika Afrika Rassismus Transgression


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ESTHER AND THE KING (Raoul Walsh/I, USA 1960)


"Hang the betrayer!"

Esther And The King (Das Schwert von Persien) ~ I/USA 1960
Directed By: Raoul Walsh

500 Jahre vor Christi Geburt beherrscht Xerxes (Richard Egan), der König der Perser, ein gewaltiges Reich. Als er von einem seiner Feldzüge zurückkehrt und registriert, dass seine Frau (Daniele Rocca) ihn betrogen hat, wird er zum Zahnrädchen in einem allumspannenden Stürzungsplan seines intriganten Würdenträgers Haman (Sergio Fatoni). Dieser sucht eine Judäerin für Xerxes' nächste Ehe und findet sie in der Person der jungfräulichen Esther (Joan Collins). Mit viel Aufopferungsbereitschaft vermag es Esther schließlich, Xerxes zu einem gerechteren Herrscher zu machen und ihn die wahre Natur seines Erzfeindes Haman erkennen zu lassen.

Purer Camp ist dieser Ausflug von Walsh nach Rom geworden, wo er mit einer fast durchgängig italienischen Crew, darunter Mario Bava als DP und unkreditiertem Co-Regisseur, dieses herrliche Stück Bibeltrash aus dem Boden stampfte. Bereits die Besetzung der Collins, die ja zuvor schon Hawks' Ägypten-Epos "Land Of The Pharaohs" einen unwiderstehlichen Schmierfilm verlieh, garantiert für exploitatives Hinguckerkino erster Garnitur. Die Geschichte ein einziger antiker Witz, die Formalia schön, lieb und teuer, die Atmosphäre durchsetzt von schwüler Ränke und säurehaltiger Boshaftigkeit - so liebt man sein kleines Monumentalkabinett. Kokain, appe Köpfe und angedeuteter Sex - für einen Streifen von anno 60 liefert "Esther And The King" beachtliche Schauwerte. Wie sich ausgerechnet Raoul Walsh in diesen amüsanten Killefit verirren konnte, weiß ich nicht genau, aber das ist ja eigentlich auch ganz egal.

6/10

Raoul Walsh Persien Bibel Camp Trash Mario Bava


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IO MONACA... PER TRE CAROGNE E SETTE PECCATRICI (Ernst Ritter von Theumer/BRD, I 1972)


Zitat entfällt.

Io Monaca... Per Tre Carogne E Sette Peccatrici (Ich, die Nonne und die Schweinehunde) ~ BRD/I 1972
Directed By: Ernst Ritter von Theumer

Claire (Vonetta McGee) und sechs Leidensgenossinnen nutzen die Gunst der Stunde: Die herzensgute Nonne Schwester Maria (Monica Teuber) hat durchgesetzt, dass die acht in einem Frauengefängnis einsitzenden Damen stundenweise in ihrem Klosterhof arbeiten dürfen. Das Luder-Oktett ist allerdings nicht faul, sondern macht sich flugs an einen Ausbruch, dem Schwester Maria sich solidarisch anschließt - immerhin brauchen die "Ladys" spiritistischen Beistand. Vom Regen in die Traufe schlitternd geraten sie in die Fänge des üblen Mädchenhändlers Bob (William Berger), der sie an den Wüstenscheich El Kadir (Gordon Mitchell) verscherbeln möchte. Der wackere Skipper Jeff (Tony Kendall) jedoch haut sie alle - Kollateralschäden inbegriffen - raus...

Viel zu lachen gibt es in Herrn von Theumers Sleaze-Kracher, der sich die Welt gerade so wahnsinnig macht, wie sie ihm gefällt. Das Schöne bei diesen alten Heulern ist ja, dass man stets auf alles gefasst sein muss, selbst auf irrsinnige Folterzwerge, die plötzlich hinter einer Mauer auftauchen und nackte Schönheiten berserkernd ins Jenseits peitschen, nur um hernach selbst von einer Ordensschwester per schädelgroßem Stein kaputtgehauen zu werden. Topographisch einsortieren lässt sich "Io Monaca" nicht so ohne Weiteres, ich tippe auf Nordafrika oder den Nahen Osten. Von Theumer hat jawohl auch des öfteren in der Türkei gearbeitet - möglicherweise rühren die teils pittoresken Landschaftspanoramen auch dorther.
Wie dem auch sei, das Ding ist ordentlich schmierig, wird von einer Erster-Klasse-Trash-Besetzung flankiert und der Löwenanteil der Produktionskosten von Dreimarkfuffzich stecken in den stolz ins Bild gesetzten Mini-Exlplosionen. Ansonsten gilt: Lasset euch dies lecker Gürksken in geselliger Runde munden - eure Freunde lieben euch danach gleich nochmal so doll. Versprochen.

6/10

Ernst Ritter von Theumer W.I.P. Trash Sleaze Europloitation


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LE CORBEAU (Henri-Georges Clouzot/F1943)


Zitat entfällt.

Le Corbeau (Der Rabe) ~ F 1943
Directed By: Henri-Georges Clouzot

Eine kleine Provinzstadt unweit von Paris wird das Opfer einer Welle denunziatorischer Hassbriefe, die allesamt mit "Der Rabe" unterzeichnet sind. Besonders der erst seit kurzem hier ansässige Arzt Rémy Germain (Pierre Fresnay) wird zum Opfer des böswilligen Ränkeschmieds - angeblich soll er bereits diverse Abtreibungen initiiert und zugleich etliche Frauen im Ort verführt haben. Doch nicht nur gegen ihn richten sich die Intrigen und Anschuldigungen: Als ein Krebspatient nach einem Brief des Raben Suizid begeht und auch ein kleines Mädchen sich ins Unglück gestürzt findet, beginnt die Situation hochzukochen. Mit allen Mitteln sol die Identität des Raben festgestellt oder Germain wahlweise aus der Stadt vertrieben werden.

Petains Kollaborationsregierung von Vichy befand sich kaum in Amt und scheinheiligen Würden, da präsentierte Clouzot ihr bereits seine misstrauische Quittung: Basierend auf einem authentischen Fall, der sich 25 Jahre zuvor in Tulle ereignet hatte, zeigt "Le Corbeau" die Folgen faschistischer Einflussnahme: Wenn niemand mehr dem anderen trauen kann, weil jeder ein potenzieller Spitzel oder gar Feind ist, dann ist es mit der Idylle vorbei; das System gewinnt die Oberhand und jedwede Privatsphäre ist passé.
Dass diese teils geradezu fürchterlich schwarzhumorige Satire immerhin im eigenen Lande die Schranken der Zensur passieren konnte, bewerkstelligte man mit dem Hinweis, "Le Corbeau" sei von einer deutschstämmigen Firma namens Continental mitproduziert worden. Dennoch bewahrte dies weder Werk noch Urheber vor Repressalien, denn selbst linksgerichtete Strömungen bescheinigten "Le Corbeau" eine unterminierende Subtilität, die das französische Volk verunglimpfe. Glücklicherweise folgte die allgemeine Rehabilitation in nicht allzu weiter Ferne nach dem Kriegsende. Erst jetzt war man bereit, die freche Breitseite Clouzots gegen die Okkupation im rechten Licht wahrzunehmen.

8/10

Kleinstadt Henri-Georges Clouzot Madness Drogen film noir


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INTERVIEW WITH THE VAMPIRE: THE VAMPIRE CHRONICLES (Neil Jordan/USA 1994)


"Pay no attention, It happens to us all."

Interview With The Vampire: The Vampire Chronicles (Interview mit einem Vampir - Aus der Chronik der Vampire) ~ USA 1994
Directed By: Neil Jordan

Der Vampir Louis de Pointe du Lac (Brad Pitt) gibt dem anfangs noch skeptischen Journalisten Malloy (Christian Slater) ein Interview über seinen nunmehr zwei Centennien andauernden Werdegang als Blutsauger. Einst im brodelnden New Orleans des Jahres 1791 vom Vampir Lestat (Tom Cruise) gebissen und verwandelt hat er das Töten stets verabscheut und es vorgezogen, sich an niederen Tieren zu delektieren. Als ihre traute vampirische Zweisamkeit später durch die kleine Claudia (Kirsten Dunst), ein Mädchen von etwa zehn Jahren, erweitert wird, währt die Idylle nicht lang: Louis und die Kleine entledigen sich Lestat und reisen nach Paris, um ihren Ursprüngen nachzuspüren. Hier trifft Louis auf einen in den Katakomben heimischen Vampirkult, der besonders rigoros vorgeht. Claudia kostet die Entdeckung von Lestats Tod das Leben, nach einer ausschweifenden Racheaktion fährt Louis zurück in die Neue Welt. Nach jenem ausschweifenden Bericht wünscht sich Malloy, selbst ein Vampir zu werden.

Mittels augenzwinkernder Theatralik, die nicht von ungefähr eine herrliche Grand-Guignol-Szene zentriert, haucht Neil Jordan der an sich recht klebrigen Vampirstory treffliches Kinoleben ein. Sich an den langhaarigen Herzensbrechern Cruise, Pitt und Banderas, respektive ihren bisexuellen Neigungen zu ergötzen, wird in erster Linie entsprechend ausgerichteten Zeitgenossen oder träumerischen Damen zufallen, meinereinem stellt sich da zugegebenermaßen hier und da ein leichter Brechreiz ein. Hat man sich jedoch einmal damit arrangiert, gibt es viel zu entdecken, dass die Betrachtung von Jordan Film lohnt: Die betont artifizielle Theatralik der Inszenierung, wunderschöne Kostüme und nächtliche Kulissen und immer wieder der Durchbruch der gepflegten, blutroten Sanftmut von gleichermaßen fantastischen Szenen und Augenblicken - etwa, wie der Pariser Vampirkult sich und seine Opfer öffentlich inszeniert: als blutrünstig-gewagtes Live-Theater nämlich. Wie Louis die zu Asche verbrannte Claudia findet und danach den ganzen Clan zur Hölle schickt, und, ganz besonders, Louis' Schwärmerei vom Kino, das ihm und uns in huldigender Raffung von "Nosferatu, eine Symphonie des Grauens" über "Sunrise: A Song Of Two Humans" und "Gone With The Wind" bis hin zu "Superman" eine Blitzgeschichte illuminierter Sonnenaufgangsfilmmagie beschert.
Einst habe ich "Interview With The Vampire" recht abschätzig betrachtet, mittlerweile gefällt er mir mit jeder neuerlichen Betrachtung besser.

8/10


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MICHAEL COLLINS (Neil Jordan/UK, IE, USA 1996)


"If they shut me up, who will take my place?"

Michael Collins ~ UK/IE/USA 1996
Directed By: Neil Jordan

Der irische Rebell Michael Collins (Liam Neeson) vollbringt in den zwanziger Jahren jede nur denkbare - auch terroristische - Anstrengung, um die englischen Besatzer zum Rückzug von der Insel zu bewegen und Irland die Unabhängigkeit zu sichern. Diverse Gefängnisaufenthalte und harte Gefechte, die auch Guerillakampf und Meuchelmord beinhalten, sichern den Republikanern schließlich einen ersten bescheidenen Erfolg: Irland wird zu einem britischen Freistaat unter eigener Flagge und abgespalten vom Norden. Mit dieser Teiletappe sind Collins' frühere Mitstreiter, allen voran der spätere Staatspräsident Éamon de Valera (Alan Rickman), allerdings nicht zufrieden...

Prachtvolles Geschichtskino, unkritische Heldenverehrung inklusive. Liam Neeson war damals der Mann für historische Helden und auch seine Darbietung als irischer Freiheitsaktivist Michael Collins empfahl ihn nachhaltig für derlei Darstellungen, wenngleich eine physiognomische Ähnlichkeit mit dem Original bestenfalls Behauptung bleibt.
Neil Jordan derweil distanziert sich etwas von seinem früheren, exaltierten Inszenierungsstil, der manchmal zum Camphaften tendierte und eigentlich immer als sehr originell identifiziert werden konnte. Von ein paar unauffälligen Montagetricks abgesehen könnte "Michael Collins" nun allerdings auch die Signatur eines Richard Attenborough tragen und jeder würde es ihm abnehmen. Ob man Jordan diese Maßnehmung und Orientierung beim und am klassischen Filmepos ankreiden muss, fühle ich mich nicht ganz in der Lage zu konstatieren; was ichjedoch sicher weiß, ist, dass ich Filme wie diesen, die den Mut zu aufrichtigem Pathos besitzen ohne ins Lächerliche abzudriften und mit stolz geschwelltem Brustpanzer über die Leinwand walzen, stets mit großer Leidenschaft anschaue. Außerdem habe ich wieder frische Lust auf das von mir allzu lang vernachlässigte (Früh-)Werk Jordans bekommen.

8/10

Neil Jordan Irland Kolonialismus Irische Revolution period piece Biopic Historie


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CARNIVAL OF SOULS (Herk Harvey/USA 1962)


"I don't belong in the world."

Carnival Of Souls (Tanz der toten Seelen) ~ USA 1962
Directed By: Herk Harvey

Nach einem Autounfall infolge eines kindischen Wettrennens kann sich Mary (Candace Hilligoss) als einzige Überlebende aus dem im Kansas River versunkenen Wagen ihrer Freundin retten. Kurz darauf tritt die junge Frau eine neue Stelle als Kirchenorganistin in Utah an. Bereits auf dem weg dorthin erscheinen ihr unentwegt merkwürdige Menschen und Gesichter, die sich als Phantome erweisen. Doch die seltsamen Zeichen häufen sich: Besonders ein geisterhafter Mann (Sidney Berger) scheint Mary überall hin zu folgen, sie selbst erlebt eine Episode, da sie sich mitten in einem Warenhaus in Luft aufzulösen scheint und in der Kirche spielt sie eigenartige Litaneien. Und dann ist da ein stillgelegter Vergnügungspark vor der Stadt, der einen unwiderstehlichen Reiz auf Mary ausübt...

Herk Harveys einziger Spielfilm ist eine poetische Geschichte vom widerwilligen Übergang ins Totenreich. Später wurden Storys um Tote, die ihre Zustandsveränderung zunächst nicht akzeptieren wollen oder können zu einem Genre-Standard, Harveys "Carnival Of Souls" darf jedoch als Pionierleistung dieser motivischen Ausrichtung bezeichnet werden. Ohne große Effektkirmes aber mit einer dafür umso wirksameren Bildsprache kreieren Harvey und der Autor John Clifford eine eher der Charakterisierungsfach verpflichtete Frauenstudie, von der Polanski drei Jahre später noch zu zehren wusste. Die fragile Mary ist ein in sich gekehrter Mensch, bisweilen neurotisch und ablehnend gegenüber männlichen Annäherungsversuchen, sprich denen ihres Zimmernachbarn John (Sidney Berger, wohl nicht ganz zufällig derselbe Darsteller des "Haupt-Phantoms"). Schließlich scheint das auditive Element in Marys auf Musik ausgerichtetem Dasein eine elementare Rolle einzunehmen: Als sie für ihre Umwelt unsichtbar wird, verliert Mary andererseits die Fähigkeit, ihre Umgebung akustisch wahrzunehmen, derweil ihr Orgelspiel ganz abrupt mehr nach Free Jazz klingt als nach Psalmen, was den Ministranten (Art Ellison) zu heftigen Schimpfkanonaden hinreißt. Ein singender Vogel in einem Baum, Symbol des Lebens, erschließt ihr dann - zweimal - die Rückkehr in die materielle Welt. Es dauert einige Zeit, bis Mary sich ihres Schicksals gewahr wird und sich ihm - noch immer nicht ganz willfährig - ergeben kann, erst dann lösen Harvey und Clifford das Geheimnis um ihren Schwebezustand.

8/10

Herk Harvey Geister Utah Kansas Independent Carnival


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THE OTHERS (Alejandro Amenábar/E, USA, F, I 2001)


"This house is ours."

The Others ~ E/USA/F/I 2001
Directed By: Alejandro Amenábar

England, 1945: Die Soldatenfrau Grace Stewart (Nicole Kidman) bewohnt mit ihren beiden unter einer lebensbedrohlichen Lichtallergie leidenden Kindern Anne (Alakina Mann) und Nicholas (James Bentley) ein Herrenhaus auf der Kanalinsel Jersey. Ihr Mann Charles (Christopher Eccleston) ist bisher nicht aus dem Krieg heimgekehrt. Ein neues Verwaltertrio, bestehend aus der liebenswerten Mrs. Mills (Fionnula Flannagan), dem freundlichen Gärtner Mr. Tuttle (Eric Sykes) und dem stummen Hausmädchen Lydia (Elaine Cassidy) wird bei Grace vorstellig und von ihr eingestellt. Parallel dazu häufen sich seltsame Begebenheiten: Anne glaubt, allenthalben einen Jungen namens Victor zu sehen, eine alte Frau treibt ihr Unwesen und unsichtbare Hände spielen auf dem alten Flügel. Befinden sich Geister im Haus?

Die Idee, eine Geistergeschichte ausnahmsweise einmal aus der "anderen" Perspektive zu erzählen, ist so einfach wie lohnenswert. Shyamalan hatte diese Sichtweise zumindest in Ansätzen bereits in seinem "The Sixth Sense" auszubauen versucht, der Spanier Amenábar schließlich brachte sie in seinem erstaulicherweise auf keiner literarischen Vorlage beruhendem, schauerromantischen Plot vollendet auf den Punkt. An Wilde, Bierce und andere große Literaten erinnernd entspinnt sich eine ebenso formvollendete wie komplexe Charakterstudie, die insbesondere ein mehrfaches Anschauen lohnenswert macht - ist die Auflösung des Ganzen einmal bekannt, lohnt es sich nämlich, sich mit dem Schuld-Sühne-Aspekt auseinanderzusetzen sowie das von der zunehmend enervierten Grace immer wieder aufgegriffene, christliche Konzept des Jenseits mit dem fraglos säkularisierten, paranormalen des Films zu vergleichen. Demzufolge ist der "Himmel" nämlich bloß eine Art ortsgebundene Ewigkeit in multiplen Dimensionen, die sich hier und da zu überschneiden ruhen. Es bleibt allerdings offen, wer wohin gerät und ob eine lokale Verbindung zwischen Seele und Ruhestätte auf die Art des Sterbens zurückzuführen ist. Massig Raum also für diskursive Ansätze - oder auch einfach bloß für 100 Minuten genießerisch-schwelgendes Geisterkino mit Erlösungsgarantie.

9/10

Alejandr Amenábar England Jersey Haus Geister Kinder WWII


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JANGHWA, HONGRYEON (Jee-woon Kim/KR 2003)


Zitat entfällt.

Janghwa, Hongryeon (A Tale Of Two Sisters) ~ KR 2003
Directed By: Jee-woon Kim

Die beiden jugendlichen Schwestern Su-Mi (Su-jeong Lim) und Su-Jeon (Geung-Young Moon) kommen nach längerer Zeit wieder nach Haus zu ihrem Vater (Kap-su Kim) und dessen neuer Frau Eun-ju (Jung-ah Yum). Su-Mi hasst ihren Vater und ihre Stiefmutter aus verschiedenen Gründen: Der Tod ihrer Mutter scheint von den Beiden einst als höchst willkommen aufgefasst worden zu sein, zudem quält Eun-ju die offenbar besonders labile, schweigsame Su-Jeon unentwegt, während der Vater nur daneben steht. Damit nicht genug, scheint im abgelegenen Haus der Familie ein geisterhaftes weibliches Wesen seine unheimliche Aufwartung machen zu wollen...

Meditativ-besinnlicher, dabei meisterhaft geschlossen inszenierter, anfangs schwer zu durchschauender Geistergrusel, der sich mit zunehmender Laufzeit von seinen paranormalen Wurzeln emanzipiert und zu einem psychologisch durchaus fundierten Drama über eine schwere Neurose wird. Über dem Film liegt trotz seiner pastellfarbenen, sanften und hellen Photographie eine latente, bleierne Traurigkeit, der sich nur schwer zu entziehen ist. Man fühlt unweigerlich mit den beiden, offenbar zutiefst verletzten Schwestern, spürt ihre bereits entschieden in Richtung Depression abdriftende, existenzielle Unzufriedenheit und ihre daraus erwachsende Angst, die das seltsame, verwachsene Geistermädchen kaum evozieren, sondern vielmehr kanalisieren dürfte. Dann die Hilflosigkeit des ergrauten Vaters, dem es obliegt, mit den Scherben der einst so glücklichen familiären Idylle fertigzuwerden. Kim derweil kadriert diese Geschichte einer ausgeprägten psychiatrischen Störung mittels größtmöglicher Behutsamkeit, zeigt einen kubrick'schen Hang zu Symmetrien und allgemein zum bildlichen Perfektionismus, vor dem die immer wieder hervortretenden Tendenzen Richtung Genrekino teilweise bös kritisiert oder als vulgär eingestuft wurden. Zu Unrecht: Nur in dieser, mit dem Schrecken liebäugelnden Form nämlich erreicht der Film seine schlussendliche Vollkommenheit.

9/10

Korea Haus Madness Psychiatrie Schuldkomplex Geister Jee-woon Kim


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1492: CONQUEST OF PARADISE (Ridley Scott/F, E 1992)


"Riches don't make a man rich, they only make him busier."

1492: Conquest Of Paradise (1492: Die Eroberung des Paradieses) ~ F/E 1992
Directed By: Ridley Scott

1492 bricht der Italiener und Seenavigator Christoph Columbus (Gérard Depardieu) mit dem Segen der spanischen Krone gen Westen auf, um eine alternative Meeresroute nach Asien ausfindig zu machen. Nach etwa neunwöchiger Kreuzfahrt über den Atlantik stößt Columbus mit seinen drei Schiffen auf eine Gruppe von Inseln, die von verschiedenen Eingeborenenstämmen besiedelt sind und die heute als Bahamas und Teil der Westindischen Inseln bekannt sind. Eine zweite Reise im Folgejahr steht unter eindeutiger imperialistischer Hoheit: Columbus und seine Brüder (Steven Waddington, Fernando Guillén Cuervo) werden als für Christianisierung und Ausbeutung der hiesigen humanen und ökologischen Ressourcen zuständige Gouverneure eingesetzt. Besonders jedoch der sie begleitende, spanische Edelmann Moxica (Michael Wincott) entpuppt sich als sadistischer Menschenschinder und sorgt, zusammen mit klimatischen Ungelegenheiten dafür, dass Columbus' Eroberungsträume wie eine Seifenblase zerplatzen. Später wird nicht er, sondern der Festlandfinder Amerigo Vespucci als Entdecker der Neuen Welt gefeiert.

Und da reisten sie an und brachten all das Schlechte auf Erden mit ins Paradies: Gier, Religion. Machtdurst, Intrigen, Krieg - kurz gesagt: Zivilisation. Dass ausgerechnet der dafür verantwortliche Mann fünf Jahrhunderte später als Geschichtsheld mit zwei Spielfilmen geehrt wurde, von denen der vorliegende als der wohl deutlich aufsehenerregendere bezeichnet werden darf, schmeckte nicht jedem. Und in der Tat bietet "1492" erklärten Kritikern vermutlich eine Vielzahl von Ansatzpunkten, um Scotts Kolonialepos aus den Angeln zu hebeln. Der Regisseur macht erneut von seiner überaus flamboyanten Oberflächeninszenierung Gebrauch und bietet zur zweiten Filmhälfte hin einige betont naturalistische, augenscheinlich unverhältnismäßige Momente, die in ihrer beinahe horrorartigen Ausprägung die späteren Gewaltmomente in "Gladiator" vorwegnehmen. Sein hübsch größenwahnsinniger Gestus, unterstrichen noch von Vangelis' so vielzitiertem Bombast-Score zeichnet "1492" nach meinem Empfinden jedoch erst wirklich aus, alles wirkt teuer, edel und vor allem echt. Man ahnt, welch hohes Maß an Sorgfalt in die (Re-)Kreation der Kostüme und Requisiten gesteckt wurde, mit welcher Detailversessenheit die set pieces ausgewählt und später in den Film integriert wurden. Das alles ist nichts minder als Ehrfurcht gebietend, ja, fast schon erschlagend. Und es ist eine Art Kino, die ich in ihrem naiv-simplifizierenden Selbstverständnis sehr liebe, zumal sie in ihrer Naturbelassenheit seit ein paar Jahren ausgestorben ist und hier ausnahmsweise mal kein Hollywood-Studio die Finger im Spiel hatte. Was man hier sieht, stammt alles noch aus altweltlichen Bankkonten. Ein charmanter Versuch also, 500 Jahre später nochmal neues Terrain zu erschließen.

8/10

Ridley Scott Kolonialismus Columbus Seefahrt period piece Historie Biopic Inquisition Karibik Mittelalter





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Funxton

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