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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE DIVIDE (Xavier Gens/USA, CA, D 2011)


"They're welding us in."

The Divide ~ USA/CA/D 2011
Directed By: Xavier Gens

Als eine Atombombe unbekannten Ursprungs auf New York fällt, verschanzen sich neun Personen im halbwegs geschützten Keller eines zerstörten Hochhauses. Hier hat der 9/11-erfahrene Feuerwehrmann Mickey (Michael Biehn) eine Art Luftschutzbunker voller Vorräte und anderer überlebenswichtiger Dinge angelegt. Vor der Kellertür wird sich indes ein Gewirr aus luftdichten Gängen errichtet, in dem unbekannte Laboranten die Wirkungen von Strahlung und Fallout untersuchen. Nach zwei Konflikten mit den Militärs wird die Tür von außen verschweißt. Als die Übrigen nach einiger Zeit merken, dass Mickey nach einiger Zeit längst nicht alle seiner Objekte zu teilen bereit ist, bricht ein offener Konflikt aus, der schon bald die ersten Toten und neben dem physischen auch zunehmenden psychischen Verfall nach sich zieht...

"The Divide" steht in einer langen Tradition von postapokalyptischen Kammerspielen, die eine kleine, meist zufällig zusammengewürfelte Gruppe von Individuen im Angesicht des finalen Überlebenskampfes präsentiert. Gens' Film sticht aus dieser Phalanx nicht sonderlich hervor, macht ihr allerdings auch keine Schande. Wie es von einem Vertreter der neueren französischen Hardcore-Horror-Welle zwangsläufig zu erwarten ist, steigert sich die misanthropische Atmosphäre der ohnehin schon traumatischen Szenerie im Laufe der Spielzeit mehr und mehr. Die immer maroder werdenden Charaktere verwandeln sich nach anfänglicher Unscheinbarkeit in widerliche Egomanen, die zum Gipfel ihrer immer hitziger auszutragenden Konflikte hin die schlimmsten in ihnen schlummernden Eigenschaften nach außen tragen. Intimi des transgressiven Kinos dürften sich von den forciert unangenehmen Bilderwelten Gens' jedoch nicht erschlagen sehen, auch wenn alles zuerst in einem Scheißebad (Scheißebäder begegnen mir im aktuelleren Kino häufiger) und dann in der endgültigen Hoffnungslosigkeit kulminiert, New York, Fanal der westlichen Industriemächte, liegt in Sack und Asche. So wollen wir dann doch lieber nicht enden, besten Dank auch für die Warnung, Monsieur Gens!

7/10

Xavier Gens Apokalypse Atombombe New York Belagerung Transgression


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MARTIN (George A. Romero/USA 1977)


"There is no real magic. There's no real magic ever."

Martin ~ USA 1977
Directed By: George A. Romero

Martin (John Amplas), ein emotional schwer gestörter junger Mann, kommt zu seinem Großonkel Cuda (Lincoln Maazel) nach Pittsburgh. Martin hält sich für einen Vampir und hat stets eine Betäubungsspritze dabei, um seine potenziellen Opfer erst ohnmächtig machen und hernach ihr Blut trinken zu können. Tatsächlich ist dieser Wahnzustand offensichtlich von Martins familiärem, christfanatischem Umfeld entscheidend geprägt worden: Selbst Cuda hält Martin für seinen Vetter, einen 84 Jahre alten Dämon, der schon in der alten Welt verfolgt wurde. Sämtliche Versuche, sich Mitmenschen zu öffnen, enden in mittleren Katastrophen. Als Cudas Enkelin (Christine Forrest) den häuslichen Irrsinn nicht mehr erträgt und die Flucht nach vorn antritt, steigert sich der Wahn des alten Mannes noch mehr.

Ein gleichermaßen intimes wie intensives Kammerspiel um den hinter biederer christlicher Fassade brodelnden Irrsinn, das die Motivationslage mit "Carrie" teilt, jedoch noch den "vampirischen" Zusatz bereithält. Romero porträtiert auch seine Heimatstadt Pittsburgh, respektive den überalterten Stadtteil Braddock. Einst ein florierender Industriestandort hat der Strukturwandel nurmehr Brachen hinterlassen. In erster Linie bevölkern Senioren das marode, sich zunehmend ghettoisierende Viertel, ansonsten ziehen jugendliche Gangs in den Fabrikruinen ihre Kleindeals ab. Martin lernt die einsame Mrs. Santini (Elyane Nadeau) kennen, eine unfruchtbare, sexuell frustrierte und dem Suff verfallene Enddreißigerin, die dem schweigsamen Jungen zumindest ein bisschen Selbstbewusstsein beibringt, dann jedoch den Freitod vorzieht. Ausgerechnet dieser Tod, an dem Martin keinerlei Schuld trägt, soll ihm ironischerweise selbst zum Verhängnis werden.
Romero findet für sein Charakterporträt eine extensiv-poetische Bildsprache, die so gar nicht zum gemeinen Bild des amerikanischen Horrorfilms passen mag und eher an die neuen Filmwellen in Europa erinnert. Seine urbanen Momentaufnahmen sind bewusst ungeschönt und blass, eine Welt ohne Hoffnung, deren Herunterwirtschaftung durch die Arroganz ihrer Bewohner noch forciert wird.
Romero sagt in einem Interview dies sei sein Lieblingsfilm, die einzige seiner Arbeiten, an der er rückblickend nichts zu mäkeln habe. Das spricht Bände.

9/10

George A. Romero Pittsburgh Vampire Serienmord Madness Familie Independent


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KNIGHTRIDERS (George A. Romero/USA 1981)


"Way you get knocked around, you're bound to have some weird dreams, Billy."

Knightriders ~ USA 1981
Directed By: George A. Romero

Billy (Ed Harris) kultiviert nicht bloß die Idee einer mittelalterlich konnotierten Stuntshow mit Motorrädern, er lebt sie. Als buchstäblicher König einer umherfahrenden, modernen "Gauklertruppe" versteht er sich als modernen Artus oder Löwenherz, der seinen kleinen Hofstaat auf Gedeih und Verderb zusammenzuhalten hat. Seinbe vornehmlich aus gesellschaftlichen Außenseitern bestehende Truppe ist jedoch nicht durchweg bei ihm. Für viele von ihnen zählen kommerzieller Erfolg und lockende Popularität mehr als Billys altmodische Ideale und so spaltet sich die Clique eines Tages. Der das Glamouröse liebende Morgan (Tom Savini) und einige andere tun sich mit einer dollarschweren Künstleragentin (Amanda Davies) zusammen, kehren nach einigem Hin und Her jedoch wieder zurück. Für Billy bedeutet das einen Scheideweg.

Romeros Äquivalent zu anderen zeitgenössischen Tingeltangelshow-Filmen wie Altmans "Buffalo Bill And The Indians" und ganz besonders Eastwoods "Bronco Billy" steht den Vorbildern in nichts nach, im Gegenteil. Den Begriff der bewussten Anachronisierung, den Hang zu neuweltlicher Romantik kultiviert "Knightriders" sogar in einigen Bereichen noch etwas stärker als die sicherlich bekannteren Vorbilder. Genau inmitten seines zweiten und dritten Zombiefilms (und als eine Art bastardisiertes Bindeglied mit diversen bekannten Gesichtern aus beiden Werken glänzend) präsentiert sich der gern zum Hardcore-Horrorfilmer verklärte Regisseur von einer ungewohnt sanften, melancholischen Seite und beschwört den amerikanischen Freiheitstraum in einer seit "Easy Rider" kaum mehr so konsequent verfolgten Idealisierung. In Billys Motorradrittergruppe finden sich daher auch ausschließlich Verstoßene und Aussteiger, Bildungsferne und Metaphysiker. Hautfarbe, sexuelle Orientierung oder verschrobene Lebensentwürfe sind von untergeordneter Bedeutung; was zählt, sind nicht Geld und Ruhm, sondern Loyalität und Spirit. Für seine Leute geht Billy durchs Feuer, er lässt sich aus Solidarität zusammen mit einem seiner Begleiter von einem korrupten Kleinstadt-Deputy einlochen und rechnet noch auf dem Weg in sein persönliches Avalon mit dem entsprechenden Herrn ab, ganz so, wie er es ihm zuvor versprochen hatte. Ed Harris dürfte noch heute stolz sein auf diese schöne, frühe Darstellung eines gesellschaftlich betrachtet kleinformatigen, in moralischer Hinsicht jedoch umso größeren Antihelden. Und selbst Tom Savini überrascht als durchaus charismatischer Schauspieler.

9/10

George A. Romero Motorräder Showbiz Freundschaft Ritter


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DAS UNSICHTBARE MÄDCHEN (Dominik Graf/D 2011)


"Ich soll dafür sorgen, dass du keine Scheiße baust. Dafür bin ich hier."

Das unsichtbare Mädchen ~ D 2011
Directed By: Dominik Graf

Der für ein paar Wochen in die bayrische Provinz zwangsversetzte Berliner Polizist Tanner (Ronald Zehrfeld) ist schon auf der Rückreise in die Hauptstadt, als er eine weibliche Leiche überfährt. Dabei handelt es sich um Eva (Christine Zart), die Frau des einheimischen Arbeiters Wenzel Lorant (Peter Harting). Dieser wird vom aalglatten LKA-Oberkommissar Michel (Ulrich Noethen) kurzerhand des Mordes angeklagt. Tanner findet jedoch heraus, dass die Sache so einfach nicht ist. Eva Lorant hat kurz vor ihrem Tod behauptet, die seit über zehn Jahren vermisste und längst für tot erklärte Sina Kolb in einem Supermarkt nahe der tschechischen Grenze gesehen zu haben. Auch der bereits seit Jahren obsessiv mit dem Fall befasste Ex-Polizist Altendorf (Elmar Wepper) wird hellhörig. Tanner realisiert langsam, dass er in ein versponnenes Wespennest aus politischer Verschwörerei und Kinderprostitution vorzudringen im Begriff ist...

Eine traurige Bilanzierung der bundesdeutschen Sehgewohnheiten stellt sich zwangsläufig ein, wenn man feststellt, dass dummdreiste Volksanbiederung Marke "Eineisäcke" und "Kackaräbäh" Millionen ins Kino locken, während wahrhaft große Filmkunst vom Format "Das unsichtbare Mädchen" sich mit einem abendlichen Platz auf der Mattscheibe zufrieden geben muss. In einer gerechteren Welt wäre es umgekehrt. Ungeachtet der disparaten Qualitätsmaßstäbe dieser zwei Erzählfilmpole hat man es bei Dominik Grafs jüngstem Meisterstück mit einer Kriminalgeschichte dürrenmattscher Dimensionen zu tun, dargebracht vom momentan vielleicht vortrefflichsten aktiven deutschen Regisseur. "Das unsichtbare Mädchen" ist unbequem, fesselnd, packend, hart und in jeder Hinsicht beseelt von dem Drang, ungewöhnliche inszenatorische Strukturen mit konventionellen Narrationsschemata zu kombinieren. Mit Erfolg. Der Film fordert sein Publikum heraus, entführt es in eine Hölle nur allzu realer menschlicher Abgründe und entlässt es am Ende mit einem zumindest ansätzlich wieder geradegerückten Moralbild.
Königsklasse, in jeder Hinsicht.

10/10

Dominik Graf Bayern Pädophilie Prostitution Verschwörung TV-Film


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MOONRISE KINGDOM (Wes Anderson/USA 2012)


"Our daughter's been abducted by one of these beige lunatics!"

Moonrise Kingdom ~ USA 2012
Directed By: Wes Anderson

Neuengland in den Sechzigern: Der zwölfjährige Waisenjunge und Pfadfinder Sam (Jared Gilman) und seine gleichaltrige Brieffreundin Suzy (Kara Hayward) büchsen gemeinsam aus und flüchten sich in eine einsam gelegene Bucht, wo sie erste romantische Gefühle füreinander entdecken. Die verantwortlichen Erwachsenen, darunter Suzys Eltern (Bill Murray, Frances McDormand), Polizei-Captain Sharp (Bruce Willis) und Scout Master Ward (Edward Norton), brechen derweil in blinde Hysterie aus. Dieser folgt nach dem Einfangen der Kinder ein weiterer, noch weitaus ernster gemeinter Fluchtversuch, dem erst durch Sharps beherztes Eingreifen Einhalt geboten werden kann.

Erneut kann Wes Anderson seinem Herzen für verschrobene Zeitgenossen und ihren Leib-, Magen-und Seelenbedürfnissen Rechnung tragen. Protagonist Sam etwa lässt sich möglicherweise als eine jüngere Version von Max Fischer einsortieren und passend dazu hat auch Jason Schwartzman seinen (obligatorischen) Auftritt im Film. Den skurrilen Humor pflegt Anderson auch weiterhin, wie bereits in den letzten Filmen nimmt er sich diesbezüglich jedoch gepflegt zurück und räumt der zärtlichen Liebesgeschichte seiner beiden Hauptfiguren den Löwenraum ein, ohne, dass diese sich jedweder Lächerlichkeit oder auch nur einem überheblichen Blinzeln preisgeben müssten. Ob diese Distanzaufhebung seine Filme besser macht, weiß ich nicht, ernster, erdiger und auch etwas melancholischer werden sie dadurch auf jeden Fall, selbst wenn ein plötzlicher Blitzschlag sein Opfer kurzfristig und cartoonesk zum Mohren macht. Großer Stilist, der er eben ist ("Buckliger, du sollst nicht reimen!") bleibt Anderson ansonsten seinen einmal installierten Meriten treu und taucht seine entrückte Welt in goldene Herbstfarben, die geradewegs einem der Fantasy-Mädchen-Romane Suzys entsprungen sein mögen. So wie der Titel. Und der Kreis schließt sich.

9/10

Wes Anderson period piece Coming of Age Teenager Pfadfinder Kinder Herbst


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COSMOPOLIS (David Cronenberg/CA, F 2012)


"Your prostate is asymmetrical."

Cosmopolis ~ CA/F 2012
Directed By: David Cronenberg

Der milliardenschwere Manager Eric Packer (Robert Pattinson) entschließt sich, sich von seiner Stretch-Limousine zum Frisör am anderen Ende der Stadt bringen zu lassen. Die Fahrt dorthin dauert mit Unterbrechungen infolge kleinerer Pausen und immer wieder zusteigender Mitfahrer fast den ganzen Tag, da zeitgleich der Präsident in der Stadt weilt und diverse Straßenzüge gesperrt sind. Doch nicht nur das Staatsoberhupt muss um seine Sicherheit fürchten; auch Packers Leben wird durch einen unbekannten Attentäter sowie die allgemeine kapitalismusfeindliche Stimmung in der Stadt bedroht.

Leider ist mir Don DeLillos Roman unbekannt, Cronenbergs Film aber finde ich ganz toll. In Dialog und Habitus eine Herausforderung ist die Geschichte eine wunderbar pointierte Abrechnung mit der Hochfinanz, der Schlipsträger derangiert sich selbst und wird schließlich zum verzweifelten Fraß seiner von ihm geschaffenen Monster und sukzessive auch seiner selbst. Cronenberg gelingen gleichermaßen kryptische wie begeisternde Bilder vom Innenleben jener gepanzerten und abdunkelbaren Stretchlimo, in denen die High-Class-Manager gleich zu Dutzenden durch die Millionenstadt kurven, periodisch begleitet von allerlei merkwürdigen bis einprägsamen Zeitgenossen.
Mit jener gleichermaßen verzerrten wie gestochen scharfen Perspektive auf die Dinge des Lebens knüpft Cronenberg an alte Klasse an und lässt nach diversen zwar spannenden, aber doch eher konventionell strukturierten Arbeiten Erinnerungen an Meisterwerke wie "Videodrome", "Dead Ringers" und "Naked Lunch" hervortreten. "Cosmopolis" stellt nachhaltig unter Beweis, dass dieser Regisseur noch lange nicht ausgebrannt ist, sondern dass vielmehr weiterhin mit ihm gerechnet werden muss.

9/10

Wall Street Finanzkrise David Cronenberg New York Don DeLillo Madness


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L'AMOUR EN FUITE (François Truffaut/F 1979)


Zitat entfällt.

L'Amour En Fuite (Liebe auf der Flucht) ~ F 1979
Directed By: François Truffaut

Nun doch in der Scheidung von Christine (Claude Jade) begriffen, trifft der noch immer wankelmütige Antoine Doinel (Jean-Pierre Léaud) seine Jugendliebe Colette (Marie-France Pisier) wieder und erkennt nach einigem Hin und Her, dass er doch bei seiner neuesten Flamme, der Schallplattenverkäuferin Sabine (Dorothée) bleiben sollte, da er diese wirklich liebt.

Mit einer Art "Best Of Antoine Doinel" setzte Truffaut neun Jahre nach "Domicile Conjugal" seinem sich über zwei Dekaden erstreckenden Personen-Zyklus ein Ende. "L'Amour En Fuite" lässt nochmal viele Stationen der bisherigen vier Filmbeiträge Revue passieren, verwebt letzte lose, narrative Fäden, indem er etwa Antoine späten Frieden mit seiner toten Mutter machen oder sich endgültig von Colette lösen lässt. Ebendiese Liebe zur Figur und ihre späte Katharsis geben den Film seine Hauptdaseinsberechtigung, denn durch die schon als inflationär zu bezeichnende Verwendung von Rückblenden in Form bekannter Szenen wirkt "L'amour En Fuite" manchmal wie jene unseligen TV-Episoden, die diverse alte Erfolgsmomente wiederverwerten um Arbeitszeit zu sparen. Dass die komplexe Filmbiographie Antoine Doinels dennoch eines logischen Schlusspunkts bedurfte, wird nach der Betrachtung des Films wieder deutlich, dennoch hätte ich persönlich mir als Finalpunkt eine etwas engagiertere Arbeit gewünscht.

7/10

François Truffait Antoine Doinel Biopic Scheidung Paris Autor


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SCORTICATELI VIVI (Mario Siciliano/I 1978)


Zitat entfällt.

Scorticateli Vivi (Häutet sie lebend - Unternehmen Wildgänse) ~ I 1978
Directed By: Mario Siciliano

Weil er Ärger mit der örtlichen Mafia hat, tritt Hallodri Rudy (Bryan Rostron) kurzerhand die Flucht nach vorn an: Zu seinem älteren Bruder Frank (Charles Borromel), der mit seiner Söldnertruppe im Sudan linke Rebellen bekämpft. Rudy weiß, dass Frank auch in die eigene Tasche arbeitet und sich allenthalben Diamanten unter den Nagel reißt. Auf diese hat es Rudy abgesehen. Dummerweise wird Frank kurz nach Rudys Ankunft von den Putschisten gekidnappt und soll für seine Kriegsverbrechen vor ein Militärtribunal gestellt werden. Rudy und Franks Männer machen sich gemeinsam an eine Befreiungsaktion.

Eilends dem "Wildgänse"-Original hinterhergeschoben und wegen dessen Titelfreiheit in Deutschland gleich noch entsprechend getauft, setzte Teilzeitpornofilmer Siciliano einen Söldnerstreifen in Szene, der seinem Publikum weniger wegen ausufernder visueller Gewaltakte als übelriechend-matschige Schweinesuhle erscheint, sondern seines unfasslich misanthropischen Weltbildes wegen. Diesbezüglich steht "Scorticateli Vivi" dann auch eher in der Tradition von Jacopetti und Prosperi, die ja auch immensen Wert darauf legten, ihren Zuschauern die Schlechtigkeit der Menschenrasse zu demonstrieren. Bei Siciliano gibt es garantiert keine Helden, geschweige denn auch nur eine Person mit moralisch tragfähigem Fundament, die Leute sehen samtens aus wie frisch bei Thyssen aus der Schweißhalle wegengagiert und benehmen sich auch so. 'Altruismus' ist hier im wahrsten Wortsinne eine Fremdvokabel, die Söldner hauen sich permanent gegenseitig auf die Fresse und lassen sich im Dreck liegen; männliche Zivilisten werden totgeschlagen, weibliche vergewaltigt und die ohne Unterlass als "Paviane" bezeichneten Sudanesen sind auch nicht besser. Bekommen diese ihrerseits einen weißen Söldner in die Finger, wird mit dem nämlich im Gegenzug mit gleicher Münze verfahren. Bruderliebe? Für'n Arsch. Hier gewinnt, wer den längeren Atem besitzt oder nicht gerade von einem als Riesenschlange getarnten Giftreptil zu Tode gebissen wird. In diesem Fall ist das der wie Reggie Nalders etwas hübscherer Zwilling ausschauende Charles Borromel, dessen pockennarbige Physiognomie ihn dazu verdammte, stets Verrückte oder Bösewichte darzustellen. Ein New Yorker Augenzeuge leitet seinen ansonsten zu vernachlässigenden Erfahrungsbericht bei der imdb mit treffenden Worten ein: "...sorgt dafür, dass man eine Woche lang duschen und nach der Betrachtung TV und DVD-Player verbrennen möchte." Ein bisschen was ist da schon dran.

6/10

Mario Siciliano Söldner Afrika Sleaze Europloitation Sudan


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DOMICILE CONJUGAL (François Truffaut/F, I 1970)


Zitat entfällt.

Domicile Conjugal (Tisch und Bett) ~ F/I 1970
Directed By: François Truffaut

Antoine Doinel (Jean-Pierre Léaud) hat seine Christine (Claude Jade) mittlerweile geheiratet. Während sie ein Kind erwartet erhält er nach eher brotlosen, aber glücklichen Blumenfärbeexperimenten im Hinterhof eine neue Anstellung, deren Hauptaufgabe in der Koordination ferngesteuerter Modellschiffchen zu bestehen scheint. Dabei lernt er eines Tages die Japanerin Kyoko (Hiroko Berghauer) kennen und verliebt sich in sie, trotz der justamenten Geburt von Söhnchen Alphonse. Als Christine von der Affäre Wind bekommt, schmeißt sie Antoine aus der Wohnung - lange hält sie es ohne ihn jedoch nicht aus.

Der doinelsche Existenzialismus geht in eine weitere Runde, diesmal dräut die biografische Ernsthaftigkeit hinter der Rolle als Ehemann und Familienvater. Unschwer zu erraten, dass der ewige Simplicissimus Antoine auch hierin zunächst scheitert, auf seiner Flucht vor Verantwortung von der blendenden Exotik einer Orientalin verfällt, schon bald jedoch durch das praktisch durchweg nonverbale Zusammensein mit ihr jedwede Lust an einer weiteren Liebesbeziehung verliert und seinen kurzsichtigen Verlust an Christine realisiert. Umso galliger Truffauts ebenso komischer wie bleiern realistischer Epilog, der nach einem vorangehenden herzerwärmenden Wiederaufflammen zwischen Antoine und Christine ihre Ehe als bourgeoise Sackgasse zeigt, die analog zur festgefahrenen Stieseligkeit ihrer deutlich älteren Nachbarn verlaufen wird.

9/10

François Truffaut Antoine Doinel Ehe Familie amour fou Paris Nouvelle Vague


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LES QUATRE CENTS COUPS (François Truffaut/F 1959)


Zitat entfällt.

Les Quatre Cents Coups (Sie küssten und sie schlugen ihn) ~ F 1959
Directed By: François Truffaut

Für den dreizenjährigen Antoine Doinel (Jean-Pierre Léaud) erweist sich das Leben als härteste aller Prüfungen. Seine Mutter (Claire Maurier) ist nicht an ihm interessiert, sein Stiefvater (Albert Rémy) hat keine Zeit für ihn. In der Schule erweist er sich als zunehmend renitent, er lügt, stiehlt, schwänzt und treibt sich mit seinem Freund René (Patrick Auffey) herum, dessen Eltern (Georges Flamant, Yvonne Claudie), ein alterndes Bohémien-Ehepaar, das Kunststück fertigbringen, noch desinteressierter zu sein als die Doinels. Als Antoine und René eine Schreibmaschine aus der Firma von Antoines Vater stehlen, diese nicht zu Geld machen können und heimlich wieder zurückbringen wollen, werden sie erwischt. Antoines verzweifelte Eltern schicken den Jungen in eine ländlich gelegene Erziehungsanstalt, in der den jugendlichen Insassen unter Benutzung menschenverachtender Praktiken Gehorsam beigebracht wird. Doch auch hier lässt Antoine sich nicht lang halten.

Truffaut analogisiert im ersten Film seines vier Spielfilme und einen Kurzfilm umfassenden Doinel-Zyklus Jugend und Flucht. Zu Beginn sieht man das Wahrzeichen von Paris, den Eiffelturm, aus allen möglichen Perspektiven, ein regelmäßig idealisiertes Denkmal, das schon aufgrund seiner baulichen Imposanz zum gewohnten Stadtbild zählt, aber irgendwie doch nie über den Status einer schönen Attraktion hinauskommt. Einmal aus der Nähe betrachtet, büßt der Turm erheblich an Faszination ein und andere Dinge werden wichtig. Für Antoine Doinel ist das Leben mit 13 wie ein Spießrutenlauf der Enttäuschungen. Ständige Tadel und Vorwürfe, seine Eltern leben ihm Streit und Betrug vor, und selbst die Kunst verrät ihn eines Tages. Als Antoine in einem Schulaufsatz seinen heißgeliebten Balzac zitiert, kreidet der missverständige Lehrer (Guy Decomble) ihm dies als billiges Plagiat an, den Ruf nach Anerkennung dahinter übersieht er. Am Ende bleibt nur das Meer, eine natürliche Konstante, als Zufluchtsort. Die physiognomische Ähnlichkeit des Antoine-Darstellers Jean-Pierre Léaud mit Truffaut ist verblüffend, umso nachträglich manifester der Status der frühen Doinel-Geschichten als stark autobiographisch gefärbte Arbeiten. Vom kunstvollen Breitwand-Schwarzweiß der Nouvelle-Vague-Jahre wandte sich Truffaut in den späteren Filmen zwar wieder ab, seine pronocierte Lebensnähe jedoch blieb immanent.

9/10

François Truffaut Nouvelle Vague Paris Teenager Familie Schule Internat Coming of Age Antoine Doinel





Filmtagebuch von...

Funxton

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