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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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CRAZY HEART (Scott Cooper/USA 2009)


"Ain't rememberin' wonderful?"

Crazy Heart ~ USA 2009
Directed By: Scott Cooper

Der abgehalfterte Country-Star Otis 'Bad' Blake (Jeff Bridges) ist hoffnungslos dem Bourbon verfallen und verdient sich ein paar Kröten mit Auftritten in eher unwürdigen locations. Als er die Journalistin Jean (Maggie Gyllenhaal) und ihren kleinen Sohn Buddy (Jack Nation) kennenlernt, schöpft er neuen Lebensmut, jedoch nicht die nötige Kraft zum Ausstieg aus der Trunksucht. Diese keimt erst in ihm, als Jean ihn wegen einer unerfreulichen Episode, im Zuge derer er Buddy in einem Einkaufszentrum aus den Augen verliert, verlässt. Zwar kommt nun der kommerzielle Erfolg zurück, für Jean ist Bad jedoch endgültig passé.

Ein einziges Geschenk für Jeff Bridges, der ja schon mehrfach Alkoholiker gespielt hat und hierin so etwas wie eine gealterte Version seiner früheren New-Hollywood-Helden aus "The Last American Hero", "Fat City" oder "Stay Hungry" geben darf, allesamt Spieler gegen das Establishment und sich auf recht kratzbürstige Weise durchs Leben kämpfend. wenngleich er ein begnadeter Songwriter mit einer nach wie vor immensen fanbase ist, hat Bad Blake im Leben sehr viel mehr falsch als richtig gemacht: Seinen mittlerweile 28 Jahre alten Sohn hat er noch nie gesehen, vier Ehen in den Sand gesetzt und mit der wunderbaren Jean möglicherweise die letzte Chance, sein privates Glück zu finden. Erst als er durch sein eigenes Verschulden auch sie verliert, ist er reif zur Selbsterkenntnis. "Crazy Heart" ist eine hübsche Americana, das auch dem US-Schlagependant der Country-Musik ein aufrichtig gemeintes Denkmal setzt, indem er seine alten Helden zu Bewahrern des true spirit hochjubelt, auf deren Genius ihre Nachfolger [im Film personifiziert durch Blakes Lehrjungen Tommy Sweet (Colin Farell), mittlerweile erfolgreicher als Bad es jemals war] dennoch weiterhin angewiesen sind. Das ist manchmal herzzereißend traurig, formidabel gespielt und stets unterhaltsam. Insgesamt ein schöner Film, dessen Konventionalität und gigantische Palette allerorten bemühter Klischees jedoch ebenso dafür sorgt, dass "Crazy Heart" niemals Gefahr läuft, über sich selbst hinauszuwachsen.

8/10

Scott Cooper Country Alkohol Sucht Musik Texas Südstaaten


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DAYS OF WINE AND ROSES (Blake Edwards/USA 1962)


"Magic time."

Days Of Wine And Roses (Die Tage des Weins und der Rosen) ~ USA 1962
Directed By: Blake Edwards

Alkohol ist von Anfang an ein fester Bestandteil der Beziehung und später auch der Ehe der beiden Büroangestellten Joe Clay (Jack Lemmon) und Kirsten Arnesen (Lee Remick). Als ihre Trinkerei pathologisch zu werden beginnt, Joe diverse Jobs verliert und Kirsten im Suff die Wohnung in Brand setzt, erkennt Joe das Problem: Er und seine Frau sind Alkoholiker. Einige Versuche des Entzugs enden irgendwann wieder in mehrtägigen Abstürzen, zu denen sich Joe wegen Kirstens Weigerung, mit dem Trinken aufzuhören, hinreißen lässt. Erst nach einem fatalen Gelage mit schwerer Entgiftung schafft Joe den endgültigen Ausstieg aus der Suchthölle und kann sich wieder um seine und Kirstens kleine Tochter (Debbie Megowan) kümmern.

Bis hierhin gab es nur wenige ernstzunehmende Beschäftigungen Hollywoods mit den fatalen Auswirkungen der Alkoholsucht. Das bekannteste Beispiel ist sicherlich Billy Wilders "The Lost Weekend" mit Ray Milland, der seinerzeit einen gewagten und vielbeachteten Vorstoß markierte, vermutlich wegen seiner unbequemen Art der Observierung jedoch auch lange Zeit unikal blieb. Ansonsten neigte man gemeinhin stets dazu, Trinker als Käuze und Spinner darzustellen und weniger als selbstzerstörerische Alltagsmenschen. Andere Beispiele sind "A Star Is Born" und "Rio Bravo", hervorragende Filme, die sich mit der Darstellung der Trunksucht allerdings nur periher auseinandersetzen. Siebzehn Jahre nach "The Lost Weekend" nahm sich Blake Edwards des Themas an. Ausgerechnet jener vornehmlich als klassischer Komödienregisseur populär gewordene Filmemacher ist - freilich mit einem nicht minder klassischen Komödienakteur in der Hauptrolle - verantwortlich für diesen in seiner Intensität und konsequenten Art der Suchtanamnese bis heute nur selten erreichten Film. "Days Of Wine And Roses" ist ein recht edukativ angelegtes Werk, das besonders dazu taugt, Außenstehenden die Komplexität von Alkoholismus geprägter Biographien nahezubringen. Die im Film als besonders grauenhaft umrissenen Entgiftungsmethoden dürften heute gemeinhin weniger spektakulär ablaufen, ansonsten hat sich an der grundsätzlichen Anamnese und Behandlung der Krankheit jedoch wenig geändert. Die Motivation für einen langfristig erfolgreichen Ausstieg kann ohnehin nur intrinsisch sein. Edwards' besonderes Verdienst liegt eigentlich daran, einen bipolaren Suchtverlauf anhand zweier Ehepartner aufzuzeigen: Während Joe, eigentlich der "Initiator" der beiderseitigen Trunksucht, am Ende praktisch rehabilitiert in die Gesellschaft zurückgekehrt ist, findet Kirsten vorläufig nicht die Kraft für einen Ausstieg. Ein Wink der Wirklichkeit; Alkoholismus endet eher selten versöhnlich.

9/10

Blake Edwards Alkohol Ehe Familie Sucht


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GASLIGHT (George Cukor/USA 1944)


"Because I am mad, I hate you!"

Gaslight (Das Haus der Lady Alquist) ~ USA 1944
Directed By: George Cukor

In Italien lernt die junge Sängerin Paula Alquist (Ingrid Bergman), die zuvor bei ihrer Tante in London lebte, die grausam ermordet wurde, den Pianisten Gregory Anton (Charles Boyer) kennen und lieben. Mit ihm verheiratet kehrt Paula zurück in die englische Metropole und in das leerstehende Haus ihrer Tante. Mit dem Wiedereinzug scheint sich jedoch Paulas psychischer Zustand zu verschlechtern: Urplötzlich vergisst sie alles Mögliche, verliert Dinge und scheint zu halluzinieren. Gregory erweist sich dabei nur als minderwertiger Anker; tatsächlich schirmt er Paula sogar vor der Öffentlichkeit ab und redet ihr noch zusätzlich ein, nicht bei Sinnen zu sein. Derweil wird der umtriebige Detektiv Brian Cameron (Joseph Cotten) auf das Ehepaar Anton aufmerksam...

Cukors eleganter gothic thriller ist die schönste und berühmteste von diversen Verfilmungen des Kriminalstücks "Angel Street", das wohl als eine der elementaren Kulturarchetypen angesehen werden kann für das in der Trivialliteratur oftmals verwendete Thema des zutiefst bösen Ehepartners, der sein Gegenüber mittels mehr oder weniger subtiler Methoden in den Wahnsinn zu treiben versucht. Oftmals stehen dahinter eigennützige Motive oder gar eine sich pathologisch gestaltende Form der Gier. So ist es auch in "Gaslight", der Charles Boyer in ebenjener wunderbaren Studie grundböser Charakteristika vorzeigt. Der Film selbst ist vorbildlich gealtert. Er demonstriert die Studio-Manierismen des alten Hollywood. Dem Vorspann kann man entnehmen, dass Cotten und die Bergman erst von David Selznick ausgeliehen werden mussten, um für die MGM spielen zu dürfen - eine heutzutage kaum mehr nachvollziehbare Praxis, die damals jedoch Alltagsgeschäft bildete. "Gaslight" ist komplett im Atelier entstanden, was ihm einen hochartifiziellen und zugleich muffigen, fast wurmstichigen Touch verleiht, ganz so, als handele es sich bei ihm selbst um eine der hierin vielfach vorgeführten, antiquarischen Kostbarkeiten.
Vorzüglich auch die alte deutsche Vertonung, die nur wenig jünger sein dürfte als der Film selbst und glücklicherweise - dies ist längst keine Selbstverständlichkeit mehr - für die DVD aufgetrieben und konserviert werden konnte. Man hört unter anderem Harald Leipnitz und Peter Pasetti, der Charles Boyer diabolische Vorstellung nicht nur perfekt einfängt, sondern sie sogar noch intensiviert. Ein prächtiges Stück klassischen Hollywoods.

9/10

George Cukor period piece London Ehe Victorian Age Madness


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DIE SCHULMÄDCHEN VOM TREFFPUNKT ZOO (Walter Boos/BRD 1979)


"Denkste!"

Die Schulmädchen vom Treffpunkt Zoo ~ BRD 1979
Directed By: Walter Boos

Petra (Katja Bienert) hat Sorgen - die Heroinsucht ihres Freundes Mick (Marco Kröger) verschlingt Unsummen an Marie, die ausgerechnet Petra besorgen muss: Mal muss sie bei einem perversen Freier (Horst Nowack) als zusätzliche Voyeurin antreten, mal beklaut sie ihre Mutter (Dagmar von Thomas) um ihr Sauerverdientes. Irgendwann wird all das Mick zu unangenehm und er macht mit Petra Schluss. Dies bedeutet, dass er selbst zum Stricher werden muss, um seine Sucht zu finanzieren und bald knietief in einen Mordfall verwickelt ist.

Eine wahrlich imponierende Mischung aus Betroffenheitsdrama und typischer LISA-Disco-Komödie haben wir hier. Inspiriert zur Beschau hat mich Francos "Linda", ebenfalls mit Katja Bienert in der Titelrolle. "Die Schulmädchen vom Treffpunkt Zoo", dessen Titel bereits eine Mischung aus der kommerzbewährten Hofbauer-Serie "Schulmädchen-Report" und Christiane F.s erschütternder Tatsachen-Geschichte "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" suggeriert, markierte ihren - sieht man von einer Minirolle bei Chabrol ab - ersten Kinoeinsatz. Trotz ihrer damals knapp 13 Lenze dürfte sie schon problemlos Schnappes für Papa bei Famka bekommen haben, weswegen eben, ich erwähnte es unlängst bereits, auch niemand Karl und seine Spiehsgesellen bei der Kindernothilfe oder beim Jugendamt angezeigt haben wird. Seine hehre Mission, ein realitätsnahes Bild der Berliner Schülerszene und ihrer Drogenprobleme mitsamt Beschaffungskriminalität abzubilden, verfehlt Boosens Film mit beinahe tröstlicher Zielunsicherheit. Dafür gibt es eine Menge der üblichen "Report"-Episoden und -Witzchen, auf das der triste Großstadtalltag nicht gar allzu trist werde. Die LISA wollte schließlich in erster Linie fluffig unterhalten. So gibt es zu Auflockerungszwecken Tobias Meister und Fritz Hammer als zwei dämliche, männliche Jungfrauen, die hinreichend Gelegenheit zur koitalen Betätigung erhalten, sich jedoch allzeit zu blöd anstellen. Zwei von Petras Klassenkameradinnen (Karin König, Martina Engel) kommen derweil auf die gloriose Idee, zwecks Notdendurchschnittsaufbesserung ihren Mathelehrer (Wolfgang Plumhoff) mittels heimlich geschossener Kompromittierungsfotografien zu erpressen, was dieser jedoch ganz cool abschmettert. Wir sind eben nicht beim "Report", wo arme Pauker gleich auf dem Scheiterhaufen landen, wenn sie mal feuchte Hände kriegen. Ein weiteres Highlight: Der CloseUp auf eine Zeitungsschlagzeile des "Abendblatts" (Verwechslungen sollten wohl um jeden Preis vermieden werden): "Mord an einen Homosexuellen". Der Dativ is ja den Akkusativ sein Untergang. Tja, und rate mal mit Rosenthal, wer hier mal wieder sei Glätzle zur Schau stellt? Kleiner Tipp: Er fängt mit "Otto" an und hört mit "Retzer" auf. Ein unbesungener Held des Neuen Deutschen Films.

6/10

Walter Boos Lisa-Film Berlin Drogen Heroin Prostitution


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THE BRINK'S JOB (William Friedkin/USA 1978)


"Your Honor, I can't do no 20 years." - "Well do as much as you can, son."

The Brink's Job (Das große Ding bei Brinks) ~ USA 1978
Directed By: William Friedkin

Der kleine Bostoner Räuber Tony Pino (Peter Falk) hat zeitlebens wenig Glück mit seinen Coups - bis er und sein ihm stets zur Seite stehender Schwager Vinnie (Allen Garfield) auf die Geldtransportfirma 'Brink's' aufmerksam werden. Deren Sicherheitsstandards sind - bis auf einen imposanten Tresor - immens unzureichend. Nach einem ersten, problemlos durchführbaren Überfall auf einen der Transportwagen wagen Tony und Vinnie zusammen mit fünf weiteren Gesellen, Specs (Warren Oates), McGinniss (Peter Boyle), Jazz (Paul Sorvino), Sandy (Gerard Murphy), und Stanley (Kevin O'Connor) einen Überfall auf die Hauptstelle. So weit haut alles wunderbar hin, bis die zwei unvorsichtigen Specs und Stanley wegen eines anderen Delikts hinter Gitter kommen und weichgekocht werden...

Nach dem in jeder Hinsicht nervenaufreibenden Clouzot-Remake "Sorcerer" erbat sich Friedkin mit der noch gänzlich ungewohnten Versuchsanordnung "The Brink's Job" vermeintlich etwas motivische Ruhe. Eine beschauliche Ensemble-Komödie in der Kleingangsterszene wurde es, als period piece zudem in bester New-Hollywood-Tradition stehend. Denkbar sorgfältig und milieugetreu geht Friedkin zu Werke, lässt sich dabei alle notwendige Zeit und verzichtet auf die düstere Weltsicht seinere Vorgängerfilme zugunsten einer guten Portion hoffnungsvoller, stehender Ovation für seine Antihelden. Zwar landen diese am Ende im Bau, jedoch unter den Jubelrufen des Volkes, das in ihnen längst veritable Rebellen wider das Establishment wähnt. Eine epilogische Schrifttafel versichert uns darüberhinaus, dass sie nach ihrer Entlassung mit ihrer wohlfeil versteckten Beute ein mehr als angenehmes Leben führen sollen.
Mit Peter Falk und Gena Rowlands wiedervereint der Film das sich selbst zertrümmernde Ehepaar aus "A Woman Under The Influence" - hier freilich krisenlos -, zudem zwei Leibdarsteller (nebst Ehefrau) von John Cassavetes. Ferner gibt es den großen Warren Oates in einer weiteren fantastischen Performance zu bewundern. Der Film und Friedkin machen also fast alles richtig. Allerdings konnte ich mich eines latenten, zunächst unbestimmbaren Juckens nicht erwehren. Möglicherweise rührte dies aus dem Eindruck, dass der Regisseur bei aller Kunstfertigkeit nie ganz auszublenden vermochte, dass er sich auf thematisch unsicherem Terrain befand. Eine Theorie.

8/10

William Friedkin Heist period piece Boston Freundschaft New Hollywood FBI J. Edgar Hoover


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STORMY MONDAY (Mike Figgis/UK, USA 1988)


"Can I take you somewhere, Kate?"

Stormy Monday ~ UK/USA 1988
Directed By: Mike Figgis

Während der USA-Woche in Newcastle bekriegen sich der großspurige amerikanische Manager-Gangster Cosmo (Tommy Lee Jones) und der hier heimische Nachtclubbesitzer Finney (Sting). Mitten in deren Konflikt platzt die vorsichtige Romanze zwischen Finneys frisch eingestellter Reinigungskraft Brendan (Sean Bean) und Cosmos Liebchen Kate (Melanie Griffith)

Ein Film der zerfließenden Grenzen: geographisch, kulturell formal. Die USA und Polen mit ihrer jeweils lauten, nassforschen Art brechen sich mittels jeweils mehr oder weniger typischer Exportschlager in der Kohlenmetropole Raum; die Staaten mit einem Gangsterfatzke voller imperialistischem Selbstverständnis, die Polen via eine verrückte Free-Jazz-Truppe, das "Krakauer Jazz-Ensemble". In England treffen sie auf niemand Geringeren als den durch nichts aus der Ruhe zu bringenden Sting (der kurz zuvor in der wirklichen Welt sein musikalisches opus magnum "...Nothing Like The Sun" veröffentlicht hatte und sich somit wohl zu Recht kurzfristig unbesiegbar vorkommen mochte), der ihnen allen die Leviten liest und dem frisch institutionalisierten Liebespaar am Ende seinen Schutzsegen erteilt. Jazz, Blues, Soul; T-Bone Walker, Otis Redding, B.B. King landen in einem Topf, wo die britische Musikkultur doch so reichhaltig scheint. In einer vielsagend-schönen, offenbar improvisierten Einstellung lauschen ein paar lokale Punks dem musikalischen Treiben gleichsam fasziniert wie befremdet.
Ein weithin unspektakulärer, aus heutiger Sicht vielleicht gar etwas befremdlich anmutender Film ist "Stormy Monday", der sich jedoch recht gut der regennassen, neonglitzernden englischen Gangsterfilm-Idiosynkrasie der Dekade, nominell Exempeln wie "The Long Good Friday" oder "Mona Lisa" zugesellen lässt und ein immer noch inspirierend zu betrachtendes Figgis-Werk darstellt.

8/10

Mike Figgis Newcastle Jazz Nacht


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GHOST DOG: THE WAY OF THE SAMURAI (Jim Jarmusch/USA, D, J, F 1999)


"It's the fucking birdman!"

Ghost Dog: The Way Of The Samurai (Ghost Dog - Der Weg des Samurai) ~ USA/D/J/F 1999
Directed By: Jim Jarmusch

Für den einsamen, in kultischer Weise einem Samurai-Idealismus frönende Profikiller Ghost Dog (Forest Whitaker) sind seine Tauben und sein Ehrenkodex das Ein und Alles. Sein "bester Freund" ist ein haitianischer Eismann (Isaach De Bankolé), der nur französisch spricht. Als bei einem seiner Aufträge die Tochter (Tricia Vessey) des Mafiabosses Ray Vargo (Henry Fonda) als unvorhergesehene Zeugin zugegen ist, soll Ghost Dog selbst sterben. Doch gegen seine stoische Zielsicherheit haben selbst die alteingesessenen "Familienmitglieder" von Jersey nicht die geringste Chance.

Jarmuschs zweiter Kinoheld der Neunziger in seiner zweiten Hommage an das klassische Exploitationkino nach "Dead Man". Diesmal unterzieht er die ruppigen italienischen Gangsterfilme der Siebziger einer Re-Inventarisierung, nimmt deren einstigen Helden Henry Silva und andere Altvordere wie Cliff Gorman mit auf seine Zeitlupen-Karusselfahrt und setzt wiederum auf harte, schnell ausgeführte Gewalt. Freilich darf wiederum das philosophisch-poetische Erklärungsalibi nicht zu kurz kommen. Jenes stammt diesmal nicht aus dem nativen Amerika, sondern aus dem altertümlichen Japan, das der als eine höchst eigenwillige Kulturmischung auftretende Ghost Dog in Form der entsprechenden Fibelbibel "Harakure" praktisch permanent zitiert. Erst die Konterkarierung mit den dicken alten padroni lässt das Ganze jedoch so wunderbar funktionieren. Noch mehr als "Dead Man" ist "Ghost Dog" auch ein komischer, reserviert-ironischer Film, der den Tod als vermeintlich beiläufige Erscheinungsform jedweden Lebenszyklus entzaubert.

8/10

Jim Jarmusch Profikiller Mafia New Jersey Samurai Freundschaft Independent


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TIAN XIA DI YI QUAN (Cheng Chang Ho/HK 1972)


Zitat entfällt.

Tian Xia Di Yi Quan (Zhao - Der Unbesiegbare) ~ Hong Kong 1972
Directed By: Cheng Chang Ho

Der Boxkämpfer Chi-Hao Chao (Lo Lieh) soll als Repräsentant der Kampfsportschule des Meisters Hsin-Pei Sun (Mien Fang Mien) an einem Turnier teilnehmen, dessen Sieger vor allem für das Renommee seiner jeweiligen Schule von enormem Wert ist. Zunächst wird Chi-Hao auf Herz und Nieren geprüft, erweist sich dann jedoch als einzig wahrer Vertreter für Hsin-Pei, ganz zum Leidwesen von Chi-Haos eifersüchtigem Konkurrenten Han-Lung (James Nam), der Chi-Hao an die Erzgegner aus der Schule des rücksichtslosen Tung-Shun Meng (Tien Feng) verrät. Man überfällt Chi-Hao, bricht ihm seine Finger und Hände. Dennoch rappelt der zunächst Verzweifelte sich wieder hoch und lernt autodidaktisch die Technik der "Eisernen Faust", die ihn praktisch unbesiegbar macht.

"Tian Xia Di Yi Quan" war einer der ersten HK-Filme, die auch in okzidentalen Breiten enorme kommerzielle Erfolge verbuchen konnten und dem Kino der Shaw Brothers zu ihrem globalen Siegeszug verhalfen. Dazu trugen vornehmlich einige besonders einprägsame Szenen bei, wie die, in der der Verräter Han Lung den Lohn für seine Charakterschwäche erntet: Er wird von Mengs Sohn (Chan Shen) geblendet, indem dieser ihm kurzerhand die Augäpfel aus dem Schädel pflückt. Als Chi-Hao später die "Iron-Palm"-Technik erlernt, fangen bei inniger Konzentration seine Hände orangefarben zu glühen klan und es erklingt das hektische "Ironside"-Thema. Gerade diese kleinen, aber unvergesslichen Leitmotive dürften es sein, die Hos Film gegenüber der zeitgenössischen Konkurrenz insbesondere durch Bruce Lee einen festen Platz im klassischen Martial-Arts-Genre verschafft haben. Von der edlen Motivation des jungfräulich-unbefleckten und moralisch durch nichts korrumpierbaren Titelhelden Lo Lieh war man derweil im unter der Schirmherrschaft des Spaghetti-Western und New Hollywood stehenden Westen vermutlich eher ungerührt. So ist "Tian Xia Di Yi Quan" von einem einnehmend naiven ethischen Überbau geprägt, der ihn auch heute noch besonders für jüngere Zuschauer zu einem nachhaltigen Erlebnis machen dürfte.

8/10

Shaw Bros. Hong Kong China Martial Arts Cheng Chang Ho Rache


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RAY (Taylor Hackford/USA 2004)


"Don't jive me, man."

Ray ~ USA 2004
Directed By: Taylor Hackford

Der bereits in früher Kindheit erblindete Ray Charles Robinson (Jamie Foxx) lernt rasch, sich auf eigene Faust durchs Leben zu beißen und anderen gegenüber ein gesundes Misstrauen zu wahren. Als virtuoser Pianist und Musiker, der verschiedenste Stile wie Blues, Gospel, Soul, Country & Western vermengt und daraus einen ganz speziellen Sound kreiert, ist Ray Charles, wie er sich nunmehr nennt, um Verwechslungen mit dem schwarzen Boxer Sugar Ray Robinson vorzubeugen, so erfolgreich wie kaum ein Zweiter. Dennoch ist er über viele Jahre hinweg heroinsüchtig, betrügt seine Frau Della (Kerry Washington) und kämpft mit tiefverankerten Neurosen.

Eine der mustergültigen Musiker-Spielfilmbiographien der letzten Jahre, zusammen mit "Walk The Line" vermutlich sogar an deren Spitze. Hier wie dort wird das wechselvolle Leben eines ebenso widersprüchlichen wie genialen Künstlers, der für seine jeweilige Art von Musik als unantastbare Ikone gilt, in einer speziellen Mischung aus tiefer Bewunderung, Ehrerbietung und Schonungslosigkeit dargelegt. Taylor Hackford, der die Rechte an einem Biopic über Ray Charles bereits seit 1987 in der Hinterhand hatte, wiedervereint dabei - Zufall oder nicht - nach fast zehn Jahren allein vier Darsteller des Ensembles aus "Dead Presidents" von den Hughes Brothers und findet mit Jamie Foxx einen Interpreten für Ray Charles, der eine fast beängstigende Metamorphose durchlebt. Eine solche Verschmelzung von realer Person und Darsteller dürfte einen Sonderfall markieren. Doch auch Hackfords inszenatorische Einfälle sind von großer Kraft. Rays Kindheitserinnerungen an jene Tage in Georgia, als er noch sehen konnte, werden mit kräftigen Farben akzentuiert, einführende Stadtbilder werden als zeitgenössische Super-8-Aufnahmen dargestellt. Schließlich bekommt "Trainspotting" ernsthafte Konkurrenz in seiner filmischen Präsentation eines kalten Heroinentzugs. Man kann nur mutmaßen, welche Visionen sich vor den Augen eines blinden Mannes unter Nadelentwöhnung abspielen, aber Hackfords diesbezügiche Bilder erreichen da schon eine recht eingängige Qualität.

9/10

Taylor Hackford Biopic Musik period piece Drogen Heroin Blindheit Soul Südstaaten Texas Los Angeles Georgia


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NIGHT ON EARTH (Jim Jarmusch/USA, F, D, UK, J 1991)


"Fuck you, fuck you... nette Familie."

Night On Earth ~ USA/F/D/UK/J 1991
Directed By: Jim Jarmusch

Zur gleichen Abend- bzw. Nachtstunde fahren fünf TaxifahrerInnen einen besonderen Fahrgast durch ihre jeweilige Weltmetropole: Die rustikale Corky (Winona Ryder) transportiert die Casting-Agentin Victoria (Gena Rowlands) in L.A., der ostdeutsche Exilant Helmut (Armin Mueller-Stahl) fährt in New York den aufgdrehten Yoyo (Giancarlo Esposito) bzw. lässt sich von ihm fahren, in Paris sitzt eine hübsche blinde Frau (Béatrice Dalle) im Taxi eines Elfenbeinküste-Auswanderers (Isaach De Bankolé), in Rom quatscht ein hyperaktiver Fahrer (Roberto Benigni) mit einer umfassenden Beichte über sein leicht perverses libidinöses Geheimleben einen Priester (Paolo Bonacelli) zu Tode und in Helsinki lehrt der traurige Mika (Matti Pellonpää) drei jammernde Fahrgäste (Kari Väänänen, Sakari Kuosmanen, Tomi Salmela), was wahrer Lebensschmerz ist.

Jarmuschs in meinen Augen schönster Film schildert in fünf Episoden, die man wohl treffend als 'city-wise' bezeichnen möchte, ein paar von zig Milliarden Einzelschicksalen, zufällige Begegnungen, große Lernprozesse, mögliche Freundschaften und schlicht und einfach Absurdes. Es wird massig gequalmt und geredet und so, wie jede Geschichte sich von ihrem Grad an emotionaler Involvierung, an Poesie, Humor oder Traurigkeit von den anderen abhebt, so rund ist am Ende auch der Gesamteindruck, eine Zeitrafferreise mit Beamtransport über den halben Globus und dabei eine ganz andere Form von filmischer Observierung, nämlich waschechten Seelenvoyeurismus, absolviert zu haben.

10/10

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Funxton

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