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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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MYSTERY TRAIN (Jim Jarmusch/USA, J 1989)


"Don't call me Elvis!"

Mystery Train ~ USA/J 1989
Directed By: Jim Jarmusch

Drei sich in einer Nacht abspielende Episoden ranken sich um das Arcade Hotel in Memphis, Tennessee: Das aus Yokohama stammende Teenage-Rockabilly-Pärchen Jun (Masatoshi Nagase) und Mitsuko (Youki Kudoh) tourt durch die Staaten, um sich die Lebens- und Wirkungsstätten der großen Rock'n'Roll-Musiker anzusehen. Dazu gehören natürlich auch Graceland und das Sun Studio, sowie eine Nacht im Arcade mitsamt dem elften Beischlaf der beiden.
Die frisch verwitwete Luisa (Nicoletta Braschi) will ihren toten Gatten in die alte Heimat zurückeskortieren und verbringt die Nacht zuvor im Arcade. Dabei begegnen ihr die just von ihrem Freund Johnny (Joe Strummer) getrennte Dee-Dee (Elizabeth Bracco) und der Geist von Elvis (Stephen Jones).
Der verlassene Johnny hat nicht nur seine Freundin, sondern auch seinen Job eingebüßt und säuft sich bis obenhin zu. Zusammen mit seinem Kumpel Will (Rick Aviles) und Dee-Dees Bruder Charlie (Steve Buscemi) landet er nach einer nächtlichen Fluchtfahrt durch Memphis infolge der Verwundung eines rassistischen Schnapsverkäufers (Rockets Redglare) im Arcade, das Wills Schwager (Screamin' Jay Hawkins) leitet.

Ein Schuss und Elvis' "Blue Moon"-Version verbinden die drei Episoden um ein paar Menschen in der Krise, die in Memphis ohnehin keine Möglichkeit haben, dem King nicht zu begegnen, selbst zwölf Jahre nach dessen Tod. Jarmusch verabreicht in diesem seinem ersten Episodenfilm ein prächtiges Kaleidoskop angeknackster und/oder fertiger Charaktere, die sich in einer allnächtlichen Nacht in Memphis örtlich näher kommen als sie ahnen und dabei doch meilenweit voneinander entfernt sind. Besonders die kurzen Einstellungen mit Screamin' Jay Hawkins und Cinqué Lee sind dabei von gewinnender Lakonie beseelt; ansonsten ist "Mystery Train", der glücklicherweise nicht den eigentlich viel offensichtlicheren Titel "Heartbreak Hotel" verabreicht bekam, ein Jarmusch-Standard par excellence. Lange Einstellungen, ausnahmsweise nicht von Robby Müller, poetischer Allerweltsdialog, dünne Komik. Und der große Joe Strummer ist an Bord.

9/10

Jim Jarmusch Tennessee Elvis Presley Alkohol Hotel Independent Ensemblefilm


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DOWN BY LAW (Jim Jarmusch/USA, BRD 1986)


"It is a sad and beautiful world."

Down By Law ~ USA/BRD 1986
Directed By: Jim Jarmusch

Der Radio-DJ Zack (Tom Waits) und der Zuhälter Jack (John Lurie) landen gemeinsam in einer Gefängniszelle in New Orleans, nachdem sie jeweils von einer anderen Partei übervorteilt und der Polizei in die Hände gespielt wurden. Bald darauf kommt noch der kaum ein Wort Englisch sprechende Italiener Robert hinzu, der einen Gegner in Notwehr mit einer Billardkugel totgeworfen hat. Gemeinsam türmt das Trio in die Bayous, aus dem man sich nur mit Mühe und Not kurz vor der Staatsgrenze zu Texas wieder herausarbeiten kann. Just hier findet Roberto sein privates Glück, während die beiden Individualisten Jack und Zack auch in Zukunft lieber getrennte Wege gehen wollen.

Nichts dazugelernt: Ohne das Zutun des offenherzigen Roberto, Verehrer von Walt Whitman und Robert Frost in italienischer Übersetzung, würden sich die beiden Macho-Dickköpfe Zack und Jack vermutlich heute noch in ihrer kleinen Zelle prügeln, wären zumindest im Sumpf verhungert oder von den Alligatoren aufgefressen worden. Zwei obercoole Männer, nur mit sich selbst befasst und zu verbohrt, um mit der Lebenslektion, dass Freundschaft und menschliche Wärme einen immer weiterbringen, etwas anfangen zu können.
Obgleich der Sumpf Louisianas förmlich nach imposanter Kolorierung schreit, wählen Jarmusch und sein dp Robby Müller ein kontrastreiches Schwarzweiß für ihre spröde Ausbrecherfabel, wie Jarmusch ohnehin erst im nächsten Film erstmals zur Farbe übergehen wird. Mitte der Achtziger war das ikonisches Kunstkino für eine gewisse elitäre Rezipientenschaft, in den frühen Neunzigern für Zuschauernachwuchs wie mich, die wir im arrogantesten Teenager-Überschwang den gegenwärtigen Hollywood-Mainstream mit einem kulturellen Incubus gleichzusetzen pflegten, eine Maßgabe filmischer Dinge. Heute ist "Jockey Full Of Bourbon" nach wie vor ein Lieblingssong, Jim Jarmusch nicht dort, wo ihn manchereiner vor zwanzig Jahren künftig wähnte und "Down By Law" ein kostbares, kleines Kuriosum. Und genau so ist es ja eigentlich auch richtig.

9/10

Jim Jarmusch Independent Louisiana New Orleans Sumpf Gefängnis Freundschaft


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THE ROOTS OF HEAVEN (John Huston/USA 1958)


"Where do we go from here?"

The Roots Of Heaven (Die Wurzeln des Himmels) ~ USA 1958
Directed By: John Huston

Der im Tschad lebende Morel (Trevor Howard) hat es sich zur Aufgabe gemacht, das rüchsichtslose Dezimieren der hiesigen Elefantenpopulation verbieten zu lassen. Zu diesem Zweck ruft er eine Petition ins Leben, die bei den höher gestellten Herrschaften wie dem gesetzten Gouverneur (André Luguet) jedoch alles andere als aufrichtige Begeisterung hervorruft. Da beginnt Morel, auf deutlich militantere Weise gegen die Kurzsicht der Menschen vorzugehen und versetzt diversen Möchtegernjägern einen Pfefferschuss in den Allerwertesten. Morel wird zu einer At Öko-Guerillero. Vorübergehende Unterstützung erhält er durch internationale Medien swie den Nationalisten Waitari (Edric Connor), der sich einstweilen jedoch wieder auf der Gegenseite positioniert. Dafür stehen die Kneipenwirtin Minna (Juliette Gréco) und der versoffene britische Ex-Offizier Forsythe (Errol Flynn) fest an Morels Seite.

Einer von Hustons schönsten Filmen, der sich im Laufe der Jahrzehnte leider irgendwo in den Wirren der Enzyklopädien verloren zu haben scheint und heute nurmehr selten hervorgekramt wird. Auch Huston selbst war nicht sonderlich begeistert von seinem Werk und hätte sich nach eigemem Bekunden gern an ein spätere Neuverfilmung gewagt, zumal er den Roman von Romain Gary sehr schätzte. Ähnlich wie "The African Queen" sind die Dreharbeiten zu "The Roots Of Heaven" von diversen schönen, in Hustons Autobiographie nachzulesenden Anekdoten umrankt, die tatsächlich die wahren Gefühle des Regisseurs bezüglich seines Films entlarven. Errol Flynn und Trevor Howard haben bei etwa 40 Grad Durchschnittstemperatur um die Wette gesoffen, wobei Flynn, dem seine derangierte Konstitution sogar deutlich anzusehen ist, es doch stark übetrieben und neben schmerzstillenden und sonstigen Pharmaka Unmengen von Wodka verkonsumiert haben muss. Obgleich er die Besetzungsliste anführt, spielt er denn tatsächlich auch lediglich einen unentwegt an der Scotch-Flasche nippenden Nebencharakter, der einen spektakulären Heldentod stirbt. Trevor Howard in der Hauptrolle ist im Vergleich dazu ein ungewöhnlicher Held, besonders, wenn es zu romantischen Emotionen kommt. Mit "Brief Encounter" hatte er einst zwar an einem der schönsten Liebesfilme überhaupt mitgewirkt, hier, um Einiges gealtert, wirkt es jedoch zuweilen, als wäre Captain Bligh plötzlich erotisch rührig geworden. Der Film ist mit seiner wertvollen ökologischen Botschaft - die Elefantenjagd gerät zur Metapher für den allgemeinen Zustand der Erde und den humanen Umgang damit - mindestens zehn Jahre im Vortreffen und enthält einige höchst wunderbare Szenen, wie etwa jene, in der Friedrich von Ledebur (noch bestens bekannt als Queequeg in "Moby Dick") als Morels Adjutant Peer Qvist einer großkotzigen Spinatwachtel von Elefantenkillerin vor versammelter Soiree als Strafe für ihre Respektlosigkeit gegenüber der Natur den nackten Hintern versohlt. Ein großer, liebenswerter, weltliterarischer und vor allem erwachsener Film ist "The Roots Of Heaven", zudem eines der schönsten Hollywood-Vehikel über Afrika.

9/10

John Huston Afrika Romain Gary Großwildjagd Alkohol


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THE MAN WHO WASN'T THERE (Joel Coen/USA 2001)


"Sooner or later everyone needs a haircut."

The Man Who Wasn't There ~ USA 2001
Directed By: Joel Coen

Santa Rosa Ende der Vierziger: Der Kette rauchende Frisör Ed Crane (Billy Bob Thornton) hat die fixe Idee, sich auf eino obskure Geschäftspartnerschaft mit einem seiner Kunden (Jon Polito) einzulassen: Es geht um Trockenreinigung, ein angeblich zukunftsweisendes Konzept. Um dabei als Teilhaber einzusteigen benötigt Ed 10.000 $, die er kurzerhand von Big Dave Brewster (James Gandolfini), Chef und Liebhaber seiner Frau Doris (Frances McDormand) erpresst. Als Big Dave herausfindet, dass Ed der Empfänger der Geldsumme ist, geht er wie ein Berserker auf ihn los. In Notwehr tötet er Big Dave und ist anderntags bereits reif für seine Verhaftung, da erfährt er, dass Doris bereits der Tat verdächtig ist...

Nach dem vergleichsweise pompösen "O Brother, Where Art Thou" gönnten sich die Coens mit "The Man Who Wasn't There" wieder einen vorbildlich lakonischen Film, eine erneut runde Hommage an eine vergangene Ära, in der rückblickend Frisuren und Bekleidungen tadellos scheinen und nirgends ein Staubkörnchen zu finden war. Die Coens lieben ja diese vordergründig-verlogene Sauberkeit der Post-Depressions-Ära der Spätdreißiger bis Mittfünfziger, deren Abgründe hinter den Fassaden sich jeweils umso tiefer in die bourgeoise Sittlichkeit frästen. So auch in "The Man", der einen unglaublichen Billy Bob Thornton vorzeigt und gewissermaßen ein weiteres, archetypisches Coen-Werk markiert, indem er eine ganze Menagerie mehr oder weniger liebenswerter Wirrköpfe nebst spektakulär eingefangenen Szenen - anzuführen wäre da insbesondere die italoamerikanische Hochzeitsfeier mitsamt Schweinerodeo und Blaubeerkuchen-Wettessen - vorführt. Zudem liefern die Coens hier mit James Gandolfini, Jon Polito, Michael Badalucco und Adam Alexi-Malle wohl eine ihre beeindruckendsten Sammlungen dicker Männer mit Hosenträgern. Ein Wunder, dass John Goodman nirgends auftaucht. Von den Anwesenden darf sich jedenfalls ein jeder im höchsten Maße abseitig betragen. Aber genauso mögen wir's ja. Die Photographie des Coen-Standards Roger Deakins ist hier, gerade durch den Einsatz von edlem Schwarzweiß (es gibt jawohl auch eine Farbversion, ich weiß aber nicht, ob ich die brauche), so exzellent und stilvoll wie selten. Wenngleich der gallige Humor der Herren sich hier noch etwas verhaltener zeigt als gewohnt und am Ende nurmehr die Verdammnis wartet, ist "The Man Who Wasn't There" ein immer wieder aufs Neue fantastischer Film.

9/10

Coen Bros. Kalifornien Ehe film noir


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FARGO (Joel Coen/USA 1996)


"Yah?" - "Yah."

Fargo ~ USA 1996
Directed By: Joel Coen

Für den armen Jerry Lundegaard (William H. Macy), Autoverkäufer und Familienvater aus Minneapolis, geht finanziell alles schief. Dazu lässt sein reicher Schwiegervater Wade (Harve Presnell) ihn am ausgestreckten arm verhungern. Also kommt Jerry auf die Idee, eine Scheinentführung seiner Frau Jean (Kristin Rudrüd) zu inszenieren und sich mit dem von Wade gezahlten Lösegeld zu sanieren. Dummerweise engagiert er für den Job die zwei ebenso gewalttätigen Soziopathen Showalter (Steve Buscemi) und Grimsrud (Peter Stormare), die schon kurz nach Jeans "Inempfangnahme" anfangen, Leichen aufzutürmen. Die schwangere Kleinstadtpolizistin Marge Gunderson (Frances McDormand) löst den obskuren Fall mittels ihrer ebenso offenen wie aufdringlichen Art.

"Fargo" dürfte der Film sein, der den Coens ihre noch letzten unerschlossenen Publikumssegmente eingefahren hat, dabei ist er nicht mehr oder weniger anbiedernd als ihre vorhergehenden Werke, sondern ein ebenso verschrobener Glücksspender wie man es von ihrem bisherigen Œuvre eben kennt. Die winterliche Atmosphäre Minnesotas unterdrückt sämtliche Schallwellen, noch unterstützt durch Carter Burwells unheilschwangere Musik. Höchstens Carl Showalters manchmal aufbrausende Art oder die diversen Pistolenschüsse lassen einen aus jener befremdlich angespannten Lethargie hervorschrecken, die die Coens so wie kein anderer gegenwärtig aktiver Filmemacher zu evozieren verstehen. Dazu ist der Film urkomisch, indem er den Mittleren Nordwesten mit seinen schwedischen Immigranten in der x-ten Generation so urig wie sonderbar porträtiert, ohne sie jedoch zu denunzieren. Schließlich stammt man selbst aus der Gegend und pisst sich nicht ins heimische Wohnzimmer. Sein Leben bezieht "Fargo" aus der jeweils freundlichen als auch unnachgiebigen Natur seiner Figuren. Niemand gibt auf, in allen schlummert hinter ihrer lächelnden Fassade ein Wolf, seien es die liebenswerte Chief Gunderson oder auch der Superloser Jerry Lundegaard. Und dann sind da freilich die wie Fremdkörper auftretenden Nebencharaktere, nach deren Auftreten man sich am Kopf zu kratzen geneigt ist, um dann erst zu verstehen, dass der Film ohne sie unvollständig wäre - der Indianer Chep Proudfoot (Steven Reevis) etwa, Marges alter Schulfreund Mike Yanagita (Steve Park) oder die beiden Huren (Larissa Kookernot, Melissa Peterman), mit denen sich Carl und Gaear im Motel vergnügen. Ein leidenschaftlich-verhalten vorgetragenes Kaleidoskop der US-Provinz entspinnt sich da, das ausnahms- und glücklicherweise einmal nicht im Süden angesiedelt ist.

10/10

Coen Bros. Winter Ensemblefilm Minnesota Minneapolis


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THE HUDSUCKER PROXY (Joel Coen/USA 1994)


"What if you tire before it's done?"

The Hudsucker Proxy (Hudsucker - Der große Sprung) ~ USA 1994
Directed By: Joel Coen

Gegen Ende der fünfziger Jahre kommt der just graduierte Provinzbursche Norville Barnes (Tim Robbins) nah New York, um dort sein Glück zu suchen. Er wird Postangestellter bei 'Hudsucker Industries', deren einstiger Chef und Inhaber Waring Hudsucker (Charles Durning) sich kurz zuvor unversehens aus dem Fenster gestürzt hat. Dessen Stellvertreter, der über Leichen gehende Sidney J. Mussburger (Paul Newman) sucht nun einen Strohmann als vorübergehende Firmenleitung, um die Aufsplittung des Unternehmens in eine freie Aktiengesellschaft zu verhindern. Der naive Norville scheint dafür genau der Richtige. Als jedoch seine Erfindung, der Hula-Hoop-Reifen, einschlägt wie eine Bombe, muss sich Mussburger etwas unkoschere Mittel und Wege suchen, um Norville wieder zu entmachten

Ich habe "The Hudsucker Proxy" schon mehrfach gesehen, doch erst jetzt konnte er bei mir endlich zünden. Bis dato empfand ich die tatsächlich etwas grobmaschig gewobene Melange des Films, die ein lautes Potpourri aus screwball comedy, Frank Capra, George Orwell, Terry Gilliam und natürlich dem hauseigenen Mikrokosmos der Coens bildet, stets als allzu überdreht und übers Ziel hinausschießend. Die furiose bis irrwitzige Form der Montage habe ich dabei wohl geflissentlich übersehen, wie mir auch die liebevolle Gestaltung des Ganzen überhaupt nicht mehr präsent war oder ich sie bis dato schlicht nicht wahrgenommen habe respektive wahrnehmen wollte. Mir zeigt das vor allem, dass sich auch die wiederholte Beschäftigung mit dem einen oder anderen Film als überaus lohnenswert herausstellen kann, selbst, wenn man längst geneigt war, ihn abzuschreiben. Natürlich ist die Hommage an Capras Gutmenschenkino, speziell an "Mr. Deeds Goes To Town", der praktisch permanent zitiert wird, an die aufreibende Ära der späten Fünfziger (wobei sich die Geschichte bis auf ein paar Details ebensogut auch ein, zwei Jahrzehnte früher hätte einfinden können). "The Hudsucker Proxy" ist natürlich supervitales, coen'sches Kino in Reinkultur, vielleicht sogar nochmals überführt in ein spezielles Essenz-Stadium.
Und für mich gilt: Besser eine späte Erleuchtung als gar keine.

9/10

Coen Bros. New York period piece Hommage Satire Erwachsenenmärchen Groteske


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THE SPY WHO CAME IN FROM THE COLD (Martin Ritt/UK 1965)


"I reserve the right to be ignorant. That's the Western way of life."

The Spy Who Came In From The Cold (Der Spion, der aus der Kälte kam) ~ UK 1965
Directed By: Martin Ritt

Alec Leamas (Richard Burton) arbeitet als Koordinator für den britischen Geheimdienst in Berlin. Nachdem nach und nach sein gesamtes Agentennetz von einem gegnerischen Mann namens Mundt (Peter van Eyck) liquidiert worden ist, erhält er in London einen neuen Auftrag: Er soll nach außen hin aus dem aktiven Dienst ausscheiden und sich das Image eines heil- und mittellosen Trinkers auf der Rolltreppe abwärts zulegen, so den Feind auf sich aufmerksam machen, sich dann von diesem abwerben lassen und über Umwege ein Komplott gegen Mundt einfädeln, um ihn so ausschalten zu können. Erst als Leamas sich bereits hinter dem Eisernen Vorhang befindet, wird ihm bewusst, dass er nur über einen Bruchteil seiner tatsächlichen Mission informiert wurde und dass er und vor allem sein Seelenheil im internationalen Spiel der Gewalten eine vollkommen entbehrliche Größe darstellen.

Bedrückendes Drama, das wie ein empörter Gegenentwurf zu der schönen, bunten Oberflächenwelt eines James Bond und seiner Epigonen auftritt. Zum kargen Schwarzweiß des New British Cinema bewewht sich ein fetthaariger Richard Burton mit zerbeultem Parka und einer nahezu riechbaren Whiskey-Fahne durch eine graue Realität der Depression. Einsam und nicht besonders erfolgreich in seinem Job entpuppt sich Alec Leamas, nachdem er selbst sich im Inneren bereits über seine systemische Dysfunktionalität im Klaren ist, als Bausteinchen einer gewissenlosen Maschinerie, die nicht etwa leidenschaftlich, sondern mit kalter Präzision zu Werke geht und jeder Menschlichkeit abgeschworen hat, um wettbewerbsfähig bleiben zu können. Am Ende scheint Leamas' Weltbild infolge eines internen Verrats gegen ihn zumindest teilweise zurechtgerückt, denn es spielt keine Rolle mehr, ob Ost oder West, ob Kommunismus oder Kapitalismus. Es gewinnt nicht etwa der Systemtreueste, sondern derjenige, der am durchtriebensten und gewissenlosesten agiert. Nicht von ungefähr ist Mundt zugleich auch ein Altnazi.
Ritts Film war und ist ein Triumph und gilt, natürlich auch infolge seiner adaptiven Akkuratesse bezogen auf le Carrés kurz zuvor erschienenen Roman, bis heute als einer der wenigen aufrichtigen Spionagefilme. Vom eleganten product placement und den ausschweifenden Männerträumen eines 007 geradezu angewidert, spuckt "The Spy Who Came In From The Cold" dem Kalten Krieg verächtlich ins Gesicht. Nicht etwa aufgrund der Angst vor Dritten Weltkriegen und atomaren Erstschlägen, sondern weil er seine Schachfiguren einfach um ihr Glück betrügt und gewissenlos auffrisst.

9/10

Martin Ritt Spionage Kalter Krieg London Berlin DDR Niederlande John le Carré


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THE LONG, HOT SUMMER (Martin Ritt/USA 1958)


"Miss Clara, you slam the door in a man's face before he even knocks on it."

The Long, Hot Summer (Der lange, heiße Sommer) ~ USA 1958
Directed By: Martin Ritt

Der allerorten als Brandstifter verschriene Tagelöhner Ben Quick (Paul Newman) kommt in das Kleinstädtchen Frenchman's Bend. Hier ist der alternde Gutsbesitzer Will Varner (Orson Welles) die Ton angebende Persönlichkeit. Varner ist von Quicks fordernder und umwegloser Art beeindruckt und räumt ihm zunehmend gewichtigere Positionen in seinem Familienbetrieb ein - ganz zum Unwillen von Varners Sohn Jody (Anthony Franciosa), einem notorischen Taugenichts und Versager, der von der herrischen Art seines Vaters bereits schwer neurotisiert ist. Jodys Schwester Clara (Joanne Woodward) derweil, Mitte 20, Lehrerin und noch immer unverheiratet, gebärdet sich als alternde Jungfer. Dabei fände der alte Varner in Ben Quick den idealen Schwiegersohn.

Eines der großen Südstaatenepen der fünfziger und sechziger Jahre, in einer Reihe mit dem kurz darauf entstandenen "Cat On A Hot Tin Roof", "Home From The Hill" oder "The Fugitive Kind", die allesamt die vordergründige Lebensweise und die patriarchalischen Strukturen der Gegend observieren und ihre jeweiligen Lehren daraus ziehen. Im Gegensatz zu vielen anderen hier ansässigen Dramen basiert "The Long, Hot Summer" jedoch nicht auf einem Stück von Tennesse Williams, sondern auf einigen Kurzgeschichten sowie einem Roman William Faulkners. Die unweigerliche Katharsis am Ende zieht hier ausnahmsweise keine tiefen Brüche nach sich, sondern beschert sämtlichen ProtagonistInnen das erlösende Glück. Alte Beziehungen werden neu überdacht und neue, stabile, geknüpft. Damit nimmt sich "The Long, Hot Summer" durchaus wie ein Heimatfilm aus; geprägt von einer unübersehbaren Liebe zu Land und Menschen. Selbst der bärbeißige Patriarch Will Varner ist kein intriganter Knochen, sondern ein sympathisch gezeichneter, zu Zugeständnissen fähiger, und sogar liebenswerter Provinzkönig. Am Schluss des Films ist also alles geregelt und in Butter, was sich wiederum, in Kenntnis all der anderen, "lokalen" Dramen um Standesdünkel, Rassismus, sowie intra- und interfamiliären Hass geradezu befremdlich ausnimmt. Aber warum nicht - eine unverhohlene Liebeserklärung an den Süden und seine Bewohner ist auch mal ganz schön anzuschauen.

7/10

Martin Ritt William Faulkner Mississippi Südstaaten Familie


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REDACTED (Brian De Palma/USA, CA 2007)


"Well, I have an appointment with him - in Samarra."

Redacted ~ USA/CA 2007
Directed By: Brian De Palma

Aufgeputscht von Alkohol, Drogen, sexueller Frustration und vor allem Rachegedanken bezüglich des gewaltsamen Todes ihres Sergeants (Ty Jones) machen sich zwei in Samarra stationierte, junge US-Soldaten (Reno Flake, Daniel Stewart Sherman) auf, ein einheimisches fünfzehnjähriges Mädchen (Zahra Zubaidi) zu vergewaltigen. Dabei werden das Mädchen selbst und seine Familie kurzerhand hingemordet. Ein Zeuge (Rob Devaney) des Verbrechens hält den seelischen Druck schließlich nicht länger aus und vertraut sich der Kommandatur an.

Diverse Kritiker fragten sich und auch ihn selbst, warum De Palma ausgerechnet ein "Remake" seines wenig erhebenden Film "Casualties Of War" vor Golfkriegskulisse machen musste. Eine lächerliche und obsolete Unterstellung. Wie "Casualties" basiert nämlich auch "Redacted" auf einem authentischen Verbrechen, dass sich nur ein paar Jahre zuvor auf irakischem Boden ereignete. Selbst De Palmas Kulturdidaktik konnte der Bestie Mensch langfristig keine Vernunft einbläuen. "Redacted" liefert eine hochkomplexe Meditation über das Wesen nicht nur der Massenmedien, sondern auch über das des Filmemachens, die Godards vielzitiertes Paradigma, demzufolge Film 24-mal pro Sekunde Wahrheit sei, wütend ad absurdum führt. Der Film zeigt, dass es niemals die eine Wahrheit geben kann, schon gar nicht bei entsprechender Nachbereitung des Materials. De Palma entlarvt sich demzufolge freimütig selbst als einen der größten Lügner von allen. Sein Metier lässt, soviel lässt sich ferner noch feststellen, allerdings auch keine andere Verfahrensweise zu. Die chronologisch abgespulten Ereignisse des Films lassen sich auf mehrere Quellen zurückführen: Auf die Amateuraufzeichnungen eines jungen Private (Izzy Diaz), auf eine "kunstbeflissene" Dokumentation eines französischen Filmteams (deren Bilder unbentwegt von Händels Sarabande unterlegt sind) den Internetstream eines arabischen Terrornetzwerks, Bilder von Überwachungskameras und Youtube-Clips. De Palma jedoch montiert, er bastelt daraus erst die dramturgische Kohärenz, er ist der "Redakteur", wenngleich die geschwärzten und von ihm wieder erfahrbar gemachten "Textstellen" einen authentischen Ursprung haben. Am Ende ist jedoch auch dieser Film nur eine Varianz der Wahrheit. Er selbst aber weiß dies am Besten und macht auch keinen Hehl daraus, was ihn sogar noch wertvoller macht als er es ohnehin schon ist.

9/10

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MISSION TO MARS (Brian De Palma/USA 2000)


"They're us. We're them."

Mission To Mars ~ USA 2000
Directed By: Brian De Palma

Im Jahr 2020 steht die erste bemannte Marsexpedition der NASA an. Nachdem Flug, Landung und Campaufbau reibungslos von Statten gegangen sind, stoßen die Astronauten auf ein seltsames Artefakt, dass sich gegen die neugierigen Erdlinge zur Wehr setzt. Für die vier Freunde Jim McConnell (Gary Sinise), Woody Blake (Tim Robbins), Terri Fisher (Connie Nielsen) und Phil Ohlmyer (Jerry O'Connell) Anlass zu einer sofortigen Rettungsmission, zumal ihr alter Kumpel Luke Graham (Don Cheadle) sich noch auf dem Mars befindet. Auf dem Roten Planeten angelangt stößt man auf die Spuren einer außerirdischen Zivilisation.

Auch nach mehrfacher Betrachtung fällt es mir sehr schwer, ein auch nur halbwegs stabiles Urteil über "Mission To Mars" zu fällen. Zuallererst einmal ist es ein höchst sonderbarer Film, getragen von einer sehr eigenen Atmosphäre. Unschwer erkennbar setzt er die Tradition jener stets "flächig" umgesetzten SciFi-Motivik fort, die uns Terraner nicht nur mit einer außerirdischen Kultur konfrontiert, sondern uns darüber hinaus noch Aufschluss über unsere Evolutionsgeschichte und unseren künftigen Werdegang gibt. Als herausragende Beispiele dafür fallen einem sogleich "2001: A Space Odyssey" und "Close Encounters Of The Third Kind" in den Schoß. Deren Pfad gen Erkenntnis verfolgt auch "Mission To Mars", der darüber hinaus auch eine Meditation über Freundschaft, Liebe, Opferbereitschaft und Verlust darstellt. Wenngleich die porträtierte Gesellschaft nur zwei Jahrzehnte in der Zukunft stattfindet, hat man doch das Gefühl, sie sei gleich deutlich zivilisierter als die unsrige. Schimpfwörter kommen ebensowenig vor wie aufbrausendes Verhalten; stattdessen scheinen die Leute von einer entspannten Gleichmut beseelt, die sie auch in Extremsituationen nicht loslässt. Diese Mentalität überträgt sich auf den gesamten Film, der sich einem warmen Marihuanarausch gleich über den Zuschauer ergießt. Dabei balanciert er stets erstaunlich nah an der Preisgabe zur Lächerlichkeit entlang. Tim Robbins' Opferszene ist von unendlichem Pathos, das finale Erscheinen des Alienpiloten, der ein CGI-Tränchen vergießt, ist schließlich gefährlich nahe an einer möglichen Selbstdenunziation. Getragen wird all das von Ennio Morricones aufreibenden Tönen, die in einem Science-Fictioner im Grunde vollkommen eklektizistisch anmuten. Dennoch ist "Mission To Mars" das, was man leichtfertig als einen "schönen Film" bezeichnen möchte. Vorausgesetzt, man ist in der richtigen Stimmung für ihn und hat dazu passende Mitschauer. Ansonsten könnte die ganze Chose auch unschwer in einer eineinhalbstündigen Zwerchfellbelastung kulminieren.

7/10

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