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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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NOVECENTO (Bernardo Bertolucci/I 1976)


Zitat entfällt.

Novecento (1900) ~ I 1976
Directed By: Bernardo Bertolucci

Um 1890 wird den zwei alten Patriarchen Alfredo Berlingheri (Burt Lancaster) - Großgrundbesitzer eines Landguts in der Emilia-Romagna - und Leo Dalcò (Sterling Hayden) - Berlingheris Verwalter und Vorabeiter - zur selben Stunde jeweils ein Enkel geboren. Als Kinder sind Alfredo (Paolo Pavesi) und Olmo (Roberto Maccanti) so gut befreundet, wie es der sie umgebende Standesdünkel gerade eben zulässt, ihre Jugend trennt sie jedoch vorübergehgend. Als Olmo (Gerard Depardieu) als Kriegsveteran auf den Hof zurückkehrt, findet er den opportunistischen und sich später als bösartig gewalttätig entpuppenden Attila (Donald Sutherland) als neuen Vormann. Alfredo (Robert De Niro) ist derweil Offizier geworden, ohne je in den Krieg ziehen zu müssen. Beide lernen eine Frau kennen. Olmos geliebte Anita (Stafania Sandrelli) stirbt bei der Geburt seiner Tochter, Alfredo heiratet seine Ada (Domique Sanda), doch Hochzeit und Ehe sind überschattet von Blut, Lügen und Alfredos ewiger Zauderei. Als viele Jahre später - Ada hat Alfredo längst verlassen und Olmo musste wegen einer Beleidigung des mittlerweile zu einem Schwarzhemd-Protagonisten gewordenen Attila fliehen, der Faschismus aus dem Land wird und eine sozialistischze Übergangsregierung gebildet wird, taucht Olmo wieder auf und macht seinem alten Freund Alfredo, nunmehr seiner hochherrschaftlichen Stellung enthoben, den Femeprozess.

Bertoluccis gewaltiges Porträt des Aufkeimen und Niederschlagen des italienischen Faschismus vor dem vergleichsweise intimen Hintergrund zweier ungleicher Freunde ist bis heute ein herausragendes Beispiel für kontroverses Filmemachen. Wegen einiger mitunter nicht immer geschmackssicherer Zeigefreudigkeiten gerügt und sogar gehasst, von Bertolucci, seit 68 KPI-Mitglied, als kommunistisches Manifest deklariert (was freilich in sich beißendem Widerspruch zur teuren Produktion und ausstatterischen Pracht des Filmes steht) und aufgrund vieler kleinerer und größerer Mäkel stets aus allen Winkeln heraus kritisiert, scheint "Novecento" bis heute keine wirklichen Freunde gefunden zu haben. Ich sehe mir den Film alle paar Jahre dennoch sehr gern an, wenn Muße, Zeit und Entspannung es mir gestatten. In grob vier Akte, die den Jahreszeiten zugeordnet sind, aufgeteilt, entspannt sich die wahre Komplexität des monströsen Werkes tatsächlich immer wieder erst mit ein paar Tagen Abstand. Dann vergesse ich die drei, vier visuellen Anstößigkeiten des Films, die einen im Zuge der Betrachtung noch durchaus auf Trab halten, und wende mich retrospektiv dem Gesamtbild zu; - jenes schlicht ein Beispiel für brillantes Filmemachen. Mit aller gebotenen Eleganz nähert sich Bertolucci seiner schwierig aufzuzäumenden Protagonisten-Dublone und nimmt sich ganz einfach die Zeit, die Charakterentwicklung der beiden Männer nicht per Holzhammer einzupflanzen, sondern sie sich entwickeln und reifen zu lassen. Episoden, Anekdoten, Wichtigeres und Unwichtigeres - am Ende fällt man tatsächlich kurz der Illusion anheim, Zeuge zweier Leben geworden zu sein, Ismen hin oder her. Und darin liegt das wahre Verdienst Bertoluccis und seines Films, der eigentlich eher filmgewordene Weltliteratur repräsentiert.

9/10

period piece Freundschaft Biopic Faschismus Italien Emilia-Romagna Kommunismus Skandalfilm


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EXODUS (Otto Preminger/USA 1960)


"God, don't let my brother die at the end of a British rope."

Exodus ~ USA 1960
Directed By: Otto Preminger

Zypern, 1946: Der Hagana-Abgesandte Ari Ben Kanaan (Paul Newman) fasst den Plan, rund 600 jüdische Exilanten aus aller Herren Länder nach Palästina zu schleusen, um der Welt nachdrücklich zu vermitteln, dass dort ein zionistischer Staat im Entstehen begriffen ist. Nach einiger Haderei mit den britischen Besatzern gelingt sein Vorhaben. In Palästina geht der Kampf gegen die Briten weiter. Aris Onkel Akiva (David Opatoshu) wählt dafür den militanten Weg: Er macht sich als berüchtigter Irgun-Terrorist einen Namen und ordnet Sprengungen britischer Ziele an. Als Akiva und seine Männer gefangen genommen und in der Gefängnisfestung Acre inhaftiert werden, befreit Ari sie in einer logistisch komplizierten Aktion. Kurz darauf steht die Staatsgründung Israels im allgemeinen Interesse. Für die arabische Minderheitsbevölkerung Palästinas ein Anlass für einen sofortigen Aufruf zum Heiligen Krieg.

Seine Verbundenheit zum biblisch orientierten Monumentalkino bringt Premingers "Exodus" gleich in der Titelsequenz zum Ausdruck: Ernest Golds pathetische Musik könnte ebensogut auch "The Ten Commandments" oder "Ben-Hur" eröffnen. Die ebenso ruhige wie epische Inszenierung weist dann, schon aufgrund des zeitgebundenen Settings, allerdings eher Richtung David Lean. In drei wesentlichen Episoden fasst die Uris-Verfilmung rund ein Jahr zionistischer Zeitgeschichte mit fiktivem, an authentische Personen angelehnten Protagonisten-Personal zusammen. Es gibt wenige Actionsequenzen und für einen Film dieser Größenordnung somit verhältnismäßig wenige Schauwerte. Die bereits anhand Uris' Roman geäußerte Kritik, derzufolge die Geschichte allein die israelische Perspektive beleuchte, lässt sich umstandslos auch auf Premingers Adaption übertragen. Mit Ausnahme von Aris Jugendfreund Taha (John Derek) werden die Araber im Allgemeinen und die Palästinenser im Besonderen als radikale Barbaren gezeichnet, die sich gefällist an bestehende Verhältnisse anzupassen haben, die "Friedensbotschaft" des jüdischen Volkes jedoch ignorieren und, sogar mit der Unterstützung von Nazis, zu unbarmherziem Antisemitismus aufrufen. Dass Ari Taha bald darauf ermordet und als Verräter geschändet in seinem Haus vorfindet, unterstreicht nochmals die Perfidie, mit der die muslimische Gesellschaft in "Exodus" gezeichnet wird. Der Film endet mit der Doppelbestattung Tahas und der fünfzehnjährigen Karen (Jill Haworth), die ebenfalls zum unschuldigen Mordopfer der Araber geworden ist. Eine nur augenscheinlich versöhnliche Geste.
Bei aller Diskutabilität ist "Exodus" nach wie vor ein insbesondere atmosphärischer und visueller Gewinn für Freunde monumentalen Hollywood-Kinos, für das Heimkino-HD geradezu gemacht scheint. Ihn für einen reell vertretbaren Platz im allgemeinen Kanon der Monumentalfilme vorzuschlagen wäre möglicherweise etwas vermessen - für mich persönlich gehört er allerdings längst dazu, wobei die aktuelle Betrachtung dies nochmals nachdrücklich untermauern konnte.

8/10

Otto Preminger Israel period piece Historie Leon Uris Zypern Nahost-Konflikt Naher Osten Kolonialismus Dalton Trumbo


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CATCH ME IF YOU CAN (Steven Spielberg/USA, CA 2002)


"I love my job."

Catch Me If You Can ~ USA/CA 2002
Directed By: Steven Spielberg

New York, 1964: Die Scheidung des Ehepaars Abagnale (Nathalie Baye, Christopher Walken) führt dessen Filius Frank Jr. (Leonardo Di Caprio) auf die Skrupellosigkeit der Finanzämter zurück, die seinen Vater in den Konkurs getrieben haben. Mit sechzehn Jahren reißt Frank von zu Hause aus, stets den großen, naiven Plan im Blick, viel Geld zu machen um so die Beziehung seiner Eltern zu kitten. Daraus wird bald eine kriminelle Karriere. Frank lernt rasch, dass Kleider Leute machen und wird darüber hinaus nach und nach zum Hochstapler und professionellen Scheckbetrüger, der sich falsche Ämter als Pilot, Kinderazt und Anwalt ergaunert, bis er von seinem emsigen Verfolger, dem FBI-Agenten Hanratty (Tom Hanks), irgendwann in Frankreich geschnappt werden kann.

Gepflegtes Unterhaltungskino, das mit seiner Darstellung fast intimer, fragiler Menschlichkeit auf den ersten Blick so gar nicht zu Spielbergs jüngerem Bombastkino passen will. Dann jedoch kommen wieder die oftmals verwendeten Motive zum Vorschein, hier freilich unter etwas umgedrehten Vorzeichen. In den Personen der naiven Träumer Vater und Sohn Abagnale findet sich nachgerade etwas von Spielbergs eigener Persönlichkeit wieder und der Topos 'Familie' präsentiert sich unter umgekehrten Vorzeichen, nämlich im Begriff des Bruchs statt wie bisher in seiner konsolidierenden Ausformung, sowie, ergänzend dazu, die Hilflosigkeit im Umgang mit dem Unausweichlichen. Frank Abagnale Sr. (Christopher Walken in einer seiner exzellentesten Darstellungen) durchlebt seinen sozialen Niedergang unter stoisch tapferer Realitätsleugnung; nicht er würde sukzessive vom System zerbrochen, sondern wäre letzten Endes derjenige, der die Behörden permanent an der Nase herumführe. Als sein Filius irgendwann diese mangelnde Fähigkeit zur Selbsteinschätzung begreift, ist er in seinen eigener Welt längst zum monströsen, kriminellen Äquivalent seines Vaters herangereift, zu einem, der seine lausbübischen Aktivitäten über die Rache am System rechtfertigt; tatsächlich jedoch bitterlich vereinsamt und schließlich ausgerechnet in seinem offiziellen Häscher einen Ersatzvater findet.
Ein genauerer Blick auf die personelle Konstellation verrät also doch Spielbergs gesteigertes Interesse an diesem Stoff und er hat einen für seine Verhältnisse äußerst unverkrampften, leichten und wohlfeil konsumierbaren Film daraus gemacht, der vor allem auch seine eigenen, in ständiger Weiterewegung befindlichen Lernprozesse als Filmemacher verdeutlicht.

8/10

Steven Spielberg period piece Historie Biopic FBI Familie New York Ehe


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ARTIFICIAL INTELLIGENCE: AI (Steven Spielberg/USA 2001)


"I am. I was."

Artificial Intelligence: AI ~ USA 2001
Directed By: Steven Spielberg

Irgendwann in der Zukunft übernehmen Roboter, sogenannte 'Mechas', die ihren Schöpfern mit jeder Generation ähnlicher werden, diverse Aufgaben des menschlichen Alltags. Der Konstrukteur Hobby (William Hurt) erfindet schließlich ein täuschend echtes Androidenkind namens David (Haley Joel Osment), das sogar Liebe simulieren kann. Davids Pototyp kommt zu dem jungen Ehepaar Swinton (Frances O'Connor, Sam Robards), dessen Sohn Martin (Jake Thomas) im Koma liegt. Nach einigen Startschwierigkeiten akzeptiert man David als Ersatzkind, dann jedoch wacht Martin wieder auf. Kindliche Boshaftigkeiten und Machtspielchen sorgen dafür, dass David schließlich als Gefahr wahrgenommen und im Wald entsorgt wird. Der mit der Persönlichkeit eines Kindes ausgestattete David glaubt, er müsse die Blaue Fee aus "Pinocchio" finden. Diese verwandelte ihn einen echten Jungen und er könne nach Hause zurückkehren. Die folgende Odyssee, bei der ihm ein Lustmecha namens Gigolo Joe (Jude Law) hilfreich zur Seite steht, führt David bis zu seinen Ursprüngen und an den Rand der Welt...

"AI" gilt ja unter anderem als Vermächtnis Stanley Kubricks, ein Projekt, das laut Spielberg durch wechselseitigen Input und Austausch über viele Jahre hinweg entwickelt wurde und bei dem bis zum Schluss nicht feststand, welcher der beiden Maestri produzieren und welcher inszenieren würde. 'Schluss' bedeutet in diesem Falle Kubricks tragisches Ableben. Dieses hatte bekanntermaßen zur Folge, dass Spielberg den Film in kompletter Eigenregie herstellen musste - oder auch durfte. Wenngleich der trockene Perfektionismus Kubricks postum aus allen Ecken des Films hervorlugt, ist er zugleich doch vielmehr der verzögerte Abschluss einer SciFi-Trilogie, die mit "Close Encounters" und "E.T." begann. Sogar thematisch bleibt "AI" jener Linie treu; am Ende sorgen freundliche Aliens, die lange nach dem endgültigen Kollaps der Menschheit auf der Erde landen, dafür, dass der jahrtausendelang wartende David seinen sehnlichsten Wunsch erfüllt bekommt.
Für mich ist "AI" durchweg formvollendet und einer der schönsten Filme Spielbergs, wobei ihm natürlich auch Kubricks spirituelle Präsenz zugute kommt. Die visuellen Qualitäten und set pieces des Films sind von nicht nur atemberaubender, sondern wegweisender Perfektion und auch nach elf Jahren immer noch komplett 'state of the art'. Allein die Darbietung der Vergnügungsstadt Rouge City ist ein zelluloidgewordener Traum in neon; in wechselseitiger Kombination mit der "Mad Max"-artigen 'Flesh Fairy', die so schön die ganze Tragik einer langfristig lebensunfähigen Menschheit widerspiegelt, ergibt sie sogar ein existenzialistisches Kaleidoskop.
Am Ende habe ich mich dann, einer armseligen Ratte gleich, mal wieder total einfangen lassen und die letzten fünfzehn Minuten hindurch geflennt, dass mir anschließend die Augen brannten. Ich konnte das, völlig reuelos, ich war allein mit mir und dem Film in regnerischer Dunkelheit. Ein geradezu intimes Erlebnis, das mir, so glaube ich, über Spielberg, den Menschen, Spielberg, den Filmemacher UND Spielberg, den regelmäßig an der Diskrepanz zwischen Anspruch und Umsetzung Scheiternden, nochmal ein zusätzliches Paar Augen geöffnet hat.

9/10

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SAVING PRIVATE RYAN (Steven Spielberg/USA 1998)


"Fubar."

Saving Private Ryan (Der Soldat James Ryan) ~ USA 1998
Directed By: Steven Spielberg

Juni 1944: Just nach der unter großen Verlusten bewältigten Invasion am Omaha Beach erhält Captain John Miller (Tom Hanks) den Spezialauftrag, einen Private names Ryan (Matt Damon) ausfindig zu machen und umgehend nach Hause zu schicken. Ryans drei Brüder sind allesamt im Kampf gefallen und die Kommandatur möchte der Mutter weiteres Leid ersparen. Zusammen mit sieben Männern, darunter ein Hals über Kopf als Dolmetscher eingesetzter Corporal (Jeremy Davies) ohne jegliche Kampferfahrung, zieht Miller Richtung Inland, um Ryan aufzutreiben...

Als Regisseur leistet Spielberg erneut Vorzügliches, Inszenierung und historisch-moralischer Anspruch entfernen sich im Falle "Saving Private Ryan" jedoch soweit voneinander wie bei keiner anderen seiner Arbeiten. Als narrative Klammer präsentiert der Film und eine vor bleichem Sonnenlicht wehenden US-Flagge, und endet mit dem gealterten James Ryan (Harrison Young), der in der Gegenwart vor Millers Soldatengrab salutiert. Mit dieser singulären Geste rechtfertigt der Film, möglicherweise auch unbewusst, nicht nur die globalschichtlich praktizierte Interventionspolitik der USA, sondern zugleich ihren noch immer unverhohlenen Selbstanspruch als Weltpolizei.
Die Diskrepanzschere klafft ausgerechnet hier, am Ende des Films, am Weitesten auseinander; zum Abschluss eines infolge seiner mitreißenden Actionszenen, die mit ihrem Realitätsanspruch Vergleichbares aus jedem anderen Kriegsfilm mühelos in den Schatten stellenden Werks. Die Inszenierung der Invasion vom 6. Juni, die einen ganzen Küstenabschnitt vor der Normandie in Blut taucht, ist, das weiß man, von denkwürdiger Intensität, Giovanni Ribisis Bauchschuss-Sterbeszene die einzige mir präsente Filmsequenz, bei der mir nachhaltig flau wird, die finale Schlacht um eine strategisch wichtige Brücke schließlich lässt berühmte Stadtschlachtszenen wie die in Kubricks "Full Metal Jacket" und Vilsmaiers "Stalingrad" förmlich 'alt' aussehen.
Dennoch: Am Ende ist und bleibt "Saving Private Ryan" ganz in den üblichen, hergebrachten Bahnen des dramaturgisierten Kriegsfilms stecken und ist damt nicht besser oder schlechter als zig andere sogenannte "Antikriegsfilme" aus Hollywod. Seine Sache macht er soweit also gut, aber die unmögliche Prolog-/Epilog-Zwangsjacke gräbt ihm unnötigerweise eine Menge Wasser ab.

7/10

Steven Spielberg WWII D-Day period piece Historie Frankreich


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AMISTAD (Steven Spielberg/USA 1997)


"Give us, us free!"

Amistad ~ USA 1997
Directed By: Steven Spielberg

Im Jahre 1839 bricht irgendwo vor der kubanischen Küste eine blutige Rebellion auf dem spanischen Sklavenschiff "La Amistad" aus. Dennoch landen die rund fünfzig Afrikaner unter der Führung des Mende-Kriegers Cinque (Djimon Hounsou) nach ihrer ersten Freistramplung nicht wie gewünscht wieder daheim, sondern vor der nordamerikanischen Westküste, wo sie umgehend in Gefangenschaft genommen werden. Es entbrennt ein gerichtlich ausgetragener Besitzstreit, der den Verbleib der angeblichen Sklaven bestimmen soll. Mehrere Parteien interessieren sich für sie, darunter auch die spanische Königin (Anna Paquin) und der Abolitionist Tappan (Stellan Skarsgård). Dieser engagiert den liberalen Junganwalt Baldwin (Matthew McConaughey) zur Verteidigung der Inhaftierten, deren Leidensweg jedoch trotz positiven Gerichtsentscheids in erster Instanz noch nicht zu Ende ist.

Noch ein schöner Film Spielbergs um ein düsteres Menschheitskapitel, inszeniert mit jenen gewohnt meisterhaft deklinierten Manipulationstechniken, die sich vor allem im Zuge der gezielten emotionalen Involvierung des Publikums manifestieren. In rein formaler Hinsicht nicht so vollendet wie "Schindler's List" gereicht der historisch adäquat umgesetzte "Amistad" seinem Regisseur dennoch zu aller Ehre. Man schaue sich im Vergleich nur Redfords ähnlich gelagerten, aber in jeder Hinsicht deutlich hinterherhinkenden "The Conspirator" an. Als perfekt besetztes, flammendes Plädoyer wider Unterdrückung und Repression handelt es sich bei "Amistad" zwar in erster Linie um ein - basal bestimmt misstrauisch zu beäugendes - pro-amerikanistisches Werk (Anthony Hopkins hält in einer meisterlichen Interpretation als John Quincy Adams eine handelsübliche, ausführliche Abschlussrede über die Verfassung, die freiheitlichen Grundrechte und die historisch-katalytische Notwendigkeit des bereits am Horizont aufziehenden Sezessionskrieges), es geht aber nicht zuletzt auch um die Geschichte jener fünfzig, in eine unwillkürliche Zweckgemeinschaft geworfenen Männer und Frauen, deren noch nichteinmal sklavenrechtlich legale Entführung von unbeschreiblicher Grausamkeit geprägt war. Ähnlich wie im Falle "Schindler's List" beweist sich Spielberg wiederum als auf seine spezielle Weise brillanter, konsequent seinen Weg gehender Chronist finsterer Epochen und schuf ein nach meinem Dafürhalten weiteres großartiges Werk, das kaum fünfzehn Jahre später beinahe aus dem kollektiven Bewusstsein und in der Versenkung verschwunden scheint. Mir total unverständlich.

8/10

Steven Spielberg Sklaverei Rassismus period piece Historie Seefahrt Courtroom Kolonialismus


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SCHINDLER'S LIST (Steven Spielberg/USA 1993)


"Whoever saves one life, saves the world entire."

Schindler's List (Schindlers Liste) ~ USA 1993
Directed By: Steven Spielberg

Der profitgierige Lebemann Oskar Schindler (Liam Neeson) kommt im Zuge der Wehrmachtsinvasion nach Krakau, macht sich dort mittels allerlei Zuwendungen zum Lieblingskind der SS-Spitze und kauft ein altes Fabrikgelände auf, um eine Emaille-Fabrik daraus zu machen. Als Arbeitskräfte beschäftigt er ausschließlich Juden aus dem Ghetton und dem späteren Arbeitslager Plaszow. Bei der Auswahl unterstützt ihn tatkräftig sein Buchhalter Itzhak Stern (Ben Kingsley). Mit der Ankunft des mordlustigen SS-Offiziers Amon Göth (Ralph Fiennes) in Krakau wird aus Schindlers Bemühen um seine jüdischen Werkstätigen ein steter Kampf, der seinen Höhepunkt findet, als die "Endlösung" mehr und mehr Gestalt annimmt: Zusammen mit Stern erstellt Schindler eine Liste von etwa 1.100 Menschen, die er angeblich als Arbeiter in einer neuen Munitionsfabrik bei Brünnlitz benötigt und die er so vor dem sicheren Tod in Auschwitz bewahrt.

Mit dem neben Polanskis "The Pianist" beeindruckendsten Spielfilm über den eigentlich höchst dramaturgiefeindlichen Themenkomplex 'Holocaust' schuf Spielberg sich nicht nur selbst ein filmisches Denkmal, sondern zugleich ein kulturelles Jahrhundertwerk. Er wagte es, das Unaussprechliche in karge Bilder zu kleiden, die unbändige Kraft des nackten Überlebenswillens und der Hoffnung ebenso zu zeigen wie die unbarmherzigen, existenzfeindlichen Vernichtungsmechanismen der Nazis. Dabei ist "Schindler's List" vor allem die Geschichte eines allmählichen Gesinnungswandels und die des Duells zweier dickköpfiger, schachernder Individuen, das über Gaskammern und Schornsteine hinweg über 1.100 Existenzen entscheidet, eine im Prinzip ungeheure Perfidie in einer Zeit, die nurmehr Perfidie kannte. Über Schindlers Person mag man sich streiten, über jenen notorischen Opportunisten, Fremdgänger, Säufer und Kapitalisten, der aus dem Krieg Profit schlägt, sich als NSDAP-Mitglied bei den Braunhemden anbiedert und später seine Ehe zerbrechen lässt. Nicht jedoch über seine Taten: Aus dem Egozentriker wird nach und nach ein Altruist, der sein für ihn so bedeutsames Hab und Gut sowie sein gesamtes zuvor erwirtschaftetes Geld opfert, um seine Liste durchzuprügeln bei dem geisteskranken Amon Göth, einem Mensch gewordenen Nazi-Albtraum par excellence.
Spielberg kassiert noch immer viel Kritik für seinen Ansatz, den Holocaust in massentaugliches Entertainment gekleidet sowie Humor und Spannung als dramaturgische Mittel in einem Film solcher motivischen Färbung verwandt zu haben. Blödsinn. Ein Werk wie dieses benötigt Popularität, keine elitären Rezipientenkreise. Er sollte von jedem gesehen und erfahren werden, zum Pflichtprogramm in Schulen gehören, am besten gleich mehrfach. Nicht, weil es sich um die treffendste kulturelle Abhandlung über die Judenvernichtung gehört, sondern gerade wegen ihrer unumständlichen Konsumierbarkeit. Selbstverständlich wäre es ebenso angeraten, "Le Chagrin Et La Pitié", "Shoah" oder "Hotel Terminus" zu sehen, aber es darf bei diesem Thema nicht um werkimmanente Ansprüche gehen. Es braucht keinen besonderen Rezeptionsgewohnheiten oder Bildungsghintergründe, um "Schindler's List" zu fühlen und zu begreifen; er verfügt über die nötige Kraft, sich selbst verständig zu machen. Gerade das macht ihn so ungeheuer kostbar.

10/10

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ALWAYS (Steven Spielberg/USA 1989)


"There's something fishy going on here, and I don't think it's the chicken."

Always ~ USA 1989
Directed By: Steven Spielberg

Just als der mutige Löschflieger Pete Sandich (Richard Dreyfuss) sein gefährliches Metier zugunsten seiner großen Liebe Dorinda Durston (Holly Hunter) aufgeben will, reißt ihn sein nächste Einsatz in den Tod. Doch Pete darf erst endgültig ins Jenseits entschwinden, wenn er als unsichtbarer Geist die letzten losen Enden seiner fleischlichen Existenz verknotet und außerdem den Nachwuchspiloten Ted (Brad Johnson) zu einer standfesten Karriere verholfen hat.

Dieses Remake von Victor Flemings "A Guy Named Joe", einem propagandistisch angehauchten Fliegerheldenepos aus den Tagen des Zweiten Weltkriegs, machte Spielberg vor allem sich selbst zum Gefallen. Gedacht als Hommage an all die jugendfreien Kitsch- und Abenteuerfilme, die seine Kindheit bestimmten, blieb er selbst hier ebenso klinisch sauber, sozusagen antiseptisch, wie das Studiokino zu Zeiten des production code und stellte damit einmal mehr die Krämerseele hinter dem längst geadelten Blockbusterregisseur zur Schau. Allein das Milieu der waldbrandbekämpfenden Feuerpiloten und -springer war um 1990 ein filmische Antiquität und spiegelt bereits im Vorhinein den obsolten Habitus wieder, der "Always" auszeichnet. Dann lernt man die bewusst stereotyp angelegten Charaktere kennen, die sich seit ihrer Originaleinführung 47 Jahre zuvor faktisch um keine Nuance verändert haben. Es gibt, besonderer Besetzungscoup, Audrey Hepburn als Engel in ihrem letzten Filmauftritt. Sowas konnte wiederum nur ein Spielberg zustande bringen, der ja bereits zum allgemeinen feuilletonistischen Entsetzen François Truffaut in einen seiner Geistesauswüchse zu locken gewusst hatte. Der Film selbst schließlich bleibt vor allem als hell, lichtdurchflutet und gänzlich harmlos im Gedächtnis, in seiner Bravheit beinahe anachronistisch, am Ende aber eben doch Spielberg durch und durch.

6/10

Steven Spielberg Montana Colorado Flugzeug Engel Joe Johnston


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CLOSE ENCOUNTERS OF THE THIRD KIND (Steven Spielberg/USA 1977)


"This means something. This is important."

Close Encounters Of The Third Kind (Unheimliche Begnung der Dritten Art) ~ USA 1977
Directed By: Steven Spielberg

Seit über dreißig Jahren vermisste Flugzeuge erscheinen bei Sonora, ein im Bermuda-Dreieck verschwundenes Schiff findet sich derweil in der Wüste Gobi an. In Indien entwickelt sich eine merkwürdige Sektenreligion und überall werden nächtens UFOs gesichtet, die Sonnenbrände auf den Gesichtern ihrer Beobachter hinterlassen, welche zudem fortan äußerst absonderliche Verhaltensweisen an den Tag legen. Auch wenn die Regierungen es leugnen und geheimzuhalten versuchen: Aliens sind dabei, Tuchfühlung mit der Menschheit aufzunehmen. Der Werksangestellte Roy Neary (Richard Dreyfuss) lässt sich nicht beirren und reist zum Devils Tower, einem Tafelberg in Wyoming, von der er permanente Visionen hat. Hier findet der erste Kontakt mit den Außerirdischen statt.

Als nicht nur rein optisches alter ego Spielbergs war Richard Dryefuss nach "Jaws" in "Close Encounters Of The Third Kind" wieder mit an Bord, diesmal als Agent einer Kleine-Jungs-Phantasie, die sich in eine Rolle als Auserwählter hineinträumt, der von Außerirdischen als Menschheitsabgesandter eingeladen wird. Der kulturelle Impact, der von "Close Encounters" ausging, ist gewaltig. Freundliche Aliens tragen bis heute im Massenbewusstsein exakt jenes Antlitz, das Carlo Rambaldi ihnen einst angedeihen ließ - als ätherische Lichtgestalten mit unverhältnismäßig großen Köpfen und Augen. Die Fünf-Ton-Folge, die als eine Art Gruß zwischen Menschen und Außerirdischen fungiert, vergisst niemand mehr, der sie einmal gehört hat.
"Close Encounters" ist ein seltsamer Film. Nach "Jaws" galt Spielberg bekanntermaßen als Regie-Wunderkind und kam dann ausgerechnet mit dieser abgehobenen Idee um die Ecke - einer Art Vulgärariante von "2001: A Space Odyssey", dennoch nur scheinbar tauglich für den unkomplizierten Massenkonsum, warum die Lunte riechende Universal damit auch nichts zu tun haben wollte und Spielberg seinen bis heuer einzigen Film für Columbia herstellte: eine am Ende nämlich auf epische Länge gestreckte, minutiöse Charakter- und Familienstudie, die, abgesehen vielleicht von ihrer Irrealis, im Prinzip nochmal voll in die New-Hollywood-Kerbe schlug, derweil Spielbergs Freund George Lucas bei der Konkurrenz die Wookie-Puppen tanzen ließ um das Studiokino endgültig zu refamiliarisieren. Diverse, sich bei Spielberg immer wieder anfindende Motive, sind hier bereits latent bis akut vorhanden: Die Familie als unerschütterliche, humane Institution, vorstädtisches Zusammenleben, die Angst vorm Militär als unberechenbare Staatsgewalt, der intellektuell ausgeformte, aber schwache Wisseschaftler, Kinder als Medien, Haushaltsgeräte, die bedrohliches Eigenleben entwickeln. Ungewöhnlich derweil, dass Richard Dreyfuss Frau und Kinder ziehen lässt, um seiner "Mission" nachzugehen und mit der alleinerziehenden, verständigen Melinda Dillon möglicherweise einen späteren Neuanfang begehen wird. Solcherlei Realismus wird beim späteren Spielberg stoisch ausgeblendet.

8/10

Steven Spielberg Indiana Wyoming Familie Aliens Verschwörung Militär Hal Barwood


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THE GAME (David Fincher/USA 1997)


"Discovering the object of the game is the object of the game."

The Game ~ USA 1997
Directed By: David Fincher

Ohne es zu merken, ist der Investment-Banker Nicholas Van Orton (Michael Douglas) zu einem einsamen und verbitterten Zyniker geworden, dessen einziger Lebenssinn nunmehr in seiner Arbei besteht. Damit tritt er zugleich die Erbfolge seines Vaters (Charles Martinet) an, der einst im Alter von 48 Jahren - just dasselbe, das Nicholas soeben erreicht hat - den Freitod suchte. Ein Geburtstagsgeschenk seines Bruders Conrad (Sean Penn) scheint da für etwas Abwechslung zu sorgen. Ein ominöses Spiel, das die mysteriöse Firma CRS feilbietet und das Nicholas' Lebensalltag gehörig umkrempelt.

Abgesehen davon, dass "The Game" etwas unter seiner inhaltlichen, teilweise doch recht abenteuerliche Ausmaße annehmenden Konstruiertheit zu leiden hat, ist er ein hervorragender Schauspieler- und ein noch exzellenterer Regiefilm. Fincher kreiert mittels jener ihm typischen, schwarz-glänzenden Stilisierung eine ähnlich verstörende, nebulöse Atmosphäre wie bereits in "Se7en"; die Welt steht urplötzlich Kopf, niemandem kann mehr vertraut werden, alles ist bedrohliche Verschwörung, alles möglich. Michael Douglas präsentiert wie zufällig eine psychologische Weiterentwicklung seiner großen Oscar-Rolle des Gordon Gekko, der bei Fincher zu einem kompletten Misanthropen reduziert wird, der nicht mal mehr in der Gier noch Befriedigung findet. Die latente Depression hat sich bei ihm bereits durchs Hintertörchen eingeschlichen und es ist nurmehr eine Frage der Zeit, wann die letzte Sicherung durchbrennt, sich die Erkenntnis über ein verpfuschtes Leben Bahn bricht und Nicholas Van Orton es seinem suizidalen Vater gleichtut.
Über die Wendungen, die das Spiel nimmt, die minutiöse Planung der Hinterleute, die jede Reaktion ihrer Protagonisten steuern und vorhersehen können, lässt sich wohl trefflich diskutieren. All das ist am Ende jedoch nebensächlich. Die so einfache wie lebensbejahende Botschaft des Films ist wichtig: Genieß' dein Leben, du hast nur eines. Darum sollte "The Game" auch zum stelleninternen Pflichtprogramm eines jeden Firmenmanagers erklärt werden.

8/10

David Fincher Hochfinanz San Francisco Mexiko Brüder





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