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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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FEAR X (Nicolas Winding Refn/DK, UK, CA, BR 2003)


"Stay on him, here I go."

Fear X ~ DK/UK/CA/BR 2003
Directed By: Nicolas Winding Refn

Der Wachmann Harry Caine (John Turturro) fällt in eine tiefe Depression, nachdem seine schwangere Frau Claire (Jacqueline Ramel) ohne ersichtlichen Grund in der Tiefgarage jenes Einkaufszentrums, in dem Harry arbeitet, erschossen wurde. Sein Leben widmet er fortan allein der Suche nach dem Täter und dem Grund für Claires Tod. Als er endlich eine heiße Spur erhält, die ihn nach Montana führt, steht Harry bald Claires reuigem Mörder (James Remar) gegenüber.

Nach einer längeren Pause war "Fear X" Winding Refns dritter Film nach den in Dänemark entstandenen "Pusher" und "Bleeder". Hier arbeitete er erstmals mit einer internationalen, anglophonen Besetzung, die die drei aus diversen renommierten Indie-Produktionen bekannten Darsteller John Turturro, Deborah Kara Unger und James Remar vereinte. Für ein Werk, das rein karrieristisch dazu angetan war, Winding Refn eine zunehmende Popularität zu verschaffen, ist "Fear X" faktisch eine bare Frechheit. Sperrig, provozierend langsam, unverständig und interpretationsbedürftig gibt sich Refn hier, nachdem seine ersten beiden Filme noch eher als zumindest erzählerisch straighte Gangster- bzw. Großstadtramen durchgingen. In "Fear X" widmet sich der Filmemacher ganz einer bleiernen Antibeweglichkeit mitsamt langen Einstellungen und reduziertem Dialog, die zudem auf klassische Narrationsformeln verzichtet und noch die Chuzpe besitzt, den Zuschauer am Ende zum Komplizen ihrer verworrenen Gestalt zu machen. Das Publikum quittierte dieses Experiment mit nicht minder reaktiver Ignoranz. Abseits von einer kleinen Schar Eingeweihter, die mit seinem Namen und seiner Unvorhersehbarkeit als Filmemacher hauszuhalten wussten, mochte sich kein Mensch "Fear X" im Kino ansehen und die erste Inkarnation von Winding Refns Produktionsgesellschaft "Jang Go Star" ging in die Pleite. Die mittlerweile auch schon neun Jahre alte Hinterlassenschaft dieses Films lässt sich vor allem anhand ihrer erstaunlichen Eigenwilligkeit und Konsequenz festmachen. Von "Valhalla Rising" und "Drive" steckt hierin jedenfalls schon eine Menge.

8/10

Nicolas Winding Refn Hubert Selby Jr. Wisconsin Montana Surrealismus


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A DANGEROUS METHOD (David Cronenberg/CA, UK, D, CH 2011)


"You ought to go there and beat her up."

A Dangerous Method (Eine dunkle Begierde) ~ CA/UK/D/CH 2011
Directed By: David Cronenberg

Im Jahre 1904 kommt die jüdische Russin Sabina Spielrein (Keira Knightley) als Patientin zu dem Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung (Michael Fassbender), der ihre Obsession, die auf ein Missbrauchstrauma aus frühester Kindheit zurückgehen, mit viel Geduld und via Gesprächstherapie kann. Parallel zur sich mehr und mehr intensivierenden Beziehung zwischen Arzt und Patientin korrespondiert Jung mit seinem älteren Wiener Berufsgenossen Professor Freud (Viggo Mortensen), der Jung den freigeistigen Analytiker Otto Gross (Vincent Cassel) als Patient zuschanzt. Gross' Sicht der Dinge hinterlässt tiefen Eindruck bei Jung, der sich schließlich in eine Affäre mit Sabina stürzt. Als Freud davon erfährt, bricht er mit Jung, dem er neben dieser Art beruflicher Unprofessionalität dessen Liebäugeleien mit der Parapsychologie nicht nachsehen mag.

Ein den historischen Kinderschuhen der Psychoanalyse gewidmetes Kostüm- und Historiendrama, das man in der vorliegenden Form viel eher als dem Œuvre eines Regisseurs wie Miloš Forman entstammend vermuten würde denn der Linse Cronenbergs entsprungen. Als sein bis dato unradikalstes und selbst für eine auf Kulturausflug befindliche Seniorengruppe goutierbares Werk ist "A Dangerous Method" vor allen Dingen eines: gepflegt. Reizschwellen jedweder Natur werden hier nicht angestoßen, ein bisschen Popoklatschen auf wallenden Leingewändern dürfte wohl niemand mehr als schockierend empfinden. Nun mag der eine oder andere traditionsbewusste Cronenberg-Anhänger sich angesichts dessen wahlweise etwas verprellt oder gar im Stich gelassen fühlen; tatsächlich jedoch weist die allgemeine Tendenz in des Altmeisters Schaffen bei genauerer Betrachtung bereits seit längerem in diese Richtung. Mit psychischen Defekten und Psychiatrie beschäftigte sich der Filmemacher bereits ("Spider"), ebenso mit gleichermaßen verzerrten wie verzehrenden Romanzen ("M. Butterfly", "Crash") Man bedenke schließlich, dass der Mann annähernd siebzig Lenze zählt und mit solchen erwartungsgemäß nicht mehr den wilden Maxe zu markieren braucht.
In seiner Eigenschaft als Milieuschilderung der mitteleuropäischen psychiatrischen Arroganzia ist "A Dangerous Method" jedenfalls vortrefflich; es wird auf Teufel komm' raus herum- und queranalysiert - so dass unumwunden naheliegende Vermutungen wie jene "Freud schreibt bloß deshalb jede Art von Neurose dem Sexualitätskomplex zu, weil er selbst zu wenig davon hat" eine recht witzige Konnotation erhalten. Ferner nährt der Film die alte Binsenweisheit, dass jeder angehende und bereits ausgelernte Psychologe den Beruf vor allem deshalb ergreift, um eigene Komplexwurzeln zu ergründen. Wie man jene These am Ende bewertet, überlässt Cronenberg allerdings der Mündigkeit seines psychisch hoffentlich ausgewogenen Publikums.

7/10

David Cronenberg Wien period piece amour fou C.G. Jung Sigmund Freud Psychoanalyse Psychiatrie Zürich Biopic


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CASTAWAY (Nicolas Roeg/UK 1986)


"Hollow... hollow."

Castaway ~ UK 1986
Directed By: Nicholas Roeg

Die junge Londonerin Lucy Irvine (Amanda Donohoe) antwortet auf eine Zeitungs-Annonce des wesentlich älteren Gerald Kingsland (Oliver Reed). Dieser will ein Jahr allein mit einer Frau auf einer unbewohnten Insel im Südpazifik verbringen, um zu testen, ob die vermeintlichen 'Segnisse' der Zivilisation verzichtbar sind, oder nicht. Um ihr "Experiment" offiziell durchführen zu können, müssen die beiden heiraten - für den bereits geschiedenen Gerald kein Problem, für Lucy eine eigentlich unvorstellbare Situation. Dennoch kommt man überein. Nach anfänglich paradiesischen Wohlfühlphasen auf der Insel Tuin folgen bald Hunger, Entbehrung, Krankheiten und sexuelle Notstände. Nach dem vollbrachten Jahr gehen Lucy und Gerald wieder eigener Wege, gleichermaßen glücklich und traurig, den jeweils anderen hinter sich lassen zu können und zu müssen.

Szenen einer Ehe Redux - basierend auf tatsächlichen Ereignissen und einem autobiographischen Roman Lucy Irvines drehte Roeg diese zivilisationskritische Parabel über die Unmöglichkeit, als angepasste Menschen der achtziger Jahre ohne Mindestkomfort glücklich werden, geschweige denn überleben zu können. Dabei drehen sich die Sehnsüchte Lucys und Geralds, basierend auf ihren demografischen, sowie Geschlechts- und Altersdifferenzen um jeweils völlig unterschiedliche Zentren. Während Gerald das lockere Leben liebt und sich seinen Aufenthalt auf Tuin als permante Faulenzer- und Rammelorgie vorstellt, geht es Lucy tatsächlich um Fragen der Ökonomie und Enthaltsamkeit. Stoisch verweigert sie dem geilen Gerald den Geschlechtsverkehr und ganz schleichend tauschen sich parallel zu ihrem körperlichen Verfall infolge von zwischenzeitlichem Trinkwasser- und Nahrungsmangel ihre Prioritäten. Am Ende ist es Lucy, die den Rückweg in die Zivilisation fürchtet und Gerald kann gestärkt und frei von Depression neue Lebenswege auskundschaften.
Die Kritik befand "Castaway" oftmals als schleppend, zäh und langweilig, was sich einem Roeg-Film faktisch immer vorwerfen lässt, sofern einem der richtige Zugang fehlt. Nicolas Roeg macht Filme, die sensuell erfahrbar sein und nicht einfach nur gesehen werden wollen. Damit machen sie es ihrem Publikum nicht leicht, sondern fordern im Gegenteil eine spezifische Breitschaft von ihm ein. Das macht sie gewissermaßen arrogant und elitär für die Einen, für ihre Freunde jedoch zum Hochgenuss. "Castaway" bildet da keine Ausnahme. Ebensowenig wie ich.

8/10

Insel Aussteiger Ehe Parabel Cannon Australien Pazifik Nicolas Roeg Robinsonade


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PARENTHOOD (Ron Howard/USA 1989)


"Women have choices, and men have responsibilities."

Parenthood (Eine Wahnsinnsfamilie) ~ USA 1989
Directed By: Ron Howard

Vater werden ist nicht schwer - Vater sein dagegen sehr, wie man seit Menschengedenken weiß, und für Gil Buckman (Steve Martin), Familienvater dreier Sprösslinge (Jasen Fisher, Alisan Porter, Zachary Lavoy), Bruder dreier mehr oder minder problembehafteter Geschwister (Dianne Wiest, Harley Jane Kozak, Tom Hulce), Sohn, Schwager, Onkel und was sonst noch alles, gilt jene Weisheit im Überfluss. Er selbst wirft seinem Dad (Jason Robards) vor, einst bei seiner Erziehung einen lausigen Job gemacht zu haben - und steht jetzt selbst vor dem Problem, dass sein Ältester Kevin (Fisher) eine Sonderschulempfehlung am Hals hat wegen emotionaler Instabilität. Hinzu kommen all die Probleme und Problemchen, die seine Schwestern und sein jüngerer Bruder am Halse haben, und jene sind ebenfalls nicht zu unterschätzen...

Kann sein, dass, hätte ich "Parenthood", dessen deutscher Titel eine ausgemachte Frechheit ist, jetzt erstmals gesehen, ihn etwas zu süßlich fände. All das mittelständische Herumgeplärre kämpft nämlich mit der stetigen Gefahr der inhaltlichen Belanglosigkeit und scheut darüber hinaus auch nicht Klischee und Kitsch. Die Figuren sind durch die Bank geprägt von Stereotypismen bzw. trauter US-amerikanischer Gleichmacherei. Das schwarze Schaf der Familie ist nicht ohne, aber auch nicht so verdorben, dass man sich seinetwegen größere Sorgen machen müsste. Die meisten Anderen sind leicht neurotisch, jedoch unter entsprechenden Rahmenbedingungen. Der Opa ist ein Bilderbuch-Patriarch, die Uroma lustig verkalkt. Ansonsten halten alle samt und sonders irgendwie zusammen und demonstrieren somit die Stärke von Blutbanden. Am Ende sprießt dann der multiple, frühlingsgebundene Nachwuchs in Form lauter kleiner neuer Babys, die das republikanische Erbe ihrer Ära irgendwie weitertragen und selbst dereinst für neue Generationen kleiner Republikaner sorgen werden. Die dazugehörige Szene ist übrigens wirklich herzrührend und zu Randy Newmans unterlegter Musik großartig montiert. Nun kenne ich "Parenthood" aber schon so lange wie er alt ist und darf ihn als einen Evergreen bezeichnen, der mich seit gut zwanzig Jahren immer wieder aus der Alltagslethargie reißt. Ein kleiner, persönlicher Klassiker eben, dem ein halbwegs nüchternes Gerechtwerden durch meine Wenigkeit leider völlig versagt bleiben muss. Weil ich ihn, trotz seiner nicht wenigen Schwächen, unheimlich lieb habe. Wegen seiner traumhaften Besetzung in ungetrübter Höchstform und wegen Randy Newmans Titelsong. Und Joaquin hieß damals tatsächlich noch 'Leaf'.

8/10

Ron Howard Familie Kinder Ensemblefilm Midlife Crisis


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STAND BY ME (Rob Reiner/USA 1986)


"I never had any friends later on like the ones I had when I was twelve."

Stand By Me ~ USA 1986
Directed By: Rob Reiner

Angesichts der Ermordung seines Jugendfreundes Chris (River Phoenix) erinnert sich der Schriftsteller Gordie Lachance (Richard Dreyfuss) an seine Kindheitsjahre, in denen er (Wil Wheaton) sich zusammen mit seinen drei besten Freunden Chris, Teddy (Corey Feldman) und Vern (Jerry O'Connell) auf die abenteuerliche Suche nach der Leiche eines gleichaltrigen Jungen macht. Der schlussendliche Fund des Toten wird zu einer biographischen Zäsur für alle Beteiligten.

Ich habe das große Glück, mit Stand By Me aufgewachsen zu sein. Als ich den Film seinerzeit mit meinem besten Freund im Kino gesehen habe, waren wir etwa imselben Alter wie Gordie, Chris,Teddy und Vern und deswegen ebenso weltverständig und emotionsoffen, wie es elf- und zwölfjährige Jungs eben sind, bevor Mädchen und Bier zu den existenzbestimmenden Themen werden. Einen besseren Zeitpunkt für die Premiere von Reiners wahrscheinlich schönstem Film kann ich mir im Nachhinein jedenfalls nicht vorstellen. "Stand By Me" hat mich im Laufe der letzten 25 Jahre stets begleitet und ist nie wieder von meiner Seite gewichen. Die Perspektive allerdings hat irgendwann ganz unmerklich von dem jungen hin zum alten Gordie gewechselt, dessen Blick auf seine Kindheit und jenes zugleich so schöne wie morbide Erlebnis auf der Straße zum Erwachsenwerden ja ebenso nostalgieverklärt sind wie die eigenen Rückblicke, die man, um diverse Erfahrungen reicher und gereifter, so pflegt. Diese universelle Erzählsprache, die nicht allein Stephen Kings Vorlage "The Body", sondern auch dem filmgenuinen Script und natürlich Reiners brillanter Inszenierung zuzuschreiben ist, die witzige popkulturelle Zitate pflegt und die die Musikhits der Zeit hörbar macht, ist es, die "Stand By Me" erst zu seiner speziellen Empathie und seiner so gemeinverständlichem Persönlichkeit verhilft. Ganz davon abgesehen, dass er einen der besten mir bekannten Filme über Freundschaft und Unschuldsverlust darstellt.

10/10

period piece Coming of Age Stephen King Rob Reiner Oregon Freundschaft Road Movie


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JEDER FÜR SICH UND GOTT GEGEN ALLE (Werner Herzog/BRD 1974)


"Ein schönes Protokoll, ein gutes Protokoll. Solch ein Protokoll gibt es nicht alle Tage!"

Jeder für sich und Gott gegen alle ~ BRD 1974
Directed By: Werner Herzog

In der Stadt Nürnberg wird am 26. Mai des Jahres 1828 ein junger Mann (Bruno S.) auf einem Dorfplatz vorgefunden, der einen schwer verwahrlosten Eindruck macht. Aus dem bisschen Geschreibe, das der Findling zu kritzeln im Stand ist, wird ersichtlich, dass sein Name 'Kaspar Hauser' lautet. Offenbar, so erfährt man, nachdem Kaspar gelernt hat, mit der Außenwelt zu kommunizieren, habe er sein ganzes bisheriges Leben in einem dunklen Verlies zugebracht und sei schließlich von einem ihm unbekannten Mann (Hans Musäus) hierher geführt worden. Den aufrechten Gang und seine spärliche Schreibfähigkeit habe er von dem Unbekannten erlernt. Nacheinander nehmen sich zunächst der Gefängnisaufseher Hiltel (Volker Prechtel) und dann der Theologe Daumer (Walter Ladengast) Kaspars an. Zwischenzeitlich muss er, um für seinen Unterhalt zu sorgen, auch in einer Kuriositätenschau auftreten und wird überhaupt zu einer lebenden Legende, der man unter anderem bald eine mysteriöse adslige Herkunft andichtet. Nur fünf Jahre nach seinem Erscheinen wird Kaspar schließlich von jenem Unbekannten, der ihn einst nach Nürnberg brachte, erstochen.

Für das historische Teilprogramm des Neuen Deutschen Films bildete das Sujet "Kaspar Hauser" ein willkommenes Gepräge, eignete es sich doch vortrefflich, um Parallelen zur sich gegenwärtig einnistenden Post-Wirtschaftswunder-Spießigkeit im geteilten Deutschland der frühen Siebziger zu ziehen und jene dann mittels einer wunderbar abseitigen Mischung aus Tragödie und eigenwilligem Humor filmisch aufzubereiten. Herzog zaubert purste Poesie aus dem Hut, wenn er immer wieder scheinbar unmotivierte bildliche Zäsuren auftischt: wogende Weizenfelder und Abendhimmel vorzeigt, einen Hag im sich brechenden Dämmerlicht oder vorgeblich Beiläufiges wie dumm stierende Passanten und Gaffer. Hier zeigt sich die grandiose Beobachtungsgabe, die vielen Regisseuren des deutschen Autorenfilms zu eigen war nebst ihrer Fähigkeit zur trockenen Kommentierung. Grandios die Einstellung, in der der fabulierfreudige Zirkusdirektor (Willy Semmelrogge) Kaspar als Höhepunkt seiner menschlichen Exoten vorstellt, die erst Farbe durch den vollends seiner Dichtung zuzuschreibenden Anekdotenreichtum bekommen. Die folgende Flurflucht der Gesellen, zu denen auch ein angeblich miniaturisierter König, ein "Mozartkind" und ein Flöte spielender Indianer zählen, wirkt wie eine Rebellion im Käfig. Und immer wieder betreten obskure Gestalten die Szenerie; ein Mathematiker (Alfred Edel), der mittels angeblich logischer Zusammenhänge Kaspars Geisteszustand zu untersuchen probiert, engstirnige Kirchenmänner (u.a. Enno Patalas) und, meine persönliche Lieblingsfigur, der alles wiederholende, kleinwüchsige Protokollant. Sehen, hören, staunen - geht hier alles.

9/10

Werner Herzog Biopic Kaspar Hauser Historie period piece Nürnberg Parabel Biedermeier


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THE BRIDGE ON THE RIVER KWAI (David Lean/USA, UK 1957)


"You're two of a kind, crazy with courage. For what? How to die like a gentleman. How to die by the rules - when the only important thing is how to live like a human being!"

The Bridge On The River Kwai (Die Brücke am Kwai) ~ USA/UK 1957
Directed By: David Lean

Thailand, 1943. Als der ein mitten im Urwald liegendes Kriegsefangenenlager kommandierende Colonel Saito (Sessue Hayakawa) den britischen Oberst Nicholson (Alec Guinness) und dessen Regiment übersandt bekommt, ahnt der fanatische, japanische Offizier nicht, dass ein ihm in punkto Dickköpfigkeit ebenbürtiger Duellant ins Haus steht. Nicholson weigert sich strikt, Saitos der Genfer Konvention widersprechender Anordnung, derzufolge auch die Offiziere beim geplanten Bau einer Brücke über den Fluss Kwai körperlich arbeiten sollen, Folge zu leisten. Dafür wird er geschunden und gefoltert, kann sich am Ende jedoch gegen Saito, der die Brücke termingerecht fertiggestellt bekommen muss, durchsetzen. Damit nicht genug wird der Brückenbau bald zu Nicholsons höchstpersönlicher Obsession und zu einem widersinnigen Symbol für den ungebrochenen Kampfgeist der britischen Armee. Der aus Saitos Lager entkommene Amerikaner und Hochstapler Shears (William Holden) erhält schließlich den Auftrag, Nicholsons Brücke im Zuge eines waghalsigen Kommandounternehmens zu sprengen...

Mit "The Bridge On The River Kwai" begann ein neuer Abschnitt in der Regisseurs-Karriere David Leans. Bereits populär geworden durch einige, vergleichsweise spartanisch gefertigte britische Kunstwerke, fertigte Lean ab 1957 nurmehr große, prachtvolle Historienepen mitsamt Überlänge und Breitformat, die ihm jeweils immer gigantischere Meriten eintrugen und immer ausgedehntere kreative Pausen nach sich zogen. Dies hatte zur Folge, dass Lean in den knapp drei Dekaden zwischen 1957 und 1984 nur fünf Filme inszenierte, wobei der Abstand zwischen den letzten beiden immerhin satte vierzehn Jahre betrug. Die sich leicht als Trilogie um angeknackste Helden im Clinch der Geschichte lesen lassenden ersten drei Meisterwerke dieser absoluten Phalanx großer Kinokunst beginnt eben mit "The Bridge On The River Kwai", einem Kriegsopus, das um ganze fünf in Identitätskrisen befindliche Männer kreist. Da sind der japanische Offizier Saito, dessen Lebensmaxime sich gänzlich aus dem Bushidō speist, sein in berufsethischer Hinsicht nicht minder verbohrter, englischer Berufsgenosse Nicholson, dessen bürokratische Kriegssicht ihn langsam den Verstand kostet, der flapsige und zynische Amerikaner Shears, ein reiner Opportunist und Antiheld, schließlich der wiederum fanatische Brite Warden (Jack Hawkins), prinzipiell ein Bruder Nicholsons im Geiste, am Ende jedoch dessen letztes Verhängnis und schließlich der Sanitätsoffizier Clipton (James Donald), der einzige Mann dieses Quintetts, der eine klare Sicht der Dinge wahren kann. Abseits von der sorgfältig ausgearbeiteten und jeweils brillant dargestellten Charakterzeichnung dieser Figuren sowie einem allgegenwärtigen Galgenhumor wirft Lean natürlich auch diverse Schauwerte in die Waagschale, man denke nur an die ausufernde Natursymbolik - beispielsweise die bei einem Dschungelgefecht aufsteigenden Scharen von Fledermäusen.
Die kulturelle Hinterlassenschaft dieses großen Kunstwerks zuvorderst: "The Bridge On The River Kwai" ist ein Film, an dem man aufgrund seiner perfekten Stimmigkeit und Balance auch nach 55 Jahren rein gar nichts ändern möchte.

10/10

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TWELVE O'CLOCK HIGH (Henry King/USA 1949)


"I think I shall stay drunk until I'm not confused anymore..."

Twelve O'Clock High (Der Kommandeur) ~ USA 1949
Directed By: Henry King

Nachdem Colonel Keith Davenport (Gary Merrill) sich emotional allzu sehr in die Führung der noch frisch in England stationierten 918. Bomberstaffel der USA Air Force hat involvieren lassen, wird er seines Kommandos enthoben. An Davenports Stelle tritt sein guter Freund General Savage (Gregory Peck), der sich vornimmt, einen anderen, deutlich härteren Kurs als Davenport einzuschlagen, was ihm zunächst auch gelingt. Recht bald muss Savage jedoch einsehen, dass sture Geradlinigkeit und menschliche Wärme sich tatsächlich nur schwer auf denselben Nenner bringen lassen.

In einer der besten und differenziertesten Darstellungen, die man von ihm genießen kann, gibt Gregory Peck in diesem Film seines Hausregisseurs Henry King den symbolisch getauften Offizier Frank Savage, der als couragierter Schreibtischhengst ein grandioser militärischer Analytiker sein mag, dessen weicher Kern unter rauer Schale jedoch bald sichtbarer wird als es ihm lieb ist. Als sich unter schweren anfänglichen Interferenzen erstmal die richtige Wellenlänge zwischen ihm und seinen Männern eingestellt hat, beginnt er, exakt dieselben "Fehler" zu machen wie sein Vorgänger und Freund Keith Davenport und bezahlt sein immenses Verantwortungsbewusstsein und den humanistischen Sieg der Empathiefindung mit einem schweren Nervenzusammenbruch, die wiederum eine Kommandoablöse fordern. "Twelve O'Clock High" geht es weniger um die Darstellung des Kriegs als Männerabenteuer, wie es zu dieser Zeit etwa diverse Filme mit John Wayne zu praktizieren pflegten, sondern um die durchaus differenzierte Darstellung des Militärpersonals als austauschbare Zahnrädchen. Menschlichkeit ist für die Stabsführung ein Fremdwort und sollten dioe Sympathien doch einmal allzu innig und damit professionalitätsgefährdend werden, ist ein personneler Wechsel vonnöten. Ähnlich wie später "Saving Private Ryan" gestaltet sich Kings Film in Rückblendenform und ähnlich wie Spielbergs eher von Schauwerten dominiertes Drama nimmt sich "Twelve O'Clock High" heraus, heroischem Soldatenrum eine kleine Heldenballade zu stiften. Nur nimmt man dies hehre Ansinnen dem vorliegenden Werk allein aufgrund seiner periodischen Verbundenheit als wesentlich authentischer ab.

9/10

Henry King WWII Luftkampf England Freundschaft


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PARTY GIRL (Nicholas Ray/USA 1958)


"No, no. Not with me, fella. Not with Rico Angelo."

Party Girl (Das Mädchen aus der Unterwelt) ~ USA 1958
Directed By: Nicholas Ray

Chicago in den frühen dreißiger Jahren: Der verkrüppelte Mobster-Anwalt Tommy Farrell (Robert Taylor) lernt auf einer Party von seinem Boss Rico Angelo (Lee J. Cobb) die Tänzerin Vicki Gaye (Cyd Charisse) kennen. Der eiskalte Teufelsadvokat und die heiße Schönheit ziehen sich wechselseitig an, was eine aufrichtige Liebesgeschichte zur Folge hat. Diese lässt den vormals zynischen Farrell sein Metier überdenken und bald zu dem Entschluss kommen, dass nur ein Ausstieg aus den mafiösen Elementen der Stadt eine aussichtsreiche Zukunft mit Vicki begünstigt. Damit ist Angelo jedoch alles andere als einverstanden. Als Farrell wegen einer Affäre um eines von Angelos Mündeln, den schießwütigen Cookie La Motte (Corey Allen), in Schutzhaft genommen wird, beginnt der sich um Farrells Aussage sorgende Angelo, Vicki zu bedrohen. Farrell weiß: Jetzt hilft endgültig nurmehr die Flucht nach vorn.

Ähnlich wie in "Johnny Guitar" entwirft Ray mit den vorherrschenden filmischen Mitteln der fünfziger Jahre - Technicolor und CinemaScope - eine gestalterische Augenweide, die das Zeug dazu hatte, ein schlafendes Hollywood-Genre zu reanimieren. Im Falle "Party Girl" war es das des Gangsterfilms. Warner hatte nach seiner großen Serie zeitgenössischer mobster movies in den Dreißigern auf diesem Gebiet kaum mehr etwas geleistet, von dem monströsen "White Heat" vielleicht einmal abgesehen. Stattdessen wurden die paar allenthalben herauskommenden Genrestücke formal zunehmend kärglich und entfernten sich mit ihrem moralethischen Zeigefinger und einem starken Hang zur Psychologisierung immer mehr von der flamboyanten Arbeitsweisen eines Mervyn LeRoy, Michael Curtiz oder Raoul Walsh. Nicholas Ray mühte sich jedoch häufig, mit seinen hochemotionalen, sich vor blühendem Camp nicht scheuenden Liebesgeschichten einen neuerlichen Gegenkurs einzuleiten und alte Traditionen mit aktuellen Mitteln wieder aufleben zu lassen. "Party Girl" schwelgt in Farben und Interieurs, kokettiert mit seinem alternden Protagonisten-Charmeur und spendiert Cyd Charisse nicht weniger als zwei ausufernde, jedoch stets bodenständig inszenierte Revueszenen, in denen die edle, damals bereits siebunddreißigjährige Schönheit viel von ihren beeindruckenden Beinen zeigen durfte. Was schert einen angesichts solch flirrender Erotik schon ein vorsätzlich karikierter Gangster, mag er auch von Lee. J. Cobb gespielt werden. Wobei, der ist natürlich auch toll. Wie so ziemlich alles an Rays Film.

9/10

Nicholas Ray period piece Chicago Mafia film noir


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JOHN AND MARY (Peter Yates/USA 1969)


"I can do that most efficiently. I can vanish."

John And Mary (John und Mary) ~ USA 1969
Directed By: Peter Yates

Am Morgen nach einer gemeinsam verbrachten Nacht sinnieren die beiden jungen New Yorker John (Dustin Hoffman) und Mary (Mia Farrow), ob es sinnvoll sein könnte, den jeweils anderen wiederzusehen. Immerhin haben sie sich erst am Abend zuvor kennengelernt und wissen noch so gut wie nichts übereinander. Im Laufe des folgenden Tages müssen sie einiges über sich selbst und ihre Lebensauffassungen lernen.

Der Manhattener Bourgeoisie und ihrer neuen, wagemutigen Auffassung von freier Liebe und Promiskuität hält "John And Mary" einen halbwegs konservativ getönten Spiegel vor. Rein koital orientierte Begegnungen, so versichert uns der Film, können auf Dauer auch sehr oberflächlich und abstumpfend sein; insofern sei es auch sehr viel besser, nach Stabilität und Vetrauen zu streben. Nun, immerhin stellen John und Mary (die sich erst ganz am Ende gegenseitig ihre Namen verraten und dabei kichern wie zwei verknallte Teenager) das puritanische Dogma auf den Kopf, demzufolge erfüllender Sex erst nach kirchlicher (oder staatlicher) Beziehungslegalisierung eintreten dürfte. Für 69 mag dieser antithetische Ansatz bereits etwas spät daherkommen, aber immerhin befinden wir uns hier im Hollywood-Film eines Traditionsstudios, das zeitlich parallel noch immer versuchte, die Realität mit den Farben knallbunter Musicals zu übertünchen. Abgesehen von seinem etwas obsoleten Beziehungsdiskurs kommt man aber immerhin in den Genuss so innovativer wie komplexer Narrationsstrukturen, die sich durch permanente Zeitwechsel und sogar Bewusstseinsströme infolge innerer Monolge auszeichnen. Schließlich sind da noch zwei vorzügliche, grandios miteinander harmonierende Hauptdarsteller.

7/10

Peter Yates New York New Hollywood One Night Stand Bohème





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