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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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AT CLOSE RANGE (James Foley/USA 1986)


"He's my father."

At Close Range (Auf kurze Distanz) ~ USA 1986
Directed By: James Foley

Erst als junger Erwachsener lernt der in einem Provinzkaff beheimatete Brad Whitewood Jr. (Sean Penn) seinen kriminellen Vater Brad Whitewood Sr. (Christopher Walken) kennen. Zunächst beeindruckt von der anarchistischen Coolness seines alten Herrn, der ihm unter anderem ein Auto schenkt, muss Brad Jr. bald einsehen, dass sein alter Herr ein gemeingefährlicher, opportunistischer Psychopath ist. Als Brad Jr. im Gefängnis landet, versucht sowohl das FBI ihn zu einer Aussage gegen seinen Vater zu bewegen, was dieser außerhalb der Knastmauern mit irrsinnigen Druckmitteln und einer Jagd auf die Freunde seines Sohnes quittiert, der schließlich sogar Brads Bruder Tommy (Chris Penn) zum Opfer fällt. Dennoch entschließt sich Brad Jr., mit seiner Freundin Terry (Mary Stuart Masterson) das Weite zu suchen. Doch sein Dad lässt ihn nicht so einfach gehen...

Ein jeder hat sie ja, diese Handvoll Filme, die einen, ganz ohne mit äußerem, grellem Naturalismus aufwarten zu müssen immer wieder, einem Pflasterstein gleich, mitten in die Fresse treffen und völlig fertig, ausgeblutet und schweigend zurücklassen. "At Close Range" hat jene ungeheure Wucht schon bei mir hinterlassen, seit ich ihn in den Achtzigern das erste Mal gesehen habe und er unmerklich und umweglos in meinen Lieblingsfilm-Olymp aufgestiegen ist, wo er bis heute ein, wie ich just wieder mal kopfschüttelnd bemerken musste, völlig unberechtigtes Schattendasein fristet. "At Close Range" geht an die Grenzen psychischer Belastbarkeit und darüber hinaus, ist ein ungeheuer kraftvoller Film, der das Fegefeuer der Oberflächlickeiten seiner Entstehungsphase komplett ignoriert und in eine ganz andere Richtung weist als all die gelackten Großstadtdramen dieser Zeit (wie etwa der unmittelbar zuvor gesehene "Against All Odds" von Taylor Hackford). Foley zeichnet die schwüle, südstaatliche US-Provinz als saftig-grüne Hölle, in der geheuchelte Blutsbande nichts mehr zählen, wenn es um Geld und Macht geht; hier tragen die Gangsterpatriarchen bestenfalls vor gericht Nadelstreifenanzüge und pflegen ihren angeblichen "Familien"-Habitus nur so lange, wie niemand ihnen gefährlich wird oder an ihrem Thron zu sägen droht. Christopher Walken habe ich niemals, selbst bei Ferrara, bedrohlicher erlebt als in diesem Film, in dem er einen Proleten-Patriarchen von zunächst bewundernswerter Lässigkeit gibt; ganz den ewig typischen Walken-Gestus vor sich hertragend. Irgendwann jedoch, als es ihm ans Leder zu gehen droht, explodiert Brad Whitewood Sr., benutzt, manipuliert, entpuppt sich als höchst irdener Appalachen-Derwisch, vergewaltigt die Freundin seines Sohnes, tötet schließlich gar seinen Jüngeren, den "Bastard", wie er den einst außerehelich gezeugten Tommy boshaft zu nennen pflegt. Zu einer solchen auratischen Intensität hat es der große Chris Walken - zumindest meinem subjektiven Empfinden nach - später nie mehr gebracht.
Ähnliches gilt für James Foley, dessen bis dato große Sternstunde dieser mit aller Macht an die Substanz seiner Zuschauerschaft gehende Film geblieben ist, wenngleich er seinen Stern mit der Mamet-Adaption "Glengarry Glenn Ross" immerhin nochmal aufflackern lassen konnte. Vermutlich liegt es daran, dass Foley ein Filmemacher ist, der seine kreative Klimax stets im Zuge reziproker Wechselseitigkeit erreichte. Wenn man sich dagegen einen ganz ähnlich angelegten, jüngeren Film wie "Winter's Bone" anschaut, weiß man wieder um das Potenzial dieses kleinen großen, hammerharten Monsters von Film.

10/10

James Foley Südstaaten Familie Freundschaft Appalachen Coming of Age Marihuana


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AGAINST ALL ODDS (Taylor Hackford/USA 1984)


"It's simple: either you want to play football again, or you don't."

Against All Odds (Gegen jede Chance) ~ USA 1984
Directed By: Taylor Hackford

Nachdem Footballstar Terry Grogan (Jeff Bridges) wegen einer Schulterverletzung aus dem Team fliegt, steht er zunächst mittellos da. Da engagiert ihn sein alter Freund, der Buchmacher Jake Weiss (James Woods), als Schnüffler: Terry soll in Mexiko Jakes Verflossener Jessie Wyler (Rachel Ward) nachspüren, die zufälligerweise auch die Tochter der Besitzerin (Jane Greer) von Jakes Ex-Team ist. Als sich Terry und Jessie begegnen, beginnen sie fast vom Fleck weg eine heftige Affäre, die ein abruptes Ende findet, als Jakes früherer Trainer Sully (Alex Karras) in Yucátan mit einer Pistole vor ihnen steht und von Jessie erschossen wird. Zurück in L.A. versucht Jake, Terry wiederum für seine miesen Geschäfte einzuspannen und ihn gleichermaßen von Jessie fernzuhalten.

Dass "Against All Odds" bis heute stets nur als flaues Remake des Tourneur-Klassikers "Out Of The Past" gehandelt zu werden scheint, wird ihm nicht gerecht. Zwar ist der Film eines jener so typischen Beispiele, die veranschaulichen, mit welch glitzernden Reiz-Methoden im Hollywood der Achtziger Kino gemacht, Oberflächen-Trends etabliert, gesetzt und weitergesponnen wurden (ein anderes zu nennendes Werk in diesem Zusammemhang ist McBrides "Breathless", bekanntlich ebenfalls die Transponierung eines völlig andersartigen Klassikers in die damalige Gegenwart), genausogut ist er jedoch auch ein hervorragendes Form-Exempel dieser Periode. Wenn die jeweils perfekt gebauten Jeff Bridges und Rachel Ward nackt in einem Maya-Tempel aufeinanderliegen um Liebe zu machen, beäugt von steinernen archaischen Götzenbildern, dann stellt sich rasch das befremdliche Gefühl ein, zwei ätherischen Retortenmenschen beim interstellaren Koitus zuzusehen und man wähnt, dass ausgemachter Körperkult heute keineswegs eine temporäre Modeerscheinung war und/oder ist. Überhaupt entpuppt sich der gesamte Film, wie besonders die schöne Schlusseinstellung demonstriert, am Ende als große Ode an die makellose Physis Rachel Wards, in die Taylor Hackford zu dieser Zeit ganz offensichtlich schwer verschossen war. Doch auch sonst hat "Against All Odds" seine Qualitäten: Die schwülen klimatischen Verhältnisse von L.A. und Mexiko passen hervorragend in diese Tage und waren sogar vordringlicher Grund, warum ich, gegenwärtig elend bett- und/oder couchlägerig, mir Hackfords Film mal wieder anschauen wollte. Neben Phil Collins' wunderschönem Titelsong freilich.
Man begehe bitteschön nicht den allseits zum Nachteil gereichenden Fehler, "Against All Odds" als bloße Neuadaption zu betrachten. Andernfalls nämlich langt er dazu, gehörig Eindruck zu schinden.

7/10

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STRAIGHT TIME (Ulu Grosbard/USA 1978)


"We'll check it out."

Straight Time (Stunde der Bewährung) ~ USA 1978
Directed By: Ulu Grosbard

Ehrlich zu werden ist nicht leicht, wenn der gönnerhafte Bewährungshelfer (M. Emmet Walsh) einen permanent unter Druck setzt, die alten Freunde (Gary Busey) fixen und auch sonst nichts vernünftig läuft. Genau diese Erfahrung macht der nach sechs Jahren Staatsgefängnis auf Bewährung freigekommene Räuber Max Dembo (Dustin Hoffman), der nicht lange fackelt, bevor er wieder ein Ding dreht und bereits größere Überfälle plant.

"Straight Time" zählt nicht nur zu den essenziellen L.A.-Filmen - ihm gebührt zudem das ungewöhnliche Kompliment, die Chuzpe zu besitzen, das kleinkriminelle, urbane Milieu als herzlich unromantische und unerstrebenswerte Realitätsfacette zu zeichnen, in der ungeschriebene Gesetze und Moralbegriffe herrschen, mit denen man als wohlgenährter Vertreter gemütlicher Gutbürgerlichkeit über das Kino hinaus nur ungern zu tun hätte.
Im Laufe des Films erfährt man viel über diesen Max Dembo, schon durch Dustin Hoffmans Präsenz anfänglich unausgesprochen sympathisch und als Identifikationsfigur eingeführt. Der Mann tut, wonach ihm just der Sinn steht; wenn's sein muss auch unter Gewaltanwendung und kennt keine Gnade, wenn man sein Vertrauen missbraucht. Er ientpuppt sich bei aller Cleverness als nicht nur asozial, sondern als waschechter Soziopath. Am Ende, nach einer nochmal visuell repetierten, langjährigen Knastkarriere, wartet auf Max Dembo nurmehr die Höchststrafe, und diese fällt in Kalifornien bekanntermaßen höchst unangenehm aus. Möglicherweise entschließt er sich aber doch nochmal anders und entkommt über die Grenze; diese moralische Wunschentscheidung zu fällen überlässt Grosbard seinem Publikum. Ebenso wie die Lesart, "Straight Time" als Reflexion über ein dysfunktionales Strafsystem zu begreifen. Oder einfach nur als grandioses Kleingangster-Drama.

9/10

Los Angeles Heist Ulu Grosbard New Hollywood Heroin Freundschaft


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PERFECT SENSE (David Mackenzie/UK, SE, DK, IE 2011)


"About Michael... I was right."

Perfect Sense ~ UK/SE/DK/IE 2011
Directed By: David Mackenzie

Weltweit verlieren die Menschen einen nach dem anderen ihrer Sinne. Einem jeweils intensiven Gefühlausbruch mit mehr oder minder fatalen Konsequenzen folgen nach und nach der Verlust von Geruchs-, Geschmacks und Gehörsinn, bis nurmehr Seh- und Tastsinn übrig bleiben - absehbar kurzer Halbwertzeit inklusive. Vor diesem zwangsläufig apokalyptischen Szenario lernen sich in Glasgow zwei beziehungsgefrustete Menschen kennen und lieben: Der Gourmet-Koch Michael (Ewan McGregor) und die Epidemologin Susan (Eva Green).

Allegorie über die Liebe in Zeiten der sensuellen Überbelastung: Reduziert auf den letzten Außenkanal des Fühlens und Berührens sollte die Menschheit endlich wieder zu ihrem Kern zurückfinden, so die Thetik des Films. Als sicherlich interessante Spielart der andauernden Virusfilm-Welle lässt sich "Perfect Sense" denn auch wirklich vorzüglich anschauen und genießen, wenngleich die Geschichte nicht gänzlich bzw. bis zur letzten Konsequenz durchdacht scheint. Offenbar scheint man - Scriptautor, Seuche oder höhere Macht, ganz egal wer - im Taumel der Sinnes-Freuden und -Unwägbarkeiten (dass "Perfect Sense" bei diesem Handlungsschauplatz ganz vorzüglich ausschaut, lässt sich denken) zumindest vor dem elementaren Sinn, dem des Tastens nämlich Halt zu machen bzw. ihn als letzte Kommunikationsmöglichkeit zu hinterlassen. Logisch ist das nicht eben, aber was soll's. Im Kern ist "Perfect Sense" mit seinem einfach-zweideutigen Titel ja immer noch eine Romanze. Und darin zählen bekanntlich keine harten Fakten. Außerdem bringt Mackenzie Renton und Spud wieder zusammen. Allein dafür gebührt ihm die goldene Methadonnadel.

7/10

David Mackenzie Apokalypse Parabel Glasgow Schottland Restaurant Virus


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THE FINAL CONFLICT (Graham Baker/UK, USA 1981)


"Nazarene, charlatan, what can you offer humanity?"

The Final Conflict (Barbaras Baby - Omen III) ~ UK/USA 1981
Directed By: Graham Baker

Mit 33 Jahren führt der lebende Antichrist Damien Thorn (Sam Neill) einen der weltweit größten Nahrungsmittel produzierenden Konzerne an. Seine Macht droht jedoch zu schwinden: Nicht nur, dass sich eine siebenköpfige Priester-Abordnung auf eigene Faust daran macht, einen Anschlag auf Thorn zu verüben, auch Christi Wiedergeburt steht der Erde bevor. Damien lässt wie einst Herodes von seiner beträchtlichen Jüngerschaft sämtliche zu einer bestimmten Stunde in Großbritannien geborenen, männlichen Säuglinge ermorden, um den neuen "Nazarener" noch im Kindbett auszuschalten, doch vergebens. Am Ende siegen endlich Licht und Güte.

Schon dadurch, dass der Originaltitel von Bakers Film die Bezeichnung "Omen" überhaupt nicht mehr in sich trägt, setzt sich der letzte Teil der Trilogie gehörig von den beiden Vorgängern ab. Bis auf einen Rottweiler und die wiederum Aufsehen erregenden (aber mit einer Ausnahme deutlich zurückhaltenderen) Todesmomente erinnert wenig an Donners und Taylors Satans-Visionen. "The Final Conflict" nimmt sich eher als ein gleichmütiges, kammerspielartiges Drama aus, das lediglich mit einem Fuß in der Phantastik steht. Baker enthält sich praktisch gänzlich der Exploitation-Momente der Vorgänger inszeniert mit gehobenem britischen Stilbewusstsein und lässt sein Werk fast schon ein wenig 'sophisticated' dastehen; Goldsmiths Musik ist hier besonders grandios geraten. Vor allem aber schaut "The Final Conflict" einfach toll aus mit seinen Ruralaufnahmen des zerklüfteten Cornwall und der frühlingshaften Grafschaften. Dass er den kapitalen Fehler des Vorgängers, zu wenig Drive an den Tag zu legen um der Genrefans Lieblingskind zu werden, wiederholt, ist wiederum schade, aber eben nicht zu ändern.

6/10

Graham Baker Sequel England London Satan Cornwall


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DAMIEN: OMEN II (Don Taylor/USA 1978)


"You know me to be a rational man, but what I'm about to tell you is not rational..."

Damien: Omen II ~ USA 1978
Directed By: Don Taylor

Der mittlerweile 13-jährige Damien Thorn (Jonathan Scott-Taylor) wächst bei seinem Onkel (Richard (William Holden), einem mächtigen Großindustriellen, und dessen zweiter Frau Ann (Lee Grant) auf. Von seiner wahren Herkunft ahnt Damien noch nichts, allerdings sind seine Wegbereiter und Förderer, wie Richard Thorns Vize Buher (Robert Foxworth) oder Sergeant Neff (Lance Henriksen), Damiens Ausbilder an der Militärakademie, ständig um ihn. Als der Junge realisiert, wer er wirklich ist, geht er nahezu ungerührt seinen Weg an die Spitze des Thorn-Konzerns.

Abgesehen von einer Vielzahl pompöser Tosesszenen, die in ihrer sadistisch-spekulativen Ausprägung freilich schon ein bisschen die Manier der "Final Destination"-Serie vorwegnehmen, schippert das erste "Omen"-Sequel in eher ruhigen Gewässern. Dass des Teufels Filius nicht darauf aus ist, die Welt mittels langweiliger Katastrophen oder Kriege zur Hölle zu schicken, sondern langfristig Geld, Macht und Politik, also die wahren Motoren der Gesellschaft zu korrumpieren plant, ist zwar ein folgerichtiger Schluss, in der Umsetzung jedoch ohne den notwendigen dramaturgischen Zug. Ähnliches gilt für die ungewöhnliche Coming-of-Age-Story: Ein Junge lernt, was er ist und begnügt sich damit. So weit, so gut, aber würde mir gewahr, dass ich Satans Sohn bin, ich würde vermutlich etwas weniger gleichmütig darauf reagieren. Aber wer bin ich schon.
Nachdem William Holden die Hauptrolle im ersten Teil abgelehnt hatte, wird es ihn aufgrund dessen massiven Erfolges vermutlich argst gewurmt haben und er springt im zweiten Teil ein; bleibt jedoch faktisch farblos und eine Hintergrundfigur, die sich am Ende dann auch ganz schnell (mund-)tot gemacht findet. Ansonsten weist der Film jedoch eine sehr schöne Besetzung auf, die viel von seinen Qualitäten übernimmt und trägt. Ansonsten muss sich "Damien: Omen II" vermutlich in alle höllischen Eterniti reduzieren und abstempeln lassen: "Häh, Omen 2? Ach ja, dat is der mit dem Fahrstuhlseil."

6/10

Don Taylor Mike Hodges Chicago Internat Militär Satan Coming of Age Sequel


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LA FEMME INFIDÈLE (Claude Chabrol/F, I 1969)


Zitat entfällt.

La Femme Infidèle (Die untreue Frau) ~ F/I 1969
Directed By: Claude Chabrol

Der wohlhabdende Anwalt Charles Desvallees (Michel Bouquet) findet heraus, dass seine Frau Hélène (Stéphane Audran) ihn hintergeht. Zwei- bis dreimal die Woche, das findet ein Detektiv für ihn heraus, trifft sich Hélène mit dem leichtlebigen Autoren Victor Pegala (Maurice Ronet) zum Techtelmechtel in dessen Wohnung. Charles besucht Pegala und gibt sich zunächst gelassen und unbeeindruckt, bis er durchdreht und seinen Nebenbuhler erschlägt. Die Leiche entsorgt er ohne großes Aufsehen. Bald schon bekommen die Desvallees Besuch von der Kriminalpolizei, die sofort Lunte wittert. Zwar wissen Charles und Hélène ohne darüber zu sprechen von den Geheimnissen des jeweils anderen, doch sie bewahren trotz aller Widrigkeiten Stillschweigen. Zumindest bis Charles verhaftet wird...

Der diskrete Mief der Bourgeoisie - hier nahm Chabrol ihn einmal mehr zum Anlass, den Einbruch von psychischer und bald auch physischer Gewalt in ein nur scheinbar idiosynkratisches Familienidyll zu demonstrieren. Nach außen hin glücklich, haben Charles und Hélène Desvallees sich nichts mehr zu sagen. Er geht tasgsüber arbeiten, sie fährt in die Stadt zum Bummeln. Ihr Sohn ist wohlgeraten, den Haushalt erledigt das Mädchen. Abends wird gemeinsam ferngesehen und ein Glas Whiskey getrunken, dann geht's ab ins Bett. Weitere Kinder sind nicht geplant, also herrscht koitale Flaute. Dass Hélène angesichts solcher Lebensumstände den Ausbruch sucht, ist ihr nicht zu verdenken, denn angesichts solch desaströser Lebensumstände muss jede Blume irgendwann zwangsläufig zum Kaktus werden. Charles' Wahnsinnstat, ohnehin einem abrupten Impuls geschuldet, erweist sich somit eher eine verzweifelte Reaktion auf die Erkenntnis, seine Ehe vor die Wand gefahren zu haben denn als die Kanalisierung leidenschaftlicher/rasender Eifersucht. Auf die kunstvolle Schlusseinstellung war Chabrol selbst besonders stolz: Unter verfremdeter Verwendung von Hitchcocks "Vertigo"-Zoom entfernt sich die Kamera, stellvertretend für die Perspektive Charles' von seiner Familie, um im gleichen Moment an sie heranzuzoomen. Ein verzweifeltes Klammern, wiederum zum Scheitern verurteilt. Wie alles rund um Charles' Bestreben.

8/10

Claude Chabrol Paris Ehe Familie


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THE LORDS OF FLATBUSH (Martin Davidson, Stephen Verona/USA 1974)


"You want a ring? I got a ring for ya. In my bathtub."

The Lords Of Flatbush (Brooklyn Blues - Das Gesetz der Gosse) ~ USA 1974
Directed By: Martin Davidson/Stephen Verona

Brooklyn, Ende der Fünfziger. Die vier unzertrennlichen Kumpels Chico (Perry King), Stanley (Sylvester Stallone), Butchey (Henry Winkler) und Wimpy (Paul Mace) sind die "Lords" - ausgestattet mit den größten Klappen des Viertels, frech wie Rotz, renitent in der Schule, hinter jedem greifbaren Rock her und brav zu ihren Mamas. Als Chico mit seinen Sprüchen bei der etwas besser gestellten Jane (Susan Blakely) abblitzt und Stanley Freundin Frannie (Maria Smith) schwanger wird, linst langsam das Erwachsenwerden um die Ecke.

Die Probleme der frühen Adoleszenz - wir alle kennen sie. In "The Lords Of Flatbush", einem filmischen Bindeglied zwischen Scorseses "Mean Streets" und Kaufmans "The Wanderers", das freilich weder die existenzialistische Beschwernis des ersteren noch die exakte Milieubeobachtung des letzteren gebraucht, sondern einfach nur umweglos und unkompliziert seine kleine Geschichte erzählen möchte, treten sie wiederum zu Tage. Das Leben scheint einen nicht zu wollen und erst die Erkenntnis, dass der Globus sich auch ohne einen weiterdreht, ganz egal, wie quer man sich stellt, bringt eine gewisse Form der Erleichterung mit sich. Am Ende steht, wie schon Generationen zuvor, der Sprung ins Familienleben und zugleich in das vorstädtische Mini-Establishment. Man heiratet in den Bahnen der eigene Ethnie (hier: italoamerikanisch); das gibt keine Probleme und ist gut fürs Blut. Der Mikrokosmos sucht und findet neue Opfer. Das kann man deprimierend finden oder als karmischen Lauf der Dinge abtun - als Film ist es nett anzusehen und tut niemandem weh.

6/10

Martin Davidson Stephen Verona Brooklyn New York period piece Subkultur Teenager Coming of Age Freundschaft Gangs


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RED WHITE & BLUE (Simon Rumley/USA 2010)


"Where is she?"

Red White & Blue ~ USA 2010
Directed By: Simon Rumley

Durch nachbarlichen Zufall lernen sich die beiden verlorenen Seelen Erica (Amanda Fuller) und Nate Noah Taylor) kennen - sie eine sich treiben lassende, promiske, in ihrer Kindheit missbrauchte und HIV-positiv diagnostizierte Frau mit übermächtigen Bindungsängsten, er ein ausgebrannter Golfkriegsveteran mit einem tief verwurzelten Hang zum Sadismus. Beide scheinen die jeweils gewaltigen Löcher im Leben des anderen zu füllen, bis Erica ihre lotterlebige Vergangenheit zum Verhängnis wird. Ein seinerzeit unwissentlich von ihr angesteckter Musiker (Marc Senter) steht plötzlich vor den Trümmern seiner Existenz und rächt sich an Erica. Für Nate wiederum wirkt ihr Verschwinden wie der Selbstauslöser einer schlummernden Zeitbombe...

Simon Rumley, eigentlich aus England stammend, siedelt seine zweite Regiearbeit in Austin, Texas an, also einem der "amerikanischsten" amerikanischen Orte. So kommt wohl auch der ungewöhnliche Titel zustande, der nur wenige Rückschlüsse auf das Geschehen im Film zulässt. Man weiß über Nate nur, dass ihm ein latenter Wahnsinn innewohnt, der, einmal zum Ausbruch gebracht, seine letzte Konsequenz fordert, bis er wieder abgestellt werden kann. Offenbar ist er nebenbei auch die Sorte Patriot, die die USA sich eigentlich nicht wünscht, von der es aber hinreichend viele gibt: Ein bereits psychisch schwer gestörter Mann, dem der Kriegseinsatz noch mehr zugesetzt hat und der aufgrund seiner phasenhaften Skrupellosigkeit sogar von der CIA als sdchlafender "Mann für besondere Fälle" benutzt wird. Dass ausgerechnet dieses Monster von ein paar unwissenden, dummen Garagenrockern von der Leine gelassen wird, muss zwangsläufig mit Blut und Tod vergolten werden. Zwar bleiben die entspechenden visuellen Auswüchse Simon Rumleys relativ zurückhaltend; allein deren Andeutung setzt dem Betrachter jedoch schon genug zu. Dem Regisseur ist eine harter, intensiver und höchst sehenswerter Dreiakter gelungen, den sich jeder, der den Glauben an das mainstreamferne US-Kino zu verlieren droht, mal gönnen sollte. Es lohnt.

9/10

Simon Rumley AIDS Rache Texas Independent Madness


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BALADA TRISTA DE TROMPETA (Álex de la Iglesia/E, F 2010)


Zitat entfällt.

Balada Trista de Trompeta (Mad Circus - Eine Geschichte von Liebe und Tod) ~ E/F 2010
Directed By: Álex de la Iglesia

1937 wird ein Zirkusclown (Santiago Segura) unfreiwillig von einer Miliz in die Bürgerkriegswirren hineinbefördert und prompt verhaftet. Sein kleiner Sohn Javier (Jorge Clemente) versucht ihn zu befreien, verursacht bei einer entsprechenden Aktion jedoch den Tod des geliebten Vaters. Als Erwachsener tritt Javier (Carlos Areces) in den frühen Siebzigern einem Zirkus bei - als "trauriger Clown". Prompt verliebt er sich in die schöne Seilartistin Natalia (Carolina Bang), doch diese ist bereits mit dem trunksüchtigen, gewalttätigen Chefclown Sergio (Antonio de la Torre) liiert. Nachdem Sergio Javier und Natalia bei einem harmlosen Tête-à-tête erwischt, bringt er den friedlichen Javier fast um. Dieser dreht daraufhin durch und verstümmelt Sergio zur Unkenntlichkeit, was zugleich das Ende des Zirkus zur Folge hat. Doch die bizarre Dreiecksgeschichte ist damit noch lange nicht zu Ende...

Eine überaus ansehnliche Allegorie über die franquistischen Jahre Spaniens hat de la Iglesia da gefertigt, zugleich eine Hommage an Jodorowskys "Santa Sangre" und natürlich eine der schönsten, wenn nicht gar die schönste Liebesgeschichte im Kino seit der Jahrtausendwende. Natürlich gönnt "Balada Trista" seinem am Ende, nach ungeheuren emotionalen und aktionistischen Turbulenzen zusammengefügten Paar keinen glücklichen Abgang, aber man weiß ja, dass die wahrhaft bezaubernden Romanzen in der Literatur ohnehin stets kurz und heftig sind, bevor sie die Patina der Gewohnheit und Gewöhnlichkeit grau färben kann. Am Schluss bleiben nur Tod und Tränen und die ins Leere laufende Rivalität zweier verlorener Liebesbesessener. Zuvor gibt es freilich noch die Odyssee Javiers durch die franquistischen Wirren zu beobachten, während derer er unter anderem wie ein Wildschwein im Wald hausen und schließlich als (immerhin bissiger) Jagdhund für den Generalissimo en persona herhalten muss. Später dann noch Selbstverstümmelung und Amok; eigentlich gibt es faktisch nichts, was "Balada Trista" nicht aufböte, zumindest nicht nach Sam Fullers altem Kinocredo über die Schlachtfeld-Emotionalität auf der Leinwand.

9/10

Zirkus Álex de la Iglesia Spanien Spanischer Bürgerkrieg Franquismus period piece Parabel Groteske Clowns Madness





Filmtagebuch von...

Funxton

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