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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE INTRUDER (Roger Corman/USA 1962)


"It wasn't all my fault!"

The Intruder (Weißer Terror) ~ USA 1962
Directed By: Roger Corman

Caxton, eine ordinäre Südstaaten-Kleinstadt. In weißem Leinenanzug, ein gewinnendes Lächeln auf dem Gesicht, steigt er aus dem Bus: Der für irgendeine rassistische Organisation auf Meinungsfang gehende Lobbyist Adam Cramer (William Shatner). Warum ausgerechnet in Caxton? Weil hier am nächsten Tag der erste integrative Schulgang mit schwarzen und weißen Jugendlichen stattfinden soll. Cramer nutzt die ohnehin brodelnde Atmosphäre aus, seine von Hass und Rassismus wimmelnde Tresenrhetorik unter das bidlungsferne Volk zu streuen; Verbrüderungen mit dem örtlichen Großrancher (Robert Emhardt) sowie den lokalen Kapuzenmännern inbegriffen. Erst als sich Cramers intrigante Hasstiraden derart hochschaukeln, dass sie fast einen unschuldigen Jungen (Charles Barnes) das Leben kosten, begreifen die Menschen, welchem Scharlatan sie da aufgesessen sind.

Eine von Cormans besten Regiearbeiten, bestimmt seine beste abseits des Phantastischen Films, mit Sicherheit seine respektabelste. Zu seinem Entstehungszeitpunkt dürfte der vor Ort gedrehte Film bei manchen Herrschaften wie eine Bombe eingeschlagen sein. Eine solch schonungslose Konfrontation mit gegenwärtig bestehenden Zuständen war in den USA zu diesem Zeitpunkt jedenfalls alles andere als Usus. "The Intruder" ist ein ultraliberales Plädoyer für selbstbestimtes Denken und eine ernstgemeinte Warnung davor, breit grinsenden Seelenverkäufern auf den Leim zu gehen. William Shatner als Geisteshaltungsnepper ist in der großartigsten Vorstellung seiner gesamten Karriere zu sehen und lässt darüberhinaus bedauern, dass er irgendwann auf die Captain-Kirk-Schiene festgenagelt wurde und davon nie mehr losgekommen ist. Sein diffiziles Porträt eines noch nicht einmal ernstlich satanischen Opportunisten, eines Klinkenputzers, der für das wahre Böse lediglich auf Seelenfang geht um die Dinge sich schließlich verselbstständigen zu lassen, ist einfach nur beeindruckend. Leider versagt der Film sich durch die letzten fünf kompromissbereiten weichgespülten Minuten seinen endgültigen Status als restloses Meisterwerk: Der ungeschlachte, pomadige Leo Gordon kommt daher und rettet mit seiner proletarischen Sprache Lynchopfer, Tag und Herz der Stadt. Ein fast schon grotesk unpassender Abschluss. Ohne ihn, mit einem konsequent finsteren Ende, hätte die Wucht von "The Intruder" einen bis heute vorhaltenden Nachhall entsendet. Schade um dieses i-Tüpfelchen.

9/10

Roger Corman Independent Südstaaten Rassismus Ku-Klux-Klan


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GROSSE FREIHEIT NR. 7 (Helmut Käutner/D 1944)


"Es gibt nichts, was ein Mann nicht vergessen kann... wenn er ein Mann ist!"

Große Freiheit Nr. 7 ~ D 1944
Directed By: Helmut Käutner

Weil er sich zeitlebens für seinen nichtsnutzigen Bruder Jan (Kurt Wieschala) aufgerieben hat, muss Seemann Hannes Kröger (Hans Albers) sich als Unterhaltungssänger im 'Hippodrom' auf St. Pauli seine Moneten zusammenverdienen, statt zur See zu fahren. Als Jan stirbt, erfüllt Hannes ihm seinen letzten Wunsch und kümmert sich um Jans frühere Liebschaft Gisa (Ilse Werner), die er mit nach Hamburg nimmt. Hannes verliebt sich in das zarte Mädchen, ist jedoch unfähig, ihr seine Gefühle in romantischer Weise zu vermitteln. Stattdessen verguckt sich Gisa in den Hafenarbeiter Willem (Hans Söhnker), der ihr nach allen Regeln der Kunst den Hof macht. Hannes ist am Boden zerstört, fasst jedoch nun endlich wieder das Herz, anzumustern.

Wunderschöner Terra-Farbfilm, dessen durchaus akkurate Milieuschilderung des Paulier Nachtlebens Goebbels so sehr auf die Palme brachte, dass seine Aufführung im großdeutschen Reich, mit Ausnahme des Protektorats Böhmen und Mähren, wo er zu weiten Teilen auch entstanden ist, untersagt wurde. Keine aufrechten Helden, kein Propaganda-Potential - nur eine realistisch erzählte Dreiecksgeschichte, aus der ausgerechnet der Protagonist (der ursprünglich Johnny heißen sollte, auf Goebbels' Insistieren hin jedoch zu 'Hannes' umgetauft werden musste) als Verlierer hervorgeht. Das hatte keinerlei sozialrelevante Funktion für den NS-Apparat und brauchte daher auch keine Popularität.
Die autoromantisierende Zeichnung des Hamburger Hafen-Milieus, der nächtlichen Glitzerwelt, der schäbigen Huren und Alleinunterhalter, besoffener Matrosen und altkluger Weltenbummler ist stilbildend für alles, was danach noch fürs Kino über St. Pauli gemacht wurde. Und Albers wird nach wie vor und wohl auch auf ewig mit dem "blonden Hans" assoziiert.
Echtes, relevantes deutsches Kulturgut.

9/10

Helmut Käutner Hamburg St. Pauli Kiez Hafen Musik


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ALL THAT JAZZ (Bob Fosse/USA 1979)


"It's showtime, folks!"

All That Jazz (Hinter dem Rampenlicht) ~ USA 1979
Directed By: Bob Fosse

Joe Gideon (Roy Scheider), Arbeitstier, promisker Lebemann, Kettenraucher, Trinker und Ex-Familienvater ist in der Welt des Showbiz zu Hause, parallel inszeniert er eine gigantische neue Broadway-Show, schneidet seinen letzten Film und versucht, seiner Tochter (Erszebet Foldi) zumindest ein halbwegs guter Vater zu sein. Die Warnhinweise seines langsam streikenden Herzens nimmt er nicht ernst und so landet er mit einem Infarkt im Krankenhaus. Selbst der sich anschließende Bypass kann sein Temperament nicht zügeln. Als er mit letzter Kraft einräumt, dass er noch leben möchte, ist es jedoch zu spät. Seine finalen Momente spielen sich vor seinem Auge ab wie eine weitere von ihm choreographierte Revue.

"All That Jazz", dieses Monster von einem Film, habe ich nach fünfzehn Jahren Pause und immer wieder greifenden Aufschüben zum zweiten Mal gesehen, hat mich heuer völlig weggeblasen und ist prompt durchgestartet bis unter meine vorderen Lieblingsfilme. Ein definitives künstlerisches Statement seines Urhebers Bob Fosse, der Joe Gideon als alter ego seiner selbst auf der Leinwand abbildet. Roy Scheider in einem darstellerischen One-Man-Kraftakt ohnegleichen, eine reichhaltig-komplexe Erzählweise, in der das Innenleben des Protagonisten mittels perfekter Stilsierung zum Leben erwacht, ohne besondere Rücksicht auf Konventionen oder vorgebliche Anbindungen an die realis. Eine unbestechlichere, künstlerisch purere Studioproduktion dürfte es selbst in den vergleichsweise freien, frühen Siebzigern kaum gegeben haben; Fosse aber setzt sich und sein Werk mittels bewundernswert unbelasteter Stringenz durch. Wegen seiner stilistischen Kraft auf der einen Seite und seines thanatischen Themas auf der anderen zugleich erhebend und niederschmetternd. Eine universelle Bestandsaufnahme nicht zuletzt seines Milieus und dessen Funktionsmechanismen dürfte kaum möglich sein: selbst der Größte ist austauschbar; so etwas wie einen "König der Unterhaltungskunst" gibt es nicht, allerhöchstens in der Autosuggestion. Am Ende war ich vollkommen fertig, durch die Mangel gedreht und fühlte mich wie Joe Gideon kurz vorm Exitus. Ein Wahn-Sinn.

10*/10

Bob Fosse Vaudeville Broadway Tod Musik Tanz New York Zigaretten


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THE FRONT (Martin Ritt/USA 1976)


"A writer looks for trouble."- "No, wrong. A lunatic looks for trouble."

The Front (Der Strohmann) ~ USA 1976
Directed By: Martin Ritt

Weil er in den Fünfzigern auf der Schwarzen Liste des HUAC landet, bittet der TV-Autor Alfred Miller (Michael Murphy) seinen Kumpel Howard Prince (Woody Allen), einen stets kurz vor der Pleite stehenden, unbedarften Kneipier und Buchmacher, die von Miller geschrieben Scripts gegen einen fairen Obolus unter seinem Namen weiterzuleiten. Der Plan funktioniert und bald darauf lassen sich zwei weitere Berufsgenossen Millers (Lloyd Gough, David Margulies) von Howard repräsentieren. Howard wird ein Star der Branche, verdient gutes Geld, bekommt eine bezaubernde Freundin (Andrea Marcovicci) - und zieht prompt die Aufmerksamkeit des HUAC auf sich. Dieses bringt zugleich unbarmherzig die Karriere des einstmals beliebten TV-Darstellers Hecky Brown (Zero Mostel) zu Fall. Als Howard schließlich selbst vor dem HUAC aussagen soll, bleibt ihm nurmehr die Wahl zwischen Verrat und Integrität...

Jeder Film, der über die unfassbaren Praktiken des HUAC entstanden ist oder dereinst noch entstehen soll, ist a priori von eminenter Bedeutung. Wenn daraus noch eine so gallige, erstklassige Dramödie wie "The Front" entsteht, dann ergänzen sich Pflicht und Kür zu einer ebenso aufwühlenden wie hervorragenden Einheit. Etliche ehemals "schwarzgelistete" Künstler, darunter Martin Ritt, der Autor Walter Bernstein und der bewegend agierende Zero Mostel wirkten an der Entstehung dieses filmischen Sägemessers mit, ohne sich im Nachspann die verspätete Ehre zu versagen, ihre einstige Involvierung in "unamerikanische Umtriebe" schriftlich zu Protokoll bzw. das Datum ihrer Listung bekanntzugeben. Bernstein macht dabei keinen Hehl daraus, dass etliche der geschäftsverbannten Künstler tatsächlich Kommunisten oder zumindest Sympathisanten waren, derweil andere vielleicht einmal bei einer Demo oder Kundgebung aufkreuzten und deswegen zu Denunziationen gezwungen wurden. "The Front" beschönigt nichts und verschweigt ebensowenig. Manch einen Gelisteten trieb das unausgesprochene Berufsverbot in den verzweifelten Freitod, andere in Depression und Isolation. Wie hier unter Senator McCarthy das so fanfarisch herausposaunte "Recht auf freie Meinungsäußerung" mit Füßen getreten wurde in einem Land, dass sich seiner freiheitlich-demokratischen Grundordnung rühmt wie kein anderes, das ist noch immer von Schaudern machender Doppelmoral. Und selten so sehenswert wie in diesem Fall.

10/10

Martin Ritt McCarthy-Ära New York Freundschaft Satire period piece Fernsehen


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LENNY (Bob Fosse/USA 1974)


"l'm not anti-Christ or anti-religion, l just think it's encouraging that people are leaving the Church and going back to God."

Lenny ~ USA 1974
Directed By: Bob Fosse

In Rückblenden und via Interviews mit seiner Ex-Frau Honey (Valerie Perrine), seine Agenten Artie Silver (Stanley Beck) und seiner Mutter (Jan Miner) wird die kurze und wechselhafte Karriere des Stand-Up-Komikers Lenny Bruce (Dustin Hoffman) nachgezeichnet: Von seinen ersten bescheidenen Erfolgen als braver Schmalspurkomödiant über seine weitere Karriere als enfant terrible der Jazz- und Nachtclubs, das mit obszönen Worthülsen Zensur und Staat zu puterroten Zornesausbrüchen trieb bis hin zu Auftrittsverboten und der unvermeidlichen Überdosis Heroin, die sein Leben traurig besiegelte.

In meisterhaftem Schwarzweiß photographiert präsentierte sich "Lenny" seiner Zeit selbst für New-Hollywood-Verhältnisse als recht unbequemes Biopic. Immerhin ist sein Impact bis heute spürbar; spätere "Nachzügler" von Formans "Larry Flynt" bis Mangolds "Walk The Line" zeigten sich von seiner Spezifik, die Vita einer betont unbequemen Persönlichkeit mit seinen Höhen und Tiefen zu skizzieren, beeinflusst - wenngleich die Idee mit dem fiktiven Interviewer zunächst Fosse respektive dem Autor Julian Barry vorbehalten blieb. Im Falle Lenny Bruce war jene Biographisierung im Film jedoch ohnehin nicht bloß wichtig, sondern für sein kulturelles Ambiente nahezu obligatorisch. Der altehrwürdigen, oftmals jüdischstämmigen Komikerkaste rund um Henny Youngman und Milton Berle bedeutete Lenny Bruce Zäsur: Er brachte gefürchtete Vierbuchstaben-Wörter nicht nur bewusst in seinem Repertoire unter, sondern strickte ganze Shows um sie herum; bei ihm ging es bereits um 'tits' und 'cocksucking', als der prüde US-Puritaner solcherlei Vokabular noch nichtmal unter Androhung der Todesstrafe in den mund genommen hätte, freilich stets unter unsubtiler Verweisung darauf, dass die wahre humane Perversion in Rassismus, Bigotterie und Militärintervention zu suchen sei. Sein unermüdlicher Kampf gegen das Establishment kostete ihn schließlich seine Karriere und, über sich anschließende Pfade, auch sein Leben, nicht ohne Nachfahren wie Richard Pryor oder George Carlin ein reich- und nachhaltiges Erbe hinterlassen zu haben. Dustin Hoffman macht seine Interpretation dieses diffizilen Charakters zu einem darstellerischen Kraftakt, der eine seiner großartigsten Leistungen bereithält. Ebenso wie "Lenny" vielleicht Bob Fosses größter Film ist.

10/10

Bob Fosse Stand-Up-Comedian Biopic period piece Drogen Heroin Ehe Scheidung based on play New Hollywood Courtroom Jazz


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THE CRYING GAME (Neil Jordan/UK, J 1992)


"I'm tired and emotional."

The Crying Game ~ UK/J 1992
Directed By: Neil Jordan

Ausgerechnet sein jüngstes Entführungsopfer, der britische Soldat Jody (Forest Whitaker) weckt die verloren geglaubte Menschlichkeit im Herzen des IRA-Soldaten Fergus (Stephen Rea) zu neuem Leben. So bringt er es auch nicht übers Herz, Jody wie beauftragt zu erschießen - stattdessen wird er bei seiner Flucht von einem Panzer seiner eigenen Leute überfahren und getötet. Zuvor hat Jody Fergus noch das Versprechen abgenommen, sich in London um seine Freundin Dil (Jaye Davidson) zu kümmern. Fergus, betrübt von der Entwicklung der Ereignisse, schließt mit seiner Vergangenheit ab und geht nach London, wo er Dil kennenlernt und gleich von ihr verzaubert ist. Umso größer sein Schock, als er feststellen muss, dass Dil in Wahrheit gar keine Frau ist, sondern ein transsexueller Mann ist. Trotz allen Widerwillens kann er sein Beschützerethos jedoch nicht beilegen: Als seine ehemaligen Gesinnungsgenossen wieder bei ihm auftauchen und Dil bedrängen, wird es Zeit für die Offenlegung ein paar unbequemer Wahrheiten...

Wohl dem, der einst das Glück hatte, die Offenbarung des "maskulinen" Geheimnisses von Jaye Davidson nicht vorauszuahnen und vor dem nichtsahnend eine vermeintlich herkömmliche erotische Szene implodierte. Ich ahnte damals tatsächlich nichts von jener Enthüllung und war bis zu diesem Augenblick der Meinung, einem der gewohnten, von mir stets sehr geschätzten IRA-Dramen beizuwohnen. Mit 16 kann man von einem Film kaum mehr aus den Schuhen gekloppt werden und ich kann mich noch heute an den Faustschlag erinnern, den mir der Anblick von Jaye Davidson Gemächt in mein eigenes versetzte.
Später genoss ich dann die Reaktionen ebenso "jungfräulicher" Mitseher bei heimischen VHS-Vorführungen. Immer wieder ein formidabler Spaß. Bis heute dürfte dieser Knalleffekt wohl weithin verflogen sein, schon "Hot Shots! Part Deux" spoilerte ihn ja seinerzeit mit lustigem Vergnügen. In Kenntnis ebenjener Entwicklung ändert sich auch das diskursive Gewicht des Films; es lässt sich über eine latente Homosexualität seitens Fergus' spekulieren, die bei all seinem IRA-Wahnsinn nie zur Auslebung gekommen und deren Aktivierung sozusagen ein Abschiedsgeschenk Jodys ist. Möglicherweise empfindet Fergus auch tatsächlich nur das Mitleid für den Hinterbliebenen, indem er Dil am Ende vor dem Gefängnis bewahrt. Leider verliert der Beginn des Films durch den Einschlag in der zweiten Hälfte und die Entwicklungen im letzten Akt etwas an Intensität. Gerade die bizarre, aus terroristischer Willkür heraus entstehende Freundschaft zwischen Fergus und Jody, von Rea und besonders Whitaker mit grandioser Intensität dargeboten, verleiht "The Crying Game" seine besondere emotionale Zugkraft. Diese verflüchtigt sich gegen Ende unglücklicherweise etwas.

8/10

IRA Nordirland London Neil Jordan Independent Homosexualität Kidnapping Terrorismus


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THE RUSSIA HOUSE (Fred Schepisi/USA 1990)


"It's everyone's duty to start the avalanche."

The Russia House (Das Russland-Haus) ~ USA 1990
Directed By: Fred Schepisi

Der Londoner Verleger und Russlandliebhaber Barley Blair (Sean Connery) wird von einem russischen Physiker (Klaus Maria Brandauer) auserkoren, dessen Aufzeichnungen über die marode russische Rüstungsindustrie im Westen publik zu machen. Ziel soll der baldige Stop des sinnlosen internationalen Wettrüstens sein. Als Mittelsfrau wählt "Dante", so der Codename des Physikers, die hübsche Lektorin Katya (Michelle Pfeiffer). Unumwunden werden die Geheimdienste auf Blair aufmerksam und überreden ihn, für sie Blairs Identität und Vertrauenswürdigkeit festzustellen. Auf seiner Reise nach Moskau verliebt er sich in Katya, die, als der KGB Wind von Dantes Plänen bekommt, in höchste Lebensgefahr gerät.

Ein filmästhetischer Hochgenuss, den der Australier Schepisi da kredenzt. Mit der Öffnung des Vorhangs ging auch die Option, vor Ort zu drehen einher und diese nutzte Schepisi in unvergleichlich beeindruckender Weise. Es gibt Städteimpressionen von Moskau und Leningrad, die auf der Leinwand ihresgleichen suchen; schwelgerische urbane Bildkonstrukte von geradezu klassischer Würde und Schönheit, die sogar ihre charakterliche Berechtigung finden, da sie Blairs Liebe zum Land in visuelle Erläuterung kleiden. Wer behauptet, dass Sean Connery kein guter Schauspieler sei, der möge sich darüberhinaus bitte diese Performance von ihm zu Gemüte führen und schweige danach für immer stille. Für eine le-Carré-Adaption besitzt "The Russia House" ferner ein ungewohntes Maß an Emotionalität und Herzenswärme, die nicht zuletzt durch das erwachsene, höchst diffizil angelegte Dialogscript sowie durch die mitreißend inszenierte Romanze zwischen Connery und Pfeiffer forciert werden. So steht "The Russia House" in bester, altehrwürdiger Kinotradition und führt diese in bravouröser Weise fort.

9/10

Fred Schepisi John le Carré Russland Kalter Krieg London Moskau Leningrad Spionage UDSSR


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UNTER DEN DÄCHERN VON ST. PAULI (Alfred Weidenmann/BRD 1970)


"Ah, ein Trunkenbold."

Unter den Dächern von St. Pauli ~ BRD 1970
Directed By: Alfred Weidenmann

Innerhalb von 24 Stunden kreuzen sich mehrere Einzelschicksale auf St. Pauli: Harry (Ralf Schermuly) will Rache an dem Unterweltboss Hausach (Werner Peters), der Harrys Frau auf dem Gewissen hat; der liebeskranke Pasucha (Jean-Claude Pascal) flüchtet mit einer Geisel (Inger Zielke) vor der Polizei, nachdem er seine ihn ablehnende, als Stripperin arbeitende Frau (Lova Moor) erschossen hat, Studienrat Himboldt (Joseph Offenbach), der mit seinen Lübecker Oberprimanern auf der Reeperbahn unterwegs ist, soll Opfer eines gemeinen Scherzes werden, ein besorgter Flensburger Vater (Alfred Schieske) spürt seiner siebzehnjährigen Tochter (Alena Penz) nach, die beschlossen hat, als Nachtclubtänzerin zu arbeiten.

Zwar ein Kolportagefilm, keiner jedoch, der sich so ohne Weiteres als Sleazeprodukt identifizieren lässt wie die im selben Milieu angesiedelten Arbeiten von Rolf Olsen oder Jürgen Roland aus dieser Zeit. Weidenmann und seinem Hausautor Herbert Reinecker gelingt vielmehr das Kunststück, lange bevor jene Erzählstruktur en vogue wurde, sein Ensemble durch einen mehrere Geschichten parallel erzählenden Nachtkosmos zu schicken, der es sogar vermag, nicht durch die übliche, "report-verwandte" Perspektive des Spießbürgertums zu blicken, sondern sein geschildertes Milieu als durchaus authentisch zu verkaufen. Und das, wohlgemerkt, immerhin fünf Jahre vor Altmans "Nashville" und 29 Jahre vor Sönke Wortmanns mutmaßlich stark von diesem Film beeinflussten "St. Pauli Nacht".
Die von mir geschaute DVD zeigt "Unter den Dächern von St. Pauli" in einer garantiert "naturbelassenen", nikotingebräunten Kinokopie, die ganz wunderbar nach zeitgenössisch-vergilbten und ausgeblichenen Fotos ausschaut und die den Film eigentlich exakt so präsentiert, wie es ihm gebührt, ganz ohne den nunmehr üblichen Digital-Schnickschnack. Für mich eine kleine, unerwartete Überraschung kurz vorm Jahresende.

8/10

Alfred Weidenmann Hamburg St. Pauli Kiez Ensemblefilm Nacht


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SUDDENLY, LAST SUMMER (Joseph L. Mankiewicz/USA 1959)


"Sebastian said 'Truth is the bottom of a bottomless well'."

Suddenly, Last Summer (Plötzlich im letzten Sommer) ~ USA 1959
Directed By: Joseph L. Mankiewicz

New Orleans, 1937: Der Chicagoer Hirnchirurg Dr. Cukrowicz (Montgomery Clift) kommt in die finanziell marode örtliche Psychiatrie und bringt die bahnbrechende Methode der Lobotomie mit sich. Als die exzentrische, reiche Witwe Violet Venable (Katharine Hepburn) davon Wind bekommt, bietet sie dem Sanatorium eine millionenschwere Erweiterung an - unter der Bedingung, dass Cukrowicz eine Lobotomie an ihrer Nichte Catherine (Elizabeth Taylor) durchführt, die sich seit einem Nervenzusammenbuch vor etwa einem Jahr in psychotherapeutischer Behandlung befindet und bislang als "unheilbar" gilt. Cukrowicz lernt die hübsche junge Frau als durchaus standfeste Persönlichkeit kennen und arbeitet sich allmählich hinter Mrs. Venables wahre Absichten vor: Ihr geht es nämlich einzig darum, die überaus unbequemen Umstände des im letzten Sommer stattgefundenen, gewaltsamen Todes ihres Sohnes Sebastian zu verschleiern, dessen unfreiwillige Zeugin Catherine wurde...

Wie bereits in seinem Drama "Cat On A Hot Tin Roof" geht es auch in Williams' "Suddenly, Last Summer" um mühevoll totgeschwiegene, latente Homosexualität und wie sie Schein und Sein des altehrwürdigen Südstaatenadels ins Verderben ziehen kann. Aufgezogen wie ein christiesches Kriminalstück holt Cukrowicz am Ende sämtliche Beteiligten zusammen und lässt seine Patientin, um deren Fortbestand als geistig mündiges Individuum es geht, mithilfe eines Wahrheitsserums ihre mentalen Blockaden wegschießen und die realen Ereignisse ausplaudern: Jener Sebastian Venable, der wie ein omnipräsenter, unheiliger Geist über der gesamten Geschichte schwebt, der, naturvebundener Dichter und Fatalist, offenbar unter ödipaler Fuchtel litt, liebte es, sich in wirtschaftlich unterentwickelten Regionen des Globus hübsche Jungs anzulachen und mit ihnen seine Urlaube zu "verschönern". Im letzten Sommer wurde seine südstaatliche Arroganz ihm jedoch zum Verhägnis; ein barbarischer Tod war die Folge. Seine herrische Mutter, seit jeher eine Meisterin im Verschleiern und Verdrängen unkomfortabler Wahrheiten, sieht in ihrer selbstbewussten Nichte die einzige Verbindung zu den Fakten - also muss sie weg. Nicht per Mord, das wäre zu schmutzig, sondern via eine Hirnoperation, deren willkommener Exekutiv ausgerechnet Dr. Cukrowicz ist. Für Monty Clift, der selbst unter anfangs noch verdrängter Homosexualität und infolge dessen unter schwerem Drogenkonsum zu leiden hatte, muss die Interpretation in diesem Film, dem dritten an der Seite seiner Freundin Liz Taylor, einer harten Bürde gleichgekommen sein. Er wirkt hier, immerhin noch sieben Jahre vor seinem frühen Tod, bereits schwer gezeichnet und von einer gigantischen Melancholie und Depressionen gebeutelt. So ist "Suddenly, Last Summer", auch infolge seiner meisterlich eingesetzten Todesengelsymbolik, ein stark morbider Film, der nicht wenig an die Nieren geht.

8/10

Joseph L. Mankiewicz New Orleans Südstaaten period piece Psychiatrie based on play Homosexualität Tennessee Williams


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NO WAY OUT (Joseph L. Mankiewicz/USA 1950)


"Ray Biddle likes Beaver Canal. He likes what it stands for."

No Way Out (Der Hass ist blind) ~ USA 1950
Directed By: Joseph L. Mankiewicz

Die beiden Brüder John (Dick Paxton) und Ray Biddle (Richard Widmark) werden nach einem Feuergefecht mit der Polizei ins County Hospital eingeliefert. Dort schiebt der just promovierte, dunkelhäutige Arzt Brooks (Sidney Poitier) Nachtschicht. Brooks sieht sofort, dass John Biddle nicht nur an einem Beinschuss leidet - er vermutet einen akuten Hirntumor und führt eine Lumbalpunktion durch. Im selben Moment stirbt John. Dessen nicht nur schwer soziopathischer, sondern zudem noch arg rassistisch eingestellter Bruder Ray interpretiert Brooks' Hantieren mit der Nadel als Mord und schwört Rache für Brooks. Der sieht die einzige Möglichkeit zum Beweis seiner Unschuld in einer Autopsie an John, der jedoch weder Ray noch Johns Witwe Edie (Linda Darnell) zustimmen wollen.

Ein früher filmischer Beitrag zum ewig grassierenden Thema "Rassismus in der amerikanischen Urbanität". Der Name der handlungsstiftenden Stadt bleibt freilich unerwähnt, um eine gezielte Form der Mustergültigkeit zu ermöglichen. "No Way Out" bot dem damals dreiundzwanzigjährigen Sidney Poitier seine erste Hauptrolle (dennoch musste er sich mit dem vierten Platz der Besetzungsliste begnügen) und gab zugleich sein formatives Rollenschema für die nächsten Jahre und Jahrzehnte vor: Das nämlich des attraktiven, charmanten Vorzeige-Afroamerikaners, der sich tapfer durch sämtliche sozialen Schranken kämpft und der seinen eigenen, latenten Rassismus stets beizulegen in der Lage ist. In dieser Hinsicht markierte "No Way Out" aber dennoch einen wichtigen Meilenstein. Er verband diesen gesellschaftlich relevanten Topos mit typischen Noir-Elementen und bahnte ihm so seinen Weg in die Unterhaltungsindustrie. Heute wirkt der Film, insbesondere im Hinblick auf Ray Biddles stark stereotyp gezeichneten (von Widmark nichtsdestotrotz vorzüglich interpretierten) Charakter, geflissentlich antiquiert, seine emotionale Strahlkraft konnte er sich jedoch bewahren.

8/10

Joseph L. Mankiewicz film noir Rassismus Arzt





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