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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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ADVISE & CONSENT (Otto Preminger/USA 1962)


"Fortunately, our country always manages to survive patriots like you."

Advise & Consent (Sturm über Washington) ~ USA 1962
Directed By: Otto Preminger

Der kurz vor seinem Tode stehende US-Präsident (Franchot Tone) hat für den vakanten Posten des Außenministers den friedliebenden Linksliberalen Leffingwell (Henry Fonda) fest im Blick. Zuvor muss dieser jedoch dem Kommitee für auswärtige Angelegenheiten Rede und Antwort stehen, was Leffingwells alter politischer Gegner Sea Cooley (Charles Laughton) für eine großangelegte Diffamierungskampagne nutzt: Er deckt längst verjährte Liebäugeleien Leffingwells mit kommunistischen Zellen auf, die er aus Angst vor der politischen Kastration leugnet. Doch auch auf Leffingwells Seite gibt es fanatische Kräfte: Der dem Kommitee vorsitzende Senator Anderson (Don Murray) wird seinerseits mit einer Jugendsünde erpresst, deren Aufdeckung seine Karriere und seine Familie gefährdet.

Der packendste und überzeugendste der drei von mir am Stück geschauten Preminger-Filme war "Advise & Consent", ein Drama rund um die schmutzigen Methoden, mit der im US-Kongress Einzelpersonen aufgebaut, abgesägt und zerstört werden; ein Politthriller, der zu einer Zeit der eher naiven Wundergläubigkeit in Amerika maßstäblich war und ist für alles, was auf diesem Sektor bis heute folgen sollte. Niemand ist ohne Schuld in Premingers intimem kleinen Hauptstadtkosmos, die Sympathien drehen sich wie die Windrichtung und der Gestank jenes großen Misthaufens, der sich so wohlklingend "Senat" schimpft, dreht sich mit. Ein großes Ensemble stand Preminger Gewehr bei Fuß, wobei es einen klaren Verzicht auf hervorstechende Protagonisten gibt. Die Besetzungsnennung erfolgt schlichterdings gemäß der politischen Hierarchie der interpretierten Rollen, eine vortrefflich-realistische Option. Trotz des Entstehungsjahrgangs verzichtet Preminger, wie bei den meisten seiner Filme, auf den modischen Einsatz von Farbe und demonstriert damit ein Stück weit künstlerischer Autarkie. Anders jedoch sein Herz, bezogen auf die Option der Empathierzeugung: Das weitet sich deutlich und verzichtet auf die kühle Distanziertheit früherer Werke. "Advise & Consent" ist verdammt nah dran am Puls von Intriganz und Machtgeschick.

9/10

Otto Preminger Washington D.C. Politik Korruption Ensemblefilm Courtroom Präsident


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SAINT JOAN (Otto Preminger/USA, UK 1957)


"That is how the messages of God come to us, through our imagination."

Saint Joan (Die heilige Johanna) ~ USA/UK 1957
Directed By: Otto Preminger

Paris, 1456: Des Nachts im Traume begegnet der alte König Charles VII (Richard Widmark) der ein Vierteljahrhundert zuvor auf dem Scheiterhaufen verbrannten, mittlerweile heilig gesprochenen Jeanne d'Arc (Jean Seberg), der er seine Krönung verdankt und deren Hinrichtung er später nicht vereitelt hat. Gemeinsam und ohne Groll sinniert man der alten Tage; später gesellen sich noch der Ritter Jean De Dunois (Richard Todd), der für Johannas Aburteilung verantwortliche Bischof von Beauvais (Anton Walbrook) sowie ein Soldat (Norman Rossington), der ihren letzten Wunsch erfüllt hat - allesamt in ihrer Traumgestalt oder als Geister.

Basierend auf George Bernard Shaws von sanfter Ironie durchsetztem Stück arbeitete Graham Greene die Geschichte Jeann d'Arcs filmtauglich auf, was eine gute Stunde an Kürzungen bedeutete. Die Inszenierung besorgte dann Preminger, der mit der von ihm persönlich gecasteten, neunzehnjährigen Jean Seberg eine seiner größten Entdeckungen vorweisen konnte. "Saint Joan" gibt sich eher kunstgewerblich und überrascht damit, dass er sein imposantes Staraufkommen vornehmlich gegen den Strich besetzt. Richard Widmark gibt seinen König als kriecherischen, schwachen Kindskopf, dem bereits die Last der Krone während der Krönungszeremonie zu schwer ist und der sich lieber albernen Spielchen in seinem Garten zuwendet, Felix Aylmer ist einmal nicht der liebenswürdige alte Apostel, sondern ein klerikaler Handlanger, Harry Andrews ist ein dummer englischer Besatzer, dem angesichts von Jeannes Verbrennung die Muffe geht. Gut, John Gielgud als undurchsichtiges Ekel, das geht noch gerade so als "gewohnheitsmäßig" durch. Was am Film reizt, ist seine leichthändig präsentierte Darbietung in bald satirischer Einbettung; andererseits führt genau dies zu einer merkwürdig amorphen Ziellosigkeit, die beim Zuschauer eine ziemlich unerwünschte, aber übermächtige Gleichgültigkeit hinterlässt.

6/10

Otto Preminger Mittelalter Frankreich Johanna von Orleans Inquisition George Bernard Shaw Graham Greene Parabel Historie period piece Hundertjähriger Krieg based on play


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MODELS (Ulrich Seidl/AT 1999)


"Du, des issa voll leiwand."

Models ~ AT 1999
Directed By: Ulrich Seidl

Vivian Bartsch ist Foto-Model in Wien und wünscht sich nichts sehnlicher, als die Karriereleiter emporzusteigen, ebenso wie ihre Freundinnen und Kolleginnen. Der Druck, der sich auf sie in Form ihres unbedingt makellosen Äußeren, ihrer einzigen Kapitalanlage also, niederschlägt, macht sich bemerkbar. Sie zieht durchs Wiener Nachtleben, sucht nach Zuwendung durch Promiskuität, säuft, kokst und ist auf dem Weg, ernstlich bulimisch zu werden.

Sehr viel mehr noch als beim letzten von mir geschauten Seidl-Film "Tierische Liebe" hatte ich große Schwierigkeiten damit, den dokumentarischen Charakter von "Models" zu akzeptieren. Ich meine, hier und da dann doch Inszenierung oder zumindest forcierte Situationen ausgemacht zu haben und habe im späteren verlauf des Films sogar gezielt danach gesucht. Gern würde ich einmal Statements der Beteiligten dazu hören oder lesen.
Selbstverständlich bezieht "Models" wiederum seinen spezifischen Sog, seine attraktive Hässlichkeit aus jener Gratwanderung, die eine, wiederum an sich in Frage zu stellende, Unterscheidung zwischen Direct Cinema und improvisiertem, szenischem Film so schwierig macht. Was die Funktion des Films als Milieustudie anbelangt, so erreicht er mich kaum. In die selbsterschaffenen Elendssphären, in denen Models und ihre Ablichter verkehren, mag ich mich aus grundsätzlich mangelndem Interesse daran kaum verirren; selbst als Spiegel nicht; auch meine Empathie reicht kaum dorthin. Interessanter war es, nach dem von Seidl gezielt evozierten Voyeurismus des Zuschauers bei mir selbst zu suchen, der einen natürlich dazu motiviert, sich "Models" überhaupt in Gänze anzusehen. Jene wechselseitige Wirksamkeit scheint es mir zu sein, die Seidls Kino so unikal und sehenswert macht.

8/10

Ulrich Seidl Wien Models Fotografie Drogen Kokain Nacht


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LE PROCÈS (Orson Welles/F, BRD, I 1962)


"To be in chains is sometimes safer than to be free."

Le Procès (Der Prozess) ~ F/BRD/I 1962
Directed By: Orson Welles

Josef K. (Anthony Perkins), Angestellter in einer gigantisch-anonymen Bürokratie, wohnhaft in einem gigantisch-anonymen Hochhaus, wacht eines Morgens auf und findet zwei Polizisten (Jean-Claude Rémoleux, Raoul Delfosse), die seine Wohnung durchsuchen und ihm einen Gerichtstermin zustellen. Ohne zu wissen, welchen Deliktes er eigentlich bezichtigt wird, reagiert K. höchst nervös und findet sich von nun an in den Mühlen einer repressiven Justiz wieder, die ihn mal verzweifeln lässt und ihm mal den Anschein der Selbstkontrolle verleiht. Am Ende findet sich K. in seiner eigenen Grube wieder.

"Angeklagt zu sein macht attraktiv," heißt es in Welles' Adaption von Kafkas fragmentarischer Erzählung. Und tatsächlich befasst sich die Geschichte um Josef K. neben diversen anderen Aspekten der ebenso urplötzlichen wie vermeintlich unschuldigen Knechtung durch die Staatsgewalt auch mit ihrem absonderlichsten Nebeneffekt - dem der erotomanen Konnexion. Einige der schönsten Frauen ihrer Zeit - Jeanne Moreau, Romy Schneider und Elsa Martinelli, stellen dem verwirrten, linkisch-schlaksigen K. plötzlich nach, allesamt femmes fatales, die mit der ihn allseits umgebenden Unbill jeweils in paradoxer Verbindung stehen. Und niemand kann ihm helfen - weder sein einzig um die Familienreputation besorgter Onkel (Max Haufler), noch der systemvertraute Advokat Hastler (Orson Welles), noch K.s "Parallelklient Bloch (Akim Tamiroff) noch der exzentrische Künstler (William Chappell), noch der Klerus (Michael Lonsdale). Von dem Moment an, da er in sein Visier gerät, ist K. bereits zum Opfer des Justizapparats geworden.
Welles sagte von "Le Procès", es sei sein persönlichster Film, da er stets einen latenten Schuldkomplex mit sich herumtrage und er sich daher vorzüglich in K.s Lage versetzen könne, der mit seinem Verfangen in die Mühlen der Justiz im Prinzip bloß (s)eine ohnehin tief verwurzelte Angst bestätigt und erfüllt findet. Welles modernisiert zudem Kafkas Fabel und reichert sie um zeitgenössische Technokratisierungs- und Konfliktängste an, indem er K.s Firma von einem gigantischen Computer organisieren lässt und ihn, statt wie im Roman erstechen zu lassen, durch eine gigantische, atombombenähnliche Explosion dahinscheiden lässt. Dabei ist "Le Procès" ferner durchweg eine Liebäugelei mit dem Surrealismus; die Schauplätze, in denen sich anonyme Angestellte wie eine straff geordnete Drohnenarmee durch ihren Arbeitsalltag kämpfen, sich Myriaden Akten und Ordner in wirren Archiven stapeln, Gerichtssäle aussehen wie Theater, Ateliers wie Bretterverschläge und die Stadt wie ein architektonischer Albtraum, abgefilmt vornehmlich in Zagreb und Paris, folgen einer gezielten Irrealis.
Ein anstrengendes, forderndes Filmerlebnis, das die Beschäftigung mit sich jedoch doppelt und dreifach entlohnt.

9/10

Orson Welles Groteske Parabel Justiz Franz Kafka Surrealismus


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POLISSE (Maïwenn/F 2011)


Zitat entfällt.

Polisse (Poliezei) ~ F 2011
Directed By: Maïwenn

Die Auftragsphotographin Melissa (Maïwenn) begleitet einige Monate lang die Abteilung Kinder- und Jugendschutz der Pariser Polizei. Was sie hier zu sehen und hören bekommt, verschlägt ihr nicht selten die Sprache. Ebenso bewegend sind jedoch die Strategien der höchst unterschiedlichen Polizistinnen und Polizisten, mit ihrem Arbeitsalltag umzugehen und fertigzuwerden.

Nicht ganz unkritisch hat man diese dritte Regiearbeit von Maïwenn Le Besco (die ihren Nachnamen, aus welchen Gründen auch immer, stets unterschlagen wissen möchte) beäugt: Allzu populistisch sei ihre Herangehensweise gewesen, die die mitunter schwer täterverachtende, emotionale Polizeiarbeit teils zu glorifizieren scheint und impulsiv bis gewalttätig agierende Staatsdiener zu Helden deklariert. Nun, dem ist zu entgegnen, dass harte, emotional affizierende Polizeifilme sich seit jeher kontroversen Diskursen auszusetzen haben und nicht unbedingt stets als Meinungsmale ihrer Urheber zu werten sind. Zuallererst einmal ist "Polisse" nämlich ein guter Ensemblefilm, der sicherlich Anlass zur Kritik bietet, die ich aber weniger in seiner Mentalität als in formalen Streitpunkten suchen würde. Das Thema und der Umgang finden sich hinreichend sensibel und packend dargestellt, werden trotz aller visuellen Dezenz möglicherweise bei manch einem Erträglichkeitsgrenzen ausloten, zumal der Film gleich zu Beginn bereits verbal in medias res geht. Soweit alles im oberen grünen Bereich. Ansonsten: Maïwenn sieht gut aus, und sie weiß es auch. Oder sie weiß es nicht, oder will es nicht wissen, oder möchte es möglichst oft hören, denn ihre Art, sich selbst zu inszenieren, einerseits hintergründig und zurückhaltend, andererseits jedoch durchaus zentriert und sich wichtig nehmend, lässt darauf schließen. Seit Eastwood habe ich keine(n) FilmemacherIn mehr erlebt, der sich selbst auf eine dermaßen narzisstische Weise ablichtet. Außerdem erscheint mir der wackelige Digicam-Stil einmal mehr als manieristisch. Er ordnet sich zwar weithin der Dramaturgie unter, bleibt aber dennoch omnipräsent. NachwuchsregisseurInnenen scheinen dem Irrglauben zu unterliegen, diese Wahl der Form sei ein Signal für Innovation und Frische. Nö. Trotzdem, "Polisse" ist sehr sehenswert und eine Zier für sein Genre.

8/10

Maïwenn Paris Pädophilie Ensemblefilm


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EYEWITNESS (Peter Yates/USA 1981)


"Whoever killed Long is a hero in my book."

Eyewitness (Der Augenzeuge) ~ USA 1981
Directed By: Peter Yates

Der Vietnamveteran und Hausmeister Daryll Deever (William Hurt) wittert die Chance, endlich seine von ihm seit Langem angehimmelte Lieblings-TV-Journalistin Tony Skolow (Sigourney Weaver) kennenzulernen, indem er ihr vorgaukelt, er wüsste mehr als die Polizei über den soeben passierten Mord an seinem Arbeitsplatz. Ein Asiate namens Long (Chao Li Chi), der seine Finger in teils dunkelsten Geschäften hatte, ist umgebracht worden. Tatsächlich hat Daryll bestenfalls eine Ahnung, wer hinter der Gewalttat stecken könnte; nämlich sein alter Kumpel Aldo (James Woods). Als seine Beziehung zu Tony, die aus reichem jüdischen Elternhaus stammt und eigentlich mit dem zwielichtigen Joseph (Christopher Plummer) liiert ist, sich nach und nach vertieft, ahnt der im siebten Himmel Schwebende nicht, dass er sich in tödliche Gefahr begibt.

"Eyewitness" schlägt Winkelhaken wie ein Karnickel auf der Flucht, bald romantische Liebesgeschichte, bald whodunit, dann die alttypisch hitchcock'sche Mär vom unschuldig Verfolgten, dann wieder Politthriller mit undurchsichtiger Ausprägung. Von allem ein bisschen, aber nichts so ganz. Interessant wird der Film stets dann, wenn er sich Zeit nimmt, Impressionen der Stadt zeigt; wenn Yates gerade mal nicht seiner - ihn offensichtlich selbst nur sekundär tangierenden - Story hinterherzuhecheln braucht und maqßvoll inszeniert. Die zig falsch gelegten Storyfährten interessieren bald auch den Zuschauer kaum mehr und wenn am Ende der Showdown vor ungewöhnlicher Kulisse abgespielt wird, dann ist es einem eigentlich längst egal, wer, warum und weshalb. Dass dabei gute Leute wie Christopher Plummer und Kenneth McMillan faktisch verheizt werden, beäugt man stattdessen mit einigem Bedauern. Immerhin: Die enervierende Szene um Deevers vergifteten und daher tollwütigen Hund Ralph war recht packend. Sauber dressiert, der hübsche Kerl.

6/10

Peter Yates New York Journalismus


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THE FRIENDS OF EDDIE COYLE (Peter Yates/USA 1973)


"Everybody oughta listen to his mother."

The Friends Of Eddie Coyle (Die Freunde von Eddie Coyle) ~ USA 1973
Directed By: Peter Yates

Der alternde Gauner Eddie Coyle (Robert Mitchum) erledigt kleinere Jobs für die wirklich schweren Jungs in und um Boston. Weil er in New Hampshire noch einen Prozess und damit einhergehend eine Verurteilung erwartet, lässt er sich jedoch von dem Schatzbeamten Foley (Richard Jordan) ködern, der Coyle für die Aussicht auf Strafmilderung ein paar Namen entlocken will. Tatsächlich macht derzeit eine Bankräubertruppe um den Gangster Jimmy Scalise (Alex Rocco), für den Coyle Waffen besorgt, Massachusetts unsicher. Dann ist da noch Coyles Lieferant Brown (Steven Keats), für den der ergraute Ganove sowieso nichts übrig hat. Doch Coyle ist nicht der Einzige, der mit den Cops paktiert und vor allem nicht derjenige, der das intrigante Spiel um Verrat und Freundschaft durchschaut...

Mit "The Friends Of Eddie Coyle", vermutlich seinem Meisterstück, schaffte Peter Yates, was bis heute außer ihm nur wenigen gelungen ist: Er transportierte die existenzialistische Kühle der Gangster- und Polizeidramen Melvilles erfolgreich auf neuweltlichen Boden. Boston, die Metropole irischer Einwanderer, dient ihm dabei als Schauplatz für seine messerscharf erzählte, heldenlose Story um einen Personkreis armer Teufel, die allesamt viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind, um noch Ehr- und Moralbegriffe walten zu lassen. Dabei bleibt die Aggression stets latent, die figuralen Konnexionen nicht immer ganz durchschaubar. Nur eins ist sicher: Robert Mitchum als Eddie Coyle ist so weit weg wie selten von seinem von ihm selbst über Jahrzehnte geprägten maskulinen Archetypus, von Anfang an ist er der große Verlierer des Spiels und wird am Ende sauber und plangemäß abserviert. Ohne jede Melancholie schildert Yates dieses gewissermaßen sogar verdiente Schicksal mit minutiöser, bald dokumentarischer Exaktheit, stets auf dem Punkt und so sicher wie, mit Ausnahme vielleicht von "Bullitt", keinen anderen seiner mir bekannten Filme. Ein großes Werk, wirklich und wahrhaftig.

10/10

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THE MAGNIFICENT AMBERSONS (Orson Welles/USA 1942)


"Against so home-spun a background, the magnificence of the Ambersons was as conspicuous as a brass band at a funeral."

The Magnificent Ambersons (Der Glanz des Hauses Amberson) ~ USA 1942
Directed By: Orson Welles

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts ist die Familie Amberson die angesehenste der Stadt. Als die heiratsfähige Tochter des Hauses, Isabel (Dolores Costello), jedoch ihren geliebten Eugene Morgan (Joseph Cotten) wegen eines nächtlichen, betrunkenen Auftritts abweist, gibt sie ohne es zu ahnen, dem Niedergang der Dynastie statt. Statt Eugene heiratet Isabel den blassen Wilbur Minafer (Donald Dillaway). Ihr Sohn George (Bobby Cooper) ist ein verzogener Satansbraten, dessen Arroganz selbst, als erwachsen (Tim Holt) geworden ist, endlos bleibt. Auch Eugene hat geheiratet, ist mittlerweile erfolgreicher Autofabrikant und hat mit Lucy (Anne Baxter) eine Tochter in Georges Alter. Eugene ist bereits verwitwet und auch Isabel stirbt ihr kränkelnder Wilbur weg. Als George erfährt, dass seine Mutter und Eugene nie aufgehört haben, sich zu lieben, verbaut er ihnen erbost den Weg zueinander, verzichtet sogar auf die ihn liebende Lucy und bricht damit seiner Mutter das Herz. Am Ende stehen George und seine Tante Fanny (Agnes Moorehead) völlig verarmt da. Erst ein Autounfall bringt den hartherzigen jungen Mann wieder zur Besinnung.

(Über) Welles' Familienchronik ist viel verhandelt und berichtet worden, besonders natürlich, dass das produzierende Studio RKO "The Magificent Ambersons", nachdem der Meister an seiner Urfassung bereits selbst einige Kürzungen und Umschnitte vorgenommen hatte, den Film nochmals um eine halbe Stunde erleichterte und ein komplett neues Ende anfertigen ließ. Eine der unangenehmen Erfahrungen, die Welles mit der Studioart, mit hauseigenen Produktionen zu verfahren, machen musste. Seinen epischen Hauch hat das Werk allerdings selbst in der vorliegenden Form nicht eingebüßt, er ist, wie sein "Vorgänger" "Citizen Kane" immer noch eine glänzende Satire auf die durchaus lächerlichen Versuche der amerikanischer Bourgeoisie, Standesdünkel und Klassendenken in die Neue Welt hinüberzuretten und sich, parallel dazu, den Zeitzeichen entgegenzustellen. Tim Holt ist zugleich der bedauernswerte Held und der große Zerstörer des Schauspiels; an ihm und seiner Biographie hangelt sich die Geschichte entlang und er ist es, freilich mit der unbedachten "Unterstützung" seiner Tante, der das Haus Amberson schlussendlich seinem Untergang überantwortet mit seiner naiven Unfähigkeit, Weitblick zu zeigen.
Welles unterliegt nie ganz der Versuchung, seinen Film allzu ausladend zu gestalten, wo später ein Visconti Prunk und Pomp einkehren lässt, bleibt bei ihm alles expressionistisches Kammerspiel. Natürlich gilt es dabei stets zu bedenken, dass die Form nicht die ist, die sie eigentlich sein sollte. Wenn jedoch durch Pfusch ein noch immer dermaßen sehenswerter Film entsteht, dann gilt es - auf verquere Art - dankbar zu sein.

9/10

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FIGHT CLUB (David Fincher/USA, D 1999)


"Go ahead, Cornelius, you can cry."

Fight Club ~ USA/D 1999
Directed By: David Fincher

Ein bei einer Autofirma angestellter, junger Mann (Edward Norton), der feststellen muss, ob Unfälle mit den hauseigenen Produkten regresspflichtig gemacht werden können, ist über seine Einsamkeit hinaus schlaflos geworden. Um wieder fühlen zu können, geht er als "Elendstourist" zu diversen Selbsthilfegruppen. Als er sich jedoch in die "unkonventionelle", ihm jedoch durchaus ähnliche Marla Singer (Helena Bonham Carter) verliebt, die so gar nicht seinem klassischen Beuteschema entspricht, entwickelt der junge Mann eine ausgeprägte Schizophrenie, die in einer Persönlichkeitsspaltung mündet: Sein anderes, neues Ich, Tyler Durden (Brad Pitt) kann alles, was er selbst nicht kann, er ist ein Anarchist, der den Ist-Zustand der Welt verabscheut und mit der Hilfe seines braven alter ego die Revolution anbahnt. Zunächst wird ein im Untergrund operierender Faustkampfclub gegründet, aus dem sich dann später eine Revolutionsarmee speist, die etwas ganz besonders Schönes plant.

Palahniuks Buch habe ich noch immer nicht gelesen und werde dies wahrscheinlich auch nie nachholen, weil ich Finchers absolut meisterhaftes Filmmonster durch nichts mehr angekratzt wissen möchte.
"Fight Club" subsumiert die Krise einer immer größer werdenden Bevölkerungsgruppe: Der des männlichen, angestellten, gutverdienenden, weißen, abendländischen Frühdreißigers. Überarbeiteter Anzugträger, sich mit Statussymbolen jedweder Konsumsparte ausstaffierend, dabei todunglücklich, einsam und gefangen, das für eine Person viel zu große Wohnblock-Apartment gesäumt mit Ikea-Waren, stets mit Zivilisationskrankheiten von Insomnie über Hypertonie bis hin zu Depressionen und Burn-Out kämpfend. Ein klein wenig Fight-Club-Edward-Norton steckt wohl in "uns" allen und dagegen können wir uns vermutlich auch gar nicht wehren. Die Geschichte entwickelt diesen Ist-Zustand mit einem unvergleichlichen, genießerischen Selbsthass und Selbstekel, fernab jedweden Mitleids und mit einem solch überbordernden Zynismus, wie es kein anderes Werk zustande bringt und zehrt daher auch vierzehn Jahre und mehrere internationale Kriege später noch immer von ungebrochener Aktualität. Brad Pitt als anarchistisches Wunsch-Ich zu besetzen, derweil er im Prinzip bloß seinen "12 Monkeys"-Part repetiert, ist ein weiterer großer Schachzug dieser in jeder Hinsicht perfekt ausgearbeiteten Milieumeditation, die sich selbst nicht davor scheut, das hochfinanzielle Chaos zu predigen und deren wunderbar romantisches Schlussbild bitteschön nicht als Armageddon missverstanden werden will, sondern als durchaus probate Rettungsoption. Ich hatte danach, wie immer kurz nach dem Film, verdammt viel Lust, mich in eine Kneipe zu setzen und mir mit Karacho selbst in die Fresse zu hauen, war dann aber doch mal wieder zu feige. Ich brauche wohl erst noch meinen Tyler Durden.

10*/10

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THE ICE STORM (Ang Lee/USA 1997)


"Mikey's been out of it since the day he was born."

The Ice Storm (Der Eissturm) ~ USA 1997
Directed By: Ang Lee

Das Städtchen New Canaan, Connecticut ist im ökonomisch florierenden Jahre 1973 zu einer Art Zufluchtsort für wohlsituierte Bürger avanciert, die ihrer spießigen Langeweile zu entkommen versuchen, indem sie die einstigen Ideale der freien Liebe für ihre Zwecke adaptieren. Echte Zuneigung und Wärme empfindet hier längst niemand mehr, einzig die Jugendlichen scheinen zumindest zu Teilen noch zu herzlichen Empfindungen fähig. Über diese allumfassende Krise drohen zwei benachbarte Familien auseinanderzubrechen: Die Hoods und die Carvers. Während Ben Hood (Kevin Kline) ein rein sexuelles Verhältnis mit Janey Carver (Sigourney Weaver) pflegt, pflegt Bens Frau Elena (Joan Allen) ihre Depression und Janeys Mann Jim (Jamey Sheridan) seine Styropor-Manufaktur. Die Kinder beider Familien pendeln orienmtierungslos durchs Leben, scheinen jedoch bereit, vor lauter Frust die unsäglichen Manierismen ihrer Alten zu übernehmen. Bis es in einer schockgefrorenen Nacht kurz nach Thanksgiving zur längst überfälligen Katstrophe kommt.

Rick Moodys wunderbaren, autobiographisch gefärbten Roman über eine verlorene Generation habe ich in den Neunzigern heiß und innig geliebt. Er vermochte auch, die sexuelle Orientierungslosigkeit sowohl der erwachsenen als auch der adoleszenten Protagonisten überaus plastisch zu beschreiben und darzustellen, ohne sich verbale Chaunivismen zu leisten. Der Film müht sich auch dazu, bleibt schon aus nachvollziehbaren Gründen der Ästhetik jedoch vergleichsweise gediegen. Dennoch fangen Lee und sein Schreiber James Schamus den diskursiven Kerngedanken Moodys derart unmissverständlich ein, dass "The Ice Storm" als Glücksfall einer Literaturadaption betrachtet werden kann. Es geht um das Zerbrechen von Familien, in einem Fall das drohende, im anderen das sich vollendende und die unmissverständliche Zuweisung der Schuld, denn auch diese existiert und muss gestattet sein. Hier, in dieser nicht nur symbolisch tief erkalteten Katerphase nach dem exzessiv durchtanzten, mehrjährigen 'Summer of Love', verweigert man sich der überfälligen Rückkehr zur Tagesordnung, hat noch nicht genug von seinem Recht auf Spaß eingefordert und vergisst darüber hinaus Verantwortung und Lebenstüchtigkeit. Die Leidtragenden sind die Kinder, die dieser Atmosphäre von materiellem Wohlstand und mentaler Leere kaum trotzen können und zudem sich selbst überlassen sind. Am Ende bleiben nurmehr Tränen, für alle Beteiligten. Aber diese verkünden zugleich auch Katharsis, Besserung und hoffnungsvolle Vorsätze.

8/10

Rick Moody period piece Coming of Age Connecticut Herbst Satire Sex Ang Lee New York





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Funxton

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