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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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GANDHI (Richard Attenborough/UK, IN 1982


"If you are a minority of one, the truth is the truth."

Gandhi ~ UK/IN 1982
Directed By: Richard Attenborough

Von Südafrika durch viele Teile Indiens führt der knapp fünfzigjährige Weg des einstigen Anwalts und späteren spirituellen Führers und Commonwealth-Herausforderer Mohandas Gandhi (Ben Kingsley), von Anhängern 'Mahatma' (große Seele) und 'Bapu' (Vater) genannt, von Freunden Gandhiji. Er kämpft gegen Rassismus und religiöse Separation, gegen Okkupation und Besatzung, vor allem aber, noch universeller, gegen Gewalt in jedweder Form und für den unbewaffneten Widerstand. Mit Hungerstreiks dämmt er immer wieder jene Überreaktionen seiner Landsleute ein, die seine etwas zu offensiven politischen Vorstöße hervorrufen, bis ein Fanatiker ihn schließlich im Alter von 78 Jahren erschießt.

Vielleicht der einzige echte Konkurrent für David Leans großes Monumental-Quintett, von beinahe exakt derselben Schönheit, Würde und Kunstfertigkeit, die der große britische Regisseur einst hat walten lassen. Dabei bezüglich seiner chronologischen Raffung sogar noch ungleich komplexer, verstrickter und schwieriger. Immerhin komprimiert das Script runde fünf Dekaden auf drei Stunden, lässt ein vor bewegenden Ereignissen überquellendes Menschenleben quasi im Zeitraffer und anhand biographischer und kosmopolitischer Blitzlichter Revue passieren. Und findet doch immer wieder Zeit für Zurücknahme, zugängliche Ethikdiskurse, universelle Wahrheiten, kurz: Momente der Stille und der Erhabenheit. Mit Ausnahme Ben Kingsleys und seiner indischen Kollegen Saeed Jaffrey und Roshan Seth, die Gandhis Weggefährten Sardar Patel und Pandit Nehru spielen, speist sich das exquisite, vornehmlich britische Ensemble aus Gastauftritten und Cameos. Ansonsten beeindrucken natürlich vor allem die unglaublichen Massen von Komparsen, die zu diversen Anlässen aufgefahren werden und deren Engagement eine heutzutage kaum mehr zu bewerkstelligende Logistik erfordert haben dürfte. Ein Wahnsinn. Und wahrscheinlich der letzte, echte Monumentalfilm.

10/10

Richard Attenborough Biopic Indien period piece Kolonialismus Historie Best Picture Südafrika Apartheid


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KRAMER VS. KRAMER (Robert Benton/USA 1979)


"I hate you!" - "And I hate you back, you little shit!"

Kramer Vs. Kramer (Kramer gegen Kramer) ~ USA 1979
Directed By: Robert Benton

Ted Kramer (Dustin Hoffman), New Yorker Werbedesigner auf dem Karrieretreppchen, wird urplötzlich von seiner Frau Joanna (Meryl Streep) verlassen. Den gemeinsamen serchsjährigen Sohn Billy (Justin Henry) lässt sie bei Ted zurück. Dieser hat fortan alle Hände voll zu tun, denn er muss sich um seinen Job und um Billys Erziehung und Versorgung kümmern. Ganz allmählich wachsen Vater und Sohn zusammen und aus der anfänglichen Zweckgemeinschaft wird ein taugliches Gespann. Bis nach eineinhalb Jahren Joanna wieder auftaucht, therapiert und geläutert, und das Sorgerecht für Billy einklagt...

Man muss sich eigentlich ja für gar nichts schämen, außer vielleicht, wenn man in der Frittenbude lautstark einen fahren lässt. AErgo gebe ich in nächster Zeit meinem unfixierbaren, inneren Drang nach, ein paar hübsch spießige Academy-Lieblinge und Jahresgewinner der Oscar-Historie zu begutachten. Mit "Ordinary People" hatte ich ja just bereits begonnen, etwas ungeplant noch. Dass ich die meisten jener Stinker gern bis sehr gern mag, ist meinem latent verborgenen Filmspießer- und Kleinbürgertum zuzuschreiben, dessen ich mich zu erwehren drangegeben habe. Echtes Qualitätskino, garantiert establishmentfreundlich und nach Hauptstrom gebürstet. Für manch einen selbstdeklarierten, echten Cineasten ein absolut blamables No-Go. Klar, der Scheiß kann schließlich höchstens Studiobosse, erzkonservative Hausfrauen, Senioren und Kurzsichtige begeistern, jeder wahre Kinofreund hat hier angewidert auszuspeien. Or at least that's what they say. Im Streit für die schlechte Sache nun also ein bisschen ökologisch fragwürdiges Weichspülkonzentrat.
Früher fand ich "Kramer Vs. Kramer" selbst immer ziemlich nervig, eben als so ein typisches Exempel für die Eierschaukelei Hollywoods. Mittlerweile schläft jener Rebell jedoch den Schlaf der Gerechten und ich kann mir freigemut eingestehen, dass mir Bentons Film sehr gut gefällt. Zumal hier jener Minimalmaskulinismus beschworen wird, der mal ganz kurz durch die Prä-Achtziger wehte. Auf einmal sollten und wollten Männer in ihrer Verletzlichkeit anerkannt werden, ruderten gegen Rollenzwänge und besaßen sogar noch die Unverfrorenheit, Mama zu spielen. Dustin Hoffman, der gerade selbst mitten in der Scheidung steckte, wird man selten besser erleben. Auch Meryl Streep nicht, die in geradezu rarer Form eine latente Diabolik heraufbeschwört, wenn sie vermittels selbsträsonistischer Emanzengerechtheit die gerade erst vervollkommnete Vater-Sohn-Beziehung zu sprengen sucht. Die Einstellungen, in denen sie geradezu stalkermäßig von hinter einem Caféfenster aus ihren Sohn bei Schulbeginn und -ende zu erspähen sucht, sind jedenfalls saubere Gänsehautspender, die man mit der stromlinienförmigen Actrice so nicht unbedingt assoziieren würde.
Dann all diese schönen Momente um Howard Keel als hartgesottenem irischen Scheidungsanwalt. Und die zwingende Geschlossenheit des Plots, mit French Toast (in der deutschen Fassung die allseits bekannten "Armen Ritter") als Leitmotiv. Und das Ganze ist eigentlich gar nicht so sehr zum Heulen oder gar tränenfördernd, sondern im Gegenteil in seinem unbeirrten Authentizitätsbestreben beispielhaft unterhaltsam.

9/10

Robert Benton Familie Scheidung Vater & Sohn Kind Freundschaft Courtroom New York Best Picture


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ORDINARY PEOPLE (Robert Redford/USA 1980)


"Come and tell me how to be happy!"

Ordinary People (Eine ganz normale Familie) ~ USA 1980
Directed By: Robert Redford

Seit vor etwa einem Jahr ihr Ältester Buck (Scott Doebler) bei einem Segelunfall gestorben ist, durchziehen feine und auch einige große Risse das einstige vorstädtische Familienidyll der Jarretts. Der andere, jüngere Sohn Conrad (Timothy Hutton) leidet unter einem gewaltigen Schuldkomplex und Depressionen, die bereits in einem Selbstmorversuch kulminiert sind, Mutter Beth (Mary Tyler Moore) müht sich, die spießige Außenwirkung der Familie im Lot zu halten und alles Unangenehme auszublenden, entfernt sichdabei jedoch immer mehr von Mann und Kind; Vater Calvin (Donald Sutherland) spürt, wie er den Bezug zu seiner Frau verliert und Conrad ihm zu entgleiten droht. Erst der Psychiater Beger (Judd Hirsch) vermag, Vater und Sohn Denkanstöße zu vermitteln.

Kammerspielartige Schilderung der suburbanen Vorhölle Amerikas, in der sich Spießertum und biederer Anschein den Weg durch Herzen und Seelen bahnen und dabei zahllose Opfer hinterlassen. Mary Tyler Moore ist die perfekte Wahl für die bemitleidenswerte Frau um die 40, die sich, ohne es zu bemerken, zu einem innerlich verhärteten Bourgeoisie-Monster entwickelt und ihre ansonsten männliche Familie mit Füßen tritt.
Eine kurze Bö maskuliner Gegenbewegung wehte da durch Hollywood, die sich ironischerweise durch die zwei Oscarfilme "Ordinary People" und Kramer Vs. Kramer" gekrönt fand, jedoch ebenso schnell wieder abebbte wie sie zuvor aufgekommen war. Redford indes legte hier gleich seine Linie als Regisseur für spätere Zeiten fest: Kino für gesetzte Ehepaar-Intelligenzia mit ein wenig schielendem Überhang in Richtung der Dame, die seinen "Horse Whisperer" erst so richtig lieben sollte, nicht zuletzt, weil der charmante Herzensbrecher darin auch noch selbst auftrat. Hier überlässt er jenes Feld dankenswerterweise dem famosen Donald Sutherland. Ein Schauspielerfilm durch und durch und wegen seiner Entstehungszeit auch absolut im grünen Bereich, für mich persönlich, wie gesagt, insgesamt allerdings etwas zu... pastellfarben.

7/10

Robert Redford Chicago Vorort Familie Psychiatrie Vater & Sohn Best Picture


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WHAT BECOMES OF THE BROKEN HEARTED? (Ian Mune/NZ 1999)


"I've had enough."

What Becomes Of The Broken Hearted? ~ NZ 1999
Directed By: Ian Mune

Fünf Jahre nach der Trennung von seiner Ex-Frau Beth (Rena Owen) hat sich für Jake "The Muss" Heke (Temuera Morrison) nicht allzuviel geändert. Er hat zwar eine neue Freundin (Edna Stirling), doch diese Beziehung bleibt eher schwebend und vorsichtig. Suff und Schlägereien gehören für Jake nach wie vor zur Tagesordnung. Als jedoch sein Sohn Nig (Julian Arahanga) infolge eines Gang-Anschlages stirbt, beginnt für ihn ein langsamer Prozess des Umdenkens, der sich forciert beschleunigt, als Jakes Zweitältester Sonny (Clint Eruera) den Tod seines Bruders aufklären möchte und sich mit dessen früherer Freundin (Nancy Brunning) mitten in die Höhle des Löwen begibt. Für Jake heißt es nun, ein drittes Kind vor gewaltsamem Sterben zu bewahren, doch dazu muss erst seine eigene Persönlichkeit reifen.

Bei weitem nicht so wuchtig und wichtig wie der massive "Once Were Warriors", bietet dessen Sequel "What Becomes Of The Broken Hearted?" immerhin eine willkommene Chance für den wunderbaren Temuera Morrison, seinem Charakter des "Jake The Muss" neue Nuancen abzuringen. Wo "Once Were Warriors" immer auch ein wenig liebäugelte mit der eruptiven Gewalt, die von Jake ausging, macht Munes Fortsetzung sogleich klar, dass dieser Weg nun endgültig nicht mehr gefragt ist. Seine alten Freunde sind weg, wohl auch,- man darf ein wenig in den nerdigen Filmorkus hineinspekulieren-, wegen Jakes selbstjustizialer Aktion gegen "Onkel" Bully im Vorgänger. Und es geht noch weiter abwärts. In seinem Stammlokal bekommt er Hausverbot, weil er die Einrichtung einmal zu häufig demoliert hat, seine neue Freundin kehrt ihm gleich nach dem ersten Anflug von Beziehungsgewalt konsequent den Rücken zu. Dafür kommen neue, vernünftigere Kumpels des Weges, die Jake deutliche Alternativen aufzeigen ohne sich missverständlich zu geben und ihm auf seinem weiteren Weg helfen.
Die parallel dazu erzählte Geschichte um Sonny Heke und seine detektivischen Ausflüge ins Banden-(Un-)Wesen von Wellington fält dagegen rapide ab. Nicht nur, dass man gleich zu Beginn den Eindruck erhält, diesem in "Once Were Warriors" noch völlig unerwähnt gebliebene Kind der Hekes käme eine dramaturgische Alibifunktion zu; die Ganggeschichte wird zudem eher ungelenk und betont spannungslos dargeboten.
Wenn er leise Töne anschlägt, ist Munes Film am stärksten, gerade weil darin die Weiterentwicklung des Vorgängers am Deutlichsten wird. Für Liebhaber von "Once Were Warriors" somit gewissermaßen unerlässlich; als eigenständiges Werk allerdings wohl ebensogut zu vernachlässigen.

6/10

Ian Mune Alan Duff Sequel Neuseeland Wellington Slum Gangs Maori


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ONCE WERE WARRIORS (Lee Tamahori/NZ 1994)


"People show their true feelings when they're drunk."

Once Were Warriors (Die letzte Kriegerin) ~ NZ 1994
Directed By: Lee Tamahori

In einem verslumten Vorort von Wellington lebt die siebenköpfige, maoristämmige Familie Heke, Mutter Beth (Rena Owen), Vater Jake (Temuera Morrison) und ihre fünf Kinder Nig (Julian Arahanga), Grace (Mamaengaroa Kerr-Bell), Boogie (Taungaroa Emile), und die Kleinsten, Polly (Rachael Morris Jr.) und Huata (Joseph Kairau). Jake, genannt "Jake The Muss" ist der gefürchtetste Schläger im Viertel und macht auch vor seiner Frau nicht Halt. Diese versucht tapfer, die Familie zusammenzuhalten und ist gefangen zwischen der Liebe zu und der Angst vor ihrem Mann. Nig hat seine Familie längst aufgegeben und in einer aus jungen Maori bestehenden Gang ein neues Zuhause gefunden. Boogy muss wegen mehrerer Straftaten in eine Erziehungsanstalt und die sensible Grace sublimiert ihre Gefühle im Schreiben von Fantasy-Geschichten. Eines Nachts wird Grace, im Zuge einer von der Heimpartys ihres Vaters, von dessen Freund Bully (Cliff Curtis) vergewaltigt. Sie kann mit diesem Ereignis nicht umgehen, verschweigt es und begeht schließlich Selbstmord. Für Beth das letzte Zünglein an der Waage, endlich "Nein" zu Jake und seinem Leben zu sagen.

Ein weiterer buchstäblicher Faustschlag-Film, besonders schwer zu ertragen wegen seines unglaublich authentischen Gespürs im Hinblick auf die Chronik einer dysfunktionalen Familie. Anders als übliche Stereotypisierungen verzichtet "Once Were Warriors" auf simple Schwarzweißmalerei. Jake Heke ist eigentlich sogar ein ganz patenter Typ, einer, mit dem man sich durchaus vorstellen kann, literweise Bier zu trinken, einer, der es versteht, zu feiern, zu singen und gut drauf zu sein. Leider ist da aber auch noch eine dunkle, Mr-Hyde-artige Seite, die jenseits einer gewissen Promillegrenze erwacht. Da mutiert Jake plötzlich zu einem ultrabrutalen Schläger, akut aggressiv, misogyn, der seine zarte Frau grün und blau prügelt und sie hernach noch vergewaltigt. Da sollte man dann besser nicht seinen Weg kreuzen und ihn schon gar nicht auf dem falschen Fuß erwischen - ein kurzer Prozess wäre die Folge. Dieses Wechselspiel durchlebt der Zuschauer parallel zu Beth, oder besser gesagt, die Endphase einer bereits achtzehn Jahre währenden Entwicklung. Die spezielle Kunst des Films liegt in seiner Analogisierung des familiären Zerfalls und der Entwurzelung einer Kultur durch generationenlange, kolonialistische Beeinflussung. Die Geschichte von "Once Were Warriors" hätte sich im Prinzip auch ebensogut in einer Familie von Aborigines oder bei nordamerikanischen Indianern abspielen können. In Beth findet sich, trotz ihrer ebenfalls omnipräsenten Affinität zu Bier und Rausch, noch der Stolz einer uralten Kriegerkaste, der sie entstammt. Und dieser setzt sich, zumindest bei ihren Söhnen, auch weiter fort. Was Jake anbelangt, so ist sein tief drinnen schlummernder, stets aktiver Wutvulkan nicht nur einer genetischen Vorprägung zu "verdanken", sondern zugleich ein Aufschrei gegen lose kulturelle Enden und das sich zwangsläufig einstellende soziale Ungleichgewicht durch die "Zivilisation" infolge der einstigen Kolonialisierung. Ganz unabhängig davon ist "Once Were Warriors" ein pures, filmisches Kraftpaket, das einen, so paradox es anmuten mag, gleichermaßen ganz tief runterbuttert und andererseits das ganze progressive Energiepotenzial des unverdrossenen Weitermachens veranschaulicht.

10/10

Lee Tamahori Neuseeland Wellington Maori Vergewaltigung Ehe Familie Feminismus Transgression Alan Duff Slum


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MIDNIGHT EXPRESS (Alan Parker/USA, UK 1978)


"I'm Billy Hayes. Or at least I once used to be."

Midnight Express (12 Uhr nachts - Midnight Express) ~ USA/UK 1978
Directed By: Alan Parker

1970 versucht der junge Amerikaner Billy Hayes (Brad Davis), ein größeres Kontingent Hasch von Istanbul in die USA zu schmuggeln. Er wird jedoch am Flughafen erwischt und kommt nach einem Fluchtversuch in das Gefängnis Sağmalcılar in Istanbul. Seine zunächst auf fünfzig Monate festgesetzte Haftstrafe übersteht er mit zahlreichen psychischen Blessuren, 53 Tage vor seiner Freilassung wird der Fall durch einen übereifrigen Staatsanwalt (Kevork Malikyan) neu aufgerollt und Billys Strafe auf lebenslänglich heraufgesetzt. Ein paar weitere schlimme Ereignisse sorgen dafür, dass Billy bald darauf in die 'Sektion 13' für psychisch kranke Straftäter verlegt wird. Als sich ihm die Wahl stellt zwischen tatsächlichem Wahnsinn und Tod oder dem Risiko eines Ausbruchs wählt er die Freiheit und schafft es tatsächlich zu entkommen.

Einen suggestiver, wütender und zugleich spannender geschriebenen und inszenierten Film auszumachen als "Midnight Express" dürfte schwierig werden. Allerdings gestaltet er sich, das muss man einräumen, auch sehr tendenziös, um nicht zu sagen rassistisch. Der Scriptautor Oliver Stone beteuerte zwar, dass er es keineswegs auf eine Verunglimpfung des türkischen Volkes abgesehen, sondern das repressive Justizsystem des Landes lediglich als Exempel für sämtliche globalen Ungerechtigkeiten im Strafvollzug gestanden habe, zu Recht jedoch waren und sind viele Menschen bis heute über die einseitige Darstellung des Films erbost. Es gibt keinen einzigen sympathisch gezeichneten Türken im Film; stattdessen symbolisieren sie in geballter Form - die Polizei, der Staatsanwalt, der Richter, Hayes korrupter, fetter Verteidiger, der schleimige Knastspion Rifki und ganz besonders der sadistische Aufseher Hamidou, einen ganzen, hässlichen Menschenschlag des Bösen, eine diabolische Clique sich unbewusst ergänzender Teufelsadvokaten. Diverse reale Ereignisse wurden im Zeichen der filmischen Dramaturgie chronologisch umgestellt, oder gleich komplett verändert und selbst der echte Billy Hayes zeigte sich später als ungehalten bezüglich Parkers und Stones offensiv-agitatorischer Art der Narration. Türkische Lebensart, Justiz und Gefängnisse fanden sich durch den gewaltigen Popularitätsradius des Films noch über Jahre denunziert und verunglimpft. So weit, so schlecht. Dennoch ist "Midnight Express" ein großes Meisterwerk des Spanungskinos, ein Film, der nicht genossen werden will, dem man sich vielmehr aussetzt. Er entfaltet eine geradezu beispiellose Sogwirkung, macht die Qual des seelischen Bruchs und den schmalen Gratverlauf zwischen mentaler Gesundheit und forcierter pathologischer Psyche deutlich wie nur wenig sonst im Kino. Man muss in der Lage sein zu differenzieren, die Wahrnehmung des Films als subjektiv und gewissermaßen "alternierend" wahrzunehmen, dann eröffnet sich einem die ganze Wucht von "Midnight Express", die sich über die Jahre um keinen Deut gemindert findet. Auch das ein Qualitätsmerkmal wahrhaft großen Kinos.

10/10

Alan Parker Oliver Stone period piece Biopic Türkei Marihuana Freundschaft Istanbul Gefängnis Transgression


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MAN ON THE MOON (Miloš Forman/USA, UK, D, J 1999


"Kaufman, did you come here to wrestle or act like an ass?"

Man On The Moon (Der Mondmann) ~ USA/UK/D/J 1999
Directed By: Miloš Forman

Der Komiker Andy Kaufman (Jim Carrey) entwickelt sich im Laufe seiner wechselhaften Karriere zu einem enfant terrible des amerikanischen Showbiz. Er inszeniert nahezu sein komplettes Leben als einen großen Performance-Akt, verunsichert Fans und Gegner mit scheinbar authentischen, hinterrücks jedoch von langer Hand einstudierten Kabinettstückchen. Zu seinen Coups gehört unter anderem die Erfindung eines schmierigen alter ego namens Tony Clifton, das 'Mixed Wrestling', bei dem Andy ausschließlich gegen Frauen antritt sowie diverse formatsprengende Auftritte in TV-Shows.

Nachdem die Band R.E.M. bereits auf ihrem 92er-Album "Automatic For The People" den Song "Man On The Moon" über die wundersamen Medienmanipulationen des 1984 mit nur 35 Jahren verstorbenen Comedian Andy Kaufman veröffentlicht hatten, wurde später ein gleichnamiges Script daraus und ein idealer Stoff für Miloš Forman, der sich mit mehreren Vorgängerfilmen bereits als wie gespuckt für den Stoff empfohlen hatte. Zum einen wären da seine bisherigen zwei Biopics über kontroverse Charaktere, nämlich Mozart bzw. Salieri und Larry Flynt, zum anderen liebt Forman seine abseitigen Helden wie kein Zweiter und stilisiert sie, gerade wegen ihrer häufig bizarren Biographien, zu Genies und Göttern ihrer Zunft. Sein Irrenhausinsasse R.P. McMurphy war ein Märtyrer der Geistesentfaltung, Coalhouse Walker (Howard E. Rollins Jr.) in "Ragtime" ein amerikanischer Michael Kohlhaas, Mozart das größte musikalische Genie aller Zeiten, der Pornoverleger Larry Flynt ein wichtige Vorreiter für Meinungs- und Pressefreiheit. Andy Kaufman schließlich, dieses wandelnde Mysterium des Showbiz, erhält von und durch Forman ein weiteres Helden-Manifest. Auffällig, bei allen (nicht nur Besetzungs-)Analogien zu den "Vorgängerfilmen" ist hier jedoch, wie verständnis- und liebevoll Forman mit Kaufmans Person umgeht. Dessen mitunter höchst alberne Eskapaden werden tatsächlich als brillante showacts gefeiert und sein langer Krebstod, der, da kann man sich bis heute nicht ganz ganz sicher sein, möglicherweise auch bloß eine weitere von Andy Kaufmans legendären Publikumsverunsicherungen bildete, wird mit einer zusätzlichen Portion Empathie und Melancholie geschildert. Formans ganze Brillanz zeigt sich in einer späten Einstellungs-Überleitung zwischen Andys gequält lachendem Gesicht, als er erkennen muss, dass auch seine letzte Hoffnung in Form einer philippinischen Blitzheiltherapie wie das Allermeiste in seinem Leben bloß ein einziger, großer Nepp ist und seinem bleichen, entspannten Totengesicht im Sarg. Bravourös.

9/10

Miloš Forman Biopic period piece Fernsehen Krebs Stand-Up-Comedian


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THE PEOPLE VS. LARRY FLYNT (Miloš Forman/USA 1996)


"I oughta move somewhere where perverts are welcome."

The People Vs. Larry Flynt (Larry Flynt - Die nackte Wahrheit) ~ USA 1996
Directed By: Miloš Forman

Der Aufstieg des amerikanischen Printpornozaren Larry Flynt (Woody Harrelson) vom kleinen Nacktbarbetreiber bis hin zum Chef des nach 'Playboy' und 'Penthouse' dritten großen Nacktmagazins der westlichen Hemisphäre, des 'Hustler'. Immer wieder muss sich Flynt wegen offensiver Gags, Berichte und Cartoons in seiner Zeitschrift vor Gericht verantworten, wobei ihm sein Anwalt Alan Isaacman (Edward Norton) stets eine große Hilfe ist. Weniger erfolgreich als vor Justitia verläuft Flynts Ehe mit der Ex-Stripperin Althea (Courtney Love): Nachdem Larry von einem unbekannten Fanatiker (Jan Triska) angeschossen wird und fortan hüftabwärts gelähmt ist, wird er extrem opiatabhängig, wobei die labile Althea mitzieht. Im Gegensatz zu Larry bewältigt sie jedoch nie den Ausstieg aus der Sucht, erkrankt an HIV und stirbt 1987.

Ähnlich wie bereits in "One Flew Over The Cuckoo's Nest" bewältigt Miloš Forman auch in "The People Vs. Larry Flynt" die Gratwanderung zwischen Tragödie und Humor geradezu schwebend. Momente von grandioser Komik, etwa, wenn Flynt den Gerichten mittels demonstrativer Respektlosigkeit in Bekleidung und Gestus seine Missachtung präsentiert (besonders jener Prozess, welcher der Anklage folgt, die ihn dazu zwingen soll, die Quellen obskurer Videobänder preiszugeben, wäre hier zu nennen) wechseln sich ab mit solchen heftiger Dramatik, etwa, wenn der durch Drogen und Promiskuität hervorgerufene Verfall Altheas wieder ins Zentrum rückt. Courtney Love als Flynts ewige Muse und Liebe ist ganz wunderbar, nicht zuletzt, da ihre eigene Biographie kaum minder erodierend verläuft. Es ist schon herzzerreißend zu sehen, wie Flynt nach Überwindung seiner tiefen inneren Krise weiter zu Althea steht, obschon ihr längst nicht mehr zu helfen ist. Umso ergreifender ihre Todesszene.

9/10

Miloš Forman Journalismus Courtroom Biopic Drogen AIDS Heroin period piece Oliver Stone


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AMADEUS (Miloš Forman/USA 1984)


"From now on we are enemies, you and I."

Amadeus ~ USA 1984
Directed By: Miloš Forman

Wien um 1820: Nach einem Suizidversuch landet Antonio Salieri (F. Murray Abraham), der frühere Hofkapellmeister Kaiser Josephs II (Jeffrey Jones), in einer geschlossenen Anstalt für Geisteskranke. Nach verbalen Äußerungen, denen zufolge Salieri sich die Schuld am Tode des rund drei Jahrzehnte zuvor verstorbenen Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart (Tom Hulce) gibt, soll ihm ein Geistlicher (Richard Frank) die Beichte abnehmen. Salieri berichtet davon, wie er ein von scheinbar göttlichen Gnaden gesegnetes Genie kennen, schätzen und zugleich abgrundtief hassen gelernt und Mozart wegen seines unvergleichlichen Könnens respektive aus diesbezüglichem Neid stets Steine in den Weg geworfen hat. Am Ende bleibt Salieri eine ungenießbare Mischung aus Triumph und Schuldbewusstsein.

Man muss kein ausgesprochener Freund klassischer Musik oder auch nur der von Mozart sein, um "Amadeus" zu lieben. Ferner versagt sich der Film den herkömmlichen Aufzug einer Prominentenbiographie, vielmehr zeigt er das Duell zweier Widersacher, von denen sich einer gar nicht bewusst ist, dass und wie sehr der andere ihm seine Fähigkeiten neidet und ihm darüber hinaus permanent hinterrücks zu schaden versucht. Auch ist "Amadeus" eine Reflexion über die Differenz zwischen handwerklichem Können und wahrem Genie; wobei der jeweilige, zeitgenössische soziale Einflussfaktor davon betont unbeeinflusst bleibt. Im Gegenteil fließt seine Kreativität förmlich ohne Unterlass aus Mozart heraus, während Salieri hart arbeitet. Der Eine liebt den vulgären Müßiggang, Zoten, Suff und Weiber, derweil der Andere weder die höfische noch die sittliche Etikette nie verletzen würde und sich an verbotenen Genüssen allerhöchstens Wiener Zuckerbäckerspezialitäten munden lässt. Am Ende obsiegt dann, wie so oft auch im wahren Leben, der heimliche, versteckt ausgeführte Dolchstoß. Unabhängig von derlei Diskursivität verzaubert Formans großes Werk durch seine Detailtreue, seine geradezu versessenen Hang nach Sorgfalt und filmischer Kunstfertigkeit, die jedoch nie den erzählerische Qualität zu überflügeln droht. Alles fügt sich, lebt, atmet. "Amadeus" ist somit vor allem ein quicklebendiger Film.

10/10

Miloš Forman Wien period piece Mozart Rokoko Österreich Historie Musik Duell Peter Shaffer based on play D.C. Vater & Sohn Best Picture Biopic


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ONE FLEW OVER THE CUCKOO'S NEST (Miloš Forman/USA 1975)


"Jack Dumpey's full of shit!"

One Flew Over The Cuckoo's Nest (Einer flog über das Kuckucksnest) ~ USA 1975
Directed By: Miloš Forman

Um seine Haftstrafe wegen angeblicher Verführung einer Minderjährigen etwas abwechslungsreicher zu gestalten, spielt der Nonkonfirmist R.P. "Mac" McMurphy (Jack Nicholson) den Irren und landet in einer geschlossenen Psychiatrie. Den institutionalisierten Alltag seiner Mit-"Patienten" bläst er durch seine freche Art heftig durcheinander und rasch ist er der Stationsoberschwester Ratched (Louise Fletcher) ein gewaltiger Dorn im Auge. Als Macs unerwünschte Eskapaden zunächst in einem kurzerhand organisierten, ungenehmigten Angelausflug der Patienten und kurz darauf in einer Auseinandersetzung mit dem Pflegepersonal gipfeln, lernt der rebellische Insasse die ganze Unbarmherzigkeit des ihn festhaltenden Systems in Form einer Elektroschocktherapie kennen. Infolge des anschließenden Gesprächs beschließt man, Mac auf unbestimmte Zeit hierzubehalten. Die mit seinem Seelenverwandten, dem Indianer Bromden (Will Sampson) geplante Flucht gipfelt in einer nächtlichen Sauforgie mit zwei Huren. Am nächsten Morgen treibt die rachsüchtige Schwester Ratched den unter einem schweren Ödipuskomlex leidenden Billy (Brad Dourif) in einen urplötzlich vollzogenen Suizid, woraufhin Mac sie beinahe erwürgt. Beim nächsten Mal als Bromden seinen Freund Mac sieht, muss er entsetzt feststellen, dass man diesen einer Lobotomie unterzogen hat...

Immer wieder ein unglaublich fesselndes Erlebnis, Formans Film, dazu in jeder Hinsicht formvollendet, hochkomisch ohne zu denunzieren, todtraurig ohne je auch nur ansatzweise kitschig zu sein, mit einem der größten Gänsehautfinales der gesamten Kinogeschichte.
Ein guter Freund von mir, der schon seit Jahren Pfleger auf psychiatrischen und Suchtstationen des hiesigen Hospitals ist, hat mir mal erzählt, dass "On Flew Over The Cuckoo's Nest" dem auszubildenden Pflegepersonal jahrgangsweise als fest integriertes Element gezeigt wird, als kulturhistorisches "Negativbeispiel" sukzessiv misslingender Psychotherapie. Ich muss immer ein bisschen grinsen, wenn das Thema mal wieder darauf kommt, weil zumindest der Film (Roman und Stück sind mir unbekannt) das Thema 'Psychiatrie' ja bestenfalls als handfeste Analogie, als Parabel benutzt, um den persönlichkeitsbrechenden Einfluss repressiver Systeme auf Individuen zu zeigen. Forman selbst sagt, der Film spiegele im Prinzip exakt die Zustände innerhalb seines Heimatlandes (der Tschechoslowakei) wider vor seinem Gang ins US-Exil. In "Cuckoo's Nest" wird ein autoritäres Schäfchenspiel durchexerziert; Schwester Ratched, gerade wegen ihrer unerschütterlichen Selbsträson eine der diabolischsten und freilich meistgehassten Frauenfiguren des Kinos, buckelt nach oben und tritt nach unten. "Oben", das sind Chefärzte und Justiz, "unten", das sind die Patienten, die psychisch zerschmetterten Lämmer, die ausgerechnet den Wolf benötigen, um von ihm umsorgt und beschützt zu werden. Darin liegt zugleich die größte Heimtücke des Lebens in und mit der Anstalt: Sie bietet die Illusion von Sicherheit um den Preis der Aufgabe der persönlichen Freiheit. Erst McMurphy, der inoffizielle Sozialrebell, bietet dieser ausgebufften Hierarchie die Stirn, verliert, als er endgültig die Beherrschung verliert, jedoch das Duell gegen seine Antagonistin und wird "begradigt", indem man ihm seine Seele kurzerhand wegoperiert. Nur sein letzter Freund, der Indianer "Chief" Bromden (unglaublich würdevoll: Will Sampson), in dem sich schon lange ein bereits seit vielen Generationen schwelender Widerstand regt, entschließt sich nach dieser letzten großen Schweinerei zur Offensivität - nicht unmittelbar gegen die diktatorischen Handlanger, sondern gegen Mauern und Gitter - und zur Flucht. So findet Macs kleine Revolution des Individuums doch noch einen großen Nachhall. Und der wilde Gesichtsausdruck des weiteren Mitpatienten Taber (Christopher Lloyd) angesichts Bromdens Selbstbefreiungsaktion lässt darauf hoffen, dass dieser Ausbruch nicht der letzte war.

10/10

Psychiatrie Ensemblefilm Duell Rebellion Parabel Oregon period piece Miloš Forman Ken Kesey based on play Indianer New Hollywood Best Picture





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