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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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SUPERMAN (Richard Donner/UK 1978)


"Lex, my mother lives in Hackensack."

Superman ~ UK 1978
Directed By: Richard Donner

Kurz vor der Explosion des Planeten Krypton schickt der Wissenschaftler Jor-El (Marlon Brando) seinen erst wenige Wochen alten Sohn Kal-El in einer Raumkapsel zur Erde. Nach drei Jahren landet der Flugkörper in einem Weizenfeld in Kansas, wo ihn das kinderlose Farmehepaar Jonathan (Glenn Ford) und Martha Kent (Phyllis Thaxter) findet. Den Knirps, der gleich nach seiner Befreiung gigantische Körperkraft offenbart, adoptieren sie kurzerhand. Jahre später, sein irdischer Vater ist just verstorben, erfährt der mittlerweile im Teenageralter befindliche "Clark" Kent (Jeff East) um das Geheimnis seiner Herkunft. Ein Kristall aus seiner in der Scheune versteckten Kapsel lotst ihn in die Arktis, wo aus dem artefakt eine gigantische Festung erwächst. Hier erfährt Kal-El alles über seine wahren Eltern, seinen Heimatplaneten und seine Aufgabe auf der Erde. Nachdem er sich in der Großstadt Metropolis eine Zweitidentität als Reporter beim Daily Planet aufgebaut hat, wird "Superman" (Christopher Reeve), wie ihn seine Journalistenkollegin Lois Lane (Margot Kidder) tauft, zum Wahrzeichen der Stadt. Umgehend tritt jedoch auch der unumgängliche Antagonist auf den Plan: Der Superverbrecher Lex Luthor (Gene Hackman), der riesige Areale in der Wüste Kaliforniens aufkauft und damit ganz spezielle Pläne hat...

Nachdem "Jaws" und "Star Wars" den Schwanengesang New Hollywoods eingeläutet hatten und den Studios demonstrierten, wie reichhaltig mit phantastischen Stoffen Kasse zu machen ist, kümmerten sich das ungarischstämmige Produzentengespann Salkind Senior und Junior um die Rechte an dem amerikanischen Comic-Book-Mythos Superman, der 1977 bereits stolze neununddreißig Jahre auf dem Buckel hatte. Unter späterer Einbeziehung des Regisseurs Richard Donner und über diesen des Scriptdoktors Tom Mankiewicz erhielt "Superman" seine nunmehr bekannte, filmische Urform. Der Ansatz bestand darin, die Comic-Mythologie ernst zu nehmen und sie nicht zu parodistischem Camp verkommen zu lassen, wie es zuvor das "Batman"-TV-Serial aus den Sechzigern vorexerziert hatte. Die Figur und ihr Universum sollten zu seriösem Leben erweckt werden und unter Zuhilfenahme eines gigantischen Budgets zeitgenössisches Kinoformat erhalten. Zudem sollten gleich zwei Filme back to back entstehen, ein Plan, der unter den bald erkaltenden Füßen der Geldgeber jedoch verworfen wurde und dessen Aufgabe dem gerade beginnenden Franchise eine traurige spätere Entwicklung verschaffte.
Das Endresultat dieser ersten wirklichen Comic-Verfilmung, die all den infantilen Ansätzen der Vergangenheit den Boden unter den Füßen wegzog, war möglicherweise sogar noch vollendeter als seine Hersteller es sich zuvor ausgemalt hatten: "Superman" ist ein Meisterwerk des amerikanischen Films und von bleibend hohem kulturellen Rang. Ein Film, der mit seiner Fantasie und seinem Herzblut ungebrochen verzaubert und der seiner Titelfigur als amerikanischer Ikone zugleich ungeahnte Metaebenen verleiht. Ein Film, der weit mehr noch als "Star Wars" als gewissermaßen bourgeoise Replik auf das langjährige, selbstgesäte Misstrauen in das Land gewertet werden muss und dessen starker kreativer, europäischer Impact ihn möglicherweise weitaus intelligenter dastehen ließ als es eine rein nationale Produktion vermocht hätte. Ein Film schließlich, der abgesehen von seinen sicherlich antiquiert wirkenden Spezialeffekten von einer formalen Meisterschaft ist, die in solcher Vollendung vielleicht einmal alle zehn Jahre die Wahrnehmung des geneigten Kinobesuchers erfreut. Dazu zählen Geoffrey Unsworths nebulöse Weichzeichnerbilder von den Weiten des Mittelwestens und der Reise durch Kal-Els Geisteswelt ebenso wie John Williams' epochaler Score (womöglich sein bester) und natürlich Richard Donners Inszenierung, die nie wieder solch ehrgeizige Qualität erreichen sollte. Ein brillantes Ensemble, allen voran der im Rückblick so traurige Star Christopher Reeve, der mit seiner Superman-Interpretation eine filmische Heldeninkarnation geschaffen hat wie niemand sonst, stimmt diesen Wahnsinnsfilm ab bis aufs i-Tüpfelchen. Für mich, man ahnt es angesichts der obigen Zeilen, ist "Superman" schon seit frühester Kindheit ein Lebensbegleiter und sicherer Herzwärmer in trüben Tagen, der sich nie, niemals abnutzen wird. Ob ich ihn als Erstklässler mit großen Augen auf dem Fernseher verfolgte, ihn als späterer Grundschüler bei einer Wiederaufführung anlässlich des dritten Teils erstmals im lokalen Kino erleben durfte oder ihn als Teenager als 'Trip Movie' genoss; "Superman", "Richard Donners Superman" bitt'schön, war immer bei mir. Und er wird es immer sein.

10*/10

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THE RUSSIA HOUSE (Fred Schepisi/USA 1990)


"It's everyone's duty to start the avalanche."

The Russia House (Das Russland-Haus) ~ USA 1990
Directed By: Fred Schepisi

Der Londoner Verleger und Russlandliebhaber Barley Blair (Sean Connery) wird von einem russischen Physiker (Klaus Maria Brandauer) auserkoren, dessen Aufzeichnungen über die marode russische Rüstungsindustrie im Westen publik zu machen. Ziel soll der baldige Stop des sinnlosen internationalen Wettrüstens sein. Als Mittelsfrau wählt "Dante", so der Codename des Physikers, die hübsche Lektorin Katya (Michelle Pfeiffer). Unumwunden werden die Geheimdienste auf Blair aufmerksam und überreden ihn, für sie Blairs Identität und Vertrauenswürdigkeit festzustellen. Auf seiner Reise nach Moskau verliebt er sich in Katya, die, als der KGB Wind von Dantes Plänen bekommt, in höchste Lebensgefahr gerät.

Ein filmästhetischer Hochgenuss, den der Australier Schepisi da kredenzt. Mit der Öffnung des Vorhangs ging auch die Option, vor Ort zu drehen einher und diese nutzte Schepisi in unvergleichlich beeindruckender Weise. Es gibt Städteimpressionen von Moskau und Leningrad, die auf der Leinwand ihresgleichen suchen; schwelgerische urbane Bildkonstrukte von geradezu klassischer Würde und Schönheit, die sogar ihre charakterliche Berechtigung finden, da sie Blairs Liebe zum Land in visuelle Erläuterung kleiden. Wer behauptet, dass Sean Connery kein guter Schauspieler sei, der möge sich darüberhinaus bitte diese Performance von ihm zu Gemüte führen und schweige danach für immer stille. Für eine le-Carré-Adaption besitzt "The Russia House" ferner ein ungewohntes Maß an Emotionalität und Herzenswärme, die nicht zuletzt durch das erwachsene, höchst diffizil angelegte Dialogscript sowie durch die mitreißend inszenierte Romanze zwischen Connery und Pfeiffer forciert werden. So steht "The Russia House" in bester, altehrwürdiger Kinotradition und führt diese in bravouröser Weise fort.

9/10

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L.A. STORY (Mick Jackson/USA 1991)


"I keep thinking I'm a grown up, but I'm not."

L.A. Story ~ USA 1991
Directed By: Steve Martin

Harris K. Telemacher (Steve Martin) ist als komödiantischer Wetterfrosch bei einem lokalen Fernsehsender längst festes Mitglied der High Snobiety von L.A.. Mit seiner Freundin Trudi (Marilu Henner) lebt er ein unausgegorenes Leben zwischen Unzufriedenheit und Betrug, sein junger Boss (Woody Harrelson) ist ein rechter Kotzbrocken. Als ihm eines Tages die so erfischend konventionelle Londoner Journalistin Sara McDowel (Jessica Tennant) begegnet, krempelt sich sein von Oberflächlichkeiten umrahmtes Leben entscheidend um.

Steve Martins "Woody-Allen-Film", in dem wohl alles diametral gehalten ist zum bebrillten Regisseur und Klarinettisten. L.A. ist nicht New York. Und Martin ist nicht Allen. Sein Protagonist ist kein neurotischer Autor, sondern ein unkreativer Spaßvogel mit etwas einfältigen Methoden der Freizeitgestaltung. Marcel Ophüls, Freud, Bergman oder Strindberg sind für Martin kein Thema, mit Django Reinhardt und Chansons kann jedoch auch er etwas anfangen. Dafür ist Martins Ansatz, eine Hommage an seine Stadt zu schaffen, ein weitaus filmischerer. Er scheut sich nicht vor visuellen Tricks und Surrealismen; Blumen im Zeitraffer, Gedankenbläschen mit Mel Gibson darin oder der traumhaften Rückverwandlung eines frischverliebten Paares in seine Kleinkindesgestalt. Ebenjene Momente sind es, die "L.A. Story" seine spezifische, unwiderstehliche Magie verleihen. Das honorierten auch des Autors Komikerkollegen Chevy Chase, Rick Moranis und Terry Jones, die in feinen Cameos (letzterer in einem rein auditiven) dabei sind. Mich würde interessieren, ob Allen Martins, Verzeihung, Jacksons Film einmal gesehen hat und, falls ja, wie er ihm gefiel. Ich bleibe insgesamt betrachtet lieber bei Allen und New York, mag Martins Städte-Hommage aber dennoch sehr, insbesondere wegen ihrer fürstlichen Musikuntermalung mit sphärischen Enya-Songs. Und Django Reinhardt.
Ein Kompliment noch für Patrick Stewarts gnadenlos witzigen Gastauftritt und, in diesem Zusammenhang, auch an die ausnahmsweise wahrlich bravouröse deutsche Synchronfassung mitsamt Martins bestem, leider allzu selten in Anspruch genommenem Sprecher Eckart Dux.

8/10

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GONE WITH THE WIND (Victor Fleming/USA 1939)


"Frankly, my dear, I don't give a damn."

Gone With The Wind (Vom Winde verweht) ~ USA 1939
Directed By: Victor Fleming

Georgia, 1861: Scarlett (Vivien Leigh), älteste Tochter des Plantagenbesitzers Gerald O'Hara (Thomas Mitchell), wird von jungen Männern umschwirrt wie ein Gaslicht von Motten, doch sie interessiert sich nur für den Nachbarssohn Ashley Wilkes (Leslie Howard), der wiederum bereits seiner Cousine Melanie (Olivia de Havilland) das Eheversprechen gegeben hat. In diese romantischen Wirren platzt der Sezessionskrieg, der die kriegslüsternen Konföderierten schwer in die Schranken weist und die eilends mit einem Jungspund (Rand Brooks) verheiratete Scarlett erstmals zur Witwe macht. In unregelmäßigen Abständen begegnet sie auch immer wieder dem zynischen Filou Rhett Butler (Clark Gable), der als bekennender Opportunist mit dem Krieg Geschäfte zu machen versteht, immer wieder jedoch Durchbrüche der Moral erlebt. Als Butler einige Jahre später schließlich Scarletts mittlerweile dritter Ehemann wird, lebt das Paar trotzig aneinander vorbei, obgleich man sich tief im Herzen doch liebt.

Der Schwulst dieses monumentalen Epos kann seine tiefe innere Schönheit zum Glück trotz aller Bemühungen nicht zukleistern. Ebensowenig wie der ihm innewohnende, akute Rassismus, der gegenüber Margaret Mitchells literarischer Vorlage immerhin noch deutlich abgemildert wurde. Dennoch graust es einem doch bisweilen, mit welchem Selbstverständnis das alte Hollywood noch das zwangsläufige Untermenschentum des Afroamerikaners thetoretisierte. Die bloße szenische Darstellung der Schwarzen im Film kann man ihm nicht anlasten, die entspricht vermutlich (wohl eher noch in beschönigender Form) dem südstaatlichen Zeitkolorit der Sklavenära. Dass die 'Neger' allerdings stets als unterbelichtete comic relieves herhalten müssen, deren dunkle Pigmentierung mit einer eindeutigen Form geistiger Behinderung parallelisiert wird, lässt sich nur angesichts des Alters von "Gone With The Wind" guten Gewissens ertragen. Doch welcher Pomp, welch große Gefühle lauern über diesem Trübsal: Eine Farbenpracht von größtmöglicher Schönheit, Verschwendungssucht allerorten und natürlich ein bleibend aktueller Antikriegsfilm. Bei der Betrachtung des Werkes stellt sich unweigerlich eine ganz spezielle Gefühlslage ein; diese kenne ich nur hierher und von den Filmen David Leans. Große Traurigkeit, schicksalhafte Endgültigkeit. Diese Menschen wussten offensichtlich noch, wie man mit Würde zu leiden hatte. Und wie unglaublich die Vergänglichkeit der Zeit: Bei der Kinopremiere von "Gone With The Wind" in Atlanta waren noch wirkliche konföderierte Veteranen unter den Gästen (die von der MGM freilich mit großem Trara dorthingerollt wurden, doch egal) und die Distanz zwischen der Gegenwart und der Filmentstehung entspricht in etwa der zwischen dem Ende des Sezessionskrieges und seiner Premiere. Ein Wahnsinn, das alles.

9/10

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CAT CHASER (Abel Ferrara/USA 1989)


"I don't talk to the cleaning staff."

Cat Chaser (Short Run - Hexenkessel Miami) ~ USA 1989
Directed By: Abel Ferrara

George Moran (Peter Weller), der einst für die CIA im Bürgerkrieg in der Dominikanischen Republik mitinterveniert hat, ist nun Besitzer eines kleinen, aber sauberen Hotels an der Strandzeile von Miami Beach. Da begegnet ihm seine Vergangenheit wieder in Form des "Ex-Berufskollegen" Tyner (Frederic Forrest), der sich in Morans Hotel einmietet. Moran erinnert sich an ein Mädchen, das ihm einst während der Krise geholfen hat und das er nun wiederfinden möchte. An dessen Stelle begegnet er in Santo Domingo jedoch seiner Ex-Flamme Mary (Kelly McGillis) wieder, die jetzt mit dem schwerreichen Ex-Geheimpolizeichef der DomRep, Andres DeBoya (Tomas Milian), verheiratet ist. Mary, die Moran immer noch liebt, beabsichtigt, sich von DeBoya zu trennen, was dieser nur sehr ungehalten aufnimmt. Und dann ist da noch der alternde Schnüffler Scully (Charles Durning), der seine Rente mit DeBoyas Moneten aufzupolieren plant...

Abel Ferrara selbst hasst "Cat Chaser", weil er während der Herstellung mit dem Produzenten Peter Davis aneinandergerasselt ist, worauf dieser dem Regisseur die Verantwortung über den Endschnitt entzog. Der fertige Film, so Ferrara, sei nicht (mehr) seiner und er hätte ihn gern noch einmal gemacht. Zudem sei er mit der angeblich exponierten Freizügigkeit Kelly McGillis' nicht klargekommen (die nach eigenem Bekunden ihrerseits wiederum die Arbeit mit dem Regisseur hasste) - nachzulesen im Interviewbuch "Dark Stars".
Dominik Graf lobt die Leonard-Verfilmung in seiner Essay-Sammlung "Schläft ein Lied in allen Dingen" derweil über den grünen Klee, bezeichnet sie gar als Meisterwerk und schiebt Ferraras ihm unverständliche Unzufriedenheit mit "Cat Chaser" der ohnehin etwas eigenwilligen Art des Regisseurs zu, sich zu gewissen Dingen zu äußern sowie dem etwas merkwürdigen, wenngleich typischen Erzpuritanismus jener Generation italoamarikanischer New Yorker Filmemacher. Meine Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Als Leonard-Verfilmung verzeichnet "Cat Chaser" das nötige, schwülwarme Flair der Kriminalromanze in schwarz, angesiedelt unter den Palmen Floridas. Aus dieser Warte ist alles in bester Ordnung. Auch als misskomponiert würde ich den Film nicht mit Fug und recht bezeichnen wollen, da Ferraras Stil immer auch von bewussten Brüchen und Wechseln zehrt. Man muss ihm also schlicht glauben, wenn er aus den angegebenen Gründen nicht zu "Cat Chaser" stehen möchte. Dass ein Regisseur sein Werk a posteriori negiert, muss ja aber nicht a priori bedeuten, dass es misslungen ist. Wer auch immer "Cat Chaser" am Ende "zurecht"montiert hat (angegeben ist nach wie vor Ferraras Hauscutter Anthony Redman), der hat einen absolut trefflichen Job getan. Wohl kein Film, der es einem gerade leicht macht, aber einer, der die Beschäftigung mit sich reich entlohnen kann.

8/10

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THE COMPANY OF WOLVES (Neil Jordan/UK 1984)


"...and that's all I'll tell you, cause that's all I know."

The Company Of Wolves (Die Zeit der Wölfe) ~ UK 1984
Directed By: Neil Jordan

Die pubertierende Rosaleen (Sarah Patterson) rettet sich in eine fieberhafte, barocke Traumwelt, die bevölkert wird von Dörflern, Rokoko-Adel und Werwölfen, die sich mit Vorliebe an jungen Mädchen delektieren. Die warnenden Worte ihrer etwas kräuterhexenhaften Großmutter (Angela Lansbury) ignorierend, findet Rosaleen am Ende jedoch zu sich selbst und ihrem eigenen Weg.

Auf "Rotkäppchen" basierendes Traumlogik-Märchen von Neil Jordan, in das man sich am Besten rückwärts hineinfallen lässt, ohne auf eine große formalästhetische Sinnsuche zu gehen. Dass Riesenschlangen durch den englischen Wald kriechen, wäre jedenfalls eine ganz neue Behauptung! Aber sie passen durchaus in den Film, als die großen Ur-Verführer sozusagen.
Jordan und seine Mitautorin Angela Carter legen das berühmte Märchen der Gebrüder Grimm ganz vernünftig aus. Wie alle ihrer Überlieferungen ist auch die Mär vom "Rotkäppchen" in erster Linie nämlich eine rigoros didaktische: Der Wolf, vor dem es sich so sehr in Acht zu nehmen gilt, das ist die männliche Sexualität, die Zähne, das ist das Gemächt. Doch es gibt noch eine dritte, feministische Möglichkeit zwischen gefressen werden und aufschlitzen: Sich auf halbem Wege zu begegnen nämlich. Das Tier zu domestizieren und sich der eigenen Körperlichkeit hinzugeben, kurz: die Selbstbestimmung. Die Alten haben nämlich auch nicht immer recht mit ihren alten Weisheiten und Lebensformeln. Manchmal lohnt es sich auch, das Leben selbst zu entdecken.
Eine hübsch grauslige Lektion in Sachen Erwachsenwerden von einem hübsch unangepassten Neil Jordan.

8/10

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NECRONOMICON - GETRÄUMTE SÜNDEN (Jess Franco/BRD 1968)


Zitat entfällt.

Necronomicon - Geträumte Sünden ~ BRD 1968
Directed By: Jess Franco

Die Künstlerin Lorna Green (Janine Reynaud) tritt in einem Lissaboner Club in einer Avantgarde-Show des Impressario Mulligan (Jack Taylor), zugleich ihr Liebhaber. Immer wieder verfällt Lorna in luftigeTagträumereien, die nach romantischen Einleitungen und erotischen Höhepunkten in Gewaltakten enden. Realität und Fantasie vermengen sich zusehends. Am Ende gibt es tatsächlich jeweils einen Toten, doch hat wirklich Lorna sie auf dem Gewissen?

Ein jazziges Vexierspiel, getränkt in Whiskey und Acid, das es unheimlich schick findet, Kunst zu zitieren um daraus selbst im besten Falle welche zu machen. Unaufhörliches Namedropping gehört ebenso dazu wie lax geführte Diskurse zu Psychoanalyse, unmoderne und zeitlose Kultur. Die vordergründige, abgehobene Arroganz von "Necronomicon" verleiht ihm jedoch zugleich einen höchst campiges Flair, denn bei aller mehr oder weniger angestrengt demonstrierten Unzugänglichkeit befindet man hier natürlich immer noch bei Franco und nicht bei Godard oder Resnais. Dennoch ist "Necronomicon", der trotz seines Titels freilich nichts mit Lovecrafts unheilvollem Zauberbuch zu tun hat, ein merkwürdig wunderbarer, vor allem fest mit seiner Entstehungszeit verketteter Film. Die Reynaud wirkt etwas wie eine verruchte, verdrogte Zwillingsschwester von Jane Fonda und der notorische Howard Vernon ist mal wieder ziemlich lustig. Am Ende raucht einem etwas die Birne, aber der Trip war trotzdem ziemlich 'square'.

8/10

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GRIECHISCHE FEIGEN (Siggi Götz/BRD 1976)


"Was guckst'n so blöd?"

Griechische Feigen ~ BRD 1976
Directed By: Siggi Götz

Anstatt wie mit ihren Eltern ausgemacht nach München zu fliegen, bleibt die neunzehnjährige Patricia (Betty Vergès) einfach in Griechenland und veranstaltet vor Ort eine planlose, freizügige Entdeckungsreise. Diese führt sie vor allem durch die Triebwelt maskuliner Begattungsmanöver aller Couleur, führt ihr aber ein ums andere Mal auch ihre eigene Unreife vor Augen. Am Ende erkennt sie, dass man am besten bei dem Mann bleibt, den man wirklich liebt.

Diese von einer Dame namens Patrizia Piccardi (mutmaßlich ein Pseudonym) gescriptete "Coming-of-Age"-Story ist recht untypisch für die LISA-Disco-Komödie jener Tage, da in ihr auf hohle Witzchen weithin verzichtet wird und man stattdessen einen weiblichen Simplicissimus hinaus in die Inselwelt der Ägäis entsendet, um dort das zu lernen, was die Menschheit eigentlich bereits seit ihrem Anbeginn wissen sollte. Gewissermaßen torpediert die Münchner LISA damit ihren äußeren Anspruch, Freizügigkeit und libertinären Lebensstil in frivoler Art und Weise zu kultivieren: Ihre sexuellen Abenteuer und Gelüste lassen die als so selbstbestimmt charakterisierte und ebenso auftretende Patricia nämlich ein ums andere Mal erscheinen wie ein dummes, kleines Rotzbalg, das am Ende dann sowieso nur reumütig zu seinem Liebsten zurückkehren kann. Jener Tom (Claus Richt) kann einem trotz Patricias überaus wohlgeformter Physis andererseits nur leid tun - er wird noch eine harte Zeit mit der rebellischen Antibourgeoise erleben. Vielleicht bekommt sie dann auch endlich mal, wonach sie unterbewusst ohnehin permanent zu verlangen scheint - links und rechts ein paar um die Löffel, gern auch um die hinteren.

5/10

Siggi Götz Griechenland Disco-Komödie Coming of Age Lisa-Film


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ESTHER AND THE KING (Raoul Walsh/I, USA 1960)


"Hang the betrayer!"

Esther And The King (Das Schwert von Persien) ~ I/USA 1960
Directed By: Raoul Walsh

500 Jahre vor Christi Geburt beherrscht Xerxes (Richard Egan), der König der Perser, ein gewaltiges Reich. Als er von einem seiner Feldzüge zurückkehrt und registriert, dass seine Frau (Daniele Rocca) ihn betrogen hat, wird er zum Zahnrädchen in einem allumspannenden Stürzungsplan seines intriganten Würdenträgers Haman (Sergio Fatoni). Dieser sucht eine Judäerin für Xerxes' nächste Ehe und findet sie in der Person der jungfräulichen Esther (Joan Collins). Mit viel Aufopferungsbereitschaft vermag es Esther schließlich, Xerxes zu einem gerechteren Herrscher zu machen und ihn die wahre Natur seines Erzfeindes Haman erkennen zu lassen.

Purer Camp ist dieser Ausflug von Walsh nach Rom geworden, wo er mit einer fast durchgängig italienischen Crew, darunter Mario Bava als DP und unkreditiertem Co-Regisseur, dieses herrliche Stück Bibeltrash aus dem Boden stampfte. Bereits die Besetzung der Collins, die ja zuvor schon Hawks' Ägypten-Epos "Land Of The Pharaohs" einen unwiderstehlichen Schmierfilm verlieh, garantiert für exploitatives Hinguckerkino erster Garnitur. Die Geschichte ein einziger antiker Witz, die Formalia schön, lieb und teuer, die Atmosphäre durchsetzt von schwüler Ränke und säurehaltiger Boshaftigkeit - so liebt man sein kleines Monumentalkabinett. Kokain, appe Köpfe und angedeuteter Sex - für einen Streifen von anno 60 liefert "Esther And The King" beachtliche Schauwerte. Wie sich ausgerechnet Raoul Walsh in diesen amüsanten Killefit verirren konnte, weiß ich nicht genau, aber das ist ja eigentlich auch ganz egal.

6/10

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PAINT YOUR WAGON (Joshua Logan/USA 1969)


"Looks like I married myself a tourist attraction."

Paint Your Wagon (Westwärts zieht der Wind) ~ USA 1969
Directed By: Joshua Logan

Der alternde Goldwäscher Ben Rumson (Lee Marvin) rettet einem jungen Farmer (Clint Eastwood) das Leben und mach ihn zu seinem Kompagnon, logisch und kurzab 'Pardner' genannt. Das Städtchen No Name City, in dessen Nachbarschaft sie hausen, besteht jedoch leider aus einer ausschließlich männlichen Population und so ist die etwas unkonventionelle eingestielte Hochzeit Bens mit der hübschen Elizabeth (Jean Seberg) eine lokale Sensation. Auch der Pardner verliebt sich in Elizabeth - also leb man fortan zu dritt. Um ein wenig mehr Zivilisation nach No Name City zu bringen, leitet Ben schließlich eine Postkutsche mit sechs Huren auf dem Weg nach Sonora um - der Beginn eines großangelegten Sündenbabels, das neben der Prostitution auch Suff und Glücksspiel beinhaltet. Als Ben und ein paar Kumpels ein verzweigtes Tunnelsystem unter den Häusern der Stadt graben, um den durch die vielen Saloondielen rieselnden Goldstaub abgreifen zu können, besiegeln sie zugleich den Untergang von No Name City - wortwörtlich...

Ich wusste gar nicht mehr, wie lieb ich diesen Film, eine doch sehr unikale Mischung aus Western, Komödie, Romanze und Musical, doch habe. Auch wenn man's nicht glauben mag - die so eklektizistisch anmutenden Ausgangsstücke fügen sich nahtlos zu einem perfekten, runden Gesamtbild, in dem Eastwood sich zwischen Coogan und Callahan als freundlich-leichtherziger Schlagersänger verdingt und das Marvin in einer seiner drei, vier schönsten Rollen zeigt. Seine Darbietung von "Wand'rin Star" gehört wohl zu den unvergesslichsten Filmmusical-Nummern überhaupt. Dann ist die herrliche, ehrwürdige Photographie hervorzuheben, die dem Reigen noch einen weiteres Element hinzsetzt, das mit seiner epischen Breite auf den ersten Blick vielleicht nicht recht passen mag. Aber doch, auch diese Flamboyanz fügt sich ein in "Paint Your Wagon", der einen nicht nur oft und herzlich lachen lässt, sondern das Herz auch tauglich erwärmt. Ein wenig auch in der Tradition von "Design For Living" stehend, ist besonders der Schluss von geradezu hellsichtiger Authentizität: Eastwood, der ewige Konservative, hat sich allen Widerständen gegen das libertinäre Tunichtguttum durchgesetzt und ist bereit für ein Leben in Spießbürgerlichkeit. Marvin derweil haut lieber ab, er ist ein Mann "goin' nowhere". Manche Pioniere liefen ja auch vor der Zivilisation davon.

9/10

Joshua Logan Goldrausch Kalifornien Ménage-à-Trois Alkohol





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Funxton

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