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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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KING RAT (Bryan Forbes/USA 1965)


"You're like all criminals: you're greedy."

King Rat (Sie nannten ihn King) ~ USA 1965
Directed By: Bryan Forbes

Changi auf Malaysia ist eines der gefürchtetsten japanischen Kriegsgefangenenlager der späten Weltkriegstage. Die britischen, amerikanischen und australischen Gefangenen haben aufgrund der desolaten Lage des Gefängnisses keine Möglichkeit zur Flucht und sind weitestgehend der Selbstorganisation unterstellt. Der Amerikaner Corporal King (George Segal) vertsteht es derweil, selbst unter diesen Umständen seinen Reibach zu machen und verdient sich eine goldene Nase mit allerlei Diebstählen, Schiebereien, üblen Tricks und dem gezielten Aufbau eines Vertrautennetzes. Dabei ist er besonders dem englischen Lagerpolizisten Grey (Tom Courtenay) ein Dorn im Auge. Die Freundschaft des Dolmetschers Marlowe (James Fox) weiß King sich indes zu sichern, ganz zu Greys neuerlichem Missfallen.

Dieser auf einem Roman von James Clavell basierende POW-Klassiker lässt sich mit augenscheinlich ähnlich angelegten Filmen wie Wilders "Stalag 17", Leans "The Bridge On The River Kwai" oder Sturges' "The Great Escape" nur schwerlich unter einen Hut bringen. "King Rat" ist vielmehr daran gelegen, eine Reflexion über eine zum Zwang mutierte Form der Existenz zu verhandeln und die unterschiedlichen Arten, wie man sich mit arrangieren kann. Allein der Gedanke an Flucht erübrigt sich in Changi, es gilt einzig und allein, sich bis zum Ende des Krieges durchzuschlagen. Während andere sich der Psychose anheim fallen lassen oder schlicht in den Tag hinein und wieder heraus vegetieren, den Lebenswillen verlieren oder apathisch werden, nutzt King die Gunst der Stunde, Karrierist zu werden: Stets ordentlich frisiert und gekleidet, mit einem gewinnenden Lächeln auf den Lippen, bewegt er sich erhobenen Hauptes durch die Reihen seiner zusammenbrechenden Mitgefangenen. Sein Freund Marlowe, der für den sich altruistische Emotionen verbietenden King zum besten Vertrauten wird, begreift und bewundert Kings Methode, mit dem ominpräsenten Wahnsinn fertig zu werden, obschon sein Opportunismus auch Marlowe hier und da fragwürdig erscheint. Am Ende, als der Krieg vorbei ist und auf King die Gewöhnlichkeit des Zivillebens wartet, fällt es ihm fast schwer, Changi zu verlassen. Immerhin war er hier ein König.

9/10

Bryan Forbes James Clavell WWII POW Pazifikkrieg Gefängnis Parabel


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VALLEY GIRL (Martha Coolidge/USA 1983)


"That techno-rock you guys listen to is gutless."

Valley Girl ~ USA 1983
Directed By: Martha Coolidge

Die ebenso beliebte wie oberflächliche High-School-Tuse Julie Richman (Deborah Foreman) aus dem Valley verliebt sich in den sich alternativ gebenden Semipunk Randy (Nicolas Cage) aus Hollywood. Für Julie ein gewaltiges Problem, denn mit Randy zusammen zu sein, bedeutet zugleich, ihre Freundinnen und ihren Status als künftige prom queen drangeben zu müssen. Dann vielleicht doch lieber den gelackten Tommy (Michael Bowen), einen echten Fatzken vor dem Herrn?

"Valley Girl" verhandelt als etwas klamaukigerer, wesentlich simpler strukturierter Vorläufer von John Hughes' "The Breakfast Club" eine ganz ähnliche Thematik: Ist ein Ausbruch aus der gewohnten peer group möglich, um nicht zu sagen: sinnvoll, wenn das Leben als ohnehin geplagter Teenager noch Qualität wahren soll? Für die etwas dümmlich gezeichnete Julie tatsächlich eine existenzielle Frage, denn ein Zusammensein mit Randy, diesem wilden Typen, der in Punkschuppen abhängt und allerlei merkwürdige Zeitgenossen kennt, bedeutet für sie zugleich eine Abkehr vom Gewohnten: Die heißgeliebten Nachmittage in der Mall mit shopping und Eisessen würden künftig uninteressant; ihr Freundeskreis müsste sich gezwungenermaßen von ihr abwenden - Katastrophen ohne Abriss also, zumindest, wenn man mit 16 noch kein Buch zur Hand genommen hat und keine einzige europäische Hauptstadt benennen kann.
"Valley Girl" hat, von seiner sicherlich unterhaltsamen Präsentation abgesehen, ein essenzielles Mentalitätsproblem: Seine tragenden Figuren sollen, zumindest unterstelle ich das den Autoren einfach mal, universelle Charaktere repräsentieren und Authentizität vermitteln, sind jedoch tatsächlich bloß holzschnittartige Pappkameraden aus frühen MTV-Clips - wobei besonders Cages Randy, den jeder damals halbwegs bei Trost befindliche Subkulturist nicht mal im Brandfalle angepisst hätte, wahrscheinlich den lächerlichsten Pseudopunk der Filmgeschichte abgibt. Ich meine: nix gegen die Psychedelic Furs und andere der im Film vorgestellten Popsachen, im Gegenteil, aber lassen wir doch bitte alles mal schön da, wo's hingehört. So werden die Valley-Püppchen mit ihren unerträglich vorgefassten Lebensentwürfen sich anno 83 womöglich "Punk" vorgestellt haben, nicht zuletzt infolge Coolidges Märchenstunde. Wenn die wüssten, diese Schäfchen...

5/10

Martha Coolidge Hollywood Kalifornien Los Angeles San Fernando Valley Teenager Subkultur Coming of Age


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I SPIT ON YOUR GRAVE 2 (Steven R. Monroe/USA 2013)


"You'll enjoy this."

I Spit On Your Grave 2 ~ USA 2013
Directed By: Steven R. Monroe

Die hübsche, junge und selbstbewusste New Yorkerin Katie (Jemma Dallender) ist auf der Suche nach einem ernsthaften Engagement als Fotomodell. Als sie an den zwielichtigen Fotografen Ivan (Joe Absolom) gerät, bedeutet dies den Auftakt einer Reise in die Hölle: Ivans Freund, der emotional gestörte Georgy (Yavor Baharov) stellt Katie nach, vergewaltigt sie schließlich in ihrer Wohnung und tötet den Hausmeister (Michael Dixon). Nachdem Ivan und der Dritte im Bunde, Nicolay (Aleksandar Aleksiev), herbeigerufen sind, setzt man Katie unter Drogen. Sie erwacht in einem schmutzigen Keller, bereits vielfach vergewaltigt und anderweitig erniedrigt. Als ihr die Flucht gelingt, stellt sie fest, dass man sie nach Sofia verschleppt hat und die vermeintlichen Fotografen Menschenhändler sind, die im Auftrage der vorgeblichen Frauenaktivistin Ana (Mary Stockley) arbeiten. Nach einer letzten furchtbaren Folter soll Katie "entsorgt" werden, doch wie durch ein Wunder kann sie fliehen. Ihre Rache ist furchtbar.

Kein Sequel im eigentlichen Sinne, sondern eine Variation des ebenfalls von Monroe inszenierten Vorgängers. Wie dieser macht auch "I Spit On You Grave 2" keine Gefangenen, tatsächlich legt er sogar noch ein Schippchen drauf. Sorgsam in zwei Hälften gesplittet, steht die erste ganz im Zeichen von Exposition, Gefangennahme und Vergewaltigungsfolter an Katie, die zweite dann gehört ganz ihrer katalytischen, göttlich legitimierten Rache, die natürlich auch für den Rezipienten von einigem kathartischen Wert ist. Wie es sich für Filme dieses Sujets ziemt, spielt Monroe heftigst auf der Gefühls- und Ertragensklaviatur seines Publikums, lässt Katie in einem furchtbarten Passionsspiel entblößt und erniedrigt durch alle Demütigungshöllen wandeln, nur um sie dann mit vielfach potenzierter Härte zurückschlagen zu lassen. Die Methoden, derer sie sich dabei bedient, zeugen von einiger abgründiger Kreativität und sollen an dieser Stelle nicht breitgetreten werden.
Von kontroversem Potenzial ist Monroes Film natürlich in multipler Hinsicht: Einmal mehr im torture porn finden sich die Wurzeln allen Bösen in Osteuropa lokalisiert, im als zivilisationsfern denunzierten Umbruchsland, in dem Recht und Ordnung vor der Menschenverachtung kuschen und einem zum Überleben nur der Griff zur Selbstjustiz bleibt. Auch die von Monroe mittels suggestivster Methoden evozierte Auge-um-Auge-Moral, die er gewissermaßen noch theistisch legitimiert, mag sich als recht fragwürdig kategorisiert finden. Doch wie immer in solchen Fällen gilt ohnehin: Wer sanften Gemütes ist und dem sadistischen Schweinhund in sich nicht manchmal Zunder geben muss, der braucht sich auch "I Spit On Your Grave 2" nicht anzusehen und kann auf dementsprechende Apologien sicherlich getrost verzichten. Ich Sau hingegen warte insgeheim und kalt lächelnd bereits auf Teil 3, diesmal vielleicht in... der Ukraine?

6/10

Steven R. Monroe Sequel New York Bulgarien Sofia torture porn Rache Terrorfilm Vergewaltigung Rape & Revenge


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THE NAKED DAWN (Edgar G. Ulmer/USA 1955)


"He's a man and you're just an animal."

The Naked Dawn (Santiago - Der Verdammte) ~ USA 1955
Directed By: Edgar G. Ulmer

Nach einem Auftragsüberfall auf einen Wertsachen transportierenden Zug stirbt Santiagos (Arthur Kennedy) Partner Vicente (Tony Martinez). Santiago trifft auf der Weiterreise mit Maria (Betta St. John) und Manuel (Eugene Iglesias) ein junges Indio-Ehepaar, das sich als Farmer niedergelassen hat. Es stellt sich heraus, dass Maria in eine Art Zwangsheirat mit Manuel gezwungen wurde und er sie alles andere als gut behandelt. Santiago lässt sich von Manuel zu seinem Auftraggeber (Roy Engel) fahren, um die Beute gegen den versprochenen Lohn zu tauschen. Santiago muss den hinterhältigen Ganoven jedoch zwingen, ihm das gesamte Geld auszubezahlen, worauf er den gesamten Safe plündert. Danach schlägt er sich mit Manuel die Nacht um die Ohren, der sich mehr und mehr für das erbeutete Geld zu interessieren beginnt. Am nächsten Morgen versucht Maria, Santiago zu überreden, sie mitzunehmen - sie habe genug vom Leben mit Manuel.

Ein leuchtender, kleiner Film und ein neuerlicher Beweis dafür, wie der Jahre zuvor migrierte Edgar G. Ulmer aus wenigen Zutaten cineastische Gourmetgerichte zu zaubern wusste. Auch der hier und da märchenhaft abseitige "The Naked Dawn" wurde von der Universal produziert, gestaltet sich jedoch nicht als einfacher B-Genre-Film, sondern alszutiefst moralisch geprägtes Vexierspiel, das mit Arthur Kennedy nicht nur einen formidablen Antihelden (in einer seiner schönsten Rollen wohlgemerkt) aufbietet, sondern klug genug ist, sich bis kurz vor Schluss keinen Eindeutigkeiten hinzugeben. In der (Grenz-)Welt von "The Naked Dawn", dessen Titel, nebenbei bemerkt, ganz vorzüglich zu ihm passt, gibt es keine eindeutig zuzuordnenden Gut-/Böse-Schemata, jeder ist für Profit auch nur für das private Lebensgusto korrumpierbar und bereit zum Verrat. Jede der drei Hauptfiguren macht binnen 24 Stunden eine mehrfache Wandlung durch, verpuppt sich, um am Ende als auf die eine oder andere Weise strahlender denn zuvor aus ihrem Kokon zu kriechen (oder für immer darin zu bleiben). Der lebenslustige Gauner übernimmt Verantwortung und wird zum Reanimierungshelfer einer bereits gescheitert scheinenden Ehe, der ängstliche, kleine Bauer erhält über seine Grenzerfahrung Rückgrat und innere Stärke, seine Frau lernt, dass Realität und Wunschdenken unvereinbar sind. Die kunstvolle Darbietung dieser jeweiligen Transformationen allerdings erst macht "The Naked Dawn" zu etwas Außergewöhnlichem.

9/10

Edgar G. Ulmer Mexiko Freundschaft Alkohol Neowestern


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MINNIE AND MOSKOWITZ (John Cassavetes/USA 1971)


"We love each other. That's why we're going to marry."

Minnie And Moskowitz (Minnie und Moskowitz) ~ USA 1971
Directed By: John Cassavetes

Die Museumskuratorin Minnie Moore (Gena Rowlands) hat eine Vorliebe für exaltierte Sonnenbrillen und ein unglückliches Händchen für Beziehungen. Nachdem ihr jüngster Freund (John Cassavetes), der sie ohnehin mies behandelt hat, reumütig zu Frau und Kindern zurückgekehrt ist, versucht sie es mit einem wirren Bohémien (Val Avery), doch auch das geht schief. Mitten in die just zerbröckelnde Szenerie platzt der langhaarige Parkplatzwächter Seymour Moskowitz (Seymour Cassel), der als unangeforderter Schutzengel zwar Minnies Interesse erregt, seinem Sozialstatus als vorlauter Proletarier zufolge jedoch eigentlich nicht ernsthaft für sie in Frage kommt. Doch Seymour gibt nicht auf.

Inmitten seiner intimen Katastrophenfilme zwischenmenschlicher Unfallszenarien inszenierte Cassavetes diese liebenswerte kleine Romanze, ohne sich allerdings in Anbetracht des für ihn lebensbejahenden, positiven Themas auch nur eine Sekunde lang untreu zu werden. Die ihm eigenen, knallharten Observierungspraktiken individueller Verhaltensweisen und charakterlicher Spezifika betreibt der Meister für "Minnie And Moskovitz" gerade so unbestechlich (und für ungeübte Augen möglicherweise befremdlich) wie eh und je, Dialoge werden mittendrin ausgesetzt oder abgebrochen, um sich zur nächsten Szene umgeschnitten zu finden und ganz L.A. erscheint wie ein Sammelsurium verschrobener Gestalten. Der große Timothy Carey genehmigt sich einen schön virulenten Auftritt als verrückter Geschichtenrezitator und Averys gegenüber Gena Rowlands gehaltener, nervös-narzisstischer Monolog, in dem eine optionale Beziehung binnen zehn Minuten mitsamt allen Höhen und Tiefen abgehandelt wird, ist komödiantische Königsklasse, wie man sie heuer in solch brillanter Absurdität nurmehr bei Charlie Kaufman vorfindet. Und das Schönste: Selbst alle Schicksalswidernisse vermasseln dem Protagonistenpaar nicht das romantischste Ende, das es bei Cassavetes zu sehen gibt.

9/10

John Cassavetes amour fou Los Angeles


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ONLY GOD FORGIVES (Nicolas Winding Refn/DK, F, THAI, USA, S 2013)


"It's a little more complicated than that, mother."

Only God Forgives ~ DK/F/THAI/USA/S 2013
Directed By: Nicolas Winding Refn

Bangkok: Nachdem er eine sechzehnjährige Prostituierte ermordet hat, wird Unterweltboss Billy (Tom Burke) seinerseits von dem von Police Lieutenant Chang (Vithaya Pansringarm) zur Rache genötigten Vater (Kowit Wattanakul) hingeschlachtet. Für Crystal (Kirstin Scott Thomas), Billys Mutter, ist dies nicht akzeptabel. Sie macht ihren jüngeren Sohn Julian (Ryan Gosling) zum Racheinstrument. Der seiner Mutter anfänglich noch hörige Julian versagt jedoch auf ganzer Linie, zumal er gegen den schwertschwingenden Racheengel Chan nicht den Hauch einer Chance hat und dies auch zu spüren bekommt.

Viele der mit Refns vormaligem Werk nur unzulänglich vertrauten "Drive"-Fans und -Hyper dürften mit "Only God Forgives" ihre liebe Not gehabt haben. Wer indes mit "Fear X", "Bronson" und "Valhalla Rising" etwas anzufangen wusste, der sollte auch mit dem sich ähnlich sperrig wie die Genannten gebenden "Only God Forgives" sein Auskommen finden. Der hypnotische Sog der Genannten, ihre äußere Verschrobenheit und Stasis, gepaart mit den wundervoll beleuchteten Bildern des vollkommen artifiziell wirkenden, Bangkoker Halbwelt-Milieus, bestimmen das Bild dieses keineswegs im Vorbeigehen konsumierbaren Films, der eigentlich nur die beiden Alternativoptionen zulässt, sich gänzlich auf ihn und sein spinnenetzartiges Gewebe einzulassen, oder sich ihm trotzig zu verweigern. Ersteres lohnt sich in jedem Fall, wobei mir zugegebermaßen mein fortgeschrittener Promillepegel durchaus behilflich war dabei. Und Refn ist meines Erachtens der einzige Regisseur, der Gosling vernünftig inszeniert. Wobei ich besonders die Arena-Szene genossen habe, in der er pfundweise auf die schöne Fresse bekommt.

8/10

Nicolas Winding Refn Thailand Bangkok Familie Rache Mutter & Sohn Nacht


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ROCCO E I SUOI FRATELLI (Luchino Visconti/I, F 1960)


Zitat entfällt.

Rocco E I Suoi Fratelli (Rocco und seine Brüder) ~ I/F 1960
Directed By: Luchino Visconti

Familie Parondi - Mutter Rosaria (Katina Paxinou) und ihre vier Söhne Simone (Renato Salvatori), Rocco (Alain Delon), Ciro (Max Cartier) und Luca (Rocco Vidolazzi) kömmen pünktlich zur Verlobung des Ältesten, Vincenzo (Spiros Focás) aus dem tiefen Süden Italiens nach Mailand. Für Rosaria ist es nach alter Tradition selbstverständlich, dass die Familie der Braut Ginetta (Claudia Cardinale) sie und ihre Jungen aufzunehmen hat, doch diese reagiert ungehalten und setzt die Parondis auf die Straße. Vincenzo ist jedoch zuversichtlich, dass das soziale Gefüge sie auffangen wird. Die Söhne schlagen sich mit Gelegenheitsarbeiten durch, derweil Rosaria versucht, die Familie zusammenzuhalten - vergeblich. Nachdem Simone zunächst als Boxer erfolgreich ist, lernt er die Prostituierte Nadia (Annie Giradot) kennen und verfällt ihr vollends. Nadia jedoch ist vielmehr an dem sensiblen Rocco interessiert, dessen Maximen Güte und Mitgefühl sind. Ciro erhält als erster weine feste Anstellung, Vincenzo und Ginetta heiraten schließlich doch und bekommen ein Kind. Nach einer kurzen Militärkarriere fängt auch Rocco zu boxen an - wesentlich erfolgreicher als der mittlerweile hoch verschuldete und trunksüchtige Simone. Der Bruch zwischen ihm und Rocco verzehrt die Familie, bis es schließlich zur Katastrophe kommt.

In fünf Akten arrangiert Visconti sein neorealistisches Meisterwerk. Beginnend mit dem ältesten Sohn Vincenzo stellt er mit dem jeweiligen Altersnachfolger jeweils einen der Brüder in den charakterisierenden Mittelpunkt und entspinnt so die umfassene Chronik eines schleichenden, familiären Zerfalls. "Rocco E I Suoi Fratelli" ist dabei im besten Sinne so 'italienisch', wie es ein Film dieser Maßgabe nur sein kann; Moralkodexe und Ehrbegriffe, wie sie für den Mitteleuropäer vielleicht nicht immer nachvollziehbar sein mögen, geraten zu Existenzmaximen. Mit dem Bruch der Brüder Simone und Rocco zieht sich, einer Erdbebenspalte gleich, auch ein Riss durch die gesamte Familie. Für den bodenständigen Ciro ist klar, dass "ein fauler Apfel aussortiert werden muss, bevor er die anderen verdirbt". Seinem - im besten Vernuftsinne - rechtzeitig veranschlagten Ausstoß des sich immer weiter in den Abgrund manövrierenden Simone, der zudem jedes Hilfsangebot ausschlägt, könnte die Übrigen retten, doch Simones Schicksal ist mit dem der Übrigen fest verknüpft und wird schließlich zu ihrem eigenen, zumal Rosarias größter Traum darin bestehen bleibt, alle ihre fünf Kinder versammelt um einen Tisch herum bei sich zu haben. Der Gegenwind in Form von Simones ewiger Rebellion gegen den Rest der Welt jedoch ist zu stark. Dazu spielt Nino Rotas traumhafte Musik wie eine Symphonie des Lebens.

10/10

Luchino Visconti Familie Brüder Mailand Neorealismus Faustkampf


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THE BABE (Arthur Hiller/USA 1992)


"It's the city. Like waiting there for me outside, waiting and breathing."

The Babe ~ USA 1992
Directed By: Arthur Hiller

George "Babe" Ruth (John Goodman) wächst, vom Vater verstoßen, in einem Waisenhaus in Baltimore für schwer erziehbare Kinder auf. Früh entdeckt man dort sein Talent als Batter, der jeden Ball über die Anstaltsmauern drischt. So kommt er als junger Erwachsener zu den Boston Red Sox, wo er rasch zum Superstar aufsteigt und von dort zu den New York Yankees. Sein rotziges Auftreten legt Ruth nie ganz ab, er liebt es, in feiner Umgebung laut zu furzen, frisst, säuft und hurt, was das Zeug hält. Seine erste Ehe mit der zarten Helen (Trini Alvarado) hält diesem Ungestüm nicht stand, die vormalige Ziegfeld-Tänzerin Claire (Kelly McGillis) indes kommt mit Ruths ungeschliffener Natur wesentlich besser zurecht. So schnell wie sein Stern einst aufgestiegen ist, sinkt er jedoch auch wieder: Nach einem neuerlichen Transfer zu den abgeschlagenen Boston Braves stürzt seine sportliche Karriere ins Bodenlose.

Amerika feiert seine Helden - je schillernder, desto ergiebiger - gern in glanzvollen Hollywood-Filmen ab. Ein solcher ist auch "The Babe", der den legendären Baseball-Batter Babe Ruth, Spitzname 'Bambino' oder auch 'The Sultan Of Swat', als einen den amerikanischen Traum lebenden underdog zelebriert. Ruth will alles: Ruhm, Liebe Familie, Sex, Geld, Essen, Alkohol und Feiern. Was ihm nicht umweglos kredenzt wird, holt er sich - unter jeweils schwerster Kritik seitens seiner Gönner. Die von ihm zunächst eroberte Helen erweist sich als allzu zerbrechlich für Ruths unablässige Eskapaden, die schwere, tage- und nächtelange Gelage beinhalten, sein Yankees-Trainer wirft Ruth vor, dass sein freiwilliger Schlafentzug auf Kosten permanenter Partys, seine permanente Körpervergiftung und sein zunehmendes Gewicht seine körperliche Konstitution schwächen, worauf er ungerührt den nächsten 100-Meter-Schlag landet.
Wie alle schönen period bios lebt auch Hillers Film von seinem Mut zu kitschiger Überhöhung sowie von der Akkuratesse der Darstellung seiner Zeit, hier der wilden Zwanziger, in denen schummrige Jazzpinten, Champagner und verruchte Ladys mit Zigarettenspitze das Zeitbild bestimmten. Baseball spielt dabei - gottlob - eine lediglich moderat angesetzte Rolle, so dass man sich ganz der formidablen Darstellung John Goodmans (für den die Rolle ein Segen gewesen sein dürfte) hingeben kann.

7/10

Arthur Hiller New York Baseball period piece Historie Biopic Boston Alkohol


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HATFIELDS & MCCOYS (Kevin Reynolds/USA 2012)


"I'd like to live in a place where there's another scale for happiness than having shot some McCoy."

Hatfields & McCoys ~ USA 2012
Directed By: Kevin Reynolds

Bereits die Bürgerkriegstage entzweien die einstigen Freunde und Nachbarn Anse Hatfield (Kevin Costner) und Randall McCoy (Bill Paxton): Anse desertiert, um daheim seiner Familie beistehen zu können, für Randall ein untragbarer Hochverrat. Nach Beendigung des Krieges begegnet Randall Anse weiterhin mit unverhohlener Feindseligkeit, die sich bald auf die jeweiligen, weit verzweigten Familienclans ausweitet. Nach ersten wechselseitigen Aggressionsbekundungen gibt es die ersten Toten zu beklagen, der Versuch von Anses Sohn Johnse (Matt Barr) und Randalls Tochter Roseanna (Lindsay Pulsipher), eine gemeinsame Familie zu gründen, strafen beide Patriarchen mit Verachtung und Hass. Es entwickelt sich eine fast drei Jahrzehnte währende Familienfehde im Grenzgebiet zwischen Kentucky und West Virginia, die selbst durch politische Maßregelungen nicht beizulegen ist.

Bereits die Macher der "Wrong Turn"-Reihe kamen auf den Trichter, dass es wesentlich günstiger ist, die Appalachen in Rumänien neu auferstehen zu lassen. So verlagerte man auch den Löwenanteil des Drehs dieser dreiteiligen Miniserie dorthin. "Hatfields & McCoys", von Costners altem Freund und Stammregisseur Kevin Reynolds dirigiert, fängt ein Stück originärer US-Historie ein, die berühmteste und weitreichendste Familienfehde des vorletzten Jahrhunderts. Sie zeigt, wie patriarchalische Engstirnigkeit, falsches Ehrgefühl und Bigotterie eine Reihe von unnötigen Todesopfern fordern und über einen unwahrscheinlich langen Zeitraum aufrecht erhalten wurden. Erst Anse Hatfield, der sich nach dem Script der kleinen Reihe trotz seiner eigenen Unnachgiebigkeit noch immer als etwas sympathischer und besonnener dargestellt findet denn sein Rivale Randall McCoy, findet mit der nach langer Zeit gesetzlich angeordneten Hinrichtung seines unschuldigen, geistig behinderten Neffen Cotton (Noel Fisher) die Stärke, einen Schlussstrich unter das Blutvergießen zu ziehen und den nachfolgenden Generationen somit die unnütze Weiterführung jenes mittlerweile unübersichtlich gewordenen Kleinkriegs zu versagen. Inszenatorisch weithin überraschungslos und durchaus als TV-Produktion identifizierbar, liegt die besondere Qualität von "Hatfields & McCoys" primär auf Seiten der minutiös wiedergegebenen Historizität sowie der vorzüglichen Darsteller, von denen erwartungsgemäß besonders Costner und Paxton sowie die "wiederentdeckten" Tom Berenger und Powers Boothe hervorzustechen wissen.

7/10

Kevin Reynolds TV-Serie Kentucky West Virginia Appalachen Historie period piece Familie Sezessionskrieg Kevin Costner Biopic


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STAND AND DELIVER (Rámon Menéndez/USA 1988)


"The only thing I ask from you is ganas."

Stand And Deliver ~ USA 1988
Directed By: Rámon Menéndez

Im Sommer 1981 kommt Jaime Escalante (Edward James Olmos) als neuer Mathematiklehrer an die Garfield High School im Herzen des sozialen Brennpunkts East L.A.. Nach ein paar Startschwierigkeiten beginnen er und die Kids seiner Senior Class sich wechselseitig zu mögen und zu schätzen. Als Escalante seine Schüler für einen von ihm durchgeführten 'Calculus'-Kurs vorschlägt, in dem unter anderem Trigonometrie gelehrt wird, vorschlägt, hält man ihn zunächst für einen unrealistischen Träumer. Als dann im nächsten Jahr alle seiner Schüler die Abschlussprüfung mit überdurchschnittlichen Noten bestehen, wirft eine Untersuchungskommission (Andy Garcia, Rif Hutton) ihnen vor, betrogen zu haben. Der einzige Unschuldsbeweis würde sich in Form eines weiteren Tests manifestieren, der noch schwerer strukturiert sein soll als der erste.

Ein von tiefer Sympathie für den Lehrberuf geprägter Film, der mit Jaime Escalante, von seinen Eleven respektvoll 'Kemo' genannt, gar eine authentische Persönlichkeit aufbietet. Als Mathematiklehrer an der Garfield High führte Escalante beginnend ab 1982 jedes Jahr mehr Schüler und Schülerinnen mit mexikanisch-amerikanischen Wurzeln zu erfolgreichen Calculus-Abschlüssen. Zugleich harter Fachvermittler und sensibler Pädagoge verstand Escalante es, auf seine Schutzbefohlenen einzugehen, ihre Sprache zu sprechen und sich so den für seine Arbeit nötigen Respekt zu verschaffen. Die Beziehungen zu seinen SchülerInnen ragten sogar bis in den Privatbereich und avancierten zu regelrechten Freundschaften. Umso erfolgreicher sein Engagement, umso beliebter er selbst als Pädagoge.
Menéndez betreibt mit "Stand And Deliver" durchaus ein Stück weit Heldenverehrung samt Nutzung dramatischer Überspitzungen, was mir im Falle Escalante allerdings durchaus probat erscheint. Und Olmos ist phantastisch, ein leider viel zu vernachlässigter, brillanter Akteur. Mit Herz und Hirn arbeitet er sich in seine Rolle hinein, ebenso wie Menéndez und ihr "Studienobjekt", Escalante.

9/10

Rámon Menéndez Los Angeles Schule Lehrer Subkultur ethnics Biopic





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