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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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STAY HUNGRY (Bob Rafelson/USA 1976)


"You gotta choose: Start shitting or stand up from your toilet!"

Stay Hungry (Mr. Universum) ~ USA 1976
Directed By: Bob Rafelson

Der Millionenerbe und Dynastiefortführer Craig Blake (Jeff Bridges) weiß wenig mit seinem Leben anzufangen als herumzuhängen und in den Tag hinein zu vegetieren. Allein bewohnt er das stattliche Haus seiner Eltern bei Birmingham, Alabama, lässt sich von seinem Firmenmanagement die Ohren vollsäuseln und sucht nach Abwechslungen im Alltag. Der Gang in ein renovierbedürftiges Fitness-Studio führt ihn mit dem aus Österreich stammenden Bodybuilder Joe Santo (Arnold Schwarzenegger) zusammen, der gerade für die Wahl zum Mr. Universum trainiert. Santo, entgegen seiner hünenhaften Physis ein überaus gewitzter und kultivierter Sportsmann, überlässt Blake bald bereitwillig seine Freundin Mary Tate (Sally Field). Die Zusammenführung zwischen den Bodybuilding-Freaks und der Südstaaten-High-Snobiety will Craig jedoch nicht recht gelingen. Als der alternde Studiobesitzer Erickson (R. G. Armstrong) eine Überdosis Poppers nimmt, kündigt sich eine große Wende an.

Rafelsons frühere Filme gehorchen - zumindest zu großen Teilen ihrer jeweiligen Erzählzeit - nicht selten einer gewissen Rauschmittellogik; tatsächlich bekleiden Drogen und veränderte Wahrnehmung nicht nur in ihnen, sondern auch mit ihnen einen entscheidenden Raumfaktor. Auch auf "Stay Hungry", der sich dem Sportphänomen Bodybuilding auf eine denkbar unvoreingenommene und geradezu sympathisierende Weise nähert, trifft dies zu: Eine für Außenstehende ganz merkwürdig anmutende Subkultur wird hier porträtiert, in die sich der Zuschauer zusammen mit dem Tagedieb Craig Blake, der in den frühen Neunzigern als 'Slacker' bezeichnet worden wäre, mit seltsamer Faszination hineinfallen lassen kann. Die Muskelmann-Kaste zeigt sich als eine Gruppe von auf ein für Außenstrehende nicht nachvollziehbares Ziel zusteuernden Besessenen, beseelt von einer kaum zu fassenden Willenskraft, keinesfalls verblödet, dafür aber in höchstem Maße verrückt. Gegen Ende dreht Rafelson, dem mit Robert Englund, Joe Spinell, Scatman Crothers, Ed Begley jr. oder Roger E. Mosley eine gar grandiose supporting cast beschwert ward, dann völlig auf: R. G. Armstrong ergibt sich einem Sex- und Drogenrausch und läuft Amok, derweil eine ganze Horde Bodybuilder öffentlich auf den Straßen Birminghams posiert. Dabei ist "Stay Hungry" vordergründig ein pädagogisch sogar wertvoller Erweckungsfilm, der für einen sinnvollen Lebenswandel plädiert. Nur dass er sich in all seiner Sperrigkeit niemandem vorsätzlich anbiedert, will wiederum nicht so recht dazu passen.

8/10

Bob Rafelson Alabama Südstaaten New Hollywood Bodybuilding Freundschaft Coming of Age


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LONE STAR (John Sayles/USA 1996)


"Forget the Alamo."

Lone Star ~ USA 1996
Directed By: John Sayles

Sam Deeds (Chris Cooper), sheriff des texanischen Grenzstädtchens Frontera, bekommt es mit der eigenen Familienhistorie zu tun als mitten in der Wüste das Skelett des früheren, von allen gefürchteten Gesetzeshüters Charlie Wade (Kris Kristofferson) gefunden wird. Der einsame Sam, der nach einer langen Zeit außerhalb erst vor Kurzem wieder zurück nach Frontera gekommen ist, muss sich nunmehr dräuenden Fragen betreffs seiner eigenen Vergangenheit und Identität stellen, die noch eine ganze Reihe weiterer Einwohner der Stadt tangieren.

Meisterhaft gescripteter und montierter Ensemblefilm von John Sayles, der sich gleichermaßen als Polizeifilm und Neo-Western begreift, eine südstaatliche Kleinstadt mit all ihren totgeschwiegenen Geheimnissen porträtiert und mittels aller bedurften Gleichmut ein komplexes Beziehungs-Mosaik entwirft. Sayles belegt, dass die alten, geschichtsimmanenten Fragen betreffs Wahrheit und Legende so lange nicht zur Gänze beantwortet werden können, wie alle möglichen kleinen, staubigen Nester im Lande ihre ganz speziellen Pioniersagen um des Fortbestandes Willen benötigen. Somit steht "Lone Star" auch in direkter Ahnenreihe von Fords "The Man Who Shot Liberty Valance", in dem es genau wie in Sayles' Film um Lug, Trug und Vergangenheitsbewältigung in Form bewusster Geschichtsklitterung geht. Darüberhinaus verhandelt der Auteur noch auf höchst integre Art ethnische Platzbestimmungen, die an der Grenze Texas/Mexiko als ein Thema immerwährender Aktualität erscheinen: Indianer, Mexikaner, Weiße, Schwarze und deren Nachkömmlinge, teils längst nicht mehr ohne Weiteres einer Kultur zuzuordnen, finden sich oftmals in einen Frontalzusammenprall mit längst obsoleten Feindbildern involviert. Daraus, dass es neue Hoffnung und Arrangements mit dem Früher geben muss, um weitermachen zu können, macht Sayles keinen Hehl; selbst, wenn dies erst der Bewältigung moralisch höchst prekärer Slalomkurse bedarf.

10/10

John Sayles Grenze Texas Mexiko Ensemblefilm Rassismus Südstaaten ethnics


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THE LAST DRAGON (MIchael Schultz/USA 1985)


"Kiss my Converse!"

The Last Dragon (Der Tanz des Drachen) ~ USA 1985
Directed By: Michael Schultz

Der in seinen eigenen Sphären schwebende, jugendliche Kung-Fu-Kämpfer Leroy Green (Taimak) gerät an den verrückten Manager-Gangster Eddie Arkadian (Christopher Murney) und an Sho'nuff (Julius Carry) den selbsternannten "Shogun von Harlem". Während Arkadian der berühmten Videoclip-Präsentöse Laura Charles (Vanity) nachstellt, um seine eigenen Clips bei ihr promoten zu können, will Sho'nuff Leroy permanent zum Duell herausfordern, um ihm zu seigen, wer denn hier der größte Mack vor Ort ist. Am Ende schlägt der wackere Junge alle(s) mit einer Klappe.

Eines dieser prachtvollen Achtziger-Traumlogik-Relikte der Kategorie "Muss man erstmal gesehen haben, um es glauben zu können". Oszillierend zwischen Martial Arts, Tanz- und Popfilm, Kinder- und Märchenfantasy, black zeitgeist und MTV, ist "The Last Dragon" eine unwirkliche Verquirlung populärer Vorbilder, von "Saturday Night Fever" über "Streets Of Fire" und "Purple Rain" bis hin zu "Karate Kid". Dass diese eigenwillige Mixtur ihren eigenen Spaßcharakter entwickelt und zur naiven Hochkunst gerät, verwundert angesichts solcher Vergleiche kaum mehr. Alles ist hier bonbonfarbener Pop, und zugleich less than keimfreier halbgarer Achtiger R'n'B, wie ihn die mittlerweile völlig korrumpierte Motown nach den großen Sechzigern und Siebzigern, den Zeiten von Genies wie Marvin Gaye und Stevie Wonder, auszukotzen pflegte. Abgesehen von Rap wurde die schwarze Musik orientierungslos, Gaye war erschossen worden, Wonder brachte beliebigen Synthiezucker, Michael Jackson war schon damals weißer als gekochte Abtrocknentücher und Prince blieb wohlweislich für sich. Angesichts solcher ethnischer Orientierungslosigkeiten brauchte es neue Sphären, die man im schon zehn Jahre zuvor bemühten Eastern-Sektor suchte und fand und für die man frische Gesichter wie das des später kaum mehr bemühten Strahlemanns Taimak benutzte. Michael Schultz, der schon immer Pfade zwischen weißer Massen- und schwarzer Nischenkultur zu beschreiten suchte, war der richtige Mann dafür. Und Bruce Lee der richtige Mentor - wenn er mal nicht, wie vermutlich bald darauf auch angesichts des unweit gelagerten "No Retreat, No Surrender", in seinem Seattler Grabe rotiert ist. Knallah, anyway.

8/10

New York Harlem Chinatown Blaxploitation Martial Arts Michael Schultz Motown Berry Gordy Ethnics Musik Tanz Magie Camp


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THE LITTLE DRUMMER GIRL (George Roy Hill/USA 1984)


"I believe in things. I believe in helping end the suffering."

The Little Drummer Girl (Die Libelle) ~ USA 1984
Directed By: George Roy Hill

Der Mossad wird auf die in London tätige US-Theater-Schauspielerin Charlie (Diane Keaton) aufmerksam, die sich bezüglich Nahost-Konflikt-Fragen öffentlich und überdeutlich auf Seiten der Palästinenser positioniert. Dennoch gelingt es den Israelis mit spezieller Unterstützung des charismatischen Agenten Joe (Yorgo Voyagis), in den sich Charlie verliebt, die junge Frau auf ihre Seite zu ziehen. Charlie soll dem Mossad dabei helfen, den arabischen Terroristen Khalil (Sami Frey) und dessen Operationsbasis zu enttarnen. Zu diesem Zweck muss sie sich unerkannt von der PLO anwerben lassen und Khalids Vertrauen gewinnen, was ihr auch gelingt. Dass am Ende der vertrackten Mission ihr eigener psychischer Zusammenbruch stehen könnte, ignoriert Charlie im Vorhinein konsequent...

John Le Carrés Thriller-Beitrag zur ewig schwelenden Nahost-Krise, von George Roy Hill gediegen und fast gänzlich unter Verzicht auf oberflächliche Schaueffekte verfilmt sowie die Intelligenz seines Publikums fordernd statt beleidigend. Diane Keaton einmal fernab von Clinch-Situationen mit Woody Allen zu beobachten bzw. von ihr nicht das amerikanische Hausmütterchen mit schneidigem Verstand aufs Erdnussbutter-Sandwich gelegt zu bekommen, ist ebenfalls eine Wohltat, ebenso wie einen fast domestiziert erscheinenenden Kinski, der einen ungewohnt entspannten Eindruck hinterlässt und seine Regieanweisungen tatsächlich angenommen haben dürfte. Dass er nahezu jede Szene, in der er auftritt, allein durch seine Präsenz souverän dominiert, gehört eben zur Natur dieses Irrwischs. Die einzigen mir erwähnenswert scheinenden Schwächen des durchaus auch als Allegorie auf abendländisches Unverständnis bezüglich orientalischer Mentalitätskonflikte lesbaren Films liegen in seiner etwas klischierten und vor allem allzu ausgewalzten Präsentation des Verhältnisses zwischen Charlie und Joe. Diese mag vielleicht inhaltlich von elementarer Bedeutung sein, inszenatorisch hätte hier jedoch durchaus auch gern auch mal Schmalhans Küchenmeister sein dürfen.

8/10

George Roy Hill John Le Carré Libanon Beirut Freiburg London Terrorismus Nahost-Konflikt undercover


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LAS GARRAS DE LORELEI (Amando de Ossorio/E 1974)


Zitat entfällt.

Las Garras de Lorelei (The Loreley's Gasp - Die Bestie im Mädchen-Pensionat) ~ E 1974
Directed By: Amando de Ossorio

Als einer jungen Braut (Betsabé Ruiz) just in der Nacht vor ihrer Hochzeit das Herz von einer noch unidentifizierten Bestie aus dem Leib gerissen wird, wird man in der kleinen Stadt Sankt Goarshausen am Rhein hellhörig. Steckt womöglich gar die Lorelei persönlich hinter dem grausamen Mord auf ihrer Suche nach ewiger Jugend und Schönheit? Das ängstliche Direktorium eines benachbarten Mädcheninternats ist jedenfalls besonders vorsichtig und engagiert den schmucken Jäger Sigurd (Tony Kendall), um dort nächtens auf Patrouille zu gehen. Hin- und hergerissen zwischen der attraktiven Lehrerin Elke (Silvia Tortosa) und einer in den Auen wohnhaften, blassen Dame (Helga Liné), bleibt Sigurd bald nurmehr die Wahl zwischen irdischem und überirdischem Dasein...

Wunderbares Schund- und Schmuddelkino der allerfeinsten Sorte, zwischen billiger Exploitation und schönster Trivialpoesie angesiedelt. Da vermischt man wild die Sagen von Lorelei und Rheingold, faselt etwas von Walhalla und Asgard und lässt um der international etablierten Konvention Willen die deutschen Provinzler dastehen wie biertrinkende Vollidioten, die seit dem Mittelalter keinerlei progressive Entwicklung durchgemacht haben. Von Rhein ist - mit Ausnahme von Archivaufnahmen - freilich nichts zu sehen. Gedreht wurde bei Madrid. Andererseits kommt diese Verweigerung lokaler und chronologischer Realität dem ohnehin surrealen Ton des Films durchaus zugute. Die Jugend, das sind die zu flotter Beatmusik umherhüpfenden Mädchen des Internats, die den feschen Sigurd am liebsten mitsamt Motorrad allesamt prompt unter ihre duftigen Nachthemdchen ließen. Der jedoch, wenngleich durchaus und sichtlich geschmeichelt, wendet sich lieber dem älteren Weibsvolk zu - dem man andererseits sein (wahres) Alter überhaupt nicht ansieht. Für die just erfolgte deutsche Veröffentlichung gab es dann sogar eine längst überfällige Synchronisation, die man als recht gelungen bezeichnen darf. Die ihresgleichen suchende Einfalt der Dialoge liegt vermutlich ohnehin in der originalen Natur des exponentiell absonderlichen Geschwafels, dessen man hier hörhaft wird. Ganz wunderbar etwa eine Szene, in der die zutiefst aufgebrachten Dörfler bewaffnet mit Heugabeln, Fackeln und Gartenharken zu Fuße des bürgermeisterlichen Balkons stehen: "Uns reicht es nun endgültig, Herr Bürgermeister. Wir haben große Angst um unsere Familien. Wir ziehen jetzt sofort los und machen diesem Ungeheuer den Garaus." - "Nein, Freunde. Wartet noch. Geht nach Hause und verschließt eure Fenster und Türen. Morgen reden wir dann weiter." - "Na gut." So geht es permanent von dannen und erfreut den Zuschauer mit ergo höchster Unterhaltsamkeit. Fazit: Spanischer Film der Kategorie G.G. (Geheimtippo Grande)!

6/10

Amando de Ossorio Europloitation Splatter Trash Internat Rhein Sage Lorelei Nibelungen Monster


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FROM NOON TILL THREE (Frank D. Gilroy/USA 1976)


"But... I AM Graham Dorsey!"

From Noon Till Three (Zwischen zwölf und drei) ~ USA 1976
Directed By: Frank D. Gilroy

Vor der Nacht eines geplanten Banküberfalls hat Graham Dorsey (Charles Bronson), Mitglied der ansonsten durchweg eher unterbelichteten Bowers-Gang, einen unangenehmen Albtraum, in dem er und der Rest des Quintetts von den Bürgern der Stadt aufs Korn genommen und zusammengeschossen werden. Als sich am nächsten Tag sein Pferd einen Huf bricht, ist für ihn klar, dass er aus der Sache raus muss. Dabei kommt ihm die schöne Witwe Amanda Starbuck gerade recht: Während die übrige Truppe sich dem Coup widmet, bleibt Dorsey bei Amanda. Eine stürmische, nur drei Stunden währende Liaison bahnt sich zwischen den beiden an. Bald darauf erfährt man, dass Bowers (Douglas Fowley) und die anderen tatsächlich gefasst wurden und ihrer Hinrichtung harren. Die romantisch veranlagte Amanda nötigt Dorsey förmlich dazu, seine Freunde herauszuhauen, wenngleich dieser eigentlichen keinen Pfifferling für diese gäbe. Unterwegs tauscht er die Identität mit einem Wander-Zahnarzt (Howard Brunner) und wird kurzerhand für Scharlatanerie verknackt, während der Zahnarzt erschossen wird. Dessen Leiche präsentiert man der geschockten Amanda, die einige Zeit später ein zum weltweiten Kult-Bestseller avancierendes Buch über ihre kurze Romanze veröffentlicht. Als Dorsey ein Jahr später aus dem Knast kommt, will ihn niemand mehr erkennen, am wenigsten Amanda...

Heute bin ich angetreten, um für dieses viel zu wenig beachtete Meisterwerk endlich einmal eine längst überfällige Lanze zu brechen: Im Geiste von Fords großmächtiger Geschichtsallegorie "The Man Who Shot Liberty Valance" und Penns brillanter Satire "Little Big Man" stehend, inszenierte der als Regisseur eher unbekannte Frank D. Gilroy einen auf eigenen Schriften basierenden Film, in dem der mündlich und medial hyperromantisierte Westen schlussendlich zu einem reinen Tollhaus im wahrsten Wortsinne wird. Darüber hinaus ist "From Noon Till Three" das schönste cineastische Geschenk an die vielköpfige Partnerschaft der Eheleute Bronson/Ireland. Von deren spürbar knisternden und vor allem aufrichtigen Zuneigung füreinander lebt Gilroys Film in der ersten Hälfte, nur um ihr dann in der zweiten gleichermaßen einen herzzereißenden Arschtritt zu versetzen. Danach ist es Bronson im Alleingang vorbehalten, sein eigenes Image zu demontieren. Wo die nach Trivialitäten lechzende Öffentlichkeit einen hochgewachsenen, schneidigen Schurken vom Schlage eines Rhett Butler vor Augen hat, erscheint dieser gedrungene Zausel mit slawischer Einwanderer-Physiognomie und flucht wie ihm die Schnauze gewachsen ist. Vergangenheit und Verklärung haben, mit ein wenig Unterstützung durch die Zeit, die Realität längst überholt und singuläre Momente, zumal ohnehin von etwas absurder Gestalt, lassen sich nicht mehr revitalisieren. Liebe und Romantik sind nur fadenscheinige Valenzen ohne jegliche Wirklichkeitsverankerung.
Am Schluss, nachdem Graham Dorsey der ihn mit Gewalt ignorierenden Welt zum letzten Mal den Mittelfinger präsentiert hat, sperrt man ihn wie einen "eingebildeten Napoleon" in die geschlossene Psychiatrie. Dort, in einer Art letzten Sackgasse der Wahrheit, akzeptiert man ihn, heißt ihn freudig willkommen und weiß längst um seine Identität. Vermutlich sind es sogar Billy The Kid, Jesse James, Wild Bill Hickok und John Wesley Hardin, die ihn hier schon im weißen Kittel erwarten. Und möglicherweise sind auch Liberty Valance und Ransom Stoddard dabei.

9/10

Frank D. Gilroy Satire Parabel Heist


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SOLDIER OF FORTUNE (Edward Dmytryk/USA 1955)


"I thought you were already back in the U.S. ..." - "I just came near the airport."

Soldier Of Fortune (Treffpunkt Hongkong) ~ USA 1955
Directed By: Edward Dmytryk

Um ihren Mann Louis (Gene Barry), einen nassforschen Fotojournalisten, der in Kanton von den Rotchinesen gefangen gehalten wird, zu befreien, kommt die Amerikanerin Jane Hoyt (Susan Hayward) nach Hong Kong. Ihre anfänglichen Schwierigkeiten, sich in der Kronkolonie zurechtzufinden führen sie alsbald zu dem reichen Reeder und Abenteurer Hank Lee (Clark Gable), der sich prompt in Jane verliebt, dessen Ehre als Gentleman ihm jedoch gebietet, zunächst Louis Hoyt herauszuhauen, bevor auch er sich gänzlich im Herzen der schönen Amerikanerin einnisten kann.

Ein eher zu vernachlässigendes Werk des während dieser Zeit vielbeschäftigten Dmytryk, der zu dieser Zeit zahlreiche Auftragsarbeiten für die Fox und andere Studios erledigte. Dabei handelte es sich primär um flamboyantes Abenteuer- und Romantikkino, das in erster Linie dazu angetan war, die Vorteile der Kombination von CinemaScope und Technicolor herauszustellen sowie dazu, seine Mitarbeiter und ergo im Nachhinein auch das Publikum an irgendwelche exotischen Schauplätze zu (ent-)führen. In exakt diese Kategorie fällt auch das x-te, uneheliche "Casablanca"-Ripoff "Soldier Of Fortune". Jenes fährt neben seinem Protagonistenpaar eine illustre Reihe prächtiger Nebendarsteller auf, so zum Beispiel Michael Rennie, Alex D'Arcy, Tom Tully, Richard Loo und Jack Kruschen, deren geballtem Einsatz der Film am Ende sehr viel von seinem Charme verdankt. Ansonsten handelt es sich um eines jener üblichen, teuren Kinokataloge über und aus Anderland, das in erster Linie die eskapistische Funktion besaß, durch die ausbeuterische Zurschaustellung einer exotischen Kultur dem abendländischen Malocher und/oder seinem Hausweibe ein paar anerkennende Seufzer abzuringen. Nichts Besonderes also, aber irgendwie doch immer wieder schön - besonders in der Retrospektive.

7/10

Edward Dmytryk Hong Kong Macao Söldner Ernest K. Gann


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RUNNING ON EMPTY (John Clark/AU 1982)


"I've got some nitrous oxide injection 'round that's a sweet sensation."

Running On Empty (Mike in 3,8 auf 100) ~ AU 1982
Directed By: John Clark

Autos und Geschwindigkeit sind ihr einziger Lebenszweck: Eine Gruppe illegale Rennen veranstaltender Kids praktiziert in den Vororten von Sidney alle Nase lang harte Raserduelle, bei denen es auch oft und gern einmal zu tödlichen Unfällen kommt. Ungeschlagener König der Beschleunigung ist der kriminelle Fox (Richard Moir). Für Mike (Terry Serio) gibt es indes noch Fox' exaltierte Freundin Julie (Deborah Conway), mit der ihn bald eine stümische Romanze verbindet. Von Fox zum Rennen herausgefordert, wagt Mike zunächst einen kopfklärenden Ausflug aufs Land, wo er dem blinden Autofreak Rebel (Max Cullen) begegnet. Dieser bietet Mike an, seinen Wagen hochzutunen, was dem jungen Mann und vor allem seiner Karosse jedoch überhaupt nicht bekommt - das nächste Rennen gegen Fox endet in einem gigantischen Crash. Doch Rebel besitzt noch einen kraftvollen Chevy...

Ein seltsamer, um nicht zu sagen "spezieller" Film, irgendwo zwischen Cox' "Repo Man" und Hills "Streets Of Fire", der seine porträtierte Jugendkultur wie ein unirdisches, hyperreales Fanal dastehen lässt, in das Außenstehende kaum vorzudringen mögen. Dass viele Australier schon aufgrund der lokalen Ausdehnung und der sich teils im Nirgendwo verlierenden Bevölkerungsdichte eine besondere Beziehung zu Autos hegen, spiegelte die höchst eigenständige Filmkultur des Landes bereits mehrfach wieder: "The Cars That Ate Paris" und die ersten beiden "Mad Max"-Filme sprechen diesbezüglich Bände. In "Running On Empty" überträgt sich die südliche Saga von Blut und Blech auf eine jugendliche Subkultur, in der, ganz wie man es noch aus den frühesten "Juvenile Delinquent Movies" der Fünfziger kennt, der Sieg und die höchstmögliche Geschwindigkeit alles sind. Wer verliert, ist nichts wert, der Ehrenkodex unter den Rasern zwingt ihn sogar, sich mit dem Auto nicht mehr auf die Straße zu wagen. Vor der kargen Kulisse des hierzulande stets ausgetrocknet wirkenden Kontinents entspinnen sich so intra- und interfigurale Dramen, deren Sinn, daran lässt Clarks Film schonmal keinen Zweifel, sich uns Außenstehenden weder erschließen muss noch soll. Umso faszinierter und losgelöster schaut man zu, wenngleich der emotionale Zugang eingangs praktisch verwehrt bleibt. Hier kommt man vielleicht wirklich nur als Aussi rein.

7/10

John Clark Australien Sidney Autorennen Subkultur


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THE FALLEN IDOL (Carol Reed/UK 1948)


"It's a great life if you don't weaken."

The Fallen Idol (Kleines Herz in Not) ~ UK 1948
Directed By: Carol Reed

Für Phillipe (Bobby Henrey), den kleinen Sohn des französischen Botschafters (Gerard Heinz) in London, ist der gutherzige Butler Baines (Ralph Richardson) ein veritabler Vaterersatz, zumal sein eigener Papa nur selten daheim ist. Doch auch die Weste des stets um Korrekthei bemühten Dieners ist nicht ganz blütenrein. Er pflegt nämlich trotz seiner zermürbenden Ehe mit einem veritablen Hausdrachen (Sonia Dresdel) eine Affäre mit der deutlich jüngeren Bürokraft Julie (Michèle Morgan). Phillipe ist noch zu klein, um die zufällige Entdeckung eines tête-à-tête zwischen Baines und Julie richtig einzuordnen, doch auch er hasst Mrs. Baines von ganzem Herzen. Als am Folgeabend die von der Liebschaft ihres Mannes in Kenntnis gesetzte Eifersüchtige dem Paar eine Falle stellt, kommt es zum Eklat: Die Gute fällt eine Treppe hinunter und bricht sich das Genick. Doch war es wirklich ein Unfall? Phillipe ist sich selbst nicht ganz sicher...

Von dem grausamen deutschen Titel, der eine Liebesschmonzette um Rühmann und Lassie vermuten lässt, sollte man sich hier bitte nicht irreleiten lassen: Carol Reeds auf einer Kurzgeschichte von Graham Greene basierendes Drama ist vielmehr eine kriminalistische Variation von David Leans "Brief Encounter", das sich vor allem durch seine meisterliche Perspektivierung auszeichnet. Praktisch das ganze Geschehen spielt sich nämlich betrachtet durch die naiven Augen des kleinen Phillipe ab, ganz so, wie er die urbane Londoner Welt rund ums Diplomatenviertel wahrnimmt: fremd, hermetisch, geheimnisvoll und manchmal feindselig, lässt Reed sie auch uns angedeihen. Natürlich ahnen wir, dass die hübsche junge Frau, mit der der sympathische Baines sich da trifft, wohl kaum seine Nichte sein dürfte, wie Phillipe großmütig annimmt - dafür kann man sich andererseits nie ganz sicher sein, ob Mrs. Baines nicht eine aus dem Lande Oz entflohene Hexe ist. Wie Reed am Ende Spannungsmomente schürt und das Publikum schließlich sogar gegen seine vorherige Identifikationsperson, den Jungen nämlich, aufbringt, weil dieser, um richtig zu handeln, etwas Falsches zu sagen droht, ist nur ein weiteres inszenatorisches Kabinettstückchen in diesem an Kabinettstückchen überhaupt alles andere als armem Filmschmaus.

9/10

Carol Reed Freundschaft Amour fou London England Graham Greene


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THE CHARGE OF THE LIGHT BRIGADE (Tony Richardson/UK 1968)


"Has anybody seen my regiment?"

The Charge Of The Light Brigade (Der Angriff der Leichten Brigade) ~ UK 1968
Directed By: Tony Richardson

Im Jahre 1851 kehrt der Indien-Veteran Captain Nolan (David Hemmings) nach England zurück und findet sich fortan dem Oberkommando des exzentrischen Lord Cardigan (Trevor Howard) unterstellt, mit dem er immer wieder aneinandergerät und der ihn schließlich wegen einer etikettischen Lappalie (Nolan trinkt in Cardigans Casino Burgunder statt Champagner) in Haft nehmen lässt. Parallel dazu verlebt Nolan jedoch auch glückliche Tage mit seinem alten Freund Morris (Mark Burns) und dessen Frau Clarissa (Vanessa Redgrave), die ein Auge auf Nolan wirft. Als es zum Krimkrieg kommt, rückt das gesamte Regiment Richtung Schwarzmeer aus. Der legendäre 25. Oktober des Jahres 1854, an dem sie Schlacht von Blaklawa geschlagen wird, erweist sich schließlich für alle Beteiligten als ein von strategischer Fehlplanung, Egomanie und Senilität geprägtes, schwarzes Datum der Militärhistorie.

Richardsons in der bitter-ironischen Tradition seiner bisherigen englischen Dramen stehende Antikriegsgroteske verhält sich in punkto Eleganz, Verve und Authentizitätsverpflichtung im Vergleich zu der alten Hollywood-Version von Michael Curtiz in etwa wie eine Flasche Hendrick's zu einem Tonkrug schwarzgebrannten Kentucky-Moonshine-Fusels. Richardson nutzt die Ereignisse jener legendären Attacke von Cardigans Kavallerie-Regiment zu einer breitgefächerten Offensive gegen die ureigene Arroganz des Commonwealth und den Status der Briten im 19. Jahrhundert als selbsternannte Weltpolizei, die bei etwas bedächtigerem Hinsehen natürlich mühelos auf die damals gegenwärtigen Praktiken der US-Außenpolitik übertragbar ist. Formal unterstützt wird dieses Ansinnen nicht allein durch eine vorzügliche Darstellerriege großer Inselschauspieler, sondern auch durch wunderbare Animationssequenzen von Richard Williams, dessen grandiose Trickeinspieler sich an zeitgenössischen, politischen Karikaturen orientieren und dabei stets voll ins Schwarze treffen. Ein bravouröses, nachhaltig beeindruckendes Filmerlebnis steht am Ende jener kreativen Bemühungen; eines, das einem jeden Verehrer des Free Cinema als eine von dessen Pflichtveranstaltungen nur wärmstens ans Herz gelegt werden kann.

9/10

Tony Richardson period piece Historie Satire Krimkrieg Militär Schwarze Komödie





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Funxton

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