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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE INCREDIBLE MELTING MAN (William Sachs/USA 1977)


"I've got to go out and find Steve."

The Incredible Melting Man (Der Planet Saturn lässt schön grüßen) ~ USA 1977
Directed By: William Sachs

Der Astronaut Steve West (Alex Rebar) überlebt als einziges Besatzungsmitglied einen Flug zum Saturn. Die Mannschaft wurde dort merkwürdigen kosmischen Strahlen ausgesetzt, deren unheilvolle Wirkung allerdings auch an Steve nicht spurlos vorübergeht: Zurük auf der Erde läuft der Gute Amok, beginnt sich zu zersetzen und harmlose Leute im Wald anzufallen. Er braucht frische Zellen uim seine eigenen zu erneuern. Steves Freund Dr. Nelson (Burr DeBenning) macht sich auf die Suche nach seinem Kumpel, kann ihm jedoch auch nicht mehr helfen.

Eine leicht modifizierte Variation des Hammer-Klassikers "The Quatermass Xperiment", nur, dass William Sachs hier mit Sicherheit keinesfalls die Entstehung eines heimlichen Genre-Meilensteins im Sinn hatte (zu dem es "Quatermass" fraglos gebracht hat), sondern rein spekulative Exploitation zu günstigen Konditionen. "The Incredible Melting Man" ist so unverhohlen doof wie schlecht und wird von einer dermaßen grauenhaft zusammengefrickelten Dramaturgie auf Spielfilmformat gebracht, dass die 84 Laufminuten infolge bierberauscht-subjektivem Zeitempfinden locker doppelt so lang erscheinen. Das, was den Film letztlich interessant macht, nämlich jene drei, vier Auftritte des 'Melting Man', wird durch eine idiotische Rahmengeschichte morschen Tauen gleich verschnürt.
Als Urvater des Schmilz-Horrors weist Sachsens Klamotte nämlich immerhin erstklassige Make-Up-F/X auf, von dem jungen Rick Baker lustvoll-schleimig zum Einsatz gebracht. So steht "The Incredible Melting Man" voll zu seinem gellen Auftreten als Billigfilm fürs Autokino und verspricht nichts, was er nicht halten könnte. Damit ist er bei aller Kritik auch grundehrliches Handwerk und in seiner Haltung zigmal sympathischer als teures Angeberkino.

6/10

William Sachs Trash Exploitation Splatter Raumfahrt Independent Kannibalismus Weltraum


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LA VENDETTA DI ERCOLE (Vittorio Cottafavi/I, F 1960)


Zitat entfällt.

La Vendetta Di Ercole (Die Rache des Herkules) ~ I/F 1960
Directed By: Vittorio Cottafavi

Herkules (Mark Forest) kehrt von einem Abenteuer im Hades zurück, an deren erfolgreichem Ende er dem Gott der Rache einen in der Unterwelt aufgespürten Blutdiamanten opfern kann. Doch auch in der Oberflächenwelt geht es heiß her: Der böse Tyrann Eurytos (Broderick Crawford) plant die Eroberung Thebens und sucht dafür willfährige Mitstreiter. Derweil erliebt sich Herkules' Sohn Hylos (Sandro Moretti) in die flotte Thea (Federica Ranchi), ein Umstand, den Eurytos wohlfeil für allerlei Ränke gegen seinen muskelbepackten Erzfeind zu nutzen weiß. Der jedoch schreckt selbst vor Elefanten nicht zurück.

Nach Steve Reeves war Mark Forest der zweite Herkules im italienischen Sandalenopus im ersten von zwei Filmen des immens visuell denkenden Regisseurs Cottafavi. "La Vendetta Di Ercole" hat eigentlich gar keine richtige Geschichte, sondern präsentiert eine Abfolge schaulustiger Szenen, deren Zusammenhang bestenfalls einer surrealistischen Traumlogik folgt. Daher konnte der Film in unterschiedlichen Ländern auch in ganz unterschiedlichen Schnittfassungen ohne besondere strukturelle Einbußen gezeigt werden. So bekamen die Amerikaner etwa noch einen Kampf zwischen dem Halbgott und einem Drachen in Stop-Motion-Animation zu sehen, der bei uns völlig fehlt. Worauf wir glücklicherweise nicht verzichten mussten, ist Herkules' Hades-Abstieg, im Zuge dessen er gegen den Höllenhund Zerberus und gegen ein plüschiges Fledermausmonster kämpfen muss - im Film als Kreaturen zu sehen, die dem "Spezial" in "Spezialeffekt" eine ganz neue semantische Konnotation abringen. "La Vendetta Di Ercole" ist an der Oberfläche zwar doof und billig, in seinen spezifischen Bahnen jedoch getragen von absoluter Könnerschaft sowie inbrünstiger Fabulierfreude und gerade deshalb beseelt von einem unwiderstehlichen Charme.

7/10

Vittorio Cottafavi Herkules Griechenland Europloitation Sandalenfilm Griechische Mythologie


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TRUST (David Schwimmer/USA 2010)


"Oh my God - I was raped!"

Trust ~ USA 2010
Directed By: David Schwimmer

Die vierzehnjährige Annie (Liana Liberato) durchlebt gerade Höhen und Tiefen der frühen Pubertät: Ihr Körper verändert sich und sie findet sich hässlich, ihre beste Freundin (Zoe Levin) ist ihre letzte Bezugsbastion. Da lernt sie in einem Internet-Chat einen gewissen "Charlie" kennen, der nicht nur ein offenes Ohr für ihre Sorgen und Nöte hat, sondern ihr zugleich vehement Komplimente macht. Zwar kommt es Annie etwas befremdlich vor, dass Charlie ihr etwa einmal die Woche gesteht, fünf Jahre älter zu sein als er bis dato vorgab, dennoch entwickelt sich aus der schüchternen Annäherung eine zaghafte Beziehung. Diese gipfelt schließlich in einem Treffen, bei dem sich Charlie als pädophiler Spätdreißiger entpuppt, der Annie in einem Hotelzimmer zum Koitus nötigt. Es dauert ein paar Tage, bis das Mädchen begreift, was da wirklich mit ihr passiert ist. Vor allem ihr Dad (Clive Owen) kann mit der Situation jedoch überhaupt nicht umgehen.

Just your usual Schicksals-Movie, wie es hüben und drüben üblicherweise gern via Eigenproduktion der privaten TV-Sender als 'Film der Woche' gezeigt wird. Warum die recht hausbackene und psychologisch nicht sonderlich differenziert angelegte Story von "Trust" nun auf Kinoebene angelegt und umgesetzt wurde, muss man nicht verstehen. Die Ingredienzien jedenfalls sind genau dergestalt, wie man sie in einem klischeebepackten Drama dieser Sorte erwarten sollte. Darstellerisch gibt es nichts zu mäkeln, Clive Owen, Catherine Keener und auch die junge Liana Liberato sind gute Leute. Handwerklich allerdings ist die ganze Kiste trotz der Idee, Chat-Dialoge über andere Szenen zu legen, allerbiederste Krampfkost. Schwimmer und seine Autoren baden in Redlichkeit und mühen sich dazu schrecklich ab, jeglichen Moralfallen vom Voyeurismus über Adoleszenz-Diskurse zu entgehen, die modernen Kommunikationswege als einen Abgrund voller perverser Sexualstraftäter zu diffamieren und die missbrauchte Annie zu einem aseptisch-asexuellen Wesen zu verklären. Der Perversling derweil ist der janusköpfige, brave Familienvater und - Lehrer. Holzhammer-Populismus in Reinkultur. Na klar. "Trust" mag für paranoide, christliche Mitteltandseltern medieninkompetenter Töchter möglicherweise das symbolisieren, was "Rosemary's Baby" für hochschwangere Frauen darstellt. Nur eben dass letzterer bei aller Hysterie den Mut zur Abstraktion besaß und von einem Meisterregisseur inszeniert wurde.
Wenn man eines vorher noch nicht wusste, dann weiß man's nach "Trust" unter Garantie: Die Welt ist schlecht. Amen.

4/10

David Schwimmer Internet Chicago Familie Vergewaltigung Paraphilie


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HODEJEGERNE (Morten Tyldum/NO, D 2011)


Zitat entfällt.

Hodejegerne (Headhunters) ~ NO/D 2011
Directed By: Morten Tyldum

Roger Brown (Aksel Hennie) arbeitet als Headhunter, was seinen großzügigen Lebensstil jedoch längst nicht ausreichend finanziert. Also hat er nebenbei einen kleinen Ring von Kunsträubern gegründet, der, mit Roger als Hauptakteur, echte Gemälde gegen Kopien austauscht. Als Roger erfährt, dass seine Frau Diana (Synnøve Macody Lund) ihn mit dem aalglatten Clas Greve (Nikolaj Coster-Waldau) betrügt, ist es ihm ein umso größeres Vergnügen, selbigem einen millionschweren Rubens zu stehlen. Doch Greve entpuppt sich als verrückter Ex-Elitesoldat, der Roger von nun an nachstellt und ihn unbedingt töten will.

Nicht meine Art Menschen, nicht meine Welt, nicht meine Art Film. Für geleckte Anzugträger, die in unserer Zeit des grotesken ökonomischen Ungleichgewichts auf hohem Niveau jammern, weil sie ihrer Frau keine diamantenen Ohrringe mehr kaufen können, sehe ich mich leider außer Stande, das für "Hodejegerne" wohl zwangsläufig notwendige Empathiemaß aufzubringen; folglich war es mir auch vollkommen egal, was mit Roger Brown oder den anderen Figuren im Film passiert. Headhunter, Manager, Wirtschaftsfatzkes und sonstige Zeitgenossen gehören nicht zu meiner Welt, und auch, wenn die sich anschließende Satire Roger als moralische Sühne für seine gesetzlichen Entgleisungen buchstäblich kopfüber in die Scheiße tauchen lässt, war für mich leider kaum mehr denn ein Mindestamüsement herstellbar. Auf diese filmische Erfahrung hätte ich auch gut und gern verzichten können.

4/10

Morten Tyldum Jo Nesbø Norwegen Stockholm Heist Rache


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RAMPART (Oren Moverman/USA 2011)


"You know what I think? I think you were a dirty cop from day one."

Rampart ~ USA 2011
Directed By: Oren Moverman

L.A. 1999: Der Streifenpolizist Dave Brown (Woody Harrelson) ist vermutlich der meistgehasste Cop der Stadt. Permanent lässt sich sein Name mit Gewalttaten in Verbindung bringen, was die Medien populistisch fachgerecht auzuschlachten verstehen und auch sein Privatleben, geprägt von Promiskuität, Nikotin, Alkohol- und Medikamentenmissbrauch gleicht einer Katastrophe. Dennoch weigert sich Brown strikt, sein Berufsideal zugunsten einer aus seiner sicht verweichlichten öffentlichen Meinung aufzugeben.

Sehenswerter, grandios montierter und inszenierter Polizeifilm, dem man James Ellroys kreativen Input recht umschweifelos anmerkt. Getragen von einem großartigen Ensemble, das unter anderem Ned Beatty in einer schönen Altersrolle aufbietet, ist "Rampart" vor allem ein Film über Anachronismen. Diverse Zitate verdeutlichen, dass Dave Brown ein legitimer Erbe der Dinosaurier-Polizisten vom Schlage eines Harry Callahan, freilich gemixt mit einem Viertel Bad Lieutenant ist, ein Misanthrop, der die Uniform benutzt, um möglichst unkompliziert seiner eigenen, herrischen Natur frönen zu können. Brown weiß Menschen für sich "einzunehmen"; diverse Personen schulden ihm einen Gefallen. Sei es der Apotheker, von dem Brown seine Benzos rezeptfrei bezieht oder der Hotelrezeptionist, der ihm für lau eine Notunterkunft gewährt. Vor den Stadtoberen, Staatsanwälten und Anzugträgern, hat Dave keine Angst. Er weiß, wie das Spiel gespielt wird und ist schlau genug, im Sanktionsfalle zurückschlagen zu können. Dass er auf der anderen Seite verantwortlich ist für zahlreiche ungerechtfertigte Gewaltakte, bekommt der kleine, demonstrationsbereite Mann auf der Straße mit. Allein es interessiert Dave nicht. Er lässt sich nicht ändern. Und warum auch? Schließlich ist er nichts weiter als das konsequente Echo der Straßenschluchten.

8/10

Los Angeles Korruption Oren Moverman James Ellroy


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APACHE DRUMS (Hugo Fregonese/USA 1951)


"This is a rough country and you got to take care of yourself."

Apache Drums (Trommeln des Todes) ~ USA 1951
Directed By: Hugo Fregonese

Am Liebsten möchte man den losen Falschsspieler Sam Leeds (Stephen McNally) in dem kleinen Grenzstädtchen Spanish Boot nurmehr von hinten sehen: Anstand und Schicklichkeit sollen dort wieder Einzug halten, weswegen kurzerhand auch der örtliche Puff von Betty Careless (Ruthelma Stevens) geschlossen wird. Leeds befindet sich schon auf der Weiterreise, als er in der Prärie die gute Betty und ihre Mädels massakriert vorfindet: Eine Kohorte Mescaleros unter Häuptling Victorio ist auf dem Kriegspfad und nimmt alle mit in die Hölle derer sie habhaft werden können. Leeds und die Bürger von Spanish Boot verschanzen sich in der kleinen Kirche. Gemeinsam harrt man des nächsten Morgens, an dem die Kavallerie hier eintreffen soll.

Der letzte von Val Lewton produzierte Film, bevor die geschmackssichere Produktionslegende mit nur 46 Jahren infolge zweier dicht aufeinanderfolgender Herzinfarkte das Zeitliche segnete. Wenngleich "Apache Drums" in feinstem Technicolor glänzt, erinnert er hinsichtlich seiner düsteren, fatalistischen Grundstimmung doch sehr an Lewtons Horrorfilme für die RKO. "Apache Drums", dessen deutscher Titel sich ausnahmsweise als nicht weniger inhaltsprogrammatisch erweist, ist die Geschichte einer angekündigten Höllenfahrt. Drinnen: die karg ausgestattete Kirche, ein hohes Lehmgebäude mit drei Metern in der Höhe befindlichen Fensteröffnungen, die als Schießscharten ungeeignet sind, von den Apachen aber problemlos erstürmt werden können. Draußen: eine gesichtslose, blutrünstige Übermacht ohne Verlustängste, die ihre unregelmäßigen Attacken durch befremdliches Getrommel ankündigt. Die Szenen gegen Ende, in denen man sich mit dem Sterben bereits abgefunden hat und sich innerlich auf das Unvermeidliche vorbereitet, sind von einer grandiosen Atmosphäre getragen. Wäre "Apache Drums" kein Western, die Kavallerie träfe garantiert Sekunden zu spät ein. So jedoch bleibt eine versöhnliche Schlusseinstellung von einer Eselsstute und ihrem lebenshungrigen Fohlen.
Legionen von späteren Filmen, viele davon wie Hawks' "Rio Bravo" und Waynes "The Alamo" sogar genreintern, konnten später von diesem Szenario zehren, ebenso wie von dem von McNally gespielten Charakter, der im Angesicht des Todes seine moralische Läuterung erfährt (schlag nach bei Mann/Stewart). Von der Universal als einer der vielen zu dieser Zeit produzierten B-Western ist "Apache Drums" sowieso Fregoneses allerbester Film, ohne Stars oder großen monetären Aufwand, dafür von höchster inszenatorischer Kunstfertigkeit und somit nicht nur ein Meisterwerk, sondern darüberhinaus ein unbedingter Klassiker des Genres, das einer dringenden Entdeckung und weitflächigen Rehabilitation bedarf.

10/10

Hugo Fregonese Indianer Arizona Belagerung Val Lewton Nacht


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4 FOR TEXAS (Robert Aldrich/USA 1963)


"With four for Texas in the mood, they'll have themselves a real fine brood."

4 For Texas (4 für Texas) ~ USA 1963
Directed By: Robert Aldrich

Die beiden Halunken und Pistolenhelden Zack Thomas (Frank Sinatra) und Joe Jarrett (Dean Martin) streiten um die Summe von 100.000 Dollar, die Thomas ursprünglich als Startkapital dafür dienen soll, einen alten Raddampfer zum schwimmenden Spielsalon auszubauen. Jarrett jedoch macht ihm seine Idee streitig. Als dritte Partei steht der ebenso feiste wie betrügerische Bankier Harvey Burden (Victor Buono) im Ring, der mit dem skrupellosen Killer Matson (Charles Bronson) zudem eine unkontrollierbare zusätzliche Gefahr heraufbeschworen hat. Am Ende erkennen Thomas und Jarrett, dass sie nur mit vereinten Kräften gegen ihre Gegner bestehen können.

Ein eitler Film, als Vehikel für Frankie Boy und Dino gedacht, die hier in attraktiver Begleitung durch die voluminöse Anita Ekberg und die knackige Ursula Andress eine Art aufpoliertes Versprechen ihrer nicht mehr ganz taufrischen, dafür umso trinkfesteren Männlichkeit erhalten. Die Tatsache, dass mit Sinatra und Martin lediglich zwei Vertreter des Rat Pack dabei waren, ersparte "4 For Texas" allerdings nicht seinen letztendlichen Status als Show-Happening: Diverse häufig wiederkehrende Aldrich-Kompagnons wie die erwähnten Buono und Bronson, sowie Wesley Addy oder Jack Elam sind ebenso zu erspähen wie die "Three Stooges" in einem gelinde formuliert eklektizistisch anmutenden Gastauftritt. Der überaus dünnen Geschichte ist kaum mehr denn eine Alibi-Funktion zuzuschreiben. Es ist sogar zu bezweifeln, dass übergebührlicher Brandy-Genuss, wie er vom guten Dino im Film vorexerziert wird, das Zuschauerinteresse an "4 For Texas" nachträglich zu steigern vermag. Einzig ein paar wirklich schöne Einstellungen, wie etwa eine Vertikale auf die knallrot gewandete Andress umgeben von ihrer Gesindeschaft, bleiben im Gedächtnis. Ansonsten erhält man unwesentlich mehr als einen infantilen Vegas-Schwips.

5/10

Robert Aldrich Rat Pack Texas


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23 (Hans-Christian Schmid/D 1998)


"Nichts ist wahr. Alles ist erlaubt."

23 ~ D 1998
Directed By: Hans-Christian Schmid

Hannover in den 1980ern: Der junge Computerhacker Karl Koch (August Diehl) ist besessen von Robert Anton Wilsons Roman-Anthologie "Illuminatus!" und deren verschwörungstheoretischen Hirngespinsten. Über die Fiktion hinaus beginnt er selbst, in der Realität Ungereimtheiten festzustellen wie das sich ständig wiederholende Auftauchen der Zahl 23 und ihrer Quersumme 5. Karl glaubt, dass praktisch alles um ihn herum bloß Teilfacetten einer diffusen Weltverschwörung widerspiegelt.
Als er über Gras zum Kokain gerät und mit obskuren Geschäftspartnern anfängt, für den Ostblock Computernetzwerke auszuspionieren, verschlimmert sich seine bereits pathologische Paranoia bis hin zur Psychose. Dennoch scheint nicht alles bloß blühende Phantasie zu sein...

Hm, als Porträt der Achtziger und ihrer historischen Funktion als Schlussakt des Kalten Krieges ist "23" weniger interessant, als psychologisch angelegtes Porträt eines drogeninduzierten Psychotikers dafür umso mehr. Dass Bits und Bytes schon seit jeher dazu angetan waren, Gehirne und vor allem Seelen zu erweichen, wissen Zeitgenossen schon, seit ihre Klassenkameraden sich vor gut 25 Jahren mit Atari und Commodore im heimischen oder benachbarten Kinderzimmer eingeschlossen und halb zu Tode gedaddelt haben. Brenzlig wurde es damals jedoch auch für Leib und Leben, wenn sich das Interesse am Computer in politisch fragwürdige Bahnen überführt fand - sprich, zu Spionagzwecken genutzt wurde. Erst die unheilige Mixtur aus alldem jedoch machte Karl Kochs letzte junge Lebensjahre so brisant: Seine psychische Ausgangssituation, seine Suche nach Zwischenmenschlichkeit, seine Suchtanfälligkeit, schließlich ein formloser Hang zum Protest. Da musste es irgendwann knallen. Als er schlussendlich verschwand und eine Woche später verkohlt in einem Wald aufgefunden wurde, näherte diese myseriöse Entwicklung zunächst natürlich Karls spekulatives Realitätskonstrukt und sorgte für eine gewisse Mythisierung in geneigten Kreisen. Tatsächlich ist davon auszugehen, dass der junge Mann, der aus Gründen der Strafaussetzung mittlerweile gezwungen war, als Laufbursche für die Landes-CDU zu arbeiten, nicht mehr konnte und sich - natürlich mit knapp 24 Jahren - selbst angesteckt hat. Faszinierend und filmreif ist dieses Schicksal sicherlich allemal und entsprechend sehenswert hat Schmid es umgesetzt.

8/10

period piece Hans-Christian Schmid Hannover Drogen Kokain Madness DDR Kalter Krieg Internet Verschwörung Biopic Berlin


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A STAR IS BORN (George Cukor/USA 1954)


"This is the way the world ends - not with a bang, but with a whimper."

A Star Is Born (Ein neuer Stern am Himmel) ~ USA 1954
Directed By: George Cukor

Der für seine Alkoholeskapaden berüchtigte Hollywood-Schauspieler Norman Maine (James Mason) wird bei einer Gala auf die Gesangs- und Tanzkünstlerin Esther (Judy Garland) aufmerksam. Noch in der selben Nacht beschgließt er, Esther kennenzulernen und sie auf ihr latentes, schlummerndes Starpotenzial aufmerksam zu machen. Von Maines Ansprache überzeugt, bewirbt sich Esther beim Film. Normans Einschätzung erweist sich als goldrichtig, nach kleineren Komparsenauftritten ist Esther, die sich jetzt Vicki Lester nennt, bald der größte Zuschauermagnet der Traumfabrik. Doch parallel dazu sinkt Normans Stern unweigerlich ins Bodenlose. Sein Studio kündigt den Vertrag mit ihm auf, da er als nicht mehr versicherbar gilt und seine Trunksucht verschlimmert sich zusehends. Dennoch hält Vicki bis zuletzt zu ihm und ist sogar bereit, ihren Erfolg ihm zuliebe zu opfern.

"A Star Is Born" wurde bis heute dreimal verfilmt, wobei Cukors Version als die gelungenste gilt. Als 'Film-Musical' im klassischen Sinne kann man das zumindest in seiner restaurierten, notgedrungen unter der Zuhilfenahme von Standbildern zusammengeflickten Fassung recht ausgedehnte Scope-Prachtstück nicht unbedingt bezeichnen. Die Gesangseinlagen sind jeweils Teil der filmimmanenten Gegebenheiten und werden, durchweg von Judy Garland, als Bühnen- oder private Stücke dargebracht und nicht wie bei Minnelli, Donen und den anderen klassischen Musicalregisseuren als expressionistisch-surrealistisches Mittel zur Befindlichkeitsäußerung eingesetzt. Von mehrerlei Warte aus betrachtet ist "A Star Is Born" ein gewaltiges Werk: Als stolzer Repräsentant des noch jungen Breitwandformats (und Cukors erste Arbeit mit selbigem) sowie als Schauspielerfilm fidelt er in der obersten Garde. Die sich geradezu aufzehrenden James Mason und Judy Garland scheinen beinahe Übermenschliches zu leisten und das selbstreflexive Element - damals noch keine Selbstverständlichkeit, wenngleich bereits mehrfach exerziert - wirkt ebenso mutig wie rührend-nostalgisch. Mason war damals auf Suchtkranke und Verlierertypen adaptiert, derweil die privaten bzw. psychischen Aufs und Abs von Judy Garland bildlich denen einer Achterbahn ähnelten. Insofern trägt die Besetzung der Hauptrollen bereits planerisch genialische Züge und wurde von den beiden auch hinter der Kamera wild flirtenden Stars großflächig belohnt.
Klassisches Eventkino mit allem, was dazu gehört.

9/10

George Cukor Remake Hollywood Alkohol Sucht Film im Film Musik Tanz


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CRAZY HEART (Scott Cooper/USA 2009)


"Ain't rememberin' wonderful?"

Crazy Heart ~ USA 2009
Directed By: Scott Cooper

Der abgehalfterte Country-Star Otis 'Bad' Blake (Jeff Bridges) ist hoffnungslos dem Bourbon verfallen und verdient sich ein paar Kröten mit Auftritten in eher unwürdigen locations. Als er die Journalistin Jean (Maggie Gyllenhaal) und ihren kleinen Sohn Buddy (Jack Nation) kennenlernt, schöpft er neuen Lebensmut, jedoch nicht die nötige Kraft zum Ausstieg aus der Trunksucht. Diese keimt erst in ihm, als Jean ihn wegen einer unerfreulichen Episode, im Zuge derer er Buddy in einem Einkaufszentrum aus den Augen verliert, verlässt. Zwar kommt nun der kommerzielle Erfolg zurück, für Jean ist Bad jedoch endgültig passé.

Ein einziges Geschenk für Jeff Bridges, der ja schon mehrfach Alkoholiker gespielt hat und hierin so etwas wie eine gealterte Version seiner früheren New-Hollywood-Helden aus "The Last American Hero", "Fat City" oder "Stay Hungry" geben darf, allesamt Spieler gegen das Establishment und sich auf recht kratzbürstige Weise durchs Leben kämpfend. wenngleich er ein begnadeter Songwriter mit einer nach wie vor immensen fanbase ist, hat Bad Blake im Leben sehr viel mehr falsch als richtig gemacht: Seinen mittlerweile 28 Jahre alten Sohn hat er noch nie gesehen, vier Ehen in den Sand gesetzt und mit der wunderbaren Jean möglicherweise die letzte Chance, sein privates Glück zu finden. Erst als er durch sein eigenes Verschulden auch sie verliert, ist er reif zur Selbsterkenntnis. "Crazy Heart" ist eine hübsche Americana, das auch dem US-Schlagependant der Country-Musik ein aufrichtig gemeintes Denkmal setzt, indem er seine alten Helden zu Bewahrern des true spirit hochjubelt, auf deren Genius ihre Nachfolger [im Film personifiziert durch Blakes Lehrjungen Tommy Sweet (Colin Farell), mittlerweile erfolgreicher als Bad es jemals war] dennoch weiterhin angewiesen sind. Das ist manchmal herzzereißend traurig, formidabel gespielt und stets unterhaltsam. Insgesamt ein schöner Film, dessen Konventionalität und gigantische Palette allerorten bemühter Klischees jedoch ebenso dafür sorgt, dass "Crazy Heart" niemals Gefahr läuft, über sich selbst hinauszuwachsen.

8/10

Scott Cooper Country Alkohol Sucht Musik Texas Südstaaten





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Funxton

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