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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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DIE VERLORENE EHRE DER KATHARINA BLUM (Volker Schlöndorff, Margarethe von Trotta/BRD 1975)


"Wovor haben Sie'n Angst? Sie sind doch unschuldig."

Die verlorene Ehre der Katharina Blum ~ BRD 1975
Directed By: Volker Schlöndorff/Margarethe von Trotta

Auf einer ausgelassenen Karnevalsfeier lernt die biedere Kölner Hausangestellte Katharina Blum (Angela Winkler) den von der Polizei gesuchten "Anarchisten" und Bankräuber Ludwig Götten (Jürgen Prochnow) kennen. Nach einer romantischen Nacht in ihrer Wohnung steht urplötzlich ein Einsatzkommando der Polizei neben Katharinas Frühstückstisch; Götten ist verschwunden. Die folgenden vier Tage werden für die der Komplizenschaft Verdächtige zur Hölle: Die Beamten, allen voran der Einsatzleiter Kommissar Beizmenne (Mario Adorf), verhören sie auf das Peinlichste und Penibelste und lassen sie minimalste Details ihre Privatlebens preisgeben. Da Beizmenne sich zudem gegenseitig Informationen mit dem schmierigen Sensationsjournalisten Tötges (Dieter Laser) zuschanzt, schmückt Katharina bald die Titelseiten einer großen Tageszeitung und sieht sich böse verunglimpft bis zur Unerträglichkeit.

Zugleich bitterböse Satire und frontale Attacke gegen die polizeistaatlichen Methoden, mit der die bundesdeutsche Justiz und der Springer-Verlag in den frühen siebziger Jahren Hand in Hand gegen die erste RAF-Generation vorgegangen waren. In kafkaesker Tradition stand das fiktive Schicksal der unbescholtenen Bürgerin Katharina Blum dabei als repräsentatives Exempel für die rigorose Praxis insbesondere der Bild-Zeitung, jeder nach Sensation und Aufmacher riechenden Kleinstspur nachzugehen und dabei willfährig bis rücksichtslos die Verleumdungen und Rufmorde bestenfalls peripher beteiligter Personen nicht nur in Kauf zu nehmen, sondern sogar ausdrücklich zu suggerieren. "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" ist auch eine wütende Reaktion des Literaten Heinrich Böll auf die ihm durch CDU-Politiker als auch wiederum vom Springer-Konzern zuteil gewordene Titulierung als "geistiger Helfershelfer des Terrors" und Sympathisant der linksradikalen Szene. In "Katharina Blum", dessen Verfilmungsoption Böll bereits während Schreibprozesses Schlöndorff und von Trotta zutrug, verknüpft er die erdrückende soziale Repression des Demokratiestaats mit einer naiven, freilich unerfüllten Liebesgeschichte und dreht dabei der uniformierten Exekutive eines Nase, indem er sie selbst verantwortlich macht für Katharinas Bluttat am Ende (die, wie man erfährt, zudem schnell Nachahmer findet). Die Einkleidung der Geschichte in das rheinische Spektakel des alljährlichen Karnevals (sie spielt sich zwischen dem Vorabend der Altweiberfastnacht und Tulpensonntag ab) bezeichnet noch einen weiteren, schwarzhumorigen Fingerzeig betreffs des versumpfenden deutschen Spießertums, das sich in Scheichskostümierung und Pappnase besäuft, derweil sich nur eine Straßenecke weiter rechtsstaatliche Ungeheuerlichkeiten ereignen.

10/10

Margarethe von Trotta Heinrich Boell Journalismus Terrorismus Satire Koeln RAF Volker Schloendorff Verhör


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DER NEUNTE TAG (Volker Schlöndorff/D, LU, CZ 2004)


"Wie kann jemand zugleich an Gott glauben und das tun, was sie tun?"

Der neunte Tag ~ D/LU/CZ 2004
Directed By: Volker Schlöndorff


Der Luxemburger Abbé Henri Kremer (Ulrich Matthes) sitzt wegen einiger scharf formulierter Pamphlete gegen die Rassengesetze der Nazis im sogenannten 'Pfarrerblock' von Dachau. Überraschend erhält er von neun von dem Untersturmführer Gebhardt (August Diehl) angeordnete Tage Heimaufenthalt, während derer er den sich als Dissidenten aufspielenden, luxemburgischen Bischofs Philippe (Hilmar Thate) überzeugen soll, seinen Widerstand aufzugeben. Als klar wird, dass dies unter keinen Umständen zu leisten ist, will sich Gebhardt auch mit einer öffentlichen Distanzierung Kremers von Philipes Aufsässigkeit begnügen - unter Inaussichtstellung einer gänzlichen Entlassung Kremers aus dem KZ. Doch widerspräche dies zutiefst seiner inneren, antinnazistischen Haltung...

Großartiger Schauspielfilm, in dem die Gretchenfrage zwischen der Skylla der Nazis und der Charybdis der Katholischen Kirche, speziell jener unter dem "Konkordatspapst" Pius XII., schon nach kurzer Zeit müßig wird, da es weniger um weltloche oder geistliche Institutionen geht als vielmehr um Wertanschauungen und Grundsätze, die unter allen Umständen standhaft bleiben müssen. Als solche Universalfragen diskutierender Exkurs ist "Der neunte Tag" ein wichtiger, mustergültiger und vor allem unbedingt sehenswerter Film über die Schrecken des Nationalsozialismus. Mit Diehl und dem unglaublichen Matthes, der ja ohnehin oft ein bisschen weltentrückt wird und diese Stärke hier als gezeichneter KZ-Insasse "auf Urlaub" noch umso eindrucksvoller ausspielen kann, stehen dem glücklicherweise in jeder Hinsicht distanzierten und daher komplett pathosfrei inszenierenden Regisseur Schlöndorff darüberhinaus zwei Akteure zur Verfügung, die ob ihrer Brillanz ohnehin beinahe jede Kritik müßig erscheinen lassen.

9/10

Konzentrationslager WWII Nationalsozialismus Kirche Volker Schloendorff


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DER UNHOLD (Volker Schlöndorff/D, F, UK 1996)


"All I wanted to do was to help, but somehow I inspired people's fear."

Der Unhold ~ D/F/UK 1996
Directed By: Volker Schlöndorff


Über tragische Umwege gelangt der Automechaniker Abel Tiffauges (John Malkovich) im zweiten Weltkrieg zunächst an die Front gegen die Deutschen, kommt alsbald in Kriegsgefangenschaft und wird wegen seiner offensichtlichen Tierliebe von Goerings (Volker Spengler) Forstmeister (Gottfried John) persönlich als Faktotum auf dessen feudalen Landsitz angeheuert. Nach dem Massaker bei Stalingrad zieht Goering das gesamte Personal ab und Abel wechselt auf die benachbarte Zitadelle Kaltenborn, eine Napola für Sprösslinge besonders wohlhabender Eltern. Nach kurzem erhält der naive Abel dort den Auftrag, für die drohende Aufstockung der Wehrmacht sämtliche Jungen aus der Umgebung zu rekrutieren - eine Aufgabe, die der verblendete Simplicissimus willfährig erledigt. Als Abel das Ausmaß seines Tuns bewusst wird, ist es bereits zu spät: Kaltenborn wird gnadenlos von den Russen überrannt und Abel flieht, einen jüdischen Jungen (Ilja Smoljanski) auf dem Arm, ziellos in die winterlichen Sümpfe.

Die Verfilmung von Tourniers "Der Erlkönig" steht in direkter Tradition zur "Blechtrommel" - in beiden Werken geht es um die gleichermaßen distanzierte, dann aber mehr und mehr doch verhängnisvoll involvierte Beobachtung des Dritten Reichs, seines Aufstiegs und Falls. Im Gegensatz zu Oskar Matzerath ist die Dimension des Systems, das ihn kurzzeitzig assimiliert, Abel Triffauges aber zunächst nicht bewusst; er ist zwar geistig auf der Höhe, aber emotional betrachtet hoffnungslos unterentwickelt. Seine aufrichtige, reine Liebe zu Kindern bezahlt er zunächst mit dem Preis übler Verdächtigungen und eines ruinierten Rufs, um dann später "seine" gesamte Kinderschar machtlos dem Feindesfeuer übergeben zu müssen. Der Gedanke, dass nicht das Schicksal uns leitet, sondern umgekehrt, kommt erst viel zu spät.
Schlöndorff kleidet sein Observationsmärchen in gleichermaßen aufwendige wie ästhetisch tragfähige, zwischen farbig und schwarzweiß wechselnde Szenarien, durch die ein abermals virtuoser Malkovich stapft, dessen Interpretation ein wenig an seinen Lennie Small aus "Of Mice And Men" erinnert: Monster und Kind zugleich, ein unschuldiges Opfer seiner verheerenden gesellschaftlichen Umstände. Ansonsten wäre da noch Spenglers fabelhafte Karikatur des größenwahnsinnigen Reichsfeldmarschalls erwähnenswert, eine der brillantesten mir bekannten Nazisatiren.

8/10

Volker Schloendorff Nationalsozialismus WWII Kinder Parabel Erwachsenenmaerchen


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BRIGHT LIGHTS, BIG CITY (James Bridges/USA 1988)


"Faulkner and Fitz - where the hell have you gone?"

Bright Lights, Big City (Die grellen Lichter der Großstadt) ~ USA 1988
Directed By: James Bridges


Der Jungautor und -journalist Jamie Conway (Michael J. Fox) knackt beständig daran, dass seine Frau Amanda (Phoebe Cates) ihn nach nur wenigen Wochen Ehe verlassen und sich der Glitzerwelt des Modelgeschäfts zugewandt hat. Jamies Arbeit bei einem altehrwürdigen Printmagazin wird zunehmend fehlerhaft, derweil er in exponentiellem Maße Koks und Alkohol zuspricht. Für seinen Kumpel Tad (Kiefer Sutherland) ein glücklicher Umstand, der tickt nämlich genauso. Als sich der Todestag seiner Mutter (Dianne Wiest) nähert, wird es für Jamie noch schwerer. An den Rand zum endgültigen Abstieg gedrängt, muss er eine Entscheidung treffen...

Ein hellsichtiges Quasi-Sequel von "The Secret Of My Succe$s", das erstaunlich viele Parallelen zu diesem aufweist: Hier wie dort geht es um einen jungen Mann aus Kansas, der nach Manhattan kommt, um sich dort vom großen Erfolg in Empfang nehmen zu lassen, hier wie dort wartet zuallererst die große Ernüchterung. Dass beide in unterschiedlichen Branchen arbeiten und Jamie nicht über das künftige Megagehalt eines Brantley Cooper verfügt, ist dabei bloße Makulatur. Jamie Conway hat allein etwas weniger biographisches Glück und erlebt das Yuppie-Dasein als Albtraum. Ohne eine Prise "bolivianisches Glitzerpulver" kann kein Tag mehr in Angriff genommen, geschweige denn bewältigt werden; die Discos und Clubs der Stadt, die mit schicken Damen, doppelten Wodkas und New Order locken und die jede Nacht bis frühmorgens geöffnet haben, scheinen da deutlich reizvoller. Mit Ausnahme ein paar weniger Szenen vermeidet "Bright Lights" jegliche Naivität von "The Secret" und ist eigentlich nichts anderes als dessen desillusionierte, dekonstruierende Kehrseite - freilich in gemäßigten Bahnen, schon um der Reputation seines Hauptdarstellers Willen. Wie sich Fox hier im Vergleich zu seinen früheren (und noch folgenden) Sunnyboy-Auftritten fallenlässt, das ist immerhin schon ehrenwert. So richtig voll auf Turkey, mit fettigem Haar und Dreitagebart, getraut er sich hier aber auch nicht anzubendeln. Da muss die Sonnenbrille (die am Ende - Vorsicht, Symbolik! - gegen ein ofenfrisches Baguette getauscht wird) reichen.

7/10

Alkohol Yuppie Journalismus Drogen James Bridges Disco Kokain New York


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DAY OF THE DEAD (George A. Romero/USA 1985)


"This is a great, big, fourteen-mile tombstone!"

Day Of The Dead (Zombie 2 - Das letzte Kapitel) ~ USA 1985
Directed By: George A. Romero


Während die Untoten weiter die Erde überrennen, hat sich eine gemischte Gruppe aus Wissenschaftlern und Militärs in einen unterirdischen Bunker in den Everglades zurückgezogen. Regelmäßige Erkundungsflüge mit einem Hubschrauber liefern ebensowenig Ergebnisse wie die ständigen Streitereien zwischen den Interessenskonfliktlern. Die gespannte Situation zeigt bald auch psychische Auswirkungen: Depression, Schizophrenie, Nervenzusammenbrüche und Größenwahn ergreifen von den Belagerten Besitz und provozieren bald eine gewaltsame Lösung der Lage.

Ein Zombiefilm als Kammerspiel wird nicht eben das sein, was nach dem revolutionären "Night" und dem aktionslastigen "Dawn" antizipiert wurde; umso ratloser die ersten Reaktionen auf "Day", die sich zumindest in kleinem Umfang im Laufe der Jahre nach und nach jedoch in verdiente Anerkennung wandelten. Über weite Strecken präsentiert Romero mittels reiner Dialogszenen konsequent die klaustrophobische Situation innerhalb des Bunkers, die sich parallel zum rumorenden Innenleben der Beteiligten von Tag zu Tag verschlimmert. Einzig die zwei aus der Schnittmenge von Waffen- und Forschungsbrüdern herausfallenden Lebenskünstler John (Terry Alexander) und McDermott (Jarlath Conroy), die einzig wegen ihrer unerlässlichen Funk- bzw. Flugkünste geduldet werden, sind in der Verfassung, den gebührenden Überblick zu wahren: In einem kleinen, abgetrennten "Zivilisten-Refugium" harren sie bei gutem Whiskey und guter Freundschaft der zwangsläufigen Eskalation der Dinge, die sowohl der sich zum kleinformatigen Putschisten aufspielende Colonel Rhodes (Joe Pilato) als auch der zunehmend verrückte Dr. Logan (Richard Liberty) provozieren. Für Sarah (Lori Cardille), die einzige Frau in dieser Testosteronhölle, deren Kurzzeitliebhaber Miguel (Antonè DiLeo) zudem nicht mehr mit der Situation fertig wird, bleibt da nurmehr eine letzte Allianzoption.
Was Romeros meisterlichem "Day Of The Dead" im Laufe der Jahre an Unbill widerfahren ist, bringt mich, gelinde gesagt, zum Kotzen. Besonders die Art und Weise, in der die sich einmal mehr als peinlich verständnisentledigt präsentierende, bundesdeutsche Zensurliga nunmehr seit Jahrzehnten mit einem der intelligentesten und wichtigsten Horrorfilme der letzten dreißig Jahre umspringt, ist bezeichnend. Trotz bereits unmöglicher Kürzungen steht das Werk noch immer auf der ewigen Beschlagnahmeliste. Dass das nichts weniger ist als ein weiteres Indiz für kulturellen Hinterwald muss nicht noch extra erwähnt werden.
Mit dem konditionierten, domestizierten Zombie Bub (grandios: Howard Sherman) hat Romero eine der - wenn nicht gar die interessanteste(n) und einprägsamste(n) Figur(en) seines gesamten "Dead"-Zyklus geschaffen, sabbernd, stöhnend, salutierend. So ähnlich stelle ich mir gewisse Staatsanwälte vor.
"Day" steht für mich mittlerweile längst auf einer Stufe mit "Dawn", wenn nicht gar darüber.

10/10

George A. Romero Mad Scientist Militaer Apokalypse Dead-Zyklus Zombies Independent


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ALICE IN WONDERLAND (Tim Burton/USA 2010)


"Off with their heads!"

Alice in Wonderland (Alice im Wunderland) ~ USA 2010
Directed By: Tim Burton


Die junge, selbstbewusste Halbwaise Alice Kingsley (Mia Wasikowska) flieht nach einem öffentlichen Heiratsantrag durch den unangenehm verschrobenen Aristokratensohn Hamish Ascott (Leo Bill) in den Garten und in einen Kaninchenbau, an dessen Ende sie alle Figuren aus ihren Kindheitsträumen wiederentdeckt. Sie wird dort, im "Wunderland", schon sehnsüchtig erwartet, denn es gilt, die böse Rote Königin (Helena Bonham Carter) zu vetreiben, bzw. ihren Drachen, den Jabberwocky, zu erschlagen. Erst nach einigem Zögern sieht sich Alice dieser Aufgabe gewachsen und findet dadurch die Kraft, auch ihre Probleme im Diesseits zu regeln.

Weniger eine um Exaktheit bemühte Carroll-Verfilmung denn eine Fortsetzung seiner "Alice"-Geschichten. Die Protagonistin leidet offensichtlich an einer Art Teilamnesie, als sie im Film nach ihrer überstürzten Flucht aus dem Gartenpavillon ohne sich dessen bewusst zu sein bereits zum wiederholten Male das Wunderland betritt. Dessen Bewohner identifizieren sie indes nämlich noch vorsichtig als ihr - nunmehr gereiftes - alter ego (und analog dazu als jenes kleine bzw. jüngere Mädchen als das sie einst hier ihre Abenteuer erlebte), sind sich ihrer allerdings, aufgrund ihrer Erwachsenwerdung, zu Anfang nicht ganz sicher.
Diese Mehrdimensionalität zeigt Wirkung: Anders als in den Geschichten üblich geht es hier weniger um die grenzenlose Macht der Imagination als um eine junge Dame an der Schwelle zu unbeirrter Emanzipation, die ihre Kraft zur künftigen Mündigkeit aus der sich bei Burton mitnichten als Traumland präsentierenden Parallelwelt zieht. Jenes Wunderland derweil zeigt sich bei aller wiederum bemühten Gestaltungs- und Detailfreude, wie schon das viktorianische London in "Sweeney Todd", als komplett durchdigitalisiertes Rechner-Shangri-La, in dem konsequenterweise jedes sichtbare organische Körperteil wie ein Fremdkörper erscheint. Für mich ist das nichts; ich kann zwar Arbeit und Aufwand dahinter respektieren, mag es aber deutlich lieber, wenn ein Film atmet und nicht unter glitzernder Plastikfolie erstickt wird. Darum sehe ich mir auch grundsätzlich keine dieser neuen Fantasy-Literaturadaptionen von "Narnia" bis hassenichgesehn an. Selbst, da Burtons inszenatorische Kraft den Film nicht nur "rettet", sondern ganz klar über das durchschnittliche Biedermeierkino hinaushievt, hoffe ich insgeheim doch sehr, dass er den mit "Alice In Wonderland" eingeschlagenen stilistischen Weg nicht weiterverfolgt.

7/10

Parabel Lewis Carroll Maerchen Tim Burton Disney England 3-D Coming of Age Kinder period piece


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OPENING NIGHT (John Cassavetes/USA 1977)


"Just before I met you, I thought that small talk was too small, I thought big talk was too pretentious, I thought music was noise, and I thought art was bullshit."

Opening Night (Die erste Vorstellung) ~ USA 1977
Directed By: John Cassavetes


Die gefeierte Film- und Bühnenaktrice Myrtle Gordon (Gena Rowlands) gerät angesichts ihrer neuesten Hauptrolle als alternde Bildungsbürgerin im Stück "The Second Woman" in eine tiefe Sinn- und Schaffenskrise. Diese wird nochmals immens verstärkt, als Myrtle einen jugendlichen Fan (Laura Johnson) infolge eines Unfalls vorm Theater von New Haven sterben sieht. Als die Gruppe mit dem Stück am Broadway debütieren soll, erleidet Myrtle einen totalen Zusammenbruch. Trotzdem betritt sie am Premierenabend die Bühne...

Für sein wohl engagiertestes Projekt "Opening Night" trommelte Cassavetes alles an Geldern und Unterstützung zusammen, was er bekommen konnte und zerbrach dann beinahe an der ungeheuren Geduldsprobe, den Film nur nach sehr langer Zeit und unter permanenter Ungewissheit fertigstellen zu können. Später sagte er einmal, er könne mit "Opening Night" keine positiven Assoziationen mehr herstellen, der Film und seine Realisierung hätten ihn allzuviel Kraft gekostet. Dabei ist er - natürlich - ein bravouröses Stück geworden, in dem jedes Tröpfchen Herzblut sichtbar wird und das trotz seiner - von Cassavetes gewohnten - inszenatorischen Statik zutiefst bewegt und in entscheidenden Momenten eine fast unerträgliche Spannung provoziert. Wie so häufig bei diesem großen Filmemacher liegt die eigentliche Stärke der Erzählung in der Wertungsfreiheit des Ganzen; Cassavetes macht es seinen Zuschauern längst nicht so einfach, sein Figureninventar in sympathisch und unsympathisch aufzudividieren. Diese Myrtle Gordon, deren Charakter sich nach und nach mit ihrer Bühnpersona vermischt, ist zwar eine starke Frau, aber eben auch eine, die häufig kurz davor steht, vor inneren Schwächen zu kapitulieren und ihr Umfeld damit vor die bildlichen Tore der Nervenheilanstalt zu treiben. Das letzte Viertel des Films, in dem Myrtle, die ewige Stramplerin, vollkommen besoffen zu ihrer New Yorker Premiere erscheint, hat für mich beinahe Herzinfarkt-Niveau. Cassavetes hat diese Szenen einst umgeschnitten, weil er bei einer Testvorführung das Gefühl hatte, das Publikum habe sich dabei allzugut amüsiert. Er liebte es eben, zu vergrätzen und nicht nur auf Zugeständnisse zu verzichten, sondern sie gar ganz bewusst zu entziehen. So war er, großer Säufer, großer Zweifler.

9/10

John Cassavetes Independent Theater Alkohol


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BIG FISH (Tim Burton/USA 2003)


"I've always been thirsty."

Big Fish ~ USA 2003
Directed By: Tim Burton


Der Journalist Will Bloom (Billy Crudup) steht seinem exaltierten Vater Edward (Albert Finney) eher kritisch gegenüber und vermutet hinter all den phantastischen Anekdoten und Geschichten, mit denen sein während Wills Kindheit häufig außer Haus befindlicher alter Herr seine Biographie einzukleiden pflegt, nicht mehr als ein gigantisches Lügenkonstrukt. Tatsächlich unterstellt Will seinem Dad eher mangelnde Bereitschaft zur Familienpflege und sogar das eine oder andere außereheliche Abenteuer. Als der junge Mann angesichts der Todgeweihtheit des Vaters in dessen Vergangenheit herumzustpchern beginnt, warten einige Überraschungen auf ihn.

Das etwas andere Biopic. Weg von all dem Geäffe und hinein in die Innereien des Lebens stiftete Burton diese wundervolle, vielschichtige Vater-Sohn-Geschichte, von ihm mit seiner gewohnten Fabulierfreude adaptiert und zu einer seiner schönsten Arbeiten geformt. "Big Fish" präsentiert sich als eine umfassende Ode an die Imagination, daran, dass man Menschen manche ihrer Träume lassen sollte und dass sie sich, zu ihrem Lebensende hin, rückblickend manchmal weniger durch das definieren, was sie geleistet und getan, denn durch das Bild, das ihre Freunde und Bekannten sich zeitlebens von ihnen zurechtkonstruiert haben.
Selbstredend neigen wie man weiß speziell ältere Menschen gern zur unverhältnismäßigen Ausschmückung ihrer Lebensabenteuer; die Aufgabe der jüngeren sei dabei jedoch nicht nicht, sie zu hinterfragen, sondern sie im Gegenteil willfährig aufzusaugen und ihrem Kopf weiterzuspinnen.
Neben Tarsems ebenfalls wunderschönem "The Fall", für mich übrigens eine Art Zwillingsfilm von "Big Fish", das ultimative Kinostück über die visionäre Kraft von Bettkantengeschichten.

9/10

Erwachsenenmaerchen Biopic Alabama Suedstaaten Tim Burton Riese Zwerg Zirkus Carnival Werwolf Hexen


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EDWARD SCISSORHANDS (Tim Burton/USA 1990)


"Blending is the secret."

Edward Scissorhands (Edward mit den Scherenhänden) ~ USA 1990
Directed By: Tim Burton


Der Kunstmensch Edward (Johnny Dep), der anstelle richtiger Hände Scheren besitzt, kommt aufgrund der Initiative der Avon-Vertreterin Peg Boggs (Dianne Wiest) eines Tages vom Schloss seines verstorbenen Erfinders (Vincent Price), auf dem er jahrelang gehaust hat, in das Haus der Familie Boggs und damit in eine biedere Vorstadtnachbarschaft. Die Hausfrauen der Gegend machen sich allesamt Edwards Talente zu präziser Schnittarbeit mit seinen Scherenhänden zu eigen - zunächst als Gärtner, dann als Hunde- und schließlich als Damencoiffeur. Als eine seiner Anhängerinnen (Kathy Baker) Edward ein eindeutiges Angebot, weiß der Naivling nicht standesgemäß darauf zu reagieren - der Anfang einer Kette unglücklicher Ereignisse.

Tim Burton dürfte einer der wenigen Filmemacher in Hollywood sein, die sich allein durch ihre ihnen grundeigene Signatur, zu der sich bei Burton freilich liebenswerte Infantilie, Märchenhaftigkeit, überzogen-grelle Horrormomente, gotisches Ambiente, LSD-Phantasien und Psychedelia vermischen, eine seltene künstlerische Autarkie erarbeitet haben. Mit einem kaum wechselnden Mitarbeiterstab bereichert er die Filmwelt nun schon seit über zwei Dekaden mit seinen verrückten kleinen Phantastik-Mären, die mal eindeutig, mal zaghafter das von Burton selbst gesetzte Anspruchsmarke erreichen; in jedem Fall aber immer sehenswert oder zumindest diskutabel sind.
Leider habe ich "Beetlejuice" gerade (noch) nicht verfügbar, "Pee-Wee's Big Adventure" erachte ich für halbwegs vernachlässigbar, meine Eindrücke zu "Batman" findet sich in meinen Aufzeichnungen bereits an anderer Stelle. Los also mit "Edward Scissorhands", Burtons ganz persönlicher "Frankenstein"-Variation, die vor allem die Bigotterie amerikanischer suburbs trefflich auskundschaftet und persifliert und damit vor allem in den ersten zwei Dritteln immens komisch gestimmt ist. Die Tragik des vordergründig beliebten, hinterrücks jedoch belächelten und wegen seiner Andersartigkeit gefürchteten Kunstmenschen wird erst im dunkel-traurigen letzten Akt gänzlich ausgespielt, in dem es dann auch kaum mehr zur vorherigen Gelöstheit gereicht. Dass die aufgebrachten Vorstädter ihm nicht sein Schloss unter der Nase anzünden, verdankt Edward allein der Beherztheit seiner großen Liebe Kim (Winona Ryder). Burtons diverse Charakteristika sind hier schon fast zur Gänze zugänglich: Das tiefe Grauen bonbonfarbener Idyllen und, analog dazu, die romantische Melancholie seiner mit dem Tode flirtenden Protagonisten. Dazu Danny Elfmans von hellen Chören getragene Bombastmusik und fertig ist das wunderhübsche Gruselsoufflé, das ja dem bereits in den ersten Karrierejahren, respektive nach "21 Jump Street", ein erstaunliches Händchen für seine Rollenauswahl (er konnte immerhin mit 27 Jahren bereits auf Zusammenarbeiten mit Wes Craven, Oliver Stone und John Waters zurückblicken) beweisenden Johnny Depp ein paar seiner frühesten Meriten eintragen konnte. Und bereits hier heißt es ganz eindeutig: Love it - or leave it.

8/10

Tim Burton Frankenstein Schnee


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DER JUNGE TÖRLESS (Volker Schlöndorff/BRD, F 1966)


"Es interessiert mich nicht mehr."

Der junge Törleß ~ BRD/F 1966
Directed By: Volker Schlöndorff


Kurz nach der vorletzten Jahrhundertwende kommt der Bourgeoisie-Filius Thomas Törleß (Mathieu Carrière) auf ein Jungeninternat im Osten Österreich-Ungarns. Die Machtstrukturen und -hierarchien unter den Jugendlichen, die gleichermaßen aus dem Hang der einen, sich andere untertan zu machen und dem Hang der anderen, sich untertan machen zu lassen, erwächst, werden für Törleß schnell sichtbar, wenn sie ihm auch unverständlich bleiben; eine rationale Erklärung der Verhaltensmotivation sowohl der sadistischen als auch der Opferrollen erscheinen ihm mehr als nebulös.

Schlöndorffs Filmdebüt, eine Musil-Verfilmung, nachdem der künftige Mitbegründer des "Jungen Deutschen Films" bereits einige Jahre in Paris an der Cinémathèque sowie als Regieassistent an der Seite von Größen wie Resnais, Melville und Malle zugebracht hatte, geriert sich als der Vorlage angemessenes, universell angelegtes Drama über die Entstehung von Klassengesellschaften und gesellschaftlichen Ungleichgewichten. Jene fänden, so der Tenor des Werks, ihre Grundzüge bereits im Jugendalter; dabei bedeute die Aufteilung der Gewissenslast auf mehrere Mittäter und -wisser eine eindeutige Gewissenserleichterung für die Drahtzieher. Und selbst wenn das, was Musil respektive Schlöndorff hier illustrieren, im Vergleich zu dem, was heute mitunter Ungeheuerliches aus bundesdeutschen Kasernen und Ferienlagern herüberschwappt, sogar vergleichsweise harmlos erscheinen mag - als symbolhafte Paraphrase für die Möglichkeit des Entstehens autokratischer Regimes wie etwa das des Faschismus muss "Der junge Törless" durchaus als früher Ahnherr von Hanekes "Das weiße Band" erachtet werden. Interessanterweise liegt das Schwergewicht der Kritik dabei weniger auf Seiten der Machthabern als bei jenen, die deren Auswüchse tolerieren, bis es irgendwann zu spät ist, um sie noch aufhalten zu können.
Ganz phantastisch der unerwartete Auftritt von Barbara Steele als sozial geächtete Dorfhure, welchen Schlöndorff in einem ausführlichen Interview auf der DVD (das allein bereits deren Anschaffung lohnt) als im Nachhinein zwar unpassend erachtet, der seinem Film jedoch einen ganz besonderen, sinistren Glanz verleiht.

9/10

Schule k.u.k. Volker Schloendorff Internat





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