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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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DIE FÄLSCHUNG (Volker Schlöndorff/BRD, F 1981)


"In Beirut bleibt man besser nirgends länger stehen."

Die Fälschung ~ BRD/F 1981
Directed By: Volker Schlöndorff


Der Hamburger Journalist Georg Laschen (Bruno Ganz) flieht vor seiner kriselnden Ehe in den Libanon, um direkt aus Beirut vom Irrsinn des Bürgerkriegs zu berichten. Zwischen den Polen Ratlosigkeit und Faszination umherirrend lernt er die Witwe Ariane Nasser kennen und lieben, die sich auf seltsame Weise mit der Situation in der Stadt arrangiert hat und statt zu resignieren alles tut, um ein vitales Lebenszeichen inmitten des fortschreitenden Vernunftzerfalls zu setzen. Als Laschen erkennt, dass Ariane mittlerweile stärker von der Landeskultur assimiliert wurde, als er zunächst wahrhaben wollte, wählt er selbst die Ratio und kehrt zu seiner Ursprungsexistenz und Familie nach Deutschland zurück - im Libanon hat sich derweil nichts verändert.

Der Dreh von "Die Fälschung" verlief dem Vernehmen nach deutlich spektakulärer als der ruhige Film sich letzten Endes päsentiert: Mit seinem Produktionsleiter Eberhard Junkersdorf entschied sich Schlöndorff, vor Ort zu filmen, in der zu diesem Zeitpunkt unter einem heillos chaotischen Dauerbeschuss stehenden City von Beirut, in dem die vielen unterschiedlichen Milizen sich abwechselnd so rasch fraternisierten und wieder entzweiten, dass die Situation für Außenstehende und erst recht für regionale Fremdlinge nahezu komplett undurchschaubar blieb. Einzig die drei Hauptparteien der Syrer, der Maroniten und der PLO schälten sich deutlich heraus; die diversen weiteren, von unterschiedlichsten internationalen Interessengruppen finanzierten Clans und Sippen kochten jeweils ihre eigenen Süppchen. Schlöndorff berichtet heute recht gelassen von diesem Arbeitsabenteuer, zumal die Dreharbeiten, bis auf eine kurzzeitige Entführung Junkersdorfs durch eine Miliz, die den Deutschen mutmaßlich für einen israelischen Spion hielt, weitgehend abgesegnet und unbehelligt blieben.
Was den Film abseits von seiner für diese Zeit wohl typischen deutschen Emotionsakese so großartig macht, ist tatsächlich dessen Status als einzigartiges Zeitdokument eines regierungslosen, in der Anarchie erstarrten Landes, in dem Banken und Hochfinanz die letzte noch vorhandene Autorität stellten. Der unbeteiligt erscheinende, tatsächlich aber von einem tiefen inneren Brodeln erfasste Georg Laschen wird für den im Alltagstrott dahinlebenden Abendländer zum Medium und Fenster in eine Krisenregion ohne mittelfristige Besserungsaussichten.
"Die Fälschung" ist der einzige Spielfilm, der während des Bürgerkriegs vor Ort im Libanon gedreht wurde; die während dieser Jahre teils gern im Nahen Osten angesiedelten Actionfilme aus Hollywood entstanden, zumal keine Versicherungsgesellschaft für anderes gerade gestanden hätte, derweil auf verhältnismäßig sicherem Terrain in Israel. Ein waghalsiges Stück Film also, das die Beschäftigung mit sich reich entlohnt.

8/10

Volker Schloendorff Nahost-Konflikt Journalismus


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DE BATTRE MON CŒUR S'EST ARRÊTÉ (Jacques Audiard/F 2005)


Zitat entfällt.

De Battre Mon Cœur S'Est Arrêté (Der wilde Schlag meines Herzens) ~ F 2005
Directed By: Jacques Audiard


Thomas Seyrs (Romain Duris) Leben besteht aus Dingen und Aufgaben, die im Grunde eines Arschlochs würdig sind: Wenn er einem unbekannten Gegenüber erzählt, er sei in der Immobilienbranche tätig, dann meint das im Grunde wenig anderes als dass er zusammen mit seinen zwei Kollegen Fabrice (Jonathan Zaccaï) und Sami (Gilles Cohen) sanierungsbedürftige Bauten für einen Appel und ein Ei aufkauft und die oftmals mittellosen Mieter und/oder Besetzer derselben mit rüdesten Methoden auf die Straße setzt. Von Zeit zu Zeit wird er in dieser Funktion auch für seinen Vater (Niels Arestrup) tätig. Eines Tages jedoch erinnert sich Thomas einer längst vergangenen Zeit, als seine Mutter noch lebte und er selbst ebenso wie sie Stunden am Piano verbrachte, um klassische Musik zu spielen. Auf der harten Suche nach diesem längst verloren geglaubten alter ego entscheidet sich Thomas trotz aller Widerstände, wieder etwas aus seinem Leben zu machen.

Charmant. Audiards Mischung aus Gangsterfilm und Liebeserklärung an die aufwühlende Zartheit klassischer Kompositionen von Bach und Haydn revitalisiert die emotionale Kühle der vorgeblich rezeptionsdistanzierten Unterwelt-Dramen eines Melville und transferiert diese zugleich in den ruhelosen Handicam-Habitus aktueller Kino-Gegenwärtigkeit. "De Battre" ist demnach nicht nur eine sorgfältige Charakterstudie und die Geschichte des inneren Kampfes sondern zugleich die einer Auseinandersetzung mit den stilperiodischen Interna des französischen Kinos. Dann geht es auch um den pulsierenden Herzschlag der Großstadt Paris, die besonders nächtens zumindest vor der Kamera noch ein ganz ähnliches Lebensgefühl entfaltet wie vor vierzig, fünfzig Jahren in Godards "À Bout De Souffle" oder Melvilles "Le Doulos" und "Le Samouraï". Das unzufriedene, manchmal sadistische Gesicht Duris' scheint mir derweil als Bindeglied zwischen Delon und Cassel zu fungieren; sowohl die gefährliche Stoizität des einen als auch die aufbrausende Psychotik des anderen treffen sich hier. Erst im DVD-Interview mit Audiard habe ich festgestellt, dass der Film ein Remake ist, diesmal eines - Vorsicht, Ausnahme! -, das sich als französischer Film auf eine US-Produktion stützt, nämlich "Fingers" von James Toback. Scheint von mir schleunigst nachgeholt werden zu wollen...
Ferner freue mich jetzt schon ungemein auf "Un Prophète".

8/10

Paris Musik Jacques Audiard


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BARABBA (Richard Fleischer/I 1961)


"I'm no nearer than I was before."

Barabba (Barabbas) ~ I 1961
Directed By: Richard Fleischer

Das Volk von Jerusalem darf wählen, wer der dräuenden Kreuzigung entrinnen und begnadigt werden soll: Der Aufrührer Jesus von Nazareth, seines Zeichens der Messias und Sohn Gottes, oder der kleine Proletengauner Barabbas (Anthony Quinn). Die Leute entscheiden sich für letzteren, der mit dieser folgenschweren Entscheidung jedoch nicht ganz glücklich wird. In den nächsten Jahren und Jahrzehnten gerät der scheinbar nicht alternde Barabbas immer wieder mit den Besatzern aneinander, muss in den Schwefelminen von Sizilien schuften und schließlich als Gladiator im Circus antreten. Als sein treuer Freund und Begleiter, der Christ Sahak (Vittorio Gassman), den Märtyrertod stirbt und der wahnsinnige Pyromane Nero die Christen der Brandstiftung bezichtigt, versteht Barabbas ein letztes Mal alles falsch und endet, schlussendlich doch noch erleuchtet, dort, wo er bereits vor Jahrzehnten hätte hängen sollen: Am Kreuz.

Für seine aufwändige Produktion holte De Laurentiis neben der Columbia als Verleiher und dem Regisseur Richard Fleischer auch eine internationale Starbesetzung nach Italien um ein weiteres bibelinspiriertes Sandalenepos um Glauben und Unglauben herzustellen, das sich hinter seinen zeitgenössischen Konkurrenten nicht verstecken muss. Mit Anthony Quinn hat Fleischer einen Großen in der Titelrolle, der allein durch seine durch und durch mürrische Präsenz wohl als der ultimative Akteur für diesen Part gelten darf. Der innere Kampf Barabbas' um die Anerkennung des christlichen Glaubens als höchste Lebensmaxime bleibt glücklicherweise moderat in seiner Darstellung und wird nie so penetrant vorgebracht, dass es aufdringlich erschiene. Die Sepiafarben von Aldo Tonti wirken deutlich distinguierter und geschmackvoller als die quietschbunte Kolorierung der übrigen um diese Zeit entstandenen Monumentalfilme und auch der Score ist von hoher Qualität. Insgesamt ein überaus beachtens- und sehenswerter Vertreter des Gattung.

7/10

period piece Richard Fleischer Historie Bibel Antike Israel Roemisches Reich Jesus Christus


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THE PICTURE OF DORIAN GRAY (Albert Lewin/USA 1945)


"I like persons better than principles and persons with no principles better than anything at all."

The Picture Of Dorian Gray (Das Bildnis des Dorian Gray) ~ USA 1945
Directed By: Albert Lewin


In dem jungen Dandy Dorian Gray (Hurd Hatfield), der just von seinem Freund, dem Maler Basil Hallward (Lowell Gilmore) porträtiert wird, findet der berühmt-berüchtigte Londoner Gesellschaftsanalytiker, Zyniker und Misanthrop Lord Henry Wotton (George Sanders) einen willfährigen Eleven. Parallel zu seiner Bekanntschaft mit Lord Henry verdunkelt sich Dorians Wesen; sein Porträt, dass er fortan stets verdeckt und wie einen geheimen Schatz hütet, hat allerdings nicht nur indirekt damit zu tun. Dorian selbst bleibt stets jung und schön, wärend sein Leinwandbildnis altert und alle pestilenzartige Hässlichkeit, die sich Dorians Seele im Laufe der Jahre bemächtigt, widerspiegelt.

Zwar lässt Albert Lewins Verfilmung des berühmten Wilde-Romans einige Handlungsstränge und intellektuelle Implikationen der Vorlage, darunter deren auto- und homoerotischen Tendenzen, außer Acht, darf sich insgesamt aber dennoch rühmen, eine sehr sorgfältige, beherzte und vor allem atmosphärische Literaturadaption abzugeben. Daran ändern selbst dichterische Freiheiten wie der Einsatz einer ägyptischen Katzenstatuette als rationales Erklärungsmittel für Dorians "lebendes Bild" nichts. Die Idee des farbig dargestellten Porträts in einem ansonsten schwarzweißen Film erscheint darüberhinaus keineswegs übel, technisch allerdings noch - der Zeit geschuldet - etwas sehr behelsmäßig umgesetzt.
Die wahre Brillanz liegt ohnehin im von Lewin selbst stammenden Script, das viele der scharfkantigen Dialoge Wildes gar wunderbar einkleidet in sein straff sitzendes cineastisches Korsett. Hinzu kommen die durchweg tadellosen, dem viktorianischen Zeitkolorit des Romans angemessen gediegenen Auftritte der Darsteller. Der Film erreicht somit eine vehemente Ausdruckskraft, die ihn zur bis heute wohl schönsten und bedeutsamsten der diversen, häufig mäßig umgesetzten "Dorian Gray"-Verfilmungen werden lässt.

9/10

Oscar Wilde England Albert Lewin Fin de Siècle Kunst


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DEUTSCHLAND IM HERBST (Volker Schlöndorff u.a./BRD 1978)


Deutschland im Herbst ~ BRD 1978
Directed By: Volker Schlöndorff/Rainer Werner Fassbinder/Alexander Kluge/Edgar Reitz/Alf Brustellin/Peter Schubert/Bernhard Sinkel/Hans-Peter Cloos/Katja Rupé/Beate Mainka-Jellinghaus/Maximiliane Mainka


Stuttgart, Oktober 1977: Während der von der RAF entführte und ermordete Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer ein Staatsbegräbnis mit allen Ehren erhält, an dem sämtliche namhaften Persönlichkeiten der Republik aus Politik und Wirtschaft teilnehmen, werden die in der JVA Stammheim nach einem Gruppensuizid verstorbenen RAF-Mitglieder Baader, Ensslin und Raspe in einem kargen Gemeinschaftsgrab beigesetzt, begleitet von rund zehntausend sogenannten "Sympathisanten" der linken Szene, die scharf von einem Großaufgebot der Polizei beäugt werden. Zwischendurch immer wieder bezeichnende Szenen der nationalen Befindlichkeit: Der Regisseur Fassbinder verfällt angesichts der Lage in tiefe Depression und Verzweiflung; eine "Antigone"-Verfilmung fürs Fernsehen darf wegen der Analogien zur Dreifach-Beerdigung der Stammheimer nicht ausgestrahlt werden; eine junge Frau (Katja Rupé) wird beim Grenzübergang von einem Polizeibeamten (Leon Rainer) des Terroristentums verdächtigt. Paranoia, Depression, Katerstimmung allerorten. Deutschland im Herbst.

Im Herbst 1977 fertigten elf deutsche Regisseurinnen und Regisseure unter Mithilfe prominenter Autoren wie Heinrich Böll diese Filmcollage an, um, der eigenen Revision zufolge, eine "Gegenöffentlichkeit" zu evozieren sowie in Verbindung damit einen sozialkulturellen Standpunkt gegen das sich durch die gesamte nationale Presse ziehende, gleichgeschaltete Einheitsdenken zu setzen. Als dramaturgische Klammer des Films fungieren die zwei großen Begräbnisse der Antagonisten jener Tage, das von Schleyer auf der einen Seite und das von Baader, Ensslin und Raspe auf der anderen. Schlöndorff war mit einigen Mitarbeitern nach Stuttgart gereist und hatte beide Trauerfeiern professionell auf 35mm gefilmt, was den Aufnahmen einen geradezu befremdlichen Spielfilm-Look spendiert. Dazwischen gibt es weitere dokumentarische Aufnahmen, einen Parteitag der SPD auf dem Max Frisch eine atemlose Rede hält und ein Interview, das Helmut Griem mit dem inhaftierten Anwalt und Ex-RAF-Mitglied Horst Mahler führt, das Ganze wiederum im steten Wechsel mit Spielszenen und fiktiven Einsprengseln, wobei nicht ganz geklärt ist, welches Authentizitätsmaß Fassbinders emotional quälende Episode aufbietet.
"Deutschland im Herbst" ist ein in dieser Form nach wie vor einzigartiges Kleinod filmischen Schaffens in der Bundesrepublik; ein formal einzigartiger und zudem immens wichtiger Film, der aufzeigt, wie demokratische Meinungsäußerung zum rechten Zeitpunkt zu nutzen ist ohne aufdringlich zu sein oder eine bevormundende Position einzunehmen. Er dokumentiert lediglich, zum Teil nahezu Unfassbares, und regt zum Nachdenken an. Viel mehr kann und muss Kunst nicht leisten.

9/10

Heisser Herbst Alexander Kluge Rainer Werner Fassbinder Collage Edgar Reitz RAF Volker Schloendorff Terrorismus Heinrich Böll


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DER FANGSCHUSS (Volker Schlöndorff/BRD, F 1976)


"Ich bin kein Mann für Sie."

Der Fangschuss ~ BRD/F 1976
Directed By: Volker Schlöndorff


Das Baltikum im Winter 18/19: Zwar ist der Erste Weltkrieg vorbei, für die die Weißarmisten unterstützenden deutschen Freikorpsler wie den verbissenen Offizier von Lohmond (Matthias Habich) jedoch steht der Kampf gegen die aus dem Osten voranschwemmenden Bolschewiken-Welle nach wie vor im Lebensmittelpunkt. Mit dem Herrensitz der Familie de Reval findet man ein noch bestehendes Bollwerk vor. Die mit den Roten liebäugelnde Hausherrin Sophie de Reval (Margarethe von Trotta), Schwester von von Lohmonds bestem Freund Conrad (Rüdiger Kirschstein), verliebt sich hingebungsvoll in den gefühlskalt scheinenden Soldaten - ohne erkennbare Wechselbekundung. Im Gegenteil versagt jedes noch so widersinnig scheinende Mittel, von Lohmond näherzukommen. Am Ende stehen er und sie sich endgültig auch als politische Kontrahenten gegenüber.

Eine von Schlöndorffs diversen Literaturadaptionen, diesmal nach einem Roman der französischen Literatin Marguerite Yourcenar, dessen Originaltitel "Le Coup De Grâce" adäquater übersetzt worden wäre mit "Der Gnadenschuss" - doch die Namensvergabe war ja allein durch die längst geschehene deutschsprachige Übersetzung bereits installiert und etabliert. Dem Zeitkolorit und der Kälte des handlungstragenden Winters geschuldet wurde "Der Fangschuss" in schwarzweiß abgelichtet. Er enthält mit seinen unnachgiebigen, harten Kontrasten einige der schönsten und ästhetisch herausragendsten Bilder, die ich bisher bei Schlöndorff gesehen habe; zudem ergänzen sich die kompositorische Brillanz und die der Geschichte innewohnende, emotionale Orientierungslosigkeit perfekt.
Die letzte Zusammenarbeit mit seiner damaligen Ehefrau Margarethe von Trotta markiert, wie ich finde, einen in seiner überwältigenden Tristesse und Theatralik exzellentesten Filme des Regisseurs, der als Verfilmung historischer Literatur in seiner Filmographie zudem eine wichtige Entwicklungsposition einnehmen dürfte - "Die Blechtrommel" meint man bereits am Horizont erschnuppern zu können.

9/10

Baltikum Schnee WWI Russische Revolution Volker Schlöndorff Homosexualitaet


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STROHFEUER (Volker Schlöndorff/BRD 1972)


"Das läuft alles überhaupt nicht so, wie ich will."

Strohfeuer ~ BRD 1972
Directed By: Volker Schlöndorff


Die Redakteursehefrau Elisabeth Junker (Margarethe von Trotta) wählt mit Ende Zwanzig den Neuanfang, lässt sich von ihrem Mann (Friedhelm Ptok) scheiden und will sich selbst verwirklichen, ein einziges Mal in ihrem Leben ohne fremde - vor allem männliche - Unterstützung. Doch werden ihr allzuviele Stolpersteine in den Weg gelegt als dass eine durchweg selbstständige Existenz als Frau und Mutter eines kleinen Sohnes noch möglich erscheint. Am Ende landet sie wieder genau dort, woher sie geflohen ist: In der Ehe.

Auf den Spuren von Cassavetes und Bergman wandelt Schlöndorff mit der resignativen Emanzipationsgeschichte "Strohfeuer", auf denen von letzterem sogar mit nachhaltiger Konsequenz, denner konnte Sven Nykvist als dp für sein Projekt gewinnen, der vornehmlich mit Naturlicht, respektive seinerzeit "unkonventionellen" Beleuchtungstechniken (von unten nach oben statt umgekehrt) zu arbeiten pflegte und damit früh eine spezielle Art der Bildsprache kreierte. Dem manchmal ironisch-satirischen, vornehmlich jedoch von einem stark feministisch-frustrierten Weltbild geprägten Film tut Nykvists Auge erwartungsgemäß gut, denn sein von der Inszenierung unabhängiges Gespür für das Bebildern existenzieller Einbahnstraßen ist hinlänglich bekannt.
Bei der Rollenvergabe im Vorfeld und auch bei der Realisation erscheint vor allem auffällig, dass die interessanteren, farbigeren Parts fast durchweg an Männer vergeben wurden - da scheint die Realität auf seltsame Weise zur Entsprechung der Fabel geworden zu sein...

8/10

Emanzipation Volker Schlöndorff Ehe Scheidung Familie


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DIE MORAL DER RUTH HALBFASS (Volker Schlöndorff/BRD 1972)


"Wenn Frauen nicht mehr weiterwissen, gehen sie zum Friseur."

Die Moral der Ruth Halbfass ~ BRD 1972
Directed By: Volker Schlöndorff


Die Affäre mit dem bildungsbeflissenen Lehrer Vogelsang (Helmut Griem) bedeutet für die Managerehefrau Ruth Halbfass (Senta Berger) eine Möglichkeit zur Flucht aus ihrem Alltag, in dem sie lediglich eine unbedeutende Rolle als Gattin und Mutter spielt und in dem für Selbstverwirklichungsambitionen kein Platz herrscht. Andererseits fehlt es Ruth selbst an der nötigen Chuzpe, einen radikalen Strich unter ihr bequemes Bourgeoisieleben zu ziehen und ganz von vorn anzufangen. Zunächst sieht es so aus, als würde der Zufall ihr und ihrem Liebhaber ins Kontor spielen, doch das Schicksal bleibt unnachgiebig.

An Chabrol habe er sich orientieren wollen und sei damit auf halbem Wege gescheitert, gibt Schlöndorff bezüglich des ersten seiner beiden Filme über scheiternde Emanzipationsversuche zu Protokoll. Dabei geht er mit sich selbst allerdings sehr hart ins Gericht, denn bei "Ruth Halbfass" handelt es sich durchaus um einen cleveren, bisweilen sehr komischen und vor allem höchst brauchbaren Film, der seinen sozialkritischen Ansprüchen gerecht wird, ohne sich sichtlich abzumühen. Vielleicht ist es gerade diese spürbar-zwingende Leichtigkeit, die Schlöndorff im Nachhinein zur Unzufriedenheit veranlasst; in der Tat gliedert sich dieser Film ja nicht ganz reibungslos in sein übriges, sich häufig unittelbar an der Weltliteratur orientierendes Œuvre ein. Dafür steht ihm hier eine ätherisch schöne Senta Berger zur Verfügung, die wie gemacht scheint für die Rolle der im Grunde belanglosen Industriellenfrau, der außer ihrer mit der Zeit zum Welken verurteilten Anmut nichts mehr bleibt. Außerdem weiß wiederum der eigenartige, bereits aus dem "jungen Törless" bekannte Anti-Schauspieler Marian Seidowsky - hier in seiner letzten Rolle - zu faszinieren, der zwischendrin auch bei Fassbinder mitgespielt und bereits mit 29 Jahren infolge einer unheilbaren Krebserkrankung Selbstmord begangen hat. Auch sonst hat Schlöndorff manche lohnenswerte Anekdote über den seltsamen Seidowsky parat.

8/10

Emanzipation Ehe Familie Volker Schloendorff Satire


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THE BAD LIEUTENANT: PORT OF CALL - NEW ORLEANS (Werner Herzog/USA 2009)


"What are these fuckin' iguanas doing on my coffee table?"

The Bad Lieutenant: Port Of Call - New Orleans (Bad Lieutenant - Cop ohne Gewissen) ~ USA 2009
Directed By: Werner Herzog


Sechs Monate nachdem Lt. Terence McDonagh (Nicolas Cage) vom New Orleans Police Department die erste Vicodin gegen seine ihn infolge eines übereifrigen Arbeitseinsatzes heimsuchenden Rückenschmerzen eingenommen hat, ist er auf praktisch allem, was unter das Betäubungsmittelgesetz fällt und macht selbst vor Heroin und Crack nicht Halt. Sein aktueller Fall, die Aufklärung eines Mordes an einigen afrikanischen Migranten im Dealermilieu, wird für ihn zu einem wahren Höllentrip, da er mit diversen privaten Problemen McDonaghs zusammenfällt, die in erster Linie mit seinem zunehmenden Realitätsverlust zu tun haben.

Von Schlangen und Fischen, Alligatoren und Leguanen: Die Parallelen zwischen Abel Ferraras Meisterwerk aus den frühen Neunzigern und diesem zunächst als dessen Remake angepriesenen Film bleiben überschaubar. Beide Stücke küren einen Polizisten zur Hauptfigur, der die Bodenhaftung verloren hat und sie, festgeklemmt zwischen überhöhten Wetteinsätzen und der eigenen Drogensucht, nicht mehr wiederzufinden in der Lage ist. Darin erschöpft sich auch bereits die Identität von Ferrara und Herzog; tatsächlich hat die auffällige Titelanalogie eher etwas mit der Rechteinhabe zu tun, die am Produzenten Edward Pressman hängt. Ansonsten ist von Ferraras finsterer Spirale-Abwärts-/-Schuld-und-Sühne-Parabel nicht viel übrig geblieben; "Port Of Call - New Orleans" begnügt sich damit, seinen Fokus auf ein paar biographische Schlaglichter im Leben eines seine Berufsmoral mit Füßen tretenden Bullen-Junkies zu konzentrieren. Das macht Herzogs Film allerdings keinesfalls schlechter, nur eben ganz anders, und bei all seinen kleinen Verrücktheiten wahrscheinlich auch deutlich realitätsverankerter. Dass nämlich jeder Sünder seine Verfehlungen gleich mit dem Tod zu bezahlen hat, ist vielleicht doch ein obsoletes literarisches, um nicht zu sagen: sakrales Gesetz. Für Lt. McDonagh jedenfalls fügt sich am Ende alles gleich einer vorbeiziehenden Gewitterwolke. Natürlich nur bis zum nächsten Sniff, so ehrlich ist man dann doch mit uns. Für Nicolas Cage, der ihn spielt und der Rollen von einem solchen Format trotz Dauerengagements mittlerweile gerade mal alle vier, fünf Jahre spielt, ist das mal wieder ein kleines Stück überfällig scheinender Rehabilitation und der Film, der wohl zu den besten des letzten Jahres gehört, natürlich ganz der seine.

9/10

New Orleans Werner Herzog Drogen neo noir Suedstaaten


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PANDORA AND THE FLYING DUTCHMAN (Albert Lewin/UK 1951)


"The measure of love is what one is willing to give up for it."

Pandora And The Flying Dutchman (Pandora und der fliegende Holländer) ~ UK 1951
Directed By: Albert Lewin


Vor der spanischen Mittelmeerküste finden Fischer zwei Leichen in inniger Umarmung nebst einem Buch mit eigenartigen Versen darin. Rückblende: Die Nachtclubsängerin Pandora Reynolds (Ava Gardner) lässt im Städtchen Esperanza sämtliche ihrer zahlreichen glühenden Verehrer am langen Arm verhungern, bis sie endlich dem Flehen eines Rennfahrers (Nigel Patrick) nachgibt. Kurz darauf taucht der mysteriöse Segler Hendrik van der Zee (James Mason) in Esperanza auf, zu dem Pandora sich von der ersten Sekunde an magisch hingezogen fühlt. Ihr väterlicher Freund, der Mythologieforscher Geoffrey Fielding (Harold Warrender), findet heraus, dass es sich bei van der Zee um niemand geringeren handelt als den Fliegenden Holländer. Seit jener vor Jahrhunderten seine Gattin aus blinder Eifersucht ermordete, ist er auf ewig dazu verdammt, über die Weltmeere zu fahren bis er dereinst eine Frau findet, die sich in inniger Liebe für ihn zu opfern bereit ist. Als Pandoras früherer Liebhaber, der Matador Montalvo (Mario Cabré), auftaucht, ist das emotionale Chaos perfekt.

Lewins "Pandora And The Flying Dutchman" steht vornehmlich in der Tradition der knallbunten britischen Technicolorstücke von den Kordas und Powell/Pressburger. Für die lyrischen Bildkompositionen zeichnet der Meister-dp Jack Cardiff verantwortlich, während Lewin selbst das stark von Hemingway beeinflusste, zwischen Kitsch und Poesie umhertaumelnde Script verfasste. Zwei auf den ersten Blick kaum zusammenpassende Mythenfiguren werden darin zum Leben erweckt: Die Urfrau Pandora, die einst durch ihre naturgegebene Neugier und Naivität das langfristige Unheil über die Welt brachte und der Fliegende Holländer, ein Seefahrer, nach Teufelspakt und Bluttat mit dem Fluch der Unsterblichkeit versehen. Dass diese beiden unglücklichen Sagengestalten nur zusammengeführt werden müssen um sich selbst und der Welt weiteren Schaden zu ersparen, liegt prinzipiell auf der Hand. In der bereits damals abgöttisch verehrten Ava Gardner sowie dem stets alle Übel der Schöpfung auf seinen schmalen Schultern zu tragen scheinenden James Mason fand Lewin zwei kongeniale Interpreten seiner Titelcharaktere, die sich einander vermittels einer in dieser Vollendung selten auf der Leinwand zu sehenden, bittersüßen Melancholie annähern und hernach nicht mehr loslassen. Der Genuss des Films ist bezogen auf Gaumenfreude und Effekt somit in etwa gleichzusetzen mit dem einer Flasche edlen Marsalas.
Die erst im letzten Jahr farbrestaurierte Fassung lässt Gardners rote Lippen und Masons schlechte Zähne nochmal in ganz neuem Licht erstrahlen und verleiht "Pandora" noch ein ergänzendes Flair schwerer Bernsteinromantik.

9/10

Albert Lewin Stierkampf Bonvivant Jack Cardiff Mythologie Spanien





Filmtagebuch von...

Funxton

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