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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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CARRIERS (Àlex Pastor, David Pastor/USA 2009)


"One thing I know: I'll be alone."

Carriers ~ USA 2009
Directed By: Àlex Pastor/David Pastor


Nachdem eine tödliche Pandemie praktisch die gesamte Menschheit hinweggerafft hat, sind die letzten Überlebenden zum Opportunismus gezwungen: Infektion ist gleichzusetzen mit Tod. Die beiden Brüder Brian (Chris Pine) und Danny (Lou Taylor Pucci) sind zusammen mit Brians Freundin Bobby (Piper Perabo) und der hinzugestoßenen Kate (Emily VanCamp) auf dem Weg zur kalifornischen Küste, wo sie sich in einem einsamen, leerstehenden Hotel einquartieren wollen. Zwischendurch kreuzen weitere Menschen ihren Weg, die ganz unterschiedlich mit dem drohenden Ende umgehen. Nur Danny und Kate sollen schließlich das Reiseziel erreichen; desillusioniert und um manch unangenehme Erfahrung reicher.

Seuchenfilme zählen ja mittlerweile zum festen Inventar des Phantastischen Films, wobei Art der Inszenierung und Umgang mit dem Thema teils doch stark variieren. Im Mittelpunkt von "Carriers" steht keine Krankheit, die zur Raserei führt; somit handelt es sich dabei auch um keinen der zahlreichen, mehr oder minder geschickt codierten Zombiefilme. Wer hier erkrankt, stirbt einen tuberkulösen Tod, wird langsam schwächer und siecht dann recht rasch dahin. Die Pastor-Brüder interessiert dabei ausschließlich das Verhalten der Nicht-Infizierten, jener Individuen also, denen der Kampf ums eigene Überleben zum letzten und zugleich maximalen Existenzstatut geworden ist und die darüberhinaus das vergessen, was sie eigentlich zum Menschen macht - ihre Menschlichkeit nämlich. Wer sich angesteckt hat, und stehe er einem noch so nahe, muss selbst sehen, wie er weiterkommt, so die von Brian aufgestellten Regeln für einen erfolgreichen Weg durch die Ödnis. Dass es auch anders geht, beweist ein unterwegs aufgelesener Vater (Christopher Meloni), der im Gegensatz zu mindestens dreien von den vier Protagonisten erkannt hat, dass das Menschengeschlecht nicht von ungefähr ihrem Ende zugeführt wird und sich, unter der Prämisse des eigenen Sterbens, seiner Menschlichkit stellt.
Trotz mancher durchaus gelungener Ansätze bleibt "Carriers" weitgehend an der Oberfläche stecken und bemüht sich, als gelte es unweigerlich, dem erdrückenden Thema zu trotzen, seine Endzeitvision in verführerisch schöne Bilder mit schönen Menschen darin zu packen. Die Prärie von Texas und New Mexico unter strahlend blauem Himmel, knackige Farben und Scope - wären da nicht die allenthalben eingeschobenen Porträts halbvergammelter Leichen, man könnte sich glatt dem Gefühl hingeben, einem Werbefilm für US-Touristen beizuwohnen. Weiß nicht recht, ob dieser ästhetische Bruch als inkonsequent, unangemessen oder schlicht ekletizistisch zu deuten ist - ist aber eigentlich auch gleichgültig. Ich denke, wenn man "Carriers" einmal gesehen hat, hat man ihn fürs Erste sowieso oft genug gesehen.

6/10

David Pastor Àlex Pastor Virus Apokalypse Road Movie


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THE WAR LORD (Franlin J. Schaffner/USA 1965)


"Who's not pagan in some matters?"

The War Lord (Die Normannen kommen) ~ USA 1965
Directed By: Franklin J. Schaffner


Im Hochmittelalter erhält der Ritter Chrysagon (Charlton Heston) vom Herzog von Kent ein Lehen in den Sümpfen der Normandie, die regelmäßig von den kriegerischen Friesen heimgesucht werden. Zunächst abgestoßen von den heidnischen Bräuchen der Provinzbevölkerung, verguckt sich Chrysagon alsbald in ein schönes Bauernmädchen (Rosemary Forsyth). Die sich rasch anbahnende Liebesbeziehung erweist sich als unvorteilhaft für alle Beteiligten und bald muss Chrysagon nicht nur gegen seine Leibeigenen, sondern auch gegen die wiederum heranrückenden Friesen und seinen verräterischen Bruder Draco (Guy Stockwell) zu Felde ziehen.

Erfreulich gescheiter Ritterfilm von dem stets für eine Überraschung guten Franklin J. Schaffner, der es bewerkstelligt, sich von der dem Genre bislang wie selbstverständlich innewohnenden Hollywood-Infantilie zu emanzipieren und sein Werk als zuweilen beinahe künstlerisch relevant durchwinken zu lassen. Besonders bemerkenswert sind Schnitt und Photographie, die maßgeblich für die rundum gelungene Kreierung einer seltsam schwebenden, transzendenten Atmosphäre verantwortlich sind und so gar nicht zu jenem Studio-Brauchtum passen, das noch wenige Jahre zuvor Sterilität, Farbe und Breitwand als maßgebliche Faktoren für das Leinwand-Mittelalter wähnte. "The War Lord", der auf einem romantischen Bühnenstück basiert, ist somit in jeder Hinsicht deutlich näher an Hustons "A Walk With Love And Death" anzusiedeln als etwa bei einem "Ivanhoe". Die Belagerungsszenen um Chrysagons Turm zählen in punkto Dynamik und Inszenierung wohl zu den Besten ihrer Art. Klasse.

8/10

Franklin J. Schaffner Historie Ritter period piece Mittelalter


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SPUN (Jonas Åkerlund/USA 2002)


"Call it what you will. It's all methamphetamine. That's what I'm here for."

Spun ~ USA 2002
Directed By: Jonas Åkerlund


Der süchtige Ross (Jason Schwartzman) verdingt sich als Fahrer auf Abruf für den Amphetaminbrauer Cook (Mickey Rourke) seine alltäglichen Sniffs. Bei Cooks Dealer Spider Mike (John Leguizamo) treffen sich derweil allenthalben die wirrsten Junkies der Gegend. Als der picklige Frisbee (Patrick Fugit) von den Cops hochgenommen und mit einem Abhörgerät ausgestattet wird, ist es aus mit der trippigen Idylle.

"Spun" war der bis heute letzte Film, für den ich mir wirklich den Arsch aufgerissen habe, um ihn im Kino sehen zu können. Wenn ich ihn mir aufs Neuerliche anschaue, weiß ich auch wieder, warum und finde regelmäßige Bestätigung für meinen damals regen Aktionismus: Åkerlunds Shake aus grobkörniger Videoclip-Ästhetik, Drogenmissbrauchsporträt und vorsätzlich dargebotenen Widerwärtigkeiten ist und bleibt einfach nur großartig. Jede Szene, jede Einstellung beinhaltet, abgesehen von der wahnwitzigen Schnittfrequenz, eine kleine Überraschung - sei es in Form irgendeines hübschen Cameos oder mittels eines weiteren, erstklassigen Songeinspielers.
Selbstverständlich gibt es auch, bei einem extrem stilisierten Werk wie diesem kaum weiter verwunderlich, nicht unerhebliche, zwangsläufig in Augenschein zu nehmende Kritikpunkte: Die Coolness von "Spun" kommt nicht aus dem Bauch, sondern aus dem Kopf und ist damit grundsätzlich hinterfragbar; der aus der Clipbranche stammende Åkerlund weiß sehr genau, was er da wie und mit wem kredenzt; die visuelle Darstellung des Wirkungsradius der Drogen ist stark an Aronofskys nur zwei Jahre älteren "Requiem For A Dream" angelehnt. Ich darf und muss freimütig konstatieren, dass mir all das wenig bis gar nichts ausmacht und ich mich mindestens ebenso berauschen wie erfreuen kann an Jason Schwartzmans ungepflegtem, übernächtigten Speed-Gesicht, an den Auftritten von Ikonen wie Debbie Harry, Rob Halford, Larry Drake, Ron Jeremy, Eric Roberts und natürlich dem über allem thronenden Mickey Rourke, für den "Spun" sich nach langer beruflicher Durststrecke wie ein Geschenk ausnehmen musste, sowie an Songs wie Mötley Crües "Dr. Feelgood", Ozzys "Junkie" und natürlich dem abschließenden "Instant Repeater '99" von The Soundtrack Of Our Lives. Gottgegeben, sage ich.

9/10

Insomnie Speed Jonas Åkerlund Drogen Los Angeles


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THE POSTMAN ALWAYS RINGS TWICE (Bob Rafelson/USA 1981)


"It's an act of God those lights went out!"

The Postman Always Rings Twice (Wenn der Postmann zweimal klingelt) ~ USA 1981
Directed By: Bob Rafelson


Ex-Knacki, Gelegenheitsgauner und Herumtreiber Frank Frank Chambers (Jack Nicholson) landet während der Tage der Depression im Highway-Diner des Griechen Papadakis (John Colicos). Dessen hübsche Frau Cora (Jessica Lange) verdreht Frank so schnell den Kopf, dass dieser einen Job als Laufbursche in Papadakis' Laden annimmt und schon bald mit Cora in den Federn landet. Sie überredet Frank, ihren ihr überdrüssigen Gatten zu beseitigen, um gemeinsam in eine neue Zukunft gehen zu können. Nachdem der erste Mordversuch fehlschlägt, gelingt der zweite zwar, bringt das verbrecherische Pärchen jedoch vorübergehend ins Gefängnis. Nachdem das Schicksal sie hernach zu weiter auseinandertreiben droht, finden sie zwar wieder zusammen, doch sie haben noch nicht hinreichend für ihre Schandtat gesühnt.

James M. Cains berühmter Roman "The Postman Always Rings Twice" wurde dreimal fürs Kino adaptiert. Die beste und renommierteste Version ist zugleich die erste, 1943 von Visconti vornehmlich motivisch übernommen und als früher Markstein des soeben aufkommenden Neorealismus in das faschistische Italien verlegt. Nur drei Jahre später zog Hollywood mit einer ebenfalls großartigen Variante nach, diesmal mittels eines Beitrags zur Schwarzen Serie. Dann ruhte die Geschichte des in heißer Liebe zum diabolischen Gespann avancierenden Paars einge Dekaden, bis Bob Rafelson mit seinem Stammdarsteller Nicholson eine der letzten Regungen New Hollywoods vollzog. Wohlweislich beließ er die Story dort, wo sie ursprünglich hingehört, nämlich in der Depressionsära. Die Radikalität, mit der Frank und Cora zu Werke gehen, um ihre in mehrerlei Hinsicht verbotene Beziehung durchzusetzen, fußt ja ohne Frage in einer Zeit, in der bezüglich Überlebensfragen nicht lang gefackelt wurde und Opportunismus zeitweilig eine obere Existenzmaxime darstellte. Die Ernsthaftigkeit und Dramatik, mit der Rafelson und sein Autor David Mamet Cains so nervenzerrende wie traurige Geschichte beackern, wurde zu Zeiten der Kinopremiere leider übersehen. Vielmehr ereiferte man sich über die drei Sexszenen zwischen Lange und Nicholson, die berühmt-berüchtigte erste und hitzigste davon gleich auf dem Küchentisch, in der Nicholson der Lange mit voller Handbreite in den zumindest durch einen Slip bedeckten Schritt langt. Später kommt es dann noch zu einer nicht minder gewagten Cunnilingus-Sequenz. Die Leute bewegte dann auch weniger der Existenzialismus der Dreiecksstory als vielmehr die Authentizität der koitalen Verrenkungen. Aber so sind und waren wir, die Kinogänger.

8/10

Bob Rafelson James M. Cain Great Depression Skandalfilm


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SOLINO (Fatih Akin/D 2002)


"Und glaub nur ja nich, dat ich nich weiß, wer dat andere oberdämliche Arschloch war..."

Solino ~ D 2002
Directed By: Fatih Akin


Die Geschichte zweier italienischer Brüder, Gigi (Barnaby Metschurat) und Giancarlo Amato (Moritz Bleibtreu), die als Kinder von dem süditalienischen Kleinstädtchen Solino nach Duisburg emigrieren, wo ihre Eltern die erste Pizzeria im Ruhrgebiet eröffnen. Gigi und Giancarlo sind allerdings weniger am Gastronomiegewerbe interessiert als ihrem Vater (Gigi Savoia): Während Gigi, der jüngere der beiden, schon früh seine Faszination für Bilder und Film entdeckt, hat Giancarlo vornehmlich Flausen im Kopf, die sich in zunehmend großem Opportunismus äußern. Als sie erwachsen sind, kommt es zum Knall und zwischenzeitlichen Bruch der Brüder.

Falls es so etwas wie eine "pandeutsche Migrantenseele" geben sollte, ist Fatih Akin mit diesem Film ganz nah dran, ihr auf den Grund zu gehen, zumindest, soweit ich als Nichtmigrant aber von Berufswegen sehr mit Migrantenfamilien vertrauter Mensch das zu behaupten wagen darf. Als türkischstämmiger Regisseur eine so herzhaft tief im italienischen Wesen verwurzelte Geschichte zu erzählen, das scheint mir in der Tat ein klarer Fall von Seelenverwandtschaft zu sein. Die Geschichte der sich zwar innig liebenden Brüder, deren Beziehung zueinander wegen der nachlässigen und egoistischen Art des einen jedoch immer wieder tief kriselt, bis der Verrat eines Tages allzu nachhaltig wird, ist großer dramatischer Stoff, der von Akin entsprechend großatmig dargeboten wird. Ganz fabelhaft geglückt ist dem Regisseur auch die Hommage an Visconti, hier von dem fischgesichtigen Forman-Faktotum Vincent Schiavelli als Substitut "Signore Baldi" interpretiert, und seinen Dreh von "La Caduta Degli Dei". Von der Schroffheit eines "Kurz und Schmerzlos" ist hier zwar nicht mehr viel hängengeblieben, dafür erfreut Akin (ab) jetzt mit einer anderen Art emotionaler Tiefe, die nicht minder berührt.

8/10

Fatih Akin Italien Restaurant Brueder Familie Migration Film im Film


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KURZ UND SCHMERZLOS (Fatih Akin/D 1998)


"Was'n los mit ihm?" - "Er versucht, erwachsen zu werden. Und wir hindern ihn dran."

Kurz und schmerzlos ~ D 1998
Directed By: Fatih Akin


Hamburg Altona. Der Türke Gabriel (Mehmet Kurtlus) wird aus dem Knast entlassen und schon sehnsüchtig von seinen beiden Busenfreunden seit Kindertagen, dem Serben Bobby (Aleksandar Jovanovic) und dem Griechen Costa (Adam Bousdoukos), erwartet. Wenig hat sich seit damals geändert: Gernegroß und Pseudo-Scarface Bobby ist soeben dabei, in die Albanermafia, respektive bei der Kiezgröße Muhamer (Ralph Herforth) einzusteigen; Costa begnügt sich mit kleineren Gaunereien und einem Tütchen von Zeit zu Zeit. Erste schwerwiegende Probleme bereiten die Frauen: Während Costas langjährige Freundin Ceyda (Idil Üner) - zugleich Gabriels Schwester - sich einen Neuen (Marc Hosemann) angelt und mit dem am Boden zerstörten Costa Schluss macht, verguckt sich Bobbys Mädchen (Regula Grauwiller) ausgerechnet in Gabriel. Als sich derweil Muhamer als brutaler, selbst vor Mord nicht zurückschreckender Gewaltverbrecher entpuppt, sieht sich Gabriel vor die Wahl gestellt: Verteidigung der Freudesehre oder Rückfälligwerden.

Fatih Akins rohes, grobkörniges und hartes Langfilmdebüt, im Grunde nichts anderes als eine deutsche "Mean Streets" - Variation, hat mich seinerzeit, als ich es (glücklicherweise gleich bei Erscheinen) zum ersten Mal sehen durfte, schwer überrollt. Akins unbestechlicher, zugleich herzlicher und ein wenig mitleidsvoller Blick für die kleinen Migrantenmöchtegerngangster aus der Hamburger Urbanität, die gerne so wären wie die großen Vorbilder aus dem (fiktionalen) italoamerikanischen Milieu oder von MTV, dabei aber doch bloß im Elfenbeinturm bedauernswerter Sozial- und Bildungsopfer verbleiben müssen, ist eine echte Einladung. Das so unterschiedlich geartete Freundestrio wächst dem Zuschauer - zumindest mit Ausnahme des schmierigen Ekels Bobby (eine mutige Leistung von Jovanovic, seinen Charakter so unangenehm auszuformulieren) - schnell ans Herz; besonders Bousdoukos, den Akin für "Soul Kitchen" endlich "wiederentdeckt" hat, repräsentiert eine unnachahmliche Authentizität. In seinen paar Gewaltszenen, obgleich visuell vergleichsweise rücksichtsvoll, erreicht "Kurz und schmerzlos" dann eine unglaubliche Intensität, mittels derer sich die zuvor aufgestaute, permanent bedrohliche Atmosphäre des Films klimaxgleich entlädt. Einer der beeindruckendsten mir bekannten Debütfilme.

9/10

Kiez Coming of Age Freundschaft Hamburg Fatih Akin


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THE DARJEELING LIMITED (Wes Anderson/USA 2007)


"The characters are all fictional."

The Darjeeling Limited ~ USA 2007
Directed By: Wes Anderson


Der sich soeben von einem schweren, mit Absicht selbstverschuldetem Unfall erholende Francis (Owen Wilson) holt seine beiden Brüder Peter (Adrien Brody) und Jack (Jason Schwartzman) nach Indien, um mit ihnen eine "spirituelle Reise" durch das Land zu unternehmen, die schließlich bei ihrer als Missionarin tätigen Mutter (Anjelica Huston) sowie einer überfälligen Aussprache mit dieser enden soll. Die drei jeweils auf ihre höchstpersönliche Art schwer neurotischen Männer, zudem allesamt starrsinnige Individualisten, müssen sich mühevoll zusammenraufen um den spirituellen Zweck ihres Trips sich tatsächlich erfüllen zu lassen.

"Family isn't a word... It's a sentence." ziert als Tagline das Plakat meines Lieblingsfilms, "The Royal Tenenbaums". Und wie vortrefflich passt diese auch gleich zu einigen anderen Werken ihres eigenbrötlerischen Regisseurs Wes Anderson, so eben auch zu "The Darjeeling Limited", in dem drei Brüder eine neuerliche Blutallianz schmieden, bzw. die alte wiederauffrischen - das erfährt man nicht genauer. Nachdem meine erste Betrachtung dieses wunderbaren Films an Gründen, die darzulegen müßig wäre, gescheitert ist, nun endlich die verspätete Heimkehr.
Der Terminus 'Lakonie' als Attribut scheint mir nach wie vor eigens für Anderson gemacht. Obschon seine Szenarien und wie er sie filmt von teils brüllender Komik sind, käme man nie auf die Idee, lauthals zu lachen; schon allein, weil man das Gefühl hätte, die oft tieftraurigen, innerlich nachhaltig stark verletzten Figuren vor sich einem unverdienten Spott auszusetzen und damit zu denunzieren. Wes Anderson ist ja auch ein Regisseur der Farben, einen Schwarzweißfilm von ihm kann und mag ich mir erst gar nicht vorstellen. Da Indien auch ein Land der Farben (und sonstiger Sinneseindrücke) ist, haben sich Mensch und Topographie hier sozusagen gesucht und gefunden.
Dass "The Darjeeling Limited" so kurz ausfällt, macht übrigens nichts; man ist mehr als gut beraten, sich gleich im Anschluss den prologisch angelegten Kurzfilm "Hotel Chevalier" (der Jacks unmittelbaren vorherigen Werdegang nebst einer atemberaubend erotischen Natalie Portman zeigt und damals als Appetizer für "Darjeeling" im Netz veröffentlicht wurde) anzuschauen. Kein Problem für Besitzer der DVD, auf welcher "Hotel Chevalier" darauf wartet, im Verbund mit dem "Hauptfilm" genossen zu werden.

9/10

Brueder Road Movie Familie Reise Wes Anderson Indien


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UN PROPHÈTE (Jacques Audiard/F, I 2009)


Zitat entfällt.

Un Prophète (Ein Prophet) ~ F/I 2010
Directed By: Jacques Audiard


Mit neunzehn Jahren kommt Malik (Tahar Rahim) ins Zuchthaus um eine sechsjährige Haftstrafe abzusitzen. Nach kurzen lernt der junge, sich später zu einem Weissager mausernden Analphabet auf unangenehme Weise César Luciani (Niels Arestrup), den Chef der lokalen Korsenmafia kennen. César missbraucht Malik zunächst als Attentäter und lässt ihn einen unliebsamen arabischen Widersacher (Hitchem Yacoubi) ausschalten. Danach wird Malik mehr und mehr zu Césars rechter Hand und schließlich zu dessen engstem Vertrauten. Mithilfe seines neu gewonnen Freundes Ryad (Adel Bencherif) lernt Malik lesen und schreiben und reift zu einem scharfsinnigen Beobachter der ihn umgebenden Dinge. Als Malik schließlich Freigänge bei der Gefängnisleitung erwirkt, beginnt er, seine eigenen Pläne zu verwirklichen...

Ein Aufstieg; vom kleinen Gelegenheitsgauner zum mächtigen Gangsterboss: In seinem epischen, emotional hintergründigen Knastfilm demonstriert Jacques Audiard, wie das Rechtssystem seine Sanktionierungsmaßnahmen auf höchst widersinnige Art zur eigenen Nemesis herangedeihen lässt. Mal mehr, mal weniger stark inspiriert von den großen Klassikern des Genrefilms erzählt Audiard zwar keine sensationell neue Geschichte - der sich mehr und mehr emanzipierende Zögling in einer Verbrecherhierarchie verfügt bekanntermaßen über eine generationenlange Tradition -, verbindet diese jedoch mit seiner bereits aus "De Battre Mon Coeur S'Est Arrêté" bekannten, kühlen und wortkargen Perspektive. Audiard, wiederum auch stark orientiert an Melvilles sensorischem Blick, überlässt viel seinen starken Darstellern; der mehr als beachtenswerte Tahar Rahim erinnerte mich mit seiner unruhigen Physiognomie auf seltsame Weise an den jungen William Petersen aus "To Live And Die In L.A." und "Manhunter" und lässt mindestens genausoviele seiner umwälzenden psychischen Prozesse sich auf dem scheinbar reglosen Gesicht widerspiegeln wie eben weiland Petersen.
Wie extrem realitätsangebunden Audiard zu inszenieren weiß, wenn es darauf ankommt, lässt sich gleich anhand der Mordszene an Reyeb ersehen - eine der intensivsten ihrer Art, die Töten und Sterben als jeweils wahnsinnig anstrengenden Kraftakt zeigt und nur ganz schwer erträglich ist.

8/10

Mafia Jacques Audiard Gefaengnis


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LOST COMMAND (Mark Robson/USA 1966)


"Well, what the hell can I do..."

Lost Command (Sie fürchten weder Tod noch Teufel) ~ USA 1966
Directed By: Mark Robson


Nach der desaströsen Niederlage von Dien Bien Phu kehren Colonel Raspeguy (Anthony Quinn) und sein Batallion von Fallschirmjägern nach Frankreich zurück. Die ersehnte Beförderung zum General bleibt dem sturköpfigen, bauernstämmigen Offizier weiterhin versagt, weswegen er sich einen baldigen Folgeeinsatz erhofft und findet: Raspeguy soll nach Algerien ziehen, um dort eine Gruppe Rekruten zu schleifen und den noch vereinzelt stehenden Separatisten entgegenzutreten. Ausgerechnet einer von Raspeguys eigenen Männern, Lt. Mahidi (George Segal), erweist sich als Guerilleraanführer, der diverse Anschläge gegen die Franzosen von den Bergen aus leitet. Pikanterweise verliebt sich zudem des Colonels rechte Hand, Capitan Esclavier (Alain Delon), ungewahr in Mahidis nicht minder radikale Schwester Aicha (Claudia Cardinale)...

Über den Algerienkrieg sind nur wenige bedeutsame Filme gemacht worden, in erster Instanz und unerreicht natürlich "La Battaglia Di Algeri". Robsons "Lost Command", im selben Jahr entstanden, dürfte so ziemlich das diametrale Gegenstück und als Basis einen gänzlich differerierenden Ansatz zu Pontecorvos Meisterwerk repräsentieren: Als buntes, stargespicktes Hollywoodkino hat er so wenig mit einer realitätsorientierten Darstellung der Ereignisse zu tun wie wohl jedes andere im silver age entstandene Monumentalstück auch.
Der Betrachtungsansatz muss also bereits a priori ein ganz anderer sein. Robson, der aus der Val-Lewton-Schule stammt und einige der schönsten Filme aus dessen RKO-Zyklus angefertigt hat, war stets ein immens wechselhafter Filmemacher. Von ebenjenen intimen kleinen Psychostudien in expressionistischem Schwarzweiß bis hin zu großem, teurem Katastrophenkino in den Siebzigern reicht seine Bilanz. "Lost Command" steht irgendwo unentschlossen dazwischen. Augenscheinlich bewusst enthält sich Robson des großen Pathos und betrachtet die zeigenössische Militärgeschichte des traditionellen Kolonialstaats Frankreich aus einer an sich gesunden Distanz heraus (und, wie die überaus libenswerte letzte Einstellung beweist, einem deutlichen Sympathieüberhang für die Algerier). Für eine runde Filmdramaturgie ist diese emotionale Askese allerdings nur bedingt förderlich; "Lost Command" wirkt über weite Strecken unbeteiligt und unpersönlich. Dass er darüberhinaus jedoch nicht langweilt, ist vor allem Anthony Quinns wie immer unglaublicher Präsenz zu verdanken, der wie so oft nicht nur ganze Szenen dominiert, sondern sogar den gesamten Film in seiner Hand zu halten scheint. Allein seine Darstellung macht "Lost Command", abseits von dessen technischer und formaler Strenge, bereits sehenswert.

7/10

Mark Robson Kolonialismus Indochinakrieg Algerienkrieg


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AN AFFAIR TO REMEMBER (Leo McCarey/USA 1957)


"Winter must be cold for those with no warm memories... we've already missed the spring."

An Affair To Remember (Die große Liebe meines Lebens) ~ USA 1957
Directed By: Leo McCarey


Auf der 'Constitution', einem Luxusliner von Europa nach New York lernen sich der berüchtigte Jet-Set-Playboy Nickie Ferrante (Cary Grant), soeben im Begriff zu heiraten, und Terry McKay (Deborah Kerr), Geliebte eines Finanztycoons (Richard Denning), kennen und lieben. In Manhattan angekommen schwören sie sich, ihre Leben innerhalb von sechs Monaten in Ordnung zu bringen und sich dann auf dem Dach des Empire State Building zu treffen. Ein Autounfall ausgerechnet am Stichtag durchkreuzt jedoch Terrys Pläne und Nickie wartet umsonst auf sie. Terry landet fürs Erste im Rollstuhl und weigert sich beharrlich, Nickie eine Nachricht über ihren Zustand zukommen zu lassen. Erst ein halbes Jahr später erfährt der sich enttäuscht Wähnende, zusätzlich geläutert durch weitere persönliche Schicksalsschläge, die Wahrheit.

Zugleich Remake eines von McCareys eigenen Filmen ("Love Affair") und eines von Hollywoods klassischsten Herzschmerz-Dramen, so wunderbar und formvollendet inszeniert, dass, wäre die witzige erste Hälfte nicht, sie auch einem Douglas Sirk alle Ehre gemacht hätte. Charmeur Cary Grant jedoch in einem bloßen Melodrama zu "verheizen" war für die Fox undenkbar und so lässt die vordere Halbzeit von "An Affair To Remember" dem stets penibelst Geschniegelten allerlei Freiraum für witzige Auftritte, Improvisationen und Comedy. Erst im zwoten Kapitel, als die brutale Realität Nickie Ferrante gleich auf mehrerlei Weise auf den Boden der Tatsachen zurückbefördert, muss Grant endlich auch mal ein langes Gesicht ziehen, was ihm, nebenbei, zwar nicht sonderlich gut steht, er aber gebührend professionell zu meistern bewerkstelligt. Scope und Technicolor scheinen wie gemacht für diesen wunderbar schmalzigen Romantikkitsch (oder umgekehrt), der nebst einer weisen, französischen Großmaman (Cathleen Nesbitt) beispiellos selbstbewusst auch vor der Präsentation eines Sangeschors benachteiligter Kinder nicht zurückschreckt. Prächtig.

8/10

Schiff Remake Leo McCarey New York





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