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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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A SERIOUS MAN (Joel Coen, Ethan Coen/USA, UK, F 2009)


"Very troubling..."

A Serious Man ~ USA/UK/F 2009
Directed By: Joel Coen/Ethan Coen


Minnesota, 1967: Professor Larry Gropnik (Michael Stuhlbarg), jüdischer Physikprofessor in der Probezeit, hat Probleme. Seine Frau (Sari Lennick) will die Scheidung, um einen furchtbar gönnerhaften Nebenbuhler (Fred Melamed) zu heiraten, sein Sohn raucht Pot, ist fernsehsüchtig, hält eher wenig vom Tanach und fabriziert auch sonst nur Mist, sein auf Larrys Sofa hausender Bruder Arthur (Richard Kind) ist schizophren und taucht seinen Zeh in kriminelle Aktivitäten, einer von Larrys Studenten (David Kang) versucht ihn zu bestechen, um ihn hernach der Verleumdung zu bezichtigen, sein Nachbar (Peter Breitmayer) ist ein Nazi. Und das Schlimmste: Der einzige Rabbi (Fyvush Finkel), der ihm möglicherweise helfen kann, hat keine Zeit für ihn.

Another masterpiece. Die Coens sind ja wahre Sadisten vor dem Herrn. Ausgerechnet wenn sie mal wieder einen ihrer Helden mit Karacho vor die Wand laufen, seine gesamte Existenzgrundlage durchs Eis brechen lassen, sind sie am Besten. Das sind dann meist ihre stilleren Filme, die ohne exponentiellen Kriminal- oder Noirgehalt, die, bei denen man sich nicht ganz sicher sein kann, ob man mit dem Protagonisten weinen oder über ihn lachen soll: "Barton Fink", "The Man Wo Wasn't There" und jetzt "A Serious Man", letzterer das mit Abstand jiddischste Werk, das die Brüder je zusammengestoppelt haben, und ganz gewiss eines ihrer komischsten. Larry Gropnik, schon jetzt einer der ganz großen Antihelden im coen'schen Universum, durchlebt sein ganz privates, kleines Armageddon. Alles bricht über ihm zusammen, und er ist viel zu sittsam, um sich mittels eines bitternötigen, befreienden Amoklaufs zumindest ein klein wenig inneren Frieden zu verschaffen. Bloßes Gottvertrauen mag da zumindest befristet helfen, doch am Ende, gerade, als ein Silberstreif am Himmel sichtbar wird, kommt mit Pauken und Trompeten die nächste Apokalypse - und diesmal im großen Stil. Schwärzer geht's nimmer.

9/10

Familie Religion Coen Bros.


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GUYANA, EL CRIMEN DEL SIGLO (René Cardona Jr./MX, PA, E 1979)


"This is it. The White Night!"

Guyana, El Crimen Del Siglo (Guayana - Kult der Verdammten) ~ MX/PA/E 1979
Directed By: René Cardona Jr.


Der Religionsstifter und Sektenprediger James Johnson (Stuart Whitman), Kopf des "Peoples Temple", bewegt eine große Anzahl seiner Anhänger, ihm mitsamt ihren materiellen Gütern in den sozialistischen Staat Guyana zu folgen. Dort gründet Johnson das Gebiet "Jonestown", dessen Bewohner in politischer und wirtschaftlicher Autarkie leben. Da Johnson schon seit längerem im Verdacht steht, in Guyana eher ein Konzentrationslager denn einen Hort für freiheitsliebende Menschen errichtet zu haben, rückt ihm bald der Kongressabgeordnete O'Brien (Gene Barry) auf die Pelle. Dessen entschiedene Untersuchung quittiert der zunehmend panische Johnson, indem er seine gehirngewaschenen Jünger zu dem berüchtigten Massenselbstmord von 1978 anstiftet.

Warum James Johnson im Film nicht wie sein reales Vorbild Jim Jones heißt, weiß ich nicht. Kurze Zeit später entstand jedenfalls noch eine amerikanische TV-Produktion über den Peoples-Temple-Massensuizid, in der Powers Boothe den Sektenkopf spielte und der kein Heckmeck um irgendwelche Namensänderungen nötig hatte. Keine Ahnung, ob diese Variation etwas potenter daherkommt. Cardona Jr. jedenfalls war offenbar sehr überzeugt von seinem Skandal-Sujet, das im Endeffekt und vermutlich aus fadenscheinigen Sensibilitätsgründen aber wesentlich mehr von sich behauptet als es sich zu zeigen getraut. Für einen realitätsorientierten Exploitation-Film wie etwa Jacopettis "Mondo"-Reihe, nach dem "Guyana" eigentlich permanent riecht, traut er sich jedenfalls viel zu wenig. Der in mehrerlei Hinsicht beschränkte Film reduziert sich im Wesentlichen auf die - zudem recht moderate - Darstellung Johnsons als verrückter Autokrat zwischen Faschismus und Liberalismus, größenwahnsinniger Idiot und Feigling, der am Ende natürlich eins vor den Latz geknallt bekommt anstatt sich gemäß seiner Philosophie selbst zu richten (die tatsächlichen Umstände um Jones' Tod sind bis heute ungeklärt). Trotz einer gar nicht mal unflotten Besetzung mit Whitman, dem mutmaßlich unter Dauerstrom stehenden Joseph Cotten, John Ireland, Bradford Dillman, Robert DoQui, Hugo Stiglitz und sogar Yvonne De Carlo ist "Guyana" ein ziemlicher Stinker und Langeweiler, von dem ich mir weitaus mehr erhofft habe. Dazu kommt eine billige Videosynchro aus den Achtzigern, die den Film zusätzlich an Restcharme beraubt. Dann doch lieber eine vernünftige Doku über Jones und seine armseligen Schäfchen.

3/10

Exploitation René Cardona Jr. Religion Sekte


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DEFENDOR (Peter Stebbings/USA, CA, UK 2009)


"Look out, termites. It's squishing time!"

Defendor ~ USA/CA/UK 2009
Directed By: Peter Stebbington

Defendor - Geheimidentität: Arthur Poppington (Woody Harrelson) - is not your usual superhero. Bewaffnet mit einem Baseball-Bat, wütenden Wespen im Glas, Zitronensaft und Murmeln macht er sich auf, den von ihm noch nicht identifizierten Supergangster Mr. Industry zu schnappen. Tatsächlich ist Arthur das, was kategorisierunssüchtige Pädagogen als "lernbehindert" bezeichnen würden. Früh von seiner leichtlebigen Mutter (Charlotte Sullivan) im Stich gelassen und beim misanthropischen Großvater (Davis Gardner) aufgewachsen, will Arthur den mutmaßlichen Drogentod seiner Mom dem gesamten organisierten Verbrechen heimzahlen. Mit einem selbstgebastelten Kostüm geht er, mäßig erfolgreich, auf Ganovenjagd. Als ihm eines Tages die cracksüchtige Nutte Kat (Kat Dennings) begegnet, kommt es zu einer Wende in Arthurs Leben.

Mit der rund vierzig Jahre verspäteten Erkenntnis im Gepäck, dass Superhelden aus dem Comic nicht nur bunte, mimetische, regelmäßig die Erde rettende Kreaturen überbordender Spinner sind, sondern auch ein Leben hinter der Maske führen, rüstet sich die Filmindustrie nun auch für etwas subtilere Töne im noch jungen Genre. Arthur Poppington, der Forrest Gump unter den Superhelden, kann im Direktvergleich mit seinen Vorbildern relativ wenig und repräsentiert wohl am ehesten das, was man vorsichtig wertschätzend einen Autodidakten nennt. Während für ihn die Rolle des Vigilanten zum Lebensinhalt wird, belächeln ihn die meisten anderen beziehungsweise lassen psychiatrische Gutachten über ihn erstellen. Weil Arthur aus Gründen des Selbstschutzes irgendwann nicht mehr allein leben darf, wird sein Freund und Vorarbeiter Paul (Michael Kelly) zu seinem gesetzlichen Vormund ernannt. Und doch ist die Freiheit, im Kostüm herumhüpfen und der Gerechtigkeit so gut als möglich dienen zu können, das, was Arthur Poppington wahrhaftig umtreibt. Darin ist er seinen intellektuell reiferen Kollegen durchaus ebenbürtig und darum wird ihm irgendwann auch die verdiente Heroisierung zuteil - leider etwas spät.
"Defendor" ist ein durchaus liebenswürdiger kleiner Film, der, ohne auf einem Printvorbild zu basieren, den Superheldenduktus durchaus ernst nimmt, dabei jedoch auf eine deutliche Verwurzlung in dem, was man so landläufig als "Independentkino" bezeichnen möchte, nicht verzichten kann. Darin liegt dann auch zugleich die Schwäche des Films. So richtig traut sich Stebbings nämlich nicht zu ausgelassener Fabulierei; lieber verankert er seine Geschichte oberflächlich im Arthousemilieu der Um-die-Dreißigjährigen, die mit 'nem Fläschchen Stauder und ihrer Freundin im Schlepptau durchaus einen netten Abend im Programmkino erleben dürften. Für so richtig großen Filmbahnhof ist das alles dann aber doch einen Tacken zu wenig.

6/10

Psychiatrie Superhelden Peter Srebbings


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THE MEN WHO STARE AT GOATS (Grant Heslov/USA, UK 2009)


"I'm liberating this base!"

The Men Who Stare At Goats (Männer die auf Ziegen starren) ~ USA/UK 2009
Directed By: Grant Heslov


Als der Journalist Bob Wilton (Ewan McGregor) angeffüllt von Trennungsschmerz in den Irak geht, um dort Kriegsberichterstatter zu werden, lernt er den ihm spinnert erscheinenden Lyn Cassidy (George Clooney) kennen. Von diesem erfährt Bob, dass es rund zwanzig Jahre zuvor in der US Army eine Spezialeinheit gab, die intern als "New Earth Army" oder "Jedi-Krieger" bekannt war. Dabei handelte es sich um Soldaten, die unter Leitung des hippiefizierten Vietnam-Veteranen Bill Django (Jeff Bridges) mit obskuren New-Age-Praktiken und Acid-Experimenten auf den Pfad des Friedens geführt werden sollten, eine Art Regenbogenarmee. Bob begleitet Lyn auf einer angeblich geheimen Mission und landet schließlich mit ihm in einem von Lyns altem Intimfeind Larry Hooper geleiteten Armeecamp, in dem unter anderem feindliche Kriegsgefangene gefoltert werden.

Alle paar Jahre eine Armee- oder Kriegssatire und die globale Zuschauerschaft kann aufatmen und versichert sein, dass Hollywood noch zu was gut ist. Nach "Buffalo Soldiers" wurde die Zeit nun langsam wieder reif für eine Geschichte wie diese, in der die Armee als moralisch überkommene Institution dargestellt wird und als Verein, der durch innere Aktivitäten, Geheimprojekte und Top-Secret-Weisungen längst zum Milliarden-Dollar-Treppenwitz geworden ist. Mit Bill Django ist es, als habe sich Reagan seinerzeit Jeff Lebowski (den "kleinen" natürlich) persönlich ins Nest geholt und ihm erlaubt, seine ganz eigene Vorstellung von Weltpolizei zu realisieren - im Kleinen natürlich, schließlich soll die U.S. Army keine unfreiwillige Lachnummer werden. Diverse "Kampfestaktiken" wurden dort geübt, die von Ausdruckstanz zu Billy-Idol-Songs über hellseherische Experimente bis hin zu speziellen Tötungstaktiken ohne Waffen oder körperlichen Kontakt mit dem Gegner reichten. Von all jenem berichtet der Film in einer Mischung aus journalistischer Objektivität und gebotener Ungläubigkeit; und: selbst einen unmissverständlichen Kommentar zu Guantanamo verkneift er sich nicht.
Dass ausgerechnet Ewan McGregor sich verständnisbefreit erkundigt, was denn wohl bitte ein "Jedi-Krieger" sei, ist dabei als In-Joke vielleicht ein bisschen sehr offensichtlich, aber immer noch hinreichend witzig.

7/10

Militaer Golfkriege Grant Heslov Satire Groteske LSD Drogen


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THE WOLFMAN (Joe Johnston/USA, UK 2010)


"Darkness comes for you."

The Wolfman ~ USA/UK 2010
Directed By: Joe Johnston


Der gefeierte Bühnenakteur Lawrence Talbot (Benicio Del Toro) wird in den 1890ern während einer Europatournee von Gwen Conliffe (Emily Blunt), der Freundin seines Bruders Ben (Simon Merrells) angehalten, auf das Familienschloss bei Blackmoor zu kommen; Ben sei unter mysteriösen Umständen von einem wilden Tier angefallen und zerfleischt worden. Nach anfänglichem Zögern reist Lawrence zum Hort seiner Väter und sieht sich nicht nur einer Horde abergläubischer Dörfler gegenüber, sondern auch seinem abgeschottet lebenden Vater Sir John (Anthony Hopkins). Als Lawrence des Nachts Zeuge wird, wie eine wilde Bestie über ein angrenzendes Ziegeunerlager herfällt und auch ihn verletzt, ist die Gewissheit unumstürzlich: Ben und nun auch Larry wurden zu Opfern eines Werwolfs. Allerdings hat Larry die Attacke überlebt...

Bin sehr angenehm überrascht von diesem neuerlichen Studioversuch, einen Relaunch der klassischen Universal-Grusler zu wagen. Nachdem Coppola mit "Dracula" und Brannagh mit "Frankenstein" für Columbia bzw. TriStar die Modernisierung des Gotikhorrors erfolgreich bis brauchbar eingeleitet hatten, kam noch Mike Nichols mit "Wolf" um die Ecke, der von Landis und Dante abgesehen ersten ernstzunehmenden Mainstream-Modernisierung des Werwolf-Mythos, die sich allerdings von einer in fast jeder Hinsicht eher verhaltenen Hausfrauen-Seite präsentierte. Zumindest hab ich ihn so in Erinnerung. Sollte vielleicht mal aufgefrischt werden. Die Universal selbst jedenfalls brachte schließlich mit Stephen Sommers als Heerführer "Die Mumie" samt diverser Fortsetzungen und Ableger sowie "Van Helsing", die aus dem nebligen Spukambiente jeweils eine alberne Geisterbahnfahrt machten, auf Kurs.
Dass ausgerechnet der ansonsten für linientreues Familienentertainment stehende Joe Johnston nun ein solch lyrisches und zugleich deftiges "Wolf Man"-Remake herleiten würde, das zudem mit einer ungesunden Vorgeschichte um diverse Verschiebungen und Umschnitte aufwartet, war sicherlich kaum zu erwarten. Umso erfreulicher das fertige Produkt, eine mit finsterem, altgriechischem Pathos aufwartende Vater-Sohn-Fabel samt ödipalen Konflikten, einer monochrom wabernden, aber unaufdringlich generierten CGI-Nebelwelt, in der das ländliche viktorianische England aussieht wie ein knorriger Vorhof zur Hölle, dem trotz "Underworld" ansehnlichsten Filmwerwolf seit "The Howling" und diversen herben Effekten. Außerdem gefällt die ergänzende Bemühung "realer Mythen" wie etwa die der Person des authentischen Yard-Inspetors Abberline, der bekanntermaßen auch die Whitechapel-Morde untersuchte. Am Positivsten zu vermerken an "The Wolfman" jedoch ist, dass der Film sich und seine Geschichte endlich mal wieder gnadenlos ernst nimmt und keinen Raum lässt für dünne Auflockerungsscherze. Zudem gemahnen Rick Bakers Verwandlungskünste (und nicht nur diese!) an seine eigenen, awardgekrönten für "An American Werewolf In London". Schön!

8/10

Monster Joe Johnston period piece Remake Werwolf D.C. Vater & Sohn


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BARTON FINK (Joel Coen/USA, UK 1991)


"I sure do forget myself sometimes."

Barton Fink ~ USA/UK 1991
Directed By: Joel Coen


Der Theaterautor Barton Fink (John Turturro) wird über das Filmstudio 'Capitol Pictures' von New York nach Hollywood abgeworben. Sein erster Auftrag besteht darin, einen Catcher-Film zu scripten. Einquartiert in ein marodes Belle-Epoque-Hotel, in dem sich infolge der unerträglich schwülen, kalifornischen Hitze die Tapeten von der Wand schälen, steht Barton urplötzlich vor dem kreativen Nichts. Keine Idee, die zu Papier gebracht werden könnte und dazu schleichende Einsamkeit und Depression. Einzig sein fideler Nahbar Charlie Meadows (John Goodman) baut ihn mit seinen Kurzbesuchen etwas auf und auch Audrey (Judy Davis), die Mätresse des versoffenen Autors W.P. Mayhew (John Mahoney), scheint ihm wohlgesonnen. Als eine gemeinsame Nacht mit Audrey in einem entsetzlichen, vor allem jedoch für Barton unerklärlichen Blutbad endet, scheint die Spirale des Wahnsinns sich noch weiter zu beschleunigen...

Ein epochaler Film, dessen wahre Größe ich glaube ich trotz rund dreißigmaliger Betrachtung immer noch nicht ganz zu fassen bekommen habe. Möglicherweise kommt mir die ultimative Erleuchtung ja dereinst auf meinem Sterbebett - da gehört sie angesichts des nekrophagen Humors von "Barton Fink" vermutlich ohnedies hin. Wie die Coens hier virtuos mit Symbolismen, Metaphern und dem echten Unfassbaren hantieren, das sollte man nicht bloß, das MUSS man gesehen haben. Jede Einstellung, jeder einzelne Augenblick, ist sein Gewicht in Gold wert. Eine technische und formale Sorgfalt, die dem allumfassenden Perfektionismus eines Stanley Kubrick ohne Weiteres das Wasser reicht, schleift dieses apokalyptische Kammerspiel endgültig zu einer formvollendeten Kinoplastik. Die Eindrücke brennen sich in Aug und Ohr, seien es der aus seinem Kellerloch kommende Steve Buscemi, Bartons Zimmertür, die beim Öffnen und Schließen ein Geräusch fabriziert wie das Schiebeportal zu einem Schlachthof; der schwitzende John Goodman und sein eiterndes Ohr, Michael Lerner beim Füßeküssen und später in seinem viel zu engen Uniformkostüm; der brennende, meilenlang scheinende Hotelkorridor. Und natürlich das kleine Bild von der Frau am Stand, Symbol für Hoffnung, Träume, Erlösung, Freiheit, das zum Sich-Verlieren einlädt. Oder geht es am Ende doch bloß um eine an Herzinfarkt eingehende Möwe? Entscheiden Sie selbst, aber, um Himmels Willen, entscheiden Sie!

10*/10

period piece Hollywood Film im Film Serienmord Groteske Coen Bros.


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THE INDIAN RUNNER (Sean Penn/USA 1991)


"The bigger they come, the harder they fall."

The Indian Runner ~ USA 1991
Directed By: Sean Penn


Nebraska, frühe Siebziger: Während Joe Roberts (David Morse) sich als Polizist einen Namen gemacht hat, der nur ein einziges Mal strauchelt, nämlich, nachdem er einen Verfolgten (James Intveld) in Notwehr erschießen muss, führt sein aus Vietnam heimgekehrter Bruder Frank (Viggo Mortensen) das Leben eines Outlaw. Zwar gibt Joe sich alle Mühe ihn zu unterstützen und seine immer wieder hervorsprießenden dunklen Seiten im Zaum zu halten, doch bleibt er darin langfristig erfolglos.

Es gibt nicht viele Filme, die auf einem Song basieren - "The Indian Runner", Sean Penns erste Regiearbeit, markiert genau eine solche Rarität. Er adaptiert den Text von Bruce Springsteens "Highway Patrolman", formuliert ihn aus und ergänzt ihn um einige zusätzliche inhaltliche Details, die als neues Gesamtkunstwerk durchaus das Wohlwollen des Boss evozieren dürften. Der Geist des Stückes bleibt ja durchweg erhalten; die Staubigkeit des Mittelwestens, die Angst vorm Versagen, die Verzweiflung darüber, dass sich der kleine Bruder trotz aller Bemühungen nicht zur Vernunft bringen lässt. Ein wenig "East Of Eden" steckt darin; die alte Mär von den beiden Brüdern, von denen der eine des Vaters Augapfel ist und der andere, jüngere, der unverstandene Rebell. Ein recht bedeutsamer Stoff für ein Regiedebüt, doch Penn bekommt die Sache tadellos in den Griff und präsentiert sogleich eine Arbeit nach Maß, mit einer rührenden (tatsächlich der einzigen respektvollen) Altersrolle für Charles Bronson und aufsehenerregenden Gast-Appearances von Dennis Hopper und Guillermo del Toro. Aus seinen Vorbildern macht Penn keinen Hehl - und widmet den Film verstorbenen Mentoren und Großtätern: John Cassavetes und Hal Ashby.

8/10

Sean Penn period piece Familie Nebraska


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THE LAST DETAIL (Hal Ashby/USA 1973)


"We got all night, kid."

The Last Detail (Das letzte Kommando) ~ USA 1973
Directed By: Hal Ashby


Die zwei Navy-Soldaten Buddusky (Jack Nicholson) und Mulhall (Otis Young) bekommen den Auftrag, ihren jüngeren, wegen einer Nichtigkeit zu acht Jahren Miltärgefängnis verurteilten Kameraden Meadows (Randy Quaid) zum Knast zu eskortieren. Die fünftägige Reise nach Norden führt durch mehrere Großstädte und lässt die Männer nachhaltig an der ethischen Richtigkeit ihrer Aufgabe zweifeln.

"The Last Detail" legt den märchenhaften Impetus von "Harold And Maude" ziemlich harsch ad acta. Seine Soldaten sind zwar Menschen, und Zweifler noch darüberhinaus; doch sie führen am Ende pflichtbewusst ihren Auftrag durch, wie es die Admiralität von ihnen erwartet und unterscheiden sich damit, obwohl wir, das Publikum vielleicht kurzzeitig anderes erhofft hätten, nicht vom Gros ihrer Zunft. Ganz unabhängig davon, dass sie auf der Reise für ihren sympathischen Häftling, der nie die Gelegenheit hatte, erwachsen zu werden, den sie durch und durch verstehen begreifen, zu Lehrern und Ersatzvätern gar avancieren, obsiegt am Schluss doch die Autorität. Diese Weltsicht ist eine wesentlich schwärzere als sie Ashbys Vorgängerfilm transportierte, wahrscheinlich aber auch - leider -, eine wesentlich realistischere.

9/10

Hal Ashby Bordell New Hollywood Militaer Road Movie Freundschaft


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HAROLD AND MAUDE (Hal Ashby/USA 1971)


"Go and love some more!"

Harold And Maude ~ USA 1971
Directed By: Hal Ashby


Den reichen, jungen Harold Chasen (Bud Cort) als "todessehnsüchtig" zu bezeichnen ginge zu weit; seine Faszination vom Endgültigen beschränkt sich auf lustige Suizidinszenierungen, Beerdigungstourismus und heimliche Observierungen von Arbeiten mit der Abrissbirne. Harolds übermächtige Mutter (Vivian Pickles) übernimmt vermeintlich das Denken für ihn, doch kann auch sie nicht verhindern, dass ihr Filius sämtliche Heiratskandidatinnen in Rekordzeit aus dem Hause ekelt und aus seinem schicken Jaguar Coupé einen Leichenwagen bastelt. Als Harold auf einer Beerdigung die knapp achtzigjährige KZ-Überlebende Maude (Ruth Gordon) kennenlernt, erhält er ein paar Lebenslektionen, die diesen Namen ausnahmsweise einmal wirklich verdienen.

Geplättet vom "Easy Rider" - Erfolg ging auch die Studiokonkurrenz Wagnisse ein, die vorher und auch heute undenkbar wären. "Harold And Maude" reckt seinen großen, symbolischen Mittelfinger allem entgegen, was in der abendländischen Gesellschaft unter 'konventionell' firmiert. Diese Geschichte um Gerontophilie (die ja tatsächlich gar keine ist; Harold verliebt sich doch bloß in diese viermal so alte Frau, weil sie die erste weibliche Person in seinem Leben darstellt, die sich als wirklich liebenswert erweist) und den Widerstand gegen jedwede Form von repressiver Autorität ist mehr punk als jeder folgende Film der Dekade; hat er es doch gar nicht nötig, seine Anarchie als körperliche Tätlichkeit zu vermitteln. O.-Ton Maude: "Ich habe es nicht mehr nötig, die Menschen anzugreifen. Heute umarme ich sie." Diese charmante, intelligente Frau, die den Tod in seiner schlimmsten Variante kennengelernt hat, ist das diametrale Gegenteil von verbittert und plädiert für alles, was zählt: Uneingeschränkte Selbstbestimmung, Rebellion gegen die Obrigkeit, das unbedingte Hinwegsetzen über verfilzte Moralvorstellungen; schließlich die unerlässliche, pure Freude am Sein, am Moment. Und Ashbys Film? Der formuliert seinen kategorischen Imperativ so unmissverständlich, unüberhörbar, aufrichtig und wahrhaftig wie kein zweiter: LEBE!

10/10

Hal Ashby New Hollywood Paraphilie


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SHUTTER ISLAND (Martin Scorsese/USA 2010)


"You're a rat in a maze."

Shutter Island ~ USA 2010
Directed By: Martin Scorsese


1954 kommt der US-Marshal Teddy Daniels (Leonardo DiCaprio) mit seinem neuen Kollegen Chuck (Mark Ruffalo) nach Shutter Island, einer kleinen Insel, auf der sich Ashecliffe, ein Sanatorium für kriminelle Geisteskranke befindet. Eine Insassin namens Rachel Solando, die hier ist, weil sie angeblich ihre drei Kinder ertränkt hat, soll aus ihrem Zimmer entflohen sein und sich nun irgendwo auf der Insel versteckt halten. Während Teddy und Chuck nach Rachel suchen, mehren sich Hinweise, dass auf der Insel etwas nicht stimmt: Wer ist der obskure Dr. Naehring (Max von Sydow)? Und was ist mit dem anscheinend unaffindbaren Patienten Nr. 67? Könnte es sich bei diesem tatsächlich um Andrew Laeddis (Elias Koteas) handeln, jenen Mann, der als pyromanisch veranlagter Hausmeister das Leben von Teddys Frau (Michelle Williams) auf dem Gewissen hat?

Es ist gut, über "Shutter Island" inhaltlich so wenig als möglich zu wissen, erst dann erschließt sich einem die ganze Wucht und das ganze Drama dieses von Scorsese wiederum formidabel inszenierten Films. Nach dem ersten Sehen darf ich mich als nachhaltig überwältigt bezeichnen von der unermüdlichen Kunstfertigkeit, mit der der Altmeister dieses neuerliche Meisterstück zu Wege gebracht hat. Vieles ist mir gleich in Auge und Ohr gefallen, jenes Oszillieren zwischen der Illustration der Vergangenheit und dem Einsatz modernster technischer Mittel etwa, die so nur ein Filmemacher hinbekommt, der beides selbst erlebt hat und mit beidem virtuos zu hantieren weiß, oder der exzellente, die mysteriöse Atmosphäre von "Shutter Island" entscheidend mittragende und -gestaltende Score von Robbie Robertson.
Reisen in zur Abseitigkeit neigende Psychen im Film finde ich prinzipiell hochinteressant, besonders, wenn sie auf so unangekündigte und subtile Weise praktiziert werden wie hier. Ich mochte im Gegensatz zu vielen anderen, die ihn bloß für ein billiges, im Establishment verankertes Oscarvehikel halten, auch Howards "A Beautiful Mind" sehr, an den mich "Shutter Island" am Ende stark erinnert hat. Die Finalisierung als Duell zwischen konservativer und offener Psychiatriepraxis mit ungesundem Ausgang setzt schließlich einen grandiosen Schlusspunkt. Ein toller, sogar ein überragender Film!

9/10

period piece Martin Scorsese Psychiatrie Dennis Lehane





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