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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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BUNNY LAKE IS MISSING (Otto Preminger/UK 1965)


"I've got a near fatality here."

Bunny Lake Is Missing (Bunny Lake ist verschwunden) ~ UK 1965
Directed By: Otto Preminger

Scheinbar spurlos verschwindet die vierjährige Felicia 'Bunny' Lake (Suky Appleby) an ihrem ersten Tag in einer Londoner Vorschule, kurz nachdem ihre alleinerziehende junge Mutter Ann (Carol Lynley) mit ihr aus den Staaten angekommen ist, um in England bei ihrem Bruder Steven (Keir Dullea), einem erfolgreichen Journalisten, zu leben. Der ermittelnde Superintendent Newhouse (Laurence Olivier) hegt bald seine Zweifel an der offensichtlichen Entführungsgeschichte: Außer Bunny selbst sind nämlich auch sämtliche Dinge und Personalia, die überhaupt beweisen, dass das Kind jemals existiert hat. Als Steven dann einigen Personen gegenüber erwähnt, dass Ann einst als Kind eine imaginäre Spielkameradin mit dem Namen Bunny zu halten pflegte, wird Newhouse noch misstrauischer. Existiert dieses mysteriöse Kind überhaupt in der Realität - oder ist gar ein bloßes Hirngespinst Anns...?

Wer ist hier eigentlich wahnsinnig? Preminger jedenfalls ganz bestimmt nicht; der bewegte sich, zumindest in dramaturgischer Hinsicht, geradezu traumwandlerisch in Hitchcocks Spuren und wählte zur formalen Ausgestaltung einmal mehr sein von ihm zu dieser Zeit großflächig präferiertes, schwarzweißes Scope-Format, dass überaus klare, messerscharfe Schatten und Umrisse ermöglichte. Zusammen mit Ann Lake kommen wir als Fremde nach London, eine recht spleenige Stadt für Außenstehende, mit wahlweise altjungerflichen oder vollends verknöcherten Erzieherinnerinnen in verwunschenen Turmzimmern, versoffenen, aufdringlichen Vermietern, überheblichen Polizisten und kryptischen Puppenmachern (der ewige Petrus Finlay Currie in einem denkwürdigen Miniauftritt).
Im urplötzlich allgegenwärtigen Fernsehen dudeln allenthalben die großartigen 'Zombies' und leiten ganz unmerklich die swingende Phase der folgenden paar Metropolenjahre ein. Dann verschwindet das Töchterchen - wer soll da noch Apetit haben? Aber Preminger verunsichert uns, er macht uns weis, dass Ann Lake möglicherweise unter einer beträchtlichen psychischen Schädigung mysteriösen Ursprungs leidet, nur um am Ende nochmal alles umzuwerfen und ein verstörendes, albtraumhaftes Finale hinterherzusetzen, dass sich auch recht gut an zeitgenössische Horror-Schemata adaptiert.

8/10

Otto Preminger Kidnapping Madness Geschwister London


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CLOUD ATLAS (Tom Tykwer, Andy Wachowski, Lana Wachowski/D, USA, HK, SG 2012)


"Don't leave me here!"

Cloud Atlas ~ D/USA/HK/SG 2012
Directed By: Andy Wachowski/Lana Wachowski/Tom Tykwer

Auf sechs Zeitebenen kämpfen unterschiedliche Inkarnationen ein und derselben Seele gegen die Repressionen, Zwänge und Freiheitsbeschneidungen ihrer jeweiligen Ära: 1849 kämpft der Anwalt Adam Ewing (Jim Sturgess) auf einem Schiff im Pazifik sowohl um sein eigenes Leben als auch um das des entflohenen neuseeländischen Sklaven (David Gyasi); 1936 wird der bisexuelle Nachwuchs-Komponist Robert Frobisher (Ben Whishaw) aufgrund seiner sexuellen Präferenzen von einem alternden Berufsgenossen (Jim Broadbent) übervorteilt und erpresst; 1973 gerät die Journalistin Luisa Rey (Halle Berry) in höchste Lebensgefahr, weil sie einem Atomkraft-Skandal auf die Spur kommt; 2012 wird der verschuldete Verleger Cavendish (Jim Broadbent) von seinem rachsüchtigen Bruder (Hugh Grant) in ein geschlossenes Senioenheim abgeschoben, aus dem es zu fliehen gilt; 2144 schließt sich die 'Duplikantin' Sonmi-451 (Doona Bae) einer revolutionären Bewegung an; 106 Jahre nach der Apokalypse bekommt der unbedarfte Insulaner Zachry (Tom Hanks) es mit der brutalen Unterdrückung durch einen feindlichen Stamm, der weiter fortschreitenden Verseuchung der Erde sowie seinem eigenen bösen Gewissen zu tun.

Zu Lebzeiten wäre die Adaption eines Bestsellers wie Mitchells diesem Film zugrunde liegenden Romans ein unbedingter Fall für Bernd Eichinger gewesen; heute springt statt der Constantin dann eben X-Filme in die Bresche. Tom Tykwer, der ja mit "Das Parfüm" bereits hinreichende Erfolgsliteraturverfilmungserfahrung gesammelt hat, tat sich dafür mit den Wachowski-Geschwistern zusammen und teilte die Inszenierung wohlfeil zwischen ihnen und sich selbst auf. Dabei ist unschwer zu erkennen, wer für welche Segmente verantwortlich ist; die atmosphärisch wie kinetisch betrachtet sanfteren Episoden gehen selbstverfreilich auf Tykwers Konto, während die actionreiche(re)n (Zukunfts-)Parts, in denen es zu zum Teil spektakulären visuellen Aufwendungen und athletischen Shoot-Outs kommt, natürlich von den Wachowskis dirigiert wurden.
Ich kenne das Buch nicht und habe nach dem Film auch nicht das Gefühl, seine Lektüre unbedingt nachholen zu müssen, aber die metaphysischen Diskurse zumindest der Adaption gleiten bisweilen offenherzig ins Vulgärpsychologische ab; die Wanderungen edler, wankelmütiger und niederträchtiger Seelen in immer neuerlichen Reinkarnationen, wobei der Astralkörper des Helden respektive der Heldin immer wieder in die Haut eines anderen Körpers wandert, der zu anderen Zeiten und unter anderen Bedingungen freilich weniger heroisch auftritt, derweil "das ultimative Böse", der ewige Satan immer wieder und immer nur von Hugo Weaving verkörpert wird. Was hat der Mann bloß angestellt, dass er stets so gemein daherkommen muss...? Das alles gibt sich wesentlich wichtiger und bewegter als es letzten Endes ist. Was bleibt, ist ein trotz anderweitiger Behauptung nicht sonderlich ausgefuchtes Genrestück, das sich zumindest über seine beträchtliche Erzähldistanz senkrecht halten kann. "Cloud Atlas" unterhält auf hohem formalen Niveau und erweist sich als in audiovisueller Hinsicht so ziemlich makellos, dennoch: 'thinking man's cinema', also das, was man hier doch offenkundig so gern kredenzt hätte, stelle ich mir trotzdem anders vor, meine Damen und Herren T. und W..

7/10

Andy Wachowski Lana (Larry) Wachowski Tom Tykwer period piece Ensemblefilm Zukunft Apokalypse Reinkarnation Sklaverei Atomkraft David Mitchell London San Francisco Kolonialismus Dystopie


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BRAINSTORM (Douglas Trumbull/USA 1983)


"I'm more than I was."

Brainstorm (Projekt Brainstorm) ~ USA 1983
Directed By: Douglas Trumbull

Ein emsig arbeitendes Team von Wissenschaftlern, allen voran die kettenrauchende Lillian Reynolds (Louise Fletcher) und der exzentrische Michael Brace (Christopher Walken), arbeiten an der Vollendung einer Maschine, die sämtliche sinnlichen Erfahrungen, also nicht nur audiovisuelle, sondern auch olfaktorische, haptische, emotionale und sogar gedankliche, eines Menschen aufzeichnen und von einem anderen wiedererleben lassen kann. Als sie bemerken, dass ihr Chef (Cliff Robertson) sie ohne ihr Wissen an das Militär verkauft hat, reagieren Lillian und Michael höchsst ungehalten. Als Lillian infolge eines Herzinfarktes stirbt und ihren Todeskampf mit der Maschine aufzeichnet, hängt die Verantwortung komplett an Michael. Nachdem er sich mit seiner von ihm getrennten Frau Karen (Natalie Wood) wieder zusammengerauft hat, beginnt er unter Zuhilfenahme von Lillians Aufzeichnung einen höchst riskanten, mentalen Fernangriff auf das Projekt 'Brainstorm'.

Ganz ähnlich arrangiert wie Russells "Altered States" beinhaltet auch "Brainstorm" die Warnung vor einem allzu rigorosen Eindringen in heimliche Sphären der menschlichen Existenz: Habt Respekt, sonst mag es euch schlecht ergehen, ihr, die ihr hier eintretet! Im Gegensatz zum experimentierfreudigen Russell hält sich Trumbull in seinem zweiten Langfilm nach "Silent Running" jedoch vergleichsweise "solide"; seine große inszenatorische Finte besteht im Wechsel zwischen 35mm- und 70mm-Film; wobei die von der Hirnmaschine widergespiegelten, also die subjektiven Bilder in konvexem Super Panavision gezeigt werden. Das ist, vor allem im Hinblick auf die Entstehungszeit, ungewöhnlich, aber nicht revolutionär - ebensowenig wie die philosophische Diskurslage des Films, die niemals die ihr angemessene Tiefe erreicht. Und just wie am Ende von "Altered States", der ein brüchiges Beziehungsband wieder kittet, ist auch in "Brainstorm" die Himmelsmacht der Liebe der Allzweckkleber für amoralische Penetrationen des Jenseitigen. Hier wie dort gilt ferner: Der Hauptdarsteller reißt einiges raus, wenn auch Chris Walken anders als William Hurt nicht durch bloße Präsenz 'seinen' Film vor der ausgeprägten Selbstverliebtheit des Regisseurs retten kann.

6/10

Douglas Trumbull North Carolina Mad Scientist Ehe Familie Jenseits Militär


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ALTERED STATES (Ken Russell/USA 1980)


"I'm on fucking fire."

Altered States (Der Höllentrip) ~ USA 1980
Directed By: Ken Russell

Ende der sechziger Jahre experimentiert der Wissenschaftler Eddie Jessup (William Hurt) mit den Halluzinationen, die sich nach längerem Aufenthalt in einem Isolationstank einstellen: Jessup ist der festen Ansicht, dass die auf den evolutionären Ausgangspunkt reduzierte Persönlichkeit des Menschen physikalisch messbar ist. Als er seine zukünftige Frau Emily (Blair Brown) kennenlernt und eine Familie mit ihr gründet, stellt er seine Forschungen für etwa zehn Jahre hintenan. Dann hört Jessup von einer psychoaktiven Droge, die mexikanische Indianer auf Pilzbasis herstellen. Vor Ort probiert er das Gebräu. Mit erstaunlichen Auswirkungen - Jessup hat extreme Halluzinationen und erlegt im Vollrausch eine Ziege. Begeistert nimmt er eine Probe von dem Rauschmittel mit. In Kombination mit weiteren Isolationstank-Aufenthalten beginnt Jessup dann, eine kkatastrophale Veränderung durchzumachen. Zeitweilig verwandelt er sich in ein behaartes Urzeitwesen und ist nicht mehr Herr seiner Sinne.

Weniger interessant aufgrund der recht abgestandenen Motivlage - "Altered States" intellektualisiert den klassischen 'Jekyll/Hyde'-Plot, indem er ihn im Milieu der drogenaffinen, mit Hofmann und Leary vertrauten 68er verankert, von dort aus theologisiert und im Grunde den alten moralinsauren Zeigefinger von der bitteschön stets zu wahrenden Ethikgrenze und der wahren Liebe, die alles besiegt, permanent erhoben lässt - denn seiner formalen Komposition wegen. Auch vor leichten B-Film-Avancen scheut Russell nicht zurück, wenn er William Hurt als keifenden Primaten durch den Universitätskeller und danach durch den Bostoner Zoo hampeln lässt. Mehr als alles andere prägt jedoch die Erfahrung mit Halluzinogenen die Grundierung des Werks; "Altered States" ist ein klassisches trip movie, das Hurts Erfahrungen mittels ausgedehnter Bildcollagen visualisiert, die häufig mit satanischen Motiven herumspielen. Auf der irdenen Seite überzeugt vor allem Hurt, der hier unglaublicherweise sein Filmdebüt gibt, als ebenso besessener wie verschrobener Versuchsanordner.

8/10

Ken Russell Paddy Chayefsky Monster Mad Scientist Ehe Drogen Boston Jekyll und Hyde


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BILLY BATHGATE (Robert Benton/USA 1991)


"Kid, you want a ride?" - "No thanks, I'll walk."

Billy Bathgate ~ USA 1991
Directed By: Robert Benton

New York, 1935: Kurz bevor er seinem früheren Kumpel Bo Weinberg (Bruce Willis) wegen Verrats Zementschuhe verpasst, lernt der berüchtigte Gangster Arthur Flegenheimer alias Dutch Schultz (Dustin Hoffman) den jungen Billy Behan (Loren Dean) aus der Bronx kennen. Der ebenso intelligente wie gutmütige junge Mann gehört nach ersten Arbeiten als Laufbursche bald zum engeren Stab von Schultz und lernt mitunter am eigenen Leibe kennen, wie gefährlich die psychotischen Ausbrüche seines Brötchengebers werden können. Als Schultz Weinbergs frühere Geliebte Drew Preston (Nicole Kidman) töten lassen will, weil sie ihm zu naseweis wird, trifft Billy, der sich jetzt 'Billy Bathgate' nennt, eine folgenschwere Entscheidung.

1990 und 91 waren so etwas wie die goldenen Jahre des Gangsterfilms; viele große und kleine Genreklassiker stürmten während dieser zwei Jahre förmlich die Leinwände. Insbesondere "Miller's Crossing" von den Coens hievte in diesem Zuge auch die traditionellen Kulissen und Requisiten der großen amerikanischen Gangster wieder ins Bewusstsein zurück: Prohibition, Glücksspiel, Pomade, Gamaschen, Nadelstreifenanzüge, Stetsons und natürlich die Thompson erfreuten sich urplötzlich wieder großer Beliebtheit. Neben 'Bugsy' Siegel aus der umfangreichen jüdischstämmigen New Yorker Gangsterclique, der auch Arnold Rothstein, 'Lepke' Buchalter und Meyer Lansky angehörten, wiederbelebte das Kino also auch Dutch Schultz, der von einem zu diesem Zeitpunkt bereits viel zu alten Dustin Hoffman gegeben wurde. Als gutem Schauspieler, der er nunmal ist, nimmt man ihm seine Gewalteruptionen zwar ab, so unterschwellig bedrohlich wie Warren Beattys Bugsy wird er jedoch nie. Die wahre Entdeckung an "Billy Bathgate" ist auch nicht der Titelheld Loren Dean, ein bereits in der Anlage handzahmes Milchbrötchen, von dem man wohl nicht von ungefähr später nurmehr selten hörte, sondern Nicole Kidman. Die einst so attraktive Dame steht hier in allerschönster Blüte, präsentiert sich zuweilen überaus freizügig und ist überhaupt eine Augenweide. Ansonsten bleibt der Film verhältnismäßig domestiziert und lässt durchblicken, dass dies schlichterdings nicht Bentons bevorzugtes Terrain darstellt.

7/10

Robert Benton New York New Jersey Dutch Schultz E.L. Doctorow


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AMER (Hélène Cattet, Bruno Forzani/F, BE 2009)


Zitat entfällt.

Amer ~ F/BE 2009
Directed By: Hélène Cattet/Bruno Forzani

Ana (Marie Bos), eine junge Frau, kehrt während eines brüllend heißen Sommers in das mittlerweile leerstehende Familienvilla an der malerischen Côte d'Azur zurück. Hier hatte sie bereits zwei einschneidende, prägende Erlebnisse: Als kleines Mädchen (Cassandra Forêt) wurde sie Zeugin, wie ihr toter Großvater in dem Haus aufgebahrt wurde, während eine mysteriöse Haushälterin (Delphine Brual) ihr nachzustellen schien und ihre Eltern (Bianca Maria D'Amato, Jean-Michel Vovk) hilflosen Sex im Nebenzimmer hatten; als Teenagerin (Charlotte Eugène Guibeaud) durchkreuzt ihre Mutter mit einer gezielten Ohrfeige Anas sexuelles Erachen nebst ersten, zögerlichen Avancen an das andere Geschlecht. Heute wird Ana von ebenso erotomanen wie blutrünstigen Phantomen verfolgt: Treibt ein schattenhafter Mörder sein Unwesen auf dem Anwesen? Oder ist gar Ana selbst die Quelle der sich überstürzenden Ereignisse?

Was Film sonst noch kann: Stringente Narration kennen wir alle, haben wir schon hundertausend Mal gesehen und können, ausgebufft wie wir sind, auch meist präzise voraussagen, wer der Mörder ist! "Amer" gibt sich mit derlei Ordinärem gar nicht mehr ab. Er nimmt sich die inhaltliche Essenz der italienischen Genrefilme der frühen siebziger Jahre, gemeinhin bekannt als 'Gialli', zum stilistischen Vorbild, um eine weithin dialogbefreite, von mysteriöser Assoziativität und Bewusstseinsströmen dominierte Innenwelt zu errichten, die von dem stets gepflegt schundigen Gebahren der Originale kaum mehr etwas zurückbehalten mag - Originalmusiken von Morricone, Nicolai und Cipriani inbegriffen. Stattdessen hält "Amer" drei entschlüsselnde Lebensstationen einer psychisch offenbar zunehmend schwer gestörten Dame bereit, in deren emotionalem Empfinden Eros und Thanatos einhergehen und die sexuelle Annäherung mit Tod bestraft. Die formale Pracht und immense Kunstfertigkeit des Films steht dabei in interessantem Zusammenhang zu seiner eher grobgemahlenen Inspirationsquelle: So "umständlich" gab sich das klassische mediterrane Thrillerkino jedenfalls nie. Aber da ging es ja auch weniger um die Erkundung einer gequälten Seele, sondern um ganz andere Dinge. Von denen wiederum berichtet "Amer" bloß am Rande.

8/10

Hélène Cattet Bruno Forzani Madness Frankreich Riviera Sommer


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A DANDY IN ASPIC (Anthony Mann/UK 1968)


"What's an existentialist, then?" - "Well, it's slightly more complex than romping around naked."

A Dandy In Aspic (Der Todestanz eines Killers) ~ UK 1968
Directed By: Anthony Mann

Der sowjetische Doppelagent Krasnevin (Laurence Harvey) infiltriert als ein gewisser 'Eberlin' den britischen Geheimdienst und hat bereits einige Mitarbeiter aus dessen Reihen im Namen von Mütterchen Russland liquidiert. Krasnevin wünscht sich allerdings nichts sehnlicher, als endlich das schmutzige Spionagegeschäft quittieren und in die Heimat zurückkehren zu können. Da erhält er just von den Briten den Auftrag, in Berlin einen russischen Killer mit unbekannter Herkunft ausfindig zu machen und zu töten - einen gewissen Krasnevin - und damit sich selbst. Zusammen mit dem übereifrigen Gatiss (Tom Courtenay) begibt er sich in der Mauerstadt auf eine höchst prekäre Jagd.

Anthony Mann konnte seinen letzten Film nicht mehr fertigstellen; ein vor Ort in Berlin erlittener Herzinfarkt kostete ihn das Leben. Der Hauptdarsteller Laurence Harvey stellte die fehlenden Teile an seiner Statt fertig.
"A Dandy In Aspic" wagt den nicht immer ganz schlüssigen Brückenschlag zwischen der lebensunfreundlichen Spionage-Tristesse eines Le Carré und den fröhlichen Bond-Plagiaten des 'Swinging London'. Laurence Harveys Figur pendelt als eine Art bipolar gestörter Charakter zwischen depressiver Lebensmüdigkeit und viriler Agenteneleganz. Stets wie aus dem Ei gepellt auftretend wünscht er sich einerseits einen Schlussstrich, hat jedoch auch nichts dagegen, mit dem quirlig-naiven Bohème-Mädchen Caroline (Mia Farrow) in die Federn zu hüpfen. Die narrative Kunst des Films besteht in dem bewährten Suspensekniff, den Zuschauer auf das Wissensniveau des Protagonisten herabzulassen, so dass man das teils verwirrende Szenario als ebenso heillos wahrnimmt wie der (Anti-)Held der Geschichte. Über jeden Zweifel erhaben sind die erlesenen Formalia von "A Dandy In Aspic": die endzeitlich anmutenden, sepiafarbenen Bilder Londons und Berlins und Quincy Jones' atmosphärische Klänge. Derart gefällig kombiniert ergeben sie einen formidablen Rückblick auf jene paranoide Epoche.

8/10

Anthony Mann Derek Marlowe Kalter Krieg Spionage London Berlin DDR


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A BREED APART (Philippe Mora/USA 1984)


"Does that thought bother you, sir?"

A Breed Apart (Die Brut des Adlers) ~ USA 1984
Directed By: Philippe Mora

Der Witwer und Vietnamveteran Jim Malden (Rutger Hauer) lebt zurückgezogen auf seiner Flussinsel 'Cherokee Island', auf der das letzte Pärchen einer bestimmten Art von Weißkopfadlern nistet. Jedem Fremden, der sich der Insel nähert, begegnet Malden mit grundsätzlichem Misstrauen und so zieht er sich bald die Feindschaft zweier einheimischen Hillbilly-Brüder (Brion James, John Dennis Johnston) zu, die Cherokee Island als persönliches Jagdrevier betrachten. Anders seine Beziehung zu der Kolonialwarenhändlern Stella (Kathleen Turner) und ihrem Sohn (Andy Fenwick), die gern Maldens neue Familie abgäben. Als der Bergsteiger Mike Walker (Powers Boothe) in die beschauliche Idylle einkehrt und sich mit Malden und Stella anfreundet, ahnt zunächst noch niemand, dass er im Auftrage des Millionärs Whittier (Donald Pleasence) die beiden Adlereier aus dem Nest stehlen soll...

Ein nicht ganz alltäglicher Film, aber das sind Philippe Moras Arbeiten ja eigentlich ohnehin selten. Der Held vereint auf den ersten Blick zahlreiche Klischeecharakteristika - ein ausgezeichneter Nahkämpfer und Vietnamveteran, der Frau und Kind und damit endgültig das Vertrauen in die zwischenmenschliche Kommunikation verloren hat, zugleich Tierliebhaber, dem ständig irgendwelche blutrünstigen Jagdidioten auf die Pelle rücken, dazu ein stiller Naturbursche, mit dem man besser keinen Streit anfängt. Die platinblonde Punkerfrisur hat Rutger Hauer geradewegs aus "Blade Runner" importiert, derweil Kathleen Turner um Einiges unglamouröser auftritt als bislang gewohnt. Eigentlich ein hervorragender Exploitationstoff, doch mit Ausnahme zweier Nacktszenen und einer recht unangenehmen Sterbesequenz hält sich Mora relativ keusch.
In welche Richtung sein Film geht - tatsächlich geht es um nichts Geringeres als das Auf-die-Probe-Stellen einer zaghaft und beiderseits unerwartet geknüpften Männerfreundschaft sowie ein etwas unbeholfen vorgetragenes Liebesgeständnis - ahnt man erst nach der Hälfte, bis dahin bleibt alles ähnlich verhalten und nebulös wie Rutger Hauers exzentrischer Protagonist.
"A Breed Apart" jedenfalls ist, soviel steht fest, ein Film, wie er nur vor dreißig Jahren hat entstehen können.
Heute wären die Primärreaktionen vermutlich Unverständnis und Ablehnung.

7/10

Philippe Mora North Carolina Südstaaten Veteran Freundschaft


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PLACES IN THE HEART (Robert Benton/USA 1984)


"How do you actually look like?"

Places In The Heart (Ein Platz im Herzen) ~ USA 1984
Directed By: Robert Benton

Texas während der Depressionsjahre: Unerwartet wird Sheriff Spalding (Ray Baker) bei einem Routineeinsatz von einem betrunkenen jungen Farbigen (De'voreaux White) erschossen. Zwar wird der Täter umgehend und öffentlichkeitswirksam gelyncht, Spaldings Witwe Edna (Sall Field) jedoch steht nichtsdestotrotz urplötzlich mit ihren beiden Kindern (Yankton Hatten, Gennie James) allein und hochverschuldet da. Da gibt der farbige Herumtreiber Moze (Danny Glover) Edna den Rat, ihr Ackerland für den Baumwollanbau zu nutzen, um fürs Erste wenigstens die nächste Hypothekenrate an die Bank zahlen zu können. Ednas Ehrgeiz ist geweckt und mit Mozes kompetenter Hilfe sowie der ihres neuen Unternehmers, des kriegsversehrten Mr. Will (John Malkovich), übersteht sie nahezu alle Widrigkeiten, die sich ihr in den Weg stellen.

Einen sehr schönen Heimatfilm hat Robert Benton, der Spezialist für zumindest weitgehend sentimentalitätsbefreites Gefühlskino, mit "Places In The Heart" geschaffen. Er gehört zu jenen antipodischen Werken, die gegen das unterkühlte Genre- und Kommerzkino dieser Jahre anzustreiten versuchten und das damals primär von weiblichen Zuschauerschichten frequentiert wurden, derweil sich der Freund oder Gatte auf der Nachbarleinwand vielleicht lieber den neuesten Schwarzenegger oder Indiana-Jones-Verschnitt anschaute. Solche Einteilungen sind natürlich blödsinnig, entginge dem offenherzigen Filmfreund dabei doch manch sympathisches Werk vom anderen Ende des Betrachtungsspektrums. "Places In The Heart" steht in der Tradition klassischer Depressionsdramen wie "Grapes Of Wrath" oder "Bound For Glory", in denen tapfere Amerikaner Mittellosigkeit und Lebenskrise mit dem Mut der Gerechten bekämpfen und schließlich überwinden. Bei Benton, der sich als auteur des Films den Traum einer teilbiographischen Filmadaption seiner Kinderjahre erfüllte, sind die Gefahren allerdings mannigfaltiger Natur: Ehebruch, Rassismus und südstaatliche Xenophobie, die unbarmherzigen Banken und schließlich selbst das unkomfortable Klima bereiten Edna Spalding und ihrer ungewöhnlichen kleinen Zweckgemeinschaft immense Probleme, die die unbeugsame Frau jedoch, wenngleich mit manchen Blessuren an Leib und Seele, übersteht. Die hoffnungsvolle, die Kehle zuschnürende Schlusseinstellung, in der ein Klingelbeutel durch die Kirchenbankreihen wandert, zeigt die Utopie, wie sein sollte, von der Wet jedoch nicht zugelassen wird: Alle, Überlebende, Verstorbene und Vertriebene, sitzen beieinander in stiller Andacht.

8/10

Robert Benton period piece Great Depression Texas Familie Ensemblefilm Rassismus


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REQUIEM FOR A HEAVYWEIGHT (Ralph Nelson/USA 1962)


"In 1952 they ranked me number five!"

Requiem For A Heavyweight (Die Faust im Gesicht) ~ USA 1962
Directed By: Ralph Nelson

Der alternde Schwergewichtler Mountain Rivera (Anthony Quinn) wird von Cassius Clay (Cassius Clay) fürchterlich verdroschen und ausgeknockt. Sein linkes Auge droht zu erblinden, daher darf er nicht mehr zurück in den Ring. Auf der Suche nach einer neuen Geldquelle kennt vor allem Mountains Manager Maish Rennick (Jackie Gleason) keine Skrupel, zumal er bei der gefürchteten Buchmacherin Ma Greeny (Madame Spivy) tief in der Kreide steht. Die Arbeitsvermittlerin Grace Miller (Julie Harris) interessiert sich derweil für den traurigen, zerschundenen Mountain und vermittelt ihm ein Bewerbungsgespräch für eine Stellung als Sportlehrer in einem Sommercamp für Kinder. Doch Maish, der festen Überzeugung, dass Mountain sowieso nichts sonst beherrscht, hat andere Pläne mit seinem alten Kompagnon: Der soll fortan als Showwrestler auftreten und sich zum Affen machen.

Als formidablen Abschluss meiner gestrigen Box-Trilogie gab es dieses herzzereißende Drama um einen in jeder Hinsicht "kayoten" Altathleten, der bei stetem, enthusiastischem Glauben an sich selbst stets im Schatten der wirklich Großen stehen musste und nie den Durchbruch erleben durfte. Als er eines Abends dann endlich so weichgeprügelt wird, dass ihm nichts mehr bleibt, muss er nicht nur seinen Beruf, sondern zudem noch seine Träume aufgeben und sich der Illusion, noch einmal ganz von vorn anfangen zu können und dafür eine sich ad hoc bietendende Chance zu nutzen, widersetzen. Niemand anders als Anthony Quinn hätte die Rolle dieses Mountain Rivera so mit glimmendem Leben füllen können; zerschlagen und zernarbt, mit zwei Blumenkohlohren, geschwollenen Augenbrauen und sich bereits abzeichnenden Ausläufern eines latenten Dachschadens glaubt er noch naiv an Ideale wie Freundschaft, Vertrauen, Ehrbarkeit und sogar Liebe - Werte, deren Kehrseite sein so genannter Freund Maish - von Jackie Gleason ebenfalls hervorragend interpretiert - längst durchschaut und auch gelebt hat. Letztlich ist er die traurige Wahrheit hinter Mountains manchmal kindesgleichem Lächeln, wenn dieser mal wieder alte Zeiten Revue passieren lässt; die Ahnung, dass es keine Chance mehr gibt für Mountain noch für ihn selbst, und dass es immer noch eine Stufe unter der letzten gibt.

10/10

Ralph Nelson Boxen New York Freundschaft





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