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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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RUNAWAY JURY (Gary Fleder/USA 2003)


"Gentlemen, trials are too important to be left up to juries."

Runaway Jury (Das Urteil) ~ USA 2003
Directed By: Gary Fleder

Die Witwe (Joanna Going) eines von einem Amokläufer ermordeten Börsenmaklers (Dylan McDermott) verklagt die Hersteller der für die Bluttat verwendeten Automatikwaffe und damit moralisch betrachtet auch gleich die gesamte Waffenlobby der USA. Die Bosse des betroffenen Unternehmens wittern mögliche Millionenverluste und heuern daher den für seine zielsichere Geschworenenauswahl bei prekären Prozessen bekannten, juristischen Berater Rankin Fitch (Gene Hackman) an, der dem beauftragten Anwalt (Bruce Davison) während der Zulassung der Geschworenen zur Seite stehen soll. Die Anklage wird von Wendell Rohr (Dustin Hoffman) vertreten, selbst ein leidenschaftlicher Gegner des Zweiten Verfassungszusatzes. Schon nach den ersten Prozessphasen bekommen sowohl Fitch als auch Rohr von einer unbekannten jungen Frau (Rachel Weisz) das Angebot, einen der Geschworenen (John Cusack) gegen ein großzügiges Entgelt die übrigen so manipulieren zu lassen, dass das Urteil zu den jeweiligen Gunsten ausfallen könnte.

Mit einigem Abstand - sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch im Hinblick auf die verhandelte Mentalität - entstand diese bislang letzte Grisham-Verfilmung. Abgesehen von der nervösen Kamera, die dramaturgische Hektik durch exzessives Zoomen zu suggerieren sucht, unterscheidet "Runaway Jury" sich sonst nicht besonders von den vorhergehenden Filmen. Wieder gibt es idealistische Helden mit heimlichem Regressions- und Vergeltungsansprüchen und moralisch hoffnungslos korrumpierte Schurken, selbstredend solche von der gewissenlos-kapitalistischen Seite der Medaille. Ging es im Roman allerdings noch darum, die Tabakindustrie für einen Lungenkrebstoten verantwortlich zu machen, wandte sich das Filmscript unter dem Eindruck von Littleton stattdessen dem akuteren und vor allem populistisch naheliegenderen Topos der Amokläufer zu, die problemlos an todbringende Schusswaffen gelangen und diese bei Bedarf auch zum Einsatz bringen können. Ob die die gezogene Analogie letztlich sinnstiftend ist, muss jeder für sich entscheiden, Waffenfabrikanten juristisch unmittelbar für die Verwendung ihrer Produkte verantwortlich zu machen und damit auch noch gerichtlich durchzukommen, erweist sich jedoch, wenngleich von einigem hypothetischen Reiz, spätestens beim zweiten Nachdenken als recht hanebüchen. Die gute Tradition ergibt sich hier eher wie üblich aus dem Darsteller-Duell Hoffman/Hackman; die beiden arrivierten Herren bekommen ihre meritenträchtige Konfrontationsszene und genießen ansonsten sichtlich den Aufwasch, der um sie herum betrieben wurde. Ein so motiviert-spielfreudiges Ensemble wie Coppolafür "The Rainmaker" steht Fleder jedoch nicht zur Verfügung. Damit bleibt der Film als reines Unterhaltungsprodukt akzeptabel, ansonsten allerdings, nota bene, ein Stück luxuriöser Muße ohne besonderen Nachhall.

6/10

Gary Fleder John Grisham Südstaaten New Orleans Louisiana Courtroom


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THE BLUE MAX (John Guillermin/UK 1966)


"It's a cruel world, Stachel."

The Blue Max (Der Blaue Max) ~ UK 1966
Directed By: John Guillermin

1918 stößt der zuvor im Schützengraben stationierte Bruno Stachel (George Peppard) als Leutnant zur kaiserlichen Luftwaffe. Dort nimmt er als aus bürgerlichem Hause stammender Sohn eine Sonderstellung ein; die meisten anderen Piloten, besonders die erfolgreichen und populären, besitzen adlige Wurzeln. So auch der Staffelpilot mit den meisten Abschüssen, Willi von Klugermann (Jeremy Kemp), mit dem Stachel bald eine intensive Hassfreundschaft verbindet. Von Klugermann ist bereits mit dem Orden "Pour le Mérite", auch bekannt als "Blauer Max", ausgezeichnet worden, einem hohen Orden für mindestens zwanzig gegnerische Abschüsse. Auf ebenjenen hat es auch Stachel abgesehen, ganz zum Wohlwollen von Willis Onkel General von Klugermann (James Mason), der durch das Emporkommen Stachels die bürgerliche Kriegsmoral gestärkt sieht.

Überlanges Prestigeprodukt der Fox, dessen großartiger visueller Eindruck vor allem der exzellenten Kameraarbeit des wierum meisterlich zu Werke gehenden Douglas Slocombe zu verdanken ist, der es verstand, ebenso herrliche Luftaufnahmen in den Kasten zu bekommen wie kammerspielartigen Bodenszenen einen gewissen Glanz zu verleihen. "The Blue Max" ist alles andere als das, was man landläufig gern als "Antikriegsfilm" bezeichnet; er macht sich erst gar keine Mühe, das Kriegsgeschehen zwischen 14 und 18 als menschenverschlingenden Moloch zu verdammen. Krieg bedeutet hier: Männerdomäne mit maskulinen Meriten. Mit seiner faszinierten Präsentation der damaligen Luftkämpfe wendet er sich vielmehr dem 'gentleman warfare' zu, in dem es zwar auch tödlich zuging, den seine Betreiber jedoch nur allzu gern als sportliche Auseinandersetzung unter edelblütiger Elite betrachteten. Hier scheint mir der Film auch ganz treffend; in seiner Darstellung der damaligen Kriegshelden als frühe Popstars, die unter der Bevölkerung ein ähnliches, forciertes Ansehen genossen wie es heute Casting-Show-Gewinnern vorbehalten ist.

7/10

John Guillermin WWI Fliegerei Luftkampf Militär Standesdünkel Jack D. Hunter


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EXECUTIVE SUITE (Robert Wise/USA 1954)


"A one-man company without its one man..."

Executive Suite (Die Intriganten) ~ USA 1954
Directed By: Robert Wise

Nach dem plötzlichen und unerwarteten Tod Avery Bullards, des Firmenbosses der Möbel produzierenden 'Tredway Company', eröffnet sich fast nahtlos das Rennen um seine Nachfolge. Letztlich läuft dieses auf das Duell zweier Direktoren hinaus: Den eiskalten, einzig in Zahlen und Statistiken denkenden Loren Shaw (Fredric March) und den wesentlich jüngeren Leiter der Produktionsabteilung, McDonald Walling (William Holden), einen ebenso humanistischen wie fortschrittsdenkenden Gefühlsmenschen. Mit einer flammenden Rede kann er das übrige Management einschließlich seines Konkurrenten von sich als einzig wahrem Firmenpräsidenten überzeugen.

Auf rein inhaltlicher Ebene reichlich naiv dargebotene Allegorie um ökonomische Tragfähigkeit in der Industrie, die einen idealistischen Traum von Gerechtigkeit und Managementspflege in capraesker Tradition träumt. Von der betriebswirtschaftlichen Realität um Lichtjahre entfernt präsentiert Wise in einer ebenso gewitzten wie klar strukturierten Bildsprache die Rempelmentalität in der Hochfinanz, repräsentiert durch den schön schmierigen Calhern und den wohl dem deutschen Titel seine Berechtigung verleihenden March, sowie den via Holden inkarnierten, strahlenden Progressionsglauben, der am Ende alle überzeugt und als einzig funktionalistische Grundlage für den erfolgreichen Fortbestand des Unternehmens gewertet wird. Wenngleich von schönem Wunschdenken getragen, ein klassisches feel good movie von großer darstellerischer Substanz, in dem die Märchenhaftigkeit mental obsiegen darf. Tut zumindest der Seele wohl.

8/10

Robert Wise Pennsylvania New York Wall Street Wirtschaft Firma Ensemblefilm Cameron Hawley


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THE RAINMAKER (Francis Ford Coppola/USA 1997)


"How do you know when a lawyer is lying? - His lips are moving. "

The Rainmaker (Der Regenmacher) ~ USA 1997
Directed By: Francis Ford Coppola

Rudy Baylor (Matt Damon) hat soeben sein Jurastudium bestanden, jedoch keinerlei Beziehungen zu großen Anwaltskanzleien. Also nimmt ihn zunächst der Winkeladvokat Bruiser Stone (Mickey Rourke) unter eine Fittiche, der nebenbei allerlei illegale Geschäftchen betreibt, von dem Rudy jedoch einiges über berufserforderliche Rigorosität und Abgezocktheit lernt. Zudem lernt er den nicht minder cleveren Deck Shifflet (Danny De Vito) kennen, mit dem Rudy sich schließlich selbstständig macht. Seine ersten zwei Fälle umfassen einen Ehekrieg zwischen der sanften Kelly Riker (Claire Danes) und ihrem gealttätigen Ehemann (Andrew Shue) sowie einen millionenschweres Mandat bezüglich eines an Leukämie erkrankten Jungen (Johnny Whithworth), dessen Krankenversicherung sich weigert, die Kosten für eine lebensrettende Knochenmarkstransplantion zu übernehmen.

Die mit Abstand beste Grisham-Verfilmung, für die es sich allein schon lohnt, die vorherigen Filme über sich ergehen zu lassen, um dann zu sehen, wie man's besser hinbekommt. "The Rainmaker" bietet vortreffliches Erzählkino, weitgehend ohne die üble Moralinsäure und populistische Existenzschwere der Vorgänger auskommend. Zwar ist auch der hierin auftretende Junganwalt ein klarer Idealist, doch er muss die rechten Schliche erst noch erlernen und gibt keinerlei Urteile ab über die Pros und Cons der US-Rechtsprechung. Vielmehr ist er sich schlussendlich einfach nur nicht sicher, ob er seinem früher oder später zwangsläufig in ethische Korruption mündenden Beruf weiter nachgehen möchte.
"The Rainmaker" erzählt seine mehrsträngige Geschichte entlang eines fragmentarisch bei "The Verdict" entliehen Hauptplots in episodischer Form und hat dabei jede Menge Gelegenheit, eine ganze Bandbreite unterschiedlicher Figuren einzuführen, für die Coppola die jeweils perfekten Gesichter zur Verfügung standen. Selten bereitete es mir in letzter Zeit ein solches Vergnügen, großen amerikanischen Akteuren bei der Arbeit zuzuschauen und am Ende wünschte ich mir sogar, der Film liefe noch länger, um mehr von ihnen in dieser jeweiligen Hochform sehen zu können. Dabei ist der sich seiner Pickel nicht schämende Jungspund Damon lediglich der rote Faden, an dem sich alles andere entlanghandelt. Danny De Vito, Jon Voight, Dean Stockwell, Danny Glover, Roy Scheider und vor allem Mickey Rourke, die meisten von ihnen leider nur in ehrzuerbietenden Mini-Auftritten, zu sehen, kommt der Wandlung durch einen schauspielerischen Lustgarten gleich. Vor allem von Rourke, langjähriger Coppola-Adlatus, als weißhaarigem, schmierigen, aber stets liebenswerten Halbweltanwalt wünscht man sich wesentlich mehr screentime.
Ein Produkt von allerhöchster, altmodischer Professionalität, prinzipiell angreifbar sicherlich durch seine gewissermaßen obsolete Darbietung konventioneller inhaltlicher und dramaturgischer Faktoren, getragen jedoch von Ausnahmetalenten und daher höchst liebenswert.

8/10

Francis Ford Coppola John Grisham Courtroom Freundschaft Memphis Tennessee Krebs


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THE CHAMBER (James Foley/USA 1996)


"You're in Mississippi now - land of the secrets. There are bodies buried everywhere."

The Chamber (Die Kammer) ~ USA 1996
Directed By: James Foley

Um seinen ihm bislang noch unbekannten, in der Todeszelle sitzenden Großvater Sam Cayhall (Gene Hackman) vor der Gaskammer zu bewahren, reist der Junganwalt Adam Hall (Chris O'Donnell) nach Mississippi. Cayhall hat 28 Jahe zuvor einen Bombenanschlag auf eine jüdische Anwaltskanzlei verübt, bei dem zwei kleine Kinder ums Leben kamen. In Sam findet Adam einen von in frühester Kindheit gesätem Hass verzehrten, alten Grantler, dessen gepflegter Rassismus sich längst nurmehr oberflächlich und von der lebenslangen Indoktrination des Ku-Klux-Klan aufrecht erhalten findet. Adam, der im Laufe der Gespräche mit ihm seinen Großvater besser kennen und begreifen lernt, versucht, durch Sams Denunzierung der wahren Drahtzieher hinter dem damaligen Anschlag eine Aussetzung oder zumindest einen Aufschub des Todesurteils zu erwirken.

Mit "The Chamber" beginnt die "bessere Hälfte" der Grisham-Verfilmungen, soweit es der Stoff erlaubt weniger oberflächlich, weniger effektheischerisch und insgesamt gepflegter. Mit Hackman gab es einen phantastischen Hauptdarsteller und mit Faye Dunaway als dessen traumatisierte Tochter und Tante des Nachwuchsanwalts O'Donnell einen kaum minder großartigen Support. Auch wird hier der ins Zentrum gestellte death penalty plot deutlich reifer und weniger tendenziös behandelt als in Schumachers kurz zuvor entstandenem Haudrauffilm "The Jury". Wenngleich "The Chamber" sich nicht eindeutig gegen die Praxis der Todesstrafe ausspricht - Sam Cayhall ist bei allem Verständnis, mit dem der Film im Laufe seiner Spielzeit jene Figur vom Monster zum Menschen erhebt - seiner Taten, die drei aktive Morde und diverse Mittäterschaften inkludieren, schuldig und akzeptiert am Ende seine Strafe. Dennoch stellt sich das Script eher auf sie Seite seines Enkels, wie Sandra Bullocks Charakter in "The Jury" ein eherner Todesstrafengegner, der am Ende zwar inneren Frieden erhält, vor der von Menschen gewahrten Steinzeit-Jurisdiktion nurmehr davonlaufen kann.
Der Universalmoralismus der Vorgängerfilme jedenfalls bleibt hier brach und gibt somit dem - sicherlich noch immer höchst trivialen - Rest der Geschichte Raum zur Entfaltung. Immerhin ein kleiner Erfolg.

7/10

James Foley Mississippi Ku-Klux-Klan Terrorismus Rassismus John Grisham Todesstrafe Familie Südstaaten Courtroom Ron Howard


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FEDORA (Billy Wilder/F, BRD 1978)


"I guess no gentleman would bring up an old affair, but I'm no gentleman."

Fedora ~ F/BRD 1978
Directed By: Billy Wilder

Der erfolglose Hollywood-Produzent Barry Detweiler (William Holden) hat die Chance, ein "Anna Karenina"-Script zu verfilmen, wenn er die zurückgezogen lebende Schauspielerin Fedora (Marthe Keller) für die Titelrolle gewinnt. Dereinst hatte Detweiler mit dem mittlerweile 67-jährigen, jedoch um keinen Tag gealtert scheinenden Superstar einen One-Night-Stand, daher verspricht er sich, ihr trotz ihrer abgeschiedenen Existenz auf einer Privatinsel for Korfu, die einer Gräfin Sobryanski (Hildegard Knef) gehört, sein Angebot vorbringen zu können. Nach einer handfesten Auseinandersetzung mit dem Chauffeur (Gottfried John) des Hauses fällt Detweiler in eine einwöchige Bewusstlosigkeit. Wieder daraus erwacht erfährt er von Fedoras Selbstmord - doch war es wirklich die große Diva, die da durch eigene Hand das Zeitliche gesegnet haben soll?

"Fedora" hätte sich gut als Wilders Finalwerk geeignet, besser jedenfalls als das vergleichsweise unelegante Remake "Buddy Buddy". Der erste Verzicht auf Breitwand seit fast zwanzig Jahren und acht Filmen, eine bittere Abrechnung mit Hollywood fern von Hollywood entstanden, basierend auf einem Treatment des Schauspielers Tom Tryon und gestützt von deutschen und französischen Geldgebern. Für den ehernen emigrierten Filmemacher nach vorherigen Liebäugeleien mit Europa in Form von "The Private Life Of Sherlock Holmes" und "Avanti!" (mit dem "Fedora" einige Ähnlichkeit aufweist) ein damals zumindest halbwegs erwartbarer Schritt. Mit seinem alten Mitstreiter William Holden gewann er dennoch den perfekten Hauptdarsteller, ist "Fedora" doch gewissermaßen auch eine Reprise von "Sunset Boulevard" unter etwas veränderten Vorzeichen. Wie Norma Desmond führt auch Fedora ein Leben in Lüge, nur dass in ihrem Falle die Aufrecherhaltung der Illusion von Jugend und Popularität keiner Zwanghaftigkeit bedarf, sondern der eigenen Tochter. In der erwachsenen Antonia (Marthe Keller) findet sich ein nahezu perfektes Abbild der gefeierten Aktrice, die im Alter selbst durch ominöse Therapien verkrüppelt und entstellt ist und sich der Öffentlichkeit nicht mehr preisgeben mag. Niemand jedoch denkt an das psychische Gleichgewicht Antonias, das aufgrund der von ihr erwarteten Rollenausfüllung völlig aus der Bahn gerät und in ihren Suizid mündet. Wenngleich Holden diesmal die Aufdeckung jener Untiefen nicht selbst mit dem Leben bezahlen muss, so bleibt er doch als hilfloser, am Ende vielleicht um eine unerwünschte Erkenntnis reicherer Beobachter zurück.
Wilders Hassliebe zur eigenen Profession und deren Entwicklung in den vorvergangen Jahrzehnten wird diverse Male im Film deutlich. Wenn Fedora wehmütig vom Untergang des einstmaligen Glamour spricht und mit sarkastischem Impetus "schäbige", modische Kulturerscheinungen wie das 'Cinéma verité' (eine etwas unglückliche Subsummierung, die mutmaßlich auch nouvelle vague und New Hollywood beinhaltet) verdammt, dann schimmert da auch ein wenig von Wilder selbst durch, der sich bereits zu dieser Zeit offenbar kaum mehr zurechtfand in seiner künstlerischen Domäne.
Einer der traurigsten Filme, die ich in diesem Jahr gesehen habe.

8/10

Billy Wilder Hollywood Griechenland Frankreich Korfu


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THE CRUCIBLE (Nicholas Hytner/USA 1996)


"God is dead!"

The Crucible (Hexenjagd) ~ USA 1996
Directed By: Nicholas Hytner

Salem, Massachusetts 1692: Als eine Gruppe Teenagermädchen sich unter der Anstiftung der führungskräftigen Abigail Williams (Winona Ryder) nächtens im Wald trifft und dort einen heidnischen Liebestanz abhält, wird sie von Abigails Onkel, Reverend Parris (Bruce Davison) erwischt. Um sich peinlichen Standpauken zu entziehen, stellen sich zwei der beteiligten Mädchen kurzerhand katatonisch - für Parris ein Indiz, das hier möglicherweise der Teufel persönlich seine Finger im Spiel hat. Parris informiert den als Hexendetektiv bekannten Reverend Hale (Rob Campbell), der, vor Ort angelangt, davon überzeugt ist, dass in Salem tatsächlich antichristliche Krfte wirken, ein Gerichtstribunal unter Richter Danforth (Paul Scofield) herbeordert. Mit Danforths Prozess beginnt eine Kette wechselseitiger Denunziationen: Abigail behauptet erfolgreich, Geister sehen zu können und bezichtigt die verhasste Ehefrau (Joan Allen) ihres heimlichen Geliebten John Proctor (Daniel Day-Lewis) der Hexerei, Nachbarn denunzieren ihre verhassten Anrainer und selbst altehrwürdige Dorfbewohner sind vor der Willkür des Gerichts nicht sicher. Am Ende fordert die folgende Hinrichtungswelle nicht weniger als neunzehn Todesopfer.

Der große Dramatiker Arthur Miller konzipierte und verfasste "The Crucible" im Jahre 1953 als Allegorie auf die damaligen Aktivitäten des HUAC, dessen Kommunistenhatz immer groteskere Ausformungen annahm. Nachdem unter anderem Millers vormailger Freund Elia Kazan als Denunziant bei McCarthy aufgetreten war, wählte er den authentischen Fall um die "Hexenprozesse" von Salem, in deren Zuge eine beispiellose Massenhysterie in Verbindung mit willkürlicher, blinder Rechtsprechung zu einem gerichtlich angeordneten Massenmord führte. Oftmals war es die Angst, selbst denunziert zu werden, die die Bürger damals zu gezielten Falschaussagen trieb, derweil mehr und mehr der wegen Hexerei zu Tode Verurteilten sich weigerten, sich zu irgendwelchen vermeintlichen Scharlatanerien bekennen und so ihr Leben zu retten.
Diese unerquickliche historische Episode eignete sich natürlich hervorragend als symbolischer Spiegel für die Absurdität der HUAC-Anhörungen, einer modernen Hexenjagd, in deren Wirkenszeiten etliche "Verdächtige" zwar nicht ihr Leben, aber doch ihre Reputation, ihre Berufe und mitunter ihre Freiheit verloren. Miller selbst verfasste das Script für Hytners Adaption, entsprechend adäquat ist die Umsetzung gelungen. Eine traumhaft aufspielende Besetzung, insbesondere die als intrigante Abby phantastische Winona Ryder, machen den Film zum nachdenklichen Genuss, wenngleich der Vorwurf, mit diesem Werk bereits ganz gezielt in der Vorproduktionsphase ein todsicheres Prestigeobjekt aus der Taufe heben zu wollen, sicherlich nicht an "The Crucible" abprallt. Dennoch: Die gute alte Professionalität muss auch hin und wieder triumphieren dürfen.

8/10

Nicholas Hytner Arthur Miller period piece based on play Massachusetts Aberglaube Kirche Courtroom McCarthy-Ära


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JAGTEN (Thomas Vinterberg/DK 2012)


Zitat entfällt.

Jagten (Die Jagd) ~ DK 2012
Directed By: Thomas Vinterberg

Der vormalige Lehrer Lucas (Mads Mikkelsen) arbeitet nunmehr als Erzieher im Kindergarten seines Heimatstädtchens, ist dort bei seinem großen Freundeskreis und auch bei den Kindern überaus beliebt. Seit seiner Scheidung lebt er allein mit seiner Hündin Fanny, mit dem kommenden Aufenthaltsrecht für seinen bei Lucas' geschiedener Frau lebenden Sohn Marcus (Lasse Fogelstrøm) und der keimenden Beziehung zu seiner Kollegin Nadja (Alexandra Rapaport) jedoch scheint es bergauf zu gehen. Da kommt es zur Katastrophe: Weil die von ihm wegen einer pädagogisch notwendigen Klarstellung enttäuschte kleine Klara (Annika Wedderkopp), zudem die Tochter von Lucas' bestem Freund Theo (Thomas Bo Larsen), ein unbedachtes Gerücht in die Welt setzt, demzufolge ihr Lucas seinen errigiertes Penis gezeigt und möglicherweise noch mehr Unaussprechliches mit ihr angestellt haben soll, wird Lucas sukzessive zur persona non grata in seinem Heimatort. Bis auf seinen alten Freund Bruun (Lars Ranthe) stellt sich ausnahmslos jeder gegen ihn, eine immer brutaler werdende Hatz auf Lucas' Person entbrennt. Erst Wochen später kommt Theo wieder zur Besinnung und erwägt die Möglichkeit, dass Lucas' Unschuldsbeteuerungen möglicherweise doch wahr sein könnten.

Ein zutiefst involvierender und mitreißender Film, der für in pädagogischen Berufsständen tätige Männer wie mich selbst und im Prinzip auch jede Person, die mit uns primär und/oder sekundär zu tun hat, eine wertvolle perspektivische Ausweitung darstellt.
Üblicherweise, wenn es in Kino und Fernsehen um eine dramaturgische Aufbereitung der Themen 'Pädophilie' und 'sexueller Missbrauch' geht, wird das Ganze in einen kriminalistischen Spannungskontext gesetzt und wahlweise zu einer Rachegeschichte oder, bei etwas komplexerer Diegese, zu einer Pseudokontroverse aufgebläht, ob der oder die Täter denn doch bloß zu kastrieren oder besser gleich zu exekutieren sein sollten. Ist dann doch einmal jemand zu Unschuld verdächtigt worden, steckt dahinter meist eine unglücklich verliebte oder enttäuschte pubertierende Giftgöre, die dem Verzweifelten ans Leder will. Der gedankliche Ansatz jedoch, dass die Schuld für eine diesbezügliche Eskalation nicht beim vermeintlichen Täter und nicht beim vermeintlichen Opfer zu suchen ist, sondern einzig und allein bei einer sich oberflächlich nur allzu bereitwillig liberal gebenden, tatsächlich jedoch leicht beeinfluss- und infizierbaren sozialen Mikrokosmos, im vorliegenden Falle einer Kleinstadtbevölkerung, die in akuter Angst um ihr Wertvollstes zu einem reißenden, reflexionsunfähigem Mob mutiert, offenbart ein relativ unbeackertes Erzählareal. Was "Jagten" auch brillant dastehen lässt, ist Vinterbergs ideologische Neutralität. Klara, die bezüglich Lucas eine gemeine Lüge öffentlich macht, deren Tragweite ihr als vier- oder fünfjähriges Mädchen berhaupt nicht bewusst ist, wird ebenso zum Opfer wie der mutmaßliche Kinderschänder: Die sie befragenden Erwachsenen suggerieren, oktroyieren, indoktrinieren, bis sie aus dem zunehmend verwirrten Kind endlich das herausgekitzelt haben, was sie hören wollen; "Ein alleinstehender Mann als Erzieher, das kam mir immer schon seltsam vor", ist die allgemeine, erste Reaktion darauf. Und so zieht der einmal versenkte Klotz immer größere Kreise, bis Lucas' Ruf nicht nur unrettbar geschädigt ist, sondern seine Privatsphäre aufs Ekelhafteste verletzt wird.
Angesichts dessen, was ihm widerfährt, würde ich im auf mich projizierten Falle niemals so passiv bleiben, doch auch darin liegt eine der Stärken von Vinterbergs wichtigem Werk.
Die Figur des Lucas ist für mich dank meiner eigenen Lebensrealität eine der unmittelbarsten Identifikationsfiguren, die ich jemals im Film vorgefunden habe - umso albtraumhafter das ihm widerfahrende Szenario.

9/10

Thomas Vinterberg Dänemark Lehrer Kindergarten Sexueller Missbrauch Pädophilie


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WATERLOO (Sergei Bondartschuk/I, CCCP 1970)


"On the field of battle his hat is worth fifty thousand men; but he is not a gentleman."

Waterloo ~ I/CCCP 1970
Directed By: Sergei Bondartschuk

Nachdem Napoleon (Rod Steiger) im März 1815 aus seinem Exil auf Elba nach Frankreich zurückgekehrt ist, stellt er sich gegen die alliierte Streitmacht unter Wellington (Christopher Plummer) und Blücher (Sergo Zakariadze). Nachdem er deren beiden Armeen bei Charleroi voneinander abschneiden kann, tritt er am 16. Mai beim belgischen Waterloo gegen Wellington an. Die Schlacht nimmt diverse Wendungen, als jedoch in letzter Minute die Preußen zu Wellingtons Unterstützung eintreffen, wird Napoleons Streitmacht nachhaltig und vernichtend geschlagen.

Ein von Dino De Laurentiis produziertes Prestigestück, ein Brückenschlag zwischen Ost und West und eine Demonstration des Machbaren. Mit einer Akribie und Akuratesse, die man ansonsten von Visconti oder Kubrick kennt, frönt der sich aufgrund seiner "Krieg und Frieden"-Adaption für den Stoff empfehlende Bondartschuk einer unglaublichen Detailverliebtheit, die sich von der historischen Ausstattung über die obligatorische Ballszene bis hin zum Titel- und Kernstück des Films, der etwa sechzig Prozent der Spielzeit in Anspruch nehmenden Schlacht zwischen Napoleon und Wellington, fortsetzt. Diverse Totalen, Schwenks und aerial shots, von denen spätere Filme wie "The Road Warrior" unmittelbar zehren konnten, untermalen voller unverhohlenem Stolz den wahnwitzigen Material- und Statistenaufmarsch des Films. Ein bravoureskes Vorzeigestück unter den cineastischen Schlachtengemälden des ersten Jahrhunderts Film. Ohne (vermeidbare) Schnitzer allerdings kommt auch dieses nicht aus: Bondartschuk zeigt allenthalben vorausreitende Offiziere in Nahaufnahmen, die jedoch sichtlich auf sich mechanisch auf und ab bewegenden Attrapen sitzen, was völlig albern aussieht. Wie und warum der Film sich bei allem sonstigen Exactement solche Ausfälle erlaubte, bleibt wohl ein ewiges Geheimnis. Hinzu kommt noch eine völlig verlogene, am ende nochmal repetierte Sequenz, in der ein britischer Soldat einen Schlachtfeldkoller bekommt und lauthals den Unsinn des gegenseitigen Tötens beklagt: Inmitten dieses mithin von seiner martialischen Ästhetik berauschten Films ein peinlicher Faux-pas.

8/10

Sergei Bondarchuk period piece Historie Belgien Frankreich Napoleon


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HEART OF DARKNESS (Nicolas Roeg/USA 1993)


“The mind of man is capable of anything - because everything is in it, all the past as well as the future.”

Heart Of Darkness (Herz der Finsternis) ~ USA 1993
Directed By: Nicolas Roeg

Der Seemann Marlow (Tim Roth) erhält von einer belgischen Handelsgesellschaft den Auftrag, den Kongo mit einem Flußdampfer hinaufzufahren, um sich von einer abgeschnittenen Außenstation mitten im Dschungel ein Bild zu machen. Dort haust der einst als besonders efektiv und versiert bekannte Kurtz (John Malkovich), der jedoch bereits seit Monaten keinerlei Lebenszeichen mehr von sich gegeben hat. Permanent flankiert von drohenden Eingeborenen in Ufernähe schippert Marlow über den immer träger fließenden Fluss bis hin zu Kurtz' Handelsposten. Dort bietet sich ihm ein Bild des Wahnsinns: Der an Sumpffieber erkrankte Kurtz hat ein Mini-Königreich mit sich selbst als Despoten errichtet, einen Kriegerstamm um sich geschart und spricht dort offensichtlich Recht und Gewalt, wie es ihm gerade passt. Marlow begreift, dass Kurtz infolge seiner Krankheit und Zivilisationsferne den Verstand verloren hat.

Atmosphärisch intensive, werkegetreue Adaption von Joseph Conrads epochaler Novelle, die eine wunderbare, zeitgenössische Kolonialismuskritik hervorbrachte, indem sie - mit Marlow als ebenso unbedarftem wie philosophischem Sprachrohr - die Okkupationsversuche hinsichtlich mancher Teile der Welt für ideell grundsätzlich probat erklärt, ihre letztendliche Realisierung jedoch als in jedem Falle zum Scheitern verurteilt denunziert. "Heart Of Darkness" ist ein symbolisches Werk: Es beschreibt, wie abendländische Arroganz angesicht völlig diametraler Lebensumstände an ihre Wahrnehmungs- und Verstandesgrenzen geführt wird. Für Kurtz, einen intellekektuellen Ökonomen, endet seine anfängliche Faszination für die archaische Ursprünglichkeit, der er im Kongo angesichtig wird, schließlich und zwangsläufig in Depression, Irrsinn und Tod.
Dass Roeg mit "Heart Of Darkness", einem wirklich großartigen, hoffnungslos unterschätzten Werk mit zwei brillanten Hauptdarstellern, eine TV-Produktion realisierte, merkt man dem Film in keiner Weise an. Im diskursiven Gefolge von "Castaway" konfrontiert er erneut prahlerische Zivilisationsmanie mit der fauligen Illusion ihrer universellen Allmacht. Gewinner bleibt die Erde. Roeg konnte seinen visionären, zuweilen verschrobenen wirkenden Inszenierungsstil in "Heart Of Darkness" voll zur Geltung bringen und seinem Œuvre einen weiteren schillernden Eintrag hinzusetzen.

9/10

Nicolas Roeg Joseph Conrad Afrika Kongo period piece Kolonialismus TV-Film





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