Zum Inhalt wechseln


In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


Foto

DETACHMENT (Tony Kaye/USA 2011)


"We're failing."

Detachment ~ USA 2011
Directed By: Tony Kaye

Der von einer trüben Vergangenheit heimgesuchte Vertretungslehrer Henry Barthes (Adrien Brody) kommt an eine Brennpunkt-High-School am organisatorischen Scheideweg. Während Barthes sich alle Mühe gibt, seinen Schülern ein respektabler Lehrer zu sein, lernt er außerhalb der Bildungsanstalt die junge Prostituierte Erica (Sami Gayle) kennen und müht sich damit ab, ihr Schutz und Geborgenheit zu geben, derweil sein Großvater (Louis Zorich) in einer betreuten Wohnstation vor sich hin siecht.

Der 'substitute teacher' ist in den USA ein dauerhafter Beruf. Die Kollegen tingeln im Lande umher und springen für einen kurz- bis mittelfristigen Zeitraum für dauerhaft erkrankte Lehrkräfte ein, um sich daraufhin einer neuen Schule zuzuwenden. Was sich bei uns zulande 'Vetretungspool-Lehrer' schimpft, bildet hier lediglich eine Zwischenstation auf dem Karriereweg zu Festeinstzellung und Verbeamtung. Nicht so in Übersee - für Henry Barthes, der ebendiesen besonderen Berufszweig ausfüllt, erweist sich seine Stellung als privates Basisproblem, denn das, was er braucht, kann ihm gerade diese Art der Berufsausübung nicht geben: Stabilität und Kontinuität.
Wer sich "Detachment" aussetzt, sollte gewappnet sein: Ein finstererer Film ist mir seit langem nicht untergekommen. Das von Scriptautor Carl Lund und Tony Kaye transportierte Weltbild ist ein nachgerade fatalistisches; in ihrem hier vorgestellten Mikrokosmos sind Philanthropen und Altruisten die zur Höchststrafe Verurteilten in einer gleichgültigen Realität. Als "Belohnung" für ihr Engagement bekommen die Großherzigen noch permanente Ohrfeigen von allen seiten; Bindungsangst und Einsamkeit sind die privaten Folgen. Henry Barthes steht mittendrin im Brennpunkt. Seine Mutter (Reagan Leonard) hat dereinst Selbstmord begangen, höchstwahrscheinlich, weil sich ihr Vater an ihr vergangen hat. Für den alten Mann, der sich seinen Frevel (zu Recht) selbst nie vergeben konnte, bildet Henry derweil den letzten Draht zum Leben. Die junge Erica ist durch ihre Karriere emotional abgestumpft und Henrys Engagement für sie führt nur zu weiteren Problemen, da eine dauerhafte Freundschaft keine Lösung darstellen kann. In der Schule findet sich ein zwischen hochneurotisch, repressiv und resignativ umheroszillierendes Kollegium. Die langjährige Schulleiterin (Marcia Gay Harden) wird zwangsretiriert, weil sie, so versichert man ihr, in ihrem Beruf versage, der älteste Kollege (James Caan) kokettiert damit, von Psychopharmaka abhängig zu sein, die Berufsberaterin (Lucy Liu) verzweifelt jeden Tag ein Stückchen mehr und Mr. Wiatt (Tim Blake Nelson) steht kurz vorm Durchdrehen. Natürlich muss sich "Detachment" den Vorwurf gefallen lassen, hier und da zu überzeichnen - soviel Unbill tritt wohl niemals am Stück auf. Aber: Er ist auch ein unbestechliches Sammelsurium der Wahrheiten und des ungeschönten Realismus. Vieles von dem, was ich in "Detachment" gesehen habe, habe ich in meiner noch relativ jungen Lehrerkarriere bereits selbst in ähnlicher Form erlebt, trotz der anderen Schulform und trotz der sich unterscheidenden Bildungsstandards. Im Grunde stechen wir, die Spezies Lehrer, doch alle in einem riesigen globalen Sack, in dem, unentwegt mit dem Knüppel drauf eingedroschen, früher oder später jeder mal erwischt wird. Insofern: Danke an Tony Kaye für seinen überaus empathischen Film.

9/10

Tony Kaye Schule Lehrer Freundschaft


Foto

THE SLENDER THREAD (Sydney Pollack/USA 1965)


"I care."

The Slender Thread (Stimme am Telefon) ~ USA 1965
Directed By: Sydney Pollack

Der Psychologiestudent Alan Newell (Sidney Poitier) volontiert nebenbei bei der Telefonseelsorge. Eines Abends ruft dort die völlig verzeifelte Inga Dyson (Anne Bancroft) an und eröffnet dem konfusen Alan, sie habe soeben eine Überdosis Schlaftabletten genommen. Da sie ihm weder ihren vollen Namen noch ihren Aufenthaltsort mitteilen möchte, muss Alan jedwedes Geschick aufwänden, um Inga am Telefon zu halten, damit die Telefongesellschaft ihren Standort ermitteln kann. Glücklich über einen verständigen Zuhörer erzählt sie ihm ihre Geschichte...

Grandioses Kinodebüt mitsamt meisterlich verschachtelter Chronologie von einem noch hungrigen Sydney Pollack, höchst stilvoll und kompetent inszeniert und sich empfehlend für das bereits im Trüben keimende New Hollywood. Ungeachtet der mittlerweile überall gängigen Farbkamera nutzt Pollack für sein Kammerspiel betont schmuckloses Schwarzweiß (Loyal Griggs) und zu dessen Untermalung ebenso treibende wie gefühlvolle Klänge von Großmeister Quincy Jones. Anne Bancroft ist ausgezeichnet in ihrer Porträtierung einer zutiefst verzweifelten Frau und fügt dem Erstarken naturalistisch gezeichneter femininer Figuren auf der Leinwand ein entscheidendes Exempel hinzu. Telly Savalas, stets mit gewaltiger Zigarre im Bild als Poitiers nicht minder engagierter Chef zeigt sich ausnahmsweise in einer durchgängig sympathischen Darstellung und Seattle als ungewohnter Schauplatz für einen Studioproduktion tut sein Übriges, um diesen für seinen Zeitkontext ungewöhnlichen Film zu etwas Besonderem zu machen.

9/10

Sydney Pollack Seattle Telefon Psychiatrie Echtzeit


Foto

THE POWER OF ONE (John G. Avildsen/USA, AU, F 1992)


"To have a brain is not a sin, but to have a brain and not use it, that is a sin."

The Power Of One (Im Glanz der Sonne) ~ USA/AU/F 1992
Directed By: John G. Avildsen

Der englischstämmige P.K. (Stephen Dorff, Guy Witcher, Brendan Deary) wächst im zunehmend von Buren kontrollierten Südafrika der dreißiger und vierziger Jahre auf. Schon früh ein Waisenkind, hat er das Glück, unter der Führung einiger weiser Mentoren zu gedeihen, als da wären der deutsche Intellektuelle 'Doc' (Armin Mueller-Stahl), der Häftling Geel Piet (Morgan Freeman), P.K.s Schullehrer St. John (John Gielgud), der Boxlehrer Gilbert (Dominic Walker) und schließlich sein gleichaltriger Freund Gideon (Alois Moyo). Von all diesen Männern lernt P.K. - unter vielen schweren Verlusten freilich - Respekt für Leben und Natur, sich gegen Hass und Rassismus zu wenden und alles zu geben für Bildung, Liebe und Freundschaft.

Eine von Avildsens vielen Außenseiterballaden, die wie immer einen jungen Kämpfer zum Protagonisten hat, der sich, hier stimmt es einmal wieder ganz exakt, durchzuboxen lernt. Der polithistorische Hintergrund des von der Geißel der Apartheid gebeugten Südafrika unter der erstarkenden Burenherrschaft gibt dafür einiges her, zumal sich hier mit der Hauptfigur P.K. ein Brite aufgestellt findet, der unter der rigorosen Aggression der selbsternannten 'Afrikaaner' auf eine ähnlich segregative, wenngleich abgeschwächte Weise zu leiden hat wie die dunkelhäutigen Ureinwohner der Region, die sich gern mit den in Europa wütenden Nazis auf eine Stufe stellen. So auch P.K.s ewiger Erzfeind Botha (Daniel Craig), der dem Jungen seit frühester Jugend nachstellt.
Hier und da von einer gewissen Naivität und dramaturgischen Schlichtheit ist "The Power Of One" zwar ein simpel erzählter Film, einer jedoch, dessen Konsumierbarkeit man ihm nicht zum Vorwurf machen darf. Im Gegenteil. In der Sekundarstufe könnten und sollten aller Ehren werte Werke wie dieses zum bildnerischen Kanon zählen.

8/10

John G. Avildsen period piece Biopic Südafrika Apartheid Coming of Age


Foto

THE RAINMAKER (Joseph Anthony/USA 1956)


"Believe me, Lizzie. You ARE ugly."

The Rainmaker (Der Regenmacher) ~ USA 1956
Directed By: Joseph Anthony

Bill Starbuck (Burt Lancaster) tingelt auf seinem bunten Pferdewagen durch den Mittelwesten und verkauft den naiven Kleinstädtern dort allerlei wirkungslosen Firlefanz gegen die widrigen Witterungsverhältnisse, vor allem jedoch Phantasie und Hoffnung. Als er auf die Rancher-Familie Curry trifft, den verwitweten, liebevollen Vater H.C. (Cameron Prud'Homme), seinen ältesten, besserwisserischen Sohn Noah (Lloyd Bridges), dessen jüngeren, einfältigen Bruder Jim (Earl Holiman) und ihre altjungferliche Schwester Lizzie (Katharine Hepburn), schafft er es binnen weniger Stunden, neue Ordnung in deren verfilzte Beziehungsinteraktionen zu bringen. Und am Ende fällt sogar der versprochene Regen.

Die alte Mär von der zunächst unmöglichen scheinenden Gangbarkeit zwischen Wahrhaftigkeit und Träumerei arbeitet Nashs klassisches Stück in liebenswerter Weise und leuchtendem VistaVision auf. Eine von Lancasters großen Paraderollen bildet die Figur des Bill Starbuck, jener selbstherrliche, breit grinsende und umherhüpfende Scharlatan, dessen Betrügereien und Eulenspiegelein seinen Opfern wesentlich wohler tun als sie im Nachhinein zuzugeben bereit sind. Starbucks selbstgebastelte Ideen von Tornadoschutz und Regenzauber funktionieren zwar bestenfalls nur zufällig, vermitteln ihren Konsumenten jedoch zumindest ein mittelfristiges Gefühl von Verständnis und Geborgenheit. Vor allem erkennt Starbuck die Menschen hinter ihrer Fassade. Der streng schwarzweiß und numerisch denkende Rationalist Noah erregt sogleich sein Mitleid, derweil dem leicht dümmlichen, aber frisch verliebten Firlefanz Jim all seine Sympathie zuwandert. Die vertrocknete Lizzie erlebt bei ihm erstmals ein Gefühl des Begehrtwerdens und der Weiblichkeit, womit auch sie sich schlussendlich gerettet und aus ihrem depressiven Trauertal geführt findet. Die Saat für die Zukunft ist gesät, passend dazu findet sich die ausgedorrte Erde Utahs bald neu aufgelockert. Weltverbesserungskino deluxe.

8/10

Joseph Anthony N. Richard Nash based on play period piece Familie Geschwister Utah Erwachsenenmärchen


Foto

THE ENTITY (Sidney J. Furie/USA 1982)


"Welcome home, cunt."

The Entity ~ USA 1982
Directed By: Sidney J. Furie

Eines Abends wird Carla Moran (Barbara Hershey), junge, alleinerziehende Mutter von drei Kindern, in ihrem Vororthaus vergewaltigt - von einem unsichtbaren Wesen, vermutlich einem Geist oder Dämon. Ihr kurz darauf konsultierter Psychiater Dr. Sneiderman (Ron Silver), der sich zunehmend stark in den ungewöhnlichen Fall einbindet, führt dieses "Erlebnis" auf schwere sexuelle Schuldkomplexe Carlas zurück und diagnostiziert bei ihr Angstzustände und Wahnvorstellungen. Doch das übernatürliche Wesen stellt Carla bald auch außer Haus nach und das furchtbare Vergewaltigungserlebnis wiederholt sich immer und immer wieder, schließlich sogar unter Zeugen, welche das Ungetüm sogar davon abhält, Carla zur Hilfe zu kommen. Schließlich befasst sich, ganz zu Sneidermans Unwillen, der die folgenden Aktionen für bloße Scharlatenerie hält, eine parapsychologische Wissenschaftlergruppe mit dem Phänomen und versucht, den Geist im Zuge eines Feldexperiments zu fangen.

Beeindruckender, kleiner Genreklassiker, der sich auf einen angeblich authentischen Fall beruft und der ganz besonders von seiner minutiösen wissenschaftsaffinen Aufbereitung der ihm zugrunde liegenden Geschichte lebt. Tatsächlich ist man angesichts der persönlichen Schilderungen von Carlas Vergangenheit und Sexualentwicklung geneigt, dem bodenständigen Dr. Sneiderman beizupflichten, der offensichtlich selbst mehr als ein rein professionelles Interesse an seiner Patientin an den Tag legt und sie nicht nur vor sich selbst, sondern auch vor einer von ihm fehlinterpretierten Sensationsgier seiner akademischen Genossen zu retten versucht. Script und Film jedoch stellen sich da ganz eindeutig auf Carlas Seite: Es blitzt, es zischt - zu sehen ist nischt. Abgesehen von fotografisch und filmisch dokumentierten Entladungen aus dem Nichts, mutmaßlichen Geistersilhouetten und unsichtbaren Händen, die in gemeinster Weise Carlas Köper (respektive einen speziell angefertigten Nackt-Dummy) begrapschen.
"The Entity" hätte ein kleines Meisterwerk werden können, hätte man auf jene visualisierten Eindeutigkeiten verzichtet und dem Zuschauer die Entscheidung überlassen, zwischen paranormalen und psychischen Ereignissen wählen zu dürfen. So bleibt bei aller übrigen Sorgfalt der Erzählung stets ein latenter Beigeschmack geflissentlich fehlgeleiteter exploitation. Denn in seiner psychologisch durchaus tragfähigen Schilderung verbauter weiblicher Sexualität und entsprechender Bedürfnisse, gekoppelt mit einer hier und da zum Bizarren tendierenden, heimlichen Erfüllung derselben (als die Entität Carla einmal im Schlaf vergewaltigt, bekommt sie, wie sie später schuldbewusst zugibt, einen Orgasmus) erweist sich "The Entity" als überaus stark. Erschütternd offen zudem das Ende, das eine von den Ereignissen gestärkte Carla Moran zeigt, die sich nach Verzweifung und Depression bis hin zur Todesakzeptanz mit ihrem Los arrangiert, sich selbigem gewissermaßen sogar mit offenen Armen fügt.

8/10

Sidney J. Furie Kalifornien Dämon Spuk Familie Vergewaltigung Psychiatrie Parapsychologie


Foto

THE ICEMAN (Ariel Vromen/USA 2012)


"I'm good at what I'm doing."

The Iceman ~ USA 2012
Directed By: Ariel Vromen

Der in der Pornokino-Branche tätige Richard Kuklinski (Michael Shannon) hat ein völlig moralbefreites Verhältnis zur Gewaltanwendung. Als Kind von seinen regelmäßig und schwer Eltern misshandelt, genügt es dem erwachsenen Kuklinski nur, wenn ihn jemand schief ansieht, um diesen hernach schnell und unauffällig zu töten. Als der Mafiascherge Roy DeMeo (Ray Liotta) Wind von Kuklinskis "Qualitäten" bekommt, heuert er ihn als Auftragskiller an - wobei er ausschließlich Männer angreift und beseitigt. Diese Tätigkeit ermöglicht Kuklinski und seiner parallel zu seinen grausamen Aktiitäten gegründeten Familie ein wohlsituiertes Leben. Trotz seiner einerseits liebevoll-aufopfernden Art werden seine Frau Deborah (Winona Ryer) und Töchter (McKaley Miller, Megan Sherrill) immer wieder Zeugen irrationaler Gewaltausbrüche bei Richard. Über zwei Jahrzehnte nach der Hochzeit mit Deborah wird er in ihrem Beisein im Zuge eines Großeinsatzes des ATF verhaftet - ohne dass seine Frau bis dato um das Doppelleben ihres Mannes weiß.

Der authentische Richard Kuklinski, der 2006 im Gefängnis verstarb, bildete den seltenen Fall eines pathologischen Serienkillers, der seine Obsession zum Beruf machen "durfte": Nachdem er sich bereits in seinem sozialen Umfeld einen Ruf als gewaltbereiter Totschläger erworben hat, mit dem man sich besser nicht anlegen sollte, wenn einem sein Leben lieb war - zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits mehrere Menschenleben auf dem Gewissen-, trat die Mafia mit ihm in Kontakt. In den folgenden Jahrzehnten trieb er zwischen zwischen zwei unvereinbaren Welten hin und her - der des nach außen idyllischen Familienlebens mit kleineren Hinweisen auf sein soziopathisches Innenleben und der von Verbrechen und Gewalt. Wie viele Menschen Kuklinski zum Zeitpunkt seiner Verhaftung im Jahre 1986 tatsächlich auf dem Gewissen hatte, ließ sich nie verifizieren. Offizielle Angaben schwanken zwischen 100 und 250 Opfern.
Vromens auffallend spät entstandene Filmbiographie um Kuklinski streift nur Blitzlichter und einzelne Ereignisse in dessen Leben, setzt im Protagonistenalter von 29 Jahren ein und komprimiert die folgenden 22 Jahre mittels einer fast dokumentarischen Abgeklärheit. "The Iceman" verweigert sich großen emotionalen Gefällen und schildert Kuklinski so, wie er wohl tatsächlich war - als einen stillen, zu explosiven Ausbrüchen neigenden Hünen, dem jedwede Sympathie für das Menschengeschlecht bereits in frühester Biographie herausgeprügelt wurde und der im Gegensatz dazu seine Familie geradezu äffisch vergötterte. In manchen Punkten verweigert sich das Script zugunsten der Akzentuierung seiner im Grunde bipolaren Existenz einer akkuraten Authentitzität, so wird Kuklinskis Sohn völlig außen vor gelassen, ebenso wie die Tatsache, dass er seine Frau häufig geschlagen haben soll. Einen Höhepunkt bildet die formidable Besetzung von "The Iceman" - neben dem beängstigend-monströsen Shannon bleiben Auftritte von Robert Davi, David Schwimmer, Stephen Dorff und James Franco in dankbarer Erinnerung.

8/10

Ariel Vromen Biopic period piece Mafia New York Profikiller Familie Madness New Jersey Serienmord


Foto

DOMINION: PREQUEL TO THE EXORCIST (Paul Schrader/USA 2005)


"I chose good. Evil happened."

Dominion: Prequel To The Exorcist (Dominion: Exorzist - Der Anfang des Bösen) ~ USA 2005
Directed By: Paul Schrader

Nach furchtbaren Kriegserlebnissen arbeitet der vormalige Priestzer Lankester Merrin (Stellan Skarsgård) als Kirchenarchäologe in Afrika. Dort ist er mit der Ausgrabung einer byzantinischen Gotteshauses befasst, um dessen Existenz sich diverse Ungereimtheiten und Geheimnisse scharen. Mit der Ankunft des jungen Missionars Vater Francis (Gabriel Mann) in dem naheliegenden kenianischen Dorf beginnt sich die allgemeine Lage zwischen Eingeborenen und weißen Immigranten zu verschärfen. Die Dörfler glauben, dass Cheche (Billy Crawford), einem ausgestoßenen, verkrüppelten Jungen, das Böse innewohnt. Um die Stabilität vor Ort zu wahren, ruft Vater Francis eine britische Armeeabteilung herbei. Als zwei von deren Männern ermordet in der Kirche aufgefunden werden, macht Major Granville (Julian Wadham) die Eingeborenen für ihren Tod verantwortlich. Die Lage droht zu eskalieren, als Merrin sich zum Kampf gegen den Ursprung der übernatürlichen Ereignisse aufmacht.

Nachdem Renny Harlins überarbeitete Fassung mit harscher Ablehnung und/oder Ignoranz gestraft wurde, durfte Schrader seiner Ursprungsversion doch noch das letzte Finish verabreichen und sie, zumindest in zunächst ausgesuchten Kreisen, der Kinoöffentlichkeit zugänglich machen - ein wohl tatsächlich unikales Vorgehen seitens einer Produktionsgesellschaft. Schraders Film erweist sich denn auch sogleich als in seiner Herangehensweise wesentlich klassizistischer, gesetzter und diskursiver als Harlins Haudrauf-Ummodelung. Im Mittelpunkt steht hier noch ganz klar die Figur des Pater Merrin und ihr Hader mit der Spiritualität. Im Grunde verdankt Merrin es einzig dem dämonischen Verführer, dass er schlussendlich von allem agnostischen Gedankengut und jedweder Glaubensfrustration geheilt ist und vollends zu seinem Glauben zurückfindet: Der "große Verführer" hat allein mit seiner irdischen Manifestation bewiesen, dass es auch ein Yin zu seinem Yang geben muss. Was ist sonst noch anders? Bei Schrader zerfleischen die computergenerierten Hyänen keinen kleinen Jungen, es gibt keinen neuerlichen "himmlischen" Krieg, an dessen Ende ein wildes Gemetzel steht, hierin ist die Ärztin (noch von Clara Bello interpretiert) nur ein kleines bisschen und ganz kurz besessen, die Figur des Cheche soll später bei Harlin komplett wegfallen.
Welcher Film sich beim konfrontativen "Vs." als der bessere, gewichtigere erweist, lässt sich meinerseits kaum beurteilen. Beide besitzen sie ihre Vorzüge, beim einen scheint das Bier süffiger zu schmecken, der andere regt stattdessen zu höherer mentaler Aktivität an - was sich bezüglich der jeweiligen Genussqualität im Grunde gegenseitig nichts nimmt. Bewerten wir also salomonisch:

7/10

Paul Schrader Afrika Kenia Dämon Satan Kirche Prequel Exorzismus


Foto

AMERICAN ME (Edward James Olmos/USA 1992)


"Welcome to the clika, carnal!" - "Por vida, ese, por vida."

American Me (Das Gesetz der Gewalt) ~ USA 1992
Directed By: Edward James Olmos

Montoya Santana (Edward James Olmos), einer der führenden Chicano-Drogenbosse Kaliforniens, blickt während eines weiteren Gefängnisaufenthalts, den er eigentlich gar nicht selbst zu verschulden hat, auf sein verpfuschtes Leben zurück. Geboren als Vergewaltigungresultat während einer Sauftour von Navy-Matrosen hat sein nomineller Vater (Sal Lopez) ihn nie wirklich annehmen oder akzeptieren können. Diese fehlende Liebe macht sich früh bemerkbar: Als Jugendlicher (Panchito Gómez) gerät Santana in die keimende Gangszene von East L.A., landet bald darauf im Knast und passt sich nicht nur zur Gänze den dort vorherrschenden Strukturen an, sondern bestimmt diese in entscheidender Weise mit. Nachdem er seinen ersten Mord infolge einer an ihm vollzogenen Vergewaltigung begangen hat, landet Santana in Folsom und wird dort zum Anführer der Chicano-Gruppe 'EME'. Er verbringt lange Jahre im Gefängnis und organisiert ein mächtiges Drogennetz, das relativ mühelos seine Kanäle zwischen 'draußen' und 'drinnen' zu bewirtschaften weiß. Als Santana nach vielen Jahren freigelassen wird, erkennt er, dass seine emotionale Entwicklung irgendwann mit 15 Jahren stehengeblieben ist und er sich kaum an die Außenwelt zu adaptieren lernt. Als er anfängt, Menschlichkeit und Mitgefühl zu zeigen, steht er bei seinen einstigen carnales auf der Abschussliste.

Taylor Hackfords "Bound By Honor" ist ein großes, episches Werk über die komplexen Vorgänge zwischen der gefängnisinternen und -externen Gangkriminalität im Milieu der Chicanos von Los Angeles, das sich über mehrere Jahrzehnte sozialer und individueller Entwicklungen erstreckt. Dabei war "Bound By Honor" nicht der erste Film, der dieses Thema behandelte - ein Jahr zuvor kredenzte der intraethnisch stets hochengagierte Edward James Olmos den nicht minder brillanten "American Me", der im Schatten des großen Nachfolgers bis dato immer etwas unterzugehen scheint.
"American Me" hat es insofern etwas "leichter" als Hackfords Film, als dass er nicht drei parallele Geschichten zu erzählen hat, sondern sich mit einer begnügt - der des Machers und Organisators, des zum Soziopathen erzogenen Schwerstkriminellen. Olmos verleiht diesem eigentlich undefinierbaren Gewaltverbrecher ein besonnenes Charaktergesicht. Bei ihm wird Santana zum Menschen, zum Antihelden und zu einer, zumindest ansatzweise nachvollziehbaren, Persönlichkeit. Weit weniger schmucklos und glanzvoll inszeniert als "Bound By Honor" (der sich ungeachtet dessen trotzdem auch stark an Olmos' Vorbild orientiert) präferiert "American Me" den schonungslosen Weg, ist hässlich und brutal, ohne sich je exhibitionistisch zu geben, mit pseudodokumentarischen Zügen garniert und wirkt allein denzufolge besonders zum erwartbaren Ende hin schwer affizierend. Eines der Meisterwerke seines Jahrzehnts. Sollte man, zumindest bei entsprechender Neigung zu solchen Stoffen, gesehen haben.

10/10

Edward James Olmos Gefängnis ethnics Los Angeles Drogen Biopic


Foto

THE FIELD (Jim Sheridan/IE, UK 1990)


"There's another law stronger than the common law."

The Field (Das Feld) ~ IE/UK 1990
Directed By: Jim Sheridan

Der Bauer Bull McCabe (Richard Harris) bewirtschaftet seit Jahren ein Feld, das er lediglich gepachtet hat und das im Besitz einer jungen Witwe (Francis Tomelty) ist. Ein Jeder in der Gegend weiß, dass McCabe, der wie schon Generationen seiner Familie vor ihm den Boden urbar und fruchtbar gemacht hat, im Grunde jeglichen Anspruch auf jenes Stück Land hat. Für ihn repräsentiert das Feld alles: Den Freiheitskampf gegen die Engländer, den Sieg über die große Hungersnot, den Fortbestand seiner Sippe. McCabe liebt das Feld mehr als alles andere auf der Welt. Als sich die Witwe endlich entscheidet, es zu veräußern, taucht ein reicher Amerikaner (Tom Berenger) auf, der Irland mit einem asphaltierten Straßennetz "beglücken" und das Feld einbetonieren möchte. Die Witwe, die den sie seit Jahren nötigenden McCabe und seinen Sohn Tadgh (Sean Bean) bis aufs Blut hasst, versteigert ihren Besitz in dem Bewusstsein, dass McCabe den Amerikaner nie würde überbieten können. Als McCabe davon erfährt, kommt es zu einer Katte von Katastrophen.

Mein Lieblingsfilm von Sheridan, ein ungeheuer erdiges und kraftvolles, fast atavistisch anmutendes Werk mit einem monolithischen Richard Harris, der sich wie ein monströser, lebender Fels durch die irische Septemberlandschaft walzt. Ebensogut John Hurt als sein halbgescheiter, faulzahniger Adlatus, der im Grunde seines Herzens zwar lieb und brav ist, für ein Glass Whiskey jedoch seine eigene Mutter verriete. Die gleichermaßen naive wie hochexistenzialistische Färbung der Geschichte, die auf einem von authentischen Ereignissen inspirierten Stück John B. Keanes fußt, sorgt dafür, dass man sich binnen weniger Minuten im Milieu der irischen Landarbeiter daheim fühlt und dessen innere hierarchischen Strukturen, die Polizei und Kirchenobmänner zwar tolerieren, aber keineswegs einbeziehen, komplett internalisiert. Daraus ergibt sich dann die Zeit zur Schilderung des im Kern verborgenen, zutiefst erschütternden Familiendramas. Bull McCabe als eine Art verirrter Kohlhaas ist so furchteinflößend wie liebenswert und auch sonst ein Mensch voller Widersprüche, der, als er an seine Grenzen getrieben wird, trotz aller Bemühungen, sich selbst den steten Anstrich der Gottesfürchtigkeit und Ehrbarkeit zu verleihen, auch nurmehr die rohe Gewalt als letztes Kommunikationsmittel bedient, über deren Gebrauch die letzten Schranken zwischen ihm und dem schon seit langem drohenden Wahnsinn zunächst ansägt und dann vollständig einreißt. Das ist ferner dicht anverwandt zu den großen Naturalisten, so hat mich "The Field" seit jeher mehr oder weniger unfreiwillig an Hauptmanns Novelle "Bahnwärter Thiel" erinnert, die ja ebenfalls den sukzessiven psychischen Verfall eines Familienvaters schildert.

10/10

Jim Sheridan period piece Irland Vater & Sohn Familie based on play


Foto

POLIZEIREVIER DAVIDSWACHE (Jürgen Roland/BRD 1964)


"Ich such' bloß meinen Freund, den Albert!"

Polizeirevier Davidswache ~ BRD 1964
Directed By: Jürgen Roland

Der rund um den Hamburger Kiez berüchtigte Gewaltverbrecher Bruno Kapp (Günter Ungeheuer) wird aus dem Knast entlassen und hegt nur einen Gedanken: Rache an dem Bullen, der ihn einst dorthin gebracht hat! Dabei hat Hauptwachtmeister Glantz (Wolfgang Kieling) ohnehin schon genug um die Ohren: Die Navy ist im Hafen stationiert und hat Landgang. Außerdem kommt bereits in absehbarer Zeit seine halbverwaiste Tochter mit dem Zug aus der Schweiz.

Großartiger Kolportagefilm, der seinen im Grunde einzigen, etwas dummen Fehler im Titel trägt: Das an der Davidstraße gelegene Polizeirevier 15 muss nämlich in Wahrheit ohne das Fugen-S auskommen und heißt tatsächlich 'Davidwache'. Ansonsten machen Roland und Menge die Vorturner für alles, was in den folgenden zehn Jahren von Olsen & Co. über die Hansestadt produziert werden sollte. Was "Polizeirevier Davidswache" mit seinen späteren Nachfolgern verbindet, ist die Mischung aus rauer Herzlichkeit, mit dem das anrüchige, aber eben irgendwie doch urige Lokalkolorit gewürdigt wird und spießbürgerlicher Widernis - man geht ja doch mal drüber, wenn man schon in Hamburg ist, ist aber doch froh, bald darauf wieder in der Bahn Richtung Hotel zu sitzen und das hier geschilderte Nachtleben nicht aus der Nähe miterleben zu müssen. Dabei ist die flickwerkartig erzählte Geschichte ganz vortrefflich vorgertragen; die Toleranzschwelle der hier arbeitenden Beamten ist hoch, ebenso wie der allgemeine Sinn für funktionelle Koexistenz. Es sind dann schon eher die allabendlich einfallenden Legionen besoffener Amüsiertouristen, die zwar Geld, aber oft auch Ärger mit sich bringen. Bruno Kapp jedenfalls findet sich nach dem rein gewinnorientierten Mord an einer Hure (Silvana Sansoni) bald vom gesamten Kiez geächtet und bekommt dies auch zu spüren. Dennoch wird am Ende nicht er das Opfer einer fehlgeleiteten Racheaktion. Schriftliche Inserts protzen damit, mit dem soeben präsentierten Film eine authentische Geschichte vorzulegen und ebendas macht ja den Charme der kurzlebigen, aber eruptiven Kiez-Film-Welle aus: Der Anspruch, Realität zu reproduzieren, in Wahrheit aber doch bloß Fantasiegebilde zu unterfüttern.

8/10

Jürgen Roland Wolfgang Menge Hamburg St. Pauli Kiez Prostitution Rache





Filmtagebuch von...

Funxton

    Avanti, Popolo

  • Supermoderator
  • PIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIP
  • 8.268 Beiträge

Neuste Kommentare