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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0





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DETACHMENT (Tony Kaye/USA 2011)



"We're failing."

Detachment ~ USA 2011
Directed By: Tony Kaye

Der von einer trüben Vergangenheit heimgesuchte Vertretungslehrer Henry Barthes (Adrien Brody) kommt an eine Brennpunkt-High-School am organisatorischen Scheideweg. Während Barthes sich alle Mühe gibt, seinen Schülern ein respektabler Lehrer zu sein, lernt er außerhalb der Bildungsanstalt die junge Prostituierte Erica (Sami Gayle) kennen und müht sich damit ab, ihr Schutz und Geborgenheit zu geben, derweil sein Großvater (Louis Zorich) in einer betreuten Wohnstation vor sich hin siecht.

Der 'substitute teacher' ist in den USA ein dauerhafter Beruf. Die Kollegen tingeln im Lande umher und springen für einen kurz- bis mittelfristigen Zeitraum für dauerhaft erkrankte Lehrkräfte ein, um sich daraufhin einer neuen Schule zuzuwenden. Was sich bei uns zulande 'Vetretungspool-Lehrer' schimpft, bildet hier lediglich eine Zwischenstation auf dem Karriereweg zu Festeinstzellung und Verbeamtung. Nicht so in Übersee - für Henry Barthes, der ebendiesen besonderen Berufszweig ausfüllt, erweist sich seine Stellung als privates Basisproblem, denn das, was er braucht, kann ihm gerade diese Art der Berufsausübung nicht geben: Stabilität und Kontinuität.
Wer sich "Detachment" aussetzt, sollte gewappnet sein: Ein finstererer Film ist mir seit langem nicht untergekommen. Das von Scriptautor Carl Lund und Tony Kaye transportierte Weltbild ist ein nachgerade fatalistisches; in ihrem hier vorgestellten Mikrokosmos sind Philanthropen und Altruisten die zur Höchststrafe Verurteilten in einer gleichgültigen Realität. Als "Belohnung" für ihr Engagement bekommen die Großherzigen noch permanente Ohrfeigen von allen seiten; Bindungsangst und Einsamkeit sind die privaten Folgen. Henry Barthes steht mittendrin im Brennpunkt. Seine Mutter (Reagan Leonard) hat dereinst Selbstmord begangen, höchstwahrscheinlich, weil sich ihr Vater an ihr vergangen hat. Für den alten Mann, der sich seinen Frevel (zu Recht) selbst nie vergeben konnte, bildet Henry derweil den letzten Draht zum Leben. Die junge Erica ist durch ihre Karriere emotional abgestumpft und Henrys Engagement für sie führt nur zu weiteren Problemen, da eine dauerhafte Freundschaft keine Lösung darstellen kann. In der Schule findet sich ein zwischen hochneurotisch, repressiv und resignativ umheroszillierendes Kollegium. Die langjährige Schulleiterin (Marcia Gay Harden) wird zwangsretiriert, weil sie, so versichert man ihr, in ihrem Beruf versage, der älteste Kollege (James Caan) kokettiert damit, von Psychopharmaka abhängig zu sein, die Berufsberaterin (Lucy Liu) verzweifelt jeden Tag ein Stückchen mehr und Mr. Wiatt (Tim Blake Nelson) steht kurz vorm Durchdrehen. Natürlich muss sich "Detachment" den Vorwurf gefallen lassen, hier und da zu überzeichnen - soviel Unbill tritt wohl niemals am Stück auf. Aber: Er ist auch ein unbestechliches Sammelsurium der Wahrheiten und des ungeschönten Realismus. Vieles von dem, was ich in "Detachment" gesehen habe, habe ich in meiner noch relativ jungen Lehrerkarriere bereits selbst in ähnlicher Form erlebt, trotz der anderen Schulform und trotz der sich unterscheidenden Bildungsstandards. Im Grunde stechen wir, die Spezies Lehrer, doch alle in einem riesigen globalen Sack, in dem, unentwegt mit dem Knüppel drauf eingedroschen, früher oder später jeder mal erwischt wird. Insofern: Danke an Tony Kaye für seinen überaus empathischen Film.

9/10

Tony Kaye Schule Lehrer Freundschaft



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Funxton

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