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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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AIRPORT 1975 (Jack Smight/USA 1974)


"My life's a surprise, one surprise after another."

Airport 1975 (Giganten am Himmel - Airport '75) ~ USA 1974
Directed By: Jack Smight

Auf dem Weg von Washington D.C. nach Los Angeles kollidiert ein Boeing-747-Passagierflugzeug mit 120 Fluggästen an Bord frontal mit einer Privatmaschine, deren Pilot (Dana Andrews) eine Herzattacke erlitten hat. Zwei der Piloten (Roy Thinnes, Erik Estrada) sterben bei dem Unfall, der dritte (Efrem Zimbalist jr.) wird schwer verletzt. Nun ist es an der tapferen Stewardess Nancy Ryor (Karen Black), die Boeing so lang in der Luft zu halten, bis der Bodencrew eine Lösung einfällt. Diese naht in der Person von Nancys Wochenend-Lover, des heldenhaften Alan Murdock (Charlton Heston)...

Die vielen Katastrophenfilme der siebziger Jahre sind ja vor allem eines: Ein markanter Hilferuf der angesichts von New Hollywood ratlosen Filmstudios, die versuchten, mit derlei Edeltrash den seltsam existenzialistischen Strömungen, die all die vollbärtigen Filmstudenten und Autoren urplötzlich als status quo hinstellten, Paroli zu bieten. Die Rezeptur war dabei stets dieselbe: Ein Altstar-Aufgebot, wie es zwanzig, dreißig Jahre zuvor undenkbar gewesen wäre, wurde Seite an Seite mit TV-Serien-Darstellern von heute herbeizitiert; große Namen von güldenem Klang säumten die credits neben unbedeutenden Vertragsakteuren und ein zwar arrivierter, jedoch noch nicht ganz so alter Spund hatte die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Während die Fox den megalomanisch veranlagten Irwin Allen für sich tanzen ließ, setzte Universal auf ein bereits etabliertes trademark: Arthur Haileys Roman "Airport" hatte bereits 1970, als noch alle unwissenderdings glaubten, ein 'disaster movie' sei so etwas wie ein Megaflop Marke "Cleopatra", für volle Kassen gesorgt - vier Jahre später wurde jener Titel dann im Zweijahrestakt weiterverbraten. Losen inhaltlichen Zusammenhalt erfuhr die gesamte Serie durch den stets wiederkehrenden Charakter des von George Kennedy gespielten Ingenieurs Joe Patroni, der dafür bürgte, dass man es auch wirklich mit einem waschechten "Airport" zu tun hatte.
"Airport 1975" kann niemand, der irgendwann einmal "Airplane!" des ZAZ-Trios gesehen hat, mehr für voll nehmen. Speziell dieses erste Sequel um thermische Nöte wurde darin nämlich gnadenlos gespooft, das nierenkranke Teenager-Mädchen, die Klampfe spielende Nonne - sie alle finden sich in Smights unverfroren kitschiger Luttragödie. Dazwischen hat man das Vergnügen mit diversen Früh-ProtagonistInnen des Golden Studio Age, angesichts deren Auftritten man etwas verwundert ist, dass die anno 74 überhaupt noch lebten, geschweige denn so luftdicht geschminkt werden konnten. Nerben dem erwähnten Andrews ist Myrna Loy mit an Bord und sogar Gloria Swanson, die sich selbst spielt. Faszinierende Randerscheinungen der Filmhistorie.

6/10

Jack Smight Sequel Flugzeug Luftfahrt


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MARY REILLY (Stephen Frears/USA 1996)


"I always knew you'd be the death of us."

Mary Reilly ~ USA 1996
Directed By: Stephen Frears

Im London der 1880er Jahre erhält die als Kind schwer misshandelte und somit stark traumatisierte Mary Reilly (Julia Roberts) eine Anstellung als Hausmädchen bei dem renommierten Arzt Dr. Jekyll (John Malkovich). Die ebenso liebenswerte wie linkische Art des seltsamen Medziners fasziniert Mary und alsbald entsteht ein wechselseitiges, zartes Vertrauensverhältnis, das der Rest des Gesindes, allen voran der misstrauische Poole (George Cole), eher kritisch beäugt und das auf eine zusätzlich harte Probe gestellt wird, als Jekylls neuer Assistent, ein gewisser Mr. Hyde (John Malkovich), im Hause zu verkehren beginnt...

Nachdem bereits "Dracula" und "Frankenstein" durch Coppola und Brannagh zu Beginn respektive gegen Mitte der Dekade zeitgemäß konstruierte Neuinterpretationen im Kino erfahren hatten, kam mit dem vordergründig unscheinbar betitelten "Mary Reilly" auch die klassische Mär von Dr. Jekyll und Mr. Hyde zu aufgefrischten Ehren, allerdings in einer bereits literarisch umstrukturierten Variation, die ich allerdings stets sehr mochte. Hierin wechselt die Erzählperspektive zugunsten des von der Autorin Valerie Martin eigens neu eingeführten Hausmädchens Mary Reilly, eines ebenso verhuschten wie zartfühlenden Geschöpfes, das, ebenso wie der Hausherr, höchst abseitige libidinöse Untiefen beherbergt. Anders als im altbekannten Kontext, demzufolge Jekyll seine animalische Seite zu befreien trachtet und deshalb Mr. Hyde freisetzt, deutet Martin das Bedürfnis des Doktors nach innerer Befreiung als Resultat einer schweren Depression gekoppelt mit bleierner Todessehnsucht. Hyde ist hierin also eher die Entsprechung eines selbstzerstörerischen Geistes. Auch die Titelfigur ist ein Musterexempel für freudianische Analysierorgien; offenbar hat die einstmalige Misshandlung durch ihren versoffenen Vater (James Gambon) eine leichte Note masochistischer Unterwürfigkeit bei ihr hinterlassen, die sich in einer ihr selbst unerklärlichen Schwäche für Mr. Hyde manifestiert und sie in Verbindung mit ihren rational erklärbaren Gefühlen für Dr. Jekyll zu einer vollständigen Liebenden macht. Leider findet dieses im Grunde ideale Paar nicht zusammen, denn die Geschichte endet, wie sie eben endet - jedoch deutlich romantischer als gewohnt.

8/10

Stephen Frears Jekyll und Hyde London amour fou Victorian Age Serienmord period piece Madness mad scientist


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RICCO (Tulio Demicheli/I, E 1973)


Zitat entfällt.

Ricco (Der Clan der Killer) ~ I/E 1973
Directed By: Tulio Demicheli

Als der delinquente Turiner Ricco (Chris Mitchum) aus dem Knast entlassen wird, muss er feststellen, dass sein Vater (Luis Induni), einer der obersten Syndikatschefs von Turin, von einemr Konkurrenten ermordet wurde. Außerdem hat sich der für ebendiese Tat primär in Frage kommende Don Vito (Arthur Kennedy) Riccos Liebchen Rosa (Malisa Longo) unter den Nagel gerissen. Mithilfe des mysteriösen Cyrano (Eduardo Fajrdo) und eines alternden Geldfälschers (Tomás Blanco) beginnt Ricco einen Kleinkrieg gegen Don Vito, der sich in immer eskalierendere Höhen schraubt...

Ganz vortrefflicher Gangsterkracher aus der imediterranen Blütezeit des Genres, der mit einer internationalen Besetzung, die den wie üblich schelmisch grinsenden Mitchum-Filius Christopher mit Pisspott-Frisur und einen gewohnt souverän agierenden Arthur Kennedy verbuchen kann. Daneben gibt es launigen Sex und einige für die damalige Zeit Aufsehen erregende Gewaltspitzen, die neben anderen üblen Mordpraktiken auch einen Säurekessel beinhalten, der sogar gut genug war, um den amerikanischen Titel ("The Cauldron Of Death") zu stiften. Besonders gegen Ende geht es derb zur Sache und Ricco sieht sich gezwungen, Rache auf italienisch zu üben, wobei sein eigenes Leben gleich im Vorhinein verwirkt ist. Das Unkraut rottet sich gegenseitig aus und die zuvor noch mahnende Polizei muss nurmehr die Leichensäcke stiften.
Die Motivlage des Films um rivalisierende Kriminelle und ihre Parajustiz ähnelt ziemlich der des Spaghetti-Western, aus dem ein im Prinzip typischer Plot in die Gegenwart und zurück in die alte Welt transferiert wurde. Die spätere, oftmals systemkritische Komponente des Genres, die etwa Polizeikorruption und Machthierarchien sezierte, fehlt bei Demicheli noch. Dafür bietet er ehrliches, knackiges Handwerk ohne falschen Stuck.

7/10

Tulio Demicheli Sleaze Europloitation Turin Rache Selbstjustiz


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BLACK SHAMPOO (Greydon Clark/USA 1976)


"So you're that hairbender..."

Black Shampoo ~ USA 1976
Directed By: Greydon Clark

Mr. Jonathan (John Daniels) besitzt nicht nur einen funky barbershop, er steht im Hinterzimmer desselben auch vornehmlich weißen, gut betuchten und einsamen Damen mit speziellen, alternativen Dienstleistungen zur Verfügung. Wirklich verliebt ist er allerdings in seine neue Empfangsdame Brenda (Tanya Boyd), eine echte Gazelle vor dem Herrn. Doch Tanya ist leider auch die Ex von Gangsterboss Mr. Wilson (Joe Ortiz) und selbiger lässt sich nicht gern die Fäden aus der Hand nehmen. Also verbimst er Jonathans Friseur Artie (Skip E. Lowe) und lässt den Laden zu Klump hauen. Brenda ist derweil nicht faul und tut so, als käme sie zu Wilson zurück - nur um ihm dessen Terminkalender zu klauen, der Wilsons sämtliche kriminellen Aktivitäten offenbart. Der Fiesling lässt sich selbiges nicht gefallen und es geht Mann gegen Mann...

Hal Ashbys "Shampoo" ist eine hellsichtige New-Hollywood-Komödie um einen straighten hairdresser on fire, dessen Gigolo-Qualitäten ihn noch um einiges erfolgreicher agieren lassen. Auf der Suche nach fruchtbar zu plagiierenden Topoi stieß das Blaxploitation-Kino dann irgendwann auf Ashbys Society-Satire und funktionierte sie zu einem veritablen, kleinen B-Klassiker um, der in seinen intellektuell eingeschränkten Grenzen durchaus für sich bestehen kann. Der zunehmend sleaziger werdende Habitus jener Subkategorie bediente sich darin wesentlich offenherzigerer Sex-Elemente, die den Film besonders im ersten Drittel hier und da wie einen Softporno wirken lassen, um später deutlich handfester Crime-Elemente in den Vordergrund zu rücken. Der Showdown schließlich macht Gebrauch von Kettensäge, Beil und Billard-Queue als tötliche Waffen und auch sonst keine Gefangenen. Mancher Szenenwechsel wird schnieke eingeleitet durch Einfrier- und Negativierungstechniken, was den Streifen zusätzlich hip erscheinen lässt, hinzu kommt eine erstklassige deutsche Synchronfassung aus München. Interessant ferner, dass ein schwules Tuckenpaar ausgerechnet in diesem sonst eher testosteronträchtig-homophoben Milieu als Sympathieträger und hero's best friends auftaucht, noch interessanter Clarks unbestechliches Auge bei der Besetzung des sich zu entkleidenden Weibsvolks. Tanya Boyd jedenfalls ist nichts weniger denn atemberaubend.

6/10

Greydon Clark Los Angeles Kalifornien Blaxploitation Sleaze


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THE INVISIBLE MAN'S REVENGE (Ford Beebe/USA 1944)


"You've got to believe what you can't see!"

The Invisible Man's Revenge (Der Unsichtbare nimmt Rache) ~ USA 1944
Directed By: Ford Beebe

Der einst in Afrika zurückgelassene, totgeglaubte Abenteurer Robert Griffin (Jon Hall) kommt zurück nach England, um sich den rechtmäßigen Anteil am von ihm und dem Ehepaar Herrick (Gale Sondergaard, Lester Matthews) entdeckten Diamantenfeld zu sichern. Die Herricks jedoch wollen sich des ungehalten auftretenden Griffin sogleich wieder entledigen, was diesen nur noch mehr in Rage versetzt. Per Zufall gerät er an Dr. Drury (John Carradine), der ein Unsichtbarkeitsserum erfunden hat und es sogleich an Griffin testet. Dieser dreht daraufhin endgültig durch, schreckt auch vor Mord nicht zurück und drangsaliert die Herricks im eigenen Hause.

Der finale Eintrag in Universals "Invisible"-Reihe nach vier Vorgängern ("The Invisible Woman" folgt an dieser Stelle noch in Kürze) liebäugelt deutlich manifester als bislang gewohnt mit den campigen Subebenen, die dem Archetypus einer Geschichte um unsichtbare Irre wohl wesentlich innewohnt. Wiederum ist John Hall in der Rolle der Titelfigur zu sehen; er trägt wie der originale Unsichtbare den Familiennamen Griffin, wenngleich dies im vorliegenden Falle wohl eher auf reinen Zufall, respektive stoische Rechtenutzung oder auch eine Laune des Scriptautoren zurückzuführen ist. Robert Griffin ist nämlich kein Chemiker, sondern ein eher unterbelichteter Instinkttyp, dessen Gier und Rachegelüste ihm die unflätigsten Flausen in den Kopf setzen. Als (slightly mad) scientist ist stattdessen der ehrwürdige John Carradine zu bewundern, der unsichtbare Haustiere hält und mit dem Feuer spielt, als er Griffins Ehrgeiz, seinen Mut unter Beweis zu stellen, bei der Wurzel packt.
Ich fand dieses letzte Sequel, das, die Dart-Sequenz verrät's - auch Carl Gottliebs vortrefflichen "Amazon Women On The Moon"-Beitrag "Son Of The Invisible Man" primär inspiriert haben dürfte, wieder etwas unterhaltsamer als den Vorgänger "Invisible Agent". Wahrscheinlich war der Agent mir schlicht nicht wahnsinnig genug.

7/10

Ford Beebe Unsichtbarkeit Sequel Madness Univeral-Monster


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THE INVISIBLE MAN RETURNS (Joe May/USA 1940)


"I'd like me to know what that invisible man looks like..."

The Invisible Man Returns (Der Unsichtbare kehrt zurück) ~ USA 1940
Directed By: Joe May

Der Mineneigner Geoffrey Radcliffe (Vincent Price) wartet in der Todeszelle auf seine Hinrichtung: Er soll seinen Bruder Michael ermordet haben, ein Verbrechen, dessen er freilich unschuldig ist. Um Geoffrey die Möglichkeit zur Flucht zu geben, verabreicht ihm sein bester Freund Frank (John Sutton), Bruder des einst wahnsinnig gewordenen Jack Griffin, dessen legendäres Unsichtbarkeitsserum. Geoffrey kann entkommen und sogar seinen Kompagnon Richard (Cedric Hardwicke) als wahren Mörder entlarven, doch es dauert nicht lang, bis sich auch bei ihm die unerwünschte Nebenwirkung des Mittels bemerkbar macht: Größenwahn und gewalttätige Tendenzen. Und Frank hat noch immer kein Gegenmittel entwickelt...

Schönes, sorgfältig und witzig gefertigtes Sequel zu Whales exzellenter Wells-Adaption "The Invisible Man", im Gegensatz zu den meisten anderen Universal-Monster-Franchises (mit Ausnahme der "Mummy"-Fortsetzungen) erst mit einiger Verspätung gestartet. Dabei steckt doch hinreichend erkennbares Potenzial in der Mär des unsichtbaren Mannes, der über den Gebrauch des Mittels dem schleichenden Irrsinn anheim fällt und seine Fähigkeiten nutzt, um Böses zu tun. Im Grunde eng verwandt mit dem "Jekyll/Hyde"-Motiv, zaubert auch die Unsichtbarkeit auf der Leinwand klassischerweise die 'Es'-Instanz des steifen Biedermannes hervor und lässt diese nach und nach die Oberhand ergreifen. In "The Invisible Man Returns", in dem sich die Griffin-Familie durch die heldenhaften Bemühungen des Doktors sozusagen rehabilitiert findet, ist der Wettlauf um die Suche nach dem Antidot zugleich auch ein Kampf um Geoffrey Radcliffes geistige Gesundheit. Immerhin wartet eine schöne Verlobte (Nan Grey) ebenso auf ihn wie der juristische Freispruch. Und der Tradition folgend wird auch Vincent Prices Antlitz erst in den letzten Sekunden sichtbar.

8/10

Joe May Curt Siodmak Universal-Monster Unsichtbarkeit Sequel Madness


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PRISONERS (Denis Villeneuve/USA 2013)


"They only cried when I left them."

Prisoners ~ USA 2013
Directed By: Denis Villeneuve

Anna (Erin Gerasimovich) und Joy (Kyla Drew Simmons), die beiden kleinen Töchter der befreundeten Ehepaare Dover und Birch, werden auf offener Straße von unbekannter Hand entführt und verschwinden spurlos. Für den verzweifelten Keller Dover (Hugh Jackman), Annas Dad, steht ohne Umschweife fest, wer die Mädchen verschleppt hat: Der geistig minderbemittelte Alex Jones (Paul Dano), der nach vielen Stunden erfolgloser Vernehmung durch den ermittelnden Detective Loki (Jake Gyllenhaal) wieder freigelassen wird, muss der Täter sein. Keller entführt seinerseits Alex, versteckt und foltert ihn über mehrere Tage mit dem Ziel, etwas über den Aufenthaltsort der Mädchen zu erfahren und erhält tatsächlich immer wieder kleine Hinweise seitens des Jungen, die seine Vermutung, er stecke hinter der Sache, untermauern. Doch die Zeit läuft allen davon...

Ein vergleichsweise kerniger Thriller, der zumindest ein bisschen etwas (nämlich genau so viel, wie es für ein kalkuliertes Mainstream-Publikum zulässig ist) von der in den letzten Jahren durch die Indie-Genre-Welt wehenden Transgressivität der vielen Selbstjustiz-, Rache- und Folterfilme mit in die Multiplexe nimmt. Wer entsprechende Erfahrungen gesammelt hat, für den ist "Prisoners" unter Umständen betreffs seiner Gestaltung kaum mehr als ein kommerziellerer Wurmfortsatz; ich selbst habe von mehreren befreundeten Kinogängern gehört, die meinten, wie 'shocking' und spannend er sei. Die Wahrheit liegt wie immer wohl irgendwo dazwischen. Dem halbwegs mit den narrativen Mechanismen des Erählkinos vertrauten Zuschauer wird recht schnell deutlich, wer der wahre Urheber der den Nukleus vorgebenden Kindesentführung ist (wenngleich dessen - übrigens ziemlich hanebüchen kreierte - Motivation wie gewohnt erst im handelsüblichen Finale erläutert wird). In diesem Punkt ist also nicht viel zu holen. Es lässt sich wohl auch vortrefflich über die, sich zweifellos als solche zu erkennen gebende, Glaubwürdigkeit des Storykonstrukts diskutieren, ebenso wie die scheinbare Notwendigkeit, ein inhaltlich nicht besonders komplexes Kriminaldrama über die Erzähldistanz von zweieinhalb stunden zu schleppen. Aber ich mag ja gar nicht bloß meckern; Villeneuves Film ist insgesamt okay, seine Inszenierung sogar tadellos; er hält einen trotz aller Kritik am Gesamtkonstrukt unentwegt bei der Stange, wähnt sich bloß deutlich wichtiger, als er es letzten Endes wirklich ist.

7/10

Denis Villeneuve Kidnapping Familie Georgia Südstaaten Winter


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SEARCH AND DESTROY (William Fruet/CA, USA 1979)


"Won't you interject them?" - "The hell I will!"

Search And Destroy (Der Mann, der aus dem Dschungel kam) ~ CA/USA 1979
Directed By: William Fruet

Einst von seiner aus Green Berets bestehenden Eskorte im Stich gelassen, weil sie seinen Egoismus verabscheuten, sucht ein südvietnamesischer Offizier (Jong Soo Park) zehn Jahre nach dem Kriegseinsatz vor Ort Rache bei den Schuldigen. Nachdem er bereits zwei der Veteranen getötet hat, stößt er auf die Freunde Buddy Grant (Don Stroud) und Kip Moore (Perry King), die in Niagara Falls als Mechaniker arbeiten. Nachdem der Attentäter Buddy angeschossen und fast zu Tode geprpügelt hat, ist Kip klar, dass er den Fanatiker nurmehr im Duell Mann gegen Mann stellen muss. Die örtliche Polizei, allen voran Sheriff Fusqua (George Kennedy), steht den Ereignissen eher hilflos gegenüber.

Was ein wunderbar knackiger Action-Exploiter hätte sein mögen, nimmt sich bei Fruet eher harmlos und auch ein wenig verschenkt aus. Anders als etwa Paul Schrader und John Flynn, die mit "Rolling Thunder" zuvor einen wahrlich deftigen Heimkehrer-Knaller gemacht hatten und von den vielen, vielen "Nachfolgern", allen voran "The Exterminator", gar nicht zu sprechen, bleibt "Search And Destroy" harmlos in seinem Habitus; es wird über den Krieg gesprochen, jedoch weniger als Neurosen- und Trauma-Verursacher, sondern vielmehr als Möglichkeit, dem Es freien Lauf zu lassen - gerade die Möglichkeit der kombattanten Anarchie habe ihn damals gereizt, konstatiert Kip Moore im Gespräch mit seiner ratlosen Freundin Kate (Tisa Farrow). Der vietnamesische Racheengel personfiziert derweil das (inhaltlich immens konstruierte), symbolische Echo des überflüssigen US-Engagements ind Südostasien, den Konterschlag auf die imperialistische Arroganz einer Großmacht. Man hätte ihm mehr Erfolg gewünscht bei seiner Mission.

5/10

William Fruet Vietnamkrieg Niagara Veteran Duell Rache


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EMBRYO (Ralph Nelson/USA 1976)


"No. Don't."

Embryo ~ USA 1976
Directed By: Ralph Nelson

Der Genetik-Wissenschaftler Paul Hollison (Rock Hudson) fährt nachts auf regennasser Straße eine trächtige Dobermann-Hündin an. Das Tier stirbt, doch Hollison gelingt es, einen der Föten mithilfe einer von ihm entwickelten, placentalen Lösung außerhalb des Mutterleibs am Leben zu erhalten. Binnen einer Rekordzeit von wenigen Tagen entwickelt sich das kleine Wesen nicht nur zu einem ausgewachsenen, prächtigen Hund, sondern erweist sich zudem als hyperintelligent, lernbegierg und vor allem von insgeheim grausamem Wesen. Hollison beschließt, dasselbe Experiment mit einem menschlichen, weiblichen Embryo durchzuführen. Er erhält ein Versuchsobjekt, dessen Mutter Selbstmord begangen hat. Auch hier gelingt die Anordnung mit derselben Rasanz wie bei der 'No. 1' getauften Hündin. 'Victoria' (Barbara Carrera) wächst rasch zur erwachsenen, superintelligenten Schönheit heran. Hollison gibt sie als Assistentin aus und verliebt sich in sie, derweil Victorias Alterungsprozess nach wenigen Tagen Pause wieder rapide einsetzt. Um zu überleben, benötigt sie die Zellen eines sechs Monate alten Fötus. Und ausgerechnet Hollisons Schwiegertochter (Anne Schedeen) ist just in der passenden Schwangerschaftswoche...

Wie viele eigentlich keinem Genre direkt verpflichteten Filmemacher versuchte sich auch Ralph Nelson Mitte der Siebziger an einem phantastischen Stoff: Ein Retortenbaby, äußerlich und innerlich perfekt, dabei jedoch zugleich von folgerichtiger emotionaler Kälte, wird zur femme fatale, die um des eigenen Überlebens Willen die Familie ihres "Erschaffers" zerstört. Erst viel zu spät erkennt Paul Hollison, der sich von der faszinierenden Schönheit und Intelligenz Victorias blenden ließ, welch gottlosen Fehler er gemacht hat und versucht hernach mit aller Vehemenz, diesen wieder auszuwetzen. Hierin liegt zugleich auch die Unentschlossenheit des ansonsten durchaus respektablen Films: Er findet keine vollwertige Balance zwischen seinem grellen Horrorthema einerseits und dem Drama des frankenstein'schen Geschöpfs andererseits. Wie alle Homunculi in Literatur und Film will Victoria lediglich das, was ihr von der Sekunde ihrer "Geburt" an metamoralisch zusteht: Mehr Leben. Dass sie, um sich jenes anzueignen, Schritte unternehmen muss, die andere Existenzen gefährden, ist weniger einem wie auch immer gearteten, bösartigen Naturell zuzuordnen, sondern ihrer emotionalen Ungeschliffenheit: Durch ihren überlegenen Genotyp ist Victoria zwar in der Lage, sich körperlich und geistig bis zur Vollkommenheit zu entwickeln, ihre Fähigkeit zur Empathie, zu emotionaler Reife somit, muss jedoch im Stadium eines eine Woche alten Kindes verbleiben. Folglich bleibt Nelson seinem Publikum vor allem zum Ende hin die Frage schuldig, ob er eher klassischen SciFi-Horror oder ein fortschrittskritisch-existenzialistisches Drama intendierte.

6/10

Ralph Nelson amour fou mad scientist Hund Schwangerschaft Experiment Genforschung


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AGAINST THE WALL (John Frankenheimer/USA 1994)


"Hot soup, ya white monkey!"

Against The Wall ~ USA 1994
Directed By: John Frankenheimer

September 1971: Zeitgleich kommen Michael Smith (Kyle MacLachlan) und Jamaal X (Samuel L. Jackson) im Hochsicherheitsgefängnis Attica, New York an - Smith als neuer Aufseher, X zum wiederholten Mal als Sträfling. Michaels Anstellung bedient eine familiäre Tradition: Auch sein Vater (Harry Dean Stanton), jetzt Kneipier im angrenzenden Ort, arbeitete einst hier; Michaels Onkel Ed (Tom Bower) ist jetzt noch in Attica beschäftigt. Nur wenige Tage nach Michaels Berufseinstand kommt es zu einer Gefängnisrebellion, bei dem die überwiegend hispanischen und schwarzen Insassen fast die komplette Anstalt über- und die meisten Aufseher, darunter auch Michael und Ed, als Geiseln nehmen. Bevor ihre Forderungen nach Generalamnestie und besseren Haftbedingungen angenommen werden können, bringt die Nationalgarde den Aufstand zu einem blutigen Abschluss.

Eine von Frankenheimers TV-Arbeiten, in ihrer Kompromisslosigkeit, Härte und tendenziösen Orientierung vielleicht zu unbequem fürs Kino. Der Privatsender HBO, der zu dieser Zeit häufiger mit kontroversen und auch Genre-Stoffen experimentierte, ließ Frankenheimer die nötigen Freiheiten, um seine Aufbereitung des authentischen Attica-Aufstands adäquat wiedergeben zu können. Mit einleitenden Bildern der unmittelbaren historischen Vorgeschichte, die die Ermordungen Bobby Kennedys und Martin Luther Kings beinhalten sowie Impressionen von Vietnam, Kent State, Watts, den Black Panthers und Malcolm X, verdeutlicht "Against The Wall" gleich zu Beginn, dass hierin eine Ära porträtiert wird, in der es brodelte, und zwar gewaltig, unübersehbar und allerorten. Und wie die meisten Anti-Establishment-Strömungen wurde auch Attica gewaltsam von den Autoritäten niedergerungen, ohne Rücksicht auf Verluste selbst unter den Geiseln. Die Beziehung zwischen den beiden Antagonisten Michael Smith und Jamaal X rückt vor diesem Hintergrund auf ein zunehmend verständiges Level; durch zumindest ansätzliches Begreifen de anderen verschiebt sich ihre jeweilige Perspektive schleichend in die Grauzone der Empathie. Eine großartige Besetzung, die ganz besonders durch Clarence Williams III und Frederic Forrest aufgewertet wird, trägt das ambitionierte Projekt noch zusätzlich. Leider entpuppt sich die deutsche Synchronisation rasch als ein Debakel. Daher sollte man, wenn möglich, um des unbeschwerten Genusses Willen den Originalton vorziehen.

8/10

John Frankenheimer period piece Gefängnis Historie New York Aufstand Rassismus HBO TV-Film





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Funxton

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