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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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ZULU (Cy Endfield/UK 1964)


"Why is it us? Why us?" - "Because we're here, lad. Nobody else. Just us."

Zulu ~ UK 1964
Directed By: Cy Endfield

Nach der vernichtenden Schlacht von Isandhlwana im Januar 1879 rückt eine Abteilung Zulu-Krieger gegen eine kleine Missionsstation bei Rorke's Drift vor, die von knapp 140 Briten, darunter auch Verletzte und Arretierte, gehalten wird. Unter herben Verlusten bewältigen die Soldaten das Unglaubliche: Sie verteidigen das Areal erfolgreich gegen 4000 Zulu, die sich nach rund 36 Stunden Belagerungs- und Stellungskrieg schließlich unter lautstarker Ehrerbietung ihrer Feinde geschlagen geben und zurückziehen.

Der unabhängig produzierte "Zulu" markiert einen großen Meilensrein des britischen Kinos, das sich mit diesem Film in der Tadition der Kordas und der von Powell/Pressburger neuerlich erfolgreich mühte, an Hollywood-Standards zu kratzen und auch einmal abseits von einem David Lean großes und edles Historienkino auf Weltniveau zu kredenzen. In gebührender Breite und mit allem gebotenen Glanz und Gloria berichtet "Zulu" von der Zähigkeit einiger weniger Soldaten, die in einen unerklärten Krieg verwickelt werden, mit dem sie nur insofern zu tun haben, als dass ihre eigene Armee ihn sinnloserweise angezettelt hat und es nunmehr mit den unabwendbaren Konsequenzen zu tun bekommen. Dem strategischen Geschick und der Unerbittlichkeit der im Kampf eigentlich unerfahrenen Offiziere Bromfield (Michael Caine) und Chard (Stanley Baker) ist es letzten Endes zu verdanken, dass die Briten als Sieger aus jenem Scharmützel hervorgehen. Endfield inszeniert die klaustrophobische Spannung, die dieser eigentlich hoffnungslosen Situation auf britischer Seite innewohnen musste, mit allem gebührenden dramaturgischen Geschick, lässt hinreichend Platz für ausführliche Charakterzeichnung und malt seine Bilder in leuchtenden Farben, flankiert von John Barrys famoser Musik.
Gibt nichts, was an diesem Meisterstück zu optimieren wäre; es ist und bleibt in seiner beeindruckenden Form perfekt.

10/10

Cy Endfield Historie period piece Kolonialismus Afrika Südafrika


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ZULU DAWN (Douglas Hickox/UK, SA, NL 1979)


"Bullets run out... and those bloody spears don't."

Zulu Dawn (Die letzte Offensive) ~ UK/SA/NL 1979
Directed By: Douglas Hickox

Im Januar 1879 greifen die Briten von Natal aus die benachbarte Zulunation an, weil sich deren König Cetshwayo (Simon Sabela) beständig weigert, seine bedrohliche Truppenstärke herabzusenken. Der unerklärte Krieg der Imperialmacht findet für die zahlenmäßig völlig unterlegenen Briten mit der Schlacht von Isandhlwana eine vorläufige, pompöse Niederlage, die mit der nahezu ölligen Aufreibung der Garnisonen des arroganten Lord Chelmsford (Peter O'Toole) endet.

Pünktlich zum einhundertsten Geburtstag des Zulu-Kriegs lieferte Douglas Hickox mit "Zulu Dawn" ein spektakuläres Prequel zu Cy Endfields 15 Jahre älterem "Zulu", der die kurz auf Isandhlwana folgende Schlacht bei Rorke's Drift thematisiert hatte. Im Gegensatz zu Endfields Film verfolgt "Zulu Dawn" die Chronik eines irrwitzigen Angriffs, der aus purer kolonialistischer Arroganz heraus geführt wird und mit einem verdienten Debakel für die königliche Armee endet - sofern man den Begriff 'verdient' angesichts der gigantischen Verlustzahlen, die jene Kämpfe mit sich brachten, überhaupt verwenden darf. Immerhin ging mit Chelmsford einer der strategischen Hauptinitiatoren jener militärischen Fehloperation als späterer Sieger nach der siegreichen Schlacht um Ulundi, der Hauptstadt des damaligen Zululandes, hervor. Hickox' prächtiges Epos scheut sich nicht davor, bar jeder Geschichtsklitterung den ungeheuerlichen Hochmut, der das Empire zu weiteren Eroberungen trieb, zu porträtieren und glänzt neben seiner formalen Reife mit einer vorzüglichen Besetzung, die neben dem erwähnten O'Toole auch Burt Lancaster, Simon Ward, Denholm Elliott und Phil Daniels aus "Quadrophenia" präsentiert. Ausgezeichnetes Geschichtskino!

8/10

Douglas Hickox period piece Historie Afrika Südafrika Kolonialismus Prequel


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PRISONERS (Denis Villeneuve/USA 2013)


"They only cried when I left them."

Prisoners ~ USA 2013
Directed By: Denis Villeneuve

Anna (Erin Gerasimovich) und Joy (Kyla Drew Simmons), die beiden kleinen Töchter der befreundeten Ehepaare Dover und Birch, werden auf offener Straße von unbekannter Hand entführt und verschwinden spurlos. Für den verzweifelten Keller Dover (Hugh Jackman), Annas Dad, steht ohne Umschweife fest, wer die Mädchen verschleppt hat: Der geistig minderbemittelte Alex Jones (Paul Dano), der nach vielen Stunden erfolgloser Vernehmung durch den ermittelnden Detective Loki (Jake Gyllenhaal) wieder freigelassen wird, muss der Täter sein. Keller entführt seinerseits Alex, versteckt und foltert ihn über mehrere Tage mit dem Ziel, etwas über den Aufenthaltsort der Mädchen zu erfahren und erhält tatsächlich immer wieder kleine Hinweise seitens des Jungen, die seine Vermutung, er stecke hinter der Sache, untermauern. Doch die Zeit läuft allen davon...

Ein vergleichsweise kerniger Thriller, der zumindest ein bisschen etwas (nämlich genau so viel, wie es für ein kalkuliertes Mainstream-Publikum zulässig ist) von der in den letzten Jahren durch die Indie-Genre-Welt wehenden Transgressivität der vielen Selbstjustiz-, Rache- und Folterfilme mit in die Multiplexe nimmt. Wer entsprechende Erfahrungen gesammelt hat, für den ist "Prisoners" unter Umständen betreffs seiner Gestaltung kaum mehr als ein kommerziellerer Wurmfortsatz; ich selbst habe von mehreren befreundeten Kinogängern gehört, die meinten, wie 'shocking' und spannend er sei. Die Wahrheit liegt wie immer wohl irgendwo dazwischen. Dem halbwegs mit den narrativen Mechanismen des Erählkinos vertrauten Zuschauer wird recht schnell deutlich, wer der wahre Urheber der den Nukleus vorgebenden Kindesentführung ist (wenngleich dessen - übrigens ziemlich hanebüchen kreierte - Motivation wie gewohnt erst im handelsüblichen Finale erläutert wird). In diesem Punkt ist also nicht viel zu holen. Es lässt sich wohl auch vortrefflich über die, sich zweifellos als solche zu erkennen gebende, Glaubwürdigkeit des Storykonstrukts diskutieren, ebenso wie die scheinbare Notwendigkeit, ein inhaltlich nicht besonders komplexes Kriminaldrama über die Erzähldistanz von zweieinhalb stunden zu schleppen. Aber ich mag ja gar nicht bloß meckern; Villeneuves Film ist insgesamt okay, seine Inszenierung sogar tadellos; er hält einen trotz aller Kritik am Gesamtkonstrukt unentwegt bei der Stange, wähnt sich bloß deutlich wichtiger, als er es letzten Endes wirklich ist.

7/10

Denis Villeneuve Kidnapping Familie Georgia Südstaaten Winter


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THE CHILDREN'S HOUR (William Wyler/USA 1961)


"God will punish you." - "He's doing all right."

The Children's Hour (Infam) ~ USA 1961
Directed By: William Wyler

Die beiden Freundinnen Martha (Shirley MacLaine) und Karen (Audrey Hepburn) führen eine kleine, angesehene Privatschule für Mädchen. Als die trotzige, notorisch verlogene Mary (Karen Balkin) sich ungerecht behandelt fühlt, streut sie das Gerücht, die beiden Lehrerinnen pflegten eine lesbische Beziehung. Für die ebenso wohlhabenden wie konservativen Eltern der Schülerinnen, allen voran Marys Großmutter (Fay Bainter) Grund genug, sämtliche Kinder von der Schule abzumelden. Martha und Karen, die Marys Geschichten vehement leugnen, stehen urplötzlich vor dem Nichts: Ihr Internat muss geschlossen werden und ihr Renommee ist zerstört. Doch liegt in Marys Geschichichte nicht doch ein Funken Wahrheit?

"The Children's Hour" ist vielleicht weniger eine Geschichte über fatalen Rufmord denn eine über die Unmöglichkeit, im puritanischen Amerika der Kleinstädte zu seinen Neigungen und Gefühlen aufrichtig Stellung beziehen zu können. Ohne es zu wissen, sind Martha und Karen nämlich tatsächlich ein Paar; sie lieben sich, ohne es sich jemals eingestanden zu haben, ohne sich jemals körperlich näher gekommen zu sein. Für Martha, die für Männer ohnehin nie erotische Bedürfnisse hegte, bedeutet Marys zerstörerische Aktion immerhin ein Sprungbrett zum Eingeständnis. Doch auch Karen, die mit dem Arzt Joe Cardin (James Garner) eine Beziehung pflegt, ist insgeheim in ihre langjährige Freundin verliebt - die Barriere in ihrem Falle ist dabei sogar noch größer, denn sie belügt vor allen anderen insbesondere sich selbst und Joe. Erst Marthas Geständnis, das, im berechtigten Irrglauben, es stoße auf Ablehnung und Unverständnis, ihren Selbstmord nach sich zieht, lässt Karen nach kurzer Reflexion der Dinge die Wahrheit erkennen. Doch da ist es bereits zu spät.
"The Children's Hour" ist ein Film über tragische Missverständnisse, Lügenkonstrukte und gescheiterte Lebensentwürfe, aus denen immerhin Karen, wenn auch mit (vorübergehend) gebrochenem Herzen hoch erhobenen Hauptes herausschreiten darf. Ein starker Film, einer der ersten aus Hollywood, die, mit der damals noch gebotenen Vorsicht freilich, das Thema Homosexualität offen verhandeln und es mit positiver Haltung reflektieren. Darüber hinaus meisterhaft inszeniert und gespielt.

10/10

Lilian Hellman based on play Homosexualität Rufmord William Wyler Schule Kinder Suizid


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EMBRYO (Ralph Nelson/USA 1976)


"No. Don't."

Embryo ~ USA 1976
Directed By: Ralph Nelson

Der Genetik-Wissenschaftler Paul Hollison (Rock Hudson) fährt nachts auf regennasser Straße eine trächtige Dobermann-Hündin an. Das Tier stirbt, doch Hollison gelingt es, einen der Föten mithilfe einer von ihm entwickelten, placentalen Lösung außerhalb des Mutterleibs am Leben zu erhalten. Binnen einer Rekordzeit von wenigen Tagen entwickelt sich das kleine Wesen nicht nur zu einem ausgewachsenen, prächtigen Hund, sondern erweist sich zudem als hyperintelligent, lernbegierg und vor allem von insgeheim grausamem Wesen. Hollison beschließt, dasselbe Experiment mit einem menschlichen, weiblichen Embryo durchzuführen. Er erhält ein Versuchsobjekt, dessen Mutter Selbstmord begangen hat. Auch hier gelingt die Anordnung mit derselben Rasanz wie bei der 'No. 1' getauften Hündin. 'Victoria' (Barbara Carrera) wächst rasch zur erwachsenen, superintelligenten Schönheit heran. Hollison gibt sie als Assistentin aus und verliebt sich in sie, derweil Victorias Alterungsprozess nach wenigen Tagen Pause wieder rapide einsetzt. Um zu überleben, benötigt sie die Zellen eines sechs Monate alten Fötus. Und ausgerechnet Hollisons Schwiegertochter (Anne Schedeen) ist just in der passenden Schwangerschaftswoche...

Wie viele eigentlich keinem Genre direkt verpflichteten Filmemacher versuchte sich auch Ralph Nelson Mitte der Siebziger an einem phantastischen Stoff: Ein Retortenbaby, äußerlich und innerlich perfekt, dabei jedoch zugleich von folgerichtiger emotionaler Kälte, wird zur femme fatale, die um des eigenen Überlebens Willen die Familie ihres "Erschaffers" zerstört. Erst viel zu spät erkennt Paul Hollison, der sich von der faszinierenden Schönheit und Intelligenz Victorias blenden ließ, welch gottlosen Fehler er gemacht hat und versucht hernach mit aller Vehemenz, diesen wieder auszuwetzen. Hierin liegt zugleich auch die Unentschlossenheit des ansonsten durchaus respektablen Films: Er findet keine vollwertige Balance zwischen seinem grellen Horrorthema einerseits und dem Drama des frankenstein'schen Geschöpfs andererseits. Wie alle Homunculi in Literatur und Film will Victoria lediglich das, was ihr von der Sekunde ihrer "Geburt" an metamoralisch zusteht: Mehr Leben. Dass sie, um sich jenes anzueignen, Schritte unternehmen muss, die andere Existenzen gefährden, ist weniger einem wie auch immer gearteten, bösartigen Naturell zuzuordnen, sondern ihrer emotionalen Ungeschliffenheit: Durch ihren überlegenen Genotyp ist Victoria zwar in der Lage, sich körperlich und geistig bis zur Vollkommenheit zu entwickeln, ihre Fähigkeit zur Empathie, zu emotionaler Reife somit, muss jedoch im Stadium eines eine Woche alten Kindes verbleiben. Folglich bleibt Nelson seinem Publikum vor allem zum Ende hin die Frage schuldig, ob er eher klassischen SciFi-Horror oder ein fortschrittskritisch-existenzialistisches Drama intendierte.

6/10

Ralph Nelson amour fou mad scientist Hund Schwangerschaft Experiment Genforschung


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RETRIBUTION (Guy Magar/USA 1987)


"Once more..."

Retribution (Die Rückkehr des Unbegreiflichen) ~ USA 1987
Directed By: Guy Magar

Als der schwer depressive Maler George Miller (Dennis Lipscomb) sich umzubringen versucht, verbindet sich der rachsüchtige Geist des exakt zeitgleich ermordeten Spielers Vito Minelli (Mike Muscat) mit dem seinen. Fortan plagen George schreckliche Albträume, die bald noch weitere Auswirkungen zeigen: Nächtens verirrt sich George in ihm bislang unbekannte Gegenden der Stadt, gesteuert wie von fremder Hand, und beginnt, fremde Menschen zu töten. George ist zur Marionette von Minellis übernatürlicher Rache geworden und es gibt nur einen Weg, sich wieder aus dessen eisigen Klauen zu lösen...

Ein fast vergessenes Kleinod des Achtziger-Horrorfilms, der sich neben all den Teenie-Slashern, Serials und trashigen Troma-Produktionen als angenehme Ausnahme präsentiert: Für einen Genrefilm überdurchnschnittlich deftig, ansonsten jedoch ungewohnt differenziert. Bereits mit dem psychisch kranken Selbstmörder George Miller stellt "Retribution" einen Helden in den Mittelpunkt, der verhältnismäßig unkonventionell daherkommt - von betont schlichtem Äußeren, sensibel, schüchtern, verletzlich und liebenswert neigt er dazu, den Gegenströmungen des Lebens wie die meisten Menschen mit Flucht- und Vermeidungsstrategien zu begegnen. Dabei gibt es viele Menschen, die ihn schätzen: Seine ihm freundschaftlich zugetane Therapeutin (Leslie Wing) etwa oder die verschrobenen Mitbewohner seines Langzeit-Hotels, darunter insbesondere die flippige Prostituierte Angel (Suzanne Snyder), die, in jeder Hinsicht Georges Gegenteil, sogar in den einsamen Mann verliebt ist. Dass ausgerechnet ein solch grauer Mäuserich mit den Widernissen dämonischer Besessenheit zu tun bekommt, ist mal ganz was anderes. Magars Porträt der Metropole und ihrer Menschen führt ferner weit über das hinaus, was der handelsübliche, harte Horrorfilm dieser Tage üblicherweise aufbietet. Er zeigt ein wesentlich höheres Interesse an seinen Charakteren und ihrer Entwicklung als gewohnt, was seine Wiederentdeckung eigentlich noch zusätzlich unabdingbar macht.

7/10

Guy Magar Dämon Madness Psychiatrie Splatter Los Angeles Parapsychologie


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AGAINST THE WALL (John Frankenheimer/USA 1994)


"Hot soup, ya white monkey!"

Against The Wall ~ USA 1994
Directed By: John Frankenheimer

September 1971: Zeitgleich kommen Michael Smith (Kyle MacLachlan) und Jamaal X (Samuel L. Jackson) im Hochsicherheitsgefängnis Attica, New York an - Smith als neuer Aufseher, X zum wiederholten Mal als Sträfling. Michaels Anstellung bedient eine familiäre Tradition: Auch sein Vater (Harry Dean Stanton), jetzt Kneipier im angrenzenden Ort, arbeitete einst hier; Michaels Onkel Ed (Tom Bower) ist jetzt noch in Attica beschäftigt. Nur wenige Tage nach Michaels Berufseinstand kommt es zu einer Gefängnisrebellion, bei dem die überwiegend hispanischen und schwarzen Insassen fast die komplette Anstalt über- und die meisten Aufseher, darunter auch Michael und Ed, als Geiseln nehmen. Bevor ihre Forderungen nach Generalamnestie und besseren Haftbedingungen angenommen werden können, bringt die Nationalgarde den Aufstand zu einem blutigen Abschluss.

Eine von Frankenheimers TV-Arbeiten, in ihrer Kompromisslosigkeit, Härte und tendenziösen Orientierung vielleicht zu unbequem fürs Kino. Der Privatsender HBO, der zu dieser Zeit häufiger mit kontroversen und auch Genre-Stoffen experimentierte, ließ Frankenheimer die nötigen Freiheiten, um seine Aufbereitung des authentischen Attica-Aufstands adäquat wiedergeben zu können. Mit einleitenden Bildern der unmittelbaren historischen Vorgeschichte, die die Ermordungen Bobby Kennedys und Martin Luther Kings beinhalten sowie Impressionen von Vietnam, Kent State, Watts, den Black Panthers und Malcolm X, verdeutlicht "Against The Wall" gleich zu Beginn, dass hierin eine Ära porträtiert wird, in der es brodelte, und zwar gewaltig, unübersehbar und allerorten. Und wie die meisten Anti-Establishment-Strömungen wurde auch Attica gewaltsam von den Autoritäten niedergerungen, ohne Rücksicht auf Verluste selbst unter den Geiseln. Die Beziehung zwischen den beiden Antagonisten Michael Smith und Jamaal X rückt vor diesem Hintergrund auf ein zunehmend verständiges Level; durch zumindest ansätzliches Begreifen de anderen verschiebt sich ihre jeweilige Perspektive schleichend in die Grauzone der Empathie. Eine großartige Besetzung, die ganz besonders durch Clarence Williams III und Frederic Forrest aufgewertet wird, trägt das ambitionierte Projekt noch zusätzlich. Leider entpuppt sich die deutsche Synchronisation rasch als ein Debakel. Daher sollte man, wenn möglich, um des unbeschwerten Genusses Willen den Originalton vorziehen.

8/10

John Frankenheimer period piece Gefängnis Historie New York Aufstand Rassismus HBO TV-Film


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THE ELEPHANT MAN (David Lynch/USA 1980)


"Nothing will die."

The Elephant Man (Der Elefantenmensch) ~ USA 1980
Directed By: David Lynch

In den 1880ern erfährt der Chirurg Frederick Treves (Anthony Hopkins) von einem schwer deformierten Mann, der in der Monstrositätenschau eines Zirkus ausgestellt wird: John Merrick (John Hurt), wegen seiner furchtbaren Verformungen an den meisten Stellen seines Körpers von seinem Aussteller Bytes (Freddie Jones), der ihn permanent quält, "Elefantenmensch" genannt. Treves gelingt es, Merrick zu untersuchen. Da dieser zunächst kein Wort spricht, hält Treves ihn auch für geistig behindert. Nach einer weiteren schweren Misshandlung überantwortet Bytes Merrick für unbefristete Zeit an Treves, der ihn im London Hospital unterbringt. Hier entdeckt Treves, wer sich wirklich hinter der Physis des "Elefantenmenschen" verbirgt: Eine höchst sensible, unabänderlich freundlich und intelligente Persönlichkeit, zugänglich für Kultur und Gastfreundlichkeit, ein ausgesprochener Gentleman gar. Doch Merrick bleibt ein ewiges Opfer: Ein übler Nachtwächter (Michael Elphick) verschachert Begegnungen mit ihm in den Kneipen vom East End, schließlich entführt ihn Bytes und verschleppt ihn auf den Kontinent. Doch Merrick kann fliehen und gelangt zurück nach London, wo er, durch die Fürsprache der Theaterdiva Kendal (Anne Bancroft) ganz kurz zu einem gefeierten Mitglied der oberen Gesellschaft aufsteigt. Dann legt er sich ein letztes Mal schlafen.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich diesen Superlativ wirklich langfristig untermauern kann, aber ich glaube, zumindest momentan, dass David Lynch einen so vollendeten Film wie "The Elephant Man" danach nie wieder zustande gebracht hat. Nicht nur die ästhetische Meisterschaft des Films, der unter der brillanten Verwendung von Freddie Francis' Kamera wie mühelos ein ganzes Zeitalter reanimiert, reißt zu Begeisterungsstürmen hin, auch und vor allem seine emotionale Ebene; nie auch nur im Entferntesten exploitativ oder reißerisch, sondern im Gegenteil äußerst feinfühlig und wahrhaftig, involviert den Zuschauer so nachhaltig, dass man den Film, komme, was da wolle, garantiert nie wieder aus dem Kopf oder dem Herzen bekommt. Die Geschichte der Freundschaft zwischen Treves und Merrick, der in Wahrheit Joseph hieß, nicht John und der tatsächlich dazu neigte, aus seinem entstellten Äußeren selbst Kapital zu schlagen, ist eine der schönsten ihrer Art im Kino, wie wohl auch die von John Hurt personifizierte Figur des John Merrick eine der strahlendsten, liebenswertesten Gestalten der Leinwand abgibt, einen Menschen, dessen Freundschaft man sich im Leben rühmen müsste, so sie einem zukäme.
Ganz faszinierend auch Lynchs gleichermaßen faszinierte wie angeekelte Perspektive der Viktorianischen Ära, einer Zeit, so verlogen wie brodelnd: Die Hochöfen qualmen vor grauem Firmament, die Arbeiter fallen um die Fliegen, der Adel spricht von sich im Plural und die Säufer und Huren in Whitechapel leben des Nachts zwischen Dreck, Bier und schmutzigen Limericks. Dies war nicht nur die Zeit von Victoria und Joseph Merrick, es war auch die von Jack The Ripper, und, so sie zum Leben erwacht wären, die von Dr. Henry Jekyll und die des Dorian Gray - morbid und von finsterer Schönheit, ganz so wie Lynchs Meisterwerk.

10/10

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THE WOLF OF WALL STREET (Martin Scorsese/USA 2013)


"I am not gonna die sober!"

The Wolf Of Wall Street ~ USA 2013
Directed By: Martin Scorsese

Nach dem Schwarzen Montag im Oktober 1987 wendet sich der Jungbroker Jordan Belfort (Leonardo Di Caprio) dem Segment der Penny-Stocks zu, minderwertiger Aktien, die an gutgläubige Kunden verhökert werden und die dem Makler bei entsprechendem Absatz eine stattliche Provision zusichern. Belfort kann es sich bald leisten, mit 'Stratton Oakmont' eine eigene Firma aufzuziehen, die rasch expandiert. Unter dem Mitarbeitern, allen voran Belfort selbst, gehört es zum alltäglichen Chic, Alkohol, Drogen, Sex und Exzess in rauen Mengen zu konsumieren - vor allem Quaaludes haben es dem immer reicher werdenden Kapitalistenalb angetan, der nach einigen Jahren ins Visier ddes FBI gerät und sein berufliches wie sein Familienleben vor die Wand fährt.

Im Stil seiner früheren Antihelden-Halbwelt-Geschichten, die ihm zumeist mit der Unterstützung des Insiders Nicholas Pileggi zugeschustert wurden, setzt Scorsese diesen endlich wieder einmal einen weiteren Beitrag hinzu. Diesmal begibt er sich in die Niederungen des Yuppie-Unwesens der späten Achtziger, in das Haifischbecken der Gordon Gekkos und Patrick Batemans, in den Pomade und Kokain ihre verhängnisvolle Boulevard-Verbindung eingingen. Jordan Belfort ist ein authentisches Relikt dieser Jahre, ein denkwürdiges Mahnmal für die Unvereinbarkeit von Menschlichkeit und Profitstreben. Mit der ihm üblichen Faszination für seine faulherzigen Protagonisten von Jake LaMotta über Henry Hill und Ace Rothstein bis hin eben zu diesem Jordan Belfort lässt Scorsese sich in gewohnter Überlänge seine Kamera entfesseln; sie ewige Fahrten vollführen, über endlose Kokainbahnen gleiten, urplötzlich in der Bewegung verharren. Dazu gibt es eine wie üblich ausufernde Song-Kompilation, ein herrlich spaßiges Figuren-Kaleidoskop (mit Rob Reiner in einer komödiantischen Meisterleistung als Belforts Vater) und Szenen-Arrangements, die in punkto Detailverliebtheit noch immer ihresgleichen suchen. Jonah Hill ist großartig, Margot Robbie dafür eine Katastrophe. Damit kann man zumindest jedoch leben, immerhin hat sie einen fabelhaften Körper.
Was mich besonders freut, ist, dass mit "The Wolf Of Wall Street" auch der Drogen- und Suff-Exzess-Film endlich mal wieder kapitalen und vor allem vitalen Zuwachs bekommen hat, der schien mir nach "Fear And Loathing In Las Vegas" und "Spun" nämlich bereits dramatisch vom Aussterben bedroht. Hier jedoch heißt es: Lass' sie fröhlich lallen, lass' sie torkeln, lass' sie fallen. Geil!

9/10

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THE ICEMAN COMETH (John Frankenheimer/USA 1973)


"The lie of a pipe dream is what gives life to the whole misbegotten mad lot of us, drunk or sober."

The Iceman Cometh ~ USA 1973
Directed By: John Frankenheimer

New York, 1912: Der 'Last Chance'-Saloon im Village ist sowohl Hort als auch tagtäglicher Treffpunkt für eine Gruppe abgehalfterter, Herren und Huren, die, sofern sie ihr Verfallsdtaum nicht ohnehin bereits überschritten haben, doch kurz davorstehen. Der Eigentümer der Bar, Harry Hope (Fredric March), der seinen Laden infolge des Todes seiner Frau vor zwanzig Jahren nicht mehr verlassen hat, ist so etwas wie der Patron der überreifen Gesellschaft. Er und die übrigen Gäste freuen sich auf den zweimal im Jahr stattfindenden Besuch des Handlungsreisenden Hickey (Lee Marvin), der in den schummrigen Räumlichkeiten gute Laune verbreitet und die traurige Truppe mit Freidrinks bis zum Abwinken bei Laune hält. Anlässlich Harrys Sechzigstem hat sich Hickey wieder einmal angekündigt und es verspricht, eine fantastische Sause zu werden. Als der innig erwartete Spezialgast dann jedoch endlich auftaucht, schockiert er seine Freunde mit einer unbegreiflichen Neuigkeit. Er habe zu trinken aufgehört, sei endgültig "von dem Teufelszeug los" und würde jedem der anderen Gäste empfehlen, ihm auf seinem neuen Weg zu folgen. Zunächst kommt Hickeys Vorschlag alles andere als gut an, dann jedoch fängt nahezu jeder an, über Hickeys Worte und sich selbst nachzudenken...

Sich Frankenheimers O'Neill-Verfilmung auszusetzen ist eine Aufgabe, und keine, die etwa leicht zu bewältigen wäre. Runde vier Stunden Erzählzeit, angesiedelt ausnahmslos in ein und demselben, schummrig ausgeleuchteten Raum, falbe Farben, vier Akte, drei Zeitsprünge von jeweils mehreren Stunde, zwei Pausen, keine Musik. Reiner Dialog, die meiste Zeit körperlich aktionslos und aus sitzenden Positionen heraus vorgetragen; wobei stets bloß die fokussierten Figuren sprechen, derweil die übrigen jeweils in einer Art vorübergehender Stasis verharren. Man findet sich stolz und erleichtert, wenn man das durchgestanden hat, und bereichert um eine der ungewöhnlichsten Filmerfahrungen, die ich kenne.
Das produzierende 'American Film Theatre' war eine kurzlebige Firma, die unter ihrem Kopf Ely Landau zwischen 1973 und 1975 zwölf Theateradaptionen in die Kinos brachte, die mit Ausnahme der Regie- und Schnittarbeit so dicht an der Bühne lagen, wie kaum eine artgenössische Produktion zuvor und seitdem, sofern es sich nicht um schlicht abgefilmtes Theater handelt. "The Iceman Cometh" ist daher besonders ein Triumph der Schauspielkunst: Neben March und Marvin sind Robert Ryan, Jeff Bridges, Clifton James, Bradford Dillman, Moses Gunn und einige andere zu bewundern, March und Ryan jeweils in ihren letzten Rollen. Man hätte ihnen angesichts ihrer Leistungen noch sehr viel mehr gegönnt.
"The Iceman Cometh" ist kein moralisches Stück im herkömmlichen Sinne; er ist ein Film über 'pipe dreams', frei übersetzt 'Luftschlösser', denen die Säufer aus Harrys Bar nachhängen. Sie alle fabulieren tagtäglich über das, was sie in Kürze erreichen, sich zurückholen wollen. Den vormaligen Kriegskorrespondenten James Cameron (John McLiam) etwa nennen die anderen nurmehr 'Jimmy Tomorrow', weil er permanent darüber lallt, dass er sich morgen seinen alten Job zurückerobert. Ähnlich wie ihm geht es auch den meisten anderen hier, sie sind Helden im Schatten, die nurmehr unter ihresgleichen geduldet sind und hier auf den unausweichlichen Tag hinarbeiten können. Als sich dann Hickey, der 'Iceman' einfindet, und sie alle zu missionieren versucht (eine Aufgabe, die jedem, der schon einmal mit leibhaftigem Alkoholismus zu tun hatte, auf den ersten Blick bloß sinnentleert erscheinen muss), kommt es lediglich zu einer kurzen Zäsu, die jedoch tragische Spuren hinterlässt. Für die meisten Gäste jedoch ändert sich am Ende nichts, sie bleiben authentische Außenseiter.

9/10

John Frankenheimer based on play Eugene ONeill period piece New York Alkohol Freundschaft





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