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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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SOLINO (Fatih Akin/D 2002)


"Und glaub nur ja nich, dat ich nich weiß, wer dat andere oberdämliche Arschloch war..."

Solino ~ D 2002
Directed By: Fatih Akin


Die Geschichte zweier italienischer Brüder, Gigi (Barnaby Metschurat) und Giancarlo Amato (Moritz Bleibtreu), die als Kinder von dem süditalienischen Kleinstädtchen Solino nach Duisburg emigrieren, wo ihre Eltern die erste Pizzeria im Ruhrgebiet eröffnen. Gigi und Giancarlo sind allerdings weniger am Gastronomiegewerbe interessiert als ihrem Vater (Gigi Savoia): Während Gigi, der jüngere der beiden, schon früh seine Faszination für Bilder und Film entdeckt, hat Giancarlo vornehmlich Flausen im Kopf, die sich in zunehmend großem Opportunismus äußern. Als sie erwachsen sind, kommt es zum Knall und zwischenzeitlichen Bruch der Brüder.

Falls es so etwas wie eine "pandeutsche Migrantenseele" geben sollte, ist Fatih Akin mit diesem Film ganz nah dran, ihr auf den Grund zu gehen, zumindest, soweit ich als Nichtmigrant aber von Berufswegen sehr mit Migrantenfamilien vertrauter Mensch das zu behaupten wagen darf. Als türkischstämmiger Regisseur eine so herzhaft tief im italienischen Wesen verwurzelte Geschichte zu erzählen, das scheint mir in der Tat ein klarer Fall von Seelenverwandtschaft zu sein. Die Geschichte der sich zwar innig liebenden Brüder, deren Beziehung zueinander wegen der nachlässigen und egoistischen Art des einen jedoch immer wieder tief kriselt, bis der Verrat eines Tages allzu nachhaltig wird, ist großer dramatischer Stoff, der von Akin entsprechend großatmig dargeboten wird. Ganz fabelhaft geglückt ist dem Regisseur auch die Hommage an Visconti, hier von dem fischgesichtigen Forman-Faktotum Vincent Schiavelli als Substitut "Signore Baldi" interpretiert, und seinen Dreh von "La Caduta Degli Dei". Von der Schroffheit eines "Kurz und Schmerzlos" ist hier zwar nicht mehr viel hängengeblieben, dafür erfreut Akin (ab) jetzt mit einer anderen Art emotionaler Tiefe, die nicht minder berührt.

8/10

Fatih Akin Italien Restaurant Brueder Familie Migration Film im Film


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KURZ UND SCHMERZLOS (Fatih Akin/D 1998)


"Was'n los mit ihm?" - "Er versucht, erwachsen zu werden. Und wir hindern ihn dran."

Kurz und schmerzlos ~ D 1998
Directed By: Fatih Akin


Hamburg Altona. Der Türke Gabriel (Mehmet Kurtlus) wird aus dem Knast entlassen und schon sehnsüchtig von seinen beiden Busenfreunden seit Kindertagen, dem Serben Bobby (Aleksandar Jovanovic) und dem Griechen Costa (Adam Bousdoukos), erwartet. Wenig hat sich seit damals geändert: Gernegroß und Pseudo-Scarface Bobby ist soeben dabei, in die Albanermafia, respektive bei der Kiezgröße Muhamer (Ralph Herforth) einzusteigen; Costa begnügt sich mit kleineren Gaunereien und einem Tütchen von Zeit zu Zeit. Erste schwerwiegende Probleme bereiten die Frauen: Während Costas langjährige Freundin Ceyda (Idil Üner) - zugleich Gabriels Schwester - sich einen Neuen (Marc Hosemann) angelt und mit dem am Boden zerstörten Costa Schluss macht, verguckt sich Bobbys Mädchen (Regula Grauwiller) ausgerechnet in Gabriel. Als sich derweil Muhamer als brutaler, selbst vor Mord nicht zurückschreckender Gewaltverbrecher entpuppt, sieht sich Gabriel vor die Wahl gestellt: Verteidigung der Freudesehre oder Rückfälligwerden.

Fatih Akins rohes, grobkörniges und hartes Langfilmdebüt, im Grunde nichts anderes als eine deutsche "Mean Streets" - Variation, hat mich seinerzeit, als ich es (glücklicherweise gleich bei Erscheinen) zum ersten Mal sehen durfte, schwer überrollt. Akins unbestechlicher, zugleich herzlicher und ein wenig mitleidsvoller Blick für die kleinen Migrantenmöchtegerngangster aus der Hamburger Urbanität, die gerne so wären wie die großen Vorbilder aus dem (fiktionalen) italoamerikanischen Milieu oder von MTV, dabei aber doch bloß im Elfenbeinturm bedauernswerter Sozial- und Bildungsopfer verbleiben müssen, ist eine echte Einladung. Das so unterschiedlich geartete Freundestrio wächst dem Zuschauer - zumindest mit Ausnahme des schmierigen Ekels Bobby (eine mutige Leistung von Jovanovic, seinen Charakter so unangenehm auszuformulieren) - schnell ans Herz; besonders Bousdoukos, den Akin für "Soul Kitchen" endlich "wiederentdeckt" hat, repräsentiert eine unnachahmliche Authentizität. In seinen paar Gewaltszenen, obgleich visuell vergleichsweise rücksichtsvoll, erreicht "Kurz und schmerzlos" dann eine unglaubliche Intensität, mittels derer sich die zuvor aufgestaute, permanent bedrohliche Atmosphäre des Films klimaxgleich entlädt. Einer der beeindruckendsten mir bekannten Debütfilme.

9/10

Kiez Coming of Age Freundschaft Hamburg Fatih Akin


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BROOKLYN'S FINEST (Antoine Fuqua/USA 2009)


"Just don't thank me. You even couldn't if I've had a second to think about what to do."

Brooklyn's Finest (Das Gesetz der Straße - Brooklyn's Finest) ~ USA 2009
Directed By: Antoine Fuqua


Drei Brooklyner Polizisten am Rande des Nervenzusammenbruchs: Der desillusionierte und einsame Eddie Dugan (Richard Gere) hat nur noch eine Woche bis zur Pensionierung und soll ausgerechnet jetzt noch einen potenziellen Nachfolger einarbeiten; Clarence Butler (Don Cheadle) arbeitet undercover um schneller befördert werden zu können und spürt langsam, dass er seiner Aufgabe nicht mehr gewachsen ist; Sal Procida (Ethan Hawke) ist Vater einer stets weiterwachsenden Familie, die er dringend in einem größeren und sauberen Haus unterbringen möchte. Weil das Geld fehlt, kommt er auf dumme Gedanken...

Mit den schon vor einigen Dekaden von Altman installierten Mitteln des klassischen Ensemblefilms näherte sich Regisseur Fuqua dem Polizeidrama an und bewerkstelligte einen Genrefilm originärer Schule, wie er so ähnlich auch vor dreißig Jahren hätte entstehen können. Mit hartem Naturalismus und frei von jedweder Art der Auflockerung geht es Fuqua im Gegensatz zu seinen Urahnen Sidney Lumet oder Daniel Petrie weniger um das Aufzeigen eines innerlich faulenden, korrupten Systems sondern darum, Einzelschicksale und das zerstörerische Potenzial dieses vielbespuckten Knochenjobs dramaturgisch auszuloten. Dass dabei vor kleineren Klischees hier und da nicht unbedingt Halt gemacht wird, erschien mir vermschmerzbar angesichts der ansonsten durchaus packend erzählten und am Ende sogar vortrefflich montierten Drei-Ebenen--Plots. Ebenfalls positiv zu vermerken ist die vollmundige Brillanz, mit der sämtliche Akteure ihre Rollen ausfüllen. Besonders Wesley Snopes wäre es zu wünschen, dass er sich langsam wieder aus der DTV-Schiene emporarbeiten kann. Bei solcher Qualitätsarbeit wie in diesem Falle dürfte ihm das eigentlich nicht allzu schwer fallen.

8/10

Antoine Fuqua New York Ensemblefilm


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DER FANGSCHUSS (Volker Schlöndorff/BRD, F 1976)


"Ich bin kein Mann für Sie."

Der Fangschuss ~ BRD/F 1976
Directed By: Volker Schlöndorff


Das Baltikum im Winter 18/19: Zwar ist der Erste Weltkrieg vorbei, für die die Weißarmisten unterstützenden deutschen Freikorpsler wie den verbissenen Offizier von Lohmond (Matthias Habich) jedoch steht der Kampf gegen die aus dem Osten voranschwemmenden Bolschewiken-Welle nach wie vor im Lebensmittelpunkt. Mit dem Herrensitz der Familie de Reval findet man ein noch bestehendes Bollwerk vor. Die mit den Roten liebäugelnde Hausherrin Sophie de Reval (Margarethe von Trotta), Schwester von von Lohmonds bestem Freund Conrad (Rüdiger Kirschstein), verliebt sich hingebungsvoll in den gefühlskalt scheinenden Soldaten - ohne erkennbare Wechselbekundung. Im Gegenteil versagt jedes noch so widersinnig scheinende Mittel, von Lohmond näherzukommen. Am Ende stehen er und sie sich endgültig auch als politische Kontrahenten gegenüber.

Eine von Schlöndorffs diversen Literaturadaptionen, diesmal nach einem Roman der französischen Literatin Marguerite Yourcenar, dessen Originaltitel "Le Coup De Grâce" adäquater übersetzt worden wäre mit "Der Gnadenschuss" - doch die Namensvergabe war ja allein durch die längst geschehene deutschsprachige Übersetzung bereits installiert und etabliert. Dem Zeitkolorit und der Kälte des handlungstragenden Winters geschuldet wurde "Der Fangschuss" in schwarzweiß abgelichtet. Er enthält mit seinen unnachgiebigen, harten Kontrasten einige der schönsten und ästhetisch herausragendsten Bilder, die ich bisher bei Schlöndorff gesehen habe; zudem ergänzen sich die kompositorische Brillanz und die der Geschichte innewohnende, emotionale Orientierungslosigkeit perfekt.
Die letzte Zusammenarbeit mit seiner damaligen Ehefrau Margarethe von Trotta markiert, wie ich finde, einen in seiner überwältigenden Tristesse und Theatralik exzellentesten Filme des Regisseurs, der als Verfilmung historischer Literatur in seiner Filmographie zudem eine wichtige Entwicklungsposition einnehmen dürfte - "Die Blechtrommel" meint man bereits am Horizont erschnuppern zu können.

9/10

Baltikum Schnee WWI Russische Revolution Volker Schlöndorff Homosexualitaet


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STROHFEUER (Volker Schlöndorff/BRD 1972)


"Das läuft alles überhaupt nicht so, wie ich will."

Strohfeuer ~ BRD 1972
Directed By: Volker Schlöndorff


Die Redakteursehefrau Elisabeth Junker (Margarethe von Trotta) wählt mit Ende Zwanzig den Neuanfang, lässt sich von ihrem Mann (Friedhelm Ptok) scheiden und will sich selbst verwirklichen, ein einziges Mal in ihrem Leben ohne fremde - vor allem männliche - Unterstützung. Doch werden ihr allzuviele Stolpersteine in den Weg gelegt als dass eine durchweg selbstständige Existenz als Frau und Mutter eines kleinen Sohnes noch möglich erscheint. Am Ende landet sie wieder genau dort, woher sie geflohen ist: In der Ehe.

Auf den Spuren von Cassavetes und Bergman wandelt Schlöndorff mit der resignativen Emanzipationsgeschichte "Strohfeuer", auf denen von letzterem sogar mit nachhaltiger Konsequenz, denner konnte Sven Nykvist als dp für sein Projekt gewinnen, der vornehmlich mit Naturlicht, respektive seinerzeit "unkonventionellen" Beleuchtungstechniken (von unten nach oben statt umgekehrt) zu arbeiten pflegte und damit früh eine spezielle Art der Bildsprache kreierte. Dem manchmal ironisch-satirischen, vornehmlich jedoch von einem stark feministisch-frustrierten Weltbild geprägten Film tut Nykvists Auge erwartungsgemäß gut, denn sein von der Inszenierung unabhängiges Gespür für das Bebildern existenzieller Einbahnstraßen ist hinlänglich bekannt.
Bei der Rollenvergabe im Vorfeld und auch bei der Realisation erscheint vor allem auffällig, dass die interessanteren, farbigeren Parts fast durchweg an Männer vergeben wurden - da scheint die Realität auf seltsame Weise zur Entsprechung der Fabel geworden zu sein...

8/10

Emanzipation Volker Schlöndorff Ehe Scheidung Familie


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DIE MORAL DER RUTH HALBFASS (Volker Schlöndorff/BRD 1972)


"Wenn Frauen nicht mehr weiterwissen, gehen sie zum Friseur."

Die Moral der Ruth Halbfass ~ BRD 1972
Directed By: Volker Schlöndorff


Die Affäre mit dem bildungsbeflissenen Lehrer Vogelsang (Helmut Griem) bedeutet für die Managerehefrau Ruth Halbfass (Senta Berger) eine Möglichkeit zur Flucht aus ihrem Alltag, in dem sie lediglich eine unbedeutende Rolle als Gattin und Mutter spielt und in dem für Selbstverwirklichungsambitionen kein Platz herrscht. Andererseits fehlt es Ruth selbst an der nötigen Chuzpe, einen radikalen Strich unter ihr bequemes Bourgeoisieleben zu ziehen und ganz von vorn anzufangen. Zunächst sieht es so aus, als würde der Zufall ihr und ihrem Liebhaber ins Kontor spielen, doch das Schicksal bleibt unnachgiebig.

An Chabrol habe er sich orientieren wollen und sei damit auf halbem Wege gescheitert, gibt Schlöndorff bezüglich des ersten seiner beiden Filme über scheiternde Emanzipationsversuche zu Protokoll. Dabei geht er mit sich selbst allerdings sehr hart ins Gericht, denn bei "Ruth Halbfass" handelt es sich durchaus um einen cleveren, bisweilen sehr komischen und vor allem höchst brauchbaren Film, der seinen sozialkritischen Ansprüchen gerecht wird, ohne sich sichtlich abzumühen. Vielleicht ist es gerade diese spürbar-zwingende Leichtigkeit, die Schlöndorff im Nachhinein zur Unzufriedenheit veranlasst; in der Tat gliedert sich dieser Film ja nicht ganz reibungslos in sein übriges, sich häufig unittelbar an der Weltliteratur orientierendes Œuvre ein. Dafür steht ihm hier eine ätherisch schöne Senta Berger zur Verfügung, die wie gemacht scheint für die Rolle der im Grunde belanglosen Industriellenfrau, der außer ihrer mit der Zeit zum Welken verurteilten Anmut nichts mehr bleibt. Außerdem weiß wiederum der eigenartige, bereits aus dem "jungen Törless" bekannte Anti-Schauspieler Marian Seidowsky - hier in seiner letzten Rolle - zu faszinieren, der zwischendrin auch bei Fassbinder mitgespielt und bereits mit 29 Jahren infolge einer unheilbaren Krebserkrankung Selbstmord begangen hat. Auch sonst hat Schlöndorff manche lohnenswerte Anekdote über den seltsamen Seidowsky parat.

8/10

Emanzipation Ehe Familie Volker Schloendorff Satire


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THE LAST HOUSE ON DEAD END STREET (Roger Watkins/USA 1977)


"I'm directing this fucking movie!"

The Last House On Dead End Street ~ USA 1977
Directed By: Roger Watkins


Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis fasst Terry Hawkins (Roger Watkins) den Entschluss, die Welt künftig mit selbstgemachten Filmen zu beeindrucken. Dass diese um Sex, Erniedrigung, Gewalt kreisen müssen um die gewünschte Wirkung zu erzielen, versteht sich für Terry und seine sich bald um ihn scharende, kleine Crew von selbst. Immer schlimmer werden ihre Kameraexzesse und niemand scheint sie aufhalten zu können...

Ein unglaublicher, das Ergebnis allerdings kaum (mehr) rechtfertigender Ruf eilte und eilt diesem selbstreflexiven, kleinen Undergroundfilm voraus. Der Abstand der vielen Jahre von seiner Entstehung anno 72 (er kam erst mit fünf Jahren Verspätung zur Aufführung) bis heute und nicht zuletzt die stark veränderten Sehgewohnheiten, Grenzverschiebungen und Tabubeschränkungen im Kino veranlassen, dass "The Last House On Dead End Street", itzo erstmals angeschaut, nunmehr kaum noch seinen ursprünglichen Wirkungsrad erreicht. Was ich an allerlei Verruchtem darüber gelesen und gehört habe, erscheint mir jetzt im Nachhinein fast wie eine Art bizarrer Massenpsychose.
Als revolutionäres Zeitporträt und eine der ersten spielerisch aufbereiteten Konfrontationen mit dem ja später bis in den Mainstream vorgedrungenen, berüchtigten 'Snuff'-Motiv indes bedient Watkins' rein formal betrachtet völlig anarchischer Film den willfährigen, d.h. solcherlei Stoff aufgeschlossenen Zuschauer auch heute noch in hinreichend ansprechender Weise. Ansonsten werde ich mich hüten, jeder weiteren Lobpreisung oder Schundverreiße Vorschub zu leisten. Allerdings, soviel ist ganz sicher, ist es gut, dass "Last House On Dead End Street" zumindest in der vorliegenden Fassung mittlerweile problemlos global erhältlich ist und damit ein weiteres, kleines Kapitel schummriger Gossenfilmgeschichte entmystifiziert werden konnte.

7/10

Roger Watkins New York Underground Transgression Independent Drogen Snuff Pornographie


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LA CASA SPERDUTA NEL PARCO (Ruggero Deodato/I 1980)


Zitat entfällt.

La Casa Sperduta Nel Parco (Der Schlitzer) ~ I 1980
Directed By: Ruggero Deodato


Der verrückte Frauenmörder Alex (David Hess) und sein unterbelichteter Kumpel Ricky (Giovanni Lombardo Radice) landen per Zufall auf einer Manhattaner Snobistenparty und zeigen der hochtrabenden Sozialelite, was sie von deren widerwärtiger Arroganz halten.

Im Vergleich zu dem ja sehr visuell angelegten "Cannibal Holocaust" lässt sich "La Casa Sperduta Nel Parco" von einem eher psychologischen Terror tragen, der ferner auch noch weitaus subtiler arbeitet und greift als in den unmittelbaren Vorbilden "Last House On The Left" und "L'Ultima Treno Della Notte". "La Casa" findet sich dann eher in der Nähe zu Baldis kurz zuvor entstandenem "La Ragazza Del Vagone Letto", in dem ebenfalls das Terrormotiv einer drangsalierten Gruppe von bourgeoisen Hochnasen mit unpassenden Softsex-Elementen angereichert wird und der physische Gewaltfaktor im Prinzip am Boden bleibt. David Hess als Alex liegt - so suggeriert uns Deodato - gar nicht mal so verkehrt, wenn er die Society-Schnepfen auf der Party als unbefriedigte Emanzen abtut - der "Beweis" findet sich in der Koitusszene mit der ausnehmend hochmütig gezeichneten Lisa (Annie Belle), die durch ihre wohlfeil getarnten Lockrufe maßgeblich mitverantwortlich gemacht wird für Alex' Ausraster und sich als von seinen Liebeskünsten im "Upstairs-Séparé" durchaus angetan zeigt.
Es gibt zwar Prügel und ein paar handelsübliche Demütigungen hier und da, wirklich zu Tode kommt am Ende aber nur einer - und dabei handelt es sich (natürlich) um den verklausulierten Sozialrebellen und proletarischen Aufbegehrer, der abermals gegen die Privilegierten verliert. Eine seltsam verdrehte Katharsis. Dass dieser, für das italienische Genrekino dieser Zeit keinesfalls untypische und seine Wurzeln im Spaghetti-Western findende, gesellschaftspolitische Aspekt hier per Holzhammer vorgetragen wird, kann man sich bereits im Vorhinein denken und schmecken muss es einem glücklicherweise auch nicht.
Ein wenig unpassend zu dem anfänglich eingeleiteten Bild von Manhatten wirkt freilich die Architektur der unzweifelhaft in Italien gefilmten Villa. Dafür haut die perfekt zum Film passende, schmierige deutsche Synchronisation um Manfred Lehmann und Lutz Mackensy, die, so vermute ich, zwischen der Vertonung von zwei Pornos angefertigt wurde, alles von der Platte. David Hess als Urvater aller Haustyrannen macht seinem Ruf wieder mal alle Ehre. Seine in vordringlicher Zeitlupe zelebrierte Mimesis als ihn der entscheidende Pistolenschuss ins manneskräftige Zentrum ereilt, ist jedenfalls denkwürdig.

6/10

Ruggero Deodato Nacht Yuppie New York Terrorfilm Europloitation Serienmord


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DIE VERLORENE EHRE DER KATHARINA BLUM (Volker Schlöndorff, Margarethe von Trotta/BRD 1975)


"Wovor haben Sie'n Angst? Sie sind doch unschuldig."

Die verlorene Ehre der Katharina Blum ~ BRD 1975
Directed By: Volker Schlöndorff/Margarethe von Trotta

Auf einer ausgelassenen Karnevalsfeier lernt die biedere Kölner Hausangestellte Katharina Blum (Angela Winkler) den von der Polizei gesuchten "Anarchisten" und Bankräuber Ludwig Götten (Jürgen Prochnow) kennen. Nach einer romantischen Nacht in ihrer Wohnung steht urplötzlich ein Einsatzkommando der Polizei neben Katharinas Frühstückstisch; Götten ist verschwunden. Die folgenden vier Tage werden für die der Komplizenschaft Verdächtige zur Hölle: Die Beamten, allen voran der Einsatzleiter Kommissar Beizmenne (Mario Adorf), verhören sie auf das Peinlichste und Penibelste und lassen sie minimalste Details ihre Privatlebens preisgeben. Da Beizmenne sich zudem gegenseitig Informationen mit dem schmierigen Sensationsjournalisten Tötges (Dieter Laser) zuschanzt, schmückt Katharina bald die Titelseiten einer großen Tageszeitung und sieht sich böse verunglimpft bis zur Unerträglichkeit.

Zugleich bitterböse Satire und frontale Attacke gegen die polizeistaatlichen Methoden, mit der die bundesdeutsche Justiz und der Springer-Verlag in den frühen siebziger Jahren Hand in Hand gegen die erste RAF-Generation vorgegangen waren. In kafkaesker Tradition stand das fiktive Schicksal der unbescholtenen Bürgerin Katharina Blum dabei als repräsentatives Exempel für die rigorose Praxis insbesondere der Bild-Zeitung, jeder nach Sensation und Aufmacher riechenden Kleinstspur nachzugehen und dabei willfährig bis rücksichtslos die Verleumdungen und Rufmorde bestenfalls peripher beteiligter Personen nicht nur in Kauf zu nehmen, sondern sogar ausdrücklich zu suggerieren. "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" ist auch eine wütende Reaktion des Literaten Heinrich Böll auf die ihm durch CDU-Politiker als auch wiederum vom Springer-Konzern zuteil gewordene Titulierung als "geistiger Helfershelfer des Terrors" und Sympathisant der linksradikalen Szene. In "Katharina Blum", dessen Verfilmungsoption Böll bereits während Schreibprozesses Schlöndorff und von Trotta zutrug, verknüpft er die erdrückende soziale Repression des Demokratiestaats mit einer naiven, freilich unerfüllten Liebesgeschichte und dreht dabei der uniformierten Exekutive eines Nase, indem er sie selbst verantwortlich macht für Katharinas Bluttat am Ende (die, wie man erfährt, zudem schnell Nachahmer findet). Die Einkleidung der Geschichte in das rheinische Spektakel des alljährlichen Karnevals (sie spielt sich zwischen dem Vorabend der Altweiberfastnacht und Tulpensonntag ab) bezeichnet noch einen weiteren, schwarzhumorigen Fingerzeig betreffs des versumpfenden deutschen Spießertums, das sich in Scheichskostümierung und Pappnase besäuft, derweil sich nur eine Straßenecke weiter rechtsstaatliche Ungeheuerlichkeiten ereignen.

10/10

Margarethe von Trotta Heinrich Boell Journalismus Terrorismus Satire Koeln RAF Volker Schloendorff Verhör


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BRIGHT LIGHTS, BIG CITY (James Bridges/USA 1988)


"Faulkner and Fitz - where the hell have you gone?"

Bright Lights, Big City (Die grellen Lichter der Großstadt) ~ USA 1988
Directed By: James Bridges


Der Jungautor und -journalist Jamie Conway (Michael J. Fox) knackt beständig daran, dass seine Frau Amanda (Phoebe Cates) ihn nach nur wenigen Wochen Ehe verlassen und sich der Glitzerwelt des Modelgeschäfts zugewandt hat. Jamies Arbeit bei einem altehrwürdigen Printmagazin wird zunehmend fehlerhaft, derweil er in exponentiellem Maße Koks und Alkohol zuspricht. Für seinen Kumpel Tad (Kiefer Sutherland) ein glücklicher Umstand, der tickt nämlich genauso. Als sich der Todestag seiner Mutter (Dianne Wiest) nähert, wird es für Jamie noch schwerer. An den Rand zum endgültigen Abstieg gedrängt, muss er eine Entscheidung treffen...

Ein hellsichtiges Quasi-Sequel von "The Secret Of My Succe$s", das erstaunlich viele Parallelen zu diesem aufweist: Hier wie dort geht es um einen jungen Mann aus Kansas, der nach Manhattan kommt, um sich dort vom großen Erfolg in Empfang nehmen zu lassen, hier wie dort wartet zuallererst die große Ernüchterung. Dass beide in unterschiedlichen Branchen arbeiten und Jamie nicht über das künftige Megagehalt eines Brantley Cooper verfügt, ist dabei bloße Makulatur. Jamie Conway hat allein etwas weniger biographisches Glück und erlebt das Yuppie-Dasein als Albtraum. Ohne eine Prise "bolivianisches Glitzerpulver" kann kein Tag mehr in Angriff genommen, geschweige denn bewältigt werden; die Discos und Clubs der Stadt, die mit schicken Damen, doppelten Wodkas und New Order locken und die jede Nacht bis frühmorgens geöffnet haben, scheinen da deutlich reizvoller. Mit Ausnahme ein paar weniger Szenen vermeidet "Bright Lights" jegliche Naivität von "The Secret" und ist eigentlich nichts anderes als dessen desillusionierte, dekonstruierende Kehrseite - freilich in gemäßigten Bahnen, schon um der Reputation seines Hauptdarstellers Willen. Wie sich Fox hier im Vergleich zu seinen früheren (und noch folgenden) Sunnyboy-Auftritten fallenlässt, das ist immerhin schon ehrenwert. So richtig voll auf Turkey, mit fettigem Haar und Dreitagebart, getraut er sich hier aber auch nicht anzubendeln. Da muss die Sonnenbrille (die am Ende - Vorsicht, Symbolik! - gegen ein ofenfrisches Baguette getauscht wird) reichen.

7/10

Alkohol Yuppie Journalismus Drogen James Bridges Disco Kokain New York





Filmtagebuch von...

Funxton

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