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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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WHERE THE BUFFALO ROAM (Art Linson/USA 1980)


"As your ex-attorney, I advise you to leave this plane."

Where The Buffalo Roam (Blast - Wo die Büffel röhren) ~ USA 1980
Directed By: Art Linson


Der unkonventionell zu Werke gehende Journalist Hunter S. Thompson (Bill Murray) arbeitet für das Underground-Magazin 'Blast', das er in schöner Unregelmäßigkeit mit Kolumnen über den amerikanischen Albtraum beliefert. Als sein Freund, der Anwalt Lazlo, für einige Zeit wegen Gerichtsbeleidigung ins Gefängnis muss, befasst sich Thompson in erster Linie mit Traktaten über dessen "Verschwinden". Just während Thompson über den 72er Super-Bowl zu berichten hat, taucht Lazlo wieder auf und unterbreitet ihm seine Pläne für die baldige Schaffung einer Hippie-Enklave zwischen den USA und Mexiko, für die allerdings Waffengewalt vonnöten sei. Als das FBI anrückt, verschwindet Lazlo wieder. Das nächste Mal treffen sich die beiden während Nixons 73er-Wahlkampagne.

Der schillernde Gonzo-Journalist Hunter S. Thompson bereicherte die US-Kulturgeschichte des letzten Jahrhunderts um eine ihrer wichtigsten Gestalten. Ein großer Misanthrop, der freimütig behauptete, dass ein Land, dass Menschen wie ihn benötigte, um es zu kritisieren, am besten von der Landkarte getilgt gehörte. Im Gegensatz zu Terry Gilliams großartiger Romanadaption "Fear And Loathing In Las Vegas" ist der wesentlich früher entstandene "Where The Buffalo Roam" nicht allzu bekannt, wohl auch, weil ihm die grelle Antihelden-Verehrung Gilliams abgeht und er stattdessen offenkundig und ausschließlich ein Publikum beliefert, das mit Thompson und seinen Marotten vertraut ist. Im Prinzip müssten die beiden Filme daher folgerichtig in umgekehrter Reihenfolge angeschaut werden. Gemessen an den an der Irrsinnsgrenze entlang taumelnden Depp und besonders Del Toro aus "Fear And Loathing" präsentieren Murray und Boyle eine vergleichsweise gediegene Vorstellung. Der Exzess greift hier noch nicht - bzw. hat er nicht den Mut dazu. Dennoch ist "Where The Buffalo Roam" unbedingtes Pflichtprogramm für jeden Thompson-Apologeten. Die neu erschienene DVD enthält nebenbei einen etwa fünfzigminütigen Bericht des englischen Thompson-Illustrators Ralph Steadman, der Thompson 1980 auf einer Reise von Arizona nach L.A. begleitet und der alleine schon die Anschaffung des Silberlings lohnt.

8/10

Farce Hunter S. Thompson Groteske Drogen Freundschaft Alkohol Journalismus Americana Satire Beat Generation


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MONSTER (Patty Jenkins/USA 2003)


"The bar's closed."

Monster ~ USA 2003
Directed By: Patty Jenkins


Als die langjährige Prostituierte Aileen "Lee" Wuornos (Charlize Theron) fast zum Ofer eines von einem ihrer Freier (Lee Tergesen) verübten Gewaltverbrechen wird, dreht sie den Spieß um und erschießt den Unhold. Der erste von insgesamt sieben Morden, die Wuornos in einer Mischung aus Rachsucht und Geldgier begeht. Dass sie später vor Gericht ausgerechnet von ihrer geliebten Lebensgefährtin Selby (Christina Ricci) belastet wird, nimmt sie im Hinblick auf Selbys eigenen Freispruch in Kauf.

Eine Frau als Serienkiller stellt in den Annalen der mit Serienkillern gesäumten amerikanischen Kriminalgeschichte noch immer eine Rarität dar; vielleicht bedurfte es auch erst einer Regisseurin, um die Geschichte der kurz vor der Entstehung des Films hingerichtete Aileen Wuornos hinreichend sensibel und verständnisvoll für einen Film aufzubereiten. Im Gegensatz zu ihren männlichen Verbrechensgenossen war Aileen Wuornos kaum das Opfer psychischer Störungen oder Paraphilie, zumindest, wenn man ihrer späten, selbst geschilderten Biographie Glauben zu schenken bereit ist. Während der erste Mord strenggenommen gar kein solcher war, sondern aus reiner Notwehr verübt wurde, geschahen die sechs weiteren aus Gründen finanzieller Not und wurden von der Täterin vor sich selbst dadurch gerechtfertigt, dass sie die Opfer als Perverse und Ehebetrüger, die die Dienste einer Prostituierten in Anspruch nehmen wollten, abzustrafen hatte. Ihrer Strafakte zufolge war Aileen Wuornos ein in höchstem Maße aggressiver und asozialer Mensch aus unterstem Sozialmilieu, der früh mit bürgerlicher Moral und Gesetz in Konflikt geriet sich zeitlebens durch körperliche Gewalt Gehör zu verschaffen pflegte.
Patty Jenkins' Inszenierung gibt sich im besten Sinne unspektakulär, still, gediegen, flächig und lässt der unglaublichen Performance von Charlize Theron freie Bahn. Natürlich taten auch die Maskenbildner ein reifes Werk an der Aktrice, wie sie ansonsten jedoch mit ihrer Rolle fusioniert, ist eines der hervorstechendsten in letzter Zeit von mir gesehenen Beispiele für erfolgreiches method acting.

8/10

Biopic Historie Serienmord Homosexualitaet Patty Jenkins


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BONNIE AND CLYDE (Arthur Penn/USA 1967)


"We rob banks!"

Bonnie And Clyde ~ USA 1967
Directed By: Arthur Penn


Texas, die große Depression: Als er versucht, den Wagen ihrer Mum (Mabel Cavitt) zu klauen, wird die junge Seviererin Bonnie Parker (Faye Dunaway) auf den Ganoven Clyde Barrow (Warren Beatty) aufmerksam - der Beginn einer halsbrecherischen Romanze, gepflastert mit Überfällen und Leichen.

"Bonnie & Clyde" ist nicht die erste Verfilmung der Mär um das neben John Dillinger bekannteste kriminelle Relikt aus der Depressionszeit. Bereits neun Jahre zuvor wurde das B-Movie "The Bonnie Parker Story" veröffentlicht. Unterschiedlicher können zwei Filme zu demselben thematischen Überbau allerdings kaum angelegt sein - Penns Werk gilt immerhin als elementarer Wegbereiter für New Hollywood. Auf das zertrümmerte Studiosystem traf mit Warren Beatty ein "actor-producer", der zugleich als eine der Galionsfiguren der neuen Bewegung gilt. Via unermüdlichem Einsatz und Protest gegen Entscheidungen, die die Kompetenzen des Teams zu schmälern drohten, erwirkte er für einen "kleinen" Filmemacher wie Penn bis dato undenkbare Freiheiten und sorgte schließlich dafür, dass trotz unentwegter Abneigungsbekundung durch Jack Warner die Wunschfassung des Regisseurs in die Kinos gelangte. Dieser zugrunde lag ein Script, das gern als Übertragung des Nouvelle-vague-Stils auf amerikanische Verhältnisse bezeichnet wird, mitsamt einer für damalige Verhältnisse ungewöhnlichen Montage und diversen formalen Regelbrüchen. Am Ende sterben die Antihelden in Zeitlupe - durchsiebt von unzähligen Kugeln aus den Maschinenpistolen der Polizei. Danach gibt es keinen Dialog mehr, keinen crane shot, keine Totale, kein gar nichts; das Publikum wird mit genau diesem Eindruck auf der Linse entlassen. Pures Understatement und unübersehbare Aufbruchsstimmung findet man in dieser Konsequenz selten so eindeutig formuliert. The dawning of a new era.

9/10

Great Depression Road Movie Arthur Penn New Hollywood Historie period piece Heist Couple on the Loose


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INHERIT THE WIND (Stanley Kramer/USA 1960)


"Disillusionment is what little heroes are made of."

Inherit The Wind (Wer den Wind sät) ~ USA 1960
Directed By: Stanley Kramer


Hillsboro, Tennessee, 1925: Der junge Biologielehrer Bertram Cates (Dick York) lässt in seinen Unterricht die darwinsche Evolutionslehre einfließen und wird dafür von der konservativen Führungsspitze des Städtchens vor Gericht gestellt. Als publikumswirksamer Ankläger findet sich der erzpuritanische Ex-Präsidentschaftsanwärter Matthew Brady (Fredric March). Eine namhafte Zeitung entsendet indes sowohl einen soitzfinden Journalisten (Gene Kelly) als auch den renommierten Strafverteidiger Henry Drummond (Spencer Tracy) für Cates. Drummond muss gegen die Mühlen jahrhundertealter, religiöser Kleingläubigkeit antreten.

Der auf einem authentischen Fall und einem zwischenzeitlich entstandenen Stück basierende "Inherit The Wind", erstes von zwei Courtroom-Dramen Stanley Kramers, markiert bis heute eine der klugsten und leidenschaftlichsten Anklagen gegen die Ungeheuerlichkeiten des christlich orientierten Fundamentalismus, der die USA in großen Teilen durchschüttelt. Es mutet unglaublich an, aber noch immer versuchen dort Kreationisten, ihre absurde, jede Form der Wissenschaft ignorierende und negiernde, biblische Schöpfungslehre zu verankern. Insofern besitzt der Film - bei all seinem bereits vor 50 Jahren akuten, realsatirischen Impetus - noch immer ein hochrelevantes Maß gesellschaftspolitischer Aktualität.
Kramer, der seine um diese Zeit entstandenen Filme allesamt selbst zu produzieren pflegte, besaß ein Faible für die Inszenierung von Dialog und diesen vortragenden Schauspielern. Mit Fredric March und Spencer Tracy treffen tatsächlich zwei Giganten ihres Fachs aufeinander, die sich gegenseitig nicht die Butter auf dem Brot lassen. In messerscharf geschliffenen Wortgefechten beweisen beide den hohen Intelligenzstandard ihrer Rollen, wobei der eine sich immer mehr als verblendeter Eiferer und seelenkranker Opportunist entpuppt.

10/10

based on play period piece Courtroom Stanley Kramer Suedstaaten


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THE MAN WITH THE GOLDEN ARM (Otto Preminger/USA 1955)


"I'll be around..."

The Man With The Golden Arm (Der Mann mit dem goldenen Arm) ~ USA 1955
Directed By: Otto Preminger


Nach sechsmonatiger Entzugstherapie, die er als Alternative für den Strafvollzug vorzog, kehrt Frankie Machine (Frank Sinatra), der unterdessen die Liebe zum Jazz und zum Schlagzeugspiel entdeckt hat, in sein altes Viertel zurück. Nichts hat sich geändert, seine psychisch gestörte Frau (Eleanor Parker) versucht noch immer, ihn mit allen Mitteln an sich zu binden, Gauner Schwiefka (Robert Strauss) will ihn sogleich wieder als Spielmacher in seine schmierige Zockerhöhle umleiten und Pusher Louie (Darren McGavin) hält ihm das H unter die Nase. Es dauert nicht lang und Frankie hängt trotz aller Bemühungen wieder an der Nadel. Mithilfe der ihn aufrichtig liebenden Molly (Kim Novak) versucht er den kalten Entzug...

Filmische Pionierarbeit in Sachen Drogenabhängigkeit. "The Man With The Golden Arm" ist der erste wichtige, sich mit dem bis dato eher ein Dasein im Schatten fristenden Thema der zerstörerischsten Form von Drogenkonsum, der Heroinsucht, auseinandersetzenden Beitrag aus dem Branchenbereich der siebenten Kunst. Preminger dokumentiert den trotz aller zwischenzeitlichen Abstinenz so sicher geglaubten, dabei jedoch illusorischen Ausstieg mit gnadenloser Konsequenz, zeigt das schmerzliche Taumeln vor dem nächsten letzten Schuss, den "Affen im Genick", die Hölle des kalten Entzugs.
Wie so oft in Filmen, die ein Tabuthema ankratzen, werden allerdings auch hier ein paar Klischees bedient, die offenbar der unkomplizierteren Vermittlung dienlich sein sollen: Heroin und Junkies sind bei Preminger Elemente der Slums und anzutreffen in Kumpanei mit Glücks- und Falschspiel, schummrigen Kneipen, Kleinkriminellen und Jazzmusik, bald verrucht, bald verraucht. Natürlich ist "The Man With The Golden Arm" nebenbei auch ein später Vertreter des film noir, mitsamt umfassendem Unterweltsporträt und polizeilich aufzuklärendem Totschlag.

9/10

Heroin Gluecksspiel Otto Preminger Drogen film noir


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RAGING BULL (Martin Scorsese/USA 1980)


"You didn't get me down, Ray."

Raging Bull (Wie ein wilder Stier) ~ USA 1980
Directed By: Martin Scorsese


Aufstieg und Fall des aus der Bronx stammenden Mittelgewichtsboxers Jake La Motta (Robert De Niro), seine Heirat mit der wesentlich jüngeren Vickie (Cathy Moriarty), seine krankhaft-paranoide Eifersucht, die irgendwann zum Bruch mit seinem Bruder Joey (Joe Pesci) führt, schließlich die zweite Karriere als Entertainer in Nachtclubs.

Scorseses Porträt eines pathologisch gewalttätigen Menschen bezieht seine ungeheure Intensität aus dem Gespür des Regisseurs für explosive Situationen. Kaum eine Dialogsequenz, die nicht mit Streit, Hieben oder Tränen endet, kaum ein Konflikt, der ein zufriedenstellendes Ende fände. "Raging Bull" als Boxfilm zu bezeichnen, käme indes einer Majestätsbeleidigung gleich; in dieses Sparte wird er zuweilen höchstens gedrängt, weil die Hauptfigur rein zufällig eben Boxer ist. Tatsächlich geht es wie bereits in früheren Filmen Scorseses um die Unfähigkeit des italienischstämmigen Amerikaners in zweiter oder dritter Generation, sein rückständiges Rollenverständnis aufgeben zu können und zugleich die ewuge Unsitte, selbst eine hoffnungslos tradierte Machismo-Oberfläche zu pflegen. Diese Charakterzüge repräsentiert keineswegs nur Jake, auch sein jüngerer Bruder Joey, mehr aus Gründen der Blutverwandtschaft Jakes Berater und Manager, vertritt ein derartiges Image. Scorsese, der sich hier vielleicht auf dem Höhepunkt seiner inszenatorischen Innovation befindet, kultiviert darüberhinaus diverse der aus seinen späteren Gangsterfilmen bekannten Elemente: Urplötzliche Gewalteruptionen nach sich langsam hochschaukelnden Stresssituationen etwa oder ganz schlicht ein cholerischer Joe Pesci, dem es im Moment der blinden Rage gleichgültig ist, ob er sein Gegenüber (der wie auch später stets unselige Frank Vincent) zu Tode prügelt.
Exquisit und einmalig derweil Michael Chapmans schwarzweiße Kamera, die die mit edelste (stil-)bewusste Farbentledigung beinhaltet, die mir im Film bekannt ist.

10/10

Mafia Martin Scorsese Miami Paul Schrader New York Ethnics Biopic Boxen


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NEW YORK, NEW YORK (Martin Scorsese/USA 1977)


"I made a lot of mistakes. So I'll make another one. This one's on me."

New York, New York ~ USA 1977
Directed By: Martin Scorsese


New York in den Vierzigern: Der Kriegsheimkehrer und brillante Saxophonist Jimmy Doyle (Robert De Niro) verliebt sich Hals über Kopf in die Jazzsängerin Francine Evans (Liza Minnelli). Ihre bald eingeläutete Ehe bringt jedoch mehr Schwierigkeiten denn Erfüllungspotenzial mit sich, bis beide schließlich erkennen müssen, dass sie ihre jeweiligen Lebensträume nur ohne den anderen verwirklichen können.

Mit seinen betont artifiziellen Kulissen und szenischen Arrangements wäre "New York, New York" eigentlich ein großartiges Musical, tatsächlich aber ist er im strengen Gattungssinne gar keines. Die Musik ist hier kein narrativer Bestandteil, der Film konstruiert sich um die Musik herum sowie um die existenzielle Liebe zu ihr. Die jazzigen Nummern finden hier ausschließlich auf der Bühne statt und nicht im Eiscafé oder im Bad; hinzu kommt die dicht gestaltete Präsentation einer seltenen Wahrheit, nämlich der, dass es selbst innerhalb einer Musikrichtung ganz und gar unterschiedliche Ausrichtungen gibt, so unterschiedlich, dass sie gar getrennte Lebenswege erfordern. Jimmy Doyle lebt den Jazz der verrauchten Kneipe, bläst sein Horn bis zum Umfallen und in teils wenig eingängigen Tönen, kokst mit seinen Bandkollegen auf dem Barklosett und ist auch sonst Musiker durch und durch. Francine Evans indes ist ein Publikumsmensch, je größer das Publikum, desto mehr blüht sie auf, sie singt ihre Stücke weniger für sich denn für die Massen da draußen. Eine wesentliche Inkompatibilität, der das ansonsten einander durchaus zugetane Paar nicht standhalten kann.
Scorsese sagt oft, er bedaure, dass "New York, New York" innerhalb seines Oeuvre häufig vorschnell global als "peripher", "unwesentlich" und "exotisch" bezeichnet werde - ich kann mir denken, derartige Einschätzungen entstammen vornehmlich jenen Experten bzw. Kritikern, die glauben, mit der Kenntnis von "Goodfellas" und "Casino" im Hinterkopf seien sie Scorsese-Intimi. Denkter.

8/10

New York Musik Martin Scorsese Veteran Jazz


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TAXI DRIVER (Martin Scorsese/USA 1976)


"Loneliness has followed me my whole life. Everywhere. In bars, in cars, sidewalks, stores, everywhere. There's no escape. I'm God's lonely man."

Taxi Driver ~ USA 1976
Directed By: Martin Scorsese


Der einsame New Yorker Vietnamveteran Travis Bickle (Robert De Niro) nimmt einen Job als Taxifahrer an und arbeitet ausschließlich in der Nachtschicht. Ist er ohnehin schon äußerst unzufrieden mit dem üblen Zustand der urbanen Rotlichtbezirke, so veranschaulichen ihm seine Touren durch das neonbeleuchtete Manhattan nur umso deutlicher, dass es so nicht weitergehen kann mit dieser Stadt. Zwei Begegnungen führen schließlich dazu, dass Travis auf seine Weise "mobil macht": Die attraktive Wahlkampfhelferin Betsy (Cybill Shepherd) lässt ihn abblitzen, nachdem er sie in ein Pornokino ausführt, von der minderjährigen Prostituierten Iris (Jodie Foster), die ihm nächtens zweimal begegnet, glaubt er derweil einen leisen Befreiungswunsch zu vernehmen, den er ihr unbedingt erfüllen möchte.

Nachdem Charles Bronson als Paul Kersey anno 74 erstmals als rotsehender Rächer durch den nächtlichen Central Park tingelte um dort Kleinkriminelle zu erledigen, betrieben Paul Schrader und Scorsese nur zwei Jahre später bereits zielgerichteten Ikonoklasmus: Ihr Vigilant präsentiert sich als kaputter Soziopath, als "avenger without a cause", der sich nach seinem abschließenden Amoklauf nur deshalb nicht selbst zu richten vermag, weil er zuvor alle Magazine leegefeuert hat. Die größte Form von Zynismus erfolgt allerdings erst durch die ihn umgebende, ihn zum Helden und Retter stilisierende Mediengesellschaft. Scorsese folgt Travis' psychischem Niedergang so nüchtern und kommentarlos wie nur möglich, kommuniziert über Bilder und Impressionen anstatt vage Beweggründe zu ermitteln oder vordergründige Charakteranalyse zu betreiben - die vielleicht größte Stärke des Films. Bernard Herrmanns bald romantisch angehauchter Jazzscore dudelt dazu, als betreibe "Taxi Driver" auch noch ganz bewussten Stilbruch.
Die großstädtische Anonymität, in der der ohnehin schwer traumatisierte Kriegsheimkehrer Travis Bickle sich bewegt, ist angefüllt mit dysfunktionalen Sozialgliedern: Seine Arbeitskollegen sind verlogene Dummschwätzer, seine Angebetete entpuppt sich gleich beim ersten unglücklichen Treffen als kaum mehr denn ein oberflächliches Modepüppchen, das sich einzig darum liberal gibt, um auch auf intellektueller Ebene als schick zu gelten. Der Politiker Palantine (Leonard Harris) ergießt sich in hohlem Populismus und betreibt leere Wähleranbiederung, ein sich bourgeois gebender nächtlicher Fahrgast (Martin Scorsese) entlarvt sich selbst als zugekokster Größenwahnsinniger, ganz ähnlich wie der gewaltbereite Eckladenbetreiber (Victor Argo) von nebenan. Der Kindernutten auf die Straße schickende Zuhälter Sport schließlich vereint nur die allermiesesten Eigenschaften in sich und bietet daher das dankbarste Ziel für Travis' aufgestaute Triebentladung. Bei der Vorstellung all dieser Figuren geht der Film geschickt genug vor, sein Publikum zu heimlichen Komplizen des seinerseits selbst schwer gestörten Titelcharakters zu machen, eine gleichermaßen perfider und intelligenter Ansatz.
Ohne "Taxi Driver" hätte das New Yorker Underground-Kino nie die Blüte der nächsten Jahre erreicht, wäre das Werk von Autoren wie Abel Ferrara, Frank Hennenlotter, William Lustig oder James Glickenhaus, das teils direkten Bezug nimmt auf Scorseses archetypisches Meisterwerk, kaum denkbar. So genuin gemein, schwarzhumorig und hinterhältig war seitdem nicht viel.

10*/10

Veteran Insomnie Madness Vigilantismus Paul Schrader New York Martin Scorsese Nacht New Hollywood


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THREE O'CLOCK HIGH (Phil Joanou/USA 1987)


"You are the puss that always bled."

Three O'Clock High (Faustrecht - Terror in der High School) ~ USA 1987
Directed By: Phil Joanou


Der brave Jerry Mitchell (Casey Siemaszko) verlässt morgens stets ordentlich gekleidet und sorgsam gekämmt das Haus, um nur ja nicht seinen manifesten Ruf als Tausendsassa uns Musterschüler zu gefährden. Als eines Morgens der als besonders delinquent bekannte Buddy Revell (Richard Tyson) an Jerrys High School wechselt und nach kurzer Zeit mit unserem Streber auf der Schultoilette aneinandergerät, heißt es für Jerry: Köpfchen beweisen. Denn für Punkt 15 Uhr hat der zwei Köpfe größere Buddy ihm eine Herausforderung zum Duell gestellt, die Jerry bestenfalls krankenhausreif überleben dürfte...

"Three O'Clock High" ist ein ungehobener Comedy-Schatz der Achtziger. Wer den typischen Humor der Dekade liebt, auf die Teenieversteher- und Coming-of-Age-Streifen eines John Hughes steht und vielleicht noch ein Faible für "High Noon" besitzt, der bringt die besten Voraussetzungen mit, um sich von Jerry Mitchell und seine unzähligen Fettnäpfchen bestens amüsieren zu lassen. Siemaszko spielt den unbedarften Klischeespießer mit geradezu traumwandlerischer Innozenz. Umso komischer, wenn er wieder einmal versucht, seinem unausweichlichen Schicksal (das freilich symbolisch anzusehen ist für eine Art "gesellschaftlicher Defloration" bzw Manneswerdung) zu entkommen und sich dabei nur noch tiefer reinreitet. Natürlich erweist sich die ganze Geschichte am Ende ergo als nichts anderes denn als schicksalhaftes Geschenk für Jerry, der von seiner vermeintlichen Nemesis Buddy Revell, der sich in Wahrheit als sein Retter entpuppt, aus einem langwierigen Dornröschen-Schlaf wachgeküsst wird. Nur dem sympathischen Richard Tyson, der mich rein physiognomisch frappant an Jim Morrison erinnert, hätte ich ein noch versöhnlicheres Finale gewünscht. Weitere Auftritte von: Jeffrey Tambor, John P. Ryan, Mitch Pileggi, Philip Baker Hall - Namen, deren Wohlklang für sich selbst sprechen dürfte.
Ein abschließendes Wort noch zu der einmal mehr bizarren deutschen Vermarktungspraxis, "Three O'Clock High" als Nachzügler von High-School-Thrillern wie "Class Of 1984", "3:15" oder "The Principal" zu präsentieren: 1987 war dies bereits mehr als unangemessen, 23 Jahre später ist es nurmehr blamabel. So schön die grundsätzliche Tatsache einer Veröffentlichung auch ist - mit der Aufmachung der entsprechenden DVD hat man schwer danebengehauen. Kundenbeschwerden wären wenig verwunderlich.
Ansonsten: Highly recommended!

8/10

Phil Joanou Duell Utah Coming of Age Schule


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ALICE DOESN'T LIVE HERE ANYMORE (Martin Scorsese/USA 1974)


"So long, suckers!"

Alice Doesn't Live Here Anymore (Alice lebt hier nicht mehr) ~ USA 1974
Directed By: Martin Scorsese


Nachdem ihr herrischer Ehemann (Billy Green Bush) bei einem Unfall gestorben ist, löst Alice Hyatt (Ellen Burstyn) ihren Hausstand auf, klemmt sich ihren elfjährigen Sohn Tommy (Alfred Lutter) unter den Arm und fährt mit dem Wagen Richtung Westen, wo sie sich einen Jugendtraum erfüllen und im küstennahen Monterey als Sängerin arbeiten möchte. Nachdem sie in Phoenix ein paar Dollar als Barpianistin verdient und eine Kurzbeziehung mit dem halbverrückten Ben (Harvey Keitel) gecancelt hat, landet sie mit Tommy in Tuscon, wo sie als Kellnerin arbeitet und sich in den Jungrancher David (Kris Kristofferson) verliebt.

Scorsese nächster Film, für den ihn sich Ellen Burstyn, die treibende Kraft hinter dem Projekt, abgriff, ist für die übliche Signatur des Regisseurs ein recht ungewöhnliches Werk. Eine Frau mit erstarkender Persönlichkeit steht im Zentrum dieser feministischen Kampfschrift, die durchaus als New-Hollywood-Ruhmesblatt pro Frauenbewegung verstanden sein darf. Nun ist Alice Hyatt weder mit einem politisch radikalen Charakter noch mit einem allzu überragenden Intellekt ausgestattet, sie ist einfach eine typische amerikanische Provinz-Hausfrau und -Mutter, die durch ein nur für eine Schrecksekunde als solches zu begreifendes Unglück in die eigentlich glückliche Position versetzt wird, Maßgaben und Richtung ihrer Existenz selbst zu gestalten und zu bestimmen. Als der nächste ernstzunehmende Mann in ihr Leben tritt, muss er sich fügen oder gehen - und Alice gewinnt.
Ellen Burstyn inmitten eines im staubigen Westen spielendes road movie mitsamt Klavierbars, Rindern und Diners voller lärmender Cowboys - das klingt nicht eben nach Scorsese, mit dem man auch sechsunddreißßig Jahre später primär noch New York und Little Italy, rohe Gewalt und irrsinnige Individuen auf dem Weg zur Hölle assoziiert. Und doch meistert er sein Sujet, entscheidet sich wider Gewalt und Schmerz und stattdessen für Herzenswärme, Menschlichkeit und Humor. Allen also, die beim Klang des Regisseurnamens in erster Linie an zu kurz geraten Derwische, zustechende Kugelschreiber und prügelnde Baseys denken, täten gut daran, hier mal einen Blick zu riskieren. Zur Horizonterweiterung sozusagen.

8/10

Martin Scorsese New Hollywood Road Movie Musik Arizona





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Funxton

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