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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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RISKY BUSINESS (Paul Brickman/USA 1983)


"Sometimes you just gotta say 'what the heck'."

Risky Business (Lockere Geschäfte) ~ USA 1983
Directed By: Paul Brickman


Als die Eltern (Nicholas Pryor, Janet Carroll) des künftigen College-Absolventen Joel Goodsen (Tom Cruise) für ein paar Tage in Urlaub fahren und dieser das gepflegte Vorstadthaus für sich allein hat, wartet eine turbulente Zeit auf ihn: Der über Umwege durch Joels Kumpel Miles (Curtis Armstrong) initiierte Kontakt mit dem Callgirl Lana (Rebecca De Mornay), der in einer kurzfristigen Umgestaltung der elterlichen Villa in ein Bordell kulminiert, bedeutet einen harten, aber letztlich lohnenswerten Schritt in Richtung Selbstverantwortung.

Jedes Jahrzehnt hat ja so seine paar repräsentativen Filme; popkulturellen Auswurf, der vermeintlich nur im Gegenwartskontext bestehen kann, dabei aber paradoxerweise nachhaltig die Vorstellung seiner Zeit prägt und sich selbst mit dem Abstand einer halben Ewigkeit noch als seltsam beständig erweist. Wenn unser Planet irgendwann in ferner Zukunft als menschenleere Ödnis vor sich hinvegetiert und ein paar Außerirdische auf der Suche nach Zivilsationsartefakten auf "Risky Business" stoßen, dürften sie ein ziemlich genaues Bild des dann antiken 1983 a.d. bekommen - Brickman führt uns eine Generation auf dem Weg in die materialistische Isolation vor, sozusagen die baldigen Patrick Batemans, die im Gegensatz zu allem schlechter situierten nicht nur das Privileg, sondern zugleich auch die Pflicht aufoktroyiert bekommen haben, zu gnadenlosen Businesstigern zu werden. Was hier, in diesem Chicagoer Villenvorort gelangweilter Managerkinder zählt, ist das reine, pure Erfolgsstreben. Für Joel ist klar: Wenn er nicht nach Princeton geht, werden seine Eltern ihn verstoßen, seine Freunde ihm jeglichen Respekt versagen, seine ganze Zukunft gar wird wertlos werden - all das übrigens wohl nicht ganz zufällig eine treffliche Vorübung für Cruises Scientologen-Fimmel.
In diesen Teufelskreis der gesellschaftlichen Geltungssucht passt selbst die Hure Lana, die Joel schließlich bei seiner Mannwerdung unterstützt, wunderbar hinein: Zwei junge, schöne, zutiefst amoralische Opportunisten auf dem gemeinsamen Weg in den siebenten Kapitalistenhimmel. Egal ob Brickman es beabsichtigt hat oder nicht: Sein mit derart erschreckend oberflächlichen Lebensmodellen kokettierender Film ist auf seine spezifische Weise fast brillant; ein zutiefst entlarvendes, sogar denunziatorisches Zeitporträt, das zudem wunderbar durchgestylt inszeniert ist. Der flächige Score stammt von Tangerine Dream und Phil Collins' unsagbar großes "In The Air Tonight" bekommt seinen ersten von vielen medialen Einsätzen in dieser Dekade.
Unverzichtbares Lernprogramm für Kulturhistoriker.

7/10

Teenager Paul Brickmann Chicago Prostitution Coming of Age


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ALI (Michael Mann/USA 2001)


"Ain't no Vietcong ever called me 'nigger'."

Ali ~ USA 2001
Directed By: Michael Mann


Die zehn maßgeblichen Jahre in der Karriere des legendären Schwergewichtsboxers Cassius Clay (Will Smith), der sich infolge seiner Konvertierung zum Islam den Namen Muhammad Ali gibt. Von seinem ersten Titelkampf 1964 gegen Sonny Liston (Michael Bentt) über seine erfolgreiche Kriegsdienstverweigerung, zwei Ehen, seine Freundschaften mit prominenten Zeit- und Gesinnungsgenossen wie Malcolm X (Mario von Peebles) und dem Sportreporter Howard Cosell (Jon Voight) bis hin zu dem legendären, von Don King (Mykelti Williamson) medienwirksam als "Rumble in the Jungle" organisierten Fight gegen George Forman (Charles Shufford) in Kinshasa, bei dem Ali sich nach einer staatlich verordneten Zwangspause den Weltmeistertitel zurückerobert.

Heldenverehrung vermittels allerhöchster filmischer Brillanz. Michael Mann muss Muhammad Ali lieben, mitsamt dessen wesenhaft großer Klappe und seinem ungebrochen großem Selbstbewusstsein - dafür bürgt schon die biographische Periode, in der "Ali" seinen Platz einnimmt. Aus der Phase zwischen 64 und 74 gibt es wohl tatsächlich nur Glorioses von diesem Charakter zu berichten, einem Mann, der den Mythos des amerikanischen Traums mit einem geradezu fanatischen Siegeswillen in seine Realität transferiert, der den Mumm hat, als eine der prominentesten Landespersönlichkeiten dem Vietnamkrieg eine öffentliche Absage zu erteilen, der seine ethnischen Wurzeln wiederentdeckt und sie in sein Kräftekonzept integriert, der sich selbst zum unwiderstehlichen Womanizer und Superhelden stilisiert. Diese extreme Respektshaltung atmet "Ali" aus jeder Pore und schafft damit glücklicherweise einen eigenen Rhythmus, der, und damit komme ich erneut zu einer Einschätzung, die ich bereits einige Filme zuvor mit Mann in Verbindung brachte, den allermeisten anderen Filmemachern entglitten oder gar nicht erst gelungen wäre. Denn so großmäulig die Person Ali sein mag, der Film ist es zu keinem Zeitpunkt.
Ausgehend vom formalen Standpunkt gehört "Ali" zum Höchsten, was Michael Mann bis dato bewerkstelligt hat; dass er dabei eine - augenscheinlich vor allem ihm selbst wichtige - Geschichte erzählt, darf man als akzeptable Begleiterscheinung in Kauf nehmen.

7/10

Boxen Michael Mann period piece Biopic Black Consciousness


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THE BEACH (Danny Boyle/UK, USA 2000)


"No offence at all - but you're fucked in the head, right?"

The Beach ~ UK/USA 2000
Directed By: Danny Boyle


Der amerikanische Rucksacktourist Richard (Leonardo DiCaprio) sucht die 'wahre Exotik', abseits von den großflächig frequentierten Tourizentren und dem, was all die anderen so im Urlaub tun. In Bangkok trifft er auf den seltsamen Daffy (Robert Carlyle), der Richard eine Karte anvertraut, die den Weg zum angeblich schönsten Strand der Welt auf einer kleinen Insel im Golf von Thailand weisen soll. Zusammen mit dem französischen Paar Françoise (Virginie Ledoyen) und Étienne (Guillaume Canet) reist Richard zu besagtem Strand und findet dort neben schwerbewaffneten einheimischen Marihuanabauern eine hermetische New-Age-Kommune vor, die sämtlichen problematischen Lebensfragen abgeschworen hat.

Ein von seiner verführerischen Oberfläche abgesehen eigenartig leerer Film, der sich pausenlos mit Fragen und Diskursen abgibt, die mich einfach nicht interessieren und mich deshalb mutmaßlich auch nicht erreichen konnten. Reduziert formuliert geht es wie bereits in Alex Garlands Romanvorlage wohl um die Unvereinbarkeit von abendländischer Zivilisation und unberührten Naturarealen. Das selbstgeschaffene, vermeintliche Paradies wird nach und nach zum lebensfeindlichen Abgrund, den im Falle "The Beach" ausgerechnet der "Held" initiiert wie den Ausbruch eines hochinfektiösen Virus. Unbedacht reicht er vor seiner eigenen Ankunft eine Kopie der geheimen Karte weiter und beschwört damit vier Morde sowie mittelfristig das Zerbrechen der Inselkommune herauf, fordert durch die Tötung eines Babyhais den Zorn der Natur heraus und sorgt für beziehungsfeindlichen Lug und Trug. Boyle erweist sich als formvollendeter Ästhet, der in diesem Falle aber ebensogut einen Urlaubskatalog hätte illustrieren können - seine mikrokosmische Apokalypse jedenfalls juckt letzten Endes keinen, weil die von ihr Betroffenen irgendwie sowieso allesamt Arschlöcher sind.
Man fühlt sich an mitunter wesentlich Besseres im Kino erinnert; an "Hell In The Pacific" etwa, an "Apocalypse Now", "Long Weekend" oder den erst kurz zuvor entstandenen "The Thin Red Line", die allesamt ebenfalls den Pazifikraum zur infernalen Zone deklarierten, nur, dass sie den Schneid hatten, ihre topografische Metaphysik mit echten Figuren zu exerzieren und nicht bloß mit deren schönen Abziehbildern.

5/10

Tourismus Parabel Danny Boyle Thailand Marihuana Drogen Haiangriff Bangkok Alex Garland Subkultur


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AUS EINEM DEUTSCHEN LEBEN (Theodor Kotulla/BRD 1977)


"Befehl ist Befehl."

Aus einem deutschen Leben ~ BRD 1977
Directed By: Theodor Kotulla


Die Karriere des Franz Lang (Götz George): 1900 zur Zeit des Kaiserreichs geboren, versucht er als Jugendlicher mit allen Mitteln, im Ersten Weltkrieg als Infanterist an die Front zu kommen, was er durch die Fürsprache eines von seinem preußischen Enthusiasmus begeisterten Offiziers (Siegurd Fitzek) auch bewerkstelligt. Während der Weimarer Republik wird er dann zunächst Freikorpsler, um später dann in die NSDAP und bald darauf auch in die SS einzutreten. Himmler (Hans Korte) persönlich rekrutiert ihn nach einer kurzen Gefängnisstrafe wegen Mordes an einem KPD-Mitglied schließlich als Direktor von Auschwitz und Organisator der industriellen Massenvernichtung. Nach dem Krieg bezüglich seiner Greueltaten und nach seinem Gewissen befragt, antwortet Franz voller Selbstsicherheit, er sei sich keiner Schuld bewusst, er habe "bloß Befehle befolgt".

Anhand der Biographie des Naziverbrechers Rudolf Höß, der in Kotullas Film wie in Merles Vorlage "La Mort Est Mon Métier" seinen Fluchtnamen Franz Lang trägt, unternimmt "Aus einem deutschen Leben" den Versuch, nachzuzeichnen, unter welchen Umständen ein Mensch zum vollkommen gewissenlosen Exekutionswerkzeug einer Diktatur werden kann. Höß ist bereits von Haus aus ein zwischen maßlosem Patriotismus und rückhaltloser Untertänigkeit pendelnder Mensch, der stets auf der Suche ist nach konsequenten Vorgesetzten und Machthabern, die seinen beinahe pathologischen Pflichterfüllungsdrang füttern und ihm Staatsplanung und selbstständiges Denken abnehmen. Obgleich Götz George dem Menschenmonster ein durchaus charakteristisches Antlitz verleiht, ist das Beispiel Höß doch bloß eines von vielen - wenn auch ein extremes. Für den Posten des Todesplaners hätte Himmler auch einen anderen gefunden; die jeweiligen KZ-Direktoren scheinen sogar so etwas wie Bewunderung füreinander zu hegen ob der Effizienz, mit der von ihnen tagtäglich eine wechselnd große Anzahl "Einheiten" beseitigt werden.
Kotulla verzichtet auf vordergründige Dramaturgie und lässt seinen akribisch recherchierten und absolut präzis gestalteten Film erscheinen wie nüchternes Schulfernsehen. Dass gerade diese Form gewählt wurde, um über das eigentlich Unbeschreibare zu berichten, erweist sich als adäquate Wahl. "Aus einem deutschen Leben" schleicht sich sozusagen subkutan an, um dann fast unmerklich zuzustechen und erst zu schmerzen zu beginnen, nachdem die Nadel längst wieder entfernt wurde. Dem trägt besonders das grausige Ende Rechnung, in dem, unterlegt von ein paar gegenwärtigen, herbstlich-grauen Auschwitz-Bildern einige von Höß selbstverfasste Fakten mittels Georges eindringlicher Stimme vorgetragen werden. Danach kann man dann erstmal gar nichts mehr sagen.

9/10

Konzentrationslager WWI Nationalsozialismus Theodor Kotulla WWII Historie Weimarer Republik


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SHOWGIRLS (Paul Verhoeven/USA, F 1995)


"Why aren't you erect?"

Showgirls ~ USA/F 1995
Directed By: Paul Verhoeven


Die blöde, aber wehrhafte Herumtreiberin Nomi Malone (Elizabeth Berkley) will ihr Glück im Spiel- und Showparadies Las Vegas versuchen, muss jedoch unmittelbar feststellen, dass hinter dem Antlitz der Glitzermetropole alles einem gigantischen Prostitutionskarussell entspricht. Dabei will die Arme doch partout keine Hure sein... Mittels rüpelhafter Methoden zum Star einer Topless-Show aufgestiegen, zieht Nomi noch gerade rechtzeitig die Reißleine vor dem endgültigen Abstieg in die Selbstkorruption.

Fegefeuer der Oberflächlichkeiten: Unter Befleißigung "normaler" Maßstäbe lässt sich diese grelle Posse kaum einordnen, geschweige denn überhaupt erfassen. Nachdem Verhoeven bereits mit "Basic Instinct" ein eher zu vernachlässigendes Eszterhas-Buch bebildert hatte, degradierte er sich mit "Showgirls" endgültig zum Gurkenkönig des internationalen Films, auf den man schon bereitwillig zu pfeifen bereit war, hätte er sich nicht bald darauf mit "Starship Troopers" wieder so spektakulär am eigenen Schopfe aus dem Dreck gezogen. Was war geschehen? "Showgirls", von vornherein konzipiert als scheinskandalöses NC-17-Vehikel für den gepflegten älteren Herrn mit Beule in der Hose, erwies sich im Endeffekt als stockkonservative Moralfabel um die ach-so-böse Welt des Showbiz, in der die Gutherzigen zwar ihren Platz haben, diesen aber mit ehrlicher, harter Arbeit verteidigen müssen. Je wohlhabender das Pack, desto korrupter, verruchter, niederträchtiger seine Aktivitäten. Das Ganze versandet schlussendlich dann irgendwo unterhalb des geistigen Niveaus der Protagonistin, deren Lehrgeld in Vegas im Prinzip darin kulminiert, dass ihr Kyle MacLachlan als geckenhafter Koksdandy steckt, man solle Versace doch bitte nicht wie 'Vörsejs' aussprechen. Dieses bemitleidenswerte, blonde Dummchen. Wieder mal reingefallen, wie so oft.
Die deutsche Synchronisation beutet die arme Berkley übrigens noch schärfer aus: Da wird aus ihrem Lieblingskommentar "It doesn't suck" kurzerhand "Tittengeil". Ungeheuer. Bleibt nur zu hoffen, der Paulemann kann mittlerweile ebenso über seinen Abstecher in die Niederungen des subdebilen Kinos lachen wie jeder Mensch, der halbwegs bei Trost ist. Ansonsten dürfte ihm die massiv verjubelte Kohle angesichts gewisser, bis dato unrealisierter Leibprojekte noch fünfzehn Jahre später ganz zu Recht arge Herzstiche versetzen.
Jessas, was für ein unverfroren dämlicher Film.

3/10

Las Vegas Trash Joe Eszterhas Paul Verhoeven Prostitution


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DAS WEISSE BAND - EINE DEUTSCHE KINDERGESCHICHTE (Michael Haneke/D, AT, F, I 2009)


"Die Drohungen blieben leer."

Das weisse Band - Eine deutsche Kindergeschichte ~ D/AT/F/I 2009
Directed By: Michael Haneke


Eichwald, ein im Norddeutschen gelegenes, spätfeudalistisches Dorf im Vorkriegsjahr 1913: Der junge Lehrer der örtlichen Schule (Christian Friedel) wird Zeuge einer Kette seltsamer Unfälle und Straftaten, deren Urheber sich nicht feststellen lassen und die in Eichwald für Unfrieden sorgen. Hinter einer undurchdringlichen, autoritären Mauer des ehernen Schweigens, für die vor allem die "führenden" gesellschaftlichen Köpfe wie der protestantische Pastor (Burghart Klaußner), der Dorfarzt (Rainer Bock) und der Baron (Ulrich Tukur) als Feudalherr Eichwalds stehen, schwelen neben gegenseitiges Misstrauen, falschen Verdächtigungen und Neid auch böse Sanktionsmittel, Missbrauch, Totschweigen.

Michael Haneke macht sich in "Das Weisse Band" daran, ein Exempel für die Auswüchse der im frühen letzten Jahrhundert noch akuten Schwarzen Pädagogik darzustellen und es darüberhinaus als eine mögliche Ursache für das unweigerliche Abdriften einer Gesellschaft in den Faschismus zu analysieren. Der aufgeschlossene, liberal positionierte Junglehrer steht gegen einen Wall des jahrhundertealten Filz geprägt von geglätteten Machtverhältnissen und verhärteten Fronten, von erzwungener Obrigkeitshörigkeit und einer omnipräsenten, latenten Feindseligkeit, hinter dem es schließlich zu brodeln beginnt. Hier heißt es nicht mit, sondern gegen, heruntergebrochen auf den jeweils denkbar kleinstmöglichen sozialen Mikrokosmos: Es geht Aristokratie gegen Bürgertum, Bildungsbürger gegen Arbeiter, Frau gegen Mann, alt gegen jung, nicht-behindert gegen behindert. Der Katechismus dient als pädagogisches Druckmittel und steht gleichberechtigt neben dem Ochsenziemer und dem titelgebenden Band, das der Pastor seine Kinder öffentlich als Schandmal tragen lässt.
Um eine Gesellschaft am Kriegsvorabend geht es hier, die angesichts ihrer unerträglichen internen Spannungen den Krieg als Erlösung begreifen dürfte. Für dieses von emotionaler Kälte geprägte Klima erscheint das klirrende, wenn auch ästhetisch ungeheuer reizvolle Schwarzweiß der Photographie höchst passend. Mich hat "Das Weisse Band" phasenweise stark an Kubricks "Barry Lyndon" erinnert, in dem eine ähnliche bildliche (wenn auch farbige) Klarheit vorherrscht in Koexistenz mit einer minimalisierten historischen Gesellschaftsstudie und einem in klassisches Literaturdeutsch gekleideten Off-Kommentar. Und da mir der eine gefällt, tut's eben auch der andere. Mit Haneke habe ich langsam meinen Frieden gemacht. Seine mir persönlich peinlichen, mediendidaktikischen Arbeiten kann ich ja weiterhin getrost ignorieren.

8/10

Feudalismus WWI period piece Historie Michael Haneke


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DER FAN (Eckhart Schmidt/BRD 1982)


"Nichts für dich dabei, junge Dame."

Der Fan ~ BRD 1982
Directed By: Eckhart Schmidt


Wie viele Teenager träumt Simone (Desirée Nosbusch) davon, in den Armen ihres abgöttisch verehrten Stars zu liegen, bei dem es sich in ihrem Fall um den Popstar R (Bodo Steiger) handelt. Doch Simones Zuneigung geht über übliche Jungmädchen-Schwärmereien hinaus; R bestimmt ihre gesamte Existenz. Als Christines Liebesbriefe an R unbeantwortet bleiben, reist sie per Anhalter zu einem seiner Fernsehauftritte. Der Star wird tatsächlich auf das hübsche Mädchen aufmerksam und spielt ihr eine fachmännische Komödie vor, um sie ins Bett zu bekommen. Als Simone danach bemerkt, dass R nur an der schnellen Nummer interessiert war, erschlägt und zerteilt sie ihn und verspeist seinen Körper. Am Ende kehrt sie in ihren Alltag zurück als sei nichts gewesen.

West-German Psycho: Schmidts durchaus ansprechende Studie einer bis ins äußerste Extrem gepushten Teenagerbesessenheit wurde seinerzeit zum Skandalfilm hochgejubelt, vornehmlich vegen der Nacktszenen der siebzehnjährigen Nosbusch und wegen des Kannibalismusaspekts der Geschichte. Dabei fasziniert "Der Fan" im Nachhinein vor allem als Zeitporträt; die minimalistischen Klänge der NDW-Truppe Rheingold (deren Vokalist Bodo Steiger im Film als R zu sehen ist) unterlegen die karge, vordergründig emotionslose Bildsprache Schmidts, die sich an die der Schrader-Filme dieser Zeit wie "American Gigolo" und "Cat People" angleicht, auf kongeniale Weise. Schmidt gelingt es, den kalten Hedonismus dieser Ära, der, so die primäre These des Films, sensiblere Menschen sukzessive in den Irrsinn zu treiben vermochte, vorzüglich zu illustrieren. Kleine, durchaus charmant wirkende Schnitzer, die sich in unzureichend scheinendem Spiel oder manchmal unbeholfen wirkender Inszenierung äußern, passen sich der irrealen Gestalt des Films letzten Endes vorzüglich an.
Leider hat "Der Fan" es über die Jahre noch nicht geschafft, sich einen ihm gerecht werdenden Leumund zu erarbeiten. Vielleicht mag dieser kleine Text ein bisschen dazu beitragen, wenig täte mich mehr freuen.

7/10

Teenager Independent Kannibalismus Musik Madness Skandalfilm Eckhart Schmidt


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SPETTERS (Paul Verhoeven/NL 1979)


Zitat entfällt.

Spetters ~ NL 1980
Directed By: Paul Verhoeven


Der geordnete Alltag der drei Provinzfreunde und Motocross-Fans Rien (Hans van Tongeren), Eef (Toon Agterberg) und Hans (Maarten Spanjer) gerät durcheinander, als sie bei einem Rennen die selbstbewusste Pommesbraterin Frietje (Renée Soutendijk) und ihren Bruder Jaap (Peter Tuinman) kennenlernen. Für sie alle bedeutet Frietjes und Jaaps Auftauchen indirekt oder direkt eine existenzielle Zäsur. Rien hat einen furchtbaren Unfall, Eef bekennt sich endlich offen zu seiner Homosexualität und Hans muss einsehen, dass es Zeit wird, sich endlich aus gewissen übermächtigen Schatten zu lösen.

"Spetters", den Verhoeven ausnahmsweise nicht für seinen bisherigen Stammproduzenten Rob Houwer machte, schien den Regisseur vor eine ähnliche Entscheidung zu stellen wie Hans: Weiter im Jugendmilieu verweilen und sich um Selbstfindungsgeschichten von Halbstarken kümmern oder einsehen, dass dazu bereits alles Wesentliche gesagt wurde und sich "erwachseneren" Themen zuwenden. Vielleicht spürte Verhoeven dieses Drängen sogar schon während der Entstehungszeit von "Spetters", denn der Film wirkt, zumindest in Teilen, nicht mehr so ambitioniert wie vorhergehende Arbeiten. Die schon üblichen Protestreaktionen kamen diesmal aufgrund einiger weniger expliziter Bilder, die die Grenzüberschreitung zur Pornographie hinter sich ließen - einer der ersten offensiven Einbrüche sexueller Darstellungen in den Mainstream bzw. ein klares Signal des Arrangements, wie sie eine ganze Zeit später von RegisseurInnen wie Breillat und Winterbottom ähnlich unverkrampft und mit noch deutlicherer Signalstärke übernommen werden sollten. Das hievt den Film aber auch nicht in die qualitativen Bereiche von "Turks Fruit" oder "Soldaat Van Oraanje". Am Besten an "Spetters" gefällt mir ehtrlich geagt der Einsatz der häufig und wie beiläufig im Hintergrund gespielten, zeitgenössischen Popmusik, die wunderbar den Übergang zwischen Punk und Disco illustriert. Könnte man mit ein bisschen Phantasie sogar als symptomatisch für Verhoevens kreatives Dilemma betrachten.

6/10

Teenager Freundschaft Skandalfilm Paul Verhoeven Coming of Age


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KEETJE TIPPEL (Paul Verhoeven/NL 1975)


Zitat entfällt.

Keetje Tippel (Das Mädchen Keetje Tippel) ~ NL 1975
Directed By: Paul Verhoeven


Gegen Ende des 19. Jahrhunderts zieht die Familie Oldema im Angesicht des sozialen Elends von Friesland nach Amsterdam. Das Stadtleben verspricht Arbeit, Geld und vor allem zu essen. Doch die Verhältnisse erweisen sich nach wie vor als schwierig: Ungebildete Arbeiter wie der Vater (Jan Blaaser) werden für Hungerlöhne beschäftigt und ausgebeutet, Keetje (Monique van de Ven), die zweitälteste Tochter, indes reißt als junges, attraktives Mädchen zahlreiche gesellschaftlich höhergestellte Herren zu unfeinen Angeboten hin. Schließlich geht sie den folgerichtigsten Weg und wird Hure. Bald entdeckt sie dann der Maler George (Peter Faber) und führt sie ein in die Bohème der Grachtenstadt. Eine kurze Liaison mit dem Bankier Hugo (Ruther Hauer) endet so nüchtern und stürmisch, wie sie begonnen hat. Schließlich landet Keetje in den glücklichen Armen des unkoneventionellen klassenkämpferischen Aristokraten Andre (Eddie Brugman).

Ein auf der autobiographisch gefärbten Schrift "Jours De Famine Et De Détresse" der legendären Kokotte und späteren Klassenkämpferin Neel Doff basierendes Sittengemälde Hollands zum Fin de siècle. Wie bereits in "Turks Fruit" verzichtet Verhoeven auf eine pathetische oder melodramatische Sicht der Dinge, sondern bevorzugt eine nüchterne Darstellung der zeitgenössischen Ist-Verhältnisse, die sich einzig durch unerschütterlichen Optimismus und das passende Durchbeißungsvermögen verändern ließen. Andererseits interessiert sich "Keetje Tippel" auch für den Widerspruch zwischen materiellem Vermögen und Charakterstärke. Verhoeven sparte es jedoch bewusst aus, noch mehr als die letztlich nurmehr rudimentär vorhandenen politischen Implikationen zu zeigen. Keetje als Kind sozialer Missstände wird wie viele andere ihrer LeidensgenossInnen als "Rote" geoutet, singt die Marseillaise aber, wie sie selbst auch ganz offen zugibt, nur so inbrünstig mit, weil ihr der Magen knurrt und nicht etwa, weil sie mit marxistischen Pamphleten vertraut wäre. "Geld macht Menschen zu Arschlöchern", stellt sie gegen Ende fest. Wie wahr.

7/10

Fin de Siècle Klassenkampf Amsterdam Sittengemaelde Paul Verhoeven period piece Biopic Prostitution Historie Kunst


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FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS (Terry Gilliam/USA 1998)


"Damn drugs."

Fear And Loathing In Las Vegas ~ USA 1998
Directed By: Terry Gilliam


Im Frühjahr 1971 begibt sich der Journalist Raoul Duke (Johnny Depp) zusammen mit seinem drug buddy Dr. Gonzo (Benicio del Toro) und einem Koffer voll diverser illustrer Rauschmittel nach Las Vegas, um in seinem ihm eigenen, als Gonzo-Journalismus getauften Berichterstattungsstil die Wüstenrallye 'Mint 400' zu dokumentieren. Später findet sich noch ein weiteres Engagement im Zuge des alljährlichen Polizeitreffens unter dem Schirmmantel der Drogenbekämpfung. Der mehrtägige, rauschgiftgeschwängerte Trip erweist sich im Nachhinein als Reise in die Abgründe der eigenen Seele und in das verfaulende Herz Amerikas.

"Fear And Loathing In Las Vegas", mit dem ich gestern feierlich, weil wieder mal zutiefst erschüttert, meine jüngste Terry-Gilliam-Retrospektive beschloss, anzusehen, kommt für mich jedesmal aufs Neue einem überwältigenden Ereignis gleich. Gewöhnlich vermeide ich eine nüchterne Betrachtung dieser monströsen Americana, sei es, weil sie sich bei verändertem Bewusstsein besser konsumieren und /oder begreifen lässt, sei es, weil ich sie nach zwanzigirgendwas-maliger Beschau nur noch so zu ertragen können glaube. Alles Blödsinn, das einzige Mittel, das mir gestern die Sinne hätte trüben mögen, war das Penicillin, das ich gegenwärtig zur Zerschlagung meiner akuten Tonsillitis nehme. Und trotzdem brach der Film abermals über mich herein wie die Acid-Fledermäuse über Johnny Depp in der kalifornischen Wüste: Eine gewaltige Bestandsaufnahme einer Nation am Arsch, zwischen Nixon, Vietnam, Kent State und einem unterminierten Liebessommer, in der nur noch die bleibende Musik von den gestrigen, kurzlebigen Träumeridealen zeugt. Und die Drogen natürlich. Wirkungsgrade und -dauer jeder einzelnen von ihnen wird uns minutiös nahegebracht, bestimmte Verhaltensregeln und was sich bei dem einen vielleicht anders niederschlägt als beim anderen. Besonders Bewusstseinsverzerrendes ist bei Duke und Gonzo gefragt: Mescalin, LSD, Äther, Poppers und ein besonders tückisches Zeug namens Adrenochrom, samt und sonders recht und billig, um Las Vegas zu er-, unter- und überleben, obschon die Stadt - Zitat Raoul Duke - "nicht gemacht scheint für User halluzinogener Drogen". Eher sanftes Zeug wie Koks, Joints, Alkohol fungiert als Realitätsanker. Immerhin findet man inmitten von schweinischem Benehmen und Vandalismus noch hinreichend Zeit zu rückhaltloser Rauschmittelarroganzia, sowie dazu, über die nationale Verworfenheit zu sinnieren. Genau deswegen ist "Fear And Loathing In Las Vegas" auch das hochrangige Stück Literatur (und Film, natürlich) geworden, als das es heute gerufen wird.
Abschließend noch etwas redundante Hypothese und Arschkriecherei: Ich möchte behaupten, dass ein anderer Filmemacher als Terry Gilliam die notwendige Gratwanderung zwischen ausgelebtem Hedonismus und gesellschaftspolitischem Statement in einer solch überirdischen Perfektion nicht hinbekommen hätte.
Darum: Viva T.G.!

10/10

Farce Satire Alkohol Americana Drogen Journalismus LSD Freundschaft Groteske Hunter S. Thompson Las Vegas Terry Gilliam Beat Generation





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