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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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MEAN STREETS (Martin Scorsese/USA 1973)


"Motherfucker!... come on! I got somethin' for ya, asshole!"

Mean Streets (Hexenkessel) ~ USA 1973
Directed by: Martin Scorsese


Charlie Cappa (Harvey Keitel) bewegt sich tagtäglich im "Milieu" von Little Italy, New York. Sein Onkel Giovanni (Cesare Danova), für den Charlie diverse Botengänge und Schuldeneintreibungen übernimmt, ist der Pate des Blocks. Charlie müht sich stets um souveränes und selbstsicheres Auftreten und hofft, alsbald in der lokalen Familien-Hierarchie aufzusteigen. Für seinen besten Kumpel Johnny Boy (Robert De Niro), einen Aufschneider mit großer Klappe, ständg pleite und hoch verschuldet, hat Charlie zwar - zumal er mit Johnny Boys unter Epilepsie leidender Cousine (Amy Robinson) zusammen ist - ein Herz, kann ihn letzten Endes jedoch nicht vor seiner verhängnisvollen Unverschämtheit retten.

Coppola hatte mit "The Godfather" ein großes Epos über große New Yorker Gangster und deren familiäre Strukturen geschaffen, Scorsese indes kramte ohne großes Mühsal in der eigenen Autobiographie und knöpfte sich für "Mean Streets" jenen typischen kleinen Gernegroß aus der Bronx vor, der den lieben langen Tag damit verbringt, nach oben zu buckeln und nach unten zu treten. Ist jemand als Teil jener Subkultur nicht Willens, sich diesem hierarchisch geordneten System zu subordinieren oder gar dagegen aufzubehren, muss er - wie Johnny Boy - zwangsläufig auf der Strecke bleiben.
Nachdem Scorseses Mentor und Berater John Cassavetes ihm ziemlich unverblümt seine Meinung zu "Boxcar Bertha", die etwa dergestalt war, dass Scorsese "ein Jahr an Anstrengung und Talent in Scheiße investiert habe", aufgetischt und ihm geraten hatte, wieder etwas "Persönlicheres" zu machen, begab sich der Regisseur an "Mean Streets", eine Art Quasi-Fortsetzung von "Who's That Knocking At My Door", mit einem leicht älter gewordenen Protagonisten, dessen innere Unüberwindlichkeiten nichtsdestotrotz fast die identischen sind. Auch Charlie schwankt zwischen ethnisch verwurzeltem Ehrgefühl, erzkatholischen Grundfesten und unüberwindlichem machismo, allesamt übermächtige Schatten, über die er niemals wird springen können. Mit Johnny Boy, dem ersten Part, den De Niro für Scorsese spielte, hat zugleich der freche, kleine Choleriker Premiere, einer, der in harschen Konfliktsituationen so lange schlägt, sticht, tritt, bis sein Gegenüberc am Boden liegt und sich nicht mehr rührt, und für den später dann im Regelfall Joe Pesci zuständig sein sollte. Diese zwei Figuren, der irgendwo inmitten pubertärer Charakterzüge steckengebliebene Antiheld und sein prügelnder "sidekick", bestimmten für Dekaden das Werk Scorseses. Ähnlich wie die Stones, mit deren "Jumpin' Jack Flash" die ikonographische Sequenz untermalt ist, in der Charlie wie auf Schienen durch die tiefrot beleuchtete Kneipe seines Kumpels Tony (David Proval) stolziert, die Kamera direkt im Nacken. Zigmal kopiert, nie erreicht.

9/10

Ethnics Martin Scorsese New Hollywood Mafia New York


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BOXCAR BERTHA (Martin Scorsese/USA 1972)


"Up! Down! Up! Down!"

Boxcar Bertha (Die Faust der Rebellen) ~ USA 1972
Directed By: Martin Scorsese


Während der Tage der Depressionszeit tun sich das Straßenmädchen Bertha Thmpson (Barbara Hershey), der Klassenkämpfer Bill Shelly (David Carradine), der Falschspieler Rake Brown (Barry Primus) und der Tagelöhner Von Morton (Bernie Casey) zusammen und verüben Raubzüge auf Banken und die Eisenbahngesellschaft. Dabei achten sie stets darauf, dass ein Großteil ihrer Beute an die Gewerkschaften oder direkt an die ausgenutzten Arbeiter geht. Dem Eisenbahn-Bonzen Sartoris (John Carradine) ist das Quartett daher ein besonderer Dorn im Auge.

Kaum ein bedeutender Filmschaffender in New Hollywood, der nicht zumindest kurzfristig Wegbegleiter von Roger Corman war oder wenigstens einmal für die AIP gearbeitet hat. Scorseses nomineller Beitrag dazu hieß "Boxcar Bertha". Corman ist bekanntermaßen ein großer Freund von in den zwanziger und dreißiger Jahren angesiedelten Gangsterfilmen, wobei immer wieder gern authentische Figuren und Geschichten zu Markte getragen wurden - so auch die der "Boxcar Bertha" Thompson, bei der es sich tatsächlich jedoch um eine fiktionale, literarische Figur des obskuren Akademikers Ben Reitman handelt, eines notorischen Bordellgasts, der im Film sogar kurz porträtiert wird. Der Vorteil bei der Produktion dieser Art period piece war für Corman nicht zuletzt ein ökonomischer - durch die Wiederverwendbarkeit von Kostümen, Ausstattungsstücken und Kulissen konnte jeweils eine Menge an Produktionskosten eingespart werden. Auch "Boxcar Bertha" wurde für ein sehr geringes Budget realisiert, obschon man ihm das nicht ansieht. Für Scorseses Gesamtoeuvre ist seine zweite Regiearbeit im Spielfilmfach (zwischendurch hatte er die Dokumentation "Street Scenes" angefertigt) als Auftragsarbeit von eher untergeordneter Bedeutung. Er hatte einen Exploitationfilm machen sollen, was sich visuell noch anhand einiger heftiger shoot outs (besonders der abschließende wäre da zu nennen) und ein paar Sexszenen mit der Hershey festmachen lässt. Ansonsten mangelt es "Boxcar Bertha" geflissentlich an Tempo, wenn auch nicht an Stil. Ganz bewusst verzichtete Scorsese auf Weichzeichnerfilter, wie sie etwa Kollege Altman einzusetzen pflegte und filmte in knackig-bunter Farbnomenklatur, die seine Arbeit noch heute frisch und lebendig erscheinen lässt. Als Bestandteil einer halbwegs kompletten Hollywood-Schau über die Depressionszeit erachte ich den Film jedenfalls als unerlässlich.

7/10

period piece Historie Roger Corman Heist Great Depression Hobo Martin Scorsese


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WHO'S THAT KNOCKING AT MY DOOR (Martin Scorsese/USA 1967)


"I forgive you."

Who's That Knocking At My Door (Wer klopft denn da an meine Tür) ~ USA 1967
Directed By: Martin Scorsese


Der junge italienischstämmige New Yorker J.R. (Harvey Keitel) pflegt zusammen mit seinen Freunden große Gesten ohne viel Inhalt. Als er am Bahnhof ein hübsches Mädchen (Zina Bethune) kennenlernt, die sein Interesse für das Kino und John-Wayne-Filme teilt, freut er sich zunächst, eine gefunden zu haben, die nicht so ist, wie "diese ganzen Miezen", die mit jedem sofort ins Bett steigen und nicht mehr jungfräulich in die Ehe gehen können. Dann erfährt er von dem Mädchen, dass es schon einmal vergewaltigt wurde, eine mit J.R.s männlichem Stolz und seiner erzpuritanischen Erziehung unvereinbare Tatsache.

Scorsese ursprünglich als Abschlussarbeit für die New Yorker Filmakademie gedachtes und eine Mehrfach-Titel-Evolution durchlaufenes (von "Bring On The Dancing Girls" über "I Call First" bis hin zu "Who's That Knocking") Langfilmdebüt konnte erst nach einigen Jahren und mittels komplizierter Finanzierungsumwege auf Länge gebracht werden - unter der Prämisse, dass ein paar Nacktszenen hineinmontiert werden, um zumindest einen geringeren Kassenerfolg zu gewährleisten. Diese schlugen sich dann letztlich in Form einer Traumsequenz nieder, in der der trotz seiner Weigerung, mit seiner Freundin zu schlafen, keineswegs asexuelle J.R. von koitalen Begegnungen mit hübschen Gespielinnen phantasiert. Dazu spielt Scorsese "The End" von den Doors. Die sehr kunstvoll arrangierte Sequenz dürfte dem, was die Financiers sich vorgestellt hatten, im Endeffekt ziemlich diametral gegenüberstehen, in den Film gliedert sie sich jedenfalls vortrefflich ein. Viel von Scorseses immer wieder akuten formalen Leitmotiven findet sich hier bereits ein; der geschmackvolle Einsatz zeitgenössischer Musik etwa (für die Stones fehlte es damals wohl an Tantiemenaufwendung) und die Unfähigkeit des Hauptcharakters, über seine eigene Sozialisation respektive den eigenen Stolz springen zu können, um sein Leben in eine bessere Richtung zu lenken. Natürlich wirkt "Who's That Knocking" wie etliche Einstandsfilme großer Regisseure noch sehr roh und ungeschliffen; Scorsese experiminetiert mit Dolly und Handicam, mit SloMos und scheinbar ungelenken Schwenks und macht aus seiner Beeinflussung durch die nouvelle vague alles andere als einen Hehl. Dennoch erkennt man hier unzweifelhaft das Potenzial eines der bedeutsamsten New Yorker Filmemacher.

8/10

New Hollywood Religion New York Martin Scorsese Ethnics


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RUMBLE FISH (Francis Ford Coppola/USA 1983)


"Even the most primitive of societies have an innate respect for the insane."

Rumble Fish ~ USA 1983
Directed By: Francis Ford Coppola


Der junge Schläger Rusty James (Matt Dillon) steht im ewigen Schatten seines lokal legendären Bruders, des Motorcycle Boy (Mickey Rourke). Dieser, ein ebenso körperlich schlagkräftiger, wie intellektuell befähigter Mann Mitte zwanzig hat einst sämtliche Gangs von Tulsa vereint und so die Bandenkriege gestoppt. Doch gehören jene Zeiten mittlerweile der Vergangenheit an. Alles geht wieder seinen alten Gang, seit der Motorcycle Boy vor längerer Zeit verschwunden ist. Als er eines Tages zurückkehrt, nach eigener Aussage aus Kalifornien, wo er seine und Rusty James' Mutter besucht habe, scheint er verändert. In sich gekehrt, wehmütig und still interessiert er sich in erster Linie für die im Fenster der Tierhandlung ausgestellten Kampffische, die er wegen seiner Farbenblindheit äußerlich nicht unterscheiden kann.

In direkter Folge zu den "Outsiders" inszenierte Coppola vor Ort in Oklahoma noch einen weiteren Jugendroman von Susan E. Hinton, diesmal nach deren eigenem Script. "Rumble Fish", der das kaum zu erwartende Kunststück bewältigt, mit seinen betont artifiziell gehaltenen Schwarzweißbildern seinen "Vorgänger" nicht nur ästhetisch, sondern auch an Symbolkraft zu überragen, erweist sich als eine der experimentellsten, intensivsten und zugleich intimsten Arbeiten Coppolas.
Man darf allerdings vermuten, dass ohne den allseitigen, großartigen Support kein solches Meisterwerk hätte entstehen können. Stephen Burum als dp, der mit der Kamera eine Vielzahl beeindruckender Kunststücke vollzieht, Stewart Copeland als Composer und die durchweg phantastische Besetzung, allen voran Mickey Rourke in einer der allerschönsten Rollen seiner gesamten Laufbahn, veredeln diesen wunderbar poetischen Film auch bis aufs letzte i-Tüpfelchen. Vollkommene Brillanz. Zum Quadrat!

10/10

Coming of Age Teenager Francis Ford Coppola Gangs Subkultur


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ROUNDERS (John Dahl/USA 1998)


"Want a cookie?"

Rounders ~ USA 1998
Directed By: John Dahl


Nachdem der Jura-Student und Pokerprofi Mike McDermott (Matt Damon) am Spieltisch eine gigantische Summe verloren hat, versucht er, dem Zocken abzuschwören - bis sein bester Kumpel Worm (Edward Norton) aus dem Knast entlassen wird. Dieser trägt seinen Spitznamen nicht zu Unrecht: Er ist genau der Typ Mensch, mit dem man besser nicht befreundet ist, weil er das dumme Talent hat, einen garantiert in die Jauchegrube zu reiten. Mike geht es nicht anders. Eine kurzerhand gewährte Bürgschaft hat zur Folge, dass Worm einen Riesenberg Schulden am Hacken hat, für den Mike aufkommen muss. Da bleibt nur die Rückkehr ins große Spiel...

Auch wenn "Rounders" sicher nicht so schön ist wie Jewisons großer Pokerklassiker "Cincinnati Kid", eine respektable Vorstellung über Wohl und Wehe des Karten- und Glückspiels bekommt man mit Dahls Film durchaus verabreicht. Nach seinen ersten Filmen wurden die Weinsteins auf den Regisseur aufmerksam und jener konnte so ein mit ordentlichem monetären Rückhalt gestaltetes sowie darüberhinaus bis in die Nebenbrollen edel besetztes Spielerdrama in guter Genretradition auf die Beine stellen. Jenes geriet den Kompetenzen und Fertigkeiten Dahls entsprechend sauber und flüssig. Mit Milchgesicht Damon in der Hauptrolle musste ich mich wie immer geflissentlich arrangieren und gönnte ihm fast sein blaues Auge, dass er durch Nortons einmal mehr unverantwortliches Verhalten kassiert. Umso erfreulicher, die Größen Malkovich (in einem leider auf spärliche screentime beschränkten, nichtsdestotrotz aber formidablen Part), Turturro und Landau bei bester Form anzutreffen.

7/10

John Dahl Poker Gluecksspiel Spieler Freundschaft New York


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THE OUTSIDERS (Francis Ford Coppola/USA 1983)


"Boys will be boys."

The Outsiders ~ USA 1983
Directed By: Francis Ford Coppola


Tulsa, Oklahoma in den sechziger Jahren: Die höchst unterschiedlichen sozialen Verhältnissen entstammenden Jugendgangs 'Greasers' und 'Socs' stehen sich feindselig gegenüber und verteidigen ihre Fronten mit Vehemenz. Die aus dem schwach situierten Norden der Stadt stammenden Greasers haben es dabei besonders schwer, mit den gut gekleideten Socs aus dem Süden, die die schickeren Autos und die schöneren Mädchen haben, auch nur annährend gleichzuziehen. Der junge Greaser Ponyboy Curtis (C. Thomas Howell), der unter dem Tod seiner Eltern zu leiden hat, begegnet der steten Konfliktsituation mit hilfloser Feinfühligkeit. Er zitiert Frost, liest Mitchell (vor), bewundert den Sonnenaufgang und wird mit dem allseitigen, ihn umgebendem Hass kaum fertig.

Auf die Petition einer Highschool-Klasse hin adaptierte Coppola mit seinem Studio Zoetrope den gleichnamigen Hinton-Roman, nunmehr seit Generationen eine klassische Schullektüre für pubertierende peer groups. Da mir der Film in letzter Zeit in mehrfacher, ganz unterschiedlicher Weise über den Weg gelaufen ist, zuletzt in Oliver Nödings unbedingt lesenswertem Blog-Eintrag , hatte ich das dringende Bedürfnis, ihn nach vielen Jahren wieder aufzufrischen. Weder konnte ich mich sonderlich gut an den inhaltlichen Ablauf des Romans erinnern, noch war mir der ursprünglichen Kinoschnitt noch außerordentlich präsent - lediglich besonders prägnante Szenen, wie die zwei die Dämmerung bewundernden Howell und Ralph Macchio blieben unauslöschlich abrufbar.
Mein nivellierter Eindruck bescherte mir heuer ein reichhaltiges, poetisch-kunstvolles und ergreifendes Teenage-angst-Drama, das sich wohl nicht zuletzt in Anbetracht seines Regisseurs als reif genug erweist, im Gegensatz zu vielen Artgenossen auf eine spekulative Perspektive zu verzichten und sich so eine zwingende Zeitlosigkeit anzueignen. Ein Plädoyer dafür, sich das sprichwörtliche "Gold" der Jugend stets im Herzen zu bewahren; offen, ehrlich und authentisch zu bleiben - komme, was da wolle.
Demnächst dann nochmal "Rumble Fish".

9/10

period piece Oklahoma Teenager Brat Pack Subkultur Gangs Francis Ford Coppola Coming of Age


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TROPA DE ELITE (José Padilha/BR, NL, USA 2007)


Zitat entfällt.

Tropa De Elite ~ BR/NL/USA 2007
Directed By: José Padilha


Rio de Janeiro, 1997: Auf den als unbeirrbar gefürchteten BOPE-Offizier Nascimento (Wagner Moura) warten harte Zeiten. Neben seinem alltäglichen Geschäft, dem Kampf gegen die unzähligen großen und kleinen Drogendealer in den Favelas, kündigt sich ein Papstbesuch an und der Kirchenvater geruht ausgerechnet bei einem im Slum wohnhaften Bekannten zu nächtigen. Das entsprechende Areal muss also rechtzeitig gesichert werden. Hinzu kommen sich mehrende Panikattacken, die Nascimento innerlich unter Druck setzen sowie die unmittelbar bevorstehende Geburt seines kleinen Sohnes. Ein baldiger Nachfolger als Einheitsleiter muss her. Allein, wer soll es sein - der ultrabrutal vorgehende Neto (Caio Junqueira) oder der idealistische, zugleich nach einer Anwaltskarriere strebende Matias (André Ramiro)?

Knüppelharte Studie über den Einsatz der BOPE in den Favelas von Rio. Bei der BOPE handelt es sich um eine martialische, unter Militärherrschaft stehende Polizeieinheit, die sowohl dafür bekannt ist, absolut rücksichtslos vorzugehen, das heißt, auch unter regelmäßigem Einsatz von Folter und tödlicher Gewalt, als auch dafür, garantiert unbestechlich zu sein. Rodrigo Pimentel, einer der Autoren der Vorlage, war selbst jahrelang BOPE-Offizier und schildert seinen authentischen Arbeitsalltag in bürgerkriegsähnlichen Zuständen in beklemmender Art und Weise. Der Einsatz der BOPE wird dabei durchaus kritisch beäugt und keineswegs, wie manche kritische Stimmen dem Film vorwarfen, glorifiziert. Ganz zweifellos wird herausgestellt, in welch abartiger Weise die Polizisten als reaktionäre Terrorsäer instrumentalisiert werden und wie nutzlos auf der anderen Seite ihr mitunter tödlicher Einsatz ist. Die langjährige Erfahrung demonstriert nämlich hinlänglich, dass die Zahl der in Drogengeschäfte involvierten Personen in den Favelas keinesfalls geschrumpft ist und dass die Einschüchterungs- und Gewalttaktik der BOPE ergo weithin fruchtlos geblieben ist.
Padilha inszeniert sein kleines Epos in farbgefilterten, messerscharfen Bildern und mit Handicam, einer seltsamen, gleichwohl funktionalen Mischung aus Stilisierung und Naturalismus. Die Wahl dieser Mittel kommt dem Film und seinem Anliegen durchaus zugute und verschafft dem in globaler Hinsicht ja zwangsläufig unbedarften Publikum somit einen zwischen Hyperrealismus und Beklemmung pendelnden Eindruck dessen, was sich da zwischen von Zuckerhut und Copacabana tagtäglich abspielt.

9/10

Favelas Rio de Janeiro Slum José Padilha Brasilien


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RED RIDING: 1974/1980/1983 (Julian Jarrold, James Marsh, Anan Tucker/UK 2009)


"To the North - where we can do what we like."

Red Riding: 1974/1980/1983 ~ UK 2009
Directed By: Julian Jarrold/James Marsh/Anan Tucker


West Yorkshire im Norden Englands. Hinter pittoresk-grauer Industriekulisse ereignet sich in einer über neunjährigen Zeitspanne Ungeheuerliches: Kinder werden ermordet, vergewaltigt und verstümmelt aufgefunden, die Polizei und das gesamte Rechtssystem sind durch und durch korrupt, unliebsame oder gar aufbegehrende Mitwisser und Schnüffler werden beseitigt und statt der wahren Täter hilflose Sündenböcke eingesperrt, ein böser Immobilienhai (Sean Bean) zieht im Hintergrund die Fäden, derweil noch ein Serienmörder (Joseph Mawle) Prostituierte abschlachtet und die Rechtschaffenen, wie der Journalist Dunford (Andrew Garfield), der von außerhalb herbestellte Ermittler Hunter (Paddy Considine) oder der kleine Anwalt Piggott (Mark Addy) rein gar nichts mehr zu bestellen haben.

Gleich drei Regisseure verfilmten mittels formal recht differenter Ansätze das eigentlich unbedingt kinotaugliche "Red Riding Quartet" des Autors David Peace für den britischen Channel 4, wobei "1977", der zweite Teil des Zyklus, zu Lasten des strengen Dreijahres-Rhythmus der Vorlage ausgespart wurde. Die Romane sind mir leider nicht bekannt, so dass ich nicht beurteilen kann, wie schmerzlich das fehlende Segment letzten Endes vermisst werden muss. Immerhin bleibt auch den nunmehr zur Trilogie geschrumpften Filmen dank des glücklicherweise immens pedantischen Scriptautors Tony Grisoni ihre Stimmigkeit ohne Einbußen erhalten.
"Red Riding" beginnt am Vorabend der langjährigen politischen Herrschaft der Tories unter Margaret Thatcher und weist sogleich den mentalen Weg der folgenden Dekade. Sean Bean gibt dafür stellvertretend gleich in "1974" einen wunderbar kompakten Abriss der Zeitzeichen, wobei West Yorkshire im Zuge einer wohldurchdachten Offerte seines durchtriebenen Bauunternehmers Dawson zum Opfer eines großkapitalistischen Albtraums wird, in dem niemand, der Ethik, Gerechtigkeit und Wahrheitsfindung als Lebensmaximen schätzt, mehr etwas verloren hat, so er nicht in Bälde sein Leben zu verlieren trachtet. Es scheint fast, als habe sich eine satanische Bruderschaft sämtlicher sozialer Schlüsselpositionen und Trägerposten bemächtigt und treibe nun ihre zwischen abartiger Perversion und Machthunger pendelnden Ränkespiele im beschaulichen Nordosten des Landes. Von 'Todesschwadronen' innerhalb der Polizei ist gleich zu Beginn die Rede, und was zunächst wie ein überzogenes Wortgeplänkel anmutet, erweist sich schon bald als grausame Realität, in der Einschüchterung, Folter und Mord gesetzlich legitimierte Werkzeuge geworden sind. Peace bzw. sein Adept Grisoni liefern dabei Stoff für ein insgesamt fünfstündiges Mammutwerk in drei Aufzügen und mit jeweils wechselnden Protagonisten und Beziehungsgeflechten. Dabei bleibt die Spannungsschraube permanent streng angezogen und zum Durchatmen so gut wie keine Zeit, zumal die fotschreitenden Enthüllungen und Eröffnungen immer neue (wenn auch mitunter bereits recht früh erahnbare) Unfassbarkeiten zutage fördern. Wenigstens gönnt man den Zuschauern zumindest ein kleines Fünkchen Gerechtigkeit am Ende dieser allumfassenden Mär der Finsternis. Zumindest in den USA scheint "Red Riding" mit ein paar Kopien im Kino gelaufen zu sein - ein wahres Verbrechen an der Kunst, dass dem hier nicht so ist.

9/10

James Marsh Journalismus Serienmord Anan Tucker Thatcherismus TV-Film Julian Jarrold England


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CAR WASH (Michael Schultz/USA 1976)


"The best place for money is right here in my pocket."

Car Wash ~ USA 1976
Directed By: Michael Schultz


Ein Arbeitstag in einer komplett manuell betriebenen Waschstraße in Downtown L.A.. Obschon der Boss Mr. Barrow (Sully Boyar) ein feister Weißer ist, "gehört" der Betrieb im Prinzip seiner fast durchweg schwarzen Belegschaft. Zwar ist die Bezahlung nicht die beste, der anhaltende Spaß, den die Jungs bei der Arbeit haben, mit Moppen aber ohnehin nicht aufzuwiegen.

Den Beweis dafür, dass Lakonie und Herzlichkeit im Film durchaus Hand in Hand gehen können, hat besonders Robert Altman mit seinen Ensemblefilmen gleich mehrfach abgelegt. Ein wenig wie Altman, bloß ohne dessen diverse inszenatorische Signaturen wirkt auch "Car Wash", einer der elementaren Mosaiksteine des 70's black cinema (und dabei obskurerweise von Joel Schumacher gescriptet), der, einem Musical ähnlich, einen strunznormalen Tag in der titelgebenden Firma Revue passieren lässt. Der Sound kommt dabei allerdings aus einer permanent über Lautsprecher laufenden Radioshow.
Dabei haben alle, die bei "Mr. B." arbeiten, einen leichten bis mittelschweren Lattenschuss: Floyd (Darrow Igus) und Lloyd (De Wayne Jessie) halten sich für ausnehmend scharfe Discoprinzen, Lindy (Antonio Fargas), eine waschechte Tucke, ärgert gern und oft den dicken Hippo (James Spinks), der wiederum zwischendurch gern mal ein Toilettenschäferstündchen mit Bordsteinschwalbe hält, T.C.s (Franklyn Ajaye) Afro ist ebenso wie seine schmierigen Anmachtouren rekordverdächtig, Duane (Bill Duke) ist neuerdings militanter black muslim und nennt sich 'Abdullah', Chuco (Pepe Serna) und Geronimo (Ray Vitte) triezen sich den ganzen Tag über mit geschmacklosen Streichen. Nur Lonnie (Ivan Dixon), alternder Ex-Knacki, müht sich um der Versorgung seiner Familie Willen, den Laden ordentlich am Laufen zu halten.
Schultz und Schumacher benötigen nur ihr unaufgeregtes Eineinhalb-Stunden-Korsett, um ein ganzes Panoptikum lustiger Gestalten mitsamt wasserdichter Charakterisierung zu präsentieren. Über einen stringenten Inhalt braucht man sich dabei nicht den Kopf zu zerbrechen, zumal ein solcher ohnehin nicht existiert. Neben den flotten Gags, zu denen neben dem Cameo von Richard Pryor als Daddy Rich, einer großmäuligen Mixtur aus pimp und preacher, auch die turbulente Verwechslung einer Urinprobe mit einer Bombe zählt, dürfte vor allem der Funksoul-Score von Norman Whitfield mitsamt dem von Rose Royce eingesungenen Titelstück für den unkaputtbaren Klassikerstatus von "Car Wash" verantwortlich sein.

8/10

Michael Schultz Los Angeles Black Consciousness Musik Joel Schumacher


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CHEECH & CHONG'S NEXT MOVIE (Tommy Chong/USA 1980)


"Somebody ripped off the thing I ripped off."

Cheech & Chong's Next Movie (Noch mehr Rauch um überhaupt Nichts) ~ USA 1980
Directed By: Tommy Chong


Nachdem Cheech (Cheech Marin) seinen Job und damit den heißgeliebten Van eingebüßt hat, heißt es für ihn und seinen dauerbreiten Kumpel Chong (Tommy Chong) stempeln gehen. Doch Cheech nutzt die Gelegenheit der Amtsvorstelligkeit lieber, um seine alte Flamme Donna (Evelyn Guerrero) wieder mobil zu machen. Wegen eines geplanten Dates muss nun Chong Cheechs Cousin Red (Cheech Marin) in der Stadt besuchen. Red hat einen riesigen Sack voll selbst angebautem Gras dabei, mit dem er und Chong sich die Nacht um die Ohren schlagen, derweil Cheech daheim vergeblich auf Donna wartet.

Hoffentlich macht sich niemand die Mühe, die oben verfasste Synopse zu lesen, denn sie ist natürlich vollkommen unerheblich für den Genuss des zweiten Kinoabenteuers von Cheech und Chong, diesmal quasi endgültig in Eigenregie. Die letzten dramaturgischen Fetzen des Vorgängers sind hier nochmals auf ein narratives Gerippe herunterminimiert worden, so dass nurmehr eine auf reinen Rauschhumor reduzierte, nenunzigminütige Zelluloid-Riesentüte bleibt, die praktisch keine Gelegenheit für einen einzigen rationalen Gedankengang lässt. Bitte nicht unterschätzen: "Cheech & Chong's Next Movie" stellt durchaus Anforderungen an sein Publikum, beziehungsweise verlangt unmissverständlich eine von zwei Optionen: Entweder man dröhnt sich selbst bis obenhin zu oder erinnert sich daran, wie schön es ist, bis obenhin bedröhnt zu sein und gibt sich dann diesem großartigen Stück Nonsens zwischen Benzinklau und drogenaffinen Aliens hin. Glücklicherweise langt mir heuer zweiteres.
That's it, Man.

8/10

Los Angeles Cheech & Chong Tommy Chong Drogen Marihuana Nonsens Groteske





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Funxton

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