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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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O.C. AND STIGGS (Robert Altman/USA 1985)


"I've had a lot of fun. I have Legos, you know."

O.C. And Stiggs (Black Cats) ~ USA 1985
Directed By: Robert Altman


In Phoenix, das im Sommer einem Glutofen ähnelt, hat man als Jugendlicher wenige Möglichkeiten zur Entfaltung. Die beiden Kumpel Oliver Cromwell Ogilvie (Daniel Jenkins), genannt O.C. und Mark Stiggs (Neill Barry), genannt Stiggs, die auf Hummer, Briefmarken, King Sunny Adé, Gabun und verrückte Verkleidungen abfahren, machen dennoch das beste aus ihrer Lage: Sie rebellieren gegen die bourgeoise Verlogenheit des Spießertums! Dafür bedarf es nur eines auserkorenen Erzfeindes, und der findet sich in der Person des 'insurance emperor' Schwab (Paul Dooley), der O.C.s lustigem Opa (Ray Walston) auf hinterfotzigste Weise die Pflegeversicherung gekündigt hat. Der Guerilla-"Krieg" gegen Schwab, für den O.C. und Stiggs sich unter anderem der Penner der Stadt, zweier durchgeschossene Vietnam-Veteranen (Dennis Hopper, Alan Autry) und der freien Benutzung der Schwab'schen Gartenterrasse befleißigen, wird für den selbsternannten 'braven Amerikaner' gar fürchterlich.

Wohlan, einen gezielteren Blick auf Altmans Schaffen zu werfen lohnt sich: Es gibt offenbar noch massig ungehobene Schätze zu entdecken. Mit "O.C. And Stiggs", der lose auf Kurzgeschichten aus dem Satire-Magazin National Lampoon beruht, setzte der Filmemacher der Welle der Achtziger-Teenkomödie in einer für ihn kommerziell wenig tragfähigen Karrierephase sozusagen ihren leisen Höhe- und Endpunkt entgegen. Wie schade, dass auch das niemand sehen wollte. Aber Hughes und Konsorten waren eben soviel leichtgewichtiger, konformistischer, braver, durchschaubarer, kurz: konsumierbarer - da war tragischerweise für zwei echt originelle Typen wie O.C. und Stiggs schlicht kein Raum mehr übrig. Altman nimmt die Wüstenstadt mit diebischer Schadenfreude Stein für Stein auseinander; nahezu alles, was den Reagonomics heilig ist, wird so lustvoll wie böse durch den Staub gezogen, die nette Familie von nebenan komplett dekonstruiert. Das gilt auch für erzählerische Konventionen, weswegen dem ordinären Teenkomödienkucker sowohl damals auch heute fairerweise von der Betrachtung abgeraten werden sollte. Ich für meinen Teil sehe da einen möglichen neuen Kandidaten für die persönliche Lieblingsfilmliste heranreifen...

9/10

Mexiko Schule Freundschaft Groteske Satire Farce Robert Altman Arizona Teenager Coming of Age


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THE FISHER KING (Terry Gilliam/USA 1991)


"Forgive me."

The Fisher King (König der Fischer) ~ USA 1991
Directed By: Terry Gilliam


Der ultrazynische New Yorker Radiotalker Jack Lucas (Jeff Bridges) fällt in ein tiefes Loch, als einer seiner Anrufer (Christian Clemenson) einen von Jacks "Ratschlägen" allzu wörtlich nimmt und ein Massaker in einem Café anrichtet. Jack zieht sichaus der Öffentlichkeit zurück und trifft eines Tages auf den Penner Parry (Robin Williams), der ihm das Leben rettet. Parry stellt sich als Witwer eines der Café-Opfer (Lisa Blades) heraus, der durch den gewaltsamen Tod seiner Frau eine tiefe Psychose erleiden musste. Jack, vom schlechten Gewissen befallen, fühlt sich für Parrys Schicksal verantwortlich und verhilft ihm, sozusagen aus Entschädigungsgründen, zu einer Romanze mit der schüchternen Lydia (Amanda Plummer). Doch damit beginnen Parrys Probleme von Neuem...

Nach den "Münchhausen"-Querelen nahm Gilliam zum ersten Mal in seiner Laufbahn als Filmregisseur den Auftrag eines Majors entgegen und machte "The Fisher King" für TriStar. Obwohl das Script nicht von ihm selbst stammt, könnte dieser Film, einer seiner schönsten übrigens, kaum gilliamesker sein. Bestes Futter für den Auteur-Theoretiker. Bizarre Figuren zwischen Wahn und Warmherzigkeit, das bereits in "Monty Python And The Holy Grail" abgearbeitet schienene Gralsmotiv und der übliche, verquere Humor paaren sich mit einer ansonsten recht erdverbundenen, existenzialistischen Geschichte, die im Gegensatz zu den bisherigen (und späteren) monströsen, umwälzenden Visionen Gilliams beinahe kammerspielartig erscheint. Letztlich geht es ja um nichts anderes als um einen zynischen Misanthropen, der nach seiner größten Fehlleistung erst Buße tun muss, um sich aus seinem selbstmitleidigen Egozentrismus-Sumpf wieder befreien zu können. Dass nebenbei noch ein berittener, roter Feuerdämon mitten in Manhattan, verballhornte Pornofilm-Titel ("Ordinary Peepholes", "Creamer vs. Creamer"), ein Massenwalzer mitten in der Grand Central Station und Tom Waits als philosophierender Penner vorkommen, ist ganz gewiss nichts Besonderes, sondern liegt bloß in der Natur der Sache. Wir befinden uns schließlich in einem Gilliam. Einem echten, aber bitteschön.

10/10

Heiliger Gral New York Terry Gilliam Freundschaft Obdachlosigkeit Madness Psychiatrie Erwachsenenmaerchen


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CALIFORNIA SPLIT (Robert Altman/USA 1974)


"Everybody's named Barbara."

California Split ~ USA 1974
Directed By: Robert Altman


Die zwanghaften Zocker Bill (George Segal) und Charlie (Elliot Gould) lernen sich am Pokertisch kennen und entdecken unvermittels ihre Seelenverwandtschaft. Beide schätzen die existenziellen Unverbindlichkeiten, verabscheuen Kontrolle und Planung und bevorzugen eher das leichte Sichtreibenlassen. Eine gemeinsame und ausgesprochen gewinnträchtige Fahrt ins Spielerparadies Reno lässt Bill über sich und sein Leben reflektieren.

Ein weiterer wunderbarer Altman aus dem bereits der seichten Abendämmerung anheim fallenden New Hollywood. So lässig und lakonisch wie eh und je lässt er seine beiden Patrone aufschlagen, beobachtet sie, wie sie zeitweilig gemeinsam und ohne den anderen ein paar Tage durch- und überleben, ohne irgendwelche moralischen Zwangsbehauptungen aufzustellen oder sich sonstwie in das Geschehen einzumischen. Zwar lernt man die beiden, insbesondere Bill, im Zuge der 105 Erzählminuten recht gut kennen, tendenziöse Urteile und Analysen bleiben einem jedoch erspart. Das Ganze wirkt eher wie ein lebenserfahrenes Bukowski-Poem, nur dass es hier eben weniger um Alkohol geht. Trocken, undramatisch, straight. Besonders der wie immer sehenswerte und bei Altman sowieso stets zur Höchstform aufgelaufene Elliot Gould macht aus "California Split" eine unbedingt sehenswerte, kanonische Spielerstudie. Meisterlich.

9/10

Robert Altman New Hollywood Spieler Poker Freundschaft Bonvivant Gluecksspiel


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TRAINSPOTTING (Danny Boyle/UK 1996)


"Would Sir care for a starter of some garlic bread perhaps?" - "No, thank you. I will proceed directly to the intravenous injection of hard drugs, please."

Trainspotting ~ UK 1996
Directed By: Danny Boyle


Die Geschichte des jungen Edinburgher Arbeitersprösslings Renton (Ewan McGregor) und seiner Kumpels Spud (Ewen Bremner), Sick Boy (Johnny Lee Miller), Begbie (Robert Carlyle) und Tommy (Kevin McKidd). Renton, Spud und Sick Boy sind heroinabhängig. Die Droge bildet wie bei jedem Junkie ihren zentralen Lebensinhalt und fordert von jedem von ihnen hohe Tribute. Als man schließlich in London selbst eine große Menge Stoff verdealt, entscheidet sich Renton für den Absprung.

Angefixt durch "Shallow Grave" fühlte ich mich sozusagen genötigt, mir nach langer Pause endlich auch einmal wieder Boyles Zweit- und Hauptwerk anzuschauen. "Trainspotting" ist ja in Rekordgeschwindigkeit zu einem emblematischen Film der neunziger Jahre geworden und darf wohl als einer der maßgeblichen popkulturellen Einflüsse seiner Zeit gelten. Tatsächlich ist dieser sein Status alles andere als unberechtigt; Boyle demonstriert ein absolutes Höchstmaß an inszenatorischer Konzentration, präsentiert zur Visualisierung des Rauschs und seiner Folgen traumhafte Regieeinfälle und bewältigt den naturgemäß kaum zu bewältigenden Spagat zwischen dem glaubwürdig dargestellten Porträt einer Subkultur und der für das Sujet unumgänglichen pädagogischen Warnung, indem er die Hölle der Sucht - so paradox das klingen mag - so nüchtern zeigt wie irgend möglich. Dass H nicht unmittelbar in die physische bzw. soziale Verwahrlosung führt, über kurz oder lang aber doch brutale Folgen für Leib und Leben mit sich bringt, weiß ein jeder, dass es aber sage und schreibe Spaß machen kann, dabei zuzusehen, ist allein Boyles Verdienst.
Was nach vierzehn Jahren noch bleibt von "Trainspotting", ist eigentlich all das, was ihn auch damals schon ausmachte: Das Bild eines überwältigend präzis und sorgfältig gemachten Films, bis hin zu seiner einmaligen Songauswahl von einer alles durchdringenden Stimmigkeit, von der 99% aller Filmemacher bloß träumen können.

10/10

Danny Boyle Heroin Drogen Subkultur Schottland Popkultur Teenager


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JUNIOR BONNER (Sam Peckinpah/USA 1972)


"Ya bet."

Junior Bonner ~ USA 1972
Directed By: Sam Peckinpah


J.R. Bonner (Steve McQueen), genannt Junior, kommt zurück in seine Heimatstadt in Arizona, um ein paar Kröten beim hiesigen Rodeo abzustauben. Zu Hause hat sich vieles verändert. Seine Mum (Ida Lupino) und sein Dad (Robert Preston), zwei ältliche Zausel, entfremden sich zunehmend voneinander und nicht genug damit, dass Juniors Bruder Curly (Joe Don Baker) dabei ist, zu einem unangenehmen Immobilienhai zu avancieren, vertreibt er auch noch die eigenen Eltern von ihrem Grund und verfachtet sie in Seniorenheime um, um den Familienbesitz verscherbeln zu können. Doch Junior ist keine Kämpfernatur, er nimmt am Rodeo teil, schnappt sich ein Mädchen (Barbara Leigh), teilfinanziert seinem Dad einen letzten spinnerten Traum und zieht danach wieder von dannen.

Aaah - zurücklehnen, relaxen, genießen. "Junior Bonner" ist der rechte Begleiter zu einem schmackhaften Sechserpack Dosenbier und nebenbei wahrscheinlich die entspannteste, lässigste Arbeit Peckinpahs. Im Gegensatz zu dessen unverzichtbaren SloMo-Schnitt-Gegenschnittparaden haben Gewalt oder Tote haben in dieser intimen Familiengeschichte keinen Platz, wenn auch die alte Weise vom anachronistischen Cowboy, der im Westen die weite Freiheit sucht und irgendwann unweigerlich auf Bulldozer, Planierraupen und andere Hindernisse stößt, hier wiederum ganz akut ist. Doch was wäre ein Peckinpah auch ohne solcherlei Sehnsuchtsformulierungen? Ansonsten gibt sich "Junior Bonner" eher undramatisch und kokettiert lieber mit naturalistischem Witz, der wunderbare Steve McQueen demonstriert einmal mehr, dass echte Coolness nicht gelernt werden kann und das bezaubernde Lächeln von Barabara Leigh unter der Krempe ihres weißen Stetson lässt ganze Gletscher schmelzen.

8/10

Neowestern Rodeo Sam Peckinpah


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MYSTIC RIVER (Clint Eastwood/USA, AU 2003)


"Admit what you did."

Mystic River ~ USA/AU 2003
Directed By: Clint Eastwood


Das Leben der drei Bostoner Freunde Jimmy (Jason Kelly), Sean (Connor Paolo) und Dave (Cameron Bowen) ändert sich eines Tages schlagartig, als Dave von zwei Mißbrauchstätern in ein Auto gezerrt wird und einem vier Tage anhaltenden Martyrium ausgesetzt ist. Viele Jahre später haben sich die Lebenswege der Drei auseinanderentwickelt: Jimmy (Sean Penn) vekehrte einige Zeit in kriminellen Kreisen, Sean (Kevin Bacon) ist bei der Mordkommission und Dave (Tim Robbins) ist noch immer innerlich zerschmettert. Eines Nachts wird dann Jimmys älteste Tochter Katie (Emmy Rossum) ermordet. Sean bekommt den Fall übertragen, Jimmy schwört, dass er den Täter vor der Polizei ausfindig macht und seiner gerechten Strafe zuführt. Als sich die Indizien mehren, Dave könne für Katies Tod verantwortlich sein, kommt es zur Katastrophe.

Einer von Eastwoods komplexesten Filmen. Hatte er rund zwanzig Jahre zuvor in "Sudden Impact" das Thema Selbstjustiz noch in unverhältnismäßig spekulativer Weise abgehandelt, verwendet der Regisseur es für seine Romanadaption "Mystic River", um die entsetzliche Fehlbarkeit persönlicher Rache- und Hassgefühle zu induzieren. Dabei erweist sich besonders die Zeichnung der Figuren und der sie umtreibenden Lebensumstände als umfassend. Eastwood nutzt die ihm zur Verfügung stehende Erzählzeit großzügig, umkreist seine Charaktere in zunehmend enger werdenden Radien, um schließlich in ihr tiefstes Selbst vorzudringen. Am Ende stehen dann Entwicklungen, mit denen vorher nicht zu rechnen war, Lebenslektionen und Verdammnis, wobei selbst diese für Jimmy Markum noch in perverser Weise diskutabel ausfällt. Und die Verwurzelung all dessen lässt sich zurückdatieren auf jenen einen schicksalhaften Tag, an dem Dave Boyle zu den Femden ins Auto stieg. Existenzielle Fragen um Vorbestimmung und Schicksal, Schuld und Verantwortung lasten wie schwere Wolken über Eastwoods monochromem Boston und dem Mystic River, der Jimmys Sünden schlucken muss. Zumindest kann ein Drittel des Trios am Ende in ein vergleichsweise unbeschwertes Leben zurückkehren.
"Mystic River" ist ein alles andere als bequemer Film, sondern rauer, herber Stoff, der die späte existenzialistische Antenne Eastwoods, die sich mit den folgenden Filmen weiter präzisieren wird, auf nachdrückliche Art zur Geltung bringt sowie ein weiterer Beweis dafür, dass sein Regisseur zu den größten Geschichtenerzählern des amerikanischen Films gezählt werden darf und muss.

9/10

Sean Penn Tim Robbins Clint Eastwood Sexueller Missbrauch Dennis Lehane


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THIEVES LIKE US (Robert Altman/USA 1974)


"You liar! You cheated on me!"

Thieves Like Us (Diebe wie wir) ~ USA 1974
Directed By: Robert Altman


Misissippi zur Depressionszeit: Die drei Lebenslänglichen Bowie (Keith Carradine), Chicamaw (John Schuck) und T-Dub (Bert Remsen) fliehen aus dem Staatsgefängnis und rauben im gesamten Süden der USA zahlreiche Banken aus. Besonders Chicamaw geht dabei zunehmend gewalttätig vor. Als Bowie sich in die unbedarfte Jungfrau Keechie (Shelley Duvall) verliebt, beginnt er ansatzweise, seine kriminelle Existenz zu hinterfragen, kann und will jedoch nicht über seinen Schatten springen, was ihn schlussendlich das Leben kostet.

In den USA der dreißiger Jahre Bankräuber zu sein, bedeutete angesichts der ökonomischen Verhältnisse zugleich Rebellion als oberstes Existenzprinzip sowie eine besonders harsche Form der Systemfeindlichkeit; erst einige Dekaden später wurden aus den grimmigen Schattenwesen hinter den Tommy Guns echte Menschen, die in der Populärkultur bis heute eine nachträgliche Mythisierung erfahren. Im Gegensatz zu Bonnie und Clyde oder John Dillinger sind die "Helden" in Altmans "Thieves Like Us", jener nach Rays gut 25 Jahre älterem "They Live By Night" bereits die zweite Verfilmung von Edward Andersons gleichnamigem Roman, derweil Gegenstände reiner Fiktion, die eine starke Verwurzelung in der historischen Realität allerdings nicht verleugnen können. Der unweigerliche Moralisierungsfaktor ist zwar auch hier evident, jedoch verdeutlicht Altman durch stetige kleine Hinweise die schon damals allgegenwärtige Einflussnahme der Massenmedien, in diesem Fall des Radios. Permanent laufen im Hintergrund die damals beliebten Rundfunkserien wie "The Spirit" und "The Shadow", die das Bandenunwesen staatlich legitimiert und in höchstem Maße naiv bis in seine Grundfesten verdammen und der öffentlichen Ächtung preisgeben, als eine Art stiller Kommentar. Dabei bestand seinerzeit für den "kleinen Mann" eine der wenigen Chancen, zu etwas Flüssigem zu kommen, darin, den göttlichen Pfad der Tugend zu verlassen. Altman versäumt es trotz bewusster Aussparung von offensichtlichem Sozialkitsch nicht, darauf hinzuweisen. Müßig zu erwähnen, dass "Thieves Like Us" stilistisch eindeutig als einer seiner Filme identifizierbar ist.

8/10

New Hollywood period piece Suedstaaten Great Depression Robert Altman Couple on the Loose


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THE GENERAL (John Boorman/IE, UK 1998)


"You never own things. The things own you."

The General ~ IE/UK 1998
Directed By: John Boorman


Am 18. August 1994 wird der Dubliner Gangster Martin Cahill (Brendan Gleeson) direkt vor seinem Haus von einem Attentäter erschossen, nachdem er ein mehr als ereignisreiches Leben geführt hat. Schon als Jugendlicher rebelliert der ewige Dickkopf im berüchtigten Hollyfield-Viertel, einem Sinnbild des Sozialabbaus aufwachsende Cahill gegen die Polizei-Obrigkeit. Jene symbolisiert für ihn nichts weiter als staatliche Repression. Später weigert er sich trotzig, einer geregelten Tätigkeit nachzugehen oder Steuern zu bezahlen, outet sich in aller Öffentlichkeit als Berufskrimineller und bezieht regelmäßig seine Arbeitslosenstütze, obwohl er an Einbrüchen mit Millionenbeute beteiligt ist. Im Privatleben führt Cahill eine rundum akzeptierte Dreiecksbeziehung mit seiner Frau (Maria Doyle Kennedy) und deren Schwester (Angeline Ball). Seine ihn nicht vor Diabetes bewahrende Enthaltsamkeit und Diszipliniertheit tragen ihm den Spitznamen "The General" ein. Als er wertvolle Gemälde an eine protestantische Untergrundorganisation verhehlt, gerät er ins Schussfeld der IRA.

Der farbenfrohe Charakter Martin Cahills stand Pate für zwei fast zeitgleich entstandene Filme. Der erste und wesentlich bedeutsamere davon ist Boormans "The General", dem zwei Jahre später "Ordinary Decent Criminal" mit Kevin Spacey folgte. Dieser verwendete jedoch andere Namen und gestaltete bestimmte Fakten geflissentlich um. Boorman brachte seinen Film in kunstvollem Schwarzweiß-Scope in die Kinos, die meisten der später auf Heimmedien erschiedenen Kopien waren dann eingefärbt. Eine Schande, da sich die ganze Substanz und Brillanz von "The General" tatsächlich nur mittels des Ursprungsmaterials erfassen lässt. Der Regisseur macht für seine Inszenierung Gebrauch von einer großen emotionalen Bandbreite. In erster Linie überwiegen allerdings die komischen Elemente, etwa, wenn Cahill in diversen Szenen die irische Polizei narrt oder mit ungeheurer Dreistigkeit einmal mehr Gesetzeslücken ausnutzt, um einer drohenden Haftstrafe zu entgehen. Dieser Humor übersieht allerdings nicht die teils tragischen Persönlichkeiten der Cahill umgebenden Individuen, geschweige denn seine eigene. Der von allen Seiten kommende, ungeheure Druck macht aus dem einst so stolzen Dissidenten schließlich einen nervösen Paranoiker und der 'Robin Hood von Dublin' nimmt seinen unmittelbar nahenden Tod mit einem fast dankbaren Gesichtsausdruck in Kauf.
Ein famoser Film, vermutlich der beste, den Boorman in den letzten zwanzig Jahren zustande gebracht hat.

9/10

Irland Biopic IRA John Boorman Working Class Heist Nordirland-Konflikt


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EDMOND (Stuart Gordon/USA 2005)


"Behind every fear is a wish."

Edmond ~ USA 2005
Directed By: Stuart Gordon


Edmond Burke (William H. Macy) dreht durch. Er verlässt kurzerhand seine Ehefrau (Rebecca Pidgeon) und begibt sich auf eine nächtliche Odyssee durch den urbanen Rotlichtbezirk Hollywoods. Die Weissagungen einer Tarotfrau (Frances Bay) bewahrheiten sich nach und nach; schließlich kollabiert Edmonds losgelöste Psyche in einer Explosion der Gewalt - er tötet im Wahn eine zuvor verführte Kellnerin (Julia Stiles). Die Tat bleibt nicht lange unentdeckt und es wartet das Gefängnis als Endstation seiner "Suche".

Gordons grenzmeisterliche Fallstudie ist besonders dank des ausgeklügelten Scripts von David Mamet vielleicht sein bislang bester Film. In einer für ihn typischen Rolle als langsam über die seelische Klinge gleitender Biedermann gibt Macy inmitten einer Art "Best Of" der bisherigen Gordon-Casts den verzweifelnden Titelcharakter, vor einer illustren Darstellung eines sich als überhöhter Sündenpfuhl gerierenden Sunset Strip, auf dem Edmond die Kreditkarte, sein letztes Statussymbol der aufgegebenen bourgeoisen Existenz, entwendet wird. Am vorläufigen Ende läuft er dort dann mit einem Nahkampfmesser aus dem Ersten Weltkrieg Amok, einer von mehreren zeitweiligen Rückfällen in einen maskulinen Atavismus.
"Edmond", den Mamet nach seinem eigenen Bühnenstück geschrieben hat, subsummiert sich so zu einer zutiefst fatalistischen, am Ende jedoch auch humanistischen Großstadtgeschichte; kammerspielartig, da reduziert auf ihren kleinstmöglichen Bestandteil - das, oder besser noch, ein Individuum.

9/10

Madness Los Angeles Independent Stuart Gordon Homosexualitaet based on play David Mamet


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BRASSED OFF (Mark Herman/UK 1996)


"I'm a miner."

Brassed Off ~ UK 1996
Directed By: Mark Herman


In den ersten Jahren nach der Ära Thatcher bleibt auch das kleine Bergarbeiterstädtchen Grimley nicht von den weiter anhaltenden Auswirkungen der Wirtschaftskrise verschont. Obgleich die Arbeiter hingehalten werden, ist es schon seit langem beschlossene Sache, dass die Zeche dichtmachen wird. Danny (Pete Postlethwaite), bereits pensionierter Leiter und Dirigent der hiesigen Bergmanns-Blaskapelle, begreift zunächst die Nöte seiner Musiker nicht recht und wähnt die Möglichkeit, im Orchester zu spielen, als das Größte im Leben. Doch für einige der Bläser, darunter Dannys Sohn Phil (Stephen Thompkinson), zeichnen sich düstere Wolken am ohnehin grauen Himmel der Arbeitslosigkeit ab.

Wenn der Thatcherismus etwas Positives hervorgebracht hat, dann dass er den Erzählstoff für einige wunderbare britische working class comedies liefern konnte. Regisseure wie Ken Loach oder Mike Leigh haben praktisch ihr gesamtes Schaffen in den Dienst des grantelnden britischen Malochers gestellt, um die Mitte der Neunziger erlebte dieser Filmschlag jedoch auch einen kleinen Boom, der über die Programmkinogrenzen hinausreichte. "The Full Monty" ist das erfolgreichste Beispiel für diese kurze Welle, "Brassed Off" eine nicht minder schöne, kleine Dramödie ganz im Zeichen des gesellschaftlichen Protests, die es sehr stark menscheln lässt und ihre Figuren bei aller Härte ihrer sozialen Realität zu Gewinnern des Herzens erklärt. Ein hoffnungsvoller Film, der jedoch nicht etwa so verblendet ist, am Ende alles zu eitlem Sonnenschein zu verklären.

8/10

England Thatcherismus Mark Herman Working Class Musik





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Funxton

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