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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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EDWARD SCISSORHANDS (Tim Burton/USA 1990)


"Blending is the secret."

Edward Scissorhands (Edward mit den Scherenhänden) ~ USA 1990
Directed By: Tim Burton


Der Kunstmensch Edward (Johnny Dep), der anstelle richtiger Hände Scheren besitzt, kommt aufgrund der Initiative der Avon-Vertreterin Peg Boggs (Dianne Wiest) eines Tages vom Schloss seines verstorbenen Erfinders (Vincent Price), auf dem er jahrelang gehaust hat, in das Haus der Familie Boggs und damit in eine biedere Vorstadtnachbarschaft. Die Hausfrauen der Gegend machen sich allesamt Edwards Talente zu präziser Schnittarbeit mit seinen Scherenhänden zu eigen - zunächst als Gärtner, dann als Hunde- und schließlich als Damencoiffeur. Als eine seiner Anhängerinnen (Kathy Baker) Edward ein eindeutiges Angebot, weiß der Naivling nicht standesgemäß darauf zu reagieren - der Anfang einer Kette unglücklicher Ereignisse.

Tim Burton dürfte einer der wenigen Filmemacher in Hollywood sein, die sich allein durch ihre ihnen grundeigene Signatur, zu der sich bei Burton freilich liebenswerte Infantilie, Märchenhaftigkeit, überzogen-grelle Horrormomente, gotisches Ambiente, LSD-Phantasien und Psychedelia vermischen, eine seltene künstlerische Autarkie erarbeitet haben. Mit einem kaum wechselnden Mitarbeiterstab bereichert er die Filmwelt nun schon seit über zwei Dekaden mit seinen verrückten kleinen Phantastik-Mären, die mal eindeutig, mal zaghafter das von Burton selbst gesetzte Anspruchsmarke erreichen; in jedem Fall aber immer sehenswert oder zumindest diskutabel sind.
Leider habe ich "Beetlejuice" gerade (noch) nicht verfügbar, "Pee-Wee's Big Adventure" erachte ich für halbwegs vernachlässigbar, meine Eindrücke zu "Batman" findet sich in meinen Aufzeichnungen bereits an anderer Stelle. Los also mit "Edward Scissorhands", Burtons ganz persönlicher "Frankenstein"-Variation, die vor allem die Bigotterie amerikanischer suburbs trefflich auskundschaftet und persifliert und damit vor allem in den ersten zwei Dritteln immens komisch gestimmt ist. Die Tragik des vordergründig beliebten, hinterrücks jedoch belächelten und wegen seiner Andersartigkeit gefürchteten Kunstmenschen wird erst im dunkel-traurigen letzten Akt gänzlich ausgespielt, in dem es dann auch kaum mehr zur vorherigen Gelöstheit gereicht. Dass die aufgebrachten Vorstädter ihm nicht sein Schloss unter der Nase anzünden, verdankt Edward allein der Beherztheit seiner großen Liebe Kim (Winona Ryder). Burtons diverse Charakteristika sind hier schon fast zur Gänze zugänglich: Das tiefe Grauen bonbonfarbener Idyllen und, analog dazu, die romantische Melancholie seiner mit dem Tode flirtenden Protagonisten. Dazu Danny Elfmans von hellen Chören getragene Bombastmusik und fertig ist das wunderhübsche Gruselsoufflé, das ja dem bereits in den ersten Karrierejahren, respektive nach "21 Jump Street", ein erstaunliches Händchen für seine Rollenauswahl (er konnte immerhin mit 27 Jahren bereits auf Zusammenarbeiten mit Wes Craven, Oliver Stone und John Waters zurückblicken) beweisenden Johnny Depp ein paar seiner frühesten Meriten eintragen konnte. Und bereits hier heißt es ganz eindeutig: Love it - or leave it.

8/10

Tim Burton Frankenstein Schnee


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DER JUNGE TÖRLESS (Volker Schlöndorff/BRD, F 1966)


"Es interessiert mich nicht mehr."

Der junge Törleß ~ BRD/F 1966
Directed By: Volker Schlöndorff


Kurz nach der vorletzten Jahrhundertwende kommt der Bourgeoisie-Filius Thomas Törleß (Mathieu Carrière) auf ein Jungeninternat im Osten Österreich-Ungarns. Die Machtstrukturen und -hierarchien unter den Jugendlichen, die gleichermaßen aus dem Hang der einen, sich andere untertan zu machen und dem Hang der anderen, sich untertan machen zu lassen, erwächst, werden für Törleß schnell sichtbar, wenn sie ihm auch unverständlich bleiben; eine rationale Erklärung der Verhaltensmotivation sowohl der sadistischen als auch der Opferrollen erscheinen ihm mehr als nebulös.

Schlöndorffs Filmdebüt, eine Musil-Verfilmung, nachdem der künftige Mitbegründer des "Jungen Deutschen Films" bereits einige Jahre in Paris an der Cinémathèque sowie als Regieassistent an der Seite von Größen wie Resnais, Melville und Malle zugebracht hatte, geriert sich als der Vorlage angemessenes, universell angelegtes Drama über die Entstehung von Klassengesellschaften und gesellschaftlichen Ungleichgewichten. Jene fänden, so der Tenor des Werks, ihre Grundzüge bereits im Jugendalter; dabei bedeute die Aufteilung der Gewissenslast auf mehrere Mittäter und -wisser eine eindeutige Gewissenserleichterung für die Drahtzieher. Und selbst wenn das, was Musil respektive Schlöndorff hier illustrieren, im Vergleich zu dem, was heute mitunter Ungeheuerliches aus bundesdeutschen Kasernen und Ferienlagern herüberschwappt, sogar vergleichsweise harmlos erscheinen mag - als symbolhafte Paraphrase für die Möglichkeit des Entstehens autokratischer Regimes wie etwa das des Faschismus muss "Der junge Törless" durchaus als früher Ahnherr von Hanekes "Das weiße Band" erachtet werden. Interessanterweise liegt das Schwergewicht der Kritik dabei weniger auf Seiten der Machthabern als bei jenen, die deren Auswüchse tolerieren, bis es irgendwann zu spät ist, um sie noch aufhalten zu können.
Ganz phantastisch der unerwartete Auftritt von Barbara Steele als sozial geächtete Dorfhure, welchen Schlöndorff in einem ausführlichen Interview auf der DVD (das allein bereits deren Anschaffung lohnt) als im Nachhinein zwar unpassend erachtet, der seinem Film jedoch einen ganz besonderen, sinistren Glanz verleiht.

9/10

Schule k.u.k. Volker Schloendorff Internat


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A SERIOUS MAN (Joel Coen, Ethan Coen/USA, UK, F 2009)


"Very troubling..."

A Serious Man ~ USA/UK/F 2009
Directed By: Joel Coen/Ethan Coen


Minnesota, 1967: Professor Larry Gropnik (Michael Stuhlbarg), jüdischer Physikprofessor in der Probezeit, hat Probleme. Seine Frau (Sari Lennick) will die Scheidung, um einen furchtbar gönnerhaften Nebenbuhler (Fred Melamed) zu heiraten, sein Sohn raucht Pot, ist fernsehsüchtig, hält eher wenig vom Tanach und fabriziert auch sonst nur Mist, sein auf Larrys Sofa hausender Bruder Arthur (Richard Kind) ist schizophren und taucht seinen Zeh in kriminelle Aktivitäten, einer von Larrys Studenten (David Kang) versucht ihn zu bestechen, um ihn hernach der Verleumdung zu bezichtigen, sein Nachbar (Peter Breitmayer) ist ein Nazi. Und das Schlimmste: Der einzige Rabbi (Fyvush Finkel), der ihm möglicherweise helfen kann, hat keine Zeit für ihn.

Another masterpiece. Die Coens sind ja wahre Sadisten vor dem Herrn. Ausgerechnet wenn sie mal wieder einen ihrer Helden mit Karacho vor die Wand laufen, seine gesamte Existenzgrundlage durchs Eis brechen lassen, sind sie am Besten. Das sind dann meist ihre stilleren Filme, die ohne exponentiellen Kriminal- oder Noirgehalt, die, bei denen man sich nicht ganz sicher sein kann, ob man mit dem Protagonisten weinen oder über ihn lachen soll: "Barton Fink", "The Man Wo Wasn't There" und jetzt "A Serious Man", letzterer das mit Abstand jiddischste Werk, das die Brüder je zusammengestoppelt haben, und ganz gewiss eines ihrer komischsten. Larry Gropnik, schon jetzt einer der ganz großen Antihelden im coen'schen Universum, durchlebt sein ganz privates, kleines Armageddon. Alles bricht über ihm zusammen, und er ist viel zu sittsam, um sich mittels eines bitternötigen, befreienden Amoklaufs zumindest ein klein wenig inneren Frieden zu verschaffen. Bloßes Gottvertrauen mag da zumindest befristet helfen, doch am Ende, gerade, als ein Silberstreif am Himmel sichtbar wird, kommt mit Pauken und Trompeten die nächste Apokalypse - und diesmal im großen Stil. Schwärzer geht's nimmer.

9/10

Familie Religion Coen Bros.


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GUYANA, EL CRIMEN DEL SIGLO (René Cardona Jr./MX, PA, E 1979)


"This is it. The White Night!"

Guyana, El Crimen Del Siglo (Guayana - Kult der Verdammten) ~ MX/PA/E 1979
Directed By: René Cardona Jr.


Der Religionsstifter und Sektenprediger James Johnson (Stuart Whitman), Kopf des "Peoples Temple", bewegt eine große Anzahl seiner Anhänger, ihm mitsamt ihren materiellen Gütern in den sozialistischen Staat Guyana zu folgen. Dort gründet Johnson das Gebiet "Jonestown", dessen Bewohner in politischer und wirtschaftlicher Autarkie leben. Da Johnson schon seit längerem im Verdacht steht, in Guyana eher ein Konzentrationslager denn einen Hort für freiheitsliebende Menschen errichtet zu haben, rückt ihm bald der Kongressabgeordnete O'Brien (Gene Barry) auf die Pelle. Dessen entschiedene Untersuchung quittiert der zunehmend panische Johnson, indem er seine gehirngewaschenen Jünger zu dem berüchtigten Massenselbstmord von 1978 anstiftet.

Warum James Johnson im Film nicht wie sein reales Vorbild Jim Jones heißt, weiß ich nicht. Kurze Zeit später entstand jedenfalls noch eine amerikanische TV-Produktion über den Peoples-Temple-Massensuizid, in der Powers Boothe den Sektenkopf spielte und der kein Heckmeck um irgendwelche Namensänderungen nötig hatte. Keine Ahnung, ob diese Variation etwas potenter daherkommt. Cardona Jr. jedenfalls war offenbar sehr überzeugt von seinem Skandal-Sujet, das im Endeffekt und vermutlich aus fadenscheinigen Sensibilitätsgründen aber wesentlich mehr von sich behauptet als es sich zu zeigen getraut. Für einen realitätsorientierten Exploitation-Film wie etwa Jacopettis "Mondo"-Reihe, nach dem "Guyana" eigentlich permanent riecht, traut er sich jedenfalls viel zu wenig. Der in mehrerlei Hinsicht beschränkte Film reduziert sich im Wesentlichen auf die - zudem recht moderate - Darstellung Johnsons als verrückter Autokrat zwischen Faschismus und Liberalismus, größenwahnsinniger Idiot und Feigling, der am Ende natürlich eins vor den Latz geknallt bekommt anstatt sich gemäß seiner Philosophie selbst zu richten (die tatsächlichen Umstände um Jones' Tod sind bis heute ungeklärt). Trotz einer gar nicht mal unflotten Besetzung mit Whitman, dem mutmaßlich unter Dauerstrom stehenden Joseph Cotten, John Ireland, Bradford Dillman, Robert DoQui, Hugo Stiglitz und sogar Yvonne De Carlo ist "Guyana" ein ziemlicher Stinker und Langeweiler, von dem ich mir weitaus mehr erhofft habe. Dazu kommt eine billige Videosynchro aus den Achtzigern, die den Film zusätzlich an Restcharme beraubt. Dann doch lieber eine vernünftige Doku über Jones und seine armseligen Schäfchen.

3/10

Exploitation René Cardona Jr. Religion Sekte


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SHUTTER ISLAND (Martin Scorsese/USA 2010)


"You're a rat in a maze."

Shutter Island ~ USA 2010
Directed By: Martin Scorsese


1954 kommt der US-Marshal Teddy Daniels (Leonardo DiCaprio) mit seinem neuen Kollegen Chuck (Mark Ruffalo) nach Shutter Island, einer kleinen Insel, auf der sich Ashecliffe, ein Sanatorium für kriminelle Geisteskranke befindet. Eine Insassin namens Rachel Solando, die hier ist, weil sie angeblich ihre drei Kinder ertränkt hat, soll aus ihrem Zimmer entflohen sein und sich nun irgendwo auf der Insel versteckt halten. Während Teddy und Chuck nach Rachel suchen, mehren sich Hinweise, dass auf der Insel etwas nicht stimmt: Wer ist der obskure Dr. Naehring (Max von Sydow)? Und was ist mit dem anscheinend unaffindbaren Patienten Nr. 67? Könnte es sich bei diesem tatsächlich um Andrew Laeddis (Elias Koteas) handeln, jenen Mann, der als pyromanisch veranlagter Hausmeister das Leben von Teddys Frau (Michelle Williams) auf dem Gewissen hat?

Es ist gut, über "Shutter Island" inhaltlich so wenig als möglich zu wissen, erst dann erschließt sich einem die ganze Wucht und das ganze Drama dieses von Scorsese wiederum formidabel inszenierten Films. Nach dem ersten Sehen darf ich mich als nachhaltig überwältigt bezeichnen von der unermüdlichen Kunstfertigkeit, mit der der Altmeister dieses neuerliche Meisterstück zu Wege gebracht hat. Vieles ist mir gleich in Auge und Ohr gefallen, jenes Oszillieren zwischen der Illustration der Vergangenheit und dem Einsatz modernster technischer Mittel etwa, die so nur ein Filmemacher hinbekommt, der beides selbst erlebt hat und mit beidem virtuos zu hantieren weiß, oder der exzellente, die mysteriöse Atmosphäre von "Shutter Island" entscheidend mittragende und -gestaltende Score von Robbie Robertson.
Reisen in zur Abseitigkeit neigende Psychen im Film finde ich prinzipiell hochinteressant, besonders, wenn sie auf so unangekündigte und subtile Weise praktiziert werden wie hier. Ich mochte im Gegensatz zu vielen anderen, die ihn bloß für ein billiges, im Establishment verankertes Oscarvehikel halten, auch Howards "A Beautiful Mind" sehr, an den mich "Shutter Island" am Ende stark erinnert hat. Die Finalisierung als Duell zwischen konservativer und offener Psychiatriepraxis mit ungesundem Ausgang setzt schließlich einen grandiosen Schlusspunkt. Ein toller, sogar ein überragender Film!

9/10

period piece Martin Scorsese Psychiatrie Dennis Lehane


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FIVE EASY PIECES (Bob Rafelson/USA 1970)


"Give up! Give up!"

Five Easy Pieces (Ein Mann sucht sich selbst) ~ USA 1970
Directed By: Bob Rafelson


Der aus einer Musikerfamilie stammende Robert Duprea (Jack Nicholson) lehnt grundweg ab, was seine bourgeoise Herkunft für ihn repräsentiert: Standesdünkel, Arroganz und Pflichtbewusstsein den häuslichen Gewohnheiten gegenüber. Viel lieber möchte er eigene Erfahrungen fürs Leben sammeln, betätigt sich als Arbeiter auf einem Ölfeld und verkehrt mit Menschen, die seine Familie auf der Straße keines Blickes würdigte. Als Bob erfährt, dass sein Vater (William Challee) bereits den zweiten Schlaganfall erlitten hat, reist er mit seiner etwas unterbelichteten Freundin Rayette (Karen Black) nach Oregon, um sich im elterlichen Hause zumindest einmal blicken zu lassen. Als er dort die Freundin (Susan Anspach) seines älteren Bruders (Ralph Waite) kennenlernt, wittert er die Chance auf einen Richtungswechsel, doch diese bleibt unerfüllt.

"Five Easy Pieces" bedeutete für Jack Nicholson einen richtungsweisenden Karriereschritt. Nachdem er in diversen Corman-Produktionen und Bikerfilmen aufgetreten war, zweimal mit Monte Hellman gedreht und durch seinen Part als George Hanson in Hoppers "Easy Rider" bereits entscheidend die neue Windrichtung im amerikanischen Film miteingeleitet hatte, gab er hier erstmals einen Part für ihn, der weder ein besonders exaltiertes Auftreten, noch einen sonstwie von der Mitte abweichenden Gestus erforderlich machte. Auch wenn er dies nur allzu gern verhehlt: George Duprea (sein zweiter Vorname 'Eroica' markiert wie bei seinen Geschwistern Carl Fidelio und Partita (Lois Smith) die bedingungslose Hingabe der Eltern bzw. des Vaters an die Musik im Allgemeinen und Beethoven im Speziellen) kommt aus bildungsbürgerlich-steifem Hause, was seinerseits eine stille Rebellion unabdingbar macht. Da sich diese jedoch bis auf wenige Ausbrüche auf das Inwendige beschränkt, musste Nicholson, der hiermit quasi 'entdeckt' wurde, seinen inner struggle glaubhaft nach außen transportieren, was er auf das Bravouröseste bewerkstelligt. Wie es sich für New Hollywood gehört, gibt es eine ganze Latte seltsamen, dabei aus dem Leben gegriffenen Personals; besonders die zwei neurotischen Lesbierinnen (Helena Kallianiotes, Toni Basil), die Bob und Ray ein Stück ihres Weges begleiten, dürften denkwürdig sein. Und: "Five Easy Pieces" demonstriert weiterhin eindringlichst, was 'auteurism' meint und bedeutet, auch wenn das Script nicht vom Regisseur stammt.

9/10

Bob Rafelson New Hollywood Road Movie


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TATORT - ZWEIERLEI BLUT (Hajo Gies/BRD 1984)


"Macht doch das Licht aus, ihr Säue!"

Tatort - Zweierlei Blut ~ BRD 1984
Directed By: Hajo Gies


Schimanski (Götz George) ist zum Mäusemelken zumute: Sein Kollege Thanner (Eberhard Feik) haust nach einem Ehestreit mitsamt Schildkröte Eckhard bei ihm in der Wohnung und bringt den gesamten Alltag aus der Fasson. Derweil kommt beim Spiel MSV-RWE ein Italiener ums Leben. Der Platzwart Ludwig (Gerhard Olschwewski) will gesehen haben, dass eine Gruppe jugendlicher Rocker (u.a. Dietmar Bär) in ein Gerangel mit dem Toten verwickelt worden seien. Schimanski spielt den V-Mann und nähert sich den Kids an, wird jedoch rasch enttarnt...

Zu einer zünftigen Revier-Anthologie, wie sie die Tatort-Schimanskis ja im Prinzip darstellen, gehört natürlich auch ein Einblick ins Fußballfanmilieu. "Zebrastreifen, weiß und blau - ein jeder weiß..." etc. Der wahre Schlager sind dabei die porträtierten Jugendlichen, die das definitive Abziehbild des bourgeoisen Delinquentenbildes anno 1984 inkarnieren dürften. So richtig konnte man sich bei der subkulturellen Zugehörigkeit der Jungs (von denen einige fraglos über 25 sind) wohl nicht einig werden, außer darin, dass sie allesamt arbeitslose Trinker und Pöbler sind. Sollen das nun Punks sein, Neonazis oder doch bloß die guten alten Racker, äh Rocker? Auch egal. Schimmi, damals gerade stramme 46, wird von dem der Clique vorstehenden Dietmar Bär unentwegt als "Opa" bezeichnet. Hat er das wirklich verdient? Zum Kriminalfall ist zu sagen: Da hat man bereits Besseres und vor allem Spannenderes erlebt. Aber "Zweierlei Blut" ist ja auch aus ganz anderen Gründen zum Mini-Evergreen gereift. Musik: Spliff.

7/10

Fußball Hajo Gies Hooligan Ruhrpott Schimanski Tatort TV-Film Subkultur


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SRPSKI FILM (Srdjan Spasojevic/CS 2010)


Zitat entfällt.

Srpski Film (A Serbian Film) ~ CS 2010
Directed By: Srdjan Spasojevic


Um seine Familie finanziell absichern zu können, geht der für seine Standhaftigkeit berühmte Ex-Pornodarsteller Miloš (Srdjan Todorovic) auf das so verlockende wie seltsame Angebot des offenbar wohlhabenden Vukmir (Sergej Trifunovic) ein: Einen pornographischen Film auf höchster Kunstebene will dieser schaffen; einen, der nichts weniger abbilden soll als das Leben selbst. Ein Exposé oder gar Script existiert nicht, der etwas misstrauische Miloš nimmt angesichts der ihm in Aussicht gestellten, astronomischen Gage jedoch trotzdem an. Schon nach den ersten paar Drehtagen entdeckt Miloš, dass er einem gefährlichen Psychopathen aufgesessen ist und will kündigen - doch der Teufel besteht nunmal auf die gänzliche Erfüllung mit ihm abgeschlossener Verträge...

"Srpski Film" ist eines der leuchtendsten Beispiele für bakterielles - Verzeihung - virales Internet-Marketing der unfreiwilligen Sorte, auf dass ich (ich muss es zähneknirschend zugeben) selbst ziemlich entflammt ansprang und es nun mit dem vorliegenden Bericht fortpflanze. Empört und entsetzt viele Aussagen betreffs des Films - eine Wichsvorlage für Perverse sei er, die am besten aus dem Verkehr gezogen gehörte, so die einen. Andere glauben, ein sensationelles kleines Kunstwerk aus filmisch benachteiligter Region gesehen zu haben. Nicht minder interessant die emotionalen Reaktionen: da ist zu lesen, wie schwarzhumorig der Film doch sei und dass die Effekte ja jederzeit als solche erkennbar wären; überhaupt rege das Ganze mehr zum Lachen an als dass es schockieren könne. Dann wird moniert, dass die innerpolitischen Implikationen ein Witz seien und dem Renommee der Region alles andere als zuträglich, nachdem unflätiger Stoff wie die beiden "Hostel"-Filme die slawischen Teile Europas bereits aufs Heftigste diskreditiert hätten. Wie meistens bewegt sich die Wahrheit irgendwo dazwischen, zumindest was mich und meine Eindruckswelten anbelangt. Zunächst einmal erreicht der Darstellungsradius tatsächlich Sphären, in die der kommerzielle Spielfilm bislang selten vorgestoßen sein dürfte, so er sie überhaupt jemals angekratzt hat. Natürlich sind die betreffenden Szenen des im Ganzen nicht nur außerordentlich professionell und stilsicher gefertigten, sondern zudem ästhetisch erlesenen Films bewusst provokant und zweckmäßig angelegt und ganz eindeutig Teil einer mit dem Entsetzen Business treibenden, spekulativen Art des Filmemachens. Es obliegt wie immer jedoch dem Verantwortungs- und Aufgabenbereich des mündigen Rezipienten, ob und in welcher Form er sich davon blenden, instrumentalisieren oder affizieren lässt. Die meisten "abgehärtet" erscheinenden respektive der Inszenierung abseitige Komik unterstellenden Reaktionen wirken auf mich jedenfalls eher wie rührende Selbstschutzgestaden denn wie authentische Gleichgültigkeitsbekundungen. Es verhält sich wohl so: wer mit dem Genre vertraut ist und bisher dessen Auswürfe ertragen konnte, ohne den Blick abzuwenden, der wird jedenfalls auch mit "Srpski Film" fertig werden, irgendwie. Immerhin transportiert das Werk einen gewichtigen Teil des Wesens radikaler Kunst: Es taugt vortrefflich (und natürlich vorsätzlich) dazu, Diskussionen zu entfachen. Im Bereich des transgressiven Kinos ist Spasojevics Film aus vielerlei Gründen eine Entdeckung und der vielversprechende Regisseur jemand, den man gewiss im Auge behalten sollte. In jedem Falle lohnt es sich, eigene Impressionen walten zu lassen.

7/10

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GUESS WHO'S COMING TO DINNER (Stanley Kramer/USA 1967)


"When the hell are we gonna get some dinner?"

Guess Who's Coming to Dinner (Rat' mal, wer zum Essen kommt) ~ USA 1967
Directed By: Stanley Kramer


Die von Hawaii nach San Francisco heimkehrende Joey Drayton (Katharine Houghton) eröffnet ihren Eltern Christina (Katharine Hepburn) und Matt (Spencer Tracy), dass sie sich Hals über Kopf verlobt hat - mit einem überaus respektablen Mann (Sidney Poitier), nur dass dieser ein Farbiger ist. Obwohl sich Matt Drayton als Zeitungsverleger für DEN liberalen Meinungsmacher der Stadt hält, ist er von der Nachricht seiner Tochter mehr vor den Kopf gestoßen als er zugeben will.

"You've got to give a little..."
Kramers gezwungenermaßen letzter Film mit dem todkranken Spencer Tracy und ergo auch der letzte Film des schönsten Traumpaars der Filmgeschichte - Tracy und Hepburn - ist was fürs Herz, allerdings nicht ohne die dem Regisseur gemäßen sozialkritischen Implikationen. "Guess Who's Coming To Dinner" ist über die Jahre ein durchweg schöner Ensemblefilm geblieben, dennoch stört daran nach über vierzig Jahren noch immer Manches, wenn auch zum Glück bloß geflissentlich und beiläufig. Und damit meine ich weniger den unentwegten Gebrauch des Terminus "negro".
Es ist ja so, dass jede Gesellschaft in der Regel immer die Filme bekommt, nach denen sie verlangt, bzw. die sie verdient - das Gesetz des unterhaltungskulturellen Echos. Nur kann "Guess Who's Coming To Dinner" bei aller Ehrbarkeit und Brillanz in der Dialogführung selbst nicht verhehlen, eine durchweg weiße Perspektive einzunehmen, und eine stark seniorenverhaftete noch dazu. Etwas mehr Selbstsicherheit und Selbstverständnis wären beim Aufgreifen des Themas "Alltagsrassismus" mithin wünschenswert gewesen. Dass die Resolution des Films gewissermaßen lange Zeit in den Regionen der Utopie verblieb, zeigte etwa Spike Lee in seinem 24 Jahre jüngeren "Jungle Fever", in dem die Romanze eines gemischtfhäutigen Paars wegen der Ressentiments ihres sozialen Umfeldes frontal vor die Wand gefahren wird.
Man sollte daher die eigentliche Brisanz von Kramers Film nicht darin begreifen, dass hier die prinzipielle Selbstverständlichkeit eines Liebespaars unterschiedlicher Hautfarbe in den Fokus gerät (der große Altersunterschied wäre dem Impetus des Films gemäß eigentlich mindestens genauso diskutabel), sondern darin, dass ein alter, sich stets auf der Seite der Gerechten glaubender Mann trotz seiner selbstveräußerten Liberalität und Lebensweisheit erst über einen gewaltigen Wall der hinter seiner Fassade noch immer akut vorhandenen Vorurteile springen muss. Wie Tracy diesen Zweifler an seinem eigenen Lebensabend spielt, und, obwohl er um den nahenden Tod weiß, in seiner Rolle als Matt Drayton ständig davon spricht, noch ein hohes Alter zu erreichen, und dabei von einer ihn ganz offensichtlich tatsächlich umsorgenden Katharine Hepburn, die permanent Tränen in den Augen hat und ihr typisches Kopfzittern nicht verhehlt, das ist der echte tear jerker dieses seinem Wesen nach ehrlichen, tatsächlich großen und wichtigen Films.

9/10

Stanley Kramer Rassismus Ehe


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IT'S A MAD MAD MAD MAD WORLD (Stanley Kramer/USA 1963)


"Oh Russell, I feel sick."

It's A Mad Mad Mad Mad World (Eine total, total verrückte Welt) ~ USA 1963
Directed By: Stanley Kramer


Nachdem eine buntgemischte Gruppe Reisender in den kalifornischen Bergen einen halsbrecherischen Autounfall miterlebt hat, erfahren sie von dem sterbenden Fahrer (Jimmy Durante), dass dieser 350.000 Dollar in einem Küstenpark versteckt hat. Gierig machen sich alle Hals über Kopf auf die Socken, um jeweils als Erster an die Moneten zu kommen - der Beginn einer turbulenten Schatzsuche.

Stanley Kramer ist vordergründig moderater, im Subtilen betrachtet jedoch ziemlich bösartiger Nestbeschmutzer des damaligen 'American Way'. In "It's A Mad Mad Mad Mad World" karikiert er die grenzenlose Geldgier der Bourgeoisie und zeigt satirisch die Irrwege auf, die vormals ehrbare amerikanische Bürger einzuschlagen bereit sind, solange nur genug dabei für sie herausspringt. Dass sich ausgerechnet Spencer Tracy, Kramers großer, weiser Held aus seinen letzten beiden Filmen, am Ende als das zum Äußersten getriezte, unmoralische Kopfende des sabbernden Pöbels erweist, ist noch ein zusätzlicher Seitenhieb gegen 'the Beautiful'. In diesem Film gibt es keine Helden mehr, er braucht auch gar keine. Denn im Angesicht materieller Vorteile, so Kramers bitteres Fazit, ist sich jeder selbst der Nächste.
Dass ausgerechnet diese temporeiche, eine beinahe unüberschaubare Anzahl von Gastauftritten diverser Gattungsexperten verzeichnende Komödie eine so monumentale Spielzeit veranschlagt, und, ganz gemäß dem hollywoodschen Credo bei Überlängenfilmen, sogar eine Intermission beinhaltet grenzt fast an einen weiteren Faustschlag Kramers und veräußert "Mad World" als Experimentalfilm. Großes, überspanntes Unterhaltungskino.

8/10

Stanley Kramer Farce Groteske Satire Geld





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