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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE CHASE (Arthur Penn/USA 1966)


"Did you hear...? Bubber Reeves escaped!"

The Chase (Ein Mann wird gejagt) ~ USA 1966
Directed By: Arthur Penn


Eine kleine Stadt irgendwo im Süden. Der Filz der Jahrhunderte lässt sich, diverser Strampeleien der Einwohner zum Trotze, nicht abschütteln. Der reiche Bankier Val Rogers (E.G. Marshall) ist der ungekrönte König der Gegend und hat, auch wenn dieser es nie zugeben würde, selbst den ansonsten vorbildlichen Sheriff Calder (Marlon Brando) in der Tasche. Der hiesige, traditionelle Rassismus schwankt zwischen latent und offensiv, die Idee der sexuellen Revolution wird derweil brutal missverstanden und die Zeit vertreibt man sich mit feucht-fröhlichen Wochenend-Gelagen. In diese explosive Stimmung platzt die Nachricht, dass der junge Tunichtgut Bubber Reeves (Robert Redford) mal wieder aus dem Gefängnis ausgebrochen und möglicherweise auf dem Wege Richtung Heimat ist. Und eine kleine Lynch-Party ist genau das, was den Stadtbewohnern zum ultimativen Amüsement noch fehlt...

Eines der trefflichsten und zugleich erschütterndsten filmischen Porträts über den Süden der USA, auf Augenhöhe mit den Gesellschaftsdramen von Williams. Dekadenz und Neureichtum übermannen hier jede menschliche Regung, die Menschen sind fast durchweg hassens-, um nicht zu sagen verabscheuenswert in ihrer bequemen Kleingeistigkeit. Penn entwickelt für seine zwischen Burleske und bierernstem Drama angesiedelte Theateradaption eine rein ästhetisch betrachtet verführerische Bildsprache mit Scope und leuchtenden Farben, die den oberflächlichen Glanz jener mittelalterlichen Gesellschaft perfekt einfängt und es dem Rezipienten zumindest zu Beginn ein wenig erschwert, sich einen Begriff von jenem sozialen Mikrokosmos zu machen. Auf topographische Angaben verzichtet "The Chase" bewusst, um seine kritische Allgemeingültigkeit nicht zu verspielen. Dem US-Publikum und auch der Kritik ist Penns Film wie viele selbstkritische Werke der Kinogeschichte (ewiges Musterbeispiel: "Heaven's Gate") bis heute verhasst, dabei handelt es sich um eine seiner brillantesten Arbeiten.

9/10

based on play Menschenjagd Arthur Penn Lynchjustiz Suedstaaten Rassismus


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THE HEIRESS (William Wyler/USA 1949)


"I can be very cruel. I have been taught by masters."

The Heiress (Die Erbin) ~ USA 1949
Directed By: William Wyler

New York, um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Catherine (Olivia de Havilland), die Tochter des wohlhabenden Arztes Dr. Sloper (Ralph Richardson), entwickelt sich zusehends zu einer alten Jungfer. Schüchtern und unbehende wie sie sich gibt wird sie weder von ihrem Vater noch vom Rest der Männerwelt als die durchaus zartfühlende und treuherzige Person wahrgenommen, die sie tatsächlich ist. Daher verdächtigt Dr. Sloper ihren aus heiterem Himmel auftauchenden Verehrer, den mondänen, aber schluckarmen Bonvivant Morris Townsend (Montgomery Clift), der bloßen Mitgiftjägerei. Wie richtig er damit liegt, will die vor Verliebtheit blinde Catherine nicht einsehen, bis es zu spät ist - ihre Rache ist dafür umso kühler.

William Wyler entwickelt sich mehr und mehr zu einem Lieblingsregisseur. "The Heiress", ein sowohl auf dem Roman "Washington Square" von Henry James als auch auf einem Stück von Ruith und Augustus Goetz basierendes New Yorker Gesellschaftsporträt, ist jedenfalls wieder einmal von einer ungeheuren inneren Kraft. Es berichtet von der zivilisatorisch unumgänglichen Zwangsläufigkeit feministischer Emanzipationsbestrebungen, so das weibliche Geschlecht sich nicht an seinen häuslichen Schwächen messen lassen will. Die in "Gone With The Wind" noch als bieder-brave Cousine Melanie zu sehende de Havilland hat somit nun endlich Gelegenheit, sich ihrer wahren Stärke zu besinnen. Der von ihr vortrefflich ausgefüllte Part (seltsamerweise erinnert sie mich in zahlreichen Einstellungen an die alternde Ingrid Bergman) des armen Mauerblümchens Catherine Sloper, das am Ende, mit doppelt gebrochenem Herzen, doch noch wie Phoenix aus der Asche emporsteigen darf, ist jedenfalls die späte Quittung dafür. Später, in Aldrichs "Hush...Hush, Sweet Charlotte", durfte sie es dann ja sogar mit der Davis aufnehmen (wobei man gegen diese natürlich nur den Kürzeren ziehen kann). Doch auch Richardson und Monty Clift bieten Sternstunden ihres Könnens, offenbar von Wyler zu selbigen getrieben.
Ein höchst brillanter, scharf geschriebener Film ist das für Kinofreunde wohl kaum verzichtbare Resultat.

10/10

New York based on play William Wyler Emanzipation Bonvivant Henry James Rache period piece


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ON THE WATERFRONT (Elia Kazan/USA 1954)


"You wanna hear my philosophy of life? Do it to him before he does it to you."

On The Waterfront (Die Faust im Nacken) ~ USA 1954
Directed By: Elia Kazan


Hoboken, New Jersey: Der Ex-Boxer Terry Malloy (Marlon Brando) arbeitet als Schläger für den korrupten Hafengewerkschaftsboss Johnny Friendly (Lee J.Cobb). Terrys älterer Bruder Charley (Rod Steiger) ist Friendlys rechte Hand und Advokat. Als mit seiner unbewussten Hilfe eines Tages einer von Friendlys Klienten zu Tode kommt, beginnt der bis dahin erstarrte Terry erstmals aufzuhorchen. Mit der Unterstützung eines couragierten Paters (Karl Malden) und Edie (Eva Marie Saint), der Schwester des Ermordeten, beginnt er, gegen Johnny Friendly und seine Gangsterbande aufzubegehren.

Ein Meilenstein im amerikanischen Kino ist "On The Waterfront", da er als eine der ersten Studioproduktionen nahezu völlig auf Romantisierung und althergebrachte Klischees verzichtet und stattdessen trotz mancher expressionistischer Stilisierung ganz bewusst wie on location gedrehtes cinéma verité daherkommt. Kazan scheut sich nicht, pausenlos Dreck, Armut und Unbehagen abzubilden. Seine Figuren sehen mit Ausnahme der, besonders inmitten von Ruß unjd Kälte ätherisch anmutenden (und im Film freilich jungfräulichen) Eva Marie Saint aus wie vom Leben geschundene Individuen; vernarbt, unrasiert, desillusioniert, traurig. Brando, dessen Darstellung später als archetypisces method acting gelten sollte, spielt seinen Terry Malloy nicht, er lebt ihn - und scheint die anderen, kaum minder großartigen Schauspieler gleich mit in seinen Realismusstrudel zu reißen. Dass "On The Waterfront" permanent seinen nachdrücklichen Ruf nach sozialer Gerechtigkeit lauthals und als allgemeingültiges Credo herausposaunt, wirkt hier nebenbei ausnahmsweise nicht geheuchelt, sondern in höchstem Maße glaubhaft.

10/10

New Jersey Armut Hafen Elia Kazan Gewerkschaft


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MRS. MINIVER (William Wyler/USA 1942)


"I think it's lovely having flowers named after you."

Mrs. Miniver ~ USA 1942
Directed By: William Wyler


Die fünfköpfige Familie Miniver lebt ein glückliches, wenngleich ereignisarmes Leben im beschaulichen Londoner Vorort Belham. Als die ersten Wehrmachtsbomber über die Insel fliegen, übt man sich in typisch britischem Stoizismus, doch bald schon lässt sich das unaufhörlich nahende Kriegsgrauen nicht mehr leugnen. Auch das stolze Domizil der Minivers fält einer Fliegerbombe zum Opfer Vin (Richard Ney), der älteste Sohn, tritt freiwillig der Luftwaffe bei. Mrs. Miniver (Greer Garson) hilft derweil mittels unbeugsamer Courage, den Krieg gegen die Deutschen auf heimischem Boden zu gewinnen.

Meisterliches von William Wyler. Zwar lässt sich nicht ableugnen, dass "Mrs. Miniver" "auch nur" einer der vielen Propagandafilme seiner Zeit ist, ebensowenig jedoch, dass er sein Heil jedoch für eine gute Sache einlöst - dafür nämlich, angesichts grausiger Zeiten das persönliche Rückgrat zu stärken. Das macht ihn als Zeitdokument wertvoll, als cineastisches Bravourstück jedoch noch umso wahrhaftiger. Spätestens wenn das hässliche Antlitz des Krieges die Zivilbevölkerung erreicht, wird seine ganze philosophische Absurdität greifbar; wenn kleine Kinder angstvoll unter nächtlichen Bombenblitzen zittern und weinen müssen und Jungverheiratete gleich wieder durch den Tod getrennt werden. Wyler beherrscht die Emotionsklaviatur, die nötig ist, um eine Geschichte wie "Mrs. Miniver" zeitlos und kitschbefreit zu erzählen, geradezu perfekt. Die Menschen, die zwanghaft vom Kriege gezeichnet werden, müssen in Erzählungen wie dieser durchweg liebenswert und aufrecht sein, um den größtmöglichen Effekt zu erzielen. Dass "Mrs. Miniver" nebenbei voll ist von inszenatorischen Kabinettstückchen und einige große Darstellervorstellungen in sich vereint, scheint angesichts seiner sonstigen Größe beinahe zum angenehmen Nebeneffekt degradiert. So mag es sich auch erklären lassen, dass die womöglich bewegendste Szene in diesem mutmaßlichen Kriegsfilm vor dem scheinbar unspektakulären Hintergrund einer Preisverleihung der Blumenzüchter spielt.

9/10

England WWII Propaganda Familie William Wyler London Best Picture


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SCHWERKRAFT (Maximilian Erlenwein/D 2009)


"Ich bin jetzt kriminell. Und fühle mich gut dabei."

Schwerkraft ~ D 2009
Directed By: Maximilian Erlenwein


Der Bankangestellte Frederick Feinermann (Fabian Hinrichs) muss eines Tages miterleben, wie sich vor seinen Augen ein Kunde, dem Frederick zuvor einen Kredit gelündigt hat, erschießt. Ab diesem Zeitpunkt ist dem in einer einsamen, oberflächlichen Existenz lebenden jungen Mann klar, dass ein Ausbruch hermuss. Zuisammen mit seinem alten Bekannten Vince (Jürgen Vogel), der ihm zufällig wiederbegegnet, beginnt Frederick, in die Villen reicher Bankkunden einzubrechen.

Erfreulich bodenständige, schwarze Komödie in "Fight Club"-Tradition. Aus der Geschichte um einen jungen, im Establishment fest verankerten Anzugträger, der an einem Zeitpunkt seines Lebens feststellt, dass das doch längst nicht alles sein kann, macht Erlenwein im Gegensatz zu dem episch arbeitenden Fincher ein Drei-Personen-Kammerspiel. Auch beschränken sich die psychischen Untiefen seines Protagonisten auf das "alltäglichere" Problem einer bipolaren Störung. Die tiefgehende Persönlichkeitsspaltung eines Edward Norton ergreift von Fabian Hinrichs keinen Besitz, da ihn vermutlich jenes Schlüsselereignis um den Selbstmord seines Kunden noch gerade rechtzeitig davor bewahrt. Auch wird hier, in guter deutscher Tadition, immerhin die Liebe als letzter Ausweg angeboten. Dass Fredericks missgünstige Umwelt ihm diese finale Fluchtmöglichkeit jedoch versagt, steht auf einem anderen Blatt. Diese Geschichte endet nicht damit, dass die Hochfinanz in tausend Teile gesprengt wird, sondern ganz alltäglich - mit dem Knast nämlich. Und natürlich mit einem wunderschönen Song, "Let Your Light In, Babe" von Robert Forster, für dessen Verwendung Erlenwein allein schon ein Star of Fame gebührt.
Guter, alter Nationalrealismus.

7/10

Maximilian Erlenwein Satire Heist


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TENEMENT (Roberta Findlay/USA 1985)


"No one leaves Chaco!"

Tenement (Game of Survival) ~ USA 1985
Directed By: Roberta Findlay


Eine Bande delinquenten Gesocks, der der psychotische Chaco (Enrique Sandino) vorsteht, terrorisiert die Mietparteien eines freistehenden Mehrfamilienhauses in der Bronx. Dessen feister, versoffener Hausmeister Rojas (Larry Lara) ruft zwar eines Tages die Polizei, doch binnen weniger Stunden ist die Gang wieder frei und will blutige Rache für Rojas' Denunziation. Chaco und seine Leute brechen in das Haus ein und treiben die zunehmend verängstigten Bewohner unter wechselseitigen Opfern nach und nach bis in die oberste Etage...

Roberta Findlay ist eine der wenigen im Exploitation-Geschäft tätigen Damen. Ganze sechsunddreißig Regie- und noch mehr Kameraarbeiten listet die imdb, darunter auch diverse Pornos und sowieso das meiste davon Zeug, das Otto Normalkinogänger vermutlich nicht mal mit gut geschützten Fingerspitzen im Einweghandschuh anfassen würde. Der im (leicht verspäteten) Gefolge der diversen Gangfilme der frühen Achtziger entstandene "Tenement" macht dabei ebensowenig Gefangene wie die kombattanten Parteien im Film. Sobald jemand in die Finger der jeweiligen Kontrahenten gerät, wird er gnadenlos von der Platte geputzt - auf mitunter recht geschmacklose Art und Weise. Ein klassischer Belagerungsfilm ist "Tenement" dabei schon infolge der Aufhebung der darin gewohnten Raumkonstruktion nicht geworden - die Terrorgangster wollen ja nicht erst in das Gebäude, sondern sind bereits drin, als es mit der Holzerei losgeht. Seine vegetative Spannung bezieht der Film dann letzten Endes daraus, dass die braven Hausbewohner sowohl psychisch als auch räumlich mehr und mehr in die Enge getrieben werden. Es liegt in der Natur der Genresache, dass die Findlay sich vermutlich gute zehn Minuten zuviel an Zeit für die Erzählung ihrer an Gehaltfülle eher schmalen Story nimmt und in formaler Hinsicht herumdilettiert als gäbe es kein Morgen. Vermutlich könnte selbst ich eine bessere Montage besorgen und hätte auch ein besseres Gespür für Beleuchtung und Kamerarbeit. Vielleicht soll das Ganze aber auch vorsätzlich müllige Underground-Videokunst sein, ich weiß es nicht. Fest steht jedenfalls eines: "Tenement" ist so rechtes, putziges Schmuddelkino zum Liebhaben - vorausgesetzt natürlich, man hat per se was für verfilzte, potthässliche und bissige Straßenköter übrig.

5/10

Splatter New York Trash Exploitation Independent Underground Terrorfilm


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UN AMOUR DE SWANN (Volker Schlöndorff/F, BRD 1984)


Zitat entfällt.

Un Amour De Swann (Eine Liebe von Swann) ~ F/BRD 1984
Directed By: Volker Schlöndorff


Paris im späten 19. Jahrhundert: Der intellektuelle Lebemann Charles Swann (Jeremy Irons) ist trotz seiner bürgerlich-jüdischen Herkunft ein gern gesehener Gast bei den protzigen Empfängen und Galadiners der Aristokratie. Als jedoch seine zunehmend obsessive Liebe zu der aufreizenden Kurtisane Odette de Crécy (Ornella Muti) publik wird, ist damit zugleich Swanns soziale Stellung gefährdet. Jener jedoch lässt sich von den Drohungen seiner so genannten "Freunde" nicht einschüchtern. Selbst Swanns von ihm selbst als solche erkannte pathologische Eifersucht bezüglich Odettes übriger, bestenfalls an ihren körperlichen Reizen interessierten Galane, hält ihn am Ende nicht davon ab, sie zur Frau zu nehmen.

Nachdem Peter Brook von dem Projekt "Swann" abgesprungen war, sprang Schlöndorff ein - für ihn eine willkommene Offerte, da Prousts gewaltiges Werk "À La Recherche Du Temps Perdu", dessen Bestandteil "Un Amour De Swann" ist, nach eigenem Bekunden zu Schlöndorffs Leib- und Magenliteratur zählt. Die Dreharbeiten hatten unter einem eher unrühmlichen Charakter zu leiden, da der als homosexueller Adliger Charlus auftretende Alain Delon die Tatsache, dass - zudem in einem nationalen Epos - nicht er, sondern der Brite Jeremy Irons die Titelrolle gab, auf nickligste Weise torpedierte. Unter anderem ließ er sich mit der Muti ablichten und die Fotos in diversen großen Pariser Zeitungen veröffentlichen, was eine völlig verquere Publikumserwartung zur Folge hatte.
Abseits von diesen Schlöndorff-untypischen Querelen ist "Swann" wohl selbst für Proust- Connaisseure ein hochästhetisches und entsprechend genussvolles, von Bergman-Adlatus Sven Nykvist höchst edel fotografiertes Werk, das zu den großen, historischen Gesellschaftsporträts des Kinos gezählt werden muss und eben primär durch seinen äußeren Glanz begeistert. Für Schlöndorffs Gesamtwerk ist der Film insofern von erwähnenswertem Status, als dass er einer der ersten des Regisseurs mit internationaler Starbesetzung war und ihm damit eine - wenn auch recht kritisch beäugte - Tür zum Weltkino öffnete. Ansonsten verhindert die distanzierte Machart wohl eine intensivere Zuwendung. Man ist, ähnlich einem Gang durch eine impressionistische Galerie, voll des Respekts und auch recht angetan, ist sich aber permanent im Klaren darüber, dass man das gute Stück sowieso nicht mit nach Hause nehmen kann wendet sich ergo mit mindestens ebenso großem Interesse dem nächsten Gemälde zu. Auf bald also.

7/10

Fin de Siècle Standesduenkel period piece Volker Schloendorff Sittengemaelde Historie Marcel Proust


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DER PLÖTZLICHE REICHTUM DER ARMEN LEUTE VON KOMBACH (Volker Schlöndorff/BRD 1971)


"Nach Amerika - wo Milch und Honig fließen..."

Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kombach ~ BRD 1971
Directed By: Volker Schlöndorff


Nach einigen misslungenen Versuchen überfällt eine Gruppe am Leben darbender Bauersleut' im Jahre 1821 die Postkutsche der hessischen Kurfürsten, in der Steuergelder transportiert werden. Rasch kommt der örtliche Kriminalrichter (Wilhelm Grasshoff) den sich bei aller Vorsicht ungeschickt verhaltenden Dörflern darauf. Diese werden mithin zum Geständnis gezwungen und hernach zum Tode verurteilt.

Schlöndorffs ursprünglich fürs Fernsehen gedrehtes, kleines Historienspiel steht ganz im Zeichen des Neuen Deutschen Films. Unter Mitwirkung der Kollegen Fassbinder und Hauff und in kargem, schmucklosem Schwarzweiß gefilmt, sowie entsprechend dem Minimalbudget in ein authentisch-zerlumptes Äußeres gekleidet, hat es beinahe den Anschein, als sei jemand in die Zeitmaschine gestiegen, habe die Kombacher Bauern anno 1821 tatsächlich mit der Arriflex verfolgt und hier nichts anderes als eine Dokumentation abgeliefert. Die charaktergesichtigen, teils steinalten Laiendarsteller, denen Schlöndorff im Monolog sogar Verhaspler durchgehen lässt, sind von ebenso gewöhnungsbedürftiger, stoischer Echtheit wie das ganze Ambiente des Films. Wie ein stark eklektizistisches Element wirkt da die trotzdem ganz formidable, mit poppigen Beats unterlegte Musik Klaus Doldingers, die sich auf sonderbare Art und Weise reibungslos mit dem Restfilm arrangiert.
Ein weiteres ganz wunderbares Werk dieses zu einem meiner liebsten werdenden Filmemachers.

9/10

Historie Heist Bauern Volker Schloendorff TV-Film perod piece Armut


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STREET SMART (Jerry Schatzberg/USA 1987)


"That's my man!"

Street Smart (Glitzerner Asphalt) ~ USA 1987
Directed By: Jerry Schatzberg


Die Karriere des New Yorker Journalisten Jonathan Fischer (Christopher Reeve) stagniert. Unter den Reportage-Ideen, die er seinem Chef Avery (Andre Gregory) regelmäßig vorträgt, ist auch die, einen Bericht über einen der jenseits der 110. Straße tätigen pimps zu schreiben. Diese stößt auf prompte Gegenliebe, allein die Umsetzung erweist sich als prekär. Niemand aus dem Milieu will sich von Jonathan interviewen lassen. Also denkt dieser sich, angesichts seiner knapp angelegten Deadline, kurzerhand selbst eine Geschichte aus, die mit ihrem lockeren Stil prompt zum Renner wird. Diesen Zuhälter Tyrone mit den flotten Sprüchen will jeder der Manhattaner High Snobiety kennenlernen. Tatsächlich hat der fiktive Tyrone ein reales Pendant namens 'Fast Black' (Morgan Freeman) und dieses steht gegenwärtig wegen Mordes vor Gericht. Als Jonathan und Fast Black sich begegnen, ist dies für Jonathan der Anfang einer immer brenzliger werdenden Situation.

Besonders in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre wandte sich die unabhängige Produktions- und Verleihgesellschaft Cannon neben dem Actionfilmgeschäft der Herstellung prestigeträchtiger Autorenprojekte zu. Selbst als Kassengift geltende oder zumindest als diesbezüglich gefährlich erachtete Filmemacher wie John Cassavetes, Lina Wertmüller, Barbet Schroeder, Nicolas Roeg oder Robert Altman erhielten so unerwarteten finanziellen Rückenwind, um das eine oder andere Herzensprojekt auf die Beine stellen zu können. Vermutlich war es gerade dieser Appetit auf Renommee abseits vom B-Film, der den Cannon-Chefs Menahem Golan und Yoram Globus neben einigen unrentablen Wahnsinnsinvestitionen letztlich das Genick brach. Für den aus dem New-Hollywood-Umfeld stammenden Jerry Schatzberg jedenfalls bildete der von der Cannon produzierte "Street Smart" die Chance, nach vierzehn Jahren im Nirvana des Mediokren seinen ersten bedeutsamen Film machen zu können. Die Geschichte wandelt sich von einer bissigen Sozialsatire nach und nach zu einem knackigen Thriller, bis sie schließlich in einen handelsüblichen, nichtsdestotrotz jedoch wirkungsvollen Racheplot mündet. Schatzberg inszeniert das mit großem Können und ebenso großem Elan und lässt seine beiden Antagonisten ein dramaturgisch brillant arrangiertes Duell austragen. Morgan Freeman, seit "The Shawshank Redemption" ja der nette Onkel Tom vom Dienst, ist als psychopathischer Zuhälter Fast Black vermutlich in der diabolischsten Rolle seiner Laufbahn zu sehen. Wie gut war der Mann doch einst als veritabler Bösewicht. Reeve strampelt mithin erfolgreich gegen seinen "Superman"-Strampler an, auch wenn er hier erneut einen Großstadt-Reporter spielen muss.
"Street Smart", soviel ist sicher, lohnt die Wiederentdeckung!

8/10

Satire Jerry Schatzberg Journalismus Fernsehen Prostitution New York


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CASS (Jon S. Baird/UK 2008)


"Finally I grew up."

Cass ~ UK 2008
Directed By: Jon S. Baird


Der farbige Carol 'Cass' Pennant (Nonso Anozie) wächst bei weißen Adoptiveltern in East London auf. Von den meisten Kids wegen seiner Hautfarbe verspottet und gemobt, findet Cass schließlich eine willkommene Möglichkeit zur Kanalisierung seiner tief verwurzelten Aggressionen: Er wird Hooligan für seinen Lieblingsclub West Ham United. Bald übernimmt Cass die Führung der Hooliganorganisation ICF und wird zum gesellschaftlichen Feindbild erklärt. Nachdem er für einige Jahre ins Gefängnis muss, schwört er der offensiven Gewalt ab und nimmt einen Job als Türsteher an. Doch seine Vergangenheit lässt ihn nicht ruhen.

Biopic über den authentischen Fall des Cass Pennant, der nach seiner früheren Karriere als Hooligan eine Autorenlaufbahn eingeschlagen und diverse dokumentarische Bücher über das Milieu verfasst hat. Bairds Werk hebt sich in keiner Weise von der üblichen Machart dieser Art Film ab; Belehrend und in zumindest erträglichem Maße moralinsauer, unterscheidet ihn im Prinzip lediglich der sich über knappe drei Dekaden ausdehnende epische Atem der Geschichte und die Tatsache, dass hier das Hooligantum als eine Form der Sublimierungstaktik für rassischen Hass fungiert, von den vielfach gefertigten Subkulturporträts der letzten Jahre. Hervorzuheben sind weiterhin die entschiedene Haltung gegen die Tory-Regierung unter Maggie Thatcher, die in gewisser Weise mitverantwortlich gemacht wird für die in den Achtzigern rapide ansteigenden Jugendaggressionen und die brillante Songzusammenstellung auf der Soundtrack-Spur, die ein Wiederhören mit diversen vielgeliebten Klassikern spendiert. Ansonsten verpasst man wahrscheinlich wenig, wenn man auf "Cass" verzichtet.

6/10

Fußball Biopic Hooligan Jon S. Baird Subkultur London





Filmtagebuch von...

Funxton

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