Zum Inhalt wechseln


In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


Foto

BRAINSTORM (Douglas Trumbull/USA 1983)


"I'm more than I was."

Brainstorm (Projekt Brainstorm) ~ USA 1983
Directed By: Douglas Trumbull

Ein emsig arbeitendes Team von Wissenschaftlern, allen voran die kettenrauchende Lillian Reynolds (Louise Fletcher) und der exzentrische Michael Brace (Christopher Walken), arbeiten an der Vollendung einer Maschine, die sämtliche sinnlichen Erfahrungen, also nicht nur audiovisuelle, sondern auch olfaktorische, haptische, emotionale und sogar gedankliche, eines Menschen aufzeichnen und von einem anderen wiedererleben lassen kann. Als sie bemerken, dass ihr Chef (Cliff Robertson) sie ohne ihr Wissen an das Militär verkauft hat, reagieren Lillian und Michael höchsst ungehalten. Als Lillian infolge eines Herzinfarktes stirbt und ihren Todeskampf mit der Maschine aufzeichnet, hängt die Verantwortung komplett an Michael. Nachdem er sich mit seiner von ihm getrennten Frau Karen (Natalie Wood) wieder zusammengerauft hat, beginnt er unter Zuhilfenahme von Lillians Aufzeichnung einen höchst riskanten, mentalen Fernangriff auf das Projekt 'Brainstorm'.

Ganz ähnlich arrangiert wie Russells "Altered States" beinhaltet auch "Brainstorm" die Warnung vor einem allzu rigorosen Eindringen in heimliche Sphären der menschlichen Existenz: Habt Respekt, sonst mag es euch schlecht ergehen, ihr, die ihr hier eintretet! Im Gegensatz zum experimentierfreudigen Russell hält sich Trumbull in seinem zweiten Langfilm nach "Silent Running" jedoch vergleichsweise "solide"; seine große inszenatorische Finte besteht im Wechsel zwischen 35mm- und 70mm-Film; wobei die von der Hirnmaschine widergespiegelten, also die subjektiven Bilder in konvexem Super Panavision gezeigt werden. Das ist, vor allem im Hinblick auf die Entstehungszeit, ungewöhnlich, aber nicht revolutionär - ebensowenig wie die philosophische Diskurslage des Films, die niemals die ihr angemessene Tiefe erreicht. Und just wie am Ende von "Altered States", der ein brüchiges Beziehungsband wieder kittet, ist auch in "Brainstorm" die Himmelsmacht der Liebe der Allzweckkleber für amoralische Penetrationen des Jenseitigen. Hier wie dort gilt ferner: Der Hauptdarsteller reißt einiges raus, wenn auch Chris Walken anders als William Hurt nicht durch bloße Präsenz 'seinen' Film vor der ausgeprägten Selbstverliebtheit des Regisseurs retten kann.

6/10

Douglas Trumbull North Carolina Mad Scientist Ehe Familie Jenseits Militär


Foto

ALTERED STATES (Ken Russell/USA 1980)


"I'm on fucking fire."

Altered States (Der Höllentrip) ~ USA 1980
Directed By: Ken Russell

Ende der sechziger Jahre experimentiert der Wissenschaftler Eddie Jessup (William Hurt) mit den Halluzinationen, die sich nach längerem Aufenthalt in einem Isolationstank einstellen: Jessup ist der festen Ansicht, dass die auf den evolutionären Ausgangspunkt reduzierte Persönlichkeit des Menschen physikalisch messbar ist. Als er seine zukünftige Frau Emily (Blair Brown) kennenlernt und eine Familie mit ihr gründet, stellt er seine Forschungen für etwa zehn Jahre hintenan. Dann hört Jessup von einer psychoaktiven Droge, die mexikanische Indianer auf Pilzbasis herstellen. Vor Ort probiert er das Gebräu. Mit erstaunlichen Auswirkungen - Jessup hat extreme Halluzinationen und erlegt im Vollrausch eine Ziege. Begeistert nimmt er eine Probe von dem Rauschmittel mit. In Kombination mit weiteren Isolationstank-Aufenthalten beginnt Jessup dann, eine kkatastrophale Veränderung durchzumachen. Zeitweilig verwandelt er sich in ein behaartes Urzeitwesen und ist nicht mehr Herr seiner Sinne.

Weniger interessant aufgrund der recht abgestandenen Motivlage - "Altered States" intellektualisiert den klassischen 'Jekyll/Hyde'-Plot, indem er ihn im Milieu der drogenaffinen, mit Hofmann und Leary vertrauten 68er verankert, von dort aus theologisiert und im Grunde den alten moralinsauren Zeigefinger von der bitteschön stets zu wahrenden Ethikgrenze und der wahren Liebe, die alles besiegt, permanent erhoben lässt - denn seiner formalen Komposition wegen. Auch vor leichten B-Film-Avancen scheut Russell nicht zurück, wenn er William Hurt als keifenden Primaten durch den Universitätskeller und danach durch den Bostoner Zoo hampeln lässt. Mehr als alles andere prägt jedoch die Erfahrung mit Halluzinogenen die Grundierung des Werks; "Altered States" ist ein klassisches trip movie, das Hurts Erfahrungen mittels ausgedehnter Bildcollagen visualisiert, die häufig mit satanischen Motiven herumspielen. Auf der irdenen Seite überzeugt vor allem Hurt, der hier unglaublicherweise sein Filmdebüt gibt, als ebenso besessener wie verschrobener Versuchsanordner.

8/10

Ken Russell Paddy Chayefsky Monster Mad Scientist Ehe Drogen Boston Jekyll und Hyde


Foto

BILLY BATHGATE (Robert Benton/USA 1991)


"Kid, you want a ride?" - "No thanks, I'll walk."

Billy Bathgate ~ USA 1991
Directed By: Robert Benton

New York, 1935: Kurz bevor er seinem früheren Kumpel Bo Weinberg (Bruce Willis) wegen Verrats Zementschuhe verpasst, lernt der berüchtigte Gangster Arthur Flegenheimer alias Dutch Schultz (Dustin Hoffman) den jungen Billy Behan (Loren Dean) aus der Bronx kennen. Der ebenso intelligente wie gutmütige junge Mann gehört nach ersten Arbeiten als Laufbursche bald zum engeren Stab von Schultz und lernt mitunter am eigenen Leibe kennen, wie gefährlich die psychotischen Ausbrüche seines Brötchengebers werden können. Als Schultz Weinbergs frühere Geliebte Drew Preston (Nicole Kidman) töten lassen will, weil sie ihm zu naseweis wird, trifft Billy, der sich jetzt 'Billy Bathgate' nennt, eine folgenschwere Entscheidung.

1990 und 91 waren so etwas wie die goldenen Jahre des Gangsterfilms; viele große und kleine Genreklassiker stürmten während dieser zwei Jahre förmlich die Leinwände. Insbesondere "Miller's Crossing" von den Coens hievte in diesem Zuge auch die traditionellen Kulissen und Requisiten der großen amerikanischen Gangster wieder ins Bewusstsein zurück: Prohibition, Glücksspiel, Pomade, Gamaschen, Nadelstreifenanzüge, Stetsons und natürlich die Thompson erfreuten sich urplötzlich wieder großer Beliebtheit. Neben 'Bugsy' Siegel aus der umfangreichen jüdischstämmigen New Yorker Gangsterclique, der auch Arnold Rothstein, 'Lepke' Buchalter und Meyer Lansky angehörten, wiederbelebte das Kino also auch Dutch Schultz, der von einem zu diesem Zeitpunkt bereits viel zu alten Dustin Hoffman gegeben wurde. Als gutem Schauspieler, der er nunmal ist, nimmt man ihm seine Gewalteruptionen zwar ab, so unterschwellig bedrohlich wie Warren Beattys Bugsy wird er jedoch nie. Die wahre Entdeckung an "Billy Bathgate" ist auch nicht der Titelheld Loren Dean, ein bereits in der Anlage handzahmes Milchbrötchen, von dem man wohl nicht von ungefähr später nurmehr selten hörte, sondern Nicole Kidman. Die einst so attraktive Dame steht hier in allerschönster Blüte, präsentiert sich zuweilen überaus freizügig und ist überhaupt eine Augenweide. Ansonsten bleibt der Film verhältnismäßig domestiziert und lässt durchblicken, dass dies schlichterdings nicht Bentons bevorzugtes Terrain darstellt.

7/10

Robert Benton New York New Jersey Dutch Schultz E.L. Doctorow


Foto

AMER (Hélène Cattet, Bruno Forzani/F, BE 2009)


Zitat entfällt.

Amer ~ F/BE 2009
Directed By: Hélène Cattet/Bruno Forzani

Ana (Marie Bos), eine junge Frau, kehrt während eines brüllend heißen Sommers in das mittlerweile leerstehende Familienvilla an der malerischen Côte d'Azur zurück. Hier hatte sie bereits zwei einschneidende, prägende Erlebnisse: Als kleines Mädchen (Cassandra Forêt) wurde sie Zeugin, wie ihr toter Großvater in dem Haus aufgebahrt wurde, während eine mysteriöse Haushälterin (Delphine Brual) ihr nachzustellen schien und ihre Eltern (Bianca Maria D'Amato, Jean-Michel Vovk) hilflosen Sex im Nebenzimmer hatten; als Teenagerin (Charlotte Eugène Guibeaud) durchkreuzt ihre Mutter mit einer gezielten Ohrfeige Anas sexuelles Erachen nebst ersten, zögerlichen Avancen an das andere Geschlecht. Heute wird Ana von ebenso erotomanen wie blutrünstigen Phantomen verfolgt: Treibt ein schattenhafter Mörder sein Unwesen auf dem Anwesen? Oder ist gar Ana selbst die Quelle der sich überstürzenden Ereignisse?

Was Film sonst noch kann: Stringente Narration kennen wir alle, haben wir schon hundertausend Mal gesehen und können, ausgebufft wie wir sind, auch meist präzise voraussagen, wer der Mörder ist! "Amer" gibt sich mit derlei Ordinärem gar nicht mehr ab. Er nimmt sich die inhaltliche Essenz der italienischen Genrefilme der frühen siebziger Jahre, gemeinhin bekannt als 'Gialli', zum stilistischen Vorbild, um eine weithin dialogbefreite, von mysteriöser Assoziativität und Bewusstseinsströmen dominierte Innenwelt zu errichten, die von dem stets gepflegt schundigen Gebahren der Originale kaum mehr etwas zurückbehalten mag - Originalmusiken von Morricone, Nicolai und Cipriani inbegriffen. Stattdessen hält "Amer" drei entschlüsselnde Lebensstationen einer psychisch offenbar zunehmend schwer gestörten Dame bereit, in deren emotionalem Empfinden Eros und Thanatos einhergehen und die sexuelle Annäherung mit Tod bestraft. Die formale Pracht und immense Kunstfertigkeit des Films steht dabei in interessantem Zusammenhang zu seiner eher grobgemahlenen Inspirationsquelle: So "umständlich" gab sich das klassische mediterrane Thrillerkino jedenfalls nie. Aber da ging es ja auch weniger um die Erkundung einer gequälten Seele, sondern um ganz andere Dinge. Von denen wiederum berichtet "Amer" bloß am Rande.

8/10

Hélène Cattet Bruno Forzani Madness Frankreich Riviera Sommer


Foto

A DANDY IN ASPIC (Anthony Mann/UK 1968)


"What's an existentialist, then?" - "Well, it's slightly more complex than romping around naked."

A Dandy In Aspic (Der Todestanz eines Killers) ~ UK 1968
Directed By: Anthony Mann

Der sowjetische Doppelagent Krasnevin (Laurence Harvey) infiltriert als ein gewisser 'Eberlin' den britischen Geheimdienst und hat bereits einige Mitarbeiter aus dessen Reihen im Namen von Mütterchen Russland liquidiert. Krasnevin wünscht sich allerdings nichts sehnlicher, als endlich das schmutzige Spionagegeschäft quittieren und in die Heimat zurückkehren zu können. Da erhält er just von den Briten den Auftrag, in Berlin einen russischen Killer mit unbekannter Herkunft ausfindig zu machen und zu töten - einen gewissen Krasnevin - und damit sich selbst. Zusammen mit dem übereifrigen Gatiss (Tom Courtenay) begibt er sich in der Mauerstadt auf eine höchst prekäre Jagd.

Anthony Mann konnte seinen letzten Film nicht mehr fertigstellen; ein vor Ort in Berlin erlittener Herzinfarkt kostete ihn das Leben. Der Hauptdarsteller Laurence Harvey stellte die fehlenden Teile an seiner Statt fertig.
"A Dandy In Aspic" wagt den nicht immer ganz schlüssigen Brückenschlag zwischen der lebensunfreundlichen Spionage-Tristesse eines Le Carré und den fröhlichen Bond-Plagiaten des 'Swinging London'. Laurence Harveys Figur pendelt als eine Art bipolar gestörter Charakter zwischen depressiver Lebensmüdigkeit und viriler Agenteneleganz. Stets wie aus dem Ei gepellt auftretend wünscht er sich einerseits einen Schlussstrich, hat jedoch auch nichts dagegen, mit dem quirlig-naiven Bohème-Mädchen Caroline (Mia Farrow) in die Federn zu hüpfen. Die narrative Kunst des Films besteht in dem bewährten Suspensekniff, den Zuschauer auf das Wissensniveau des Protagonisten herabzulassen, so dass man das teils verwirrende Szenario als ebenso heillos wahrnimmt wie der (Anti-)Held der Geschichte. Über jeden Zweifel erhaben sind die erlesenen Formalia von "A Dandy In Aspic": die endzeitlich anmutenden, sepiafarbenen Bilder Londons und Berlins und Quincy Jones' atmosphärische Klänge. Derart gefällig kombiniert ergeben sie einen formidablen Rückblick auf jene paranoide Epoche.

8/10

Anthony Mann Derek Marlowe Kalter Krieg Spionage London Berlin DDR


Foto

A BREED APART (Philippe Mora/USA 1984)


"Does that thought bother you, sir?"

A Breed Apart (Die Brut des Adlers) ~ USA 1984
Directed By: Philippe Mora

Der Witwer und Vietnamveteran Jim Malden (Rutger Hauer) lebt zurückgezogen auf seiner Flussinsel 'Cherokee Island', auf der das letzte Pärchen einer bestimmten Art von Weißkopfadlern nistet. Jedem Fremden, der sich der Insel nähert, begegnet Malden mit grundsätzlichem Misstrauen und so zieht er sich bald die Feindschaft zweier einheimischen Hillbilly-Brüder (Brion James, John Dennis Johnston) zu, die Cherokee Island als persönliches Jagdrevier betrachten. Anders seine Beziehung zu der Kolonialwarenhändlern Stella (Kathleen Turner) und ihrem Sohn (Andy Fenwick), die gern Maldens neue Familie abgäben. Als der Bergsteiger Mike Walker (Powers Boothe) in die beschauliche Idylle einkehrt und sich mit Malden und Stella anfreundet, ahnt zunächst noch niemand, dass er im Auftrage des Millionärs Whittier (Donald Pleasence) die beiden Adlereier aus dem Nest stehlen soll...

Ein nicht ganz alltäglicher Film, aber das sind Philippe Moras Arbeiten ja eigentlich ohnehin selten. Der Held vereint auf den ersten Blick zahlreiche Klischeecharakteristika - ein ausgezeichneter Nahkämpfer und Vietnamveteran, der Frau und Kind und damit endgültig das Vertrauen in die zwischenmenschliche Kommunikation verloren hat, zugleich Tierliebhaber, dem ständig irgendwelche blutrünstigen Jagdidioten auf die Pelle rücken, dazu ein stiller Naturbursche, mit dem man besser keinen Streit anfängt. Die platinblonde Punkerfrisur hat Rutger Hauer geradewegs aus "Blade Runner" importiert, derweil Kathleen Turner um Einiges unglamouröser auftritt als bislang gewohnt. Eigentlich ein hervorragender Exploitationstoff, doch mit Ausnahme zweier Nacktszenen und einer recht unangenehmen Sterbesequenz hält sich Mora relativ keusch.
In welche Richtung sein Film geht - tatsächlich geht es um nichts Geringeres als das Auf-die-Probe-Stellen einer zaghaft und beiderseits unerwartet geknüpften Männerfreundschaft sowie ein etwas unbeholfen vorgetragenes Liebesgeständnis - ahnt man erst nach der Hälfte, bis dahin bleibt alles ähnlich verhalten und nebulös wie Rutger Hauers exzentrischer Protagonist.
"A Breed Apart" jedenfalls ist, soviel steht fest, ein Film, wie er nur vor dreißig Jahren hat entstehen können.
Heute wären die Primärreaktionen vermutlich Unverständnis und Ablehnung.

7/10

Philippe Mora North Carolina Südstaaten Veteran Freundschaft


Foto

FREDDY GOT FINGERED (Tom Green/USA 2001)


"You retard!"

Freddy Got Fingered ~ USA 2001
Directed By: Tom Green

Gord Brody (Tom Green) ist 28 und lebt zu Hause bei seinen Eltern in einem Vorort von Portland. Im Gegensatz zu seinem jüngeren Bruder, dem Bankangestellten Freddy (Eddie Kaye Thomas), ist Gord das, was man landläufig als "Nichtsnutz" bezeichnet: Seine hemmungslose Infantilität spiegelt sich im Ersinnen schwachsinniger Cartoonfiguren und anderer dämlicher Ideen wieder. Eine Reise nach Kalifornien, wo Ruhm und Erfolg lauern, ist dann auch schneller vorbei als es Gords Vater Jim (Rip Torn) lieb ist. Dieser verflucht die unablässige albernheit seines Sohnes. Ein Kleinkrieg ist die Folge, der ohne Rücksicht auf Verluste geführt wird.

Wenn der anarchische Humor der Postjahrtausendwende mit der gezielten Grenzüberschreitung komischer Tabus gleichzusetzen ist, dann gebührt dem schlacksigen Tom Green ohne Wenn und Aber die goldene Schärpe als Ober-Ober-Anarcho. "Freddy Got Fingered" suhlt sich selbstzweckhaft, lustvoll und laut in allerlei Widerwärtigkeiten von offenen Knochenbrüchen über Amateurgeburtshilfe bis hin zu einer Elefantenspermadusche. Gegen seine dreckigen Scherze, die Green mit der Assoziativität eines Dreijährigen darbringt, der satanisch feixend sein gerade aufwändig errichtetes, mehrstöckiges Haus aus Bauklötzen zertrümmert, kann kein Farrelly und kein Weitz mithalten - Green steckt sie alle in die Tasche und baut mit Recht antizipierend darauf, dass spätestens bei seiner unkonventionellen Baby-Reanimation jeder unwerte Zuschauer geräuschvoll würgend den Saal verlässt. Alle anderen werden belohnt mit der möglicherweise respektlosesten Vater-Sohn-Annäherung im populären Geschichtenerzählen seit dem unautorisierten alttestamentarischen Epilog um Kain und seinen Alten Adam. Frohes Kotzen auch.

6/10

Vater & Sohn Tom Green Slapstick Portland Hollywood


Foto

BODY HEAT (Lawrence Kasdan/USA 1981)


"When it gets this hot, people try to kill each other."

Body Heat (Heißblütig - Kaltblütig) ~ USA 1981
Directed By: Lawrence Kasdan

Ein ungewöhnlich heißer Sommer in Florida: Der kleine, eher mittelmäßig betuchte Anwalt Ned Racine (William Hurt) lernt die Unternehmergattin Matty Walker (Kathleen Turner) kennen und beginnt mit ihr eine stürmische Affäre. Bald zeichnet sich ab, dass Mattys Ehemann Edmund (Richard Crenna) dem Paar mehr und mehr im Weg steht, zumal seine umfangreiche Hinterlassenschaft Ned und Matty einen großzügigen Lebensstil gestatten würde. So fasst man den Plan, Edmund um die Ecke zu bringen und führt diesen auch planungsgemäß durch. Doch Matty treibt ein doppeltes Spiel; mitnichten hat sie es auf eine gemeinsame Zukunft mit Ned abgesehen, sondern will Edmunds Geld viel lieber allein ausgeben. Somit ist ihr nun auch Ned im Wege...

Mit seinem Regiedebüt legte Lawrence Kasdan eine schöne, formal beeinduckend abgeklärte und reife Reminiszenz an die films noirs der vierziger Jahre vor. Wie Bob Rafelsons etwa zeitgleich entstandene Neuverfilmung von "The Postman Always Rings Twice" erkundet auch "Body Heat" den amoralischen Kreislauf aus lüsterner Liaison und Gattenmord, der die Illusion eines störfreien Lebens beinhaltet. Die Figur der Matty Walker findet sich dabei jedoch noch wesentlich deutlicher an der misogynen Typologie klassischer femmes fatales der Schwarzen Serie orientiert als Jessica Langes Interpretation der Cora. Wie einst Brigid O'Shaughnessy, Phyllis Dietrichson oder die Vera aus Ulmers "Detour" handelt es sich bei Matty um eine Dame, die sich ihrer erotischen Ausstrahlung auf sexuell ausgehungerte Männer vollends bewusst ist und diese zu undurchsichtigen, in jedem Falle rücksichtslosen Zwecken einsetzt. Kasdan konnte diese Art von Sex als Waffe 1981 natürlich wesentlich expliziter zum Ausdruck bringen, vermeidet jedoch den drohenden Abstieg in die Vulgarität. Damit ist "Body Heat" filmhistorisch betrachtet ein immens wichtiger, sogar unerlässlicher Brückenschlag für die Gattung 'noir' von der Vergangenheit in die filmische Moderne, der das Genre entsprechend viel verdankt.

8/10

Lawrence Kasdan Florida femme fatale film noir neo noir


Foto

WIR KÖNNEN AUCH ANDERS... (Detlev Buck/D 1993)


"Tut das nötig?"

Wir können auch anders... ~ D 1993
Directed By: Detlev Buck

Die beiden Brüder Rudi, genannt Kipp (Joachim Król) und Moritz, genannt Most (Horst Krause) erben ein Grundstück irgendwo in einem der äußersten Provinzausläufer Mecklenburg-Vorpommerns. Das Problem: Kipp ist imbezil und Patient einer geschlossenen Anstalt für geistig Behinderte, sein Bruder Most, der als Landknecht arbeitet, ist nur unwesentlich intelligenter. Dennoch begeben sich die beiden mit Mosts gedrosseltem alten Hanomag auf große Fahrt in den wilden Osten. Dort treffen sie außer Rockern, Seelenverkäufern, schmierige Polizisten, einem prolligen Viehtransporteur, Schweinen, einem chinesischen Kellner und zwei arroganten Hausfrauen auch den russischen, der deutschen Sprache nicht mächtigen Deserteur Viktor (Konstantin Kotljarov), der die beiden zunächst entführt um dann mit den Brüdern, nachdem er bemerkt, was mit ihnen los ist, ein schlagkräftiges Trio zu bilden. Als Outlaws bahnt das mit der Kellnerin Nadine (Sophie Rois) zum Quartett erweiterte Trio sich schließlich mit wohlfeilem Einsatz der Kalashnikov den Weg in die Freiheit, die in ihrem Fall jenseits der Ostsee liegt.

Mit der nonchalanten Verve eines Emir Kusturica lieferte Buck, der ja mittlerweile wohl auch zu den Filmemachern gehört, die für hochbudgetierte Erfolgsliteraturadaptionen herangezogen werden, bereits 1993 sein bis heute unerreichtes Meisterwerk ab, eine furztrockene, respektlose und zugleich doch nordisch-warmherzige Satire über das demoskopische West-Ost-Gefälle der Post-Wende. Als holsteinischer Provinzler verfügt Buck jedes moralische Recht sich über die Spleens und Eigenarten seiner "Stammesgenossen" lustig zu machen und das tut er hier ausgiebig. Selbst die Tatsache, dass er zwei geistig eingeschränkte Analphabeten zu den Helden seines Verliererepos macht und zahlreiche Gags auf ihre Kosten gehen lässt, lässt man Buck vorbehaltlos durchgehen, schimmert doch durch das mitunter hochnotkomisch arrangiertee Situationsgeflecht der völlig gehandicapten Kleinclique stets die unabdingbare Liebe zu ihnen als Hauptfiguren. Man genießt zusammen mit Buck, wie sie sich die Drei mit der bewaffneten Hilfe des ebenso braven wie unbarmherzigen Victor und seiner "Pistole" mit der er "aber gut umgehen" kann (Kipp) gegen jede widerfahrene Ungerechtigkeit und Boshaftigkeit zur Wehr setzen und ihre Konten ausgleichen.
Ein Prachtfilm und eine der schönsten deutschen Komödien ever.

10/10

Detlev Buck Provinz Brüder Road Movie Groteske


Foto

PLACES IN THE HEART (Robert Benton/USA 1984)


"How do you actually look like?"

Places In The Heart (Ein Platz im Herzen) ~ USA 1984
Directed By: Robert Benton

Texas während der Depressionsjahre: Unerwartet wird Sheriff Spalding (Ray Baker) bei einem Routineeinsatz von einem betrunkenen jungen Farbigen (De'voreaux White) erschossen. Zwar wird der Täter umgehend und öffentlichkeitswirksam gelyncht, Spaldings Witwe Edna (Sall Field) jedoch steht nichtsdestotrotz urplötzlich mit ihren beiden Kindern (Yankton Hatten, Gennie James) allein und hochverschuldet da. Da gibt der farbige Herumtreiber Moze (Danny Glover) Edna den Rat, ihr Ackerland für den Baumwollanbau zu nutzen, um fürs Erste wenigstens die nächste Hypothekenrate an die Bank zahlen zu können. Ednas Ehrgeiz ist geweckt und mit Mozes kompetenter Hilfe sowie der ihres neuen Unternehmers, des kriegsversehrten Mr. Will (John Malkovich), übersteht sie nahezu alle Widrigkeiten, die sich ihr in den Weg stellen.

Einen sehr schönen Heimatfilm hat Robert Benton, der Spezialist für zumindest weitgehend sentimentalitätsbefreites Gefühlskino, mit "Places In The Heart" geschaffen. Er gehört zu jenen antipodischen Werken, die gegen das unterkühlte Genre- und Kommerzkino dieser Jahre anzustreiten versuchten und das damals primär von weiblichen Zuschauerschichten frequentiert wurden, derweil sich der Freund oder Gatte auf der Nachbarleinwand vielleicht lieber den neuesten Schwarzenegger oder Indiana-Jones-Verschnitt anschaute. Solche Einteilungen sind natürlich blödsinnig, entginge dem offenherzigen Filmfreund dabei doch manch sympathisches Werk vom anderen Ende des Betrachtungsspektrums. "Places In The Heart" steht in der Tradition klassischer Depressionsdramen wie "Grapes Of Wrath" oder "Bound For Glory", in denen tapfere Amerikaner Mittellosigkeit und Lebenskrise mit dem Mut der Gerechten bekämpfen und schließlich überwinden. Bei Benton, der sich als auteur des Films den Traum einer teilbiographischen Filmadaption seiner Kinderjahre erfüllte, sind die Gefahren allerdings mannigfaltiger Natur: Ehebruch, Rassismus und südstaatliche Xenophobie, die unbarmherzigen Banken und schließlich selbst das unkomfortable Klima bereiten Edna Spalding und ihrer ungewöhnlichen kleinen Zweckgemeinschaft immense Probleme, die die unbeugsame Frau jedoch, wenngleich mit manchen Blessuren an Leib und Seele, übersteht. Die hoffnungsvolle, die Kehle zuschnürende Schlusseinstellung, in der ein Klingelbeutel durch die Kirchenbankreihen wandert, zeigt die Utopie, wie sein sollte, von der Wet jedoch nicht zugelassen wird: Alle, Überlebende, Verstorbene und Vertriebene, sitzen beieinander in stiller Andacht.

8/10

Robert Benton period piece Great Depression Texas Familie Ensemblefilm Rassismus





Filmtagebuch von...

Funxton

    Avanti, Popolo

  • Supermoderator
  • PIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIP
  • 8.268 Beiträge

Neuste Kommentare