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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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BUNNY LAKE IS MISSING (Otto Preminger/UK 1965)


"I've got a near fatality here."

Bunny Lake Is Missing (Bunny Lake ist verschwunden) ~ UK 1965
Directed By: Otto Preminger

Scheinbar spurlos verschwindet die vierjährige Felicia 'Bunny' Lake (Suky Appleby) an ihrem ersten Tag in einer Londoner Vorschule, kurz nachdem ihre alleinerziehende junge Mutter Ann (Carol Lynley) mit ihr aus den Staaten angekommen ist, um in England bei ihrem Bruder Steven (Keir Dullea), einem erfolgreichen Journalisten, zu leben. Der ermittelnde Superintendent Newhouse (Laurence Olivier) hegt bald seine Zweifel an der offensichtlichen Entführungsgeschichte: Außer Bunny selbst sind nämlich auch sämtliche Dinge und Personalia, die überhaupt beweisen, dass das Kind jemals existiert hat. Als Steven dann einigen Personen gegenüber erwähnt, dass Ann einst als Kind eine imaginäre Spielkameradin mit dem Namen Bunny zu halten pflegte, wird Newhouse noch misstrauischer. Existiert dieses mysteriöse Kind überhaupt in der Realität - oder ist gar ein bloßes Hirngespinst Anns...?

Wer ist hier eigentlich wahnsinnig? Preminger jedenfalls ganz bestimmt nicht; der bewegte sich, zumindest in dramaturgischer Hinsicht, geradezu traumwandlerisch in Hitchcocks Spuren und wählte zur formalen Ausgestaltung einmal mehr sein von ihm zu dieser Zeit großflächig präferiertes, schwarzweißes Scope-Format, dass überaus klare, messerscharfe Schatten und Umrisse ermöglichte. Zusammen mit Ann Lake kommen wir als Fremde nach London, eine recht spleenige Stadt für Außenstehende, mit wahlweise altjungerflichen oder vollends verknöcherten Erzieherinnerinnen in verwunschenen Turmzimmern, versoffenen, aufdringlichen Vermietern, überheblichen Polizisten und kryptischen Puppenmachern (der ewige Petrus Finlay Currie in einem denkwürdigen Miniauftritt).
Im urplötzlich allgegenwärtigen Fernsehen dudeln allenthalben die großartigen 'Zombies' und leiten ganz unmerklich die swingende Phase der folgenden paar Metropolenjahre ein. Dann verschwindet das Töchterchen - wer soll da noch Apetit haben? Aber Preminger verunsichert uns, er macht uns weis, dass Ann Lake möglicherweise unter einer beträchtlichen psychischen Schädigung mysteriösen Ursprungs leidet, nur um am Ende nochmal alles umzuwerfen und ein verstörendes, albtraumhaftes Finale hinterherzusetzen, dass sich auch recht gut an zeitgenössische Horror-Schemata adaptiert.

8/10

Otto Preminger Kidnapping Madness Geschwister London


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BUBBA HO-TEP (Don Coscarelli/USA 2002)


"What do I care? I got a growth on my pecker."

Bubba Ho-Tep ~ USA 2002
Directed By: Don Coscarelli

Elvis (Bruce Campbell) und John F. Kennedy (Ossie Davis) sind mitnichten tot, sondern hocken, unfreiwillig in cognito, in einem kleinen Seniorenheim in Osttexas. Niemand will ihnen abnehmen, welch legendäre Persönlichkeit hinter ihrem jeweiligen, kaum wiederzuerkennenden Antlitz steckt und so dämmern und welken sie ihrer Tage dahin. Das ändert sich, als eine altägyptische Mumie ihr Unwesen in der Gegend zu treiben beginnt: Der Untote betätigt sich als Seelenvampir und glaubt, er habe mit den alten Leuten leichtes Spiel. Doch Elvis und JFK laufen im Kampf gegen das stinkende Böse ein letztes Mal zu alter Höchstform auf.

Der geriatrische Genrefilm ist keine Erfindung Coscarellis; bereits in den Achtzigern wagten eine Episode aus "Twilight Zone: The Movie" sowie die SciFi-Komödien "Cocoon" und "Batteries Not Included" den jeweils sehr sanft gestalteten Versuch, greise Mitbürger zu Helden zu deklarieren und dem Mainstream-Publikum somit neuen Respekt vor den Alten einzubläuen. Jessica Tandy wurde in diesem Zuge zu einer bekannteren Größe im Filmgeschäft denn je zuvor und auch andere Berufsgenossen zehrten und zehren bis heute von der popkulturellen Emanzipation des Lebensherbstes.
"Bubba Ho-Tep" war dann etwas respektloser. Der sich förmlich selbst überlebende Bruce Campbell, mittlerweile eine größere Kunstfigur als alle seine Filmfiguren zusammen, musste sich noch ein wenig nachschminken lassen, derweil der große Ossie Davis bereits seit längerem ein Original-Senior war. Die Kombination macht's und so präsentiert Coscarellis Film sich dann auch eher als liebenswert denn brachial oder gar unappetitlich, wenngleich mancher Dialog der beiden Helden sich dann doch eher um die primärsten Grundbedürfnisse kreist respektive die hier und da unappetitlichen Wehwehchen des finalen Quartals. Die Idee mit der Mumie wirkt da beinahe wie ein weniger notwendiges phantastisches Einsprengsel, um die verrückte Prämisse noch etwas verrückter zu gestalten und Coscarellis Ruf zu manifestieren. Immerhin, ein narratives Ziel hat er seiner bunten Heldengeschichte damit verliehen und ein durchaus charmantes noch dazu.

8/10

Don Coscarelli Independent Groteske Mumie Senioren Texas


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JOYSTICKS (Greydon Clark/USA 1983)


"Very well, Mr. Vidiot, have a seat." - "I don't like seats."

Joysticks (Die Vidioten) ~ USA 1983
Directed By: Greydon Clark

Weil seine Tochter Patsy (Corinne Bohrer) vorzugsweise in der hippen Videospielhalle von Jefferson Bailey (Scott McGinnis) abhängt, in der allerlei Vollidioten, Hänger und Sittenverfall anzutreffen sind, will der frustrierte Joseph Rutter (Joe Don Baker) dem Laden unter allen Umständen und mit allen mitteln den Garaus machen. Er rechnet jedoch nicht mit der Standhaftigkeit von Jefferson und seinen beiden Kumpels Eugene (Leif Green) und Jonathan (Jim Greenleaf).

Nach meinem medialen Beitrag "Blade Runner" kredenzte mir mein lieber Freund Oliver im Zuge meiner gestrigen, wie gewohnt bierseligen Visite bei ihm diesen komödiantischen Rohdiamanten aus den frühen Achtzigern mit den Worten, das Ding sei "genau meine Kragenweite". Er kennt mich eben, der Oli, und weiß daher, dass ich mich besonders gern über Klamauk aus Schublade Zero amüsiere. Von selbigem beinhaltet "Joysticks" allerhand: Eine unglaubliche, sinnentleerte Storyprämisse, kombiniert mit einer sagenhaft inkompetenten Regie liefern ein grandios asoziales Humor-Potpourri, das garantiert jedes noch so tief heruntergeschraubte Niveau unterschreitet. Die Gags sind so dämlich, dass sie schon wieder toll sind, ihre dadaistisch gefärbte Verweigerungshaltung gegenüber etablierten Gattungsstrukturen tapfer aufrecht erhaltend. Findet man es lustig, dass fette Typen in permanentem Wechsel fressen und furzen, wenn nötig auch um Hilfe, undeflorierte, bebrillte Nerds unter allgemeinem Gelächter ihre Bermudaunterhosen vorzeigen, Punks sich zu Volltrotteln degradieren, diverse junge Damen auch ohne dramaturgisches Alibi ihre Titten in die Kamera halten und Joe Don Baker selbst seinen miesesten Film, welcher auch immer dies sein mag, nochmal locker unterbietet, dann muss man "Joysticks" gucken. Man wird möglicherweise seinen siebenten Himmel vorfinden.

6/10

Greydon Clark Arcade Videospiele Slapstick Subkultur


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THE OSTERMAN WEEKEND (Sam Peckinpah/USA 1983)


"I think you tend to be a little strident."

The Osterman Weekend ~ USA 1983
Directed By: Sam Peckinpah

Wie jedes Jahr im Sommer findet auch heuer wieder das "Osterman-Wochenende" statt, ein Treffen vier alter Freunde, in dessen Zuge sich an die gute alte Zeit erinnert und Champagner in rauen Mengen konsumiert wird. Mittlerweile stehen sie alle finanziell betrachtet auf der Sonnenseite John Tanner (Rutger Hauer), Bernie Osterman (Crtaig T. Nelson), Richard Tremayne (Dennis Hopper) und Joseph Cardone) bekleiden alle respektierte Positionen in der Gesellschaft und können, sofern vorhanden, ihren Frauen und Familien ein wahres Lotterleben ermöglichen. Da tritt der CIA-Agent Lawrence Fassett (John Hurt) an Tanner heran: Seine drei Freunde sollen angeblich mit der Organisation "Omega" paktieren, einem amerikanisch-sowjetischen Spionagering. Zunächst skeptisch, glaubt der erzliberale Tanner bald Fassetts Anschuldigungen. Er lässt sein gesamtes Haus verkabeln, mit Kameras ausstatten und von Fassett überwachen. Das angebliche Ziel der Aktion: Mindestens einer der drei vermeintlichen Doppelagenten soll zur Rückkehr bewegt werden. Doch Fassett hat ganz anderes im Sinn als eine ordinäre Spionageaktion...

Vergeltungsplan - Verfolgungswahn. Was die wenigsten wissen: mit 58 Jahren hat Sam Peckinpah, vollends dem Kokain verfallen, schwer inkontinent und stets eine Handfeuerwaffe griffbereit, noch ein letztes großes Meisterwerk geschaffen: "The Osterman Weekend". Die Vorlage des Trivial-Politthriller-Autoren Robert Ludlum verwandelt sich unter Peckinpahs Ägide und der seines Scriptautors Alan Sharp in ein exzellentes Paranoia-Epos um Manipulation und mediale Gaukelei, das darüberhinaus ganz wunderbar als böser Schattenriss des zur gleichen Zeit erschienen "The Big Chill" von Lawrence Kasdan funktioniert. Alte Freundschaften im Zeichen politischen Intellektualismus verblassen angesichts an ihre Stelle tretender konservativer Wertmaßstäbe wie Karriere und Familie sowie einer zeitverpflichteten hohlen, neuen Yuppie-Lehre. In "The Big Chil" spricht man sich noch aus, adaptiert sich mittels Selbsttherapie an die veränderte Zeit; bei Peckinpah endet das neue Misstrauen in Konfrontation und Tod.
Fassetts schwarzer Racheakt an einem System, das ihm mit einem Wimpernzucken alles genommen hat, fügt sich am Ende zu einer brillant eingefädelten Conclusio; einem Puzzle des Todes, einem Manifest wechselseitiger Vergeltung. Danach allerdings wird die Welt nie mehr dieselbe sein, schon gar nicht für den einst so tapfer rosarot sehenden John Tanner.

9/10

Sam Peckinpah Robert Ludlum Verschwörung Rache CIA Kalter Krieg


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GORKY PARK (Michael Apted/USA 1983)


"Girls like screwing foreigners, don't they? It's almost as good as travel."

Gorky Park ~ USA 1983
Directed By: Michael Apted

Im winterlichen Moskauer Gorky Park werden drei Leichen gefunden, die von ihrem Mörder unidentifizierbar gemacht wurden, indem er ihnen die Gesichtshaut abgetrennt hat. Für den Polizeioffizier Arkady Renko (William Hurt) eine harte Nuss: Wer steckt hinter dem eiskalten Verbrechen und was war sein Motiv. Als er tiefer bohrt, stößt Renko auf ein Wespennest aus Korruption und Verrat, auf einen US-Sheriff (Brian Dennehy), der in Moskau auf eigene Faust ermittelt sowie auf den zwielichtigen amerikanischen Pelzhändler Jack Osborne (Lee Marvin).

Tadelloser Thriller, der einem allein aufgrund James Horners unverkennbarer, percussionlastiger Musik sogleich das vertraute Gefühl des 'Nachhausekommens' vermittelt. Vornehmlich in Finnland als Moskau-Substitut gedreht, ist Apted mit "Gorky Park" ein schnörkelloser Genrebeitrag und darüberhinaus sein wahrscheinlich bester Film geglückt, dessen kleiner philosophischer Gehalt, eine Meditation über Sinn und Unsinn von Systemtreue, in den letzten Einstellungen nochmal einen bravourösen Aufschwung nimmt. Doch auch in seiner dichten Schilderung der interfiguralen Entwicklungen, die, mit Aiusnahme der Heldenfigur natürlich, ganz klassisch von der Undurchsichtigkeit in die manchmal unangenehme Luzidität führen, ist der Film beispielhaft inszeniert. Und der große Lee Marvin adelt ihn gleich nochmal mit seinen spärlichen, aber umso heller scheinenden Auftritten.

8/10

Michael Apted UDSSR Russland Moskau Verschwörung Martin Cruz Smith


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LE GRAND RESTAURANT (Jacques Besnard/F 1966)


Zitat entfällt.

Le Grand Restaurant (Scharfe Kurven für Madame) ~ F 1966
Directed By: Jacques Besnard

Im Nobelrestaurant des Monsieur Septime (Louis de Funès) verkehrt vornehmlich die vornehme Gesellschaft; auch Staatsmänner gehen hier ein und aus. Als jedoch eines Abends ein lateinamerikanischer Staatschef (Folco Lulli) mitten aus Septimes Établissment entführt wird, gerät Monsieur in die Bredouille. Immerhin ist es sein Grund und Boden, der für den vermeintlich verbrecherischen Plan Pate zu stehen hatte. Vom Polizeichef (Bernard Blier) zunächst unwissentlich als vorgeschobener Geldbote missbraucht, schlittert Septime von einer unangenehmen Affäre in die nächste.

Eine meiner Lieblingskomödien mit dem großen kleinen Ekel-Choleriker, der hier eine seiner großen Paraderollen ausfüllt als pathologisch perfektionistischer Restaurantchef. Ganz klassisches Satiresubjekt ist Septime das Musterbeispiel des zu piesackenden Opportunisten; einer, der nach oben buckelt und nach unten tritt - seine angestellten Kellner leiden unter seinen groteske Formen annehmenden Mobbereien, derweil der ihm in Statur und Stimmgewalt überlegene Küchenchef (Raoul Delfosse) der einzige ist, der sich nichts von ihm sagen lässt - unter Septimes großer persönlicher Schande allerdings. Besonders die erste halbe Stunde ist voll von goldenen de-Funès-Momenten, seien es seine gloriose Mimik mitsamt ewigem Lippengezische, die Hitler-Parodie ("Musskattnuss, Hörrr Müllerrr!") oder das verrückte Saucieren-Ballett. Wie hier ein kleiner sozialer Mikrokosmos entworfen wird um Septimes Untergebenenschaft, die aus Trantüten, (erfolgreichen) Schleimern und Neidern besteht, das reflektiert großen französischen Humor. Allerdings sind de Funès Mitdarsteller wie etwa der scheel grinsende Paul Prébroist als heimlich süppelnder Sommelier von wahren Gnaden. Oft wurde und wird moniert, dass "Le Grand Restaurant" sich mit später werdender Laufzeit in den Wirren der Kriminalkomödie verliert - mir ist die vorliegende Form in jedem Fall deutlich lieber als ein anderweitig zu befürchtendes, episodisches Verflachen der Restaurantsequenzen. So kenne ich den Film schon ewig und nur so will ich ihn haben.

8/10

Jacques Besnard Louis de Funès Paris Restaurant Gastronomie


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NADINE (Robert Benton/USA 1987)


"It's better to be lucky than smart."

Nadine ~ USA 1987
Directed By: Robert Benton

Austin, Texas 1954: Als die Friseurin Nadine Hightower (Kim Basinger) sich ihre von dem schmierigen Raymond Escobar (Jerry Stiller) angefertigten Aktfotos zurückholen möchte, wird sie zufällig Zeugin, wie dieser ermordet wird. Als ihr dann statt der erhofften Bilder eine Blaupausen für den Bau eines neuen Highways in die Hände fallen, wittert ihr vom Pech verfolgter Noch-Ehemann Vernon (Jeff Bridges) die große Chance auf einen schnellen Dollar. Gar nicht damit einverstanden ist jedoch der Grundstücksspekulant Buford Pope (Rip Torn), der um den wahren Wert der Pläne weiß und dafür auch ohne lang zu fackeln über Leichen geht.

Trotz der großartigen Besetzung ein als eher beiläufig zu wertendes Werk aus Bentons Œuvre, eine kleine Kriminal- und Romatikkomödie mit Mut zur Kürze, mit der der Regisseur ganz offensichtlich sich selbst den Wunsch einer locker-flockigen, altmodischen Gaunerstory in heimatlichen Gefilden erfüllen konnte. Wie man weiß, liebt Benton seinen Herkunftsstaat ebensosehr wie er ein Faible dafür hat, seine Stoffe in jedwede historische Gewänder zu kleiden - dabei gibt es eigentlich gar keinen Grund dafür, "Nadine" in den Fünfzigern spielen zu lassen. Möglicherweise ging es auch ein wenig darum, sich zumindest ansatzweise vom zeitgenössischen Einerlei abzugrenzen. Kim Basinger beweist Humor und nimmt bereitwillig die Tatsache auf die Schippe, dass sie einst selbst eine Fotostrecke im 'Playboy' hatte, aber auch der Rest gibt, wie erwähnt, eine erfrischende Vorstellung ab.

7/10

Robert Benton period piece Ehe


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CLOUD ATLAS (Tom Tykwer, Andy Wachowski, Lana Wachowski/D, USA, HK, SG 2012)


"Don't leave me here!"

Cloud Atlas ~ D/USA/HK/SG 2012
Directed By: Andy Wachowski/Lana Wachowski/Tom Tykwer

Auf sechs Zeitebenen kämpfen unterschiedliche Inkarnationen ein und derselben Seele gegen die Repressionen, Zwänge und Freiheitsbeschneidungen ihrer jeweiligen Ära: 1849 kämpft der Anwalt Adam Ewing (Jim Sturgess) auf einem Schiff im Pazifik sowohl um sein eigenes Leben als auch um das des entflohenen neuseeländischen Sklaven (David Gyasi); 1936 wird der bisexuelle Nachwuchs-Komponist Robert Frobisher (Ben Whishaw) aufgrund seiner sexuellen Präferenzen von einem alternden Berufsgenossen (Jim Broadbent) übervorteilt und erpresst; 1973 gerät die Journalistin Luisa Rey (Halle Berry) in höchste Lebensgefahr, weil sie einem Atomkraft-Skandal auf die Spur kommt; 2012 wird der verschuldete Verleger Cavendish (Jim Broadbent) von seinem rachsüchtigen Bruder (Hugh Grant) in ein geschlossenes Senioenheim abgeschoben, aus dem es zu fliehen gilt; 2144 schließt sich die 'Duplikantin' Sonmi-451 (Doona Bae) einer revolutionären Bewegung an; 106 Jahre nach der Apokalypse bekommt der unbedarfte Insulaner Zachry (Tom Hanks) es mit der brutalen Unterdrückung durch einen feindlichen Stamm, der weiter fortschreitenden Verseuchung der Erde sowie seinem eigenen bösen Gewissen zu tun.

Zu Lebzeiten wäre die Adaption eines Bestsellers wie Mitchells diesem Film zugrunde liegenden Romans ein unbedingter Fall für Bernd Eichinger gewesen; heute springt statt der Constantin dann eben X-Filme in die Bresche. Tom Tykwer, der ja mit "Das Parfüm" bereits hinreichende Erfolgsliteraturverfilmungserfahrung gesammelt hat, tat sich dafür mit den Wachowski-Geschwistern zusammen und teilte die Inszenierung wohlfeil zwischen ihnen und sich selbst auf. Dabei ist unschwer zu erkennen, wer für welche Segmente verantwortlich ist; die atmosphärisch wie kinetisch betrachtet sanfteren Episoden gehen selbstverfreilich auf Tykwers Konto, während die actionreiche(re)n (Zukunfts-)Parts, in denen es zu zum Teil spektakulären visuellen Aufwendungen und athletischen Shoot-Outs kommt, natürlich von den Wachowskis dirigiert wurden.
Ich kenne das Buch nicht und habe nach dem Film auch nicht das Gefühl, seine Lektüre unbedingt nachholen zu müssen, aber die metaphysischen Diskurse zumindest der Adaption gleiten bisweilen offenherzig ins Vulgärpsychologische ab; die Wanderungen edler, wankelmütiger und niederträchtiger Seelen in immer neuerlichen Reinkarnationen, wobei der Astralkörper des Helden respektive der Heldin immer wieder in die Haut eines anderen Körpers wandert, der zu anderen Zeiten und unter anderen Bedingungen freilich weniger heroisch auftritt, derweil "das ultimative Böse", der ewige Satan immer wieder und immer nur von Hugo Weaving verkörpert wird. Was hat der Mann bloß angestellt, dass er stets so gemein daherkommen muss...? Das alles gibt sich wesentlich wichtiger und bewegter als es letzten Endes ist. Was bleibt, ist ein trotz anderweitiger Behauptung nicht sonderlich ausgefuchtes Genrestück, das sich zumindest über seine beträchtliche Erzähldistanz senkrecht halten kann. "Cloud Atlas" unterhält auf hohem formalen Niveau und erweist sich als in audiovisueller Hinsicht so ziemlich makellos, dennoch: 'thinking man's cinema', also das, was man hier doch offenkundig so gern kredenzt hätte, stelle ich mir trotzdem anders vor, meine Damen und Herren T. und W..

7/10

Andy Wachowski Lana (Larry) Wachowski Tom Tykwer period piece Ensemblefilm Zukunft Apokalypse Reinkarnation Sklaverei Atomkraft David Mitchell London San Francisco Kolonialismus Dystopie


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THE BLOOD OF HEROES (David Webb Peoples/AU, USA 1989)


"This is stupid. We should be fucking and drinking by now."

The Blood Of Heroes (Die Jugger - Kampf der Besten) ~ AU/USA 1989
Directed By: David Webb Peoples

In einer postapokalyptischen Zukunft hat sich die Menschheit zivilisatorisch auf mediävistisches Niveau zurückgebildet: Kleine Ansiedlungen, in denen Handel und Schaukämpfe stattfinden, liegen wie Oasen in der Wüstenei; die größeren Städte werden feudalistisch regiert und liegen kilometerweit und strahlengeschützt unter der Erdoberfläche. Inmitten dieser regressiven Welt ziehen Sallow (Rutger Hauer) und seine fünfköpfige Truppe als 'Jugger' umher, die gegen Naturalia einen Gladiatorensport betreiben. Bei dem Spiel geht es darum, dass innerhalb einer vorgegebenen Zeitspanne ein Team einen Hundeschädel auf eine Lanze aufspießt, während das gegnerische versucht, es daran zu hindern. Mit Kidda (Joan Chen) bekommen die Jugger Zuwachs in Form einer ehrgeizigen, neuen Läuferin, die Sallow dazu überredet, in der 'Roten Stadt' seine frühere Mannschaft, die 'Liga', herauszufordern, aus der er einst unehrenhaft entlassen wurde.

David Webb Peoples, Scriptautor von "Blade Runner" und "Ladyhawke", inszenierte in Personalunion diese kleine Independent-Produktion als seinen einzigen eigenen Spielfilm. Rutger Hauer, mit dem Peoples ergo bereits gut bekannt war, übernahm die ihm praktisch auf den Leib geschriebene Rolle des Sallow, eines opportunistischen Lebemannes, der aus seiner kärglichen Situation das Beste zu machen versucht und für Alkohol und Sex seine Knochen riskiert. Mit der hübschen jungen Kidda kommt endlich wieder ein Mensch in sein Leben, der sich Wünsche und Träume bewahrt hat. Sallows sportliches Engagement in der Roten Stadt findet daher auch vornehmlich statt, um Kidda, die von Seide und schöner Kleidung träumt, einen 'Aufstieg' in die bessere Gesellschaft zu ermöglichen; hier nämlich werden die Gladiatoren bewundert und von der degenerierten Adelskaste hofiert. Dass die Restbevölkerung der subterranen Stadt mit den zerlumpten Außenseitern, die ihre Herausforderung gegen die Liga meistern, ein neues Heldenbild kredenzt bekommen, ist da nurmehr positiver Nebeneffekt für Sallow, der nach vollendetem Sieg wieder sein Heil in der Freiheit und am Tageslicht sucht.
David Webb Peoples scheut sich nicht vor der Dunkelheit. Nach den ersten, sonnenlichtdurchfluteten, fast grellen Bildern von der Wüstenoberfläche, spielt sich das zweite Drittel vornehmlich abends und nahts ab, während den dritten Handlungsort dann die kaum beleuchtete unterirdische Stadt markiert. Das mag auf unbedarfte Zuschauer etwas befremdlich wirken, verleiht dem Film aber ganz bewusst seine notwendige Atmosphäre des permanenten Zweifelns.

7/10

David Webb Peoples Zukunft Apokalypse Dystopie


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DREDD (Pete Travis/UK, USA, IN, SA 2012)


"Judgement time."

Dredd ~ UK/USA/IN/SA 2012
Directed By: Pete Travis

Dredd (Karl Urban), der härteste und gefürchteste 'Judge' in Mega-City One, muss eine Eintages-Bewertung über die Rekrutin Anderson (Olivia Thirlby) vornehmen. Anderson ist eine hellseherisch begabte Mutantin und daher trotz ihrer schlechten Abschlussnoten eine wichtige Einsatzkraft für das Zukunftsgesetz. Zusammen gehen die beiden einem Dreifachmord im Slum 'Peach Trees' nach. Dort haust im obersten Level eines gigantischen Wohnkomplexes die Gangchefin 'Ma-Ma' (Lena Headey), die von hier aus ein verbrecherisches Matriarchat betreibt, das unter anderem die Verbreitung der Droge 'Slo-Mo' beinhaltet. Nachdem Dredd und Anderson das Gebäude betreten haben, lässt Ma-Ma den gesamten Wolkenkratzer hermetisch abriegeln und stiftet die Einwohner an, Jagd auf die beiden Judges zu machen. Doch niemand rechnet mit der Zähigkeit der zwei Supercops.

Nach Danny Cannons Erstadaption von vor 18 Jahren, die viel Schelte einzustecken hatte, erneuern Pete Travis und Danny Boyles Hausautor Alex Garland die sarkastische Dystopie mit Unterstützung der jüngeren Errungenschaften des Genres, die vor allem einen wesentlich höheren Gewaltpegel beinhalten. Die Stimmen, die noch anno 95 über die angeblich faschistoiden Tendenzen von Cannons Verfilmung ereiferten, dürften angesichts der radikalen Methoden des 12er-"Dredd" vor Erbleichung verstummen. Ganz wie in John Wagners herrlich apokalyptischen Comicvisionen kann Judge Dredd seine multipel einsetzbare Kanone nun zur Geltung kommen lassen und seine Gegner nicht nur reihenweise, sondern auch noch in schönster Varianz hinrichten. Das macht gigantisch Laune, weil es sich bei aller Extremität seine notwendige, jedoch nie aufdringliche Ironie bewahrt (ein comic relief wie Rob Schneider schenkt man sich heuer unter allgemeinem Aufatmen) und die Intelligenz des Zuschauers nicht beleidigt. Die Erfindung der Designerdroge 'Slo-Mo', die "der Wahrnehmung eine Verlangsamung der Realzeit auf ein Prozent vorgaukelt", gibt derweil Anlass zu allerlei hübschen visuellen Spielereien, die mitunter sogar unappetitlichstes Sterben zu einem ästhetischen Genuss verklären.
Cooler Film jedenfalls.

8/10

Judge Dredd Pete Travis Alex Garland Dystopie Comic Zukunft Reboot 3-D





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