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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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CASA DE MI PADRE (Matt Piedmont/USA 2012)


"¡Yo soy Armando Alvarez!"

Casa De Mi Padre ~ USA 2012
Directed By: Matt Piedmont

Den mexikanischen Ranchersohn Armando Alvarez (Will Ferrell) trifft es hart: Obschon er fest mit seinem Land verwurzelt ist und es liebt wie kein zweiter, bevorzugt sein Vater Miguel (Pedro Armendáriz Jr.) stets Armandos Bruder Raul (Diego Luna), der tatsächlich nichts weiter als ein formvollendeter Halunke und Drogendealer ist. Nicht ganz zu Unrecht: Einst hat Armando als Kind den Tod der Mutter (Sandra Echeverría) verschuldet und gilt auch sonst als etwas unterbelichtet. Als Raul protzend mit Geld, Gut und seiner neuen Verlobten Sonia (Genesis Rodriguez) heimkommt, um auf der heimischen Hacienda zu heiraten, ist Miguel zunächst hocherfreut. Doch der hiesige Gangsterboss Onza (Gael Garcia Bernal), dem Raul zudem das Mädchen ausgespannt hat, lässt sich nicht gern in die Suppe spucken und richtet auf Rauls Hochzeit ein Massaker an. Jetzt schlägt Armandos Stunde: Die Rache ist sein.

Wenngleich "Casa De Mi Padre" natürlich ein lupenreines Ferrell-Vehikel ist, unterscheidet er sich doch zumindest formal etwas von der üblichen Linie 'seiner' Filme. Nicht nur, dass die Dialoge bis auf wenige Ausnahmen ausschließlich in spanischer Sprache vorgetragen werden, Piedmonts Film begreift sich vor allem als streng satirisch gehaltene Hommage und Reverenz an die Filme von Peckinpah, das Grindhouse-Kino der siebziger Jahre, den traditionellen mexikanischen B-Film sowie die hiesigen Telenovelas. Das in den Originalen mitunter selbstherrlichst vorgebrachte Klischeerepertoire zieht "Casa De Mi Padre" gnadenlos durch Scheiße und Kakao. Dementsprechend geht es auch etwas blutiger zu als üblicherweise in Ferrells Komödien, die Schießereien werden, ganz der genannten Tradition als Blutbalette in SloMo zelebriert und enden stets mit einer besonders bedeutsamen Einstellung - Blut tropft von einer weißen Rose etc. Dazu offeriert "Casa De Mi Padre" ein Feuerwerk an sorgfältig arrangierten, natürlich überdeutlich sichtbaren 'Patzern': permanente Anschluss- und Montagefehler, haltlos schlechte Miniatur- und Matte-Effekte, künstliche Filmrisse und ähnliches sorgen für überaus komische Kurzweil.
Allerdings macht sich auch bemerkbar, dass jene Arbeiten, in denen Ferrell eines gleichrangigen und vor allem ebenbürtigen Gegenübers wie Sacha Baron Cohen, John C. Reilly oder zuletzt Zach Galifianakis entbehrt, eher seine 'sekundären' sind - ich denke da an "Blades Of Glory", "Semi-Pro" oder "The Lost World". In ebendieser "Kategorie B" würde ich auch "Casa De Mi Padre" ansiedeln - man mag ihn als Ferrell-Apologet natürlich zwangsläufig, er hält jedoch nicht das brachiale, durchgehende Dauerfeuerkomik-Flair der Instant-Klassiker "Anchorman", "Talladega Nights" oder "Step Brothers".

7/10

Matt Piedmont Will Ferrell Mexiko Drogen Familie Vater & Sohn Brüder Hommage Groteske Parodie


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THE FAMILY JEWELS (Jerry Lewis/USA 1965)


"Shht. Don't disturb him. He's playing."

The Family Jewels (Das Familienjuwel) ~ USA 1965
Directed By: Jerry Lewis

Das kleine, schwerreiche Waisenmädchen Donna Peyton (Donna Butterworth) soll sich einen seiner exzentrischen Onkel als neuen Adoptivvater aussuchen und zu diesem Zweck jeweils zwei Wochen mit jedem von ihnen verbringen. Ihr potenzieller Ersatzvater, der gutmütige, aber trottelige Chauffeur Willard Woodward (Jerry Lewis) ist leider von der Wahl ausgeschlossen. Wer wird es also werden, der neue Gutenachtgeschichtenvorleser der bezaubernden kleinen Donna: der liebe, alte Seebär James (Jerry Lewis), der niederträchtige Zirkusclown Everett (Jerry Lewis), der durchgedrehte Fotokünstler Julius (Jerry Lewis), der aufschneiderische Pilot Eddie (Jerry Lewis), der geniale Detektiv Skylock (Jerry Lewis) oder doch der asoziale Gangster Bugs (Jerry Lewis)?

"The Family Jewels" markierte das Ende der bis dato faktisch karrierelangen Partnerschaft zwischen Jerry Lewis und seinem Hausstudio Paramount; nachdem er sich bereits knappe zehn Jahre zuvor mit Dean Martin zerstritten hatte, also eine weitere große Zäsur für den Meisterkomödianten. Wenn Lewis mit "The Nutty Professor" bereits seinen speziellen Humor perfektioniert hatte, so konnte er ihn mit "The Family Jewels" nun endgültig zur Kunst erheben. Natürlich ist auch diese Arbeit in erster Linie eine große, bunte Nummernrevue, in der Lewis in bereits bekannte (sein Julius Peyton ist, die Namensvetternschaft verrät's, eine Reprise von Julius Kelp) und noch unbekannte Rollen schlüpfen und erneut seine Kinderliebe unter Beweis stellen kann, sozusagen eine große "Best Of"-Gala seiner ganzen Bandbreite. Die mit hemmungslos vorprogrammiertem Ende arbeitende Story dient lediglich als Alibi für diverse Sketche und Gags, die mit fortlaufender Erzählzeit mehr und mehr an Fahrt gewinnen, um sich schon bald zu einem nahezu irrwitzigen Tempo zu steigern und dann im Finale als endgültige Lachbombe zu explodieren. Hier führt Lewis nämlich die grandioseste seiner sieben Rollen spazieren, die des Gauners 'Bugs' Peyton. Als schiefzähniger, völlig verblödeter Entführer mit großer Klappe reißt Lewis alles um, was nicht sowieso schon vor Lachen auf dem Boden liegt - eine Ode an die clowneske Albernheit, wie eigentlich dieser ganze, wunderbare Film eine ist.

9/10

Jerry Lewis Familie Kidnapping


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VISIT TO A SMALL PLANET (Norman Taurog/USA 1960)


"A sandwich anybody?"

Visit To A Small Planet (Besuch auf einem kleinen Planeten) ~ USA 1960
Directed By: Norman Taurog

Das Alien Kreton (Jerry Lewis) interessiert sich brennend für den etliche Lichtjahre entfernten Planeten und seine Bewohner, obgleich sein Lehrer Delton (John Williams) ständig versucht, Kreton diese Faszination auszutreiben. Als der junge Mann mal wieder unerlaubt ausbüchst, lässt Denton ihn fürs Erste ziehen, um vor Ort eigene Erfahrungen zu machen. Kreton möchte den Blauen Planeten zwar eigentlich pünktlich zum Sezessionskrieg besuchen, landet jedoch rund hundert Jahre später bei der Familie Spelding. Diese nimmt ihn freundlich auf, doch es gibt bald Eifersüchteleien zwischen Kreton und Conrad (Earl Holliman), dem Verlobten Ellens, der Tochter (Joan Blackman) des Hauses, gegen desse handfeste Argumentation Kreton besonders aufgrund Dentons permanentes didaktisches Eingreifen bald keine Schnitte mehr hat.

Einige gelungene Lacher und mancher Flachpfiff machen Taurogs nach den schönen VistaVision-Arbeiten von Frank Tashlin wieder in reduziertem Schwarzweiß entstandene Lewis-Komödie zu einer eher unauffälligen Zwischenstation in des Entertainers Schaffen. Klassisch nimmt sich "Visit To A Small Planet" dennoch wegen seiner grandiosen Beatnik-Persiflierung aus; die ansonsten spießbürgerlich erzogene Ellen verkehrt nämlich mit Vorliebe in einer so genannten "Existenzialisten-Kneipe", in der die zumeist bärtigen Typen vornehmlich mit gelangweiltem bis verklärtem Schlafzimmerblick in den verqualmten Saal blicken und sich in faulem Nichtstun und großspurigem Parlieren üben. Auch Cormans "A Bucket Of Blood" lugt da nochmals hervor. Gott bewahre uns vor der Gammlerkultur! Später werden dann einmal mehr die Beschirmten durch den Kakao gezogen - wie man vielleicht weiß, eine gern benutzte Spottzielscheibe Lewis' - die sich wie üblich vollkommen doof anstellen. Am Ende kann das extraterrestrische Fazit nur lauten: Die irdische Existenz ist das Grauen und nicht zur Nachahmung empfohlen! Und ab nach Haus.

7/10

Norman Taurog Jerry Lewis Familie Beatniks Aliens


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WHO'S MINDING THE STORE? (Frank Tashlin/USA 1963)


"Barbara is NOT doing fine. Barbara is in love with an imbecile!"

Who's Minding The Store? (Der Ladenhüter) ~ USA 1963
Directed By: Frank Tashlin

Um die Hochzeit ihrer Tochter Barbara (Jill St. John), künftige Millionerbin der "Tuttle-Warenhaus"-Kette mit dem trotteligen, aber grundehrlichen Norman Phiffier (Jerry Lewis), zu verhindern, der von Barbaras wahrer Identität nichts ahnen darf, weil er der konservativen Meinung ist, der Ehemann müsse für seine Familie aufkommen, denkt sich die garstige Mrs. Tuttle (Agnes Moorehead) einen genialen Plan aus: Norman soll im Warenhaus, in dem Barbara zur Zeit als Liftgirl jobbt, eine Anstellung und nur die unmöglichsten Aufgaben zugeteilt bekommen, bis er das Weite sucht und sich von seiner unzuverlässigen Seite zeigt. Doch weit gefehlt - wenngleich Norman jede ihm auferlegte Mission garantiert ins Chaos führt, hält er doch tapfer durch und kann zudem die Sympathie seines - unbekannterweise - künftigen Schwiergervaters (John McGiver) verbuchen.

Neuerlich Bravouröses aus der Tashlin-/Lewis-Factory, diesmal vor dem grandiosen Komödienschauplatz 'Warenhaus', der in der US-Lachmaschinerie eine lange Tradition vorweisen kann. Auch "Who's Minding The Store?" kann getrost als Klassiker dieser kleinen Untergattung kategorisiert werden; Lewis findet für jede Kaufhaus-Etage, die er gezwungenermaßen durchläuft, irgendwelche mehr oder minder halbgaren Gags und Sketche. Den absoluten komischen Höhepunkt und zugleich auch den gloriosen Showdown des Films bildet ein von Norman Phiffier frisierter Staubsauger, der eine halbe Haushaltswarenabteilung inklusive Schosshündchen und Damenmieder einsaugt. Zuvor muss Norman unter anderem eine Fahnenmastspitze anstreichen, frittierte Heuschrecken und Ameisen in der Delikatessen-Abteilung verkaufen (und vertilgen), einer schwergewichtigen Ringerin Pantoletten verkaufen und einen Sommerschlussverkauf in der Damenkonfektion ausrichten. Man kann sich unschwer vorstellen, wie sowas bei und mit Lewis ausschaut. Wenngleich die farbliche VistaVision-Brillanz der beiden zuvor geschauten Filme hierin ausbleibt - "Who's Minding The Store?" ist ein unbedingter Meilenstein seines Kreativ-Teams und ein Manifest der hemmungslosen Albernheit, das außerdem Lewis' geniale, legendäre Improvisation zu "The Typewriter" beinhaltet.

8/10

Frank Tashlin Jerry Lewis Kaufhaus Familie Slapstick


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THE GEISHA BOY (Frank Tashlin/USA 1958)


"This is the bridge on... the pond."

The Geisha Boy (Der Geisha-Boy) ~ USA 1958
Directed By: Frank Tashlin

Der erfolglose Zauberer Gilbert Wooley (Jerry Lewis) ist völlig abgebrannt und fliegt deswegen mit weiteren Entertainern sowie seinem weißen Kaninchen Harry zur Truppenbetreuung nach Japan und Korea. Ein kleiner Disput am Flughafen mit der ebenfalls mitgereisten Filmdiva Lola Livingston (Mary McDonald) erheitert das Herz des kleinen Waisenjungen Mitsuo (Robert Hirano) so sehr, dass seine hübsche Tante Kimi (Nobu McCarthy) sich dafür überschwänglich bei Gilbert bedankt. Sowohl Junge als auch Tante erregen Gilberts nachhaltige Sympathie, doch die Army und seine Geldknappheit machen ihm fürderhin das Leben schwer...

In direkter Folge zu "Rock-A-Bye Baby" fertigten Tashlin und Lewis diese ausgelassene Slapstick-Komödie, die schon mit deutlich prunkvolleren Gags glänzt als der dann doch etwas betuliche Vorgänger. Besonders die hemmungslos albernen Witzchen um Karnickel Harry sind von allerfeinstem Schwachsinn - Harry frisst Obst vom Hut einer schlafenden Dame, liegt hernach krank mit einem Wärmkissen auf dem Kopf im Bett, rutscht auf Treppengeländern, liegt mit Sonnenbrille und Badehose auf einer kleinen Matratze im Pool, holt sich einen Sonnenbrand und so fort. Kurz gesagt: von Harry kann man nicht genug bekommen. Famos auch eine vollkommen absurde Überschwemmungsszene in einem japanischen Bad sowie Sessue Hayakawas Eigenparodie seiner "River Kwai"-Rolle, auf deutsch sogar mit demselben Synchronsprecher, Werner Peters, plus dessen identisch gestelztem Akzent! Gegen Ende überfällt Tashlin und Lewis dann wieder die obligatorische Melancholie, die bereits theoretisch neu gegründete Patchwork-Familie muss sich noch finden und zusammenkommen. Aber das gehört eben dazu zu Lewis' großem, clownesken Weltverbesserungsplan. Wir haben uns alle lieb.

8/10

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ROCK-A-BYE BABY (Frank Tashlin/USA 1958)


"Five! I'm better than the matador!"

Rock-A-Bye Baby (Der Babysitter) ~ USA 1958
Directed By: Frank Tashlin

Als ihr bewusst wird, dass sie ein Baby erwartet, sieht die Hollywood-Diva Carla Naples (Marilyn Maxwell) ihre Karrierefelle davonschwimmen. Doch ihr Manager Harold Hermann (Reginald Gardiner) hat den rettenden Einfall: Für die Zeit des nächsten Drehs soll Carla ihr Neugeborenes in die vorübergehende Pflege einer zuverlässigen Pflegeperson geben. Dafür kommt nur Carlas Jugendliebe, der treu-naive Clayton Poole (Jerry Lewis) in Frage. Dieser staunt nicht schlecht, als ihm nach der Gefallens-Zusage an Carla Drillinge ins Haus flattern, doch Clayton bewältigt seine ersatzväterlichen Aufgaben meisterlich und mit Hingabe. Derweil bemerkt Carlas Vater Gigi (Salvatore Baccaloni), der von seiner berühmt gewordenen Tochter eigentlich nichts mehr wissen will, die Familienähnlichkeit, riecht Lunte und wird weichherzig, während seine jüngere Tochter Sandra (Connie Stevens) Clayton umschwirrte wie eine Motte das Licht.

Turbulente Musical-Comedy im bewährten Tashlin-Lewis-Stil, mit ähnlich vielen Gesangsnummern wie die vergangenen Kollaborationen mit Dean Martin ausnahmslos in quietschvergnügter VistaVision-Atelierkulisse gefilmt und daher noch zusätzlich realitätsentrückt wirkend. Der Anarchie-Faktor der Gags wird diesmal zugunsten eines potenzierten Familientauglichkeitsfaktors nochmals gedrosselt - "Rock-A-Bye Baby" ist so zuckersüß und brav wie ein Disney-Film und daher auch weitestgehend ohne echten Biss. Dafür sorgt noch zusätzlich die - ansonsten sehr sympathisch ausfallende - Installation von Lewis' Co-Star, des fülligen Tenors Baccaloni, der seinen Part des verwitweten Klischee-Italo-Patriarchen gleichermaßen aufbrausend wie weichherzig ausfüllt und beinahe schon als der heimliche Protagonist des Films bezeichnet werden darf. So ist das Ganze auch die märchenhaft anmutende Story einer Familienzusammenführung im ethnischen Kleinstadt-Milieu, die, wie so oft bei Lewis, prononciert, dass das Herz Amerikas eigentlich ein kunterbuntes Völker-Flickwerk ist.

7/10

Frank Tashlin Jerry Lewis Baby Kleinstadt Preston Sturges


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REQUIEM FOR A HEAVYWEIGHT (Ralph Nelson/USA 1962)


"In 1952 they ranked me number five!"

Requiem For A Heavyweight (Die Faust im Gesicht) ~ USA 1962
Directed By: Ralph Nelson

Der alternde Schwergewichtler Mountain Rivera (Anthony Quinn) wird von Cassius Clay (Cassius Clay) fürchterlich verdroschen und ausgeknockt. Sein linkes Auge droht zu erblinden, daher darf er nicht mehr zurück in den Ring. Auf der Suche nach einer neuen Geldquelle kennt vor allem Mountains Manager Maish Rennick (Jackie Gleason) keine Skrupel, zumal er bei der gefürchteten Buchmacherin Ma Greeny (Madame Spivy) tief in der Kreide steht. Die Arbeitsvermittlerin Grace Miller (Julie Harris) interessiert sich derweil für den traurigen, zerschundenen Mountain und vermittelt ihm ein Bewerbungsgespräch für eine Stellung als Sportlehrer in einem Sommercamp für Kinder. Doch Maish, der festen Überzeugung, dass Mountain sowieso nichts sonst beherrscht, hat andere Pläne mit seinem alten Kompagnon: Der soll fortan als Showwrestler auftreten und sich zum Affen machen.

Als formidablen Abschluss meiner gestrigen Box-Trilogie gab es dieses herzzereißende Drama um einen in jeder Hinsicht "kayoten" Altathleten, der bei stetem, enthusiastischem Glauben an sich selbst stets im Schatten der wirklich Großen stehen musste und nie den Durchbruch erleben durfte. Als er eines Abends dann endlich so weichgeprügelt wird, dass ihm nichts mehr bleibt, muss er nicht nur seinen Beruf, sondern zudem noch seine Träume aufgeben und sich der Illusion, noch einmal ganz von vorn anfangen zu können und dafür eine sich ad hoc bietendende Chance zu nutzen, widersetzen. Niemand anders als Anthony Quinn hätte die Rolle dieses Mountain Rivera so mit glimmendem Leben füllen können; zerschlagen und zernarbt, mit zwei Blumenkohlohren, geschwollenen Augenbrauen und sich bereits abzeichnenden Ausläufern eines latenten Dachschadens glaubt er noch naiv an Ideale wie Freundschaft, Vertrauen, Ehrbarkeit und sogar Liebe - Werte, deren Kehrseite sein so genannter Freund Maish - von Jackie Gleason ebenfalls hervorragend interpretiert - längst durchschaut und auch gelebt hat. Letztlich ist er die traurige Wahrheit hinter Mountains manchmal kindesgleichem Lächeln, wenn dieser mal wieder alte Zeiten Revue passieren lässt; die Ahnung, dass es keine Chance mehr gibt für Mountain noch für ihn selbst, und dass es immer noch eine Stufe unter der letzten gibt.

10/10

Ralph Nelson Boxen New York Freundschaft


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SOMEBODY UP THERE LIKES ME (Robert Wise/USA 1956)


"Don't worry 'bout a thing."

Somebody Up There Likes Me (Die Hölle ist in mir) ~ USA 1956
Directed By: Robert Wise

Rocky Barbella (Paul Newman) wächst in der Lower East Side als Sohn armer Eltern auf und verbringt einen Großteil seiner Jugend als delinquenter Rebell mit Raub, Diebstahl und Aufenthalten in Erziehungsanstalten und Jugendgefängnissen. Wegen Desertierung wird er unehrenhaft aus der Armee entlassen und findet schließlich im Boxsport eine willkommene Möglichkeit, seine tief verwurzelten Aggressionen gewinnbringend zu sublimieren. Hier feiert er große Erfolge als Mittelgewichtler Rocky Graziano und findet seine Frau Norma (Pier Angeli).

Basierend auf der früh erschienen Autobiographie Grazianos ein ganz großartiger Vertreter des hollywoodschen Neorealismus im direkten Gefolge von Kazans "On The Waterfront" und Delbert Manns "Marty". Method acting, authentische Milieuzeichnung und ungeschönter Dialog brachen sich, beeinflusst vom italienischen Kino jener Jahre, unbeirrbar ihren Weg und läuteten gemächlich, aber brodelnd eine neue Studioära ein. Für Newman in seiner ersten wesentlichen Hauptrolle nach dem campigen Sandalenheuler "The Silver Chalice" eine dankbare Erfahrung und für ihn in etwa so eruptiv wie "A Streetcar Named Desire" für Brando oder "East Of Eden" für Dean.
Als typischer 'juvenile delinquent' macht er es nicht nur sich selbst und seinem Milieu anfänglich schwer, seine renitente Natur zu akzeptieren, auch dem Publikum geht es so. Newman wird instinktiv gewusst haben, welche Chancen ihm dieses Engagement bei geschickter Nutzung würde offerieren können und so spielt er den aggressiven Aufsteiger wie ein Derwisch und noch wesentlich exponierter und lauter als man es von ihm in späteren, deutlich subtiler angelegten Rollen gewohnt ist. Mir gefällt's. Überaus interessant auch der unmittelbare Vergleich mit dem nur zwei Monate früher gestarteten "The Harder They Fall": Direkt hintereinander geschaut, wird man hier förmlich Zeuge von Zäsur, Generationsverschiebung und Wachablösung; ein altes Publikumsidol geht, ein neues kommt, jedes von ihnen jeweils flankiert von einer inszenatorischen Gallionsfigur aus Val Lewtons Horrorzyklus. "The Harder They Fall" mit seinem naiven Szenario ist noch ein tragfähiges Beispiel klassischen, moralisch einwandfreien Studiohandwerks, "Somebody Up There Likes Me" atmet den weitaus ungestümeren Hauch einer neuen Öffnung desselben. Analog dazu entdeckt man inmitten von Wises Film teils länger, teils nur für Sekundenbruchteile, weitere frische Gesichter: Sal Mineo, Robert Logggia, Steve McQueen, Dean Jones, Robert Duvall. Ein Sprungbrettfilm.

9/10

Robert Wise Boxen New York Coming of Age Biopic


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THE HARDER THEY FALL (Mark Robson/USA 1956)


"Powderpuff punch and a glass jaw... that's a great combination!"

The Harder They Fall (Schmutziger Lorbeer) ~ USA 1956
Directed By: Mark Robson

Der klamme Sportreporter Eddie Willis (Humphrey Bogart) nimmt einen Job als Pressepromoter für den zwielichtigen Boxmanager Nick Benko (Rod Steiger) an. Dieser hat soeben Toro Moreno (Mike Lane), einen hünenhaften Faustkämpfer aus Argentinien, nach New York geholt, und plant, ihn zum neuen Star der Schwergewichtler-Szene aufzubauen. Schon Morenos erstes Sparring spricht jedoch eine ganz andere Sprache: Der kindliche Riese kann weder austeilen, noch einstecken. Doch Benko will seine Investition nicht einfach aufgeben. Getürkte Kämpfe mit gekauften Gegnern und Willis' geschicktes Marketing schüren Toros Reputation trotz seines mangelnden Talents in Rekordzeit. Als es nach etlichen Schiebungen gegen den amtierenden Weltmeister (Max Baer) geht, der sich nicht bestechen lässt, meldet sich endlich Willis' journalistisches Ethos: Er verhilft dem bereits weiterverkauften Toro zur Flucht, bevor dieser sich noch weiter prostituieren muss.

Der klassische Hollywood-Boxfilm hat den Studios ein paar echte Sternstunden ermöglicht, lange vor den siebziger Jahren, als er mit den "Rocky" und "Raging Bull" seine große Renaissance erleben sollte. Robsons "The Harder They Fall", in dem Bogey seinen letzten Auftritt hat und noch einmal eine Sternstunde seines Könnens präsentiert, zeigt den Boxsport als schmutziges, korruptes Geschäft, dessen Organisation unweit von mafiösen Vorgehensweisen angesiedelt ist. Die im Rampenlicht stehenden Athleten sind bloß Kanonenfutter für eine johlende Menge und die neue populistische Seuche Fernsehen, ihre Kämpfe derweil frei von Ehre und bloße Inszenierung, die grauen Eminenzen im Hintergrund Manager, Buchmacher, Gangster. Wer nicht mehr gebraucht wird, wandert auf den Müllhaufen der Sportgeschichte, mittellos, oft zum Krüppel oder Idioten geprügelt. Der Weg des naiven Toro Moreno dorthin ist bereits vorgezeichnet, als er aus dem Flieger von Buenos Aires steigt: Lediglich äußerlich imposant fehlt ihm jedwedes Talent zum echten Boxer, verzweifelt sucht er sich Vaterfiguren und findet doch bloß Verrat und Lüge. Gut, dass er da auf einen Mann wie Eddie Willis trifft, dessen Korrumpierbarkeit nicht unendlich flexibel ist und der hinter seiner scheinbar unbeteiligten Schale ein brodelndes Gewissen versteckt hält - die klassische Bogey-Rolle des Opportunisten, der Partei ergreift. Ein klein wenig film noir steckt da auch mit drin, insgesamt ist "The Harder They Fall" aber wohl allzu goldherzig und philanthropisch, um dieser zynischen Gattung zugerechnet zu werden.

8/10

Mark Robson Boxen Freundschaft


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BLACK SWAN (Darren Aronofsky/USA 2010)


"I got a little homework assignment for you..."

Black Swan ~ USA 2010
Directed By: Darren Aronofsky

Die ehrgeizige, aber stets biedere Nina Sayers (Natalie Portman) lebt bei ihrer dominanten Mutter (Barbara Hershey), die all die bösen Geschicke der Welt von Nina fernhalten möchte. Als Nina von dem Starregisseur Thomas Leroy (Vincent Cassel) unter vielen Mitbewerberinnen auserkoren wird, in seiner Neuinterpretation vom "Schwanensee" die Hauptrolle zu tanzen, ist dies für sie nur anfänglich ein Grund zur Freude. Unter dem nun auf ihr lastenden, allseitigen Druck, dessen größter Schlüssel Nina selbst ist, zerbricht sie allmählich.

Schön stilisiert, wie man es von Aronofsky gewohnt ist, bildet "Black Swan" ein neuerlich hervorragend inszeniertes Psychogramm aus Könnerhand. Allerdings sind, so schien mir, hier die Einflüsse so übermächtig und spürbar wie noch bei keinem anderen Film des Regisseurs bislang: "The Red Shoes", "All About Eve", "Carrie und auch "All That Jazz", "'Night, Mother" und sein eigener "Pi" treten zu Teilen explizit aus dem Ideenfundus hervor, die Intrigen hinter der Bühne, die Gier nach Perfektion, Erfolg und Zuspuch, der extreme Tribut der sich immer weiter intensivierenden künstlerischen Arbeit, die alleinerziehende, schwer neurotische Mutter und ihre überbehütete, ergo sexuell längst überreife Tochter, darüberhinaus schließlich Realitsverzerrung, Psychose, Wahnsinn und Suizid. Die Kunst von "Black Swan" liegt darin, wie Aronofsky all diesen Motiven seine Ehrerbietung zollt, indem er sie potpourrisiert, neu aufbereitet, teils minutiös variiert und als audiovisuell vorzügliche Stilorgie auf sein Publikum herniedergehen lässt. Ganz bewusst wird da manchmal die Grenze zum Kitsch und zur Prätention überschritten, allerdings stets unter sorgsamer Wahrung des integren, formvollendeten Gesamtbildes. Vielleicht nicht Aronofskys stärkster Film, aber, vielleicht umso wichtiger, einer, der in dieser Form eindeutig nur von ihm hat stammen können.

8/10

Darren Aronofsky New York Ballett Madness Musik





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