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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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CANYON PASSAGE (Jacques Tourneur/USA 1946)


"The illusion of peace is upon us."

Canyon Passage (Feuer am Horizont) ~ USA 1946
Directed By: Jacques Tourneur

Der Geschäftsmann Logan Stuart (Dana Andrews) reist aus Oregon mit Lucy (Susan Hayward), der Verlobten seines Freundes George Camrose (Brian Donlevy), zurück in das gemeinsame Heimatstädtchen am Südrand Oregons. Camrose, der örtliche Bankier, hat hohe Pokerschulden und bekommt seine Spielsucht nicht in den Griff. Und noch mehr Unwägbarkeiten folgen: Der gewalttätige Herumtreiber Bragg (Ward Bond) neidet Stuart Geld und Erfolg, statt in seine Verlobte Caroline (Patricia Roc) ist Stuart in Lucy verliebt und die Indianer werden zunehmend aggressiv gegen die Siedler.

Tourneurs erster Farbfilm und erster Western ist eines von Hollywoods schönsten frontier movies überhaupt. Man wird schwerlich ein leuchtenderes Technicolor finden als das von Edward Cronjager verwendete und die Ford-Standards Ward Bond und Andy Devine adeln "Canyon Passage" durch ihre eher ungewohnten Rollen - Devine ist als herzlicher Familienvater zu sehen, Bond als verbrecherischer Vergewaltiger und Mörder. Der Film zeigt mit Südoregon ein ungewöhnliches Siedlerfleckchen und geht einher mit dem im ähnlichen Milieu spielenden "The Big Trees". Beide Filme vereint zudem ihre jeweils ambivalente Charakterzeichnung: niemand ist frei von Schuld. George Camrose wird über seinen Traum zu finanzieller Unabhängigkeit zum Mörder, Logan Stuart und Lucy sind ineinander verliebt, obwohl sie sich beide anderen versprochen haben. Ihr Weg zueinander wird erst frei über Camroses Tod - ein recht perverser Beginn für eine tragfähige Beziehung. Ganz wunderbar auch die Darstellung des forcierten Miteinanders zwischen Siedlern und Indianern. Man hat Angst voreinander, beschwichtigt sich und lässt sich weitgehend in Ruhe, die akute Spannung, die Angst vor stets möglichen Übergriffen, die eine Katastrophe begünstigen könnten, liegt permanent in der Luft. Tourneur versteht es vortrefflich, diese merkwürdige Atmosphäre zwischen heimeligem Zusammenhalt und unentwegter Bedrohlichkeit greifbar zu machen.
Meisterwerk.

10/10

Jacques Tourneur Oregon Freundschaft Kalifornien


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RAINTREE COUNTY (Edward Dmytryk/USA 1957)


"I haven't married an abolitionist, have I?"

Raintree County (Das Land des Regenbaums) ~ USA 1957
Directed By: Edward Dmytryk

Freehaven, Indiana 1959. Der begabte Nachwuchsdichter John Shawnessy (Montgomery Clift) liebt eigentlich seine Jugendfreundin Nell (Eva Marie Saint), als ihm eines Tages die southern belle Susanna (Elizabeth Taylor) begegnet. Nach einer kurzen, heftigen Romanze eröffnet Susanna John, dass sie ein Kind von ihm bekäme - wie sich später herausstellen wird, eine Lüge, um John an sich zu binden und ihn zur dann tatsächlich stattfindenden Heirat zu bewegen. Doch dies ist nicht der einzige seltsame Charakterzug Susannas, wie John bald herausfindet. Ein schweres Kindheitstrauma in Verbindung mit einem pathologischen Rassismus lastet auf ihrer Seele. Der liberale John ist derweil ein überzeugter Gegner der verfilzten Südstaatenmentalität, insbesondere der Sklaverei. Bald zieht er mit Susanna zurück nach Freehaven und das Paar bekommt einen Sohn, während der Bürgerkrieg ausbricht. Susanna verschwindet mit dem Jungen und John geht zur Armee, um seine Familie jenseits der Front suchen zu können.

Gedacht als eine Art Repetition des nachhaltigen Erfolges von "Gone With The Wind" gab die MGM dieses neuerliche Sezessionskriegsepos in Auftrag - mit überaus mäßigem kommerziellen wie feuilletonistischen Erfolg. Dabei gebührte Dmytryks Werk - einem seiner schönsten Filme - eine weitflächige Rehabilitierung. Der Nebenplot um den mystischen goldenen Regenbaum, dessen Finder ewige Seligkeit und Zufriedenheit zuteil werden sollen, verleiht dem Film einen magischen zweiten Atem. Als Südstaatenepos, das der ganzen, historischen Dissonanz der Region - ihrer majestätischen Schönheit versus ihrer dekadenten Oberflächichkeit - ein Denkmal setzt, gibt "Raintree County" jedenfalls mindestens so viel her wie jedes vergleichbare Werk. Der Film, noch vor "Ben-Hur" als erster im Superbreitwandverfahren 'Camera 65' gedreht, schwelgt in satten Farben und führt ein großartiges Ensemble ins Feld; allen voran Lee Marvin als großspurigen, aber höchst liebenswerten Lebenskünstler Flash Perkins und Nigel Patrick als verschrobenen Intellektuellen Professor Stiles. "Raintree County" wird getragen von diesem Personal und der Film hätte es, schon aufgrund eines implizit notwendigen, detaillierteren Ausarbeitungsreichtums verdient, noch mindestens vierzig Minuten länger zu sein. So erscheint er vielleicht partiell zu fragmentarisch und abgehackt, was ihn keinesfalls versagen, aber wehmütig daran danken lässt, was mit etwas mehr Mut von Produktionsseite möglich gewesen wäre. Legendär eine Anekdote um Montgomery Clifts Autonunfall, den er während der Dreharbeiten erlitt, der seine Physiognomie nachhaltig veränderte und dessen Folgen (inklusive Operationsnarbe am Hals) in vielen Einstellungen des Films deutlich sichtbar sind.

9/10

Edward Dmytryk Sezessionskrieg Ehe Familie Indiana Freundschaft Madness period piece


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ET MOURIR DE PLAISIR (Roger Vadim/F, I 1960)


Zitat entfällt.

Et Mourir De Plaisir (...und vor Lust zu sterben) ~ F/I 1960
Directed By: Roger Vadim

Die junge Carmilla von Karnstein (Annette Vadim) kommt zur Verlobungsfeier ihres Cousins Leopoldo (Mel Ferrer) und dessen Braut Georgia (Elsa Martinelli) auf den alten Familiensitz in der Nähe von Rom. Carmilla hat die alte Kindheitsromanze mit Leopoldo nie ganz vergessen können. Als während der Verlobungsfeier ein Feuerwerk von der hochgelegenen Familiengruft aus gezündet wird, explodiert eine alte Kriegsbombe und legt die Katakomben frei, in denen die Gebeine der Gräfin Mircalla von Karnstein liegen, die vor rund dreihundert Jahren hier gelebt hat und der man nachsagt, eine Vampirin gewesen zu sein. Ein somnambuler Spaziergang führt Carmilla in die Gruft und sie kommt verändert wieder hinaus. Sie wird Leopoldo und Georgia gegenüber noch unzugänglicher als ohnehin schon und bald gibt es mit dem Hausmädchen Lisa (Gabriella Farinon) eine Tote.

Vor der "Karnstein"-Trilogie der Hammer nahm sich bereits Roger Vadim Le Fanus Novelle um die Vampirin Carmilla/Mircalla an, die weibliches Blut als Lebenselixier bevorzugt. Noch deutlich poetischer als die spätere Adaption legt Vadim seinen Film wie viele seiner Arbeiten als Geschenk für seine gegenwärtige, schöne Gespielin an, in diesem Falle die Dänin Annette Strøyberg, mit der der Regisseur zwei Jahre verheiratet war, bevor sie dann von Catherine Deneuve abgelöst wurde. Vadim versetzt den Plot in die Gegenwart und überlässt zumindest ansätzlich dem Publikum die Entscheidung, ob es der darbende Geist der lange verstorbenen Mircalla ist, der von Carmilla (und später Georgia) Besitz ergreift, oder ob Carmilla ein Opfer ihrer unerfüllten erotischen Sehnsüchte geworden ist. Allerdings sprechen einige Wahrnehmungen seitens der Kamera - Pferde scheuen plötzlich vor der einstmals versierten Reiterin Carmilla, Rosen verwelken nach wenigen Sekunden in ihrer Hand - für ersteres. Diese Gratwanderung, die Unvereinbarkeit zwischen altehrwürdiger Spiritualität und streng akademischer Moderne, bestimmt den Geist von Vadims oberflächlich etwas naivem Werk, das jedoch von einer ausgesprochenen visuellen Schönheit getragen ist.

8/10

Roger Vadim Sheridan Le Fanu Italien Vampire


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CHAINED HEAT (Lutz Schaarwächter/USA, D 1983)


"Don't call me 'warden'. Call me Fellini!"

Chained Heat (Das Frauenlager) ~ USA/D 1983
Directed By: Lutz Schaarwächter

Weil sie versehentlich einen tödlichen Unfall verursacht hat, muss Carol Henderson (Linda Blair) ins Gefängnis - dass sie im härtesten Frauenknast mindestens des Staates landet, passt jedoch nicht zu ihrem zarten Wesen. Schon bald lernt sie die Strukturen hinter Gittern kennen: Zwei verfeindete Matriarchinnen (Sybil Danning, Tamara Dobson) habe unter den Insassinnen das Sagen, derweil die uneinige Leitung unter Warden Bacman (John Vernon) und Chefaufseherin Taylor (Stella Stevens) einen kriminellen Konkurrenzkampf austrägt: Es werden Pornofilme gedreht, Vergewaltigungen organisiert, man verschachert harte Drogen und befeuert einen Prostitutionsring. Als Carols Freundin Val (Sharon Hughes) grausam ermordet wird, weil sie Zeugin der Machenschaften Captain Taylors wurde, geht Carol in die Offensive...

Ein opus magnum des Exploitationfilms hat Lutz Schaarwächter unter dem Pseudonym 'Paul Nicolas' da vor drei Dekaden auf die Beine gestellt. "Chained Heat" ist denn auch verdientermaßen zu einem instant classic mit wachsender Fangemeinde avanciert, weil er eben alles aufbietet, was das voyeuristische Herz begehrt: Eine Ausnahmebesetzung zu der sich neben den Erwähnten noch Henry Silva und Monique Gabrielle gesellen, schöne nackte Frauen, Vergewaltigungen, knackige Gewaltszenen. Man vermisst garantiert nichts am Ende. Hinzu kommt, dass Schaarwächters Arbeitsethos sich durchaus qualitätsbewusst ausnimmt. "Chained Heat" ist jedenfalls kein heilloser Trash, der von seiner ungelenken Inszenierung zehren muss, sondern ein echter, ambitionierter Vollblutexploiter nach Maß. Joseph Conlans Musik hat streckenweise was von Tangerine Dream und passt sich dem anrüchigen Geschehen hinter dicken Gefängnismauern vortrefflich an. Runde Angelegenheit.

7/10

Lutz Schaarwächter Ernst Ritter von Theumer Mac Ahlberg Gefängnis W.I.P. Exploitation Camp


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STORY OF G.I. JOE (William A. Wellman/USA 1945)


"Tonight I dream in Technicolor."

Story Of G.I. Joe (Schlachtgewitter am Monte Cassino) ~ USA 1945
Directed By: William A. Wellman

Der Kriegsberichterstatter Ernie Pyle (Burgess Meredith) begleitet im Zweiten Weltkrieg Infanteristen in Nordafrika und Italien. Besonders den Männern der C-Kompanie der 18. Infanterie-Division unter Captain Walker (Robert Mitchum) fühlt sich Pyle freundschaftlich zugetan und er schließt sich ihnen immer wieder an. Dabei erlebt Pyle ebenso schöne (bei einer Heirat inmitten einer zerbombten Stadt fungiert er als Trauzeuge) wie traurige (die sukzessive Dezimierung der Einheit) Momente.

"Story Of G.I. Joe", einer der ersten Filme über den Zweiten Weltkrieg gänzlich ohne propagandistische Intentionen, trägt trotz seines Herkunftslandes unverkennbar neorealistische Züge. Russell Metty überträgt die ungeschönten, schmutzigen Eindrücke des menschenverachtenden Kriegsgeschehens in eine klare, poetische Bildsprache und entspricht damit exakt dem literarischen Impetus Ernie Pyles, aus dessen Perspektive der Film berichtet. Für den kleinen, intellektuellen Autoren Pyle ist das, was das Frontgeschehen ihm offenbart, mitunter nur schwer zu ertragen. Immerhin hat er den Vorteil, zwischenzeitlich aussteigen und pausieren zu können, wenn es ihm zu viel wird - die Männer von der 18. können das nicht. Dennoch schätzen sie Pyle, und er sie - wenn auch aus recht unterschiedlichen Motivlagen heraus. Für Pyle avancieren die Soldaten zu einer Art Ersatzsöhne, denen er Zuspruch spendet und für die er an Heiligabend im verregneten Unterstand ein kleines Festmahl organisiert. Die Soldaten akzeptieren und lieben derweil seine kauzige Art. Aus dieser merkwürdig symbiotischen Beziehung macht Wellman einen der unheroischsten, poetischsten Kriegsfilme, die in den USA entstanden sind, auf einer Stufe stehend mit "The Deer Hunter" und "The Thin Red Line".

9/10

William A. Wellman Italien WWII


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EXTREME JUSTICE (Mark L. Lester/USA 1993)


"They don't care at all! They love us!"

Extreme Justice ~ USA 1993
Directed By: Mark L. Lester

Der junge LAPD-Sergeant Jeff Powers (Lou Diamond Phillips), oftmals verwarnt wegen aggressiver Methoden im Einsatz und bereits im Fadenkreuz der internen Untersuchung, stößt zur SIS, einer streng geheimen Polizei-Subdivision. Aufgabe der SIS ist es, just aus dem Gefängnis entlassene Wiederholungstäter so lang zu beschatten, bis sie ihr nächstes Verbrechen durchführen, um sie dann auf frischer Tat verhaften zu können. Doch die Befugnisse der SIS reichen inoffiziell noch weiter: Die meisten ihrer "Kunden" werden von den Cops vor Ort in tödlich endende Feuergefechte verwickelt. Als Powers, dessen früherer Partner Vaughn (Scott Glenn) die SIS-Einsätze leitet, hinter die fragwürdigen Funktionsprinzipien der Abteilung kommt und immer wieder feststellt, wie dort Menschenrechte mit Füßen getreten werden, entscheidet er sich für den Ausstieg...

Inoffizielle Todesschwadronen der Polizei, handelt es sich nun aus dem Dunkel heraus operierende oder gar um städtisch tolerierte, haben im Genrekino eine längere Tradition. Bereits der zweite "Dirty-Harry"-Film "Magnum Force" machte es zum Thema, nicht zuletzt, um die fragwürdigen Methoden seiner Hauptfigur moralisch abzugrenzen und gewissermaßen auch zu legitimieren. In Hyams' "The Star Chamber" wird dann sogar die Judikative zur reaktiv handelnden Institution, indem sie schuldigen, wegen der Beweislage jedoch offiziell freigesprochenen Gewalttätern nachträglich die Todesstrafe "zukommen" lassen. "Extreme Justice" steht in dieser Ahnenreihe. Hier allerdings steht die betreffende Organisation noch zusätzlich unter dem Deckmantel politischer Duldung: Los Angeles hat entschieden, dass diese Männer und ihre Verfahrensweisen notwendig sind, um Folgeverbrechen der zu observierenden Kriminellen zu verhindern und deren Bestrafung im Zweifelsfall gleich vor Ort vorzunehmen.
Lester ist nicht eben dafür bekannt, ein sonderlich filigran vorgehender Regisseur zu sein. Sein zwischen Anfang der Achtziger und Mitte der Neunziger entstandenes Hauptwerk erzählt zumeist ruppige Geschichten mit ruppigem Personal. Dem Thema "Selbstjustiz" kommt dabei häufig eine hervorgehobene Funktion zu. Schon "Class Of 1984" berichtete davon, dass in Härtefällen eine "Grundreinigung" stattfinden muss, um wieder Ruhe einkehren lassen zu können. "Extreme Justice" nimmt sich im Hinblick auf diese fatalistische Perspektive etwas zurück und positioniert sich mehr in der Mitte. Die Männer von der SIS werden als durchweg gestört charakterisiert: Schießwütige Waffennarren, Zyniker, Alkoholiker, Soziopathen. Einer von ihnen (Richard Glove) zerbricht angesichts seiner Taten und nimmt sich das Leben. Die übrigen haben längst die Grenzen zwischen Vetretbarkeit und Faschismus überschritten. Sie sind mittlerweile kaum mehr besser als der von ihnen verfolgte Abschaum. Powers' Kehrtwende ist also auch ein Stück weit von Selbsterhaltung geprägt: So möchte man schließlich nicht enden in jungen Jahren.

7/10

Los Angeles Mark L. Lester Selbstjustiz


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THE MASTER (Paul Thomas Anderson/USA 2012)


"This is pointless. He isn't interested in getting better."

The Master ~ USA 2012
Directed By: Paul Thomas Anderson

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und seinem Austritt aus der Navy findet sich der ohnehin extrem neurotische Veteran Freddie Quell (Joaquin Phoenix) noch zusätzlich schwer traumatisiert im Privatleben wieder. Selbst einfachste Berufe kann er nicht ausüben, weil es früher oder später immer wieder zu durch ihn provozierten Zwischenfällen kommt. Im Zuge einer seiner Fluchtaktionen landet Freddie auf der Hochzeit der Tochter (Amy Adams) des Sektenstifters Lancaster Dodd (Philip Seymour Hoffman). Dessen Vereingung 'The Cause' speist sich aus willfährigen, häufig wohlbetuchten Anhängern, die Dodds Konzept von Reinkarnation und Rückführungen, welche existenzielle Barrieren niederreißen sollen, mittragen. Der ebenso charismatische wie intellektuelle Dodd findet Gefallen an dem ungebildeten Soziopathen Freddie Quell und dessen Kunst, aus jeder methanolhaltigen Flüssigkeit binnen Minuten ein schmackhaftes Gesöff herstellen zu können und macht ihn zu seiner rechten Hand. Doch trotz aller Indoktrinierungsversuche lässt Freddie sich nie gänzlich zu einem von Dodds Schäfchen 'umprogrammieren'. Nach Jahren trennen sich die Wege der beiden Männer wieder.

Von einem, der auszog, sich nicht bekehren zu lassen: Anderson verfolgt die Linie seines sperrigen, mysteriösen Kinos weiter und bleibt damit anhaltend erfolgreich. Nachdem er sich vom Ensemble-Konzept abgewandt hat, steht jeweils ein gleichermaßen monolithischer wie vielschichtiger Charakter im Mittelpunkt seiner Filme: In "Punch Drunk Love" war es der hochneurotische Barry Egan, in "There Will Be Blood" der egomanische Öltycoon Daniel Plainview, nun, in "The Master", ist es Freddie Quell, ein unterbelichteter, multipel gestörter Kriegsveteran: Alkoholiker, misogyn, triebhaft, gewaltbereit, selbstverleugnend, ödipal geprägt, grenzdebil. Und ausgerechnet ihn erklärt Anderson zum Helden seines Films; man wächst mit Freddie, gewöhnt sich an seine Marotten und seine stoische Verweigerungshaltung gegenüber jedwedem Versuch, ihn zu glätten und zu subordinieren. "The Master" stellt nämlich weder das Porträt eines Sektenführers dar, noch überhaupt die Strukturanalyse des Sektenwesens. Jenes spielt eine bestenfalls marginale Rolle. Stattdessen berichtet er von der immens komplexen Beziehung zweier Männer zueinander, die sich freundschaftlich zugetan sind und von denen der eine den Triumph über den anderen für zwangsläufig und selbstverständlich hält, lediglich, weil er ihm geistig meilenweit überlegen ist. Dass auch Lancaster Dodd seine Schattenseiten besitzt, und recht ominöse dazu, davon erzählt der Film im weiteren Verlauf und exponiert den scheinbar so selbstsicheren, siegesgewissen Mann als hinterrücks mindestens ebenso patholgischen Charakter wie den mental simpler gestrickten Freddie Quell.
Paul Thomas Anderson dürfte einer der wenigen aktiven Hollywood-Regisseure, der befähigt ist, derart autark zu arbeiten und vordergründig unkomfortable Filme wie diesen in einer noch dazu solch eigenwilligen Form abzuliefern. Dafür sollte man dankbar sein.

9/10

Paul Thomas Anderson Sekte WWII Philadelphia period piece Freundschaft Alkohol


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8MM (Joel Schumacher/USA, D 1999)


"DIE! FUCKER DIE! DIE!"

8MM ~ USA/D 1999
Directed By: Joel Schumacher

Der eher ungern im Trüben stochernde Hochglanz-Detektiv Tom Welles (Nicolas Cage) wird von der betagten Witwe Mrs. Christian (Myra Carter) engagiert, die Herkunft eines 8MM-Snuff-Filmes zu untersuchen, den sie im Safe ihres verstorbenen Mannes, eines reichen Wirtschaftsführers gefunden hat. In dem kurzen Film wird ein Mädchen (Jenny Powell) von einem Maskenmann (Chris Bauer) misshandelt und schließlich abgeschlachtet. Welles soll herausfinden, ob es sich um gestellte Aufnahmen oder authentische Aufnahmen handelt. In Los Angeles kommt er mithilfe eines stenefirmen Amateurmusikers (Joaquin Phoenix) einem Snuff-Ring auf die Spur, dem der New Yorker Dino Velvet (Peter Stormare) vorsteht. Tatsächlich wurde Mary Ann Matthews, so der Name des Mädchens, vor der Kamera ermordet. Der längst vollkommen konsternierte Welles entwickelt zunehmend ungebremste Aggressionen gegen die Täter...

Wo "Falling Down", bis zu gewissem Grad ja ebenfalls eine Beschäftigung mit dem Topos 'Vigilantismus', zumindest noch einen Rest von Diskutabilität aufweist, nimmt sich "8MM" auf das denkbar Biederste konservativ aus. Nach Andrew Kevin Walkers umwerfendem "Se7en"-Script war einiges von dem Autoren zu erwarten, dass er jedoch mit einem derart plumpen Konstrukt um die Ecke kommen sollte, finde ich, speziell im Hinblick auf die Qualität des literarischen "Vorgängers", noch heute problematisch. Glücklicherweise rettet sich "8MM" gegen Ende noch halbwegs über die Runden durch seine unfreiwillige Komik, die das moralisch hochentrüstete Kartenhaus, das der Film zuvor mit großer Geste errichtet hat, in sich zusammenstürzen lässt. Nicolas Cage, nach meinem Empfinden schon immer ein Mann, der die vielen lächerlichen Stoffe, an deren Ausführung er sicherlich primär des Geldes wegen mitwirkte, als solche erkannt hat und ihnen durch gezieltes overacting entsprechend "Tribut" zollt, als Objekt der Entrüstung in den Mittelpunkt zu stellen, war ein personeller Schachzug, dem der Film verdankt, dass er nicht gleich umweglos in die Tonne wandern sollte.
Das "8MM" zugrunde liegende Menschenbild trägt Zeugnis einer fanatischen, wenn nicht pathologischen Abscheu vor jedwedem sexuell Normabseitigen. Allein Welles' erster aktiver Kontakt mit der Pornoszene ist bereits so inszeniert, dass der Ruch des Widerlichen und Perversen sich bis weit vor die Leinwand erstreckt - Cages permanent und zunehmend angeekeltes Gesicht spricht Bände. Als er im weiteren Filmverlauf auf einem einschlägigen Hinterhofbasar das Cover eines Kinderpornos in die Hand nimmt, wischt er selbige danach voller Widerwillen an seinem Revers ab. Doch Welles' steigt noch weiter hinab in die neun Inferni der Pornographie, um am Ende personell mit ihrer niederträchtigsten Form konfrontiert zu werden, selbstverständlich symbolisiert durch ein repräsentatives Quartett des denkbar übelsten menschlichen Abschaums: Den schmierigen Regisseur (Stormare), das abartige Muttersöhnchen (Bauer), den abgewichsten casting agent (James Gandolfini) und den korrupten, schnauzbärtigen Hochglanzanwalt (Anthony Heald). Die zwei, die sich nicht aus wechselseitigem Misstrauen gegenseitig umgebracht haben, richtet Welles, nachdem er sich moralisch durch eine Anfrage bei Muttern Matthews (Amy Morton) legitimiert hat, mit symbolischem, feurigem Cherubsschwert. Danach kehrt er bitterlich weinend in den reinigenden Schoß seiner jungen Familie zurück - die Welt hat ihn wieder, mitgenommen zwar, aber durch seine Gewaltakte vom Erlebten geläutert und gereinigt.
Als trashige Spaßgranate funktioniert "8MM", besonders, da er sich so gern als Manifest der moralischen Entrüstung verstünde. Als ernstzunehmender Genrefilm, also das, was er zu sein vorgibt und wünscht, ist er somit nachgerade erbarmungswürdiger Dreck.

4/10

Joel Schumacher Snuff Subkultur Pornographie Los Angeles New York Familie Selbstjustiz Rache


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FALLING DOWN (Joel Schumacher/USA 1993)


"I'm on the other side of the moon now and everybody is going to have to wait until I pop out."

Falling Down ~ USA 1993
Directed By: Joel Schumacher

An einem besonders heißen Sommertag dreht der ohnehin latent psychiotische Bill Foster (Michael Douglas) durch und bahnt sich seinen Weg durch Los Angeles von Pasadena bis nach Venice. Fosters kleine Tochter Adele (Joey Hope Singer) hat Geburtstag und obgleich Foster sich Frau (Barbara Hershey) und Kind per Gerichtsbeschluss nicht mehr nähern darf, setzt er sich, einer Dampfwalze gleich, in Bewegung. Auf seinem Weg wird er Zeuge der Schattenseiten der Stadt und schon nach wenigen Metern verwandelt sich seine kleine Reise in einen Amoklauf, die eine Schneise der Angst und Zerstörung quer durch die Stadt hinterlässt.

Wenn man betreffs "Falling Down" schon von politischer Implikation sprechen muss, so bitte nur kurz - ein unleidliches Thema. Eine buchstäblich reaktionäre Tendenz ist dem Film natürlich nicht abzuleugnen. Er jongliert mit klassischen Wutbürger-Themen wie Einwanderung, ethnischen Unruhen, ökonomischem Ungleichgewicht und der hoffnungslosen Überforderung der staatlichen Instanzen. Beeinflussbare Gemüter mögen darin unschwer nachvollziehbare Geisteshaltungen ausmachen und darum ist Schumachers Film ideologisch nicht unbedenklich. Wenngleich an der psychischen Labilität Bill Fosters, denn die Credits analog zu seinem Nummernschild martialisch als "D-Fens" ausweisen, kein Zweifel offen bleibt, widersteht "Falling Down" nicht der Versuchung, ihn als tragischen Antihelden zu glorifizieren, ein Opfer der allgemeinen und individuellen Umstände, dessen permanente Einschüchterungsaktionen letzten Endes als universelle Warnungen zu verstehen sind und dessen zwei aktive Totschläge im Laufe seines Stadttrips aus Notwehr beziehungsweise im Zuge eines vom Opfer provozierten Unfalls heraus stattfinden.
Trotz all dieser Bedenklichkeiten gelang Schumacher mit "Falling Down" ein guter, streckenweise sogar exzellenter Film. Abseits seiner oberflächlichen, sicherlich gezielt populistischen Verhandlungen demoskopischer Themen berichtet er nämlich auch in mithin poetischer Form von einem heißen urbanen Sommertag, der bekanntlich dazu taugt, anfällige Menschen irrational agieren zu lassen, von einem unmittelbar vor der Pension stehenden Polizisten (Robert Duvall), der als ultima ratio zu Bill Fosters Antagonisten wird und bietet zudem einen virtuellen Streifzug durch die eher unschönen, nichtsdestotrotz jedoch existenten Gegenden von Los Angeles. Mit Duvall, Frederic Forrest und Barbara Hershey befinden sich drei Schlüsselschauspieler New Hollywoods im Film, deren konzentrierte Mitwirkung durchaus den Schluss zulässt, dass "Falling Down", gewissermaßen ohnehin ein westcoast heir von "Taxi Driver", auch wunderbar zwanzig Jahre zuvor hätte entstehen können. Ob er dann allerdings so fruchtbar diskutabel ausgefallen wäre, ist müßige Gedankenspielerei.

8/10

Joel Schumacher Los Angeles Amok Familie Duell Madness Sommer Venice Beach Selbstjustiz


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ZERO DARK THIRTY (Kathryn Bigelow/USA 2012)


"How about a new V10 Lamborghini? How's that for friendship? "

Zero Dark Thirty ~ USA 2012
Directed By: Kathryn Bigelow

Die Jagd nach dem verschollenen Al-Qaida-Kopf Osama Bin Laden wird für die CIA-Agentin Maya (Jessica Chastain) nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zur obersten Existenzmaxime. Über Jahre hinweg vernachlässigt sie ihr eigenes Privatleben, geht verbissen den Spuren von Verbindungs- und Mittelsmännern nach, arbeitet sich so hierarchisch bis in das Wuzelwerk der Terrorzelle vor und muss Vorgesetzte und Außendienstleiter immer wieder dazu anhalten, die Suche nicht aufzugeben. Am 2. Mai 2011 wird ihre Verbissenheit schließlich belohnt: Im Zuge einer verdeckten Militäroperation wird Bin Ladens Haus in Pakistan gestürmt und der berüchtigte Terrorist erschossen.

Neben seiner, wie von Bigelow gewohnt, ganz allgemein minutiösen, meisterlichen Inszenierung und der detaillierten Nachzeichnung der Jagd auf Bin Laden nimmt "Zero Dark Thirty" vor allem aufgrund der gezeigten Arbeitsweisen der CIA für sich ein. Folter, Bestechung, das Verprassen unmäßiger Geldsummen und Arbeitsressourcen für eine reine Racheaktion, die auch noch jedwedes Menschenrecht mit Füßen tritt, demonstrieren nicht nur die erschreckend weitreichenden Befugnisse des Geheimdienstes als zusätzliche Macht im Staat, sondern regen prinzipiell zu neuerlichem Sinnieren über die Existenzberechtigung jener ja bereits seit ihren Anfängen im Kritikfokus stehenden Institution an. Letztlich wird die Exekution Bin Ladens - und um eine solche handelt es sich zumindest aus der Fimperspektive zweifelsohne - zu einem exemplarischen Vergeltungsakt, der nicht nur den Präsidenten und seine Nation zufriedener schlafen lassen, sondern vordringlich die US-feindlichen Bevölkerung der Welt warnen soll: "Legt euch nicht mit uns an, wir jagen, finden und töten euch!"
"Zero Dark Thirty" hält sich selbst relativ unpolitisch und gibt sich mit einer neutralen, wenngleich fesselnden Sektion der Ereignisse zufrieden. Die weibliche Hauptfigur bleibt weithin anonym; bis auf ihren Hang zu verbittertem Ehrgeiz und ihre Vorliebe für Energy Drinks und Fast Food erfährt man wenig bis gar nichts über sie. und dennoch verleiht die immens präsente Jessica Chastain ihr ein Gesicht, macht sie und das Sujet insgesamt etwas nahbarer und menschlicher.

9/10

Kathryn Bigelow Terrorismus 11. September CIA Pakistan Historie





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