Zum Inhalt wechseln


In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


Foto

PRIMARY COLORS (Mike Nichols/USA, UK, F, D, J 1998)


"He's poked his pecker in some sorry trash bins."

Primary Colors (Mit aller Macht) ~ USA/UK/F/D/J 1998
Directed By: Mike Nichols

Der Südstaaten-Gouverneur Jack Stanton (John Travolta) lässt sich für die Vorwahlen des demokratischen Präsidentschaftskandidaten aufstellen. Als seinen Wahlkampfleiter engagiert er vom Fleck weg den idealistischen Henry Burton (Adrian Lester), der in den nächsten Monaten einiges über Dreckbewurf und Skandalvertuschung in der US-Politik zu lernen hat.

Auch der politisch involvierte Mann hatte imit den Neunzigern ein großes Krisenjahrzehnt zu bewältigen. Analog zum Zigarrenfreund Bill Clinton mimte ein wahnsinnig guter John Travolta einen ergrauten Demokraten mit gesteigertem Hang zur Promiskuität, insbesondere in Bezug auf möglichst junge Probandinnen. Und ausgerechnet ein solcher Kerl soll in die Vorwahlen für die Position des mächtigsten Mannes der Welt, Verzeihung, der USA eintreten. Stellvertretend für den von Nichols stets gern wie eine ethologische Jungfrau behandelten Zuschauer muss der dynamisch-unbefleckte Jungspund Henry Burton herhalten, der Wohl und Wehe des Wahlkampfs kennen, lieben und hassen lernt. Die Kandidaten bekämpfen sich, trotz parteilicher Einigkeit, hinter den Kulissen bis aufs Blut, schädigen Reputationen oder tilgen wahlweise ganze Lebensläufe ohne mit der Wimper zu zucken. Die Bevölkerung nimmt derweil scheinbar nur das immerwährende Lügenkonstrükt zusammen mit einem breiten Zahnpasta-Lächeln wahr und lässt sich davon willfährig blenden wie von einem durchschaubaren Zaubertrick. "Ich bin vielleicht nicht die beste Alternative, aber die einzige," weiß Jack Stanton am Ende seine alles andere als weiße Weste zu kommentieren. Ob man ihm selbst in diesem Punkt noch zu glauben bereit ist, diesem schmierigen Lügenbold, Ehebrecher und Nadelstreifengangster, der selbst die Beerdigung einer infolge von politikverdrossenen Suizid umgekommenen Freundin (Kathy Bates) noch zur Wahlkampfveranstaltung macht, überlässt Nichols am Ende seinem einmal mehr zur Mündigkeit erzogenen Publikum. Ich zöge dann doch lieber die Drei.

7/10

Mike Nichols Politik Wahlkampf Südstaaten Satire


Foto

WOLF (Mike Nichols/USA 1994)


"What are you, the last civilized man?"

Wolf ~ USA 1994
Directed By: Mike Nichols

Während einer Firmenreise durch das verschneite, nächtliche Vermont wird der New Yorker Verlagsdirektor Will Randall (Jack Nicholson) von einem Wolf gebissen. Schon bald verbessert sich sein körperliches Befinden, verstärken sich seine Sinne, mobilisiert sich sein kompletter Charakter. Und Will steigt hinter die Kompromisslosigkeit seiner Mitmenschen. Einzig Laura Alden (Michelle Pfeiffer), die Tochter seines Chefs (Christopher Plummer), erweckt noch Gefühle in ihm. Als im Central Park jeweils am Morgen die ersten Leichen gefunden werden, beginnt Will sich aber doch Sorgen zu machen.

In seinem, von ein paar unpassenden Zeitlupeneffekten abgesehen, schönsten und intelligentesten Film seit "Carnal Knowledge" treibt Mike Nichols den in "Regarding Henry" eingeschlagen Weg der Mannsbild-Vivisektion zur Blüte. Es bedarf nämlich, so die These von "Wolf", einer Rückkehr zu den animalischen Urinstinkten, um als Vertreter jenes Geschlechts in den Neunzigern zu elementarer Authentizität zurückkehren zu können. Will Randall ist ein alter, müder und verweichlichter Typ Ende 50, den es kaum tangiert, dass sein schmieriger Arbeitskollege und selbsternannter Freund Stewart Swinton (brillant: James Spader) ihm nicht nur den Job wegnimmt, sondern ihn auch noch mit seiner Frau betrügt. Oder zumindest will er davon nichts wissen. Oder er ist schlicht zu phlegmatisch zur Bewältigung solcherlei Existenzkrisen. Will Randall hat aufgehört zu leben ohne tot zu sein. Erst jener mehr oder minder verhängnisvolle Wolfsbiss auf der nächtlichen Landstraße in New England bringt seine Lebensgeister zurück - um den Preis inflationär gesteigerter Haardichte zwar, aber deshalb keinesfalls unerfreulich. Mit dem verbesserten Ich-Gefühl einhergehend kommt auch seine berufliche Motivation zurück und seine sexuelle Virilität. Motivationstraining per Wolfsbiss; Raubtiereiweiss anstelle von Speed. Am Ende bleibt zwar nurmehr die Entscheidung zwischen einer vollkommenen Existenz als Mann oder Tier; diese beantwortet sich durch eine moralische Einladung jedoch von selbst. Außerdem wird Will sein künftiges, wölfisches Leben nicht allein führen müssen.

8/10

Mike Nichols New York Werwolf Duell Parabel


Foto

REGARDING HENRY (Mike Nichols/USA 1991)


"I can read!"

Regarding Henry (In Sachen Henry) ~ USA 1991
Directed By: Mike Nichols

Nachdem er bei einem Raubüberfall schwer verwundet wird, steht dem als besonders skrupellos berüchtigten New Yorker Rechtsanwalt Henry Turner (Harrison Ford) eine langwierige Rekonvaleszenz bevor: Auf den Entwicklungsstand eines Säuglings zurückkatapultiert muss er sich sämtliche Hirnfunktionen erst neu aneignen und wieder zu seiner Familie finden. Dabei zeigt sich im Laufe der Zeit, dass ein Neuanfang im Falle Henry Turners keinesfalls ein Fluch, sondern ein Segen ist.

Nach seinem losen Frauenfilm-Zyklus widmete sich Nichols ab den Neunzigern der Problematik des hoffnungslos rollenüberforderten Patriarchats. Die für soziale Erfolge unerlässliche Gratwanderung zwischen Softie und Oberarschloch zu beherrschen ist eben nicht jedem Vertreter unseres Geschlechts vergönnt. Auch Henry Turner nicht, der sich bereits vor langer Zeit für Ersteres entschieden hat, der zum Sprachrohr großkapitalistischer Interessen verkommen ist, der, wie man später erfährt, seine Frau betrügt und dessen putzige Tochter (Mikki Allen) ihm ein bloßer Klotz am Bein ist. Da ist der neue Esszimmertisch doch deutlich wichtiger! Doch dieses fleischgewordene Albtraumrelikt der Yuppie-Ära bekommt sogleich sein schicksalhaftes Fett weg: Raus aus der renommierten Kanzlei, ran an die Gehhilfe und aus dem sabbernden Säugling im Erwachsenenleibe gerinnt innerhalb der verbleibenden achtzig Filmminuten ein zwar nach wie vor re-infantilisierter, dafür aber umso geläuterterer Familiendaddy, ganz so, wie Amerika ihn möchte und braucht. Ein Softie nunmehr, mit Bettqualitäten freilich. Eigentlich seltsam, dass Robin Williams den nicht spielen durfte.
Zumindest der intelligente Nichols wählt bezüglich dieses fürchterlich kitschigen Stoffs die einzig probate aufrichtige Entscheidung: Einen fürchterlich kitschigen Film draus zu machen nämlich. Eine komplette Riege von stereotypen Abziehbildern (ganz schlimm: Bill Nunn als Onkel-Tom-Physiotherapeut) tanzt durch das vorhersehbare Geschehen wie durch ein Rodgers/Hammerstein-Musical, nur ohne Musik. Doch anstatt sich verzweifelt gegen die Klischiertheit dieses im Grunde genommen unmöglichen Stoffs zu stemmen und prätentiöses Kritikerkino zu machen, nutzt Nichols seine Ressourcen so gut es geht und macht seiner gesteigert verlustgefährdeten Reputation alle Ehre. Am Ende steht zwar ein etwas peinliches Filmmärchen mit Mentalitätsanleihen aus der Phantastik, das einen aber, wenn hier und da durch seine Hemmungslosigkeit auch unfreiwillig komisch, zumindest keine Millisekunde langweilt. Und allein das ist schon einen Asbach Uralt wert.

5/10

Mike Nichols Amnesie Behinderung Familie New York J.J. Abrams


Foto

LORD OF ILLUSIONS (Clive Barker/USA 1995)


"What about death?" - "It's an illusion."

Lord Of Illusions ~ USA 1995
Directed By: Clive Barker

Der New Yorker Privatdetektiv Harry D'Amour (Scott Bakula), der in seiner Praxis bereits eingehende Erfahrungen mit dem Übernatürlichen fesammelt hat, kommt nach L.A., um einen Fall von Veruntreuung aufzuklären. Bald schon gerät er jedoch an Dorothea (Famke Janssen), die Ehegattin des berühmten Illusionisten Philip Swann (Kevin J. O'Connor), die um Personenschutz für ihren Mann ersucht. Bei seiner abendlichen Vorstellung kommt Swann schließlich wegen einer Fehlplanung ums Leben. D'Amour untersucht die Umstände seines Todes und taucht ein in die seltsame Welt der Illusionisten und Magier, die oft selbst kaum gewahr ist, was Schein ist und was Sein. Zudem reformiert sich im Hintergrund eine radikale Sekte, die die Wiederankunft des "Puritaners" Nix (Daniel von Bargen), mit dessen gewaltsamem Tod vor dreizehn Jahren auch Swann und Dorothea in Zusammenhang stehen.

Nach seiner Kurzgeschichte "The Last Illusion", die zugleich so etwas wie den Abschluss seiner sechs "Books Of Blood" markiert, schrieb und inszenierte Clive Barker Mitte der Neunziger diesen Film um echte und vorgetäuschte Magie. Für die weit weniger schlüssig als die Originalstory arrangierte Adaption übernahm Barker lediglich die Namen und Charaktere von fünf Hauptfiguren (D'Amour, die Swanns, der undurchsichtige Valentin und der noch undurchsichtigere Butterfield sind bereits aus der Vorlage bekannt) und nutzte sie für ein wesentlich komplexeres Handlungsgeflecht: Die Figur Philip Swanns splittet sich im Film auf in den gleichnamigen Protagonisten und den unsterblichen Nix, der eine lose, aber umso treuere Glaubensgemeinschaft von Fanatikern um sich scharen kann. Dorothea Swanns Biographie und auch ihr Verhältnis zu ihrem Mann fällt nun deutlich konturiger aus, dazu kommt die Liebesgeschichte zwischen ihr und D'Amour und der veränderte Handlungsschauplatz Kalifornien. Leider entfällt dafür der "infernalische" Aspekt von "The Last Illusion", in dem sich zahlreiche, Cenobiten-ähnliche Dämonen tummeln, die Swann und dem Schnüffler ans Leder wollen. Andererseits stützt sich Barker in der Filmfassung auf überdeutliche, gewinnende Noir-Elemente, die "Lord Of Illusions" eine besondere stilistische Vielfalt angedeihen lassen. Ferner hatte Barker hier - anders als noch bei "Nightbreed" - nicht mit störenden Repressalien seitens der Produktion zu kämpfen, was man dem nicht sonderlich eingängigen, aber dennoch homogenen Resultat anmerkt.

8/10

Clive Barker Los Angeles neo noir Magie Hölle Sekte


Foto

POSTCARDS FROM THE EDGE (Mike Nichols/USA 1990)


"Go on and cry. You'll pee less, as my grandma used to say."

Postcards From The Edge (Grüße aus Hollywood) ~ USA 1990
Directed By: Mike Nichols

Nach einem überdosierten, lebensgefährlichen Medikamente-Cocktail muss der süchtigen Film-Aktrice Suzanne Vale (Meryl Streep) der Magen ausgepumpt werden. Für sie ein deutliches Signal, etwas zu ändern. Der folgende Aufenthalt in einer Suchtklinik bringt sie deutlich nach vorn, doch die Bewährungsproben, die das Leben in Form promisker Hollywood-Produzenten (Dennis Quaid) und vor allem in Person ihrer gelinde gesagt komplizierten Mutter (Shirley MacLaine) für sie bereithält, stellen erst die wahre Bewährungsprobe für Suzanne dar...

Basierend auf Carrie Fishers semibiographischem Roman und Script wandte sich Mike Nichols nach seinem völlig zu Unrecht untergegangenen, weil sehr sehenswerter Militärdramödie "Biloxi Blues" einem weiteren aufzuarbeitenden Frauenschicksal zu; wiederum mit der begnadeten Meryl Streep. Diese gibt die für sie ungewöhnliche Rolle einer drogensüchtigen Schauspielerin, also eine im Vergleich zu ihrer realen persona recht diametral angelegte Charakterstudie. Nachdem sie in "Ironweed" bereits eine Alkoholikerin darzustellen hatte, war sie auf diesem Terrain zumindest nicht mehr ganz unbeleckt. Den eigentlichen Nukleus der Geschichte bildet allerdings nicht so sehr die nach und nach in den Griff bekommene Medikamentensucht Suzanne Vales, sondern das schwierige Verhältnis zwischen ihr und ihrer Mutter, einem einstmals selbst gefeierten, welkenden Hollywoodstar, der wiederum mit zunehmender Altersverzweiflung dem Alkohol zuspricht und nicht einsehen will, das seine Zeit abgelaufen und reif für eine Beerbung ist. Fishers Erzählung, eine Spiegelung ihrer eigenen, von Schwierigkeiten geprägten Beziehung zu ihrer Mutter Debbie Reynolds (die sogar die entsprechende Rolle im Film spielen wollte, jedoch zu Gunsten MacLaines fallengelassen wurde) und Nichols' Inszenierung legen das Hauptaugenmerk auf ebendiesen Generationskonflikt sowie haufenweise mehr oder minder satirisch gefärbter Seitenhiebe gegen die faktisch menschenverachtende Filmindustrie. Während Ebert bemängelte, dass der Film die Chance verpasst, sich erschöpfend mit einer Suchtrekonvaleszenz auseinanderzusetzen, halte ich gerade dies für eine seiner Stärken inmitten des üblichen "Qualitätskino-Syndroms": Entgiftung, Entwöhnung, Entsagung kann man andernorts wesentlich authentischer und berührender dargestellt vorfinden als von einer für solche Fälle ohnehin eher ungeeigneten Streep. So läuft "Postcards From The Edge", abgesehen von mancherlei allzu sehr geglätteten Facetten, die mit Nichols ohnehin zunehmend domestizierter Art der Werkbearbeitung einhergehen, vornehmlich reibungslos.

7/10

Mike Nichols Carrie Fisher Hollywood Mutter-Tochter Drogen Alkohol Sucht Film im Film Kalifornien


Foto

DRIVE (Nicolas Winding Refn/USA 2011)


"There's no good sharks?"

Drive ~ USA 2011
Directed By: Nicolas Winding Refn

Ein Stuntman und nebenberuflicher Fluchtwagenfahrer (Ryan Gosling) übernimmt Verantwortung für eine benachbarte Familie, deren Vater Standard (Oscar Isaac) soeben aus dem Gefängnis entlassen wurde und gleich wieder in den kriminellen Sumpf gerät. Als der Driver erfährt, dass der bei einem Überfall erschossene Standard nur als Strohmann in einem aus dem Ruder geratenen Mafiakrieg fungiert, hält ihn nichts mehr zurück.

"Drive" schreibt sie fort, die wortkargen, urbanen Gangster-Mythen von Jean-Pierre Melville, Walter Hill und Michael Mann, unter passgenauer Nutzung und Ergänzung der mittlerweile bewährten, flächig-transzendenten und traum-haften Bildwelten Nicolas Winding Refns, die sich auch auf US-Terrain gleichsam faszinierend ausnehmen. Wieder einmal wird der Moloch Stadt, besonders das nächtliche Lichtteppich-L.A., zum inoffiziellen Protagonisten eines Gangsterfilms, denn "Drive" kann nur vor großstädtischer Kulisse zu seiner ganz speziellen, hochtourigen Form auflaufen, anderswo wäre er nicht nur uninteressant, sondern wohl geradezu redundant. Der schweig- und einsame Held, eine Art Jeff Costello des neuen Jahrtausends, markiert eine unergründliche Mischung aus pflichtbewusstem Profi und grenzautistischem Proleten, sein Bewusstsein wie alle Refn-Hauptcharaktere in fremden Sphären parkend und bei Bedarf zu einer unaufhaltsamen Killermaschine explodierend. Gosling spielt diese geradezu orakelhafte Figur mit bewundernswerter Gleichmut, irgendwo im Niemandsland zwischen Tranxilium und Ephedrin. Und wie nach jedem von Refns meisterlichen Filmen möchte man am Ende gar nicht raus, sondern am liebsten noch viel länger verweilen in seinem bizarren Universum aus entanonymisierter Zärtlichkeit, Gewalt und Kryptik.

9/10

Nicolas Winding Refn Los Angeles car chase Auto Stuntman Mafia


Foto

BILLY TWO HATS (Ted Kotcheff/USA 1974)


"You're old enough to be half as stupid."

Billy Two Hats (Begrabt die Wölfe in der Schlucht) ~ USA 1974
Directed By: Ted Kotcheff

Die beiden Bankräuber Arch Deans (Gregory Peck), ein schottischstämmiger, alternder Gentleman-Gauner, und sein Mündel Billy Two Hats (Desi Arnaz Jr.), ein junges Halbblut, fliehen vor dem fanatischen Sheriff Gifford (Jack Warden) durch die Wüste zur mexikanischen Grenze. Unterwegs bricht Deans sich ein Bein. Um sich ärztlich behandeln zu lassen, reist Deans, der sich als Rancher ausgibt, mit dem misogynen Rancher Spencer (John Pearce) per Karren in die nächste Stadt - unterwegs werden sie jedoch von einer Gruppe marodierender Apachen aufgehalten. Billy bendelt derweil mit Spencers junger, schüchterner Frau Esther (Sian Barbara Allen) an und Gifford kommt immer näher...

Abgesehen von "Old Gringo", in dem Peck fünfzehn Jahre später einen gealterten Ambrose Bierce verkörpern sollte, war "Billy Two Hats" sein letzter Western und gleichfalls nochmal ein kleiner, heute leider kaum mehr erinnerter Höhepunkt des Genres. Kotcheffs Film eignet sich nämlich durchweg zur Beweisführung, dass zumindest in der ersten Hälfte der Siebziger immer noch frisches Blut in den Adern dieser Filmgattung zirkulierte; wenngleich ihre vorrangigen Vertreter - so auch "Billy Two Hats" - nurmehr Abgesänge auf ein vorübergehend aussterbendes Mythenkonglomerat bildeten. Immerhin inspirierte genau dieses Paradoxon eine ordentliche Handvoll aufstrebender Filmemacher, ein paar letzte schöne bis exzellente Western zu liefern. "Billy Two Hats", von dem Kanadier Kotcheff in Israel gedreht, befasst sich mit einigen existenzialistischen Diskursen, die ihn ganz besonders symbolträchtig erscheinen lassen, darunter Fragen über Schuld, Sühne und ihren Wert in Zeiten blinder Intoleranz, über Rassismus und gesellschaftliche Dünkel. Die Medaille verkehrt ihre Seiten: Die Gauner begegnen uns als ausnehmend sympathische Helden und Identifikationsfiguren, die ehrbaren Gesellschaftsmitglieder als vorurteilsbehaftete Rassisten und Gewalttäter. Ganz gewiss kein allzu einfach zu entzerrendes Sujet für einen vordergründig an oberflächlicher Spannung interessierten Reißer.

9/10

Ted Kotcheff Norman Jewison Menschenjagd


Foto

SHOOT OUT (Henry Hathaway/USA 1971)


"Why did you come back?" - "Damned if I know."

Shoot Out (Abrechnung in Gun Hill) ~ USA 1971
Directed By: Henry Hathaway

Bevor der soeben aus dem Gefängnis entlassene Clay Lomax (Gregory Peck) seine schwelenden Rachegelüste an Sam Foley (James Gregory), jenem Mann, der ihn einst bei einem Banküberfall in den Rücken geschossen und den Behörden überlassen hat, um die Beute allein einzustreichen, abarbeiten kann, bekommt er noch ein kleines Mädchen aufs Auge gedrückt. Ob die kesse Decky (Dawn Lyn) wirklich seine Tochter ist, wird Lomax wohl nie erfahren, denn ihre Mutter hat bereits aufgrund ihres losen Lebensstils das Zeitliche segnen müssen. Jeder, dem Lomax Decky anvertrauen will, winkt ab - also bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich auf der Reise nach Gun Hill, wo Foley schon auf ihn wartet, selbst des kleinen Herzchens anzunehmen. Zeitgleich sind jedoch noch drei von Foley engagierte Outlaws (Robert F. Lyons, Pepe Serna, John Davis Chandler) parallel zu dem ungleichen Paar unterwegs - eine Konfrontation bleibt unausweichlich...

Profikino eines alten Routiniers. "Shoot Out" ist ein Herbstwestern, der den klassischen Westernhelden - mit kompromissloser Agilität von einem ergrauten Gregory Peck verkörpert - vor ungewohnte existenzielle Fragen stellt. Niederlassen und familiär werden oder dem ewigen, träumerischen Ideal des Gunslingers hinterherhecheln. Die nachfolgende Generation kriminellen Abschaums, allen voran der asoziale Bobby Jay Jones (Lyons) belehrt den anfangs noch zielstrebigen Lomax ebenso unbewusst wie zielsicher über seine Pensionierungsoptionen - heute hat das Kriminellsein keinerlei romantische Färbung mehr und noch weniger Stil. Stattdessen muss man sich mit rüpelhaftem Abschaum herumschlagen, der selbst vor der Folter an Kindern nicht zurückschreckt. Umso besser, dass Jones Lomax die eigentliche Drecksarbeit abnimmt und der durch ein ehrliches Duell als Sieger hinterbleibende Held endlich einem gesicherten Gnadenbrot als Patchwork-Familienvater entgegensehen kann. Dass Hathaway damit eine oftmals als solche gescholtene Variation von "True Grit" abgeliefert sein soll, ist barer Humbug. Dass hier zufällig ein alter Recke und ein junges Mädchen aufeinanderstoßen, mag zwar ein augenfälliger Zufall sein, aber es bleibt doch ein Zufall.
Schön!

8/10

Henry Hathaway Rache Herbst New Mexico


Foto

MACKENNA'S GOLD (J. Lee Thompson/USA 1969)


"Ai chihuahua."

Mackenna's Gold ~ USA 1969
Directed By: J. Lee Thompson

Während der Verfolgung einer marodierenden Banditengruppe um den Mexikaner Colorado (Omar Sharif) erschießt Marshal Mackenna den greisen Apachen Prairie Dog (Eduardo Cianelli), der eine alte Karte bei sich trägt, auf der der Weg zum legendären 'Canion del Oro' eingezeichnet ist. Hierbei handelt es sich um ein versteckt liegendes Tal, in dem angeblich tonnenweise Gold zu finden ist. Mackenna verbrennt die Karte nach Prairie Dogs tot, nicht ohne sie sich vorher einzuprägen. Als Colorado davon erfährt, überwältigt er Mackenna und zwingt ihn, ihm den Weg zum Tal des Goldes zu zeigen. Eine Bürgerabordnung des Städtchens Hadleyburg, bestehend aus durchweg gierigen Probanden, schließt sich ihnen an, derweil eine Kavallerie-Abordnung unter Sergeant Tibbs (Telly Savalas) die Verfolgung der Gruppe aufnimmt.

Ein seltsamer Western, den Thompson da hergestellt hat, trotz der prächtigen Schauplätze hässlich und trotz der gloriosen Besetzung armselig wirkend. Zumindest einige der visuellen Punkte lassen sich jedoch nachträglich aufklären: Geplant als bombastisches Super-Panavision-70-Spektakel von knapp drei Stunden Laufzeit und mit Ouverture und Intermission, bekam die Columbia angesichts des sich regenden New Hollywood kalte Füße, kürzte an vielen Stellen und ließ ausgerechnet diverse Landschsaftsszenen und Totalen als Sparmaßnahme auf 35mm drehen und später künstlich aufblasen. Das Ergebnis darf in formaler Hinsicht getrost als katastrophal bezeichnet werden.
Im Bestreben, eine Parabel über menschliche Gier und den sich ihrzufolge verändernden Charakter zu liefern, scheitert "Mackenna's Gold" in geradezu bombastischer Weise. So hat es gleich zu Beginn ein verirrtes "Targets"-Zitat, dargebracht von einem faktisch gänzlich redundanten Off-Erzähler (Victor Jory), etliche, peinlich schlechte Rückprojektionen bei Reiter-Closeups und einige miese Effekte mehr, die manchmal danach aussehen, als könne sich Thompson nicht ganz zwischen Western und Katastrophenfilm entscheiden. Das alles liest sich jetzt, als handle es sich bei "Mackenna's Gold" um einen furchtbar bescheidenen und rundum gescheiterten Film, doch auch das ist er nicht. Immer wieder hat es inmitten all der Konfusion lichte Momente von majestätischer Stilsicherheit, die ganz verschiedene Rückschlüsse zulassen auf das, was hinter den Kulissen falsch gelaufen sein könnte. Da gibt es die Szene, in der Edward G. Robinson als erblindeter Abenteurer seine Erlebnisse vom Goldtal erzählt, nachdem die übrigen Hadleyburg-Senioren (man lese und staune: Eli Wallach, Raymond Massey, Lee J. Cobb, Burgess Meredith und Anthony Quayle) eingeführt wurden, eine frivole Badeszene mit Julie Newmar oder die von geradezu eklektizistischem understatement getragenen Auftritte des dem Goldfieber verfallenen Telly Savalas. So stellt "Mackenna's Gold" am Ende trotz all seiner Schwächen für aufgeschlossene Genrefreunde noch immer eine bereichernde Erfahrung dar.

6/10

J. Lee Thompson Parabel Gold Indianer Arizona Kidnapping Militär


Foto

THE AVENGERS (Joss Whedon/USA 2012)


"Gentlemen, you're up!"

The Avengers ~ USA 2012
Directed By: Joss Whedon

Der abtrünnige Ase Loki (Tom Hiddleston) schließt eine Alllianz mit dem außerirdischen Volk der Chitauri um die Erde zu unterjochen. S.H.I.E.L.D.-Kopf Nick Fury (Samuel L. Jackson) ruft daraufhin seine bereits beigelegte "Avengers-Initiative" zurück ins Leben: Die größten Superhelden der Welt sollen sich zusammenschließen, um der interstellaren Gefahr zu begegnen. Nachdem die Grundkonstellation bestehend aus Tony Stark/Iron-Man (Robert Downey Jr.), Steve Rogers/Captain America (Chris Evans), Natasha Romanov/Black Widow (Scarlett Johansson) und Bruce Banner/Hulk (Mark Ruffalo) beieinander ist, stoßen später auch noch Lokis Stiefbruder und Donnergott Thor (Chris Hemsworth) sowie der zwischenzeitlich unter Lokis Einfluss stehende Clint Barton/Hawkeye (Jeremy Renner) hinzu. Nach einigen, den individuellen Dickköpfen geschuldeten Zwistigkeiten rafft man sich dann auch zusammen. Zwar kann der Gott der Lügen zunächst festgesetzt werden, später gelingt ihm jedoch der Ausbruch. Mithilfe des Tesserakts, den Loki von S.H.I.E.L.D. stiehlt, startet er inmitten von Manhattan die Invasion der Chitauri. Nun heißt es endlich: "Avengers assemble!"

Hätte man mir als Sechsjährigem gesagt, dass meine heißgeliebten "Rächer" irgendwann in Form eines solchen Spektakels im Kino zu sehen sein würden und mir vielleicht mittels einer magischen Kristallkugel noch einen Trailer des entsprechenden Films vorgeführt, ich hätte mein ganzes Leben auf diesen einen Tag hingefiebert. Damit nicht genug hatte ich gestern meine persönliche 3D-Premiere. Zu meinem höchsten Glück fehlte mir nurmehr ein permanenter Biernachschub, den ich mir verkniff, um die rechts von mir sitzenden Menschen nicht mit andauernden Gängen zu Verkaufstheke und Pissoir zu nerven. Man ist Mensch. Aber gut - so habe ich bei all der Aufregung wenigstens keine Sekunde dieses für mich ergo bereits biographisch betrachtet kostbaren Ereignisses versäumt. Um die 3D-Geschichte kurz zu halten und schnell zum Wesentlichen zu kommen: Ich hätte und werde auch in Zukunft sehr gut auf dieses Event-Gimmick verzichten können. Zwar bringt diese Brille-über-Brille-Geschichte ein paar nette affektive Begleiterscheinungen mit sich, die gewohnte, kernorientierte Perspektive jedoch wurde mir dadurch allzu sehr verwässert, so dass ich mich schon jetzt die Hände bezüglich des zweidimensionalen Wiedersehens in den heimischen vier Wänden reibe.
Was Joss Whedon nun in knapp zweieinhalb großzügig gefassten Stunden auf der Leinwand abfackelt, ist tatsächlich die Erfüllung generationsgeballter feuchter Jungs-Träume. Nach den diversen Solo-Abenteuern der bewussten Marvel-Helden, die ihre Sache allesamt in Ordnung bis gut machten, die jedoch zumindest sekundär in gewisser Weise und mit einer marketingtechnisch bis dato nie dagewesenen Cleverness zugleich zielgenau auf dieses Großereignis hinsteuerten, können die stolzesten, "ruhmreichsten" und vor allem mächtigsten Helden des Marvel-Universums nun endlich ihre Fusion feiern. Dabei werden lose Handlungsfäden und bisherige MacGuffins zu einem erstaunlich homogenen Ganzen verschmolzen und man zollt darüberhinaus jedem einzelnen Charakter, jeder singulären Figur sich hinreichend entfaltenden Tribut: Der bisher praktisch ausschließlich in Cameos zu begutachtende Nick Fury etwa kann nun endlich selbst in Aktion treten, die interessante Figur der Black Widow, neben Elektra Marvels größte Profikillerin, bekommt nach ihrem eher falben, ihr überhaupt nicht gerecht werdenden Auftritt in "Iron-Man 2" endlich Farbe und selbst Clint Barton, der bereits in "Thor" in starker Abweichung von der Vorlage als S.H.I.E.L.D.-Agent präsentiert wurde, darf nun Pfeile verschießen, dass es eine wahre Lust ist. Das Dialogscript gänzt mit einer geschliffenen Sprache, die in ihrer Mischung aus Verve und Fanboy-Orientierung pointiert ist wie kein anderes Blockbuster-Buch, dessen ich in den letzten Jahren gewahr wurde (wobei ich davon zugegebenermaßen auch immer weniger begutachte). Herrliche, veredelnde Cameos gibt es zu bewundern (von Jerzy Skolimowski beispielsweise; Harry Dean Stanton hat ein besonders witziges und der obligatorische Stan Lee konstatiert: "Superhelden in New York? Nun hören sie aber auf!"). Schließlich sind die bombastischen Effekte durchweg prachtvoll anzuschauen, und von wahrhaft atemberaubender Reife und Perfektion, ohne sich jemals der Filmseele überzuordnen. Mit Alan Silvestri hat man einen langedienten Komponisten bemüht, der für diese Art Kinoabenteuer wohl noch immer einen der Besten seiner Zunft abgeben dürfte.
In Zusammenfassung: Es gibt nichts, was an diesem durch die Bank stimmigem, sich selbst und seinen mannigfaltigen Wurzeln durchweg höchste Ehre machendem Super-Film nicht ineinander greift. Dass sich ganz am Ende, während des von einem neuen Soundgarden-Stücks flankierten Abspanns, noch der auf meinem Benutzerbild oben rechts zu bewundernde Herr Thanos die Ehre gibt und auf kommende Attraktionen hinweist, war da nurmehr ein postfinaler, letzter petite mort neben all den vorhergehenden.

10/10

Joss Whedon Marvel Superhelden Hulk Captain America Thor New York Götter Aliens Monster 3-D Stuttgart Militär Comic Iron Man





Filmtagebuch von...

Funxton

    Avanti, Popolo

  • Supermoderator
  • PIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIP
  • 8.268 Beiträge

Neuste Kommentare