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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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25TH HOUR (Spike Lee/USA 2002)


"Shit, Mr. Brogan! I do believe you're fucked royally! Shiiit!"

25th Hour (25 Stunden) ~ USA 2002
Directed By: Spike Lee

Wie verbringt man seine letzten Stunden in Freiheit vor einer in unmittelbarem Anschluss zu verbüßenden, siebenjährigen Haftstrafe? Der New Yorker Monty Grogan (Edward Norton) entscheidet sich für Grundsätzliches: Ein letzter Spaziergang mit dem geliebten Hund am Hudson, ein letztes gutes Steak mit dem Vater (Brian Cox), eine letzte nächtliche Sause mit den zwei besten Freunden (Barry Pepper, Philip Seymour Hoffman). Dazu die quälende Frage danach, wer Monty nun eigentlich auflaufen lassen und dafür gesorgt hat, dass die Cops in seiner Wohnung kiloweise Heroin und Bargeld finden konnten? Womöglich Montys Freundin Naturelle (Rosario Dawson)? Am Ende ist selbst die Beantwortung dieses Problems jedoch nurmehr peripher: Monty geht ins Gefängnis, und das zu Recht. Danach, das weiß er, wird er als gebrochener Mann zurückkeheren. Auch Hypothesen und Träume über eine mögliche Flucht gen Westen retten ihn nicht vor dem Unausweichlichen.

Mit "25th Hour" und eigentlich bereits mit dem zuvor inszenierten "Summer Of Sam" erreichte Spike Lee eine Art künstlerische 'new adulthood'. Urplötzlich wurden jetzt Geschichten von Menschen erzählt, weitestgehend unabhängig von Hautfarbe oder Ethnie, in denen allein die Figuren und ihre Geschicke im Zentrum stehen und kein pädagogische oder sozialkritische Kampfschrift. "25th Hour" ist bestenfalls über die Form sowie bekannte inszenatorische trademarks und/oder Manierismen als originäres Spike-Lee-Werk identifizierbar, ansonsten handelt es sich primär um das Werk eines klugen und eben erwachsenen Filmemachers. Terence Blanchard hat vielleicht seinen schönsten Score für einen Lee-Film komponiert, Klänge des Abschieds, versetzt mit bleierner Traurigkeit. Ein Einzug ins Gefängnis, das weiß Monty Brogan, ist für ihn vergleichbar mit einem Trip in die neunte Hölle. Als bürgerlich erzogener, gut aussehender Frühdreißiger, das ist ihm durchweg bewusst, werden ihn hier unweigerlich psychischer und physischer Terror, Misshandlung und Vergewaltigung in Empfang nehmen. Letzten Endes bleiben nurmehr der nachhaltige Bruch der Seele oder Selbstmord als Alternativen. "25th Hour" stellt somit gewissermaßen auch die Chronik eines angekündigten Todes dar. Dabei vegetieren auch Montys aus demselben Milieu stammende Freunde jenseits der Dreißig im Prinzip vor sich hin: Frank (Pepper) hat als Broker einen völlig amoralischen Job und ist längst von Zynismus und Sexismus vereinnahmt; Jacob (Hoffman) ist ein dicklicher, einsamer Literaturlehrer, einer kessen, etwa halb so alten Schülerin (Anna Paquin) verfallen. Wo Monty sie zumindest als guter Freund und Ratgeber stützen konnte, entfällt mit seiner baldigen Absenz auch bei ihnen eine existenzielle Konstante.
Schließlich markiert "25th Hour" innerhalb von Lees Œuvre auch jenes Nine-Eleven-Epos, das sich viele New Yorker Filmemacher zu Beginn des Jahrtausends schuldig waren. Der Ground Zero liegt gut einsehbar vor Franks Hochhausapartment wie ein gigantisches Mahnmal aus Schutt, in dem selbst nach Sonnenuntergang die Arbeiter noch damit beschäftigt sind, für Ordnung zu sorgen. Sicherlich ist dieses Bild auch dazu anetan, Trost zu spenden, weiß man doch, dass dem Naturgesetz des Zyklus zufolge hinter jedem Ende gleichfalls ein Anfang wartet. Dennoch ist jenes Ende zunächst mal schwer zu verdauen. Wie Lees tadelloser Film.

10/10

Spike Lee David Benioff New York Nacht Hund Drogen Nine-Eleven


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GET ON THE BUS (Spike Lee/USA 1996)


"Oh my God, a gay black republican. Now I've seen everything!"

Get On The Bus (Auf engstem Raum) ~ USA 1996
Directed By: Spike Lee

Im Oktober 95 machen sich knapp zwanzig schwarze Männer aus L.A. auf, mit dem Bus zum 'Million Man March' nach Washington D.C. zu fahren. Schon auf den ersten paar Kilometern entpuppt sich die Gruppe als von höchster Heterogenität geprägt. Da gibt es etwa einen erst spät zu seiner Verantwortung findenen Vater (Tom Byrd), der seinen delinquenten, minderjährigen und auf Freigang befindlichen Sohnemann (De'aundre Bonds) unfreiwillig und per Handschellen nach D.C. führt, einen wegen seiner weißen Mutter besonders hellhäutigen, in South-Central tätigen Polizisten (Roger Guenveur Smith), einen großmäuligen Schauspieler (Andre Braugher), einen alten Mann (Ossie Davis) auf der Suche nach Erlösung oder ein schwules Paar (Harry Lennix, Isaiah Washington). Konflikte sind vorprogrammiert, doch am Ende findet man sich geeint und bereit für einen Neuanfang.

Bereits das Deckelthema dieses Lee-Films ist grundsätzlich überaus kritisch zu beäugen: Der 1995 in Washington D.C. stattgefundene Million Man March, bei dem zwar diverse Bürgerrechtsbewegungen zugegen waren, deren eigentliche Initiatoren jedoch der rassistische "Nation Of Islam" und nominell ihr Vorreiter Louis Farrakhan waren. Farrakhan ist ja eine freundlich ausgedrückt "schillernde" Persönlichkeit, die immer wieder durch Sympathien zu afrikanischen Diktatoren wie Gaddafi und Mugabe wie auch durch harsche antisemitische Bemerkungen auffiel. Zum Million Man March waren ausschließlich schwarze Männer eingeladen, Frauen hätten dort laut Farrakhan (wenngleich es auch Rednerinnen gab) nichts verloren gehabt, weiße Männer noch weniger. Bis heute predigt Farrakhan die strenge Separierung der Hautfarben. Ein solches, durchaus fragwürdiges und humanistisch völlig überkommenes Ereignis als leuchtende, symbolische Fackel für die Handlung eines Films zu wählen, ist gelinde ausgedrückt 'mutig'. Doch Lee begnügt sich nicht mit plakativer Meinungsmache: Er lässt kritischen Einwürfen, um die es im Film dann letztlich sogar geht, allen nötigen Platz, wenn er sich auch gewisse Inkonsequenzen leistet. Nicht alle angeschnittenen Diskurse, darunter der, warum Frauen dem Million Man March fernbleiben sollten, finden zu einer befriedigenden Lösung und am Ende wird es dann auf geradezu aggressive Weise pathetisch. Und der weiße, jüdische Busfahrer (Richard Belzer)? Der steigt natürlich aus, schließlich könne "man von einem schwarzen Kollegen auch kaum erwarten, dass der eine Horde weißer Ritter zu einer Ku-Klux-Klan-Versammlung fahre". Lees regelmäßig zutage tretender Tunnelblick und seine ewige, bevormundende Didaktik stoßen hier manches Mal wirklich an kaum mehr erträgliche Grenzen. Insgesamt überwiegen glücklicherweise noch die qualitativ positiv zu wertenden Aspekte, Lees wie gewohnt kunstvolle, schöne Inszenierung und einige wirklich erfrischende Szenen, etwa, wenn die Männer sich die Zeit für eine von Ossie Davis initiierte, kurze Percussion-Jamsession nehmen. Dennoch nachgerade kein Film für jemanden, der mit Spike Lee neue Freundschaft schließen möchte.

6/10

Spike Lee Road Movie Südstaaten Freundschaft Ensemblefilm Rassismus Homosexualität Misogynie Islam


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CLOCKERS (Spike Lee/USA 1995)


"If God created anything better than crack cocaine he kept that shit for hisself."

Clockers ~ USA 1995
Directed By: Spike Lee

Der in den Nelson-Mandela-Projects in Brooklyn wohnende, junge Strike (Mekhi Phifer) ist ein 'Clocker', was bedeutet, dass er als Teil eines großen Pushernetzwerks Crack für den kompromisslosen Großdealer Rodney (Delroy Lindo) vertickt, eine Art ungekrönten König der Projects. Weil das Pushen auf der Straße Strike zunehmend stresst und Nerven kostet - er leidet trotz seines Alters bereits an einem hefigen Magengeschwür - sehnt er sich nach einer etwas ruhigeren Position. Rodney sichert ihm diese zu - als Geschäftsführer einer örtlichen Burgerbude, die wiederum als Tarnung für Rodneys Crackgeschäfte fungiert. Der einzige Haken besteht darin, dass Strike zuvor den bisherigen Filialchef (Steve White) umlegen muss. Nach dessen gewaltsamem Ableben wird der Cop Klein (Harvey Keitel) auf Strike aufmerksam, muss jedoch Strikes sich zu der Tat bekennenden Bruder Victor (Isaiah Washington) in Gewahrsam nehmen. Für Strike wird derweil die Situation auf der Straße immer brenzliger: Nicht nur, dass Klein ihn permanent aufsucht und öffentlich verhört, es sitzen ihm auch noch der um seine Freiheit fürchtende Rodney, der verrückte Killer Errol (Tom Byrd) und der Streifenpolizist André (Keith David) im Nacken...

Nachdem zunächst Martin Scorsese Richard Prices ursprünglich in der Bronx angesiedelten Roman verfilmen wollte, sich dann aber dem ambitionierten Gangsterepos "Casino" widmete, übernahm Spike Lee die Inszenierung und Scorsese blieb immerhin als Co-Produzent an Bord. Lee macht aus der komplexen Geschichte mit zwei gleichberechtigten Protagonisten ein sozial engagiertes Brooklyn-Porträt, das zeigt, wie die gegenwärtige afroamerikanische Gemeinde sich dank gewissenloser Verbrecher wie Rodney Little selbst auffrisst. Dem berüchtigten Rattenfänger gleich schart Rodney, der als legale Fassade eine kleine Trinkhalle besitzt, zunächst sämtliche farbigen Jungs des Viertels über zehn Jahren um sich, beschäftigt sie für ein Taschengeld und kleine Geschenke, um sie dann ein paar Jahre wie eine fette Spinne später als 'Clockers' in sein komplexes Dealernetz einzuflechten. Strike ist eines der Opfer Rodneys und wandelt damit permanent auf Messers Schneide. Mittlerweile ist er jedoch alt genug, um seine gefährliche Situation zu realisieren - und die Sackgasse, in der er sich befindet. Doch der Strudel hat bereits einen zu hohen Sog entwickelt: Strike zieht seinen älteren Bruder Vic, einen eigentlich ehrbaren und besonnenen Familienvater sowie den ihn anhimmelnden kleinen Shorty (Peewee Love) mit in den Abgrund. Seine letzte Chance besteht schließlich in einer Flucht ohne Rückfahrkarte.
Eine von Lees vordringlichen Stärken besteht in der Inszenierung von Charakteren. Mit wenigen Ausnahmen ist Mekhi Phifer fast in jeder Szene des Films zu sehen und hinter dem vordergründig bildungsfernen ghetto kid entspinnt sich langsam das Bild eines ebenso komplexen wie bemitleidenswerten jungen Mannes. Ähnliches gilt auch für die interessanten Nebenfiguren wie den am amerikanischen Albtraum partizipierenden, ebenso charismatischen wie furchteinflößenden Rodney (Delroy Lindo in seiner stärksten Rolle) oder den Strike im Roman glreichgesetzten Rocco Klein, von Keitel in der ihm wie üblich zukommenden, coolen Art und Weise interpretiert. Hinzu kommen eine mit Farbfilter und hoher Körnigkeit "beschwerte" Photographie, die "Clockers" grandios-satte Bilder beschert sowie einige sich niemals abnutzende, herrliche Regieeinfälle wie etwa die brillante visuelle Vermischung von Verhör und Zeugenerinnerung, bekannt aus Fleischers "The Boston Strangler" oder Lees mittlerweile zum Markenzeichen avancierender, personenzentrierter Dollyshot, den man aus "Mean Streets" kennt.
Wiederum ein grandioser Joint.

9/10

Spike Lee New York Drogen Crack Martin Scorsese Richard Price


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CROOKLYN (Spike Lee/USA 1994)


"I ain't in this. Leave me out of this."

Crooklyn ~ USA 1994
Directed By: Spike Lee

Die neunjährige Troy Carmichael (Zelda Harris) erlebt in den siebziger Jahren einen turbulenten Sommer in ihrer Brooklyner Nachbarschaft: Gegen ihre vier Brüder (Carlton Williams, Sharif Rashed, Tse-Mach Washington, Christopher Knowings), drei davon älter als sie, behauptet sie sich, so gut es eben geht, die Mädels aus der Gegend stiften sie zu allerlei Blödsinn an und ihre Eltern (Delroy Lindo, Alfre Woodward) durchleben eine schwere Krise, die vor allem auf die kompromisslos-bohemische Lebenseinstellung ihres Dads zurückzuführen ist. Die letzten Wochen des Sommers muss Troy, obwohl sie überhaupt keine Lust dazu hat, bei ihrem Onkel Clem (Norman Matlock) und ihrer angeheirateten Tante Song (Frances Foster) in Georgia verbringen. Als sie zurückkommt, liegt ihre an Krebs erkrankte Mutter bereits im Sterben. Der Sommer endet für Troy, nunmehr zehn Jahre alt, mit ihr als einziger Frau in der Familie.

Einer der schönsten Coming-of-Age-Filme, die ich kenne, sozusagen das New-Yorker-Seventies-Äquivalent zu Harper Lees "To Kill A Mockingbird". Von Spike Lee und seinen zwei Geschwistern Cinqué und Joie gescriptet, ist "Crooklyn" die stark autobiographisch gefärbte Story einer Kindheit in Brooklyn, gleichermaßen lebensnah und warmherzig, so lustig wie traurig, gleichsam behütet und geprägt von den sich in Form mieser Gluesniffer und Kleinkriminalität ihren Weg in die kindliche Wahrnehmung erschleichen Abgründen des Lebens. Eine Liebeserklärung auch an die Turbulenzen innerhalb der Familie und das entsprechende Krisenmanagement, dazu erste Begegnungen mit und Behauptung gegenüber der Fremde und schließlich die Konfrontation mit dem Unausweichlichen. Dabei berichtet "Crooklyn" seine Geschichte aus der Sicht der kleinen Troy, die, von den Kids aus der Nachbarschaft scherzhaft 'Troy The Boy' genannt, schon früh das Weinen verlernt. Anders als ihre manches kindische Jammertal durchschreitenden Brüder neigt Troy dazu, ihren Ärger wahlweise herunterzuschlucken oder via ungefilterter Aggression nach außen zu transportieren. Das macht sie stark und hart, aber auch bedauernswert unfähig, ihre Trauer auszuleben. Ihren Aufenthalt bei den leicht durchschossenen Verwandten im Süden, bei der geradezu reizend beknackten Tante Song und ihrer zwar älteren, aber zugleich deutlich angepassteren Cousine Viola (Patriece Nelson) empfindet Troy als nachhaltig verquer. Lee pronociert diese Wahrnehmung formal durch die Nichtentzerrung eines anamorphotisch aufgenommenen Bildes, was zur Folge hat, dass das Bild zur Mitte hin extrem gestaucht wird und diverse Kinogänger, Vorführer und Videonutzer dachten, ihre Kopie wäre im Eimer. Die Kritik reagierte auf diesen unangekündigte stilistische Zäsur unverständig bis ablehnend - nicht ganz zu Unrecht vermutlich. Aber Experimentierfreude jedweder Kuleur soll man ja grundsätzlich gelten lassen. Am Ende findet Troy dann, zurück in Brooklyn und im regulierten Bildformat, ihre neue Rolle als Kraftkleber für die krisenanfällige Familie Carmichael. Offenbar war Lees Schwester Joie, die als Troys Tante auch einen kleinen Nebenpart ausfüllt, die treibende narrative Kraft hinter "Crooklyn". Sie erhält eine geradezu bezaubernde Entsprechung in der zum Drehzeitpunkt tatsächlich erst acht Jahre alten, eine geradezu vortreffliche Kinderdarstellung gebenden Zelda Harris. Dazu eine perfekt kompilierte Songauswahl und fertig ist ein - wenn auch künstlerisch nicht stets zur Gänze ausbalancierter - Prachtfilm.

10/10

Spike Lee New York Jazz Kinder Familie Ehe Ensemblefilm Sommer Krebs period piece Coming of Age


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MALCOLM X (Spike Lee/USA 1992)


"That's too much power for one man to have."

Malcolm X ~ USA 1992
Directed By: Spike Lee

Nach einer "Karriere" als schmieriger Kleingangster in den vierziger Jahren, die Glücksspiel, Prostitution, Drogen und Raubüberfälle beinhaltet, landet der farbige Malcolm Little (Denzel Washington) im Gefängnis. Dort lernt er von seinem Mitinsassen Baines (Albert Hall), sich seiner schwarzen Identität bewusst zu werden und sich vom "weißen Teufel" zu emanzipieren. Malcolm konvertiert zur Sekte 'Nation Of Islam', bildet sich autodidaktisch und wird nach seiner Freilassung zu einem der Minister des Islamistenführers Elijah Muhammad (Al Freeman jr.). Als solcher predigt er mit riesiger Öffentlichkeitswirkung innerhalb der schwarzen Gemeinde die strenge Separation der Hautfarben, etabliert sich als "kultivierter Rassist" und hetzt zugleich gegen pazifistisch-christliche Bürgerrechtler wie Martin Luther King. Erst, als er die Nation Of Islam als das erkennt, was sie ist, nämlich eine bessere Gangsterclique mit mafiösen Strukturen, gelingt Malcolm, der sich nunmehr 'Malcolm X' nennt, der Ausstieg. Von nun an steht er für sich selbst und schlägt nach seiner Hadj einen deutlich gemäßigten Kurs ein, der auch ein funktionales Zusammenleben von schwarz und weiß beinhaltet. Im Februar 1965 verüben seine ehemaligen Genossen einen öffentlichen Anschlag auf ihn, der mit Malcolm X' Tod infolge von 21 Schussverletzungen endet.

Spike Lees ehrgeiziges Mammutwerk über den brillanten Vordenker Malcolm X ist das Resultat einer illustren Entstehungsgeschichte. Nachdem Lee von dem Projekt erfahren hatte, riss er zunächst die ursprünglich bei Norman Jewison liegende Inszenierung (mit dessen Absegnung) an sich, überarbeitete das Script und wurde damit bei den Warner-Bros.-Executives vorstellig unter der klaren Ansage, einen überlangen, teuren Film ohne künstlerische Kompromisse erstellen zu wollen. Als ihm dann während der besonders langwierigen Post-Production der Geldhahn abgedreht wurde, wandte Lee sich an diverse prominente farbige Zeitgenossen von Bill Cosby über Oprah Winfrey bis hin zu Prince, Michael Jordan und Magic Johnson, die ihm die letzten nötigen Milliönchen zubutterten und so die Fertigstellung des Werkes ermöglichten.
"Malcolm X" ist ein ebenso mitreißend wie mustergültig gefertigtes Biopic über eine der vordringlichen US-Persönlichkeiten des letzten Jahrhunderts, ganz nach Lees üblichen Spezifika sehr didaktisch, pädagogisch und selbstverliebt inszeniert, zugleich aber auch voller berechtigter Selbstsichehrheit und Bewunderung für seine Hauptfigur. Am Ende zeigt Lee Nelson Mandela, der X vor einer südafrikanischen Schulklasse rezitiert. Der poltisch verschärfte, finale Ausspruch "By all means necessary" bleibt jedoch einem von mehreren Originaleinspielern vorbehalten. Die Glaubwürdigkeit von Malcolms zögerlicher und umwegsträchtiger Wandlung vom Saulus zum Paulus, von Little zu X, ist zudem der anbetungswürdigen Könnerschaft Denzel Washingtons zu verdanken. Martin Scorsese bezeichnet Washingtons Performance als "eine der besten Darstellungen im amerikanischen Film des 20. Jahrhunderts", eine dehnbare Kategorisierung womöglich, aber unübersehbar zutreffend. So ist dies nicht allein ein großer Autoren-, sondern auch ein großer Schauspielerfilm.

9/10

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DEAD OF NIGHT (Bob Clark/CA, UK 1974)


"This is the Andy I used to know."

Dead Of Night ~ CA/UK 1974
Directed By: Bob Clark

Zwei Tage, nachdem sie die Nachricht vom Kriegstod ihres Sohnes Andy (Richard Backus) erhalten hat, staunt die Familie Brooks nicht schlecht: Andy steht, scheinbar gesund und wohlauf, nächtens vor ihrer Tür. Doch es dauert nicht lange, da entpuppt sich Andy als keineswegs beieinander: Er reagiert zunehmend aggressiv auf bestimmte Gesprächsthemen, tötet den kleinen Familienhund und hat darüberhinaus bereits einen Trucker (David Gawlikowski) auf dem Gewissen. Der Nächste ist der Arzt und Familienfreund Dr. Allman (Henderson Forsythe). Andy beginnt derweil, körperlich zu verfallen und braucht Blut, um weiter"leben" zu können. Auf seine Eltern (John Marley, Lynn Carlin) wartet angesichts der Realisierung von Andys schrecklicher Veränderung nurmehr Verzweiflung und Tod.

Eine finstere Allegorie zum literarischen Topos 'Rückkehr des verlorenen Sohnes', dabei von diversen literarischen Vorbildern wie den short stories Jacobs' "The Monkey's Paw" oder Buzzatis "Il Mantello" beeinflusst, die ebenfalls ein anderes Wiedersehen mit dem einstweilen Verschollenen schildern als das familiäre / elterliche Umfeld es sich erhoffte. "Dead Of Night" entpuppt sich dabei als durchaus vielschichtig: Nicht nur greift er als einer der ersten Filme die traumatischen Erfahrungswelten der Vietnamheimkehrer auf und verwandelt sie in eine symbolische Bildsprache, es ist auch die Geschichte einer über alle Barrieren hinweg bestehenden Mutter-Sohn-Beziehung. Tatsächlich sind es die telepathisch vernommen Wünsche seiner Mutter, die es Andy Brooks verwehren, ins Jenseits einzukehren (dass er tatsächlich lieber ohne Umweg dorthin gegangen wäre, beweist sein am Ende von ihm selbst geschaufeltes Grab), ebenso wie Christine Brooks sich wider allen besseren Wissens ihren zum Monster gewordenen Sohn aufzugeben oder der Staatsgewalt zu überlassen. Der Patriarch jagt sich derweil eine Kugel durch den Schädel, weil er die schreckliche Gewissheit nicht verarbeiten kann. "Du schuldest mir das, was ich für dich gegeben habe", sagt Andy zu dem Arzt Dr. Allman, bevor er diesen mit einer Spritze niedersticht, um sich hernach dessen warmes Blut zu injizieren und bringt damit die Empörung einer ganzen verlorenen Generation auf den Punkt.

8/10

Bob Clark Vietnamkrieg Vampire Familie Veteran


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LITTLE DIETER NEEDS TO FLY (Werner Herzog/D, UK, F 1998)


"Only dead people are heroes."

Little Dieter Needs To Fly (Flucht aus Laos) ~ D/UK/F 1998
Directed By: Werner Herzog

Werner Herzog berichtet in vier fesselnden Kapiteln über den Schwarzwälder Dieter Dengler, der mit achtzehn Jahren in die USA ausgewandert ist, um sich dort nach einigen Umwegen von der Airforce als Pilot ausbilden zu lassen. 1965 fliegt Dengler einen Bomber über Laos, wird abgeschossen und gerät in die Gefangenschaft des Vietcong, aus der er fliehen und nach einer entbehrungsreichen Reise durch den Dschungel gerettet werden kann. Dengler erzählt von teils haarsträubenden Situationen und seinen sich oftmals dem Tode nähernden Erfahrungen mit einer fast ungerührt wirkenden Gelassenheit, die nur selzen durchbrochen wird. Bei der Nachstellung einer authentischen Episode, im Zuge derer ihn der Vietcong durch den laotioschen Dschunel hin zu seinem Lager getrieben hat, rührt sich kaum ein Muskel in seinem Gesicht, aber er versichert, dass sein Puls kurz vorm Explodieren sei. Ibn welchem Maße seine für Außenstehende kaum greifbaren Erinnerungen bis in die Gegenwart an ihm zehren, äußert sich darüberhinaus in kleinen alltäglichen Sonderbarkeiten, die wohl nur jemand begreifen kann, der ein Leben wie das Denglers gelebt hat: Er hat beispielsweise ein besonderes Faible dafür, Türen zu öffnen und zu schließen, weil ihm dies während seiner Gefangenschaft verwehrt blieb und hortet in einem Versteck unter seiner Speisekammer gallonenweise haltbare Lebensmittel mit dem zugleich formulierten Hinweis, dass er sie vermutlich niemals brauche, sich aber mit ihrem Besitz ganz einfach sicherer fühle. Wenn Dengler erzählt, dann tut er dies in einer ähnlich sonoren Stimmlage wie Herzog, was bereits eine abstrakte personale Verbindung zwischen den beiden Männern signalisiert. Herzog hat das Thema ja auch nicht losgelassen; fünf Jahre nach Denglers Tod inszenierte er mit "Rescue Dawn" noch einen Spielfilm über die Erlebnisse des Piloten in Südostasien.

9/10

Werner Herzog Vietnamkrieg Schwarzwald Thailand Laos Kalifornien POW Veteran Fliegerei


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NOVECENTO (Bernardo Bertolucci/I 1976)


Zitat entfällt.

Novecento (1900) ~ I 1976
Directed By: Bernardo Bertolucci

Um 1890 wird den zwei alten Patriarchen Alfredo Berlingheri (Burt Lancaster) - Großgrundbesitzer eines Landguts in der Emilia-Romagna - und Leo Dalcò (Sterling Hayden) - Berlingheris Verwalter und Vorabeiter - zur selben Stunde jeweils ein Enkel geboren. Als Kinder sind Alfredo (Paolo Pavesi) und Olmo (Roberto Maccanti) so gut befreundet, wie es der sie umgebende Standesdünkel gerade eben zulässt, ihre Jugend trennt sie jedoch vorübergehgend. Als Olmo (Gerard Depardieu) als Kriegsveteran auf den Hof zurückkehrt, findet er den opportunistischen und sich später als bösartig gewalttätig entpuppenden Attila (Donald Sutherland) als neuen Vormann. Alfredo (Robert De Niro) ist derweil Offizier geworden, ohne je in den Krieg ziehen zu müssen. Beide lernen eine Frau kennen. Olmos geliebte Anita (Stafania Sandrelli) stirbt bei der Geburt seiner Tochter, Alfredo heiratet seine Ada (Domique Sanda), doch Hochzeit und Ehe sind überschattet von Blut, Lügen und Alfredos ewiger Zauderei. Als viele Jahre später - Ada hat Alfredo längst verlassen und Olmo musste wegen einer Beleidigung des mittlerweile zu einem Schwarzhemd-Protagonisten gewordenen Attila fliehen, der Faschismus aus dem Land wird und eine sozialistischze Übergangsregierung gebildet wird, taucht Olmo wieder auf und macht seinem alten Freund Alfredo, nunmehr seiner hochherrschaftlichen Stellung enthoben, den Femeprozess.

Bertoluccis gewaltiges Porträt des Aufkeimen und Niederschlagen des italienischen Faschismus vor dem vergleichsweise intimen Hintergrund zweier ungleicher Freunde ist bis heute ein herausragendes Beispiel für kontroverses Filmemachen. Wegen einiger mitunter nicht immer geschmackssicherer Zeigefreudigkeiten gerügt und sogar gehasst, von Bertolucci, seit 68 KPI-Mitglied, als kommunistisches Manifest deklariert (was freilich in sich beißendem Widerspruch zur teuren Produktion und ausstatterischen Pracht des Filmes steht) und aufgrund vieler kleinerer und größerer Mäkel stets aus allen Winkeln heraus kritisiert, scheint "Novecento" bis heute keine wirklichen Freunde gefunden zu haben. Ich sehe mir den Film alle paar Jahre dennoch sehr gern an, wenn Muße, Zeit und Entspannung es mir gestatten. In grob vier Akte, die den Jahreszeiten zugeordnet sind, aufgeteilt, entspannt sich die wahre Komplexität des monströsen Werkes tatsächlich immer wieder erst mit ein paar Tagen Abstand. Dann vergesse ich die drei, vier visuellen Anstößigkeiten des Films, die einen im Zuge der Betrachtung noch durchaus auf Trab halten, und wende mich retrospektiv dem Gesamtbild zu; - jenes schlicht ein Beispiel für brillantes Filmemachen. Mit aller gebotenen Eleganz nähert sich Bertolucci seiner schwierig aufzuzäumenden Protagonisten-Dublone und nimmt sich ganz einfach die Zeit, die Charakterentwicklung der beiden Männer nicht per Holzhammer einzupflanzen, sondern sie sich entwickeln und reifen zu lassen. Episoden, Anekdoten, Wichtigeres und Unwichtigeres - am Ende fällt man tatsächlich kurz der Illusion anheim, Zeuge zweier Leben geworden zu sein, Ismen hin oder her. Und darin liegt das wahre Verdienst Bertoluccis und seines Films, der eigentlich eher filmgewordene Weltliteratur repräsentiert.

9/10

period piece Freundschaft Biopic Faschismus Italien Emilia-Romagna Kommunismus Skandalfilm


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BATMAN: MASK OF THE PHANTASM (Eric Radomski, Bruce W. Timm/USA 1993)


"Sal Valestra, your Angel of Death awaits."

Batman: Mask Of The Phantasm (Batman und das Phantom) ~ USA 1993
Directed By: Eric Radomski/Bruce W. Timm

Als Batman sieht sich Bruce Wayne mit einem neuen, tödlichen Gegner konfrontiert, dem "Phantom". Dieses schickt mehrere alternde Mobster ins Jenseits, bevor Batman sein wahres Geheimnis lüften kann. Parallel dazu taucht nach vielen Jahren Bruces alte Liebe Andrea Beaumont wieder in Gotham auf und verdreht ihm erneut den Kopf.

Parallel zur damals bei Fans wie bei Neueinsteigern wie eine Bombe einschlagenden Animated-TV-Serie gab es dieses ersten abendfüllenden Trickfilm fürs Kino. Meisterlich in Umsetzung und Stil, mit multiplen künstlerischen Einflüssen von Will Eisner bis Jugendstil und Art Déco und voll von gepflegt-unaufdringlichen Reverenzen an die Comichistorie Batmans, bildete "Mask Of The Phantasm" wiederum nicht nur für eingefleischte Liebhaber etwas ganz Besonderes. Er emanzipierte zugleich die Protagonisten des Animated-Universums als Neuinstallationen in ihrer eigenen Welt, das waghalsige Kunststück vollführend, zugleich den Charakter der Vorlagenfigur zu transportieren als ihn auch in einen gänzlich neuen stilistischen Kontext zu setzen. In Comictermini würde man dies als eine "Elsewords"- bzw. "What if...?"-Geschichte bezeichnen, eine Story also, die bekannte Figuren in ein ungewöhnliches Szenario verpflanzt, das aufgrund seiner narrativen Radikalität zumeist nur für ein singuläres Abenteuer taugte. Dass Bruce Wayne einst eine Geliebte gehabt haben soll, die ihn zunächst von seinem determinierten Vigilantenpfad abhielt, um ihn dann gezwungenermaßen sitzen zu lassen, ist eine schöne und durchaus Sinn stiftende, aber eben "erfundene" Fußnote in der Charakter-Biographie. Ähnliches gilt für den Joker, dessen erst kurz zuvor von Alan Moore in "The Killing Joke" festgesetzte origin die Autoren schlicht ignorieren. Alles kleine Faux-pas, mit denen man leben kann - weil der Film sie aufgrund seiner Geschlossenheit rasch vergessen macht.

8/10

Batman Comic Serienmord Rache Duell Amour fou Mafia


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WET HOT AMERICAN SUMMER (David Wain/USA 2001)


"You taste like a burger. I don't like you anymore."

Wet Hot American Summer ~ USA 2001
Directed By: David Wain

Es ist der letzte Sommertag in Camp Firewood und es gibt noch eine Menge Dinge zu klären, diverse Romanzen zu beenden oder neu zu beginnen, Outings anzubringen, Traumata zu überwinden, eine Talentshow zu bestehen und ein Stück NASA-Satellit abzulenken.

Gleichermaßen Hommage an und Parodie auf den klassischen amerikanischen Feriencamp-Film Marke "Meatballs" ist "Wet Hot American Summer" immer noch eine ganze Ecke cleverer und liebenswerter als all die grausamen, einst mit "Scary Movie" gestarteten ZAZ-Nachzieher, deren widerwärtig kalkulierte Halbgescheitheit mittlerweile selbst der dümmste Zuschauer erkannt haben sollte. Wains Film hat es gar nicht nötig, Szenen aus erfolgreicheren Vorbildern zu parodieren, er nimmt lieber gleich das Subgenre in seiner Gesamtheit auf die Pike. "Wet Hot American Summer" lebt dabei vor allem von zwei herrlichen Grundideen: Zum einen überspitzt Wain ganz einfaches jedwedes tradierte Personen- und Handlungsklischee aus den Sommercampfilmen wahlweise grenzenlos oder verkehrt es gleich komplett ins Gegenteil (wobei die visuelle Darstellung jeweils ganz bewusst althergebrachte Betrachtungsnormen attackiert und den Film somit zum Albtraum eines jeden gemütlichen Familienfilmabends macht; eine waschechte Pornoszene leider als einziges Versäumnis exklusive), zum anderen ist das Spiel mit Erzähl- und erzählter Zeit, oder zumindest das, was als solche deklariert wird, geradezu inkommensurabel. Da wird ein grenzenloser Drogenexzess samt Ausnüchterung in eine Stunde gepackt oder ein umfassendes Coming-Of-Age-Training in fünfzehn Minuten. Nicht jeder Gag ist durch die Bank gelungen, immerhin jedoch bekommt die Bezeichnung "Flachwitz" bei Wain quasi eine ganz neue Bedeutung.

7/10

David Wain Massachusetts Groteske Parodie Alkohol Drogen Feriencamp Ferien Homosexualität period piece





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Funxton

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