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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE (Marcus Nispel/USA 2003)


"Nothing wrong with us."

The Texas Chainsaw Massacre ~ USA 2003
Directed By: Marcus Nispel

Texas, 1973: Auf dem Weg zurück aus Mexiko und hin zu einem Lynyrd-Skynyrd-Konzert nehmen die fünf Jugendlichen Erin (Jessica Biel), Kamper (Eric Balfour), Pepper (Erica Leerhsen), Andy (Mike Vogel) und Morgan (Jonathan Tucker) eine gestörte Anhalterin mit, die sich in ihrem Van den Kopf wegschießt. Auf der Suche nach Hilfe stoßen sie auf die in der Gegend scheinbar omnipräsente Familie Hewitt, inzestuös derangierte Serienmörder und Kannibalen, die bis auf die tapfere Erin alle dahinschlachten.

Nispels Remake, das im Hinblick auf die Popularität des Co-Produzenten teilweise ja auch als "Michael Bay's Texas Chainsaw Massacre" beworben wurde, verdeutlicht in exemplarischer Form sowohl Probleme als auch Existenzrechtfertigung der in der letzten Dekade vorherrschenden und in Ermangelung von Ausgangsstoffen langsam wieder abebbenden Horror-Remake-Schwemme. Der Film spielt als period piece im selben Jahr wie das Original, also 1973. Alles soll möglichst schmutzig, dreckig und verworfen wirken, zu Rekapitualationszwecken; wahlweise, um eine ähnliche Wirkung wie seinerzeit Hoopers Film zu erzielen vielleicht, um oder selbigem auch nur keine allzu große Schande zu machen. Tatsächlich gerät die Inszenierung jedoch garantiert nie in den Verdacht des Avantgardistischen - dies ist schlicht und einfach hochbudgetiertes, auf Devisen abzielendes Kommerzkino, artifiziell und von vorn bis hinten durcharrangiert wie ein Videoclip, mit denen Nispel ja so seine Erfahrungen hat. So tut das Remake denn im neutralen Sinne auch nie wirklich weh, kann nie wirklich affizieren, mitreißen oder schockieren, geschweige denn den monolithischen Status des Originals repetieren oder gar seinen kulturellen Effekt aktualisieren. Dennoch ist es für sich betrachtet recht spannend gestaltet, mit einigen hübschen Sadismen angereichert und innerhalb des Genrefachs sicherlich eine passable Abwechslung. "TCM" für eine neue, medialästhetisch verwöhnte Generation, wohl unvermeidbare in-jokes wie den mit Harry Knowles' Kopf auf einem Tablett inklusive.

7/10

Marcus Nispel Remake Texas Kannibalismus Familie Madness Terrorfilm period piece Leatherface Kim Henkel


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LEATHERFACE: TEXAS CHAINSAW MASSACRE III (Jeff Burr/USA 1990)


"I like liver. And onions. And pain."

Leatherface: Texas Chainsaw Massacre III (Leatherface - Die neue Dimension des Grauens) ~ USA 1990
Directed By: Jeff Burr

Während der Überführung eines Familienwagens geraten die aus Kalifornien stammenden Michelle (Kate Hodge) und Ryan (William Butler) an die Familie Sawyer, die im texanischen Hinterland noch immer ihrem mörderischen treiben frönt. Ihnen zur Seite steht der Freizeit-Survivalist Benny (Ken Foree), der Leatherfaces (R.A. Mihailoff) brandneuer, verchromter Kettensäge einige feurige Argumente entgegenzusetzen hat.

Weniger Irrsinn, mehr Konventionalität, weniger Terror, mehr Action - das Konzept der Firma New Line, die um die frühen Neunziger mit Ausnahme von "Halloween" die wichtgsten Horror-Franchises unter ihrem Dach hatte, greift erwartungsgemäß nur bedingt. "Leatherface" ist ohne den erfrischend bizarren Kamikaze-Stil eines Tobe Hooper wirklich nurmehr ordinärer Backwood-Horror, der mit dem Popularitätsgrad seiner nicht umsonst zur Titelfigur gekürten Ikone hausieren geht und in der damals im Kino gezeigten R-Rated-Fassung eine veritable Enttäuschung gewesen sein muss. Die glücklicherweise längst rekonstruierte unzensierte Version ist zwar um Einiges deftiger, entbehrt aber noch immer einige Sekunden. Der Film macht in dieser Form zwar durchaus Spaß und langweilt garantiert nie, es mangelt ihm aber eindeutig an der revolutionäre Radikalität seiner Vorgänger, sei es die Unerbittlichkeit des Originals oder auch der pathologische Humor des ersten Sequels. Ferner ist dies im Prinzip kein Sequel im eigentlichen Sinne; schon der einleitende Text deutet darauf hin, dass die Storyline von "TCM 2" schlicht ignoriert wurde, um den Filmplot an den des Erstlings anknüpfen lassen zu können. Die Sawyer-Familie präsentiert sich dann auch in ganz neuer Besetzung, erstmals tritt mit Ma Sawyer (Miriam Byrd-Nethery) das klassische Südstaaten-Matriarchat auf den Plan; dem ebenfalls in Erinnerung an das Finale des Originals eine Beinschiene tragenden Leatherface wird ein hübsches, wenngleich umso fieser agierendes Töchterlein (Jennifer Banko) mit blonden Zöpfen angedichtet und Viggo Mortensen als Tex demonstriert, dass Inzucht zuweilen auch zu physiognomisch ansprechenden Fönfrisur-Resultaten führen kann.

6/10

Jeff Burr Sequel Texas Madness Terrorfilm Splatter Kannibalismus Familie Leatherface


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DIE FUSSBROICHS - EINE KÖLNER ARBEITERFAMILIE (Ute Diehl/BRD 1990)


"Na ja jut, dat is für misch uninteressant."

Die Fussbroichs - Eine Kölner Arbeiterfamilie ~ BRD 1990
Directed By: Ute Diehl

Die Fussbroichs, das sind Vater Fred, 49, Vor- und Schichtarbeiter in einer Kabelfabrik, Mutter Annemie, 41, Sekretärin beim Schuldezernat der Stadt Köln und Frank, 21, gelernter Schlosser und passionierter Bodybuilder. Nachdem die Regisseurin und Autorin Ute Diehl 1979 zunächst die Dokumentation "Ein Kinderzimmer 1979" um den damals elfjährigen Frank und seine Eltern im WDR vorstellte, kehrte sie zehn Jahre später zu den Fussbroichs zurück, begleitete sie einige Monate in ihre Alltagswelt für den vorliegenden Dokumentarfilm, der eine erst 2003 ihr Ende findende, siebzehn Staffeln mit einhundert knapp halbstündigen Episoden umfassende TV-Reihe folgte.
Das die Fussbroichs begleitende, soziokulturelle Phänomen offenbart sich als vielgestaltig. Zum einen repräsentieren die Familie eine großstädtische, graue Masse von zwar bildungsfernen, aber verhältnismäßig gesichert lebenden, scheinbar permanent konsumierenden Mittelständlern (eine Schicht, die heute im Aussterben begriffen ist) zum anderen laden Ute Diehls Inszenierung und die Selbstverständlichkeit und Ungekünsteltheit, mit der sich Annemie, Fred und Frank vor der Kamera positionieren, zu gesundem Schmunzeln ein. Im Gegensatz zu heute gängigen TV-Formaten begeht Ute Diehl bei aller kritischen Perspektivierung nämlich nie den Fehler, billige Denunziation zu betreiben, respektive die Fussbroichs einem wie auch immer gearteten bildungsbürgerlichem Amüsement feilzubieten. Der Humor präsentiert sich als herzlich, wenngleich hier und da autoreflexiv. Darin, in dieser Gratfindung, liegt wohl auch das Erfolgsgeheimnis der folgenden TV-Reihe. Der Film hält noch nicht die perfekte Balance späterer Beiträge, in denen sich Diehl mehr und mehr zurücknimmt, bis sie überhaupt nicht mehr eingreift und nurmehr mitschneidet und kompiliert, rund um einen oder zwei Sachverhalte. Hier interviewt sie noch und ist stimmlich präsent, was für eine personelle Einführung der Familie durchaus seine Berechtigung trägt. Kernepisode ist - wie immer - ein Familienurlaub, der die Fussbroichs stets in ihrer ganzen Teutomanie und globalen Selbstzentrierung zeigt. Diesmal geht es nach Ibiza, wo man sich über "die Ausjeflippten" amüsiert und sich wundert, warum "dat Panierte [das man sich zuvor tonnenweise auf den Teller schaufelte] nisch Kroketten, sondern Tintenfischringe sind" .
Auch daher ein vorzüglich eingefangenes Stück Zeitgeschichte.

9/10

Ute Diehl Köln Familie TV-Film Pilotfilm


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THE AMAZING SPIDER-MAN (Marc Webb/USA 2012)


"Secrets have a cost. They're not free. Not now, not ever."

The Amazing Spider-Man ~ USA 2012
Directed By: Marc Webb

Der Schüler Peter Parker (Andrew Garfield) versucht, dem Verbleib seiner verschwundenen Eltern (Campbell Scott, Embeth Davidtz) nachzuspüren und stößt auf Dr. Curt Connors (Rhys Ifans), den früheren Kollegen seines Vaters. Connors, der einen Arm verloren hat, und als führende Autorität in der artübergreifenden Genetik gilt. Der wissenschaftlich ebenfalls höchst versierte Peter beginnt, mit ihm zusammenzuarbeiten und wird im Labor von einer genetisch modifizierten Spinne gebissen. Derweil scheint die Formel zur Regeneration von Stammzellen ausgereift. Connors injiziert sich das Reptilien-DNA enthaltende Serum. Während Peter Superkräfte bei sich entdeckt, mutiert Connors zu einem Monster. Als Peters Onkel Ben (Martin Sheen) von einem Straßenräuber (Leif Gantvoort) ermordet wird, sieht Peter sich gezwungen, Maske und Kostüm anzulegen und von nun als Spider-Man die Straßen New Yorks etwas sicherer zu machen, sehr zum Unwillen der Polizei. Schon bald trifft er auf Connors in seiner Monstergestalt...

Hmm, nun weiß ich also endlich, was ein Reboot ist. Würde dieses, soviel vorweg, wenn schon als dem Wesen nach - gelinde gesagt - überflüssig, so doch immerhin als weithin gelungen einstufen. Zehn Jahre sind ja schon beinahe eine Generation und so ist eine Neubearbeitung zur Erzielung neuer Publikumsschichten gewissermaßen auch probat. Was diese "Spider-Man"-Version gegenüber ihrer Vorgängerfassung von Sam Raimi stärkt, ist ihre in einzelnen Details große Vorlagentreue. Jene verpflichtet sich bereits durch den Titel, immerhin der des ersten Comicserials von 1963. "Spider-Man" bewegt sich nunmehr wirklich exakt so behende wie in der Vorlage und hat wie dort auch stets die Zeit für einen naseweisen Spruch zwischendrin. Der zwischen Arroganz und Unsicherheit pendelnde Garfield scheint mir dem als eher unsicher agierenden Tobey Maguire als Peter Parker allerdings leicht unterlegen. Endlich stammt wiederum das Netz, wie es sich gehört, aus künstlicher Herstellung Marke Eigenbau und Handgelenksvorrichtung, der "Spinnensinn" findet seinen Platz. Unerlässliche Standardfiguren wie Mary Jane Watson oder J.J. Jameson müssten natürlich künftig noch installiert werden, ohne die geht es schließlich nicht. Dass der ursprünglich als schüchterner Bücherwurm eingeführte Peter Parker nun ein slackernder Skaterschönling sein soll, bleibt eine völlig idiotische, sogar fast verhängnisvolle Maßgabe. Eine etwas langschnäuzigere Echse (diese hier hat mir irgendwie zuviel Ähnlichkeit mit Abomination aus dem "The Incredible Hulk") sowie eine etwas hübschere Gwen Stacy (Emma Stone ist nämlich nicht mein Typ) hätten mir auch noch maßgeblich zugesagt. Was Webbs Inszenierung anbelangt, so kann ich dazu momentan nur konstatieren, dass ich sie als "unauffällig" empfand - angesichts der obligatorisch krawalligen Attitüde des Films wohl nicht weiter verwunderlich. Unterm Strich macht all das für mich einen guten, wenngleich keinen wirklich starken Film.

8/10

Marc Webb Marvel 3-D Comic Superhelden New York Coming of Age Familie Monster Duell Reboot Spider-Man Mad Scientist


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THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE 2 (Tobe Hooper/USA 1986)


"I've got a real good eye for prime meat. Runs in the family."

The Texas Chainsaw Massacre 2 ~ USA 1986
Directed By: Tobe Hooper

Die Kannibalenfamilie Sawyer hat es mittlerweile in den Norden des Staates verschlagen, wo Drayton (Jim Siedow) mit seinen "Geheimrezepten" einen florierenden kleinen Mobilimbiss betreibt. Als seinen Söhnen Leatherface (Bill Johnson) und Chop-Top (Bill Moseley) zwei unvorsichtige Teenager (Barry Kinyon, Chris Douridas) in die Quere kommen, müssen diese flugs dran glauben. Jedoch bleibt die forsche Radiomoderatorin Stretch (Caroline Williams) als weitere Zeugin. In Absprache mit dem Ranger Lefty Enright (Dennis Hopper), einem Verwandten von Sally und Franklin, macht Stretch die Sawyers auf sich aufmerksam - eine folgende Nacht des Terrors inklusive.

Zu den illustren Unternehmungen der Cannon Group während der Achtziger zählte auch dieses Sequel zu Hoopers Klassiker "The Texas Chain Saw Massacre", das den Regisseur sogar noch entfesselter zeigte als der Erstling. "The Texas Chainsaw Massacre 2" ist eine dem Original in künstlerischer Hinsicht beinahe ebenbürtige, tiefschwarze Terrorkomödie, die humoristischen Ansätze des Originals deutlich großzügiger auslegend und mit postmodernistischen Symbolen hantierend, als dieser Begriff noch lange nicht zum gängigen Inszenierungsvokabular gehörte. Die titelgebende Kettensäge wird hier nicht nur zum eindeutigen Phallussymbol stilisiert, sondern wird darüberhinaus sogar als unmissverständlicher Penisersatz benutzt - Leatherface verliebt sich.
Das Sequel ist noch lauter und wirkt im Vergleich zum Vorgänger wie eine grelle Kirmes-Achterbahnfahrt. Die Katakomben-Sets erinnern analog dazu an Spielberg-Produktionen wie "Indiana Jones An The Temple Of Doom" oder "The Goonies", die sich hier ebenso gnadenlos durch den blkutigen Kakao gezogen finden, wie das texanische Nostalgiebedürfnis. 'When we were great...' Die Sawyers haben sich ihr kannibalisches Domizil ausgerechnet unterhalb eines leerstehenden Vergnügungsparks errichtet, der zu Ehren berühmter hiesiger Schlachten wie der von Fort Alamo gebaut wurde. Dennis Hoppers dramaturgische Funktion ist reichlich unterbelichtet und deer um diese Zeit schwer angeschlagene Darsteller macht auch keinen Hehl daraus. Grandios.

9/10

Tobe Hooper Cannon Sequel Splatter Texas Dallas Terrorfilm Madness Kannibalismus Radio Leatherface


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THE TEXAS CHAIN SAW MASSACRE (Tobe Hooper/USA 1974)


"You damn fool! You ruined the door!"

The Texas Chain Saw Massacre (Blutgericht in Texas) ~ USA 1974
Directed By: Tobe Hooper

Sally (Marilyn Burns) und ihr berollstuhlter Bruder Franklin (Paul A. Partain) reisen mit dreien ihrer Freunde (Allen Danziger, William Vail, Teri McMinn) per Van in den Süden von Texas, um dort ihre familiären Wurzeln zu besuchen. Nachdem sie einen geistesgestörten Anhalter (Edwin Neal) mitgenommen und wieder rausgeworfen haben, kommen sie zu ihrem alten, leerstehenden Haus. In dessen unmittelbarer Nachbarschaft haust auch die restliche Familie des verrückten Anhalters, eine Gruppe degenerierter Hinterwäldlerkannibalen, die die Kids einen nach dem anderen umbringt. Sally kann mit Mühe und Not als einzige entkommen.

Um 1974/75 disparierte sich das Horrorgenre infolge von New Hollywood endgültig in zwei eigentlich bis heute gültige Stränge: Den Studio-Blockbuster, repräsentiert durch Filme wie Spielbergs "Jaws" und später "The Omen" zum Einen und den beißwütigen, griesligen Indie-Terrorfilm zum anderen. Zwar gab es vorher bereits entsprechende Beiträge wie "The Last House On The Left", die ihre exploitative Gesinnung aber dennoch aus jeder gemeinen Pore schwitzten. "The Texas Chain Saw Massacre" indes ist ein filmisches Kunstwerk ersten Ranges. Für kleines Geld gefertigt, explodieren hierin Ambition, mediale Revolution und Könnertum. Hier haben Leute etwas zu sagen und nehmen dazu kein Blatt vor den Mund. Der Film ist ein Fanal reinen Terrors, das ohne übertriebene Visualisierung ein Maximum an Wirksamkeit erreicht. Insbesondere mithilfe geschicktester Nutzung der Tonspur erzeugen Hooper und sein Co-Writer Kim Henkel eine Atmosphäre des vollkommenen Nihilismus, im so stolzen und traditionsbewussten, dabei jedoch längst hoffnungslos bastardisierten Süden der USA, in dem Inzucht und Kleingeistigkeit die Bevölkerung zu einer Art Höllenvorhut haben werden lassen. Bei vollem Tageslicht und heißesten Temperaturen schlägt der Horror erstmalig zu, keineswegs bei Dunkelheit, also der klassischen Stunde des Genres (wenngleich zumindest Sallys Odyssee natürlich eine nächtliche sein wird und irgendwie wohl auch sein muss). Die bösen Omen häufen sich, die Grabschändungen, das überfahrene Gürteltier, ein wirr stammelnder, alter Säufer, das Schlachthaus, der Anhalter, ungünstige Horoskope. Wer aber soll damit rechnen, dass urplötzlich ein wie ein Schwein quiekender, überdimensionaler Metzger mit Menschenhautmaske per Vorschlaghammer zudrischt? Rumms, Tür zu, Affe tot. Und bis zum Ende hat man keine ruhige Sekunde mehr.
The one to start them all, still the one to beat them all.

10/10

Tobe Hooper Independent Texas Terrorfilm Familie Kannibalismus Leatherface Kim Henkel


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MARTIN (George A. Romero/USA 1977)


"There is no real magic. There's no real magic ever."

Martin ~ USA 1977
Directed By: George A. Romero

Martin (John Amplas), ein emotional schwer gestörter junger Mann, kommt zu seinem Großonkel Cuda (Lincoln Maazel) nach Pittsburgh. Martin hält sich für einen Vampir und hat stets eine Betäubungsspritze dabei, um seine potenziellen Opfer erst ohnmächtig machen und hernach ihr Blut trinken zu können. Tatsächlich ist dieser Wahnzustand offensichtlich von Martins familiärem, christfanatischem Umfeld entscheidend geprägt worden: Selbst Cuda hält Martin für seinen Vetter, einen 84 Jahre alten Dämon, der schon in der alten Welt verfolgt wurde. Sämtliche Versuche, sich Mitmenschen zu öffnen, enden in mittleren Katastrophen. Als Cudas Enkelin (Christine Forrest) den häuslichen Irrsinn nicht mehr erträgt und die Flucht nach vorn antritt, steigert sich der Wahn des alten Mannes noch mehr.

Ein gleichermaßen intimes wie intensives Kammerspiel um den hinter biederer christlicher Fassade brodelnden Irrsinn, das die Motivationslage mit "Carrie" teilt, jedoch noch den "vampirischen" Zusatz bereithält. Romero porträtiert auch seine Heimatstadt Pittsburgh, respektive den überalterten Stadtteil Braddock. Einst ein florierender Industriestandort hat der Strukturwandel nurmehr Brachen hinterlassen. In erster Linie bevölkern Senioren das marode, sich zunehmend ghettoisierende Viertel, ansonsten ziehen jugendliche Gangs in den Fabrikruinen ihre Kleindeals ab. Martin lernt die einsame Mrs. Santini (Elyane Nadeau) kennen, eine unfruchtbare, sexuell frustrierte und dem Suff verfallene Enddreißigerin, die dem schweigsamen Jungen zumindest ein bisschen Selbstbewusstsein beibringt, dann jedoch den Freitod vorzieht. Ausgerechnet dieser Tod, an dem Martin keinerlei Schuld trägt, soll ihm ironischerweise selbst zum Verhängnis werden.
Romero findet für sein Charakterporträt eine extensiv-poetische Bildsprache, die so gar nicht zum gemeinen Bild des amerikanischen Horrorfilms passen mag und eher an die neuen Filmwellen in Europa erinnert. Seine urbanen Momentaufnahmen sind bewusst ungeschönt und blass, eine Welt ohne Hoffnung, deren Herunterwirtschaftung durch die Arroganz ihrer Bewohner noch forciert wird.
Romero sagt in einem Interview dies sei sein Lieblingsfilm, die einzige seiner Arbeiten, an der er rückblickend nichts zu mäkeln habe. Das spricht Bände.

9/10

George A. Romero Pittsburgh Vampire Serienmord Madness Familie Independent


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KNIGHTRIDERS (George A. Romero/USA 1981)


"Way you get knocked around, you're bound to have some weird dreams, Billy."

Knightriders ~ USA 1981
Directed By: George A. Romero

Billy (Ed Harris) kultiviert nicht bloß die Idee einer mittelalterlich konnotierten Stuntshow mit Motorrädern, er lebt sie. Als buchstäblicher König einer umherfahrenden, modernen "Gauklertruppe" versteht er sich als modernen Artus oder Löwenherz, der seinen kleinen Hofstaat auf Gedeih und Verderb zusammenzuhalten hat. Seinbe vornehmlich aus gesellschaftlichen Außenseitern bestehende Truppe ist jedoch nicht durchweg bei ihm. Für viele von ihnen zählen kommerzieller Erfolg und lockende Popularität mehr als Billys altmodische Ideale und so spaltet sich die Clique eines Tages. Der das Glamouröse liebende Morgan (Tom Savini) und einige andere tun sich mit einer dollarschweren Künstleragentin (Amanda Davies) zusammen, kehren nach einigem Hin und Her jedoch wieder zurück. Für Billy bedeutet das einen Scheideweg.

Romeros Äquivalent zu anderen zeitgenössischen Tingeltangelshow-Filmen wie Altmans "Buffalo Bill And The Indians" und ganz besonders Eastwoods "Bronco Billy" steht den Vorbildern in nichts nach, im Gegenteil. Den Begriff der bewussten Anachronisierung, den Hang zu neuweltlicher Romantik kultiviert "Knightriders" sogar in einigen Bereichen noch etwas stärker als die sicherlich bekannteren Vorbilder. Genau inmitten seines zweiten und dritten Zombiefilms (und als eine Art bastardisiertes Bindeglied mit diversen bekannten Gesichtern aus beiden Werken glänzend) präsentiert sich der gern zum Hardcore-Horrorfilmer verklärte Regisseur von einer ungewohnt sanften, melancholischen Seite und beschwört den amerikanischen Freiheitstraum in einer seit "Easy Rider" kaum mehr so konsequent verfolgten Idealisierung. In Billys Motorradrittergruppe finden sich daher auch ausschließlich Verstoßene und Aussteiger, Bildungsferne und Metaphysiker. Hautfarbe, sexuelle Orientierung oder verschrobene Lebensentwürfe sind von untergeordneter Bedeutung; was zählt, sind nicht Geld und Ruhm, sondern Loyalität und Spirit. Für seine Leute geht Billy durchs Feuer, er lässt sich aus Solidarität zusammen mit einem seiner Begleiter von einem korrupten Kleinstadt-Deputy einlochen und rechnet noch auf dem Weg in sein persönliches Avalon mit dem entsprechenden Herrn ab, ganz so, wie er es ihm zuvor versprochen hatte. Ed Harris dürfte noch heute stolz sein auf diese schöne, frühe Darstellung eines gesellschaftlich betrachtet kleinformatigen, in moralischer Hinsicht jedoch umso größeren Antihelden. Und selbst Tom Savini überrascht als durchaus charismatischer Schauspieler.

9/10

George A. Romero Motorräder Showbiz Freundschaft Ritter


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DAS UNSICHTBARE MÄDCHEN (Dominik Graf/D 2011)


"Ich soll dafür sorgen, dass du keine Scheiße baust. Dafür bin ich hier."

Das unsichtbare Mädchen ~ D 2011
Directed By: Dominik Graf

Der für ein paar Wochen in die bayrische Provinz zwangsversetzte Berliner Polizist Tanner (Ronald Zehrfeld) ist schon auf der Rückreise in die Hauptstadt, als er eine weibliche Leiche überfährt. Dabei handelt es sich um Eva (Christine Zart), die Frau des einheimischen Arbeiters Wenzel Lorant (Peter Harting). Dieser wird vom aalglatten LKA-Oberkommissar Michel (Ulrich Noethen) kurzerhand des Mordes angeklagt. Tanner findet jedoch heraus, dass die Sache so einfach nicht ist. Eva Lorant hat kurz vor ihrem Tod behauptet, die seit über zehn Jahren vermisste und längst für tot erklärte Sina Kolb in einem Supermarkt nahe der tschechischen Grenze gesehen zu haben. Auch der bereits seit Jahren obsessiv mit dem Fall befasste Ex-Polizist Altendorf (Elmar Wepper) wird hellhörig. Tanner realisiert langsam, dass er in ein versponnenes Wespennest aus politischer Verschwörerei und Kinderprostitution vorzudringen im Begriff ist...

Eine traurige Bilanzierung der bundesdeutschen Sehgewohnheiten stellt sich zwangsläufig ein, wenn man feststellt, dass dummdreiste Volksanbiederung Marke "Eineisäcke" und "Kackaräbäh" Millionen ins Kino locken, während wahrhaft große Filmkunst vom Format "Das unsichtbare Mädchen" sich mit einem abendlichen Platz auf der Mattscheibe zufrieden geben muss. In einer gerechteren Welt wäre es umgekehrt. Ungeachtet der disparaten Qualitätsmaßstäbe dieser zwei Erzählfilmpole hat man es bei Dominik Grafs jüngstem Meisterstück mit einer Kriminalgeschichte dürrenmattscher Dimensionen zu tun, dargebracht vom momentan vielleicht vortrefflichsten aktiven deutschen Regisseur. "Das unsichtbare Mädchen" ist unbequem, fesselnd, packend, hart und in jeder Hinsicht beseelt von dem Drang, ungewöhnliche inszenatorische Strukturen mit konventionellen Narrationsschemata zu kombinieren. Mit Erfolg. Der Film fordert sein Publikum heraus, entführt es in eine Hölle nur allzu realer menschlicher Abgründe und entlässt es am Ende mit einem zumindest ansätzlich wieder geradegerückten Moralbild.
Königsklasse, in jeder Hinsicht.

10/10

Dominik Graf Bayern Pädophilie Prostitution Verschwörung TV-Film


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MOONRISE KINGDOM (Wes Anderson/USA 2012)


"Our daughter's been abducted by one of these beige lunatics!"

Moonrise Kingdom ~ USA 2012
Directed By: Wes Anderson

Neuengland in den Sechzigern: Der zwölfjährige Waisenjunge und Pfadfinder Sam (Jared Gilman) und seine gleichaltrige Brieffreundin Suzy (Kara Hayward) büchsen gemeinsam aus und flüchten sich in eine einsam gelegene Bucht, wo sie erste romantische Gefühle füreinander entdecken. Die verantwortlichen Erwachsenen, darunter Suzys Eltern (Bill Murray, Frances McDormand), Polizei-Captain Sharp (Bruce Willis) und Scout Master Ward (Edward Norton), brechen derweil in blinde Hysterie aus. Dieser folgt nach dem Einfangen der Kinder ein weiterer, noch weitaus ernster gemeinter Fluchtversuch, dem erst durch Sharps beherztes Eingreifen Einhalt geboten werden kann.

Erneut kann Wes Anderson seinem Herzen für verschrobene Zeitgenossen und ihren Leib-, Magen-und Seelenbedürfnissen Rechnung tragen. Protagonist Sam etwa lässt sich möglicherweise als eine jüngere Version von Max Fischer einsortieren und passend dazu hat auch Jason Schwartzman seinen (obligatorischen) Auftritt im Film. Den skurrilen Humor pflegt Anderson auch weiterhin, wie bereits in den letzten Filmen nimmt er sich diesbezüglich jedoch gepflegt zurück und räumt der zärtlichen Liebesgeschichte seiner beiden Hauptfiguren den Löwenraum ein, ohne, dass diese sich jedweder Lächerlichkeit oder auch nur einem überheblichen Blinzeln preisgeben müssten. Ob diese Distanzaufhebung seine Filme besser macht, weiß ich nicht, ernster, erdiger und auch etwas melancholischer werden sie dadurch auf jeden Fall, selbst wenn ein plötzlicher Blitzschlag sein Opfer kurzfristig und cartoonesk zum Mohren macht. Großer Stilist, der er eben ist ("Buckliger, du sollst nicht reimen!") bleibt Anderson ansonsten seinen einmal installierten Meriten treu und taucht seine entrückte Welt in goldene Herbstfarben, die geradewegs einem der Fantasy-Mädchen-Romane Suzys entsprungen sein mögen. So wie der Titel. Und der Kreis schließt sich.

9/10

Wes Anderson period piece Coming of Age Teenager Pfadfinder Kinder Herbst





Filmtagebuch von...

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