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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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COSMOPOLIS (David Cronenberg/CA, F 2012)


"Your prostate is asymmetrical."

Cosmopolis ~ CA/F 2012
Directed By: David Cronenberg

Der milliardenschwere Manager Eric Packer (Robert Pattinson) entschließt sich, sich von seiner Stretch-Limousine zum Frisör am anderen Ende der Stadt bringen zu lassen. Die Fahrt dorthin dauert mit Unterbrechungen infolge kleinerer Pausen und immer wieder zusteigender Mitfahrer fast den ganzen Tag, da zeitgleich der Präsident in der Stadt weilt und diverse Straßenzüge gesperrt sind. Doch nicht nur das Staatsoberhupt muss um seine Sicherheit fürchten; auch Packers Leben wird durch einen unbekannten Attentäter sowie die allgemeine kapitalismusfeindliche Stimmung in der Stadt bedroht.

Leider ist mir Don DeLillos Roman unbekannt, Cronenbergs Film aber finde ich ganz toll. In Dialog und Habitus eine Herausforderung ist die Geschichte eine wunderbar pointierte Abrechnung mit der Hochfinanz, der Schlipsträger derangiert sich selbst und wird schließlich zum verzweifelten Fraß seiner von ihm geschaffenen Monster und sukzessive auch seiner selbst. Cronenberg gelingen gleichermaßen kryptische wie begeisternde Bilder vom Innenleben jener gepanzerten und abdunkelbaren Stretchlimo, in denen die High-Class-Manager gleich zu Dutzenden durch die Millionenstadt kurven, periodisch begleitet von allerlei merkwürdigen bis einprägsamen Zeitgenossen.
Mit jener gleichermaßen verzerrten wie gestochen scharfen Perspektive auf die Dinge des Lebens knüpft Cronenberg an alte Klasse an und lässt nach diversen zwar spannenden, aber doch eher konventionell strukturierten Arbeiten Erinnerungen an Meisterwerke wie "Videodrome", "Dead Ringers" und "Naked Lunch" hervortreten. "Cosmopolis" stellt nachhaltig unter Beweis, dass dieser Regisseur noch lange nicht ausgebrannt ist, sondern dass vielmehr weiterhin mit ihm gerechnet werden muss.

9/10

Wall Street Finanzkrise David Cronenberg New York Don DeLillo Madness


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L'AMOUR EN FUITE (François Truffaut/F 1979)


Zitat entfällt.

L'Amour En Fuite (Liebe auf der Flucht) ~ F 1979
Directed By: François Truffaut

Nun doch in der Scheidung von Christine (Claude Jade) begriffen, trifft der noch immer wankelmütige Antoine Doinel (Jean-Pierre Léaud) seine Jugendliebe Colette (Marie-France Pisier) wieder und erkennt nach einigem Hin und Her, dass er doch bei seiner neuesten Flamme, der Schallplattenverkäuferin Sabine (Dorothée) bleiben sollte, da er diese wirklich liebt.

Mit einer Art "Best Of Antoine Doinel" setzte Truffaut neun Jahre nach "Domicile Conjugal" seinem sich über zwei Dekaden erstreckenden Personen-Zyklus ein Ende. "L'Amour En Fuite" lässt nochmal viele Stationen der bisherigen vier Filmbeiträge Revue passieren, verwebt letzte lose, narrative Fäden, indem er etwa Antoine späten Frieden mit seiner toten Mutter machen oder sich endgültig von Colette lösen lässt. Ebendiese Liebe zur Figur und ihre späte Katharsis geben den Film seine Hauptdaseinsberechtigung, denn durch die schon als inflationär zu bezeichnende Verwendung von Rückblenden in Form bekannter Szenen wirkt "L'amour En Fuite" manchmal wie jene unseligen TV-Episoden, die diverse alte Erfolgsmomente wiederverwerten um Arbeitszeit zu sparen. Dass die komplexe Filmbiographie Antoine Doinels dennoch eines logischen Schlusspunkts bedurfte, wird nach der Betrachtung des Films wieder deutlich, dennoch hätte ich persönlich mir als Finalpunkt eine etwas engagiertere Arbeit gewünscht.

7/10

François Truffait Antoine Doinel Biopic Scheidung Paris Autor


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SCORTICATELI VIVI (Mario Siciliano/I 1978)


Zitat entfällt.

Scorticateli Vivi (Häutet sie lebend - Unternehmen Wildgänse) ~ I 1978
Directed By: Mario Siciliano

Weil er Ärger mit der örtlichen Mafia hat, tritt Hallodri Rudy (Bryan Rostron) kurzerhand die Flucht nach vorn an: Zu seinem älteren Bruder Frank (Charles Borromel), der mit seiner Söldnertruppe im Sudan linke Rebellen bekämpft. Rudy weiß, dass Frank auch in die eigene Tasche arbeitet und sich allenthalben Diamanten unter den Nagel reißt. Auf diese hat es Rudy abgesehen. Dummerweise wird Frank kurz nach Rudys Ankunft von den Putschisten gekidnappt und soll für seine Kriegsverbrechen vor ein Militärtribunal gestellt werden. Rudy und Franks Männer machen sich gemeinsam an eine Befreiungsaktion.

Eilends dem "Wildgänse"-Original hinterhergeschoben und wegen dessen Titelfreiheit in Deutschland gleich noch entsprechend getauft, setzte Teilzeitpornofilmer Siciliano einen Söldnerstreifen in Szene, der seinem Publikum weniger wegen ausufernder visueller Gewaltakte als übelriechend-matschige Schweinesuhle erscheint, sondern seines unfasslich misanthropischen Weltbildes wegen. Diesbezüglich steht "Scorticateli Vivi" dann auch eher in der Tradition von Jacopetti und Prosperi, die ja auch immensen Wert darauf legten, ihren Zuschauern die Schlechtigkeit der Menschenrasse zu demonstrieren. Bei Siciliano gibt es garantiert keine Helden, geschweige denn auch nur eine Person mit moralisch tragfähigem Fundament, die Leute sehen samtens aus wie frisch bei Thyssen aus der Schweißhalle wegengagiert und benehmen sich auch so. 'Altruismus' ist hier im wahrsten Wortsinne eine Fremdvokabel, die Söldner hauen sich permanent gegenseitig auf die Fresse und lassen sich im Dreck liegen; männliche Zivilisten werden totgeschlagen, weibliche vergewaltigt und die ohne Unterlass als "Paviane" bezeichneten Sudanesen sind auch nicht besser. Bekommen diese ihrerseits einen weißen Söldner in die Finger, wird mit dem nämlich im Gegenzug mit gleicher Münze verfahren. Bruderliebe? Für'n Arsch. Hier gewinnt, wer den längeren Atem besitzt oder nicht gerade von einem als Riesenschlange getarnten Giftreptil zu Tode gebissen wird. In diesem Fall ist das der wie Reggie Nalders etwas hübscherer Zwilling ausschauende Charles Borromel, dessen pockennarbige Physiognomie ihn dazu verdammte, stets Verrückte oder Bösewichte darzustellen. Ein New Yorker Augenzeuge leitet seinen ansonsten zu vernachlässigenden Erfahrungsbericht bei der imdb mit treffenden Worten ein: "...sorgt dafür, dass man eine Woche lang duschen und nach der Betrachtung TV und DVD-Player verbrennen möchte." Ein bisschen was ist da schon dran.

6/10

Mario Siciliano Söldner Afrika Sleaze Europloitation Sudan


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LA BESTIA UCCIDE A SANGUE FREDDO (Fernando Di Leo/I 1971)


Zitat entfällt.

La Bestia Uccide A Sangue Freddo (Das Schloss der blauen Vögel) ~ I 1971
Directed By: Fernando Di Leo

In der ländlich gelegenen, psychiatrischen Klinik des Professor Dorian (John Karlsen) geht ein irrer Mörder um. Dieser hat sich ein überaus gewinnendes Domizil für seine Blutgier ausgesucht, denn Dorian und sein Oberarzt Dr. Keller (Klaus Kinski) behandeln ausschließlich gutsituierte Frauen in ihren altehrwürdigen vier Wänden. Dafür nutzen sie modernste Methoden wie Elektroschock-Therapien und heiße Dampfduschen, ansonsten bleiben die Patientinnen vornehmlich sich selbst und ihren Obsessionen überlassen. Als der Killer in einer Nacht gleich mehrfach zuschlägt, kommt die schimpfende Polizei ins Haus - und nagelt den Lumpen, nach einem letzten Amoklauf mit Morgenstern, auf klassische Weise.

Lustige Sleaze-Oper von Fernando Di Leo mit so ziemlich allem, was dazu gehört. Täter-Motivation und Geschichte sind noch uninteressanter als in anderen Gialli, vielmehr frönt der Regisseur ganz seiner zuweilen durchbrechenden Zeigelust und präsentiert eine Triangel aus nackerten Episoden, Gewaltausbrüchen und ominösen Füllszenen, deren Dialog (zumindest in der deutschen Fassung, mutmaßlich aber auch in der originalen) von geradezu beispielloser Imbezilität sein dürfte. Besonders der schon ausnehmend unkonzentrierte Kinski bleibt noch in Erinnerung, der hier, man sieht's an der Frisur, offenbar eine mäßig einträgliche Extraschicht kurz vor seinen zwei "Jesus Christus Erlöser"-Auftritten geschoben hat. Mit den Gedanken scheint's schon ganz bei seinen inbrünstigen Rezitationen, kann ihm selbst die flotte Margaret Lee nichts.

5/10

Sleaze Europloitation Giallo Fernando Di Leo Psychiatrie


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BINGO BONGO (Pasquale Festa Campanile/I, BRD 1982)


Zitat entfällt.

Bingo Bongo ~ I/BRD 1982
Directed By: Pasquale Festa Campanile

Einige Mailänder Anthropologen werden auf einen unter Schimpansen im afrikanischen Urwald aufgewachsenen Mann (Adriano Celentano) aufmerksam. Kurzerhand Bingo Bongo getauft, wird der Affenmensch in die Modemetropole entführt, wo er sich nach einigem mühseligem Hin und Her menschliche Verhaltensweisen aneignet. Dabei unterstützen ihn vor allem die schöne Laura (Carole Bouquet) und ihr Hausschimpanse Renato. Bevor der zivilisations- und liebesfrustrierte Bingo Bongo allerdings wieder nach Afrika flüchten kann, wählen die Tiere der Welt ihn zu ihrem Botschafter.

"Bingo Bongo" ist ein wunderbares Beispiel für eine zeitangebundene Art des Filmemachens. Im Gegensatz zu den bis heute in Dauerschleife im Fernsehen gezeigten Spencer-/Hill-Komödien haben etwa die Giraldi-Filme mit Tomas Milian oder eben die vielen Celentano-Komödien, hinter denen häufig das Produzentenduo Cecchi Gori stand und die in Deutschland durch die Synchronkünste Rainer Brandts einen nochmals speziellen Ton auferlegt bekamen, kaum überlebt. Warum, das zeigt ein Film wie "Bingo Bongo", der für gegenwärtige Sehgewohnheiten ein kaum mehr fassbares Unikat darstellt, ganz vortrefflich auf. Celentano darf seinen lakonischen Humor erst nach rund einer Stunde aufzeigen, davor rekrutiert sich die Komik aus situativ angelegten Gags, in denen nach Stummfilmmanier Paternoster- und Drehtürengags Trumpf sind, ebenso wie eine vollkommen clowneske Szene mit Sal Borgese. Bei aller teils lauen, humoresken Schichtarbeit bewahrt sich der Film aber dennoch einen bizarren, surrealen Charme, der sich für jene, die mit dieser Art Film aufgewachsen sind, glücklicherweise noch präserviert findet.

6/10

Pasquale Festa Campanile Mailand Tarzanade


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DEAD SILENCE (James Wan/USA 2007)


"Remember: whatever happens, don't scream!"

Dead Silence ~ USA 2007
Directed By. James Wan

Als Jamie Ashen (Ryan Kwanten) und seine Frau Lisa (Laura Regan) eines Abends ein Paket mit einer Bauchrednerpuppe vor ihrer Wohnungstür finden, ist es mit dem jungen Eheidyll abrupt vorbei: Nur Stunden später wird Lisa nämlich grausam ermordet. Jamie, der bereits ahnt, dass diese Tat etwas mit den Schauergeschichten aus seiner Kindheit zu tun haben muss, in der die böse Bauchrednerin Mary Shaw (Judith Roberts) vorkam, steht von nun an unter latentem Mordverdacht, lässt Lisa aber dennoch in ihrer beider Heimatstadt Ravens Fair überführen. Hier erfährt Jamie rasch, dass der rächende Fluch der Mary Shaw die meisten Leute auf dem Gewissen hat und sich auch auf nachfolgende Generationen übergeht. Jamie nimmt mithilfe des Polizisten Lipton (Donnie Wahlberg) den Kampf gegen das unfassbare Böse in Form dutzender Bauchrednerpuppen auf...

Recht schöner Horrorfilm, der weniger interessant ist aufgrund seiner keinesfalls sonderlich innovativen Story zwischen urbanen Mythen, Kinderschreck und Märchenhaftigkeit, sondern eher wegen seines variierenden Spiels mit schauerromantischen Konventionen, die er in einen bewusst irrealen, artifiziellen Kontext setzt. Um nach Ravens Fair - allein der Name klingt nicht von ungefähr nach Poe oder Irving - zu gelangen, muss man eine Brücke überqueren, die das Städtchen vom Rest der Welt trennt, als sei es ein dunkles Wunderland. Und tatsächlich ist diese Parallelisierung gar nicht so abwegig; auch hier gibt es eine superböse, nach Organextraktionen lechzende Herzkönigin mit edlem Domizil, eine Art weißes Kaninchen in Form der Bauchrednerpuppe Billy und einen Sarg- (Michael Fairman) anstelle eines Hutmachers, dessen Frau (Joan Heney) allerdings die Verrückte ist. Diesen hübschen bis poetischen Topoi steht allerdings eine dann doch wieder recht hölzern gestaltete Abfolge von Schockmomenten, verzerrten Todesfratzen und Anflügen von Hardcore-Horror gegenüber, die dazu taugen sollen, den Film gleichfalls für adoleszente Autokino-Pärchen reizvoll zu machen. Da wäre weniger mehr gewesen. Dennoch keine Enttäuschung.

7/10

James Wan Puppen


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PHANTOMS (Joe Chappelle/USA, J 1998)


"Chaos, chaos in the flesh."

Phantoms ~ USA/J 1998
Directed By: Joe Chappelle


Die beiden Schwestern Jennifer (Joanna Going) und Lisa Pailey (Rose MacGowan) kommen in das kleine Städtchen Snowfield in den Rocky Mountains, in dem Jennifer als Hausärztin arbeitet. Sie finden Snowfield jedoch nicht nur völlig entvölkert vor, sämtliche Einwohner scheinen zudem einer merkwürdigen Seuche erlegen zu sein. Als Sheriff Hammond (Ben Affleck) und seine Deputys Wargle (Liev Schreiber) und Shanning (Nicky Katt) auftauchen, fühlen sich die zwei jungen Frauen etwas sicherer, zumindest, bis sie realisieren, welch unheimliche Kräfte hier tatsächlich wirken.
Das wabernde Böse verlangt indes nach dem Klatschjournalisten Dr. Flyte (Peter O'Toole), um seine Existenz der gesamten Welt zu verkünden. Zusammen mit diesem rückt gleich noch das Militär an, doch auch dieses hat dem "uralten Feind" nichts entgegenzusetzen...

Mit angenehmer Schmuddeligkeit, die ein wenig von "The Thing" zehrt und überhaupt lustvoll die Belagerungsmotivik eines John Carpenter (die dieser ja wiederum bei Howard Hawks vorfand) zitiert, kann "Phantoms" auf dem Sektor der leicht trashig angehauchten Phantastik punkten. Es gibt zwar gewiss Produktionen auch niedrigerer Preisklasse, die ähnlich gelagerte Themen mit mehr Chuzpe umsetzen - man denke etwa an die King-Adation "The Mist" - dennoch retten Koontz' viele nette Einfälle, Patsy Clines immer wieder repetiertes "I Fall To Pieces" zählt ebenso dazu wie die wahrhaft adelnde Präsenz Peter O'Tooles, "Phantoms" vor Gröberem. Um allerdings das Zeug zu einem wirklich sehenswerten Genrebeitrag mitzubringen, hätte es womöglich noch mehr Mut zur Größe gebraucht, die sich unter anderem a priori das Engagement von zweitklassigen Darstellern wie Ben Affleck oder Rose MacGowan und einem Routinier wie Joe Chappelle als Regisseur hätte versagen müssen.

6/10

Joe Chappelle Colorado Monster Dean R. Koontz Militär Nacht


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DOMICILE CONJUGAL (François Truffaut/F, I 1970)


Zitat entfällt.

Domicile Conjugal (Tisch und Bett) ~ F/I 1970
Directed By: François Truffaut

Antoine Doinel (Jean-Pierre Léaud) hat seine Christine (Claude Jade) mittlerweile geheiratet. Während sie ein Kind erwartet erhält er nach eher brotlosen, aber glücklichen Blumenfärbeexperimenten im Hinterhof eine neue Anstellung, deren Hauptaufgabe in der Koordination ferngesteuerter Modellschiffchen zu bestehen scheint. Dabei lernt er eines Tages die Japanerin Kyoko (Hiroko Berghauer) kennen und verliebt sich in sie, trotz der justamenten Geburt von Söhnchen Alphonse. Als Christine von der Affäre Wind bekommt, schmeißt sie Antoine aus der Wohnung - lange hält sie es ohne ihn jedoch nicht aus.

Der doinelsche Existenzialismus geht in eine weitere Runde, diesmal dräut die biografische Ernsthaftigkeit hinter der Rolle als Ehemann und Familienvater. Unschwer zu erraten, dass der ewige Simplicissimus Antoine auch hierin zunächst scheitert, auf seiner Flucht vor Verantwortung von der blendenden Exotik einer Orientalin verfällt, schon bald jedoch durch das praktisch durchweg nonverbale Zusammensein mit ihr jedwede Lust an einer weiteren Liebesbeziehung verliert und seinen kurzsichtigen Verlust an Christine realisiert. Umso galliger Truffauts ebenso komischer wie bleiern realistischer Epilog, der nach einem vorangehenden herzerwärmenden Wiederaufflammen zwischen Antoine und Christine ihre Ehe als bourgeoise Sackgasse zeigt, die analog zur festgefahrenen Stieseligkeit ihrer deutlich älteren Nachbarn verlaufen wird.

9/10

François Truffaut Antoine Doinel Ehe Familie amour fou Paris Nouvelle Vague


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BAISERS VOLÉS (François Truffaut/F 1968)


Zitat entfällt.

Baisers Volés (Geraubte Küsse) ~ F 1968
Directed By: François Truffaut

Wegen charakterlicher Wankelmut unehrenhaft vom Militär entlassen begibt sich der mittlerweile 22 Jahre alte Antoine Doinel (Jean-Pierre Léaud) auf Jobsuche in Paris. Eine Zwischenstation als Nachtportier führt in zur Detektei Blady, die ihn als Mitarbeiter einstellt. Erste Beschattungsaufträge versaut Antoine durchweg und wird schließlich mit dem pikanten Auftrag betraut, für den schnöseligen Schuhverkäufer Tabard (Michael Lonsdale) herauszufinden, warum alle Welt ihn hasst. Als Antoine Tabards Frau Fabienne (Delphine Seyrig) kennenlernt, ergeht er sich in jugendlicher Schwärmerei, was die reifere Dame als überaus charmant empfindet. Dann ist da noch Antoines Jugendliebe Christine (Claude Jade), die sich nicht recht zwischen Zu- und Abneigung für den kauzigen jungen Mann entscheiden kann.

Neun Jahre nach "Les Quatre Cents Coups" eine mit der Bizzarerie liebäugelnde Komödie über Antoine Doinel, der seine leidenschaftliche Feindschaft zu allen Autoritäten dieser Welt glücklicherweise nicht verlernt hat und nicht ganz zufällig 1968, im Jahr von Studentenunruhen und Langlois-Affäre, den verrücktesten Job annimmt, den Paris zu bieten hat. Er soll ausgerechnet Fakten dafür sammeln, warum ein Bourgeois von seiner Umwelt belächelt und verabscheut wird. Dazu gibt es Irrungen und Wirrungen auf dem Weg zur erotischen Glücksfindung, hier mal eine Professionelle, da die hübsche, aber etwas spröde Christine und dort die in Antoines Augen göttinnengleiche Madame Tabard. Truffaut inszeniert diese Episode mit spitzzüngiger Leichtigkeit und einem einmaligen satirischen Auge, das allerdings nie ganz den Anschluss an die Ungeheuerlichkeiten der gegenwärtigen Realität einbüßt. Somit mein Lieblings-Doinel, zumal ich darüber immer wieder herzhaft lachen kann.

10/10

François Truffaut Paris Coming of Age Satire Groteske Antoine Doinel Nouvelle Vague


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LES QUATRE CENTS COUPS (François Truffaut/F 1959)


Zitat entfällt.

Les Quatre Cents Coups (Sie küssten und sie schlugen ihn) ~ F 1959
Directed By: François Truffaut

Für den dreizenjährigen Antoine Doinel (Jean-Pierre Léaud) erweist sich das Leben als härteste aller Prüfungen. Seine Mutter (Claire Maurier) ist nicht an ihm interessiert, sein Stiefvater (Albert Rémy) hat keine Zeit für ihn. In der Schule erweist er sich als zunehmend renitent, er lügt, stiehlt, schwänzt und treibt sich mit seinem Freund René (Patrick Auffey) herum, dessen Eltern (Georges Flamant, Yvonne Claudie), ein alterndes Bohémien-Ehepaar, das Kunststück fertigbringen, noch desinteressierter zu sein als die Doinels. Als Antoine und René eine Schreibmaschine aus der Firma von Antoines Vater stehlen, diese nicht zu Geld machen können und heimlich wieder zurückbringen wollen, werden sie erwischt. Antoines verzweifelte Eltern schicken den Jungen in eine ländlich gelegene Erziehungsanstalt, in der den jugendlichen Insassen unter Benutzung menschenverachtender Praktiken Gehorsam beigebracht wird. Doch auch hier lässt Antoine sich nicht lang halten.

Truffaut analogisiert im ersten Film seines vier Spielfilme und einen Kurzfilm umfassenden Doinel-Zyklus Jugend und Flucht. Zu Beginn sieht man das Wahrzeichen von Paris, den Eiffelturm, aus allen möglichen Perspektiven, ein regelmäßig idealisiertes Denkmal, das schon aufgrund seiner baulichen Imposanz zum gewohnten Stadtbild zählt, aber irgendwie doch nie über den Status einer schönen Attraktion hinauskommt. Einmal aus der Nähe betrachtet, büßt der Turm erheblich an Faszination ein und andere Dinge werden wichtig. Für Antoine Doinel ist das Leben mit 13 wie ein Spießrutenlauf der Enttäuschungen. Ständige Tadel und Vorwürfe, seine Eltern leben ihm Streit und Betrug vor, und selbst die Kunst verrät ihn eines Tages. Als Antoine in einem Schulaufsatz seinen heißgeliebten Balzac zitiert, kreidet der missverständige Lehrer (Guy Decomble) ihm dies als billiges Plagiat an, den Ruf nach Anerkennung dahinter übersieht er. Am Ende bleibt nur das Meer, eine natürliche Konstante, als Zufluchtsort. Die physiognomische Ähnlichkeit des Antoine-Darstellers Jean-Pierre Léaud mit Truffaut ist verblüffend, umso nachträglich manifester der Status der frühen Doinel-Geschichten als stark autobiographisch gefärbte Arbeiten. Vom kunstvollen Breitwand-Schwarzweiß der Nouvelle-Vague-Jahre wandte sich Truffaut in den späteren Filmen zwar wieder ab, seine pronocierte Lebensnähe jedoch blieb immanent.

9/10

François Truffaut Nouvelle Vague Paris Teenager Familie Schule Internat Coming of Age Antoine Doinel





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Funxton

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