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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE CORRUPTOR (James Foley/USA 1999)


"You don't change Chinatown, it changes you."

The Corruptor ~ USA 1999
Directed By: James Foley


Der für das NYPD tätige Nick Chen (Chow Yun-Fat) bekommt mit dem jüngeren Danny Wallace (Mark Wahlberg) einen zunächst grün anmutenden Kollegen zugeteilt, der sich jedoch in der chinesischen Kultur recht gut auskennt und so bald auch in Chens Einsatzgebiet Chinatown einen Fuß hereinbekommt. Wie Chen erweist sich bald auch Wallace als recht offen für die großzügigen Angebote des Glücksspiel- und Prostitutionsmoguls Henry Lee (Ric Young), der soeben dabei ist, der wichtigste Boss des Viertels zu werden. Somit stehen beide Cops zwischen ihrer Pflichterfüllung und den Annehmlichkeiten der Korruption. Allerdings weiß Wallace mehr über Chen als umgekehrt...

Ein wenig geschwätzig hier und etwas großkotzig dort kommt Foleys immerhin rasant inszenierter Actionfilm daher. Zudem stützt er sich auf sehenswertere Vorbilder: "New Jack City", "Year Of The Dragon" und natürlich die Polizeifilme von Sidney Lumet grinsen aus allen vier Bildecken aufs Publikum hinab. Zweifellos war der Produktion ferner sehr daran gelegen, neben dem Hongkong-Kino der vorhergehenden Jahre nicht allzu alt auszusehen und so lässt sie seine Hauptikone Chow Yun-Fat, dessen obercooles Gehabe in einem amerikanischen Film nicht immer ganz passend wirkt, analog neben einem zumeist hilflos dreinblickenden Mark Wahlberg durchs Bild hampeln. Die Chemie zwischen den beiden Akteuren soll immerhin den Film tragen, man muss sich aber schon eine Menge davon selbst suggerieren, um die ganze Kiste überhaupt ein bisschen glaubhaft erscheinen zu lassen. Das Brauchbarste an "The Corruptor" sind seine farbintensiven, leuchtenden und überschärften Bilder, die Innenasichten Manhattans und die tiefen Einblicke in neonlichtgeschwängerte Straßenschluchten. Diese formalen Vorzüglichkeiten kann das Script leider nicht gänzlich stützen.

6/10

Korruption Freundschaft Triaden New York James Foley


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PICNIC AT HANGING ROCK (Peter Weir/AUS 1975)


"Everything begins and ends at the exactly right time and place."

Picnic At Hanging Rock (Picknick am Valentinstag) ~ AUS 1975
Directed By: Peter Weir


Südaustralien, im Jahre 1900. Ein Ausflug einiger Mädchen vom renommierten Appleyard-Internat zum nahe gelegenen Bergmassiv Hanging Rock endet katastrophal: Drei der Schülerinnen (Anne Lambert, Karen Robson, Jane Vallis) sowie eine Mathematiklehrerin (Vivean Gray) verschwinden spurlos, ein viertes Mädchen (Christine Schuler) bleibt völlig verstört zurück. Für die erzkonservative Schulleiterin Mrs. Appleyard (Rachel Roberts) bedeutet dieses Ereignis eine Katastrophe. Man beginnt zu reden, die Eltern fangen an, ihre Töchter von der Schule abzumelden, einige Kolleginnen nehmen den Hut. Mrs. Appleyard lädt ihren gesammelten Frust an der sensiblen, aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Schülerin Sara (Margaret Nelson) ab, die mit den verschwundenen Mädchen befreundet war. Schließlich wird eine der drei (Robson) von einem unermüdlich suchenden Aristokratensohn (Tony Llewellyn-Jones) aufgespürt. Doch auch sie hat keine erklärung für die mysteriösen Ereignisse.

Dass Weirs prächtiges Sittengemälde mit allgemeiner Zustimmung in die Horrorecke gestellt wird, hat mir nie so ganz geschmeckt. Ich finde darin vielmehr ein mit einer durchaus magischen Konnotation versehenes Coming-of-Age-Drama über den zerstörerischen Einfluss der strengen, viktorianischen Autorität, in dessen Mittelpunkt eine ans Heroische grenzende Entscheidung steht. Drei (bzw. zwei) Mädchen und eine als streng logisch denkend bekannte Lehrerin durchbrechen die Zwänge der sie umgebenden Sozialgemeinschaft und bringen damit die Wände einer ihrer symbolischen Institutionen zum Wackeln und schließlich gar zum Einstürzen. Mit ihrem versammelten Verschwinden sorgen sie dafür, dass das stockkonservative Appleyard-College, für manche seiner Schülerinnen (wie die wegen fehlender Mittel gezielt ausgegrenzte Sara) wie ein Höllenvorhof anmutend, seine Pforten mittelfristig zu schließen hat. Dabei spielt auch das sexuelle Erwachen eine gewichtige Rolle: Mit dem Reifen zur Frau und damit zur erwachsenen Mündigkeit kommt der Ausbruchswunsch. Der Film ist voll von entsprechenden Hinweisen und Motiven. Ein besinnlicher, hochästhetischer Genuss, den ich zunehmend weniger als verstörend denn vielmehr als sehr luzid wahrnehme.

9/10

Peter Weir period piece Schule Coming of Age Australien


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ENTER THE VOID (Gaspar Noé/F, D, I, CAN 2009)


"Man, that's a lot of gear!"

Enter The Void ~ F/D/I/CAN 2009
Directed By: Gaspar Noé


Der in Tokio lebende, sich vornehmlich in der Drogen- und Rotlichtszene bewegende Oscar (Nathaniel Brown) wird eines Nachts bei einem Deal von der Polizei hochgenommen und erschossen. Fortan bewegt sich seine Wahrnehmung als eine Art Seele zwischen Tod, Phantasie und Metarealität bis zu einer bizarren Wiedergebut aus dem Schoß seiner geliebten Schwester Linda (Paz de la Huerta).

Noés von ihm selbst als solches bezeichnetes Hauptwerk erreicht trotz seiner gewaltigen Visualität nicht den Wirkungsgrad des angeblich als "Fingerübung" für "Enter The Void" gefertigten "Irréversible". Ein wenig selbstzweckhaft erscheinen die Spielereien Noés mit erweitertem (oder getrübter, je nach Perspektive) Bewusstsein infolge des Konsums psychoaktiver Rauschmittel. DMT-Trips, forcierte und "natürliche", tragen Oscar durch die tokiotische Nacht, die durchflutet ist von Neonlichtern, Sex und Verrat. Ähnlich wie die Bücher von Burroughs oder die Studien von Hoffmann, Huxley und Leary erscheint auch "Enter The Void" bisweilen wie ein Symbol für den verzweifelte Drang eines mit Halluzinogenen umgehenden Drogenkonsumenten, sich bzw. den Wirkungsgrad seine Trips mit einer größeren Öffentlichkeit mitzuteilen. "Enter The Void" wähnt sich nicht von ungefähr (man denke an das Poster in "Irréversible") auch stark beeinflusst von der Reiseszene Dr. Bowmans gen Jupiter in "2001: A Space Odyssey", instrumentalisiert wie dieser Ligeti-ähnliche Klänge. Auch Bachs "Suite Nr. 3", quasi kinderfreundlich mit dem Xylophon arrangiert, wird repetitiv als tragendes Element genutzt. Vermutlich wird "Enter The Void" in einigen Jahren ins Pantheon der großen "Trip-Klassiker" eingegangen sein. Gegenwärtig scheint er mir als filmisches Experiment zwar höchst beachtenswert, in seiner Ausführung aber eben auch ein klein wenig (zu) selbstzweckhaft, um ihn als wirklich großartig bezeichnen zu können. Ein Superlativ gibt es von meiner Seite dann aber doch noch zu vermelden: Paz de la Huerta ist unter den derzeit aktiven die schönste Aktrice, die ich kenne.

8/10

Tokio LSD Drogen Nacht Gaspar Noé


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IRRÉVERSIBLE (Gaspar Noé/F 2002)


Zitat entfällt.

Irréversible ~ F 2002
Directed By: Gaspar Noé


Ein ausgelassener Partyabend, den Alex (Monica Bellucci), ihr Freund Marcus (Vincent Cassel) und ihr Ex-Freund Pierre (Albert Dupontel) gemeinsam begehen, endet für sie alle in einer Katastrophe: Alex, die erst kurz zuvor erfahren hat, dass sie schwanger ist und die Fete nach einem Streit mit Alex früher verlässt, wird in einer Unterführung vergewaltigt und brutal zusammengeschlagen. Als Alex und Pierre davon erfahren, suchen sie den Täter (Jo Prestia), offenbar ein Zuhälter aus der Schwulenszene. Am Ende prügelt der bislang ruhige und intervenierende Pierre einen Falschen zu Tode.

Mittels selbst auferlegter, höchster formaler Disziplin nimmt sich Noé eines fatalen Pariser Abends für drei Freunde an, deren jeweilige Biografien danach aus verschiedenen Gründen ins Leere zu laufen drohen. Das Experiment, eine Geschichte filmisch in rückwärtiger Reihenfolge zu erzählen, finde ich im Einzelfall interessant, auch wenn es im Prinzip unmöglich bis zur letzten Konsequenz durchgespielt werden kann. Tatsächlich bleibt lediglich die narrative Option, die Szenenabfolge in ihre umgekehrte Chronologie zu stellen. Insofern stellt sich mir die Entscheidungsfrage zwischen Manierismus und Notwendigkeit; die Frage auch nach dem ultimaten Sinn dieser Vorgehensweise. "Zeit zerstört alles"? Hm. Vermutlich sucht Noé, die Wirkung auf sein Publikum zu analysieren, das sein Rape-and-Revenge-Drama in verdrehter Form durchzustehen hat, in dem ausnahmsweise die Gewaltakte am Anfang stehen und man mit der Darstellung und dem Effekt der üblicherweise einführenden Harmonie aus dem Film entlassen wird.
Wie dem auch sei - mit seinen langen, schnittlosen Einstellungen, die jeweils nur durch den Anschluss an ihre Vorgängersequenz unterbrochen werden, erweist sich Noé als exzellenter Metteur-en-scène. Ein doppelt pronocierter Verweis an Kubrick spricht eine deutliche Sprache über erlesene Vorbilder: "Irréversible" ist trotz seiner transgressiven Augenblicke ein wahrlich schöner Film, der eben nicht nur von Gewaltschemata und -kausalitäten berichtet, sondern auch von Liebe und Freundschaft, vielleicht sogar in der Hauptsache davon.

9/10

Paris Party Nacht Skandalfilm Gaspar Noé Rache Achronologie Selbstjustiz Transgression Kokain Rape & Revenge


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SEUL CONTRE TOUS (Gaspar Noé/F 1998)


Zitat entfällt.

Seul Contre Tous (Menschenfeind) ~ F 1998
Directed By: Gaspar Noé


Ein arbeitsloser Pariser Schlachter (Philippe Nahon) mit dunkler Vergangenheit zieht mit seiner neuen, von ihm schwangeren Lebensgefährtin (Frankie Pain) zu deren Mutter (Martine Audrain) nach Lille. Die vermögenden Damen halten den Schlachter, dessen Hass auf die ihn umgebende Menschheit sich täglich potenziert, an der kurzen Leine. Eines Tages flippt er aus, prügelt seiner Freundin das ungeborene Kind aus dem Leib und setzt sich nach Paris ab. Dort findet er trotz intensiver Suche keine Arbeit; seine Aggressionen vergrößern sich noch. Schließlich vergreift er sich an seiner geistig behinderten Tochter (Blandine Lenoir), die er für einen Tag aus dem Pflegeheim mitnimmt.

Noés bedrückende, provokante Reise in das tiefe Innere eines frustrierten Arbeiters nimmt zutiefst gefangen. Der Schlachter, ein allumfassender Misanthrop, der für jeden in seinem Umfeld nur Hass und Verachtung empfindet, ist einerseits ein durch und durch asoziales Individuum, andererseits ein bedauernswertes kleines Licht, ein Verlierer auf ganzer Linie, feige, zur verbalen Auseinandersetzung unfähig und inkonsequent dazu. Dass er selbst im Grunde die größte Zielscheibe seiner irrationalen Hasstiraden ist, kann er sich nicht zugestehen. So ist im Rahmen seiner zunehmend egozentrischen Weltsicht, die unablässig gegen die parlamentarischen Nachlässigkeiten des modernen Systems wettert, die Zuneigung zu seiner hilflosen, von ihm missbrauchten Tochter völlig legitim und lediglich ein von der Gesellschaft zu einem solchen gemachten Problem. Wie des Schlachters Geschichte am Ende, nach einem jämmerlichen Gedanken an aufrichtigen Selbstmord, weitergeht, erfährt man nicht mehr. Viel Erbauliches wird ihn jedoch nicht erwarten.

8/10

Gaspar Noé Lille Paris Arbeitslosigkeit Inzest Transgression


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WHO? (Jack Gold/UK 1973)


"No matter who I once was - now I'm just me."

Who? (Der Mann aus Metall) ~ UK 1973
Directed By: Jack Gold


Als der amerikanische Wissenschaftler Dr. Lucas Martino (Joseph Bova) in der DDR einen verheerenden Autonunfall erleidet, flickt man ihn diesseits des Eisernen Vorhangs notdürftig zusammen. Große Teile seines Körpers werden durch Metallprothesen ersetzt und man unterzieht Martino zermürbenden Verhören betreffs seiner Forschungen in den USA. Erst Monate später wird Dr. Martino wieder zurück in den Westen geschickt. Für den FBI-Agenten Sean Rogers (Elliott Gould) eine höchst verdächtige Angelegenheit - der vermutet hinter dem praktisch unidentifizierbaren Mann einen mittelmäßig getarnten Ostagenten oder einen hirngewaschenen Dr. Martino, der nunmehr als Schläfer fungieren soll.

Ein Cold-War-Drama, das ausnahmsweise nicht die Zerstörung der Zivilisation verhandelt, sondern bloß jene eines Individuums, das bloß aufgrund eines dummen Unfalls zum Spielball der Supermächte wird. Das Empathiemoment für diesen Dr. Martino - ganz gleich, ob er "echt" ist, oder nicht, wird ganz gezielt von der ersten Filmminute an geschürt. Nicht genug damit, dass der Mann durch sein modifiziertes Äußeres grotesk entstellt ist - seine wahre Leidensgeschichte beginnt erst, als die Sowjets feststellen, wenn sie da auf dem OP-Tisch liegen haben. Damit nicht genug ist nach Monaten der Quasi-Geiselhaft zudem das Vertrauen der eigenen Landsleute in den Bedauernswerten erloschen - niemand mag ihm mehr zur Gänze abnehmen, dass das metallene Antlitz einst Dr. Martino gehörte. Als denkanstoßendes Politmelodram ist Golds behäbig inszenierter Film somit durchaus anschauenswert, als Identitätsthriller mit einer vollkommen umotiviert eingestreutenb Actionsequenz indes gefährdet ihn permanent die Beliebigkeit. Das Resultat kann sich einer gewissen Zwiespältigkeit ergo nicht ganz freisprechen.

7/10

Spionage Kalter Krieg Jack Gold DDR


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TRAPEZE (Carol Reed/USA 1956)


"Nice to see you laugh again."

Trapeze (Trapez) ~ USA 1956
Directed By: Carol Reed


Seit einem Unfall, der ihn zum Krüppel gemacht hat, ist der einstige Trapezstar Mike Ribble (Burt Lancaster) ein bärbeißiger Zyniker geworden. Der junge Nachwuchsstar Tino Orsini (Tony Curtis) holt Mike aus seiner Lethargie und überredet ihn, ihm den dreifachen Salto beizubringen, eine der gewagtesten Kunststücke am Trapez. Ihre Partner- und Freundschaft wird durch die opportunistische Artistin Lola (Gina Lollobrigida) auf ein harte Probe gestellt.

Ein Film der Bilder und der visuellen Komposition. CinemaScope war soeben noch dabei, sich auf dem Markt endgültig durchzusetzen, da führten Carol Reed und sein dp Robert Krasker auf das Eindrucksvollste vor, welch pompöse Möglichkeiten in dem Breitformat steckten. Strenge Symmetrien, verschrobene Perspektiven, Netze und doppelte Böden allerorten. Wahre Kameramagie ist das. Darüberhinaus geriert sich "Trapeze" auch als ein Film über Farbe und Licht, zu großen Teilen on location in Paris gedreht und beseelt von entsprechender Atmosphäre. Diese passt sich hervorragend dem kitschigen Kintopp der amourösen Dreiecksgeschichte an; obschon ich selbst alles andere als ein Zirkusenthusiast bin - im klassischen Kino finde ich die Manege als glamouröses set piece und Herzschmerz-Kulisse eigentlich stets grandios. "Trapeze" ist vermutlich sogar eines der schönsten Beispiele für den Zirkusfilm, neben Ophüls' "Lola Montès" natürlich und meinem insgeheimen Liebling dieser Gattung, "Circus Of Horrors" von Sidney Hayers.

8/10

Freundschaft amour fou Zirkus Paris Carol Reed


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BRONSON (Nicolas Winding Refn/UK 2008)


"No one gives a toss about Charlton Heston. The man's a cunt."

Bronson ~ UK 2008
Directed By: Nicolas Winding Refn


Der englische Strafgefangene Michael Peterson (Tom Hardy), der sich während einer kurzen Phase in Freiheit in "Charles Bronson" umtaufen lässt, gilt als renitentester Gefängnisinsasse des Königreichs. Immer wieder stielt er während seiner Knastaufenthalte bizarre Kidnapping-Situationen ein, die er in zunehmend künstlerischer Weise "veredelt" und die dazu führen, dass er die meiste Zeit seiner Gefangenschaft in Einzelhaft zu verbringen hat.

Mit "Bronson", den ich für seinen bis dato besten Film halte, ist Winding Refn binnen relativ kurzer Zeit endgültig in meinen persönlichen Olymp der Lieblingsregisseure aufgestiegen. Allein für die Entscheidung, sich eines Antihelden wie dem britischen Langzeitknacki Charles Bronson anzunehmen, der seine Aktionen und sich selbst im Laufe der Jahre zu lebenden Kunstwerken, Installationen und Performances stilisiert hat, gebührt Winding Refn bereits allergrößter Respekt. Seine filmische Reise ins wesentlich widerständische Innere jenes Menschen gerät dann endgültig zu einem psychologischen Parforceritt, der glücklicherweise alle Regeln in den Wind bläst und dessen Finalgestalt genau so verrückt und exaltiert erscheint, wie es dem Sujet zukommt. Die weder chronologisch noch lokal kaum näher ausgewiesenen Episoden aus Bronsons Leben werden immer wieder durchbrochen von autobiografischen Statements, die den Protagonisten vor einem imaginären Bühnenpublikum zeigen und seine bizarren Maskeraden zu einer bald manischen Form der Selbstperspektive stilisieren.
Meine endgültige Höchstachtung hat "Bronson" dann insofern erobert, als dass er sich jeglicher Sympathie oder Antipathie gegenüber seiner Titelfigur enthält und stattdessen seiner Audienz die entsprechende Offerte macht. Die Entscheidung darüber, ob dieser Mann nun ein hoffnungslos asoziales, gefährliches Subjekt ist oder tatsächlich einer, dessen vorsätzliche Weigerung zur gesellschaftlichen Normierung schlicht inkompatibel ist mit der allgemeinen Vorstellung von Subordination, das überlässt Winding Refn jedem seiner Zuschauer ganz für sich allein.

10/10

Faustkampf Gefaengnis England Biopic Kunst Nicolas Winding Refn


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BLEEDER (Nicolas Winding Refn/DK 1999)


Zitat entfällt.

Bleeder ~ DK 1999
Directed By: Nicolas Winding Refn


Als Leo (Kim Bodnia) erfährt, dass seine Freundin Louise (Rikke Louise Andersson) von ihm schwanger ist, bricht nach und nach seine latent schlummernde Psychose durch. Diese äußert sich in unkontrollierter Aggression: Zuerst besorgt sich Leo "einfach nur so" eine Pistole, dann beginnt er, Louise zu schlagen. Der Konflikt kulminiert schließlich in einem offenen Schlagabtausch mit Louises ebenfalls höchst aggresssivem Bruder Louis (Levino Jensen). Leos Freund Lenny (Mads Mikkelsen), der wie ein Quasi-Autist ausschließlich für die Welt des Films lebt, hat derweil starke Probleme mit seiner Zwischenmenschlichkeit.

Mit seinen drei "Pusher"-Protagonisten (neben Bodnia und Mikkelsen kommt noch Zlatko Buric hinzu, der in "Bleeder" einen gesetzten Videothekar spielt) inszenierte Winding Refn dieses neuerliche, sperrige Porträt seiner Kopenhagener Heimat. Mit einer gedrungen Fischaugen-Perspektive macht der Regisseur es seinem Publikum am Anfang nicht leicht, sich in der Bildhaftigkeit seiner Welt zurechtzufinden. Als jedoch einmal klar ist, dass jenee Welt für alle Beteiligten längst aus den Fugen geraten ist, nimmt man den verqueren Blick auf sie stillschweigend hin. Lädt "Bleeder" ähnlich wie "Pusher" anfänglich noch hier und da zum Schmunzeln ein, so wandelt sich die Atmosphäre spätestens nach der Hälfte der Geschichte in eine zutiefst bedrohliche, die, und gerade darum ist sie so stark, ihren weiteren Fortlauf mit keiner Silbe verrät. Da wird eine Beschau von Lustigs "Maniac", von der Winding Refn nurmehr das Finale, das Joe Spinnell im Kreise seiner lebendig gewordenen Puppen zeigt, einfließen lässt, zu einer noch deutlich unangenehmeren Angelegenheit als die entsprechende Filmsequenz selbst.

8/10

Nicolas Winding Refn Dänemark Kopenhagen Videothek Amok Freundschaft


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TATORT - FRAU BU LACHT (Dominik Graf/D 1995)


"Ich glaub', ich hab' grad'n Déja-vu..."

Tatort - Frau Bu lacht ~ D 1995
Directed By: Dominik Graf


Die Münchener Kommissare Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) sind mit der Aufklärung des Mordes an einem Herrn Mauritz betraut. Mauritz hatte eine thailändische Frau (Anna Villadolid) mitsamt kleiner Tochter (Sabine Speicher) "aus dem Katalog" bestellt. Beide scheinen ob der Ermordung des Familienvaters sehr verstört. Um mehr über die Vermittlungsagentur zu erfahren, hören sich die Polizisten bei weiteren Klienten um und stellen fest, dass dem aalglatten Anwalt Zimmer (Ulrich Noethen) seine thailändische Angetraute (Yo Gerhardt) fortgelaufen ist. Batic tarnt sich kurzerhand als "Suchender" und findet heraus, dass die Agentur gern Frauen aus dem ostasiatischen Raum mitsamt kleinen Kindern an eine pädophile Klientel "verscherbelt"...

Trotz meiner großen Liebe für Schimanski und Thanner ist "Frau Bu lacht" vermutlich der beste Tatort, den ich kenne. Nicht etwa des Kommissarteams wegen, sondern schlicht wegen Domink Grafs so einfühlsamer wie handwerklich überragender Inszenierung. Ferner scheint mir das sensible Thema Pädophilie in Spielfilmform selten so behutsam und zugleich eloquent aufbereitet worden wie hier. Das Script geht gerade wegen seines traurigen Sujets sehr taktvoll vor, umschifft erfolgreich jede Sensationsklippe und bleibt stets auf dem realitätsverbundenen Teppich, den eine solche Geschichte unumgänglicherweise einfordert. Um den düsteren Topos etwas sonntagabendtauglicher zu machen, wurde noch ein amüsanter Nebenplot um einen thailändischen Dolmetscher und Kulturverständigen (Maverick Quek) eingefügt, der wider Erwarten sogar überaus prima funktioniert.
Dass am Ende das menschliche über das Berufsethos siegt, bleibt schließlich auch als gleichermaßen humanistischer Triumph im Gedächtnis haften. Fabelhaft.

10/10

Menschenhandel TV-Film Tatort Muenchen Dominik Graf Pädophilie





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Funxton

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