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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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CRASH (David Cronenberg/CAN, UK 1996)


"Make it ragged and dirty."

Crash ~ CAN/UK 1996
Directed By: David Cronenberg


Nach einem schweren, selbstverschuldeten Verkehrsunfall, in den auch die Ärztin Helen (Holly Hunter), deren Ehemann dabei stirbt, verwickelt ist, entdeckt der Filmregisseur James Ballard (James Spader) bei sich einen ganz speziellen Fetisch: Die Verbindung von Autos und Koitus, besonders im Zusammenhang mit ausladend inszenierten Unfällen, verschafft ihm nicht nur höchste Erregung, sondern bringt auch eine neue Erotik in das verflachte Sexleben mit seiner Frau Catherine (Deborah Kara Unger). Zusammen mit Helen lernt James den Performance-Künstler Vaughan (Elias Koteas) kennen, der sich gänzlich dem Studium und Nachstellen spektakulärer Crashes verschrieben und eine entsprechende, seltsame Subkultur begründet hat. Tatsächlich erweist sich Vaughans Hang zum Destruktiven als fortgeschrittene Todessehnsucht, der in (noch) moderater Form auch James, Catherine und Helen nacheifern.

Zerstörerischer Sex, Verkeilung und Fusion von Fleisch und Metall und erneut eine gute Portion Freud. Eine nächtliche Massenkarambolage bringt den Thanatos-Eiferer Vaughan, der das "Ereignis" aus allen denkbaren Winkeln photographiert, in höchste Verzückung; Hauptobjekte seiner Aufmerksamkeit sind dabei die, die auf möglichst spektakuläre Weise ums Leben gekommen sind. Dieser eigenartigen Lust widmet Vaughan seine gesamte Existenz: Er und sein etwas tumbes Faktotum Colin (Peter MacNeill) imitieren berühmte Unfälle Prominenter im Zuge einer bizarren Form der Anarcho-Kunst; tödliche Folgen keineswegs ausgeschlossen. Vaughans und Colins größter Traum ist es, irgendwann den tödlichen Unfall von Jayne Mansfield, bei dem sie angeblich enhauptet wurde, nachzustellen. Als alter ego des Autors und loser Agent des Zuschauers begibt sich der an der Langeweile dees Lebens zu verzweifeln drohende James Ballard in diesen 'crash underground' und verliert sich darin irgendwann selbst. Allein die nächste Möglichkeit, einen weiteren Bleckorgasmus zu erlangen, ist noch von Bedeutung.
Cronenberg verurteilt seine Charaktere in keinster Weise; er dokumentiert lediglich, erwartungsgemäß beseelt von einer obsessiven Faszination. Besonders die zärtliche Darstellung und umschmeichelnde Photographie der beinahe monströs verunstalteten Gabrielle (Rosanna Arquette) waren ihm wichtig: Ihre verkrüppelten Beine stecken in einem Metallgestell, ohne dessen Hilfe sie sich nicht bewegen könnte, ihr rechtes Bein musste offenbar der Länge nach chirurgisch geöffnet werden um innerlich gerichtet zu werden. Für James Ballard (und wohl auch Cronenberg, dessen betont erotische Inszenierung einer dazugehörigen Szene Bände spricht) ist diese Art der Versehrung keinesfalls abstoßend, sondern im Gegenteil höchst stimulierend.
Vermutlich war es diese recht konsequent ausgespielte, ein wenig an Ôshimas "Ai No Korîda" erinnernde Parallelisierung von Eros und Thanatos, die die meisten Kritiker verstörte und entsprechende internationale Zensurmaßnahmen hervorrief. Für Cronenberg-Studenten ist "Crash" wie seine meisten Filme bis in die neunziger Jahre hinein indes unverzichtbar, weil von für seine Verhältnisse stark decodierter Gestalt und zutiefst entlarvend.

8/10

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NAKED LUNCH (David Cronenberg/CAN, UK, J 1991)


"I guess it's about time for our William Tell routine..."

Naked Lunch ~ CAN/UK/J 1991
Directed By: David Cronenberg


New York, 1953: Der als Kammerjäger arbeitende, drogensüchtige Underground-Autor William Lee (Peter Weller) erschießt im Rausch seine Frau. Daraufhin bekommt er von einem mannsgroßen Insekt, einem "Mugwump", den Auftrag, nach "Interzone" zu flüchten, einer Zwischenwelt, die von Tanger in Marokko aus betreten werden kann. Dorthin gereist, lernt er diverse in der Schriftsteller-, Drogen- und Homosexuellen-Szene verkehrende Menschen kennen, darunter den Marihuana-Fabrikanten Hans (Robert A. Silverman), die paraphilen Eheleute Joan (Judy Davis) und Tom Frost (Ian Holm), den Schweizer Dandy Cloquet (Julian Sands) und den Callboy Kiki (Joseph Scorsiani). Von den insektenähnlichen Kreaturen aus Interzone, die ihn als "Agenten" einsetzen, bekommt er indes ständig neue bizarre Aufträge, die irgendwie allesamt um seine Schreiberei kreisen. Am Ende kann er zwar aus Interzone flüchten, die äußere Realität bleibt jedoch unverändert.

Mit der Adaption des als unverfilmbar gelten, semi-autobiographischen Fragment-Romans des Beat-Autoren William S. Burroughs, der ihn tatkräftig bei der Entstehung unterstützte, realisierte Cronenberg sein nächstes Projekt. "Naked Lunch" verhandelt mittels einem konsequent herbeifabulierten Symbolismus gleichermaßen Burroughs' Sucht und seine Homosexualität, seine zwei prägendsten und dabei von ihm selbst so zutiefst verhassten Wesenszüge, die er sich selbst durch seine halluzinatorische Flucht in das Phantasieland "Interzone" erträglich schrieb und machte. Die immer neuen Rauschmittel, mit denen Lee versucht, seine vorherrschende Hauptdroge abzusetzen, treiben ihn jeweils immer tiefer in die Sphären des Rauschs hinein, derweil er seine sexuellen Bedürfnisse und Praktiken einer Armada von überdimensionalen Käfern zuschreibt, die ihm als ihrem willenlosen Objekt stets neue Missionen auferlegen. Erst als Lee als scheinbaren Drahtzieher hinter dem ganzen Gewirr einen vertrauenswürdig geglaubten Mediziner (Roy Scheider) ausmacht, gelingt ihm die Flucht aus diesem ihn gleichermaßen anziehenden und abstoßenden Pfuhl. Doch hinter der Grenze von Interzone wartet mit dem Land "Annexia" nurmehr ein neuer, ungewisser Schwebezustand.
Für Cronenberg, den um diese Zeit offenbar ganz analoge Themen bewegten wie Burroughs seinerzeit (davon künden bereits die "Naked Lunch" einbettenden Werke "Dead Ringers" und "M. Butterfly"), muss die Verfilmung von "Naked Lunch" eine ähnlich freischaufelnde, autotherapeutische Wirkung gehabt haben wie einst das Buch für den Autoren. In Benutzung ungewohnt kräftiger, heller Farben wagt sich Cronenberg außerdem so nah an komödiantische Züge heran wie sonst nie; die Auftritte seiner (von "Fly"-Sequel-Regisseur Chris Walas gefertigten) Schreibmaschinenkäfern und Mugwumps, die im Original Burroughs' Stimme erhalten haben und in der deutschen Fassung die erstaunlich identisch klingende von Märchenonkel Hans Paetsch, sorgen trotz ihres widerwertigen, schleimigen und rektal orientierten Äußeren stets für einen seltam-bizarren Humor, zumal man ja weiß, dass sie im Grunde bloß Lees Halluzinationen entspringen und somit nichts als Selbstgesprächspartner sind. Interessant noch die Verewigungen von Burroughs' Zeit- und Berufsgenossen unter veränderter Nomenklaur: Allen Ginsberg und Jack Kerouac, die Burroughs bei der Entstehung von "Naked Lunch" unerstützten und antrieben, sind als "Martin" (Michael Zelniker) und "Hank" (Nicholas Campbell) zu sehen, Paul und Sally Bowles als besagtes Ehepaar Frost.

10/10

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DEAD RINGERS (David Cronenberg/CAN, USA1988)


"Elli. Elli. Elli. Elli. Elli."

Dead Ringers (Die Unzertrennlichen) ~ CAN/USA 1988
Directed By; David Cronenberg


Elliot (Jeremy Irons) und Beverly Mantle (Jeremy Irons) sind eineiige Zwillingsbrüder und führen zusammen die renommierteste gynäkologische Praxis Torontos. Obschon sie äußerlich identisch sind, besitzen sie doch zwei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, die sie jeweils nutzen, um die Defizite des anderen auszugleichen: Elliot ist der extrovertierte, forsche Frauenheld und Macho, der keinen öffentlichen Auftritt scheut, während Beverly eher der schüchterne Bücherwurm, Stubenhocker und vergeistigte Typ ist. Als die Schauspielerin Claire Niveau (Geneviève Bujold) in ihre Praxis und ihr Leben tritt, erregt sie zunächst die kuriose Aufmerksamkeit der beiden wegen ihres dreifachen Muttermunds. Dann jedoch verliebt sich Beverly ernsthaft in sie und geht daran zugrunde: Die drohende Aufbrechung der brüderlichen Symbiose durch diese Frau verkraftet er nicht. Beverly wird schwer medikamentenabhängig und psychotisch. Für Elliot liegt die einzige Möglichkeit, ihm gänzlich beistehen zu können, darin, exakt denselben Weg einzuschlagen.

Niederschmetternde Studie einer Abhängigkeit; nicht nur einer medikamentösen, sondern auch und vor allem einer zwischenmenschlichen. Zwei Individuen, eine Seele. Wie siamesische Zwillinge sind Elliot und Beverly zusammengewachsen, allerdings nicht physisch sondern psychisch. Entsprechend unmöglich die Trennung, Abnabelung, Emanzipation voneinander, die für Beverly schließlich nurmehr damit zu erreichen ist, dass er Elliot zur Gänze "extrahiert", um mit Claire zusammen sein zu können. Doch sein Plan geht schief. Er kommt nur bis vor das Gebäude und muss dann zurück, um seinem Bruder ein letztes Mal zu folgen. Interessanterweise stellt Cronenberg stellt die Brüder als zunächst mehr oder minder stark differierende Charaktere dar - hier den selbstbewussten, großmäuligen Egomenschen und Rhetoriker, der durchaus auch mal Schaum schlägt, dort den stillen Forschertypen, das eigentliche "Gehirn" der Dublette. Beide verdanken sich wechselseitige Erfolge: Beverlys fachliche Errungenschaften sorgen für Geld und Gut, Elliot bringt die Frauen mit, die sich die beiden dann heimlich und unerkannt teilen. Als diese Strategie schließlich nicht mehr funktioniert, weil die nicht eingeplante, elementare menschliche Regung der Liebe dazwischen funkt, ist es mittelfristig auch mit den Brüdern vorbei; Drogen, Wahnsinn, mentales Siechtum und Tod bemächtigen sich ihrer. Dass diese höchst dramatische, für ihren Regisseur auf den ersten Blick (zumindest damals noch) ungewöhnliche Fallstudie hervorragend ins cronenbergsche Universum passt, wird derweil rasch offenbar. Wie im nachfolger "Naked Lunch" geht es in "Dead Ringers" primär um Sucht - die Sucht nach Substanzen, die Sucht nacheinander, die Sucht nach sich selbst, für die Zwillinge letztlich die unerfülllbarste, fatalste der drei. "Scanner" Stephen Lack hat außerdem einen wunderbaren Nebenpart als zwielichtiger Skulpturist Anders Wolleck: Der bereits psychisch schwer angegriffene Beverly lässt sich von ihm eine bizarre Instrumenten-Kollektion fertigen, die angeblich der "Behandlung mutierter Frauen" dient und die ebensogut auch direkt aus dem Geiste H.R. Gigers entsprungen sein mögen. Ein Zusatz-Schmankerl, das dann wieder ganz Cronenberg ist.

10/10

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THE DEAD ZONE (David Cronenberg/USA 1983)


"The ice is going to break!"

The Dead Zone ~ USA 1983
Directed By: David Cronenberg

Der Lehrer Johnny Smith (Christopher Walken) liegt infolge eines schweren Autounfalls fünf Jahre im Koma. Nachdem er wieder erwacht ist, bemerkt er an sich das "Zweite Gesicht", eine Fähigkeit, die sich bereits vor dem Unfall latent zeigte, nun jedoch vollends ausgereift ist. Wenn Johnny jemanden berührt, erfährt er wahlweise dessen tiefste innere Geheimnisse oder kann etwas über die Gegenwart und die Zukunft des betreffenden Individuums sagen. Zeitgleich mit der Ausprägung seiner PSI-Kräfte verschlechtert sich allerdings auch Johnnys Gesundheitszustand. Nachdem er mehreren Menschen das Leben retten und einen Serienmörder (Nicholas Campbell) stellen konnte, gerät Johnny zufällig an den populistischen Politschreihals Greg Stillson (Martin Sheen), der, das sieht Johnny in einer Vision, dereinst den Dritten Weltkrieg auslösen wird. Für Johnny gibt es nurmehr einen Weg: Stillson um jeden Preis aufzuhalten.

Mehr als "Videodrome" ging nicht: Nach Cronenbergs sechs kanadischen Produktionen wurde endlich auch Hollywood auf den Genius aus dem Norden aufmerksam und engagierte ihn in der Person des Produzenten Dino De Laurentiis' unmittelbar nach "Videodrome" für die nächste, erfolgversprechende King-Adaption. Cronenberg zog es dann allerdings vor, allen Erwartungen und Prognosen ein Schnippchen zu schlagen und fertigte ein luzid erzähltes, mit Ausnahme einer einzigen Einstellung nahezu unblutiges und stilles Winterdrama um einen Hellseher wider Willen, der seine buchstäblich unfällig gewonnene Gabe keinesfalls als eine solche wahrnimmt. Christopher Walken, ohnehin einer der Größten, ist wiederum perfekt in der Rolle dieses einsamen Provinzhelden, der sein Schicksal als prophylaktischer Retter der Nation liebend gern gegen eine beschauliche Existenz mit seiner Liebsten (Brooke Adams) eintauschen würde. Diese hat es jedoch, ähnlich wie eine Soldatenfrau, die jahrelang vergeblich auf ein Überlebenszeichen ihres Mannes wartet, vorgezogen, auf Johnny zu verzichten und stattdessen ausgerechnet einen blassen Politjünger Stillsons zu ehelichen. So ist "Dead Zone" auch eine Reflexion über schicksalhafte Determination: Johnny Smith, der den unverbindlichsten amerikanischen Namen trägt, den man sich vorstellen kann, ist eine Art übersinnlicher Heilsbringer des Kalten Krieges, einer, der auf Kosten jedweder persönlicher Bedürfnisse die Menschheit retten muss und dafür von ihr gekreuzigt wird.

9/10

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RULES OF ENGAGEMENT (William Friedkin/USA 2000)


"Waste those motherfuckers."

Rules Of Engagement (Rules - Sekunden der Entscheidung) ~ USA 2000
Directed By: William Friedkin


Der Golf von Aden 1996: Colonel Childers (Samuel L. Jackson) soll den Diplomaten Mourain (Ben Kingsley) und seine Familie (Anne Archer, Hayden Tank) aus der jemenitischen US-Botschaft evakuieren, die von einheimischen Demonstranten und von Heckenschützen unter Beschuss genommen wird. Nachdem Mourain in Sicherheit gebracht wurde, liegen Childers und seine Männer unter Dauerbeschuss. Für sie bleibt nur eine Überlebenschance: Die Demonstranten unter Beschuss zu nehmen. Diese Aktion artet jedoch in ein Massaker aus, bei dem zahlreiche unbewaffnete Frauen und Kinder niedergemtzelt werden. Zurück in den USA wird Childers vor dem Militärgericht dses Mordes angeklagt. Als Verteidiger wählt er seinen alten Freund Colonel Hodges (Tommy Lee Jones), dem er einst in Vietnam das Leben gerettet hat.

Für einen als liberal bekannten, künstlerisch integren Freigeist wie Friedkin stellt "Rules Of Engagement" einen recht ungewöhnlichen Œuvre-Eintrag dar. Rein thematisch liegt der Film in dichter Nähe zu "A Few Good Men", was auch der Grund dafür ist, warum ich mir die beiden just hintereinander angeschaut habe. Hier wie dort geht es um militärische Codes, individuelle Entscheidungen und die anschließenden Konsequenzen, hier wie dort steht ein übermäßig selbstkritischer Verteidiger mit übermächtiger Vaterfigur im Mittelpunkt, hier wie dort wird das US-Militär sowohl in einen sowohl kritischen als auch heroischen Kontext gesetzt. Dennoch ist "Rules" der erwachsenere, reifere, hellsichtigere, kurz: der bessere Film. Die Gründe dafür liegen zunächst schlicht in der Person des Regisseurs begründet. Friedkin wahrt und nährt im Gegensatz zu Reiner stets eine gewisse, spürbare Distanz zum Geschehen und scheut sich nicht, seinem Publikum eine gewisse Mündigkeit zu unterstellen, was das Treffen individueller Entscheidungen anbelangt. Ungeachtet der Tatsache, dass man mit solchen Männern lieber nichts zu tun haben möchte, ja, ihre bloße Funktion schon aufgrund des gesunden Menschenverstandes vielleicht gar besser bedauert, ist dieser Colonel Childers nicht nur im kombattanten Einsatz ein unerbittlicher Kommisskopf, ein Hund des Krieges, der stets zu Gunsten seiner Männer entscheidet; eine für einen Offizier womöglich unabdingbare "Qualität". Insofern ist Hodges' flamboyant vorgetragenes Schlussplädoyer vor Gericht nicht ganz unwahr: Ein Staat, der Männer von Childers' Schlag rekrutiert, kultiviert und großflächig zum Einsatz bringt, darf die späteren Resultate auch nicht allzu vehement kritisieren. Somit sind es hier auch einmal mehr die Schreibtischhengste, die Politiker, die sich als die wahren Schweinehunde zu outen haben - der um äußeres Renommee bemühte Sicherheitsbeauftragte Sokal (Bruce Greenwood) und der feige Botschafter Mourain (Ben Kingsley), die, das versichert man uns per Schrifteinblendung zur allgemeinen (und leider überflüssigen) Erleichterung am Ende noch, ihrer Strafe zugeführt werden. Alles andere als ein bequemer Film, den Meister Friedkin da vorgelegt hat, aber ein diskussionswürdiger und - bedauerlicherweise - letzten Endes wohl auch grundehrlicher.

8/10

William Friedkin Courtroom Golfkriege Vietnamkrieg Militaer


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A FEW GOOD MEN (Rob Reiner/USA 1992)


"You can't handle the truth!"

A Few Good Men (Eine Frage der Ehre) ~ USA 1992
Directed By: Rob Reiner


Der aalglatte junge Navy-Anwalt Lt. Kaffee (Tom Cruise) wird dazu verdonnert, zwei des Mordes angeklagte Marines (Wolfgang Bodison, James Marshall) vor dem Militärgericht in Washington D.C. zu verteidigen. Die beiden in Guantanamo stationierten Männer sollen einen anderen Soldaten (Michael DeLorenzo) im Zuge einer Mobbing-Maßnahme bewusst getötet haben. Es gibt jedoch zwei Haken: Zum Einen behaupten die Marines, sie hätten einen von ihrem Vorgesetzten (Kiefer Sutherland) erteilten Befehl ausgeführt - was dieser allerdings stoisch leugnet -, zum anderen hatten sie angeblich nie vor, ihr Opfer wirklich zu töten, es sollte lediglich "eine Lektion erteilt" bekommen.

Bei "A Few Good Men" handelt es sich grundsätzlich sicherlich um eines der vorrangigen Courtroom-Dramen der Kinogeschichte, das in in einer Liga spielt mit den ganz großen, allseits bekannten Hausnummern. Ohne ein deftiges "Aber" sollte man Reiners brillant gespielten Film aber dennoch nicht einfach so wegtreten lassen. Sein omnipräsentes Militärpathos, dessen sich das Script und die ansonsten dramaturgisch überaus dichte Hochglanz-Inszenierung bedienen, ist nämlich ganz gewiss ein markiger Kritikpunkt. Zwar geben sich Aaron Sorkins Stück, auf dem der Film basiert, und auch sein Buch als vordergründig uniformkritisch, halten das globalpolizeiliche Ethos der US Army, von wegen "wir müssen für die kämpfen, die selbst nicht kämpfen können" jedoch latent im Publikumsbewusstsein. Ist man mit seiner Hinterfragung des Ganzen erst soweit gekommen, wird man dann auch unweigerlich weiterbohren und frösteln müssen über die offen herausgekehrte Unbeholfenheit der zwei Angeklagten, die ja offensichtlich als repräsentativ für die meisten Privates und Lance Corporals des U.S. Marine Corps gelten dürfen: Hohlköpfige, blinde Organe für bigotte Vorgesetzte, die ihre Befehle, und mögen diese noch so widersinnig sein, weder mehr als nötig hinterfragen, noch zu eigenständiger Reflexion in der Lage sind. Auch wenn zumindest der Film am Ende anderes suggeriert: Das Straßmaß für die beiden Angeklagten ist ein Witz. Solch gefährliche Patrone gehören für Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in den Bau. Davor sollte schon mal gar keine Uniform und auch kein noch so diabolischer Jack Nicholson schützen.

7/10

Militaer based on play Washington D.C. Rob Reiner Courtroom Kuba


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FIELD OF DREAMS (Phil Alden Robinson/USA 1989)


"Is this heaven?" - "No, it's Iowa."

Field Of Dreams (Feld der Träume) ~ USA 1989
Directed By: Phil Alden Robinson


Der Ex-68er und jetztige Farmer Ray Kinsella (Kevin Costner) hört eine Stimme in seinem Mais, deren Geflüster er dergestalt interpretiert, dass er ein Baseballfeld anlegen soll. Kaum dass dieses fertiggestellt ist, läuft nicht nur der durch den berüchtigten 1919er Black-Sox-Skandal (der acht Spielern der Chicagoer White Sox wegen angeblicher Korruption das berufliche Genick brach) entehrte und 1951 verstorbene "Shoeless Joe" Jackson (Ray Liotta) dort auf, sondern gleich auch die sieben anderen Spieler. Doch damit nicht genug - Rays magische Aufträge gehen weiter...

Ein uramerikanischer Film um diverse uramerikanische Themen: Um die Rede- und Meinungsfreiheit geht es, um die Bastion Familie, darum, dass Iowa City ja irgendwie doch das Zentrum der westlichen Zivilisation sein muss. Und um Baseball natürlich. Der alte Schuld-und-Sühne-Topos um die versäumte Aussöhnung mit dem verstorbenen Vater steht zwar als Inspiration für das Finale parat, ist letztendlich jedoch bloße Ausflucht. Tatsächlich ist der ganze Film ein kaum verschleiertes, wenn auch recht schönes und weitgehend kitschbefreites Hohelied auf und um die Errungenschaften des land of the free. Mit James Earl Jones, der einen farbigen J.D. Salinger-Verschnitt spielt und Burt Lancaster hat Robinson zwei grandseigneurs des amerikanischen Kinos gebucht, die für die unverzichtbare Edelpatina des Stoffs zuständig sind. "Field Of Dreams" ist bei aller nicht unberechtigten Kritik wohl ein recht schöner Film, dessen implizite Naivität ausnahmsweise mal nicht als kalkuliertes Mittel zum Zweck erscheint, sondern sich aus der märchenhaften Geschichte um den Geist und die Geister des Baseball autogeriert.
Phil Alden Robinson hat bislang lediglich vier Kinostücke inszeniert (das letzte davon, die Clancy-Adaption "The Sum Of all Fears", 02), wovon allerdings nicht "Field Of Dreams", sondern "Sneakers" der beste ist. Momentan agiert er eher aus dem Hintergrund heraus. Schade eigentlich.

7/10

W.P. Kinsella Erwachsenenmaerchen Phil Alden Robinson Baseball Geister Iowa


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BRIGHTON ROCK (John Boulting/UK 1947)


"You wanted a recording of my voice, well here it is. What you want me to say is, 'I love you'. Well I don't. I hate you, you little slut."

Brighton Rock ~ UK 1947
Directed By: John Boulting


Im Brighton der Zwischenkriegsjahre versucht sich der strebsame junge Gauner Pinkie Brown (Richard Attenborough) im schmutzigen Geschäft der Schutzgelderpressung. Dabei ist er im Vergleich zu Brightons führendem Gangsterboss Colleoni (Charles Goldener) bloß ein kleines Licht. Seinen folgenschweren Fehler, in die Stadt zurückzukehren bezahlt einer von Pinkys früheren Berufsgenossen (Alan Wheatley) dennoch mit dem Leben. Es gibt allerdings zwei mittelbare Zeugen: Die Tingeltangel-Sängerin Ida (Hermione Baddeley) und die junge Kellnerin Rose (Carol Marsh). Letztere macht sich Pinky durch vorgetäuschtes Liebesgesäusel zu eigen, ist jedoch viel zu abgebrüht, um es ehrlich mit ihr zu meinen.

Bitterstes, realitätsgebundenes Traditionsgangsterkino aus dem Königreich mit einem formidablen Attenborough, seinerzeit junge 24 und ungewohnt diabolisch. Mit Ausnahme seines Serienmörders John Christie in Fleischers "10 Rillington Place" dürfte der Part des skrupellosen Nachwuchsgangsters Pinky Brown seine schwärzeste Rolle darstellen. Ein wahrer Misanthrop vor dem Herrn ist dieser egomanische kleine Psychopath, einer, vor dem selbst seine sogenannten Freunde Angst haben, weil er jeden Fehltritt mittels bösester Sanktionen quittiert. Umso herzzerbrechender Browns Antagonistin, die naive junge Rose, die ihm, jener symbolischen, hoffnungsvollen Fahrkarte heraus aus dem tristen Katechismus ihrer unbeleuchteten Existenz, vollkommen verfällt. Ihrer bedingungslosen Liebe zu ihm begegnet Brown mit einem kühlen Lächeln voller Bitterkeit. Für sie, dieses kleine Dummchen, empfindet er tatsächlich nichts als misogyne Abscheu, die er in einem besonderen Anfall von Ekel sogar auf Schellack verewigt. Immerhin darf sie ihren verlogenen kleinen Traum von der großen Liebe selbst noch weiterträumen, nachdem der Atlantik Pinky Brown, jenen leicht verhinderten Cockney-Erben von Enrico Bandello und Co., längst verschluckt hat.

8/10

Roy Boulting Graham Greene period piece John Boulting Brighton


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YOU WILL MEET A TALL DARK STRANGER (Woody Allen/USA, E 2010)


"Let us all calm down!"

You Will Meet A Tall Dark Stranger (Ich sehe den Mann deiner Träume) ~ USA/E 2010
Directed By: Woody Allen


Parallel erzählte Liebes- und Leidensgeschichten vierer Londoner, allesamt miteinander verwandt: Alfie Shebritch (Anthony Hopkins) erlebt seinen dritten Frühling, trennt sich von seiner Frau Helena (Gemma Jones) und ehelicht eine dralle, aber unterbelichtete Prostituierte (Lucy Punch), derweil Helena den Scharlatanerien einer Wahrsagerin (Pauline Collins) verfällt und mit einem okkultistisch interessierten Buchhändler (Roger Ashton-Griffiths) anbandelt. Für Alfies und Helenas Tochter Sally (Naomi Watts) steht derweil die eigene Trennung von ihrem erfolglosen Autorenmann Roy (Josh Brolin) ins Haus. Während Sally bei ihrem Chef, einem reichen Galeristen (Antonio Banderas) abblitzt, findet Roy neue Hoffnung bei seiner schönen Nachbarin Dia (Freida Pinto), leistet sich jedoch einen unmöglichen beruflichen Faux-pas.

Ähnlich wie eine alljährlich stattfindende, behagliche Geburtstagsparty bringen Woody Allen und seine regelmäßige Werkskonstante bekanntermaßen nicht viel Neues, erheitern meinereiner jedoch stets zuverlässig, weshalb ich dem jeweils aktuellen Werk auch immer wieder mit wohliger Vorfreude entgegensehe. "You Will Meet A Tall Dark Stranger", wiederum in Allens neuem Zweitlieblingsdomizil London beheimatet, rekapituliert einmal mehr all die bekannten Topoi der mittlerweile 76 Lebensjahre umfassenden New Yorker Neurosenpeitsche: Alter und Jugend Scheidung und Reue, Verblendung, Amours fous und, in den letzten Jahren verstärkt hinzugekommen, ein krimineller Akt. Komödiantisch ist der Film nur in den ersten zwei Dritteln zur Gänze, als jeder der Protagonisten sich durch unbedachte Handlungen von Leichtgläubigkeit bis hin zum Voyeurismus lächerlich machen muss - danach, im finalen Akt, kommen die Konsequenzen und mit ihnen all die Minikatastrophen, die das Schicksal so aufzubieten weiß. Allen hinterlässt bewusst ein Gewirr loser Fäden - ob und wie seine Figuren ihre recht bösartigen Probleme meistern werden, verrät er uns nicht. Angesichts seiner zunehmend finsteren Sicht auf die Welt darf man aber mit de Schlimmsten rechnen.

8/10

Amour fou Woody Allen Ehe London Scheidung


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M (Fritz Lang/D 1931)


"Muss! Will nicht! MUSS! WILL NICHT!"

M ~ D 1931
Directed By: Fritz Lang


In Berlin geht ein pathologischer Kindermörder um, der nach außen hin unscheinbare Hans Beckert (Peter Lorre). Dieser versetzt nicht nur die Bevölkerung und die Polizei, allen voran Kriminalinspector Lohmann (Otto Wernicke), in Aufruhr, sondern auch das unter permanenten Großrazzien leidende, organisierte Verbrechen. Schließlich kommen die Unterweltler auf die zündende Idee, den noch anonymen Mörder mithilfe der städtischen Bettler zu finden, dingfest zu machen und ihn vor ihr hauseigenes Femegericht zu stellen.

Langs Meisterwerk in der restaurierten Fassung zu sehen, befreit vom Schmutz und Staub der Jahrzehnte und mattglänzend wie nie, ist, man kann es sich denken, ein wahrer Hochgenuss. Auch wenn "M" für mich kulturhistorisch betrachtet primär ein mit Döblins "Berlin Alexanderplatz" ranggleiches Porträt über die Hauptstadt der entstehenden und langsam kippenden Weimarer Republik (beides liest sich ganz gut als symbolbehaftete Fallstudie) darstellt - das eigentliche große Thema, das Lang zeit seiner Karriere bewegte - der gesellschaftlich Ausgestoßene im Angesichte der Lynchjustiz - wird hier bereits bis zur Vollendung ausgespielt, da es sich noch bewusst untendenziös gibt und die volle Entscheidungsgewalt seinem Publikum überlässt: Wie kann man einem Mann wie Hans Beckert in adäquater Weise begegnen? Die reale Antwort auf ebendiese Frage ergab sich wenige Wochen nach der Filmpremiere, als Peter Kürten, der "Vampir von Düsseldorf", zu dessen Fall "M" einige bewusste Analogien aufzeigte, seinem Scharfrichter begegnete und enthauptet wurde. Hier stand die soziale Bestialität der psychopathologischen für einen luftleeren Moment in nichts nach und Langs Film mit seinem bis heute unerreichten, ungeheuer intensiv aufspielenden Peter Lorre bekam seine vollendete historische Daseinsberechtigung. Was bleibt, ist Perfektion: gestern, heute, immerdar.

10/10

Serienmord Weimarer Republik Berlin Fritz Lang Unterwelt





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