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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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ODDS AGAINST TOMORROW (Robert Wise/USA 1959)


"Well, to me you ain't just another white spot on the streets."

Odds Against Tomorrow (Wenig Chancen für morgen) ~ USA 1959
Directed By: Robert Wise


Um sich zu sanieren, will der betagte Ex-Cop Burke (Ed Begley) eine Bank in Merton, Upstate New York überfallen. Dazu braucht er noch zwei Männer, die er in den Gaunern Earl Slater (Robert Ryan) und Johnny Ingram (Harry Belafonte) gefunden zu haben glaubt. Burke bedenkt jedoch nicht, dass Slater und Ingram, einmal zusammengeführt, schlimmer als Hund und Katz sein müssen. Slater, ein ausgebrannter, misanthropischer und zur Gewalttätigkeit neigender Weltkriegsveteran legt starke rassistische Tendenzen an den Tag, während der farbige Ingram eine Familie zu versorgen und einiges an Schulden bei dem Kredithai Bacco (Will Kuluva) einzulösen hat - nicht eben die treffsicherste Konstellation für einen gelungenen Bruch...

Meisterliches von Wise, mit Blick auf seine Filmographie schätzungsweise einer seiner besten Filme. In tristgrauen, zutiefst im Realismus verankerten Einstellungen tischt Wise seine hoffnungslose Einbrechergeschichte auf, die, das weiß man bereits im Vorfeld, weniger von der eleganten Ausführung eines Coups handelt als vielmehr davon, drei desillusionierte Versager zum letzten Mal in ihrem Leben verlieren zu sehen. Bereits die gefeierte "Waiting"-Sequenz - Burke, Slater und Ingram halten sich, ihren Gedanken nachhängend und mit großem örtlicher Distanz zueinander, an einem Flussufer auf, um die Zeit bis zum Überfall zu überbrücken - ist von einer formalen Brillanz, die noch heute jeden angehenden Filmemacher in Ehrfurcht erblassen lassen und nachhaltig erschüttern sollte. Spätestens angesichts dieser flüchtigen Augenblicke wird auch klar, dass "Odds Against Tomorrow" eine brutale Studie des Scheiterns ist. Dabei wird der so groß angekündigte Rassismus-Aspekt glücklicherweise eher zur beiläufigen Facette - anders als die vielen thematisch ähnlich gelagerten Filme jener Zeit wirkt "Odds" nicht, als wolle er irgendwen oder irgendwas mit Gewalt etablieren. Seine bittere Konsequenz ist lediglich die, dass die Hautfarbe spätestens im Tode sowieso ohne jedwede Bedeutung ist.

10/10

Rassismus Heist Robert Wise New York Abraham Polonsky


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CARLOS (Olivier Assayas/F, D 2010)


"This isn't my kind of terrorirism."

Carlos (Carlos - Der Schakal) ~ F/D 2010
Directed By: Olivier Assayas


Der Werdegang des unter dem Namen "Carlos" zu hohem internationalen Popularitätsgrad gelangten, venezolanischen Terroristen Ilich Ramírez Sánchez (Édgar Ramírez) ab 1972. Nachdem Carlos sich der palästinensischen Extremistenorganisation PFLP anschließt, tritt er mit dem Kidnapping einiger Minister von der Wiener OPEC-Konferenz im Jahre 1975 endgültig in das Licht der Öffentlichkeit. Wenngleich die Aktion im Sinne des Organisators bei Weitem nicht vollends zufriedenstellend verläuft, bleibt Carlos noch viele Jahre im Terrorgeschäft. Nach der Gründung seiner eigenen Gruppe, der OAAS, schlägt Carlos, gedeckelt von den Sowjets, sein Hauptquartier in Budapest auf und führt von hier aus mehr oder minder erfolgreich Aufträge durch, die von Waffenübergaben an die ETA über Anschlägen für die Araber bis hin zu verdeckten KGB-Aktionen reichen. 1994 wird er schließlich im Sudan festgenommen und der französischen Justiz überstellt.

Nicht allein Carlos' unter zumeist großer Medienaufmerksamkeit ausgeführte Terroraktionen dürften Assayas veranlasst haben, diesen fünfeinhalbstündigen Mammutfilm über ihn zu dirigieren; auch Carlos' Nebenstatus als eine Art Sub-Popstar, Hedonist und Womanizer wird seinen Beitrag dazu geleistet haben. Entsprechende Aufmerksamkeit widmet Assayas den "fiktionalisierten" Episoden aus Carlos' Privatleben: Seine zahllosen Affären mit schönen Frauen, die sich mal mehr, mal weniger als Sympathisanten der antiimperialistischen Sache verstehen, dabei eine mit seinen Grundsätzen unvereinbare Misogynie und seine heillos übersteigerte Egomanie. "Carlos" bildet somit auch eine willkommene Demystifizierung des linken Terrors der siebziger und frühen achtziger Jahre, indem er ihn als öffentlichkeitswirksame Plattform für bisweilen naive Selbstdarsteller entlarvt. Dabei formuliert Assayas vor einer nebenbei brillanten Songauswahl (u.a. New Order, Wire, The Feelies und The Lightning Seeds) sogar die zwischen brodelnd und gewagt oszillierende These, das Männer wie Carlos diesen Lebensstil aus rein egozentrischen Gründen wählen - International gesuchter Terrorist zu sein, bedeutete damals, als das entsprechende Bild sich nicht auf irgendwelche bärtigen, spinnerten Mullahs beschränkte, vor allem eines: Popularität. Carlos genießt die ihm zuteil werdende Heldenverehrung aus entsprechenden Kreisen. Junge Genossinnen werfen sich ihm an den Hals, er kann mit Waffen spielen, kubanische Zigarren rauchen, guten Scotch trinken und später, als die Ideale langsam schwammig zu werden beginnen, mit luxuriösen Autos fahren. Nicht das schlechteste Leben, obschon die weststaatlichen Konsequenzen dafür von einiger Dauer sind.

9/10

TV-Serie Olivier Assayas Historie period piece Biopic Terrorismus Naher Osten Paris


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MONSTERS (Gareth Edwards/UK 2010)


"I don't want to go home."

Monsters ~ UK 2010
Directed By: Gareth Edwards


Eine interstellare Sonde bringt außerirdisches Leben mit zur Erde, das sich in einem breiten Grenzstreifen zwischen den USA und Mexiko prächtig entwickelt, zu gigantischen, krakenähnlichen Wesen gereift und sich auch durch permantente militärische Intervention nicht vernichten lässt. Sechs Jahre später erhält der junge Fotograf Kaulder (Scoot McNairy) den Auftrag, Samantha (Whitney Able), die Tochter seines Verlegers, aus Mexiko sicher zurück in die USA zu geleiten. Die beiden lernen sich auf der Reise besser kennen und entwickeln Gefühle füreinander. Als sie die auslaufende Fähre verpassen, müssen sie dann den schwierigen Landweg durch die "kontaminierte" Zone nehmen und schließen bald unangenehme Bekanntschaft mit den außerirdischen Kreaturen.

Dem durch seinen Titel tangierten Genrefilm schuldet Edwards gar nichts und das betont er auch permanent während der Abwicklung seiner Geschichte. "Monsters" präsentiert sich eher ein schicker, harmonischer und sauberer Film für eine zielgerichtet junge, akademische Zuschauerschaft, eine klassische Liebesgeschichte in ungewöhnlichem Kontext rekapitulierend, wie sie seit Capras "It Happened One Night" dutzend-, wenn nicht gar hundertfach zu Besuch im Kino war. Edwards' Film gesellt sich somit zu einer bereits seit längerem andauernden Welle revisionistischer phantastischer Filme, zu denen ich auch Spielbergs "War Of The Worlds"-Remake, "The Mist", "Cloverfield" oder "District 9" zählen würde. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie klassische zwischenmenschliche Problematiken vor einem apokalyptischen Monsterszenario um außerirdische oder aus einer Paralleldimension stammende Kreaturen abspielen, wobei die Brisanz der humanen Interjektionen zumindest für den Moment die der außerweltlichen Bedrohung unverhältnismäßig übersteigt. Nicht, dass ich "Monsters" etwa ablehnend gegenüberstünde, aber mir scheint es dennoch so, als reite sich die oben umrissene Idee langsam aus. Ein hübscher Film mit echtem lovecrafteschem Impact, der sich getraut, ganz ungeniert auch mal wieder seine Monster ins Zentrum zu rücken, käme mir durchaus mal wieder zupass. Vielleicht vermag Del Toros in Bälde kommender "At The Mountains Of Madness" das ja.

7/10

Monster Mexiko Aliens Road Movie


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DER SKORPION (Dominik Graf/D 1997)


"Auf was bist du?"

Der Skorpion ~ D 1997
Directed By: Dominik Graf


Der Münchner Polizist Josef "Jupp" Berthold (Heiner Lauterbach) ist einem Ecstasy-Ring auf der Spur, der mit besonders brutalen Mitteln arbeitet. Als die Verbrecher Bertholds Frau (Renate Krößner) unter LSD setzen und diese darauf bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt wird, geht er umso vehementer gegen die Bande vor. Bertholds Sohn Robin (Marek Harloff) bendelt derweil ausgerechnet mit einer jungen Frau (Birge Schade) aus der "Szene" an.

Diese TV-Arbeit von Graf erweist sich zuweilen als nicht wenig sperrig. Der ganze Film ist, analog zu seinem Thema, gefilmt wie ein Trip, per stark nachbearbeitetem 35mm-Material. Extreme Überbeleuchtung, künstlich eingefügte Defekte und Schmutzpartikel sowie ein mitunter anstrengender Schnitt verdeutlichen primär die Amphetamin-Episoden von Bertholds Sohn Robin, der mit der Bekanntschaft der diesbezüglich höchst erfahrenen Daria in einen permanenten Ecstasy-Rausch abdriftet. Das Resultat erweist sich als interessant genug um als solide Graf-Arbeit zu bestehen, ermangelt jedoch meiner Wahrnehmung zufolge ein wenig der notwendigen emotionalen Involvierung. Möglich auch, dass eine wiederholte Betrachtung noch Zwiebelschichten erschließt, die mir bislang verborgen geblieben sind - wie gesagt macht der stark auf seine Oberfläche fixierte Film es einem nicht ganz leicht.

7/10

Ecstasy LSD Drogen TV-Film München Familie Dominik Graf


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DR. JEKYLL AND MR. HYDE (Victor Fleming/USA 1941)


"The final solution..."

Dr. Jekyll And Mr. Hyde (Arzt und Dämon) ~ USA 1941
Directed By: Victor Fleming


London, 1887: Der Arzt Dr. Jekyll (Spencer Tracy) hat beinahe alles, was man sich wünschen kann: Geld, beruflichen Erfolg, gesellschaftliches Renommée, eine wunderhübsche Braut (Lana Fleming). Und dennoch ist er unzufrieden. Jekylls ehrgeiziges, aber ethisch indiskutables Forschungsziel sieht nämlich vor, die gute von der bösen Persönlichkeitshälfte des Menschen zu separieren, um zweitere somit langfristig ausmerzen zu können. Ein Selbstversuch mit einer eigens gebrauten Chemikalie fördert Jekylls dunkle Seite zu Tage - den sinistren Mr. Hyde (Spencer Tracy). In der Gestalt von Hyde bemächtigt sich Jekyll des Barmädchens Ivy (Ingrid Bergman), das er quält und erniedrigt. Schließlich kann Jekyll die Verwandlung in sein alter ego nicht mehr eigenmächtig steuern und es kommt zu zwei Morden.

Genau zehn Jahre nach Mamoulians bis heute ungeschlagener Adaption des Stoffes für die Paramount (den MGM kurz darauf aufkaufte und lange Jahre im hauseigenen Giftschrank vergammeln ließ) folgte diese neuerloche Verfilmung, die sich eher als Tragödie fehlegeleiteten Forschungsdranges verstehen lässt denn als Horrorfilm. Dafür bürgt schon das Makeup: Während aus Fredric March ein äffisches, umherhüpfendes missing link wurde, erhält Tracy zwar ein archaisch und hässlich anmutendes Gesicht, sieht aber immer noch human genug aus, um im East End nicht allzu sehr aufzufallen. Zudem betont wie bereits Mamoulian auch Fleming mehr den intraprotagonistischen Kampf Jekylls; der viktorianische Bourgeois ist sich längst genug und sucht nach sexueller Abwechslung, die er in aller Anonymität ausleben kann. Die Gestalt Hydes ist dafür eine willkommene Hülle. Interessant noch die Frage danach, wie Jekyll eigentlich seine Auftritte als Hyde erlebt, ob bei vollem Bewusstsein oder eher durch eine Art Wahrnehmungsdunst, wie auf Droge. Fleming deutet an, dass Jekyll sich nicht an alle seine Missetaten als Unhold erinnern kann. Das spräche dann für Letzteres.

8/10

Victor Fleming Jekyll und Hyde London period piece Robert L. Stevenson


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DRACULA'S DAUGHTER (Lambert Hillyer/USA 1936)


"Sandor, what do you see in my eyes?" - "Death."

Dracula's Daughter (Draculas Tochter) ~ USA 1936
Directed By: Lambert Hillyer


Nachdem Professor Van Helsing (Edawrd Van Sloan) den Grafen Dracula zur Strecke gebracht hat, muss er sich bei der Polizei für den betreffenden Mord verantworten - glaubt ihm hier doch niemand die vermeintliche Mär vom gepfählten Vampir. Dann jedoch verschwindet Draculas Leiche aus der Pathologie. Des Grafen Tochter, die Gräfin Marya Zaleska (Gloria Holden), wünscht eine standesgemäße Verbrennung. Doch hegt sie keinesegs Rachegedanken; im Gegenteil. Marya wünscht sich nichts sehnlicher, als vom Fluch des Vampirismus und der Sucht nach Blut erlöst zu werden. Zu diesem Zwecke versucht sie, den Psychologen Jeffrey Garth (Otto Kruger), einen Freund Van Helsings, zu instrumentalisieren. Doch Garth durchschaut die Gräfin.

Hillyers unmittelbar an das Ende von Brownings Ur-"Dracula" anknüpfendes Sequel evoziert eher finstere Romantik den handfesten Grusel und hätte mit seiner tragisch angehauchten Geschichte um den "Fluch des Blutes" (in gleich doppelter Hinsicht) auch vorzüglich in den späteren Lewton-Zyklus der RKO gepasst. Edward Van Sloan ist nochmal in seiner Paraderolle als Van Helsing zu sehen, hat jedoch eher wenig zu tun. Interessanter scheint da der B-Regisseur Irving Pichel als der Gräfin treuer und eifersüchtiger Adlatus Sandor, der sogar ein bisschen von Lugosis affektiertem Aristokratismus in die Fortsetzung hinüberrettet. Die von wechselseitigen Piesackereien geprägte Hauptpaarung Otto Kruger - Marguerite Churchill hat derweil viel von den screwball comedies dieser Tage, vermutlich kein Zufall. Beinahe unnötig zu erwähnen, dass der Film formal äußerst stimmig geraten ist.

7/10

Dracula Lambert Hillyer London Sequel Universal-Monster


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THE HUNCHBACK OF NOTRE DAME (William Dieterle/USA 1939)


"Sanctuary! Sanctuary!"

The Hunchback Of Notre Dame (Der Glöckner von Notre Dame) ~ USA 1939
Directed By: William Dieterle


Paris im späten 15. Jahrhundert: Der Buchdruck hat sich soeben den Weg in die Stadt gebahnt, da wähnt der intrigante Dompropst Frollo (Cedric Hardwicke) schon eine mögliche Teufelei in jener Entwicklung, die aufklärerische Philosophien zum völkischen Lauffeuer machen könnte. Zeitgleich kommt die schöne Zigeunerin Esmeralda (Maureen O'Hara) in die Stadt, die ausnahmslos jedem Manne den Kopf verdreht, allen voran Frollo selbst, der wiederum auch dies für eine rein diabolische Verführung hält. Als er einsehen muss, dass er Esmeralda niemals besitzen kann, intrigiert er gegen sie und will sie an den Galgen bringen, doch der von jedermann verspottete, körperlich entstellte Glöckner Quasimodo (Charles Laughton), zugleich Frollos Findelkind, rettet sowohl Esmeralda als auch die Kathedrale Notre Dame de Paris vor der Erstürmung durch revolutionäre Kräfte.

Wie all die großen, monströsen Wesen des Kinos in den Dreißigern blieb auch die innige Zuneigung des Glöckners Quasimodo für seine schöne Angebetete nur ein Traum. "Why was I not made of stone - like thee?", fragt er am Ende die Wasserspeier auf dem Dach seiner Heimstatt und subsummiert damit die ganze Tragik seiner Existenz. Dieterles Quasimodo steht dabei in Ehrfurcht gebietender Tradition: Dracula, Imhotep, der Zwerg Hans, Kong, Frankensteins Monster, der Chirurg Dr. Gogol, das Phantom der Oper und so fort - durchweg traurige, missverstandene, teils übernatürliche, teils erschreckend menschliche Wesen mit dem sie alle einenden, unerfüllten Wunsch nach Wärme, Zuneigung, Liebe oder auch bloß einer Partnerin für die Ewigkeit. Tatsächlich sind all diese vordergründigen Schreckgestalten ja zumeist bloß unförmige Ringer in romantischer Tragödie und damit die schattigen Nebenbuhler von Errol Flynn, Clark Gable und Konsorten. Charles Laughton war dann der letzte große Horrorheld des Jahrzehnts, in einer ungeheuer aufwendigen (die Inszenierung der Massenszenen und des Narrenfests sowie die Bauten von Polglase sind von höchster Kunstfertigkeit) und schönen RKO-Adaption des Hugo-Romans. Der Horror-Stempel wiederum kam freilich als Begleitsymptom, denn im Prinzip tut Quasimodo weiter nichts Unrespektables, als sich physiologisch der Norm zu entziehen. Das wahre Böse verbirgt sich hier einmal mehr unter gesellschaftlich anerkanntem Talar, nämlich dem des Klerus!

9/10

period piece Historie Paris William Dieterle Renaissance


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FREAKS (Tod Browning/USA 1932)


"Gooble-gobble, gooble-gobble!"

Freaks ~ USA 1932
Directed By: Tod Browning


Der zwergenwüchsige Artist Hans (Harry Earles) aus dem Sideshow-Zirkus der Madame Tetrallini (Rose Dione) verliebt sich zur großen Enttäuschung seiner Verlobten Frieda (Daisy Earles) in die normalgroße Seilakrobatin Cleopatra (Olga Baclanova). Diese, eine zutiefst gierige und boshafte Person, macht sich einen Spaß daraus, die wertvollen Geschenke des vor Liebe blinden Hans anzunehmen und sich dabei vor der ganzen Zirkusgesellschaft über ihn lustig zu machen. Als Cleopatra erfährt, dass Hans eine großzügige Erbschaft im Rücken hat, geht sie sogar soweit, ihn mit Mordplänen im Hinterkopf zu heiraten. Doch sowohl Hans als auch die anderen körperlich deformierten Zirkusmitglieder kommen Cleopatra dahinter und rächen sich grausam an ihr und dem Kraftmenschen Hercules (Henry Victor), ihrem "partner in crime".

Mit dem erklärten Ziel, die gruseligen Horror-Talkies der Konkurrenz von Universal an schockierendem Effekt noch zu überbieten, verlangte MGM-Executive Irving Thalberg nach entsprechend rüdem Stoff. Die MGM entwickelte sich schließlich, mit Ausnahme vielleicht noch von der RKO, zum einzigen ernstzunehmenden Konkurrenten auf dem Gebiet des Horrorfilms dieser nicht nur für jenes Genre goldenen Jahre. Zwar hatte jedes Studio seine zwei, drei Vorzeigeprojekte, doch nur die genannten drei vermochten es, praktisch Klassiker in Serie hervorzubringen. Nachdem die Universal unter Carl Laemmle bereits "Dracula", Frankenstein" und "The Mummy" von der Leine gelassen hatte, zog MGM nach: Man entlieh "Dracula"-Regisseur Tod Browning bei der Konkurrenz, engagierte echte Sideshow-Mitarbeiter mit wirklichen physischen Abnormitäten und schuf einen Horrorfilm, der eigentlich gar keiner ist. Vielmehr erzählt "Freaks" ein soapiges Romantikdrama mit kriminalistischem Ausgang, das so ähnlich auch als späterer Noir-Stoff funktioniert hätte. Das von dem Film womöglich evozierte Grauen entstammt bekanntlich der Selbstprojektion des Publikums, das erstmal schlucken muss, dass die physisch normalgewachsenen die innerlich Verabscheuungswürdigen sind und die Deformierten und Behinderten die wahrhaft edlen Charaktere mit strengem Gemeinschafts- und Ehrenkodex. Um es den Leuten nicht ganz so schwer zu machen, bekamen sie die voll bei den Freaks inegrierten "Normalos" Phroso (Wallace Ford) und Venus (Leila Hyams) als Identifikationsfiguren mit auf den Weg.
Es lässt sich bis heute trefflich darüber streiten, ob der Film die Behinderungen seiner Akteure selbstzweckhaft ausbeutet oder ein humanistisches Pamphlet ist; Argumente gibt es hinreichend für beide Positionen. Als Film von allerhöchster atmosphärischer Qualität indes darf "Freaks" als unumstritten gelten. Dabei verachtete ihn das zeitgenössische Publikum als geschmacklos und unansehnlich: Das Werk wurde um ein Drittel gekürzt, für seinen Regisseur entwickelte es sich zu einer Sollbruchstelle des Karriere-Abstiegs und es war ein jahrzehntelanger Giftschrankkandidat bis zu seiner Wiederentdeckung durch die Gegenkultur der Sechziger. Eine entsprechend schöne Hommage bietet beispielsweise Bertoluccis "The Dreamers".

10/10

Behinderung Zirkus amour fou Tod Browning


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GOOD WILL HUNTING (Gus Van Sant/USA 1997)


"It's not your fault."

Good Will Hunting ~ USA 1997
Directed By: Gus Van Sant


Der junge Will Hunting (Matt Damon) jobbt auf dem Bau und betätigt sich zusätzlich als Reinigungskraft in der Uni von Harvard. Seine Freizeit verbringt er vornehmlich sinnfrei mit seinen Kumpels (Ben Affleck, Casey Affleck, Cole Hauser), mit denen er vornehmlich um die Häuser zieht und sich auch schonmal den einen oder anderen illegalen Lapsus leistet. Als er wegen einer erneuten Schlägerei endgültig verurteilt zu werden droht, nimmt sich Professor Lambeau (Stellan Skarsgård) seiner an. Dieser hat nämlich erkannt, was hinter Wills renitentem und postpubertärem Gehabe steckt: Ein intellektueller Kopf und ein mathematisches Genie, das die Narben der Vergangenheit nie ganz ausheilen ließ und aus Selbstschutz alles negiert, was ihn seiner kleinen Welt entreißen könnte.
Um sich zu bewähren, muss Will nun regelmäßige Sitzungen bei einem Therapeuten nachweisen. Nach einem massenhaften Verschleiß landet er bei Lambeaus altem Freund Maguire (Robin Williams), der es schließlich schafft, Wills Unnahbarkeitspanzer zu knacken.

"Good Will Hunting" kann auf ein gesegnet kluges, in seinen Dialogen höchst geschliffenes Script bauen, das aus einer ansonsten recht konventionell inszenierten Underdog-Geschichte dann doch etwas Besonderes macht. Dabei bietet der Film erklärten Gegnern sicherlich nicht wenig Angriffsfläche. Das beginnt schon mit Robin Williams in der immergleichen Rolle als heilsamer Gutmensch, dessen hier dargestellter Charakter zudem eine punktgenaue Mischung aus zweien seiner Repertoire-Klassikern, dem Lehrer John Keating und dem Penner Parry darstellt. Dann kommt uns der zerkratzt-unwirsche Genius, das zunächst die Mauern seiner wahlweise intellektuellen, emotionalen, psychischen oder auch sozialen Isolation niederzureißen hat, um sein Leben in Erfüllung zu leben, keinesfalls unbekannt vor. Im Gegenteil, die Vorbilder dafür sind Legion. Und doch hat "Good Will Hunting" mancherlei, das ihn durchaus positiv von diesen abzuheben scheint: Ein unerschütterliches Selbstvertrauen, eine ernstgemeinte Authentizität. Beim Scharren an der Oberfläche kommt nämlich rasch zum Voirschein: Van Sants Film ist auch und insbesondere eine Liebeserklärung an Bostons Proletariermilieu, an die schluffigen Ecken und an das irische Erbe der Stadt. Tatsächlich ist "Good Will Hunting" fast ausschließlich ein Drehbuchfilm, dem die Regie-Spirenzchen, die man andernorts von Van Sant nicht selten durchzustehen hat, alles andere als gut getan hätten. Umso dankenswerter, dass der Mann hier darauf verzichtet hat.

8/10

Gus Van Sant Boston Harvard Mathematik Psychiatrie


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THUNDER ROAD (Arthur Ripley/USA 1958)


"You finally made the big mistake tonight."

Thunder Road (Kilometerstein 375) ~ USA 1958
Directed By: Arthur Ripley


Nachdem Lucas Doolin (Robert Mitchum) aus dem Koreakrieg heimgekehrt ist, steigt er in das "Moonshining"-Geschäft seiner Familie ein. Sein Vater (Trevor Bardette) pflegt im Hinterwald von Kentucky eine illegale Whiskey-Destille, derweil Doolin den Stoff zu liefern hat. Dazu benutzt er getunte Autos, die auch schonmal über Spezialgadgets verfügen und liefert er sich mit diversen ungehaltenen Schatzbeamten. Jene gehen zuweilen tödlich aus. Als der Gangsterboss Kogan (Jacques Aubuchon) sich mit Doolin anlegt, bleibt der harte Schmuggler ungerührt. Erst als die von Kogan ausgehende Gefahr auch seinen kleinen Bruder (Jim Mitchum) erreicht, fährt Doolin aus der Haut.

Als kleine Liebeserklärung an die Bootlegger-Parakultur in den Appalachen und das moralische "Grundrecht" eines jeden Amerikaners, sich seinen Schnaps selbst brennen und ihn steuerfrei verscherbeln zu dürfen, genießt "Thunder Road" in den USA den Segen einer ungemein großen Anhängerschaft. Und es sieht dann auch ganz anders als die vielen anderen films noirs der Jahre zuvor, dieses Herzensprojekt von Robert Mitchum, wenngleich es sich zumindest formal durchaus noch als später Nachzügler in deren Tradition stellt. "Thunder Road" probiert, erste Action-Standards zu setzen; es gibt einige Verfolgungsjagden, die zwar noch recht possierlich und altbacken inszeniert sind, aber immerhin. Viel interessanter ist sowieso die Antihelden-Verklärung des Films: Mitchum ist der perfekte amerikanische Rebell. Frustrierter Kriegsveteran, eigenbrötlerisch, dickköpfig. Von zwei schönen Frauen (Keely Smith, Sandra Knight) verehrt und vor allem die coolste Sau on earth. Als sich bei einer seiner unfreiwilligen Rennfahrten einer von Kogans Spürhunden gleich neben ihn setzt, schnippt Doolin ihm durch die geöffneten Fenster ungerührt seine Kippe ins Gesicht. Damit ist der Rivale in jeder Weise aus dem Rennen. Speziell diese latente, bösartige, man möchte fast sagen: 'mitchumeske' Lakonie ist es, die "Thunder Road" zu etwas Besonderem macht.

8/10

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Funxton

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