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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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SUSPICION (Alfred Hitchcock/USA 1941)


"Hello, monkeyface."

Suspicion (Verdacht) ~ USA 1941
Directed By: Alfred Hitchcock


Die von der Altjungernschaft bedrohte Lina McLaidlaw (Joan Fontaine) lernt den Taugenichts und Salonlöwen Johnnie Aysgarth (Cary Grant) kennen und lieben. Entgegen aller Vernunft heiratet sie den Filou, der die Verschwendung liebt und lebt, ohne einen Penny dafür locker zu machen oder auch nur zu besitzen. Diverse Wettaffären, uneingelöste Wechsel und Veruntreuung begleiten sein Leben, was Lina erst nach und nach bemerkt. Als Johnnie sie anlügt und ihr Dinge verschweigt, beginnt sie, auch schlimmere Verdacchtsmomente gegen ihn zu hegen. Würde er vielleicht soweit gehen, für seinen exzessiven Lebensstil auch schlimmere Verbrechen zu begehen, gar zu morden?

Bekanntermaßen lösen sich Linas Verdächtigungen - und mit ihnen auch die des Publikums - am Ende in Wohlgefallen auf. Nur eines von mehreren von Hitchcock erwogenen Enden. Ihm selbst wäre es angeblich lieber gewesen, Cary Grant als Mörder hinzustellen und den Titel des Films sich erfüllen zu lassen; Reaktionen des Testpublikums hätten dies jedoch unmöglich gemacht. Dann stand ein Abschluss im Raum, der zwischen Lina und dem reumütigen Johnnie eine romantische Trennung auf Zeit eingeleitet hätte, doch letzten Endes gönnte Hitchcock seinem Paar, uns und mit Sicherheit vor allem sich selbst, das hoffnungsvolle Finale, mit dem man erleichtert aus der Geschichte entlassen wird. Grant - hier in seinem ersten von vier Auftritten beim Meister - einen bösen Killer spielen zu lassen, wäre letztlich in der Tat unmöglich gewesen, einem Imagemord des glatten Komödianten gleichgekommen und hätte dem Film viel von seiner Attraktivität geraubt. In der vorliegenden Form erscheint das Ende stimmig und gerecht und die Rehabilitierung des von Grant so wunderbar misogyn und dekadent dargestellten Fatzkes nur konsequent. Die berühmte Einstellung mit Grant und dem Milchglas auf der Treppe gehört zum Besten, was Hitchcock jemals auf Zelluloid bannte.

8/10

Alfred Hitchcock England Ehe


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REBECCA (Alfred Hitchcock/USA 1940)


"Last night I dreamt I went to Manderley again..."

Rebecca ~ USA 1940
Directed By: Alfred Hitchcock


Eine junge Gesellschafterin (Joan Fontaine) weilt mit ihrer ältlichen Chefin ferienbedingt (Florence Bates) in Monte Carlo. Da lernt sie den verwitweten englischen Baron Maxim De Winter (Laurence Olivier), der sie sozusagen vom Fleck weg heiratet und mit auf sein Anwesen in Cornwall, den Herrensitz 'Manderley' nimmt. Der posthume Schatten von De Winters verstorbener Frau Rebecca ist jedoch allgegenwärtig. All ihre Gegenstände tragen ihre Initialen und jeder in Manderley wird zwangsläufig permanent an sie erinnert. Besonders die Haushälterin Mrs. Danvers (Judith Anderson) ist wie besessen von Rebeccas Geist. Zunächst leidet die neue Mrs. De Winter unter den übermächtigen Spuren ihrer 'Vorgängerin', dann jedoch erfährt sie die ganze Wahrheit...

Ich bin sicher nicht der größte Fan von Hitchcocks so hochgelobtem, erstem amerikanischen Film, den er für David O. Selznick gemacht hat. Mich hat der schwülstige "Gaslicht"-Impetus der Geschichte, die heuer auch als Rosamunde-Pilcher-Klamotte der Woche im Fernsehen laufen könnte, schlichterdings nie hinfort- und schon gar nicht umgerissen. Allerdings, soviel sei von vornherein dagegenzuhalten, ist Hitchcocks Inszenierung gegenständlich tadellos und es lässt sich wohl mutmaßen, dass er viel von Selznicks eigentlichen, wildromantischen Plänen mit dem Stoff zum Besseren gewendet hat. "Rebecca" enthält als Dreiakter zwei harte narrative bzw. dramaturgische Zäsuren; die erste nach dem "Umzug" des Films von Monte Carlo nach Cornwall (im Film muss als stellvertretender Drehort die kalifornische Pazifikküste herhalten), die zweite, als die namenlose Protagonistin um das tatsächliche Verhältnis zwischen De Winter und Rebecca erfährt. Erst die letzte jener drei "Episoden" ist dann wieder klassischer Hitchcock; Romantik, Erpressung und Unschuldsbeweis und hier erhält man dann auch den unbestimmten Eindruck, der Meister wache aus einem ihm zuvor zwangsauferlegten Dornröschenschlaf auf, fände seine Lebensgeister wieder und könne zu seinem wahren Leisten zurückkehren. Damit käme ich zum zweiten persönlichen Störfaktor: Die buchstäblich alles überstrahlende Joan Fontaine rettet den Film aufgrund genau der Attribute, die ihr Reginald Denny im Film einmal auf den Kopf zusagt: Lebendigkeit, Natürlichkeit und Anmut. Ansonsten trifft man auf eine förmliche Liga von Unsympathen - allen voran der eiskalte Olivier, den ich im Grunde sowieso nur als Bösewicht sehen mag, die grauenhafte Mrs. Danvers, von Judith Anderson zwar ihrem Charakter gemäß ansprechend verkörpert, aber dennoch ein Rundum-Fies-Paket. Schließlich George Sanders, der als erpresserisches Oberekel für den männlichen Widerlingsbonus sorgt. Ein Personal, das ich gern schnell wieder sich selbst überlasse, trotz der armen, namenlosen Joan Fontaine, die ihr Leben mit dem drögen Schnauzbartträger De Winter wird zu Ende leben müssen.
Also, natürlich wertschätze ich auch "Rebecca" und erkenne darin noch hinreichend Qualität, um ihn mir immer mal wieder anzuschauen. "Mögen" - und schon erst recht "gern" - ist aber doch irgendwie was anderes.

7/10

Daphne Du Maurier Ehe Alfred Hitchcock Cornwall


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SABOTAGE (Alfred Hitchcock/UK 1936)


"What you need now is a good cry."

Sabotage ~ UK 1936
Directed By: Alfred Hitchcock


Eine Terrorvereinigung mit dem Ziel allgemeiner Desorientierung macht London unsicher. Nach einem ersten Anschlag, der lediglich eine Unterbrechung der Stromversorgung verursacht hat, soll der Kinobetreiber Verloc (Oscar Homolka), der sich als Handlanger für die Terroristen ein paar Pfund nebenbei verdient, eine Zeitbombe am Picadilly Circus platzieren - zur Hauptgeschäftszeit! In der Nachbarschaft von Verlocs Kino lauert jedoch schon der als Gemüseverkäufer getarnte Polizist Spencer (John Loder) auf den Unhold - und nicht auf ihn. Spencer hat zugleich ein Auge auf Verlocs hübsche junge Frau Sylvia (Sylvia Sidney) geworfen, die erst vor kurzem aus den USA gekommen und mit Verloc eine Zweckehe eingegangen ist, von der auch Sylvias kleiner Bruder Stevie (Desmond Tester) profitieren sollte. Als Verloc Stevie für den Bombenanschlag missbraucht und der Junge dabei stirbt, verliert Sylvia ihr letztes Fünkchen ehelichen Anstands.

Ein sehr ernsthaft konnotierter Versuch, sich mit den Gefahren öffentlichkeitsorientierten Terrors, im zeitnahen Volksmund noch etwas kriminologischer als "Sabotage" bezeichnet, zu befassen. Das Thema wird Hitchcock noch öfter beschäftigen, hier ist es eingebunden in einen umfangreichen Fragenkomplex über Schuld und Sühne. Zudem gibt "Sabotage" ein wenig Aufschluss darüber, wo die persönlichen Sympathien des Meisters lagen: Karl Verloc, dessen Entscheidung, zum Verbrecher zu werden, eher aus der Not geboren wird, wird als mitleiderregender Feigling bezeichnet, der seine letzten Boni verspielt, als er den durch seine Schuld verursachten Tod des Jungen mit einer Handbewegung herunterzuspielen versucht. Dass Hitch ein eher sadistisches Verhältnis zu Kindern pflegte, zeigt das Ende des kleinen Stevie. Ein Lausbub, wie er im Buche steht, dessen Trödeleien schließlich durch die überraschende Explosion der Bombe bestrat werden. Dieses dramaturgische Moment hat man Hitchcock noch vielfach angekreidet und er selbst räumte später ein, dass er den Bogen mit dem Tode des Jungen womöglich überspannt hat. Ein eher ambivalentes Verhältnis pflegt Hitch zu dem verdeckt ermittelnden Polizisten. Dessen Figur bleibt eindimensional und eine bloße emotionale Stütze der Heldin. Die putzige Sylvia Verloc wird indes als Protagonistin angelegt. Als Exilamerikanerin gebührt ihr schonmal ein besonderer Status, dann ist sie liebenswert aufgrund ihrer zunächst unerschütterlichen Loyalität zu ihrem Mann, den, obschon sie ihn nicht liebt, sie anfänglich nie ans Messer liefern würde. Ergo besorgt sie die überfällige Strafe am Ende selbst. "Sabotage" zeichnet eine recht finstere, bedrückende Atmosphäre, bringt jedoch die Suspense-Idee Hitchcocks speziell in der Szene, in der Stevie die Bombe transportiert, bereits formidabel auf den Punkt. Heading for more of that!

8/10

Ehe Terrorismus London Alfred Hitchcock Joseph Conrad Kino


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THE RAGGEDY RAWNEY (Bob Hoskins/UK 1988)


"I'm cursed. We're all cursed."

The Raggedy Rawney (Raggedy - Eine Geschichte von Liebe, Flucht und Tod) ~ UK 1988
Directed By: Bob Hoskins


In einem namenlosen, mitten im Krieg befindlichen Land verkleidet sich der junge Deserteur Tom (Dexter Fletcher) als "Rawney", eine Art verrückte Waldhexe, und schließt sich einer Gruppe fahrender Leute an. Nachdem diese, abergläubisch wie sie sind, Tom, die Rawney, zunächst willkommen geheißen haben, sind sie bald überzeugt, dass er/sie ihnen nur Unglück bringt: Erst ertrinkt der behinderte Sohn (Timothy Lang) einer der Mitreisenden (Zoë Wanamaker), dann geraten die Zigeuner in einen empfindlichen Konflikt mit Soldaten. Schließlich bekommt Jessy (Zoë Nathenson), die Tochter des Treckführers Darky (Bob Hoskins), ein Kind unbekannter Herkunft. Wer steckt dahinter?

Diese naive Antikriegsfabel markierte Bob Hoskins' Debüt als Regisseur. Produziert wurde es von George Harrisons Firma 'Handmade Films' in deren sehr britische Linie der Film hervorragend passt, ist er doch unverkennbar ein Produkt seines Landes und von dessen Mentalität. Ganz bewusst ist "The Raggedy Rawney" lokal und zeitlich entrückt bzw. nicht zuzuordnen. Einerseits könnte sich die Geschichte in einem Bürgerkriegsgebiet auf dem Balkan abspielen, andererseits tragen die Personen englische Namen und sprechen starken Dialekt. Ferner weiß man nicht, wer da überhaupt mit wem im Krieg liegt - die Uniformen geben keine Auskünfte und die Tatsache, dass die Armee vornehmlich damit beschäftigt scheint, Deserteure einzufangen bzw. Verweigerer am Waffendienst zu schnappen, wirkt umso bedrückender. Darky und seine fahrende Truppe symbolisieren derweil eine gesellschaftsautarke, ausgelassene, bald hippieeske Lebensfreunde, die sich lediglich durch die ständige Flucht vor den Militärs aufrecht erhalten lässt. Der traumatisierte Rekrut Tom, der schon nach wenigen Tagen Seiten vom Krieg gesehen hat, die keinen anderen Schluss zulassen als für immer genug davon zu haben, passt recht gut zu den fahrenden Gesellen, allein sein Zugang zu ihnen ist vielleicht etwas umwegig und am Ende von harten, rückblickend vielleicht vermeidbaren Verlusten gesäumt.

8/10

Bob Hoskins Zigeuner Road Movie Erwachsenenmaerchen Parabel


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THE CLAIM (Michael Winterbottom/UK, F, CAN 2000)


"Give me a ride, and I'll give you a gold dollar."

The Claim (Das Reich und die Herlichkeit) ~ UK/F/CAN 2000
Directed By: Michael Winterbottom


Die kalifornische Sierra Nevada, 1867: Daniel Dillon (Peter Mullan), ungekrönter König der kleinen Goldgräberansiedlung Kingdom Come, wird unsanft an seine sündhafte Vergangenheit erinnert - vor rund zwanzig Jahren hatte er seine Frau Elena (Karolina Muller) und sein kleines Töchterchen Hope an einen einsamen alten Schürfer (Tom McCamus) verkauft, gegen etwas Gold und eine Parzelle Land. Zwar hat Dillon aus diesem Bisschen ein riesiges Vermögen gemacht, seine furchtbare Schuld ist er jedoch nie losgeworden. Nun kommt die todkranke Elena (Nastassja Kinski) zusammen mit der noch nichtsahnenden Hope (Sarah Polley) nach Kingdom Come, um für die Tochter ihr rechtmäßiges Erbteil einzufordern. Zeitgleich landet der Eisenbahnvermesser Daglish (Wes Bentley) in der Stadt, der abschätzen soll, ob das gebirgig gelegene Kingdom Come sich als künftiger Bahnhof eignet.

Wenn britische Filmemacher sich an die Pionierzeit wagen, dann geht es meist höchst moralisch her. Schon der alte Jack McCann in Nicolas Roegs "Eureka" musste lernen, dass Gold eine Biografie lediglich für wenige Momente zu bereichern vermag, dass jedoch ein warmer, trostspendender Familienschoß, Aufrichtigkeit und Zuneigung sehr viel wertvoller sein können als alles Gold der Welt. "The Claim" ist ebenfalls so ein Schuld-und-Sühne-Stück, verkleidet als Schneewestern in der Tradition klassischer Vorbilder von "The Far Country" bis "McCabe & Mrs. Miller" und ein wenig von "Il Grande Silenzio". Mit den Temperaturen sinkt auch jedes Maß an Zwischenmenschlichkeit und die so dreckigen wie fleißig-hoffnungsvollen Goldgräber suchen ihr Vergessen in Bordellbesuchen und Alkohol, denen sie viel von ihrem Sauerverdienten überlassen. Daniel Dillon träumt derweil von der Zivilisation, die die Eisenbahn, so wünscht er es sich, einst nach Kingdom Come bringen soll. Doch der Weg zum Stätchen ist zu unwegsam und ein bald traumatisches Erlebnis rät dem ohnehin skeptischen Daglish von jeder entsprechenden Maßnahme ab. Am Ende nützt Dillon all sein Vermögen nichts mehr; zurückgelassen, isoliert und allein sucht und findet er den freien Sühnetod im Schnee. Früher Kapitalismus auf hohem Niveau, verdammt zum Scheitern.

7/10

Gold Familie Schnee Pionierzeit Michael Winterbottom Sierra Nevada Kalifornien


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DER TOTMACHER (Romuald Karmakar/D 1995)


"Ist nicht viel, so'n Mensch..."

Der Totmacher ~ D 1995
Directed By: Romuald Karmakar


Göttingen, Herbst 1924. Der gerichtlich beauftragte Psychiater Professor Schultze (Jürgen Hentsch) soll ein Schuldfähigkeitsgutachten für den vor seinem Prozess stehenden Serienmörder Fritz Haarmann (Götz George) erstellen. Nach sechswöchigem Kontakt, während dem sich die Beziehung zwischen dem Gewaltverbrecher und dem Rechtsmediziner in faszinierender Weise entwickelt, kommt Schultze zu dem Urteil "voll zurechnungsfähig".

Der zweite große Film, der sich mit dem Phänomen "Haarmann" befasst, wählt einen komplett anderen Ansatz als der erste: Anders als "Die Zärtlichkeit der Wölfe" erlegt sich "Der Totmacher" ein hohe Maß an innerer und äußerer Stringenz auf, ist beinahe so diszipliniert inszeniert wie eine Bühnanaufführung und schon aufgrund der personellen Begrenzung sehr viel hermetischer als Lommels Werk. Fast wie ein bebildertes Hörspiel wirkt "Der Totmacher" bisweilen, wie buchstäbliches Kopfkino, das dem Zuschauer einerseits eine nuancierte charakterliche Bewertung nicht nur Haarmanns, sondern auch seines Gutachters Schultze abverlangt und andererseits eine zumindest behelfsmäßige Ordnung in das chronologische Chaos von Haarmanns Antworten, Berichten und Schilderungen, deren Wahrheitsgestalt darüberhinaus stets vage bleibt, zu bringen nötigt. Allerdings brächte man sich ohne die begleitende Fotografie um den Genuss von Kamarkars Perfektionismus und dem brillanten Spiel der Darsteller. Das Script basiert auf den Originalprotokollen der einstigen Sitzungen Haarmanns und ist umso beeindruckender. Über Georges beängstigend minutiöse Darbietung braucht wohl kaum mehr ein Wort verloren werden - wahrscheinlich wird dies auf ewig die Rolle seines Lebens bleiben.

10/10

Goettingen Serienmord Fritz Haarmann Romuald Karmakar Weimarer Republik


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DIE ZÄRTLICHKEIT DER WÖLFE (Ulli Lommel/BRD 1973)


"Frisches vom Schlachter Karl!"

Die Zärtlichkeit der Wölfe ~ BRD 1973
Directed By: Ulli Lommel


Der homosexuelle Glücksritter Fritz Haarmann (Kurt Raab) gaunert sich sich durch das zerbombte Bochum der Nachkriegszeit. Er bringt es sogar zum Polizeispitzel, und kann so fürs Erste einer geheimen Neigung unbehelligt weitergehen: Unter Vorlage seines Ausweises nimmt er Strichjungen mit nach Hause, bietet ihnen gegen Liebesdienste Kost und Logis und bringt sie dann um, indem er sie erdrosselt und/oder, einem Vampir gleich, zu Tode beißt. Das Fleisch der Ermordeten verschenkt und verkauft Haarmann an Nachbarn und Freunde. Als sein Freund Hans Grans (Jeff Roden) sich anderweitig orientiert, bricht Haarmanns Kartenhaus, auch unter dem Drängen der britischen Besatzer, zusammen.

Von der Weimarer Republik in die Trümmerjahre, von Hannover nach Bochum. Weil Lommel und Fassbinders 'Tango Film' nur ein sehr begrenztes Budget zur Verfügung stand, griff man auf die künstlerische Freiheit zurück, Zeit- und Lokalkolorit zu verändern - so jedoch nicht die allgemeine atmosphärische Vorstellung, die Haarmanns berühmten Fall als bundesrepublikanisches Schreckgespenst bis in die Gegenwart hinein begleitet. Kurt Raab verleiht dem oftmals semantisch falsch als 'Massenmörder' bezeichneten Haarmann ein seltsames, gleichermaßen zärtliches und dämonisches Antlitz. Wie ein glatzköpfiger Dandy wirkt er, von scharfem kriminellen Verstand und überhaupt hoher Intelligenz, welche er jedoch, einem Raubtier gleich, lauernd verbirgt und nur im rechten Moment gebraucht. Freilich ist seine Triebgesteuertheit noch wesentlich übermächtiger, dabei sieht man Haarmann erst zum Schluss des Films, als er einem Lockvogel der Schupo auf den Leim geht, völlig losgelöst von aller rationalen Geistigkeit. Zwischendurch ahnt man seine Barbareien bloß, ähnlich der penetranten Nachbarin Frau Lindner (Margit Carstensen). Wenn Haarmann der Wirtin Louise (Brigitte Mira) wieder einmal eine Schüssel von frisch Geschlachtetem bringt, fröstelt man kurz, nur um dann wieder gierig die faszinierend-graue Tristesse des frühen Siebziger-Jahre-Ruhrgebiets in sich aufzunehmen.

8/10

Homosexualitaet Fritz Haarmann Serienmord Ruhrpott Ulli Lommel Rainer Werner Fassbinder Nachkriegszeit


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THE FACE BEHIND THE MASK (Robert Florey/USA 1941)


"With these hands, I can do anything!"

The Face Behind The Mask (Das Gesicht hinter der Maske) ~ USA 1941
Directed By: Robert Florey


Der ungarische Uhrmacher Janos Szabo (Peter Lorre) kommt voller guter Hoffnung und Freundlichkeit nach New York. Wenn er erstmal genug Geld verdient habe, so sagt er, werde er seine Braut Maria nachkommen lassen und hier mit ihr glücklich sein. Ein böser Unfall durchkreuzt jedoch Janos' Pläne: Sein Gesicht verbrennt bis zur Unkenntlichkeit. Niemand will dem Enstellten fortan mehr Arbeit geben. Janos verliert bald jeden Lebensmut und trennt sich per Brief von seiner Mary. Am Punkt tiefster Verzweiflung lernt er den Kleinganoven Dinky (George E. Stone) kennen, mit dessen Unterstützung Janos sich nach und nach zu einem brillanten Raubexperten entwickelt. Er trägt nun eine eigens angefertigte, seinen früheren Gesichtszügen nachempfundene Maske. Da lernt er die lebensfrohe, blinde Helen (Evelyn Keyes) kennen, mit der Janosz zu seinem alten Enthusiasmus zurückfindet. Seinen Kumpanen zeigt er die rote Karte. Als diese Janos fälschlich der Spitzelei verdächtigen, verüben sie einen Anschlag auf ihn, dem die arme Helen zum Opfer fällt. Janos, der nun endgültig jeden Lebenswillen verloren hat, denkt sich einen perfiden Racheplan für sie aus.

Einer der ungehobenen Hollywood-Schätze der vierziger Jahre. "The Face Behind The Mask" zeigt einen wesentlich hagerer gewordenen Peter Lorre auf dem Höhepunkt seiner Schauspielkunst. Die Emotionen hinter der Maske, die wie ein trauriges Zerrbild seines eigentlichen Gesichts aussieht, stellt er mit der gebührenden Verhaltenheit dar, tatsächlich so, als befände sich ein (unsichtbarer) Schutz auf seinem Antlitz. Floreys Film ist auch die zutiefst ergreifende, herzzereißende Geschichte der Rache eines in die Enge Getriebenen. Im Zuge der später aufkommenden, grell-brutalen Exploitationfilme scheint das Kino irgendwann vergessen zu haben, dass Rache immer auch ein Ausdruck tiefer Verzweiflung und Trauer ist. "The Face Behind The Mask" akzentuiert diesen Aspekt noch mit aller gebührenden Kraft. Man ist, ganz besonders eben wegen Lorres wahnsinniger Fähigkeit, Empathie für seine Figuren zu erzeugen, immer ganz dicht bei diesem Janos Szabo, der einst so liebenswert und mit offenen Armen auf Ellis Island landetete, nur um dann wie bereits so viele vor ihm von der Unbarmherzigkeit der Großstadt erdrückt zu werden. Das Motiv der augenscheinlich blinden, mit dem Herzen jedoch umso besser sehenden Schönheit, die sich dem "kaputten" Helden widmet, zieht sich bis heute durch alle Schichten des Genrefilms.

10/10

Wueste Robert Florey Rache Film Noir Entstellung New York


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THE DESERT FOX: THE STORY OF ROMMEL (Henry Hathaway/USA 1951)


"Make peace, you idiots!"

The Desert Fox: The Story Of Rommel (Rommel, der Wüstenfuchs) ~ USA 1951
Directed By: Henry Hathaway


Die letzten Lebensjahre des Generalfeldmarschalls Erwin Rommel (James Mason), der nach seiner Niederlage in Nordafrika über Umwege zurück nach Deutschland kommt, von dem geplanten Attentat des 20. Juli gegen Hitler (Luther Adler) erfährt, dazu schweigt, und später als Mitverschwörer zum Freitod genötigt wird.

Ein so kurzer Film wie der von Hathaway kann unmöglich dazu gut sein, biographische Fakten und Informationen über einen Charakter wie Rommel erschöpfend darzulegen. "The Desert Fox" kann vielmehr als internationaler Versuch gewertet werden, zur Reparatur der deutschen Reputation in der Welt beizutragen. Erwin Rommel, der im Volksbewusstsein während des Krieges und weit darüber hinaus zur passablen deutschen Identifikationsfigur, wenn nicht gar zum Helden auserkoren wurde, ist zunächst glühender Patriot, Hitlerverehrer und Militarist. Erste Zweifel am Führer kommen ihm im Film bei der Parole "Sieg oder Tod", später erhält er Kenntnis von den Widerständlern um Stauffenberg, steht der innerstaatlichen Situation jedoch hilflos und passiv gegenüber. Der Film ist dazu da, diese Zerrissenheit zu verbildlichen und hat mit James Mason einen der damals besten Schauspieler zu diesem Zwecke an Bord. Ansonsten besticht "The Desert Fox" nicht so sehr durch Detailreichtum oder Authentizitätsbestreben, sondern durch seine speziell angesichts seines Sujets halbwegs gediegene Machart: Schaut man sich den mehr als fünfzig Jahre später entstandenen "Valkyrie"an, wird offenkundig, wie wenig sich seit damals letzten Endes in punkto hollywoodscher Historiendarstellung getan hat. In jedem Fall muss ich offenkundig zugeben, mir lieber eine dramatisierte Pseudo-Geschichtsstunde wie diese denn eine wie die zwei Jahre später und hierzuland entstandene Semi-Dokumentation mit dem höchst entlarvenden Titel "Das war unser Rommel" gefallen zu lassen.

7/10

Widerstand Militaer Biopic Nationalsozialismus Nordafrika-Feldzug Rommel WWII Henry Hathaway Hitler Nunnally Johnson


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NACHTS, WENN DER TEUFEL KAM (Robert Siodmak/BRD 1957)


"Ihr könnt ma' jar nix. Ick bin doch een'n'fuffzich!"

Nachts, wenn der Teufel kam ~ BRD 1957
Directed By: Robert Siodmak


Berlin, 1944: Der imbezile Gelegenheitsarbeiter Bruno Lüdke (Mario Adorf) tingelt durchs ganze Reich und bringt unerkannt Frauen um - über 80 Morde werden ihm später nachgewiesen. Kriminalkommissar Axel Kersten (Claus Holm), ein ausgesprochener Gegner der "Partei", kommt Lüdke auf die Spur und kann ihm diverse Geständnisse entlocken. Nachdem die SS Kerstens Fahndungserfolg zunächst euphorisch feiert und Lüdke politisch als Exempel für Sterilisations- und Euthanasiepraktiken zu statuieren gedenkt, wendet sich plötzlich das Blatt: Ein Individuum wie Lüdke dürfte im NS-Staat gar nicht existieren, versichert man Kersten, der prompt zur Ostfront entsendet wird, derweil Lüdke zur "Geheimsache" erklärt und klammheimlich liquidiert wird.

Back in Germany erlebte Siodmak nochmal eine höchst fruchtbare künstlerische Phase, bevor er sein Talent an mehr oder minder halbseidene Auftragsarbeiten, darunter die "Sternau"-Filme nach Karl May, vergeudete. "Nachts, wenn der Teufel kam" wurde recht euphorisch abgefeiert, dabei ist seine Historizität höchst umstritten: Ob Bruno Lüdke, einer der ersten namentlich im Film auftauchenden, authentischen Charaktere der Kriminalhistorie, tatsächlich all die ihm vorgeworfenen Taten begangen hat, gilt mittlerweile als sehr spekulativ, ebenso wie der ihm zugrunde liegende Tatsachenbericht aus einer Polizeizeitschrift. Siodmak erklärte, es ginge ihm auch wesentlich prägnanter um die Darstellung der Justizhandhabung zur Zeit des Dritten Reichs und dass der Film eine Parabel auf die ungeheuren populistischen Praktiken sei, mit denen ihrerzeit verhandelt wurde. Nun, am Untadeligsten an dieser rein filmisch betrachtet natürlich bemerkenswerten Arbeit, ist fraglos Siodmaks Inszenierung, wobei besonders eine bravourös montierte, transzendente Szene, in der Lüdke aus der Erinnerung einen Tathergang rekonstruiert und dabei flink wie ein Rehlein durch Wald und Flur flitzt und hüpft, im Gedächtnis bleiben wird. Von bestechender Kunst auch Mario Adorfs Darstellung, die nicht nur ihrem Akteur einen der hervorstechendsten filmographischen Einträge beschert hat, sondern auch maßstabssetzend ist für etliche weitere deutsche Serienmörder im Film.

8/10

Berlin WWII Nationalsozialismus Serienmord Robert Siodmak





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