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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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THE EVIL DEAD (Sam Raimi/USA 1981)


"Join us..."

The Evil Dead (Tanz der Teufel) ~ USA 1981
Directed By: Sam Raimi


Zusammen mit vier Freunden (Ellen Sandweiss, Richard DeManincor, Betsy Baker, Theresa Tilly) fährt der sympathische Ashley (Bruce Campbell) auf eine Blockkate in den Appalachen. Im Keller der Hütte finden sich neben einer Scrotflinte auch ein uraltes Buch sowie ein Tonbandgerät, auf dem ein Wissenschaftler erklärt, was es mit jenem Buch, dem sogenannten 'Necronomicon' auf sich habe - damit, so erfahren die Freunde, könne man nämlich Dämonen heraufbeschwören. Da der Besprecher des Tonbandes auch gleich die passende summerische Formel hinterlassen hat, geht es bald los mit dem Spuk und ash muss sich mit vier Besessenen herumärgern, die vor Unappetitlichkeiten nicht zurückschrecken.

Unabhängig von der einmal mehr allen Pfaden der Vernunft spottenden, hiesigen Zensurgeschichte dieses Films ist Raimis Kinodebüt natürlich ein veritabler Klassiker des anarchischen Undergroundkinos. Bereits hier erweist sich der spätere Blockbusterregisseur als wahrer Inszenierungs-Derwisch, und demonstriert, wie man aus einem Kleinstbudget mit der angmessenen Motivation ein Werk für die Ewigkeit schaffen kann. Raimi benennt und hofiert pausenlos seine unzähligen kulturellen Einflüsse, was das Zeug hält: Über Lovecraft, Superman-Comics, Wes Craven, Tobe Hooper, William Blake und Ray Harryhausen bis hin zur Swingmusik der zwanziger Jahre und zum Slapstick-Humor der "Three Stooges" geht die wilde Remiszenzenachterbahn; die scheinbar entfesselte Kamera vollführt jede Menge Kunstückchen, darunter die berühmten Irrsinnsfahrten über Waldboden und Wasseroberflächen, diverse Close-Ups von Augenpaaren, 360°-Schwenks - gern auch kopfüber - und eine um 45° verdrehte Perspektive. Raimis Ideenkiste scheint wahrhaft unerschöpflich. Dass der Film dabei trotzdem noch seine urtypisch-unbequeme Atmosphäre aus der Taufe hebt, die ihm ja seinen ach so berüchtigten Ruf eintrug, ist da eigentlich fast nur Makulatur. Regelmäßiges Auffrischen lohnt sich nichtsdestotrotz, wie ich gestern erneut begeistert feststellen durfte.

9/10

Independent Sam Raimi Splatter Daemon Underground


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UP IN THE AIR (Jason Reitman/USA 2009)


"I stereotype. It's faster."

Up In The Air ~ USA 2009
Directed By: Jason Reitman


Im Auftrage seiner Firma, einer Entlassungsagentur, reist Ryan Bingham (George Clooney) an den meisten Tagen des Jahres quer durch die Staaten, um Menschen aus ihren teils langjährig ausgeübten Jobs zu feuern. Als "Perspektivgespräche" werden die entsprechenden Konversationen bezeichnet, um ihnen den trügerischen Anstrich von Konstruktivität zu verleihen, was letztendlich jedoch selten funktioniert. Zudem hält Ryan regelmäßig Motivationsseminare ab, in denen er Rücksichtslosigkeit, Ellbogenmentalität und Egozentrik predigt. Als er eines Tages auf seinen Reisen die sympathische Alex (Vera Farmiga) kennenlernt, scheint eine Zäsur in Ryans uniformem Lebensalltag nicht mehr fern...

Reitman Jr.s "Thank You For Smoking" habe ich in nicht besonders vorteilhafter Erinnerung und "Juno" habe ich genau aus diesem Grunde bereitwillig ausgespart. "Up In The Air" hat nun eher zufällig meinen Weg gekreuzt, und, wie geschah mir: Der aktuelle Film ist doch tatsächlich ganz, ganz toll! Nachdem der Anfang mit der Vorstellung eines berufsbedingten Verzweiflungstouristen sich als unbarmherzige Satire zur globalen Rezession gestaltet, verwandelt sich die Story mehr und mehr in Richtung "Death Of A Salesman" - dieser Ryan Bingham ist zwar noch nicht im Rentenalter, die Lebenslüge, mit der er sich selbst über Wasser hält, dürfte im Endeffekt jedoch nicht minder verhängnisvoll sein als die eines Willy Loman. Umso tragischer erwächst sich das Ganze, als Bingham zaghaft seinen zuvor undurchdringlichen Panzer öffnet, nur um einen gezielten Stich ins Herz abzubekommen, an dem er selbst ferner nicht ganz unschuldig ist.
Auch wenn Clooney nicht unbedingt der glaubwürdigste Darsteller für dieses filmische Manifest der Einsamkeit sein mag (ich hätte mir angedenk "Punch-Drunk Love" auch sehr gut Adam Sandler in der Rolle des Ryan Bingham vorstellen können), es läuft, und es läuft sauber! Wären allerdings die letzten fünfzehn Minuten nicht, "Up In The Air" käme schwerlich über ein gefälliges "nett, aber mithin gewöhnlich" hinaus. Der konsequente Mut auf den Verzicht eines happy endings und die so aufrichtige wie realitätsverpflichtete Traurigkeit, mit der der Film sich zu schließen getraut, machen ihn jedoch geradezu erhaben. Wunderbar, wirklich und ehrlich.

9/10

Satire Jason Reitman Fliegerei Finanzkrise Geld Firma


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IN LIKE FLINT (Gordon Douglas/USA 1967)


"An actor? As president???"

In Like Flint (Derek Flint - Hart wie Feuerstein) ~ USA 1967
Directed By: Gordon Douglas

Diesmal muss Z.O.W.I.E.-Superagent Derek Flint (James Coburn) gegen eine Truppe naiver Feministinnen namens 'Fabulous Face' antreten, die einen weltweiten Politputsch planen, um sämtliche relevanten Ämter ausschließlich mit Frauen besetzen zu können. Dummerweise verlassen sich die Damen bei der Durchführung ihrer Pläne auch auf männliche Mithilfe, was ihnen schnell das Kreuz bricht. Der als Doppelgänger des US-Präsidenten (Andrew Duggan) eingesetzte Schauspieler Sebastian (Andrew Duggan) und der verrückte General Carter (Steve Ihnat) übernehmen nach Flints erster Intervention die Führung und können nur von Flint und der von ihm umgedrehten Blondine Lisa (Jean Hale) gestoppt werden.

Der zweite Flint-Film ist noch um Einiges witziger als der erste, strapaziert gegen Ende jedoch seine Laufzeit etwas über. Nachdem der Agent bereits im Original als unanfechtbarer Tausendsassa verkauft wurde, sehen wir ihn hier u.a. bei der Konversation mit seinem Hausdelfin Eric. Berühmt wurde der als nichts weniger denn prophetisch zu bezeichnende Kommentar Flints (s. obiges Zitat), mit dem er völlig fassungslos die Neuigkeit kommentiert, dass der echte Präsident durch einen Schauspieler ersetzt wurde. Ansonsten wird die feministische Bewegung zur gnadenlosen Zielscheibe des herzlich maskulinen Spotts erklärt: Die drei Köpfe von 'Fabulous Face' sind allesamt alte Teetantchen, die - Frauen halt - überhaupt nicht in der Lage sind, ihre Pläne zur Gänze zu überblicken. Zur globalen Oktroyierung ihrer Pläne wollen sie Haartrockner einsetzen, die zugleich Gehirnwäschemaschinen sind - alle unfreiwilligen Mitstreiterinnen werden derweil kryogenisch eingefroren. Es gibt also wieder eine Menge zu schmunzeln. Besonders hervorhebenswert sind die musikalischen Klänge von Jerry Goldsmith, der es hier mit Erfolg seinen etwas schwungvolleren Kollegen Lalo Schifrin und Henry Mancini gleichtut.

7/10

Kalter Krieg Derek Flint Gordon Douglas Karibik Bond-Spoof


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OUR MAN FLINT (Daniel Mann/USA 1966)


"It can't be..." - "Of course it can, that's why he's Flint!"

Our Man Flint (Derek Flint schickt seine Leiche) ~ USA 1966
Directed By: Daniel Mann

Derek Flint (James Coburn), Lebemann und Top-Agent des amerikanischen Geheimdienstes 'Z.O.W.I.E.', wird herbeigerufen als die Terrororganisation 'Galaxy' die führenden Nationen der Welt mittels ihrer Wettermanipulationsmaschine dazu zwingen will, sämtliche Nuklearwaffen zu vernichten. Ihr an sich hehres Ziel versucht Galaxy jedoch mittels faschistischer Indoktrinationsmethoden zu erreichen, was Flint überhaupt nicht mag. Nachdem er die feindliche Agentin Gila (Gila Golan) becirct hat, ist es ihm ein Leichtes, Galaxy zur Strecke zu bringen.

Während die meisten Bond-Plagiate in den Sechzigern aus Europa, vornehmlich aus italienischer Coproduktion, kamen, versuchte sich Hollywood an vergleichsweise wenigen Rip-Offs der Abenteuer des britischen Agenten. Jene wiesen dann auch zumeist eine satirische oder gar unverhohlen parodistische Form auf. Die beiden "Derek Flint" - Filme wählten den lässigen Weg des Witzes, um 007 an der Kinokasse in seine Schranken zu weisen: Flint ist (noch) mehr Supermann als Mensch und jeder Situation ohne äußere Anstrengung gewachsen. Er beherrscht sämtliche Kampftechniken, ist eine wandelnde Enzyklopädie und außerdem Ballett-Virtuose, bekommt ausnahmslos jede Frau ohne den geringsten Widerstand ins Bett und verzichtet auf den Einsatz von Feuerwaffen. Außerdem pflegt er ein gesundes Maß an Arroganz, was seinen Chef Lloyd Cramden (Lee J. Cobb) regelmäßig zur Verzweiflung treibt. Seine Gegner findet Flint jeweils in einer Gruppe von fehlgeleiteten Weltverbesserern, die gerade so gefährlich sind, weil sie einen gesellschaftlichen Umbruch durchsetzen wollen. In "Our Man Flint" handelt es sich dabei um drei der Friedensbewegung verpflichtete Wissenschaftler (Benson Fong, Rhys Williams, Peter Brocco), die bei aller technischen Raffinesse verkennen, dass ihre Methoden nicht besser sind als die ihrer erklärten Erzfeinde.
Als Moderelikte ihrer Zeit und als Coburn-Vehikel sind die zwei Flint-Abenteuer auch heute noch recht gut genießbar - insbesondere für kompromisslose Sixties-Enthusiasten, die bei flotter Innenarchitektur, perfekt sitzenden Anzügen, hochgesteckten Frisuren und Easy-Listening-Sounds in ungebremste Verzückung geraten.

7/10

Derek Flint Daniel Mann Kalter Krieg Marseille Rom Bond-Spoof


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SUNSET (Blake Edwards/USA 1988)


"It's all true, give or take a lie or two."

Sunset ~ USA 1988
Directed By: Blake Edwards


1929: Der legendäre Marshal Wyatt Earp (James Garner) wird vom Filmproduzenten Alfie Alperin (Malcolm McDowell) nach Hollywood engagiert und als produktionstechnischer Berater des neuesten Tom-Mix-Films abgestellt. Wildwest- und Kinolegende (Bruce Willis) verstehen sich als jeweilige Haudegen von echtem Schrot und Korn auf Anhieb und haben ihre neue Freundschaft gleich auf eine gewichtige Probe zu stellen - Alperin entpuppt sich nämlich als gewissenloser Schweinehund, der sowohl seiner Frau (Patricia Hodge) als auch seinem Stiefsohn (Dermot Mulroney) allerlei Ärger beschert.

Edwards' Gipfeltreffen zweier amerikanischer Mythenfiguren fällt genau so aus, wie man es erwarten darf: Von gut aufgelegten Stars getragen, glanzvoll und opulent ausgestattet, ist "Sunset" ein wahres Heimspiel für die Glamour-Metropole, das in einem oftmals und gern als 'leer' denunzierten Filmjahrzehnt ein wehmütiges Zeichen setzte. Getreu Fords berühmtem Liberty-Valance-Ethos, demzufolge Legenden für die historische Wahrheitsbildung unerlässlich sind, fabuliert Edwards eine wilde Geschichte von Gangstern, korrupten Polizisten und machtbesessenen Größenwahnsinnigen beim Film zusammen, die sich auf dem Papier sehr abenteuerlich liest, in ihrer Umsetzung aber zu kleinen Begeisterungsstürmen zu veranlassen weiß. Nicht nur die Buddy-Paarung Mix und Earp, auch andere zu jener Zeit berühmte Figuren wie Dutch Schultz (Joe Dallesandro) und Charlie Chaplin (McDowell) kommen bei Edwards zu Ehren, wenn auch in teils bös karikierter oder abstrahierter Form.
Garners Interpretation des Marshal ist dabei ein besonderer Coup, denn fast genau zwanzig Jahre zuvor hatte er diese Rolle bereits für Sturges in "Hour Of The Gun" übernommen.

8/10

Film im Film period piece Wyatt Earp Hollywood Blake Edwards


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SPUN (Jonas Åkerlund/USA 2002)


"Call it what you will. It's all methamphetamine. That's what I'm here for."

Spun ~ USA 2002
Directed By: Jonas Åkerlund


Der süchtige Ross (Jason Schwartzman) verdingt sich als Fahrer auf Abruf für den Amphetaminbrauer Cook (Mickey Rourke) seine alltäglichen Sniffs. Bei Cooks Dealer Spider Mike (John Leguizamo) treffen sich derweil allenthalben die wirrsten Junkies der Gegend. Als der picklige Frisbee (Patrick Fugit) von den Cops hochgenommen und mit einem Abhörgerät ausgestattet wird, ist es aus mit der trippigen Idylle.

"Spun" war der bis heute letzte Film, für den ich mir wirklich den Arsch aufgerissen habe, um ihn im Kino sehen zu können. Wenn ich ihn mir aufs Neuerliche anschaue, weiß ich auch wieder, warum und finde regelmäßige Bestätigung für meinen damals regen Aktionismus: Åkerlunds Shake aus grobkörniger Videoclip-Ästhetik, Drogenmissbrauchsporträt und vorsätzlich dargebotenen Widerwärtigkeiten ist und bleibt einfach nur großartig. Jede Szene, jede Einstellung beinhaltet, abgesehen von der wahnwitzigen Schnittfrequenz, eine kleine Überraschung - sei es in Form irgendeines hübschen Cameos oder mittels eines weiteren, erstklassigen Songeinspielers.
Selbstverständlich gibt es auch, bei einem extrem stilisierten Werk wie diesem kaum weiter verwunderlich, nicht unerhebliche, zwangsläufig in Augenschein zu nehmende Kritikpunkte: Die Coolness von "Spun" kommt nicht aus dem Bauch, sondern aus dem Kopf und ist damit grundsätzlich hinterfragbar; der aus der Clipbranche stammende Åkerlund weiß sehr genau, was er da wie und mit wem kredenzt; die visuelle Darstellung des Wirkungsradius der Drogen ist stark an Aronofskys nur zwei Jahre älteren "Requiem For A Dream" angelehnt. Ich darf und muss freimütig konstatieren, dass mir all das wenig bis gar nichts ausmacht und ich mich mindestens ebenso berauschen wie erfreuen kann an Jason Schwartzmans ungepflegtem, übernächtigten Speed-Gesicht, an den Auftritten von Ikonen wie Debbie Harry, Rob Halford, Larry Drake, Ron Jeremy, Eric Roberts und natürlich dem über allem thronenden Mickey Rourke, für den "Spun" sich nach langer beruflicher Durststrecke wie ein Geschenk ausnehmen musste, sowie an Songs wie Mötley Crües "Dr. Feelgood", Ozzys "Junkie" und natürlich dem abschließenden "Instant Repeater '99" von The Soundtrack Of Our Lives. Gottgegeben, sage ich.

9/10

Insomnie Speed Jonas Åkerlund Drogen Los Angeles


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WHATEVER WORKS (Woody Allen/USA 2009)


"You can't win 'em all."

Whatever Works ~ USA 2009
Directed By: Woody Allen


Der retirierte Quantenmechaniker Boris Yellnikoff (Larry David) ist zu einem alten Misanthropen und Hypochonder geworden, dem nichts mehr im Leben echte Freude bereitet. Erst die deutlich jüngere Ausreißerin Melody (Evan Rachel Wood), eine naive Provinz-Pommeranze, vermag es, mittels eines langwierigen Prozesses, Boris aus seinem eingeschleiften Trott herauszuzlösen und ihm neuen Lebensmut zu verleihen.

Das Thema des alternden, intellektuellen, jüdischen Emotionskrüppels und Pygmalion, der sein spätes Glück bei einer jungen, geistig noch formlosen Frau findet, die von altersher mindestens seine Tochter - wenn nicht gar seine Enkelin - sein könnte, verfolgt Allen bereits seit Jahrzehnten. In "Manhattan" trieb in dieses Motiv um, in "Husbands And Wives" und in "Mighty Aphrodite". "Whatever Works" ist insofern bloß die Fortsetzung eines vermutlich noch längst nicht beendeten Zyklus. Eine Neuerung liegt darin, dass Allen mit dem Komiker Larry David ein ihm nicht ganz ebenbürtiges Substitut gesucht und gefunden hat, dass aber, wie so häufig, wenn der Meister mal nicht selbst auftritt, lediglich einen physischen Ersatz darstellt. Verhalten und Kommunikation von Boris Yellnikoff könnten ebensogut auch die eines jeden Charakters sein, den Allen selbst irgendwann mal in den letzten dreißig Jahren auf die Leinwand gezaubert hat. Wer nach Überraschungen fahndet, ist bei Allen aber sowieso verraten und verkauft, das ist nichts bahnbrechend Neues. In punkto Wortwitz und dessen Pikanterie bleibt selbstverständlich ebenfalls alles wie gehabt:
Patricia Clarkson: "Wo kann man in Manhattan hingehen, wenn man sich mal richtig gut amüsieren möchte?"
Larry David: "Ins Holocaust-Museum."

8/10

Woody Allen Pygmalion New York


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TOOTSIE (Sydney Pollack/USA 1982)


"I think we're getting into a weird area here."

Tootsie ~ USA 1982
Directed By: Sydney Pollack


Frustriert von den ewigen Absagen, die ihm jeder einzelne Regisseur der Stadt entgegenzuschmettern scheint, hüpft der New Yorker Schauspieler und Schauspiellehrer Michael Dorsey (Dustin Hoffman) in einen spießigen Fummel und bekommt unerwarteterweise eine Rolle in einer Krankenhaus-Soap. Beim Publikum avanciert 'Dorothy Michaels', wie Michael sich als Frau nennt, zum Renner, Michaels von ihm angeschmachtete Kollegin Julie (Jessica Lange) lässt sich jedoch ebenfalls blenden - ganz zum Leidwesen des Frischverliebten, der Julie doch viel lieber als ganzer Mann zu Leibe rücken würde.

Jetzt bin ich also über meinen Schatten gesprungen und habe mir die erste Travestiekomödie seit Gottliebs "Tanten-Trilogie" mit Rudi Carrell und Ilja Richter gefallen lassen. Die vorherige Aufregung erwies sich, wie meistens in solchen Fällen, zwar vornehmlich als heiße Luft; der Überzeugung, einen Weltklassefilm gesehen zu haben, bin ich aber dennoch kaum. Zum einen war ich nie in der Lage, den ja offenbar akuten Reiz von Kerlen im Fummel zu durchschauen, weder im künstlerischen noch im rein komödiantischen Sinne, zum anderen ist der Film kaum weniger bieder als jedes andere stromlinienförmige Familienprodukt Hollywoods und damit per se fernab von jeder wahren Brillanz.
"Tootsie" beläuft sich im Gros auf eine ganz nette Emanzipationskomödie, die mit dem alten Traumfabrik-Prinzip kokettiert, einen Probanden für einen begrenzten Zeitraum in eine fremde Identität schlüpfen zu lassen, um ihn dann mit den Wehen der neu repräsentierten, in irgendeiner Form zumeist unter- oder minderprivilegierten Kaste zu konfrontieren. Aber eben kaum mehr.
Einige Gags sind wirklich stark, die gehen dann aber weniger auf das Konto des fistelnden Hoffman (obgleich dieser natürlich wie immer toll ist), sondern auf die von Dabney Coleman als schmierigem Produzenten, Bill Murray als Hoffmans WG-Kumpel und ganz besonders das dees göttlichen George Gaynes, ohne dessen leider viel zu sparsame Auftritte der Film vermutlich bloß halb so gut wäre. Pollack macht seinen Job gewohnt professionell, seine Siebziger-Filme mit Redford bleiben aber gefahrlos auf den vorderen Rängen.

6/10

Sydney Pollack New York Travestie Fernsehen


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IM JULI (Fatih Akin/D, HU, TR 2000)


"Und das hast du alles erlebt?"

Im Juli ~ D/HU/TR 2000
Directed By: Fatih Akin


Als die Hamburger Tandverkäuferin Juli (Christiane Paul) den Referendar Daniel Bannier (Moritz Bleibtreu) entdeckt, verliebt sie sich schnurstracks in ihn und versucht, ihn zu Gegenseitigem zu bewegen. Die mittels metaphysischem Symbolismus durchgeführte Aktion geht jedoch nach hinten los: Daniel verguckt sich am selben Abend in die Türkin Melek (Idil Üner), soeben auf dem Weg nach Istanbul, um dort ihren freund zu treffen. Kurzentschlossen reist Daniel ihr per PKW hinterher - zusammen mit Juli, die ihm zufällig bei Anbruch seiner Tour als Tramperin über den Weg läuft. Eine turbulente Reise folgt, die für alle Seiten unerwartet endet.

Trotz sehr differierender stilistischer und geistiger Orientierung ist die direkte Blutsverwandtschaft zwischen "Kurz und schmerzlos" und "Im Juli", mit dem Akin zugleich der letzten großen Sonnenfinsternis im August 99 ein Denkmal setzte, unübersehbar: Der eine Film endet mit dem prägnanten Antlitz Mehmet Kurtulus', der andere beginnt mit selbigem - wobei die jeweils von ihm interpretierten Parts beinahe identisch sein könnten. In beiden Werken inszeniert Akin sich selbst in Minirollen als wichtigen Stichwortgeber für den Plot; ganz abgesehen davon, dass diverse weitere Bekannte aus "Kurz und schmerzlos" hier wieder auftauchen. Allerdings hat es auch feine Gastauftritte wundebarer "neuer" Gesichter, darunter die atemberaubende, zuvor Kusturicas fulminantem "Crna Macka, Beli Macor" aufgetretene Serbin Branka Katic sowie erstmals Birol Ünel, die vermutlich coolste Sau des deutschen Films seit der Jahrtausendwende. Dass "Im Juli" nebenbei als eine einzige große Liebeserklärung an sein Protagonistenpaar durchgeht, beweist, wie mit welch familiärer Warmherzigkeit der Regisseur seine Darsteller beäugt. Ansonsten demonstriert Akin erneut, dass er in Filmgeschichte aufgepasst hat: Christiane Paul und Moritz Bleibtreu sind späte Nachfahren der Screwball-Urkonstellation Hepburn und Grant (bzw. später dann Streisand und O'Neal) und auch die Road-Movie-Kiste, die wesentlich beinhaltet, dass am Reiseende ein anderer Mensch ankommt als jener, der sie einst angetreten hat, beläuft sich auf klassisches Kinogut (s. "Sullivan's Travels"). Dabei will "Im Juli" nicht innovativ sein, er will berühren. Und das schafft er, mühelos sogar. Falls es die Porno-Verballhornung "In Juli" übrigens noch nicht geben sollte, beanspruche ich hiermit schonmal gleich die Rechte.

8/10

Drogen Osteuropa Fatih Akin Road Movie LSD Tuerkei Marihuana


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FANTASTIC MR. FOX (Wes Anderson/USA, UK 2009)


"Just buy the tree." - "Okay."

Fantastic Mr. Fox (Der fantastische Mr. Fox) ~ USA/UK 2009
Directed By: Wes Anderson


Der Fuchs Mr. Fox verspricht seiner Frau, nachdem es einmal besonders brenzlig wird, und sie ihm offenbart, dass sie bald Eltern würden, in Zukunft die Finger vom Hühnerdiebstahl zu lassen und stattdessen einer "ehrlichen" Arbeit nachzugehen. Mr. Fox wird also Zeitungskolumnist, doch es dauert nicht allzu lange, da juckt es ihm wieder in den Fingern und mit seinem gemütlichen Freund, dem Opossum Badger, macht er sich daran, die drei Bauern der Gegend um ihre jeweiligen Hauptprodukte zu erleichtern. Diese reagieren sehr ungehalten und gehen zum Gegenangriff auf Fox, seine Familie und die anderen Waldbewohner über, was einen regelrechten Kleinkrieg zwischen Mensch und Tier entfesselt.

Auf der Leinwand erlebt der gescheite Kindergeschichtenautor Roald Dahl bereits seit den neunziger Jahren eine Renaissance, die sich schon aufgrund der unikalen, atmosphärischen Erzählweise des Literaten je in sicheren Regisseurshänden wie denen von Nicolas Roeg, Henry Selick und Tim Burton lag, allesamt recht eigensinnige Filmemacher mit einer jeweils entsprechend persönlichen, teils bekanntlich durchaus morbiden Signatur. Wes Anderson nun, den ich nicht von ungefähr bereits einen Eintrag tiefer als 'Familienchronist' bezeichnete, knöpfte sich - na was wohl - eine von Dahls die Familie thematisierenden Fabeln vor. Zwar behalten die zivilisierten Tiere ihre jeweils typischen Eigenschaften; sind also wahlweise neugierig, flink, gefräßig, klug, solipsistisch veranlagt und so fort; sind jedoch auch den Menschen zivilisatorisch ebenbürtig, der Menschensprache mächtig, können Motorrad fahren, Erpresserbriefe schreiben, philosophieren etc.. Dass Anderson diese Gegebenheiten als selbstverständliche Rahmenbedingungen für seine herrlichen, erdfarbenen Stop-Motion-Bilder verwendet, war zu erwarten, ebenso wie die Tatsache, dass der pubertierende Sohn des Ehepaars Fox in Ermangelung der Allmacht rettender väterlicher Achtung einen mittelschweren Neurotiker abgeben durfte. Bis auf die ungewohnte, respektive ungewöhnliche Art der Erzählung - nebenbei ist dies des Regisseurs erster Film seit "Bottle Rocket", für den er auf das Scope-Format verzichtet - bleibt dieses Anderson-Erlebnis, was seinen Skurillitätsfaktor und den Oszillationsgrad zwischen tieftraurig und juchzend komisch anbelangt, irgendwie ein angenehm vertrautes.

8/10

Fabel Roald Dahl Wes Anderson





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