Zum Inhalt wechseln


In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


Foto

AGAINST THE WALL (John Frankenheimer/USA 1994)


"Hot soup, ya white monkey!"

Against The Wall ~ USA 1994
Directed By: John Frankenheimer

September 1971: Zeitgleich kommen Michael Smith (Kyle MacLachlan) und Jamaal X (Samuel L. Jackson) im Hochsicherheitsgefängnis Attica, New York an - Smith als neuer Aufseher, X zum wiederholten Mal als Sträfling. Michaels Anstellung bedient eine familiäre Tradition: Auch sein Vater (Harry Dean Stanton), jetzt Kneipier im angrenzenden Ort, arbeitete einst hier; Michaels Onkel Ed (Tom Bower) ist jetzt noch in Attica beschäftigt. Nur wenige Tage nach Michaels Berufseinstand kommt es zu einer Gefängnisrebellion, bei dem die überwiegend hispanischen und schwarzen Insassen fast die komplette Anstalt über- und die meisten Aufseher, darunter auch Michael und Ed, als Geiseln nehmen. Bevor ihre Forderungen nach Generalamnestie und besseren Haftbedingungen angenommen werden können, bringt die Nationalgarde den Aufstand zu einem blutigen Abschluss.

Eine von Frankenheimers TV-Arbeiten, in ihrer Kompromisslosigkeit, Härte und tendenziösen Orientierung vielleicht zu unbequem fürs Kino. Der Privatsender HBO, der zu dieser Zeit häufiger mit kontroversen und auch Genre-Stoffen experimentierte, ließ Frankenheimer die nötigen Freiheiten, um seine Aufbereitung des authentischen Attica-Aufstands adäquat wiedergeben zu können. Mit einleitenden Bildern der unmittelbaren historischen Vorgeschichte, die die Ermordungen Bobby Kennedys und Martin Luther Kings beinhalten sowie Impressionen von Vietnam, Kent State, Watts, den Black Panthers und Malcolm X, verdeutlicht "Against The Wall" gleich zu Beginn, dass hierin eine Ära porträtiert wird, in der es brodelte, und zwar gewaltig, unübersehbar und allerorten. Und wie die meisten Anti-Establishment-Strömungen wurde auch Attica gewaltsam von den Autoritäten niedergerungen, ohne Rücksicht auf Verluste selbst unter den Geiseln. Die Beziehung zwischen den beiden Antagonisten Michael Smith und Jamaal X rückt vor diesem Hintergrund auf ein zunehmend verständiges Level; durch zumindest ansätzliches Begreifen de anderen verschiebt sich ihre jeweilige Perspektive schleichend in die Grauzone der Empathie. Eine großartige Besetzung, die ganz besonders durch Clarence Williams III und Frederic Forrest aufgewertet wird, trägt das ambitionierte Projekt noch zusätzlich. Leider entpuppt sich die deutsche Synchronisation rasch als ein Debakel. Daher sollte man, wenn möglich, um des unbeschwerten Genusses Willen den Originalton vorziehen.

8/10

John Frankenheimer period piece Gefängnis Historie New York Aufstand Rassismus HBO TV-Film


Foto

THE ELEPHANT MAN (David Lynch/USA 1980)


"Nothing will die."

The Elephant Man (Der Elefantenmensch) ~ USA 1980
Directed By: David Lynch

In den 1880ern erfährt der Chirurg Frederick Treves (Anthony Hopkins) von einem schwer deformierten Mann, der in der Monstrositätenschau eines Zirkus ausgestellt wird: John Merrick (John Hurt), wegen seiner furchtbaren Verformungen an den meisten Stellen seines Körpers von seinem Aussteller Bytes (Freddie Jones), der ihn permanent quält, "Elefantenmensch" genannt. Treves gelingt es, Merrick zu untersuchen. Da dieser zunächst kein Wort spricht, hält Treves ihn auch für geistig behindert. Nach einer weiteren schweren Misshandlung überantwortet Bytes Merrick für unbefristete Zeit an Treves, der ihn im London Hospital unterbringt. Hier entdeckt Treves, wer sich wirklich hinter der Physis des "Elefantenmenschen" verbirgt: Eine höchst sensible, unabänderlich freundlich und intelligente Persönlichkeit, zugänglich für Kultur und Gastfreundlichkeit, ein ausgesprochener Gentleman gar. Doch Merrick bleibt ein ewiges Opfer: Ein übler Nachtwächter (Michael Elphick) verschachert Begegnungen mit ihm in den Kneipen vom East End, schließlich entführt ihn Bytes und verschleppt ihn auf den Kontinent. Doch Merrick kann fliehen und gelangt zurück nach London, wo er, durch die Fürsprache der Theaterdiva Kendal (Anne Bancroft) ganz kurz zu einem gefeierten Mitglied der oberen Gesellschaft aufsteigt. Dann legt er sich ein letztes Mal schlafen.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich diesen Superlativ wirklich langfristig untermauern kann, aber ich glaube, zumindest momentan, dass David Lynch einen so vollendeten Film wie "The Elephant Man" danach nie wieder zustande gebracht hat. Nicht nur die ästhetische Meisterschaft des Films, der unter der brillanten Verwendung von Freddie Francis' Kamera wie mühelos ein ganzes Zeitalter reanimiert, reißt zu Begeisterungsstürmen hin, auch und vor allem seine emotionale Ebene; nie auch nur im Entferntesten exploitativ oder reißerisch, sondern im Gegenteil äußerst feinfühlig und wahrhaftig, involviert den Zuschauer so nachhaltig, dass man den Film, komme, was da wolle, garantiert nie wieder aus dem Kopf oder dem Herzen bekommt. Die Geschichte der Freundschaft zwischen Treves und Merrick, der in Wahrheit Joseph hieß, nicht John und der tatsächlich dazu neigte, aus seinem entstellten Äußeren selbst Kapital zu schlagen, ist eine der schönsten ihrer Art im Kino, wie wohl auch die von John Hurt personifizierte Figur des John Merrick eine der strahlendsten, liebenswertesten Gestalten der Leinwand abgibt, einen Menschen, dessen Freundschaft man sich im Leben rühmen müsste, so sie einem zukäme.
Ganz faszinierend auch Lynchs gleichermaßen faszinierte wie angeekelte Perspektive der Viktorianischen Ära, einer Zeit, so verlogen wie brodelnd: Die Hochöfen qualmen vor grauem Firmament, die Arbeiter fallen um die Fliegen, der Adel spricht von sich im Plural und die Säufer und Huren in Whitechapel leben des Nachts zwischen Dreck, Bier und schmutzigen Limericks. Dies war nicht nur die Zeit von Victoria und Joseph Merrick, es war auch die von Jack The Ripper, und, so sie zum Leben erwacht wären, die von Dr. Henry Jekyll und die des Dorian Gray - morbid und von finsterer Schönheit, ganz so wie Lynchs Meisterwerk.

10/10

David Lynch Biopic Victorian Age period piece Historie Freundschaft London Theater Industrialisierung Freddie Francis


Foto

THE WOLF OF WALL STREET (Martin Scorsese/USA 2013)


"I am not gonna die sober!"

The Wolf Of Wall Street ~ USA 2013
Directed By: Martin Scorsese

Nach dem Schwarzen Montag im Oktober 1987 wendet sich der Jungbroker Jordan Belfort (Leonardo Di Caprio) dem Segment der Penny-Stocks zu, minderwertiger Aktien, die an gutgläubige Kunden verhökert werden und die dem Makler bei entsprechendem Absatz eine stattliche Provision zusichern. Belfort kann es sich bald leisten, mit 'Stratton Oakmont' eine eigene Firma aufzuziehen, die rasch expandiert. Unter dem Mitarbeitern, allen voran Belfort selbst, gehört es zum alltäglichen Chic, Alkohol, Drogen, Sex und Exzess in rauen Mengen zu konsumieren - vor allem Quaaludes haben es dem immer reicher werdenden Kapitalistenalb angetan, der nach einigen Jahren ins Visier ddes FBI gerät und sein berufliches wie sein Familienleben vor die Wand fährt.

Im Stil seiner früheren Antihelden-Halbwelt-Geschichten, die ihm zumeist mit der Unterstützung des Insiders Nicholas Pileggi zugeschustert wurden, setzt Scorsese diesen endlich wieder einmal einen weiteren Beitrag hinzu. Diesmal begibt er sich in die Niederungen des Yuppie-Unwesens der späten Achtziger, in das Haifischbecken der Gordon Gekkos und Patrick Batemans, in den Pomade und Kokain ihre verhängnisvolle Boulevard-Verbindung eingingen. Jordan Belfort ist ein authentisches Relikt dieser Jahre, ein denkwürdiges Mahnmal für die Unvereinbarkeit von Menschlichkeit und Profitstreben. Mit der ihm üblichen Faszination für seine faulherzigen Protagonisten von Jake LaMotta über Henry Hill und Ace Rothstein bis hin eben zu diesem Jordan Belfort lässt Scorsese sich in gewohnter Überlänge seine Kamera entfesseln; sie ewige Fahrten vollführen, über endlose Kokainbahnen gleiten, urplötzlich in der Bewegung verharren. Dazu gibt es eine wie üblich ausufernde Song-Kompilation, ein herrlich spaßiges Figuren-Kaleidoskop (mit Rob Reiner in einer komödiantischen Meisterleistung als Belforts Vater) und Szenen-Arrangements, die in punkto Detailverliebtheit noch immer ihresgleichen suchen. Jonah Hill ist großartig, Margot Robbie dafür eine Katastrophe. Damit kann man zumindest jedoch leben, immerhin hat sie einen fabelhaften Körper.
Was mich besonders freut, ist, dass mit "The Wolf Of Wall Street" auch der Drogen- und Suff-Exzess-Film endlich mal wieder kapitalen und vor allem vitalen Zuwachs bekommen hat, der schien mir nach "Fear And Loathing In Las Vegas" und "Spun" nämlich bereits dramatisch vom Aussterben bedroht. Hier jedoch heißt es: Lass' sie fröhlich lallen, lass' sie torkeln, lass' sie fallen. Geil!

9/10

Martin Scorsese New York Börse Wall Street Biopic FBI period piece Alkohol Kokain Freundschaft Familie Drogen


Foto

SOCIETY (Brian Yuzna/USA 1989)


"Just a little bit paranoid, Bill, within normal ranges."

Society (Dark Society) ~ USA 1989
Directed By: Brian Yuzna

Bill Whitney (Billy Warlock) ist ein typisches Beverly-Hills-'rich-kid', ein verwöhnter Siebzehnjähriger, für den es zum Alltag gehört, zum Analytiker zu gehen, Sportwagen-Coupés zu fahren und auch sonst jedweden materiellen Wohlstand als selbstverständlich hinzunehmen. Eines Tages wird er jedoch stutzig: Seine Familie beginnt sich zunehmend merkwürdig zu verhalten, Schulkameraden ebenso und David Blanchard (Tim Bartell), ein aufdringlicher Verehrer seiner Schwester Patrice Jennings), konfrontiert Billy mit höchst obszönen Tonband-Aufnahmen und segnet kurz darauf bei eine Verkehrsunfall das Zeitliche. Zudem hat Billy ein komisches Gefühl bezüglic seiner neuen Angebeteten Clarissa (Devin DeVasquez). Schließlich muss er die Wahrheit erkennen: Diverse gesellschaftliche Schlüsselpersonen in Beverly Hills gehören einer uralten Geheimloge perverser Mutanten an, die jeden, der ihr Geheimnis entdeckt, auf unappetitliche Art beseitigen...

"Scenes From The Class Struggle in Beverly Hills" war eine prominent besetzte Satire von Paul Auster, die sich mit der Dekadenz der Reichen und Schönen im Sonnenstaat befasste. Im gleichen Jahr erschien, freilich auf deutlich kleiner Bühne und einem Zirkel Eingeweihter vorbehalten, Brian Yuznas thematisch stark anverwandter "Society", eine hübsche Grand-Guignol-Komödie rund um paranoide teenage angst und ein paar lustvoll eklige Make-Up-Eskapaden, die wie immer Yuznas pan-japanischer Kollege Screaming Mad George besorgte und die im Rahmen ihrer budgetbedingten Durchsichtigkeit als durchaus innovativ bezeichnet werden können - immerhin hat man seit Carpenters "The Thing" solch schleimige Verformungen, wie sie das große Finale von "Society" bereithält, auf der Leinwand nicht mehr bewundern dürfen. Yuznas Orientierung an den Secret-Invasion-Movies der Fünfziger, in denen häufig einem (juvenilen) Individuum bewusst wurde, dass seine Nächsten gar nicht (mehr) seine Nächsten sind, wird ferner auch Kevin Williamson stark beeinflusst haben. Sein "The Faculty" spricht diesbezüglich Bände.

7/10

Brian Yuzna Kalifornien Beverly Hills Satire Mutanten Monster Familie


Foto

THE ICEMAN COMETH (John Frankenheimer/USA 1973)


"The lie of a pipe dream is what gives life to the whole misbegotten mad lot of us, drunk or sober."

The Iceman Cometh ~ USA 1973
Directed By: John Frankenheimer

New York, 1912: Der 'Last Chance'-Saloon im Village ist sowohl Hort als auch tagtäglicher Treffpunkt für eine Gruppe abgehalfterter, Herren und Huren, die, sofern sie ihr Verfallsdtaum nicht ohnehin bereits überschritten haben, doch kurz davorstehen. Der Eigentümer der Bar, Harry Hope (Fredric March), der seinen Laden infolge des Todes seiner Frau vor zwanzig Jahren nicht mehr verlassen hat, ist so etwas wie der Patron der überreifen Gesellschaft. Er und die übrigen Gäste freuen sich auf den zweimal im Jahr stattfindenden Besuch des Handlungsreisenden Hickey (Lee Marvin), der in den schummrigen Räumlichkeiten gute Laune verbreitet und die traurige Truppe mit Freidrinks bis zum Abwinken bei Laune hält. Anlässlich Harrys Sechzigstem hat sich Hickey wieder einmal angekündigt und es verspricht, eine fantastische Sause zu werden. Als der innig erwartete Spezialgast dann jedoch endlich auftaucht, schockiert er seine Freunde mit einer unbegreiflichen Neuigkeit. Er habe zu trinken aufgehört, sei endgültig "von dem Teufelszeug los" und würde jedem der anderen Gäste empfehlen, ihm auf seinem neuen Weg zu folgen. Zunächst kommt Hickeys Vorschlag alles andere als gut an, dann jedoch fängt nahezu jeder an, über Hickeys Worte und sich selbst nachzudenken...

Sich Frankenheimers O'Neill-Verfilmung auszusetzen ist eine Aufgabe, und keine, die etwa leicht zu bewältigen wäre. Runde vier Stunden Erzählzeit, angesiedelt ausnahmslos in ein und demselben, schummrig ausgeleuchteten Raum, falbe Farben, vier Akte, drei Zeitsprünge von jeweils mehreren Stunde, zwei Pausen, keine Musik. Reiner Dialog, die meiste Zeit körperlich aktionslos und aus sitzenden Positionen heraus vorgetragen; wobei stets bloß die fokussierten Figuren sprechen, derweil die übrigen jeweils in einer Art vorübergehender Stasis verharren. Man findet sich stolz und erleichtert, wenn man das durchgestanden hat, und bereichert um eine der ungewöhnlichsten Filmerfahrungen, die ich kenne.
Das produzierende 'American Film Theatre' war eine kurzlebige Firma, die unter ihrem Kopf Ely Landau zwischen 1973 und 1975 zwölf Theateradaptionen in die Kinos brachte, die mit Ausnahme der Regie- und Schnittarbeit so dicht an der Bühne lagen, wie kaum eine artgenössische Produktion zuvor und seitdem, sofern es sich nicht um schlicht abgefilmtes Theater handelt. "The Iceman Cometh" ist daher besonders ein Triumph der Schauspielkunst: Neben March und Marvin sind Robert Ryan, Jeff Bridges, Clifton James, Bradford Dillman, Moses Gunn und einige andere zu bewundern, March und Ryan jeweils in ihren letzten Rollen. Man hätte ihnen angesichts ihrer Leistungen noch sehr viel mehr gegönnt.
"The Iceman Cometh" ist kein moralisches Stück im herkömmlichen Sinne; er ist ein Film über 'pipe dreams', frei übersetzt 'Luftschlösser', denen die Säufer aus Harrys Bar nachhängen. Sie alle fabulieren tagtäglich über das, was sie in Kürze erreichen, sich zurückholen wollen. Den vormaligen Kriegskorrespondenten James Cameron (John McLiam) etwa nennen die anderen nurmehr 'Jimmy Tomorrow', weil er permanent darüber lallt, dass er sich morgen seinen alten Job zurückerobert. Ähnlich wie ihm geht es auch den meisten anderen hier, sie sind Helden im Schatten, die nurmehr unter ihresgleichen geduldet sind und hier auf den unausweichlichen Tag hinarbeiten können. Als sich dann Hickey, der 'Iceman' einfindet, und sie alle zu missionieren versucht (eine Aufgabe, die jedem, der schon einmal mit leibhaftigem Alkoholismus zu tun hatte, auf den ersten Blick bloß sinnentleert erscheinen muss), kommt es lediglich zu einer kurzen Zäsu, die jedoch tragische Spuren hinterlässt. Für die meisten Gäste jedoch ändert sich am Ende nichts, sie bleiben authentische Außenseiter.

9/10

John Frankenheimer based on play Eugene ONeill period piece New York Alkohol Freundschaft


Foto

THE HORSEMEN (John Frankenheimer/USA 1971)


"What a ram with one horn makes, a man with on leg can make too!"

The Horsemen (Die Steppenreiter) ~ USA 1971
Directed By: John Frankenheimer

Tursen (Jack Palance), Patriarch dreier Hindukusch-Provinzen, entsendet seinen stolzen Sohn Uraz (Omar Sharif) zum vom König ausgerichteten Buzkashi nack Kabul, einem archaischen Wetkkampf, bei dem es gilt, per Pferd eine kopflose Ziege über eine bestimmte Distanz und wieder zurück zu tragen. Gewinnt Uraz den Wettstreit, geht der stolze Schimmel Jihal in seinen Besitz über. Uraz schlägt sich tapfer, stürzt jedoch kurz vor dem Ziel schwer, so dass ein anderer Reiter aus seiner Equipe das Turnier für Tursen gewinnen muss. Um seine Ehre zurückzugewinnen, reitet Uraz, dessen linkes Bein infolge des Sturzes gebrochen ist, mit seinem Stallknecht Mukhi (David de Keyser) über einen gefürchteten, gefahrvollen Bergweg zurück in die Heimat. Wenn Mukhi im beisteht, so verspricht es ihm Ulaz, soll Jiral im Falle seines Todes an den Gehilfen übergehen. Unterwegs schließt sich ihnen die schöne Zareh (Leigh Taylor-Young), ein ehrloses Dorfmädchen, an, das beide Männer begehren, das für Uraz wegen seines adligen Standes jedoch unerreichbar ist. Uraz' Bein entzündet sich und muss amputiert werden. Nach beschwerlichem Weg zurück in der Heimat gelingt es ihm jedoch, alle gemachten Fehler einzusehen und seinen Stolz als Königssohn wiederzuerlangen.

Vielleicht Frankenheimers schönster Film ist "The Horsemen", eine gleichnis- und märchenhafte Erzählung über verschiedene Wege, Identität und Integrität zu erfahren und zu bewahren. Wie "The Gypsy Moths" verharrt auch "The Horsemen" thematisch keinesfalls auf dieser solitären Ebene. Auch die Sektion einer für Westgeborene schwerlich bis kaum nachvollziehbaren Kultur steht im Kern des Films, der, obgleich er in der Gegenwart angesiedelt ist, Bilder entwirft, wie sie ein vergangenes Jahrhundert widerzuspiegeln vermögen. Die 'Chapandaz', ein stolzes afghanisches Reitervolk, pflegen eine ungezählte Generationen zurückreichende Kultur, die kaum zivilisatorische Zeugen kennt. Ein Spiegel in Tursens Behausung etwa, der als kitschig-buntes Relikt wahrscheinlich aus irgendeinem Souvenirs-Laden stammt, wirkt wie ein eklektischer Fremdkörper im sepiafarbenen Dorfleben. Immer wieder gibt es solche Merkwürdigkeiten: Einen weit entfernten Düsenjet hier, einen Jeep dort, die reichen, den westlichen Einflüssen verfallenen Geschäftsleute mit Designer-Anzügen und Papiergeld. Die Chapandaz negieren solche Erscheinungen: Ulaz besteht darauf, dass der ihm im Krankenhaus angepasste Gips verschwinden muss. Stattdessen soll die offene Operationsnarbe mit einer Koransseite beklebt werden, was langfristig zum Verlust des Beines führen wird. Seine Egomanie wird ihm auch sonst mehrfach fast zum Verhängnis: Er verleitet trotz der lehrreichen Parabel eines blinden, alten Schreibers, seinen Diener dazu, ihm Jihal zu rauben, der unheilvolle Einfluss Zarehs tut sein Übriges. Doch ist "The Horsemen" nicht an offensichtlichen Moralpredigten gelegen, sondern daran, zu zeigen, dass schiere Willenskraft auch fernab der Moderne Fruchtbarkeit bedeuten kann: Uraz meistert sämtliche, auch die von ihm selbst forcierten, Widerstände und gewinnt am Ende vielleicht ein höheres Maß an Respekt als es zuvor möglich gewesen wäre. Frankenheimer dabei zuzuschauen, wie er dieses wildromantische, abenteuerliche Szenario entwirft, zuspitzt und auflöst, ist ein unbedingter Hochgenuss.

10/10

John Frankenheimer Joseph Kessel Dalton Trumbo Afghanistan Kabul Reise Vater & Sohn


Foto

THE GYPSY MOTHS (John Frankenheimer/USA 1969)


"Typical American town..."

The Gypsy Moths (Die den Hals riskieren) ~ USA 1969
Directed By: John Frankenheimer

Die drei Fallschirmspringer Mike Rettig (Burt Lancaster), Joe Browdy (Gene Hackman) und Malcolm Webson (Scott Wilson) ziehen durch die Provinz und führen ihre waghalsigen Kunststückchen sensationsgierigen Kleinstädtern vor. Als das Trio Halt in jenem Nest in Kansas macht, in der Malcolm aufgewachsen ist, findet man häusliches Obdach bei dessen Adoptiveltern, John (William Windon) und Elizabeth Brandon (Deborah Kerr). Dabei beginnt die Partner-Gemeinschaft bereits zu bröckeln: Während für Joe nach wie vor Geld und Erfolg zählen, sehnt sich der latent todessehnsüchtige Mike nach einer dauerhaften Beziehung und Malcolm ahnt insgeheim, dass seine Zukunft nicht in seinem gegenwärtigen, selbstmörderischen Gewerbe stattfinden wird. Als Mike, der sich Hals über Kopf in Elizabeth verliebt, von dieser abgewiesen wird, kommt es zur Katastrophe.

Frankenheimers letzte von fünf Kollaborationen mit Burt Lancaster, ein sehr intim gestaltetes Porträt einer Dreiergemeinschaft völlig unterschiedlicher Charaktere, passt thematisch hervorragend zu dem von mir kurz zuvor geschauten "All Fall Down": Dort wie hier geht es um die Vater-Sohn-Ersatzbeziehung zwischen einem jüngeren (Wilson) und einem älteren Mann (Lancaster), wobei der ältere einen Hang nachvielen zerstörerischen Lebenserfahrungen längst dem Tode näher steht als dem Leben, der jüngere ihn jedoch völlig gegenteilig einschätzt und sogar anhimmelt, nur, um im Nachhinein eines Besseren belehrt zu werden und sich selbst infolge eines radikalen Initialerlebnisses für das Leben zu entscheiden. Wo in "All Fall Down" Karl Malden als eine Art zur Passivität verdammter Mittlerfigur auftrat, übernimmt in "The Gypsy Moths" Gene Hackman diesen Part, als einziger, der zwar ebenfalls mit seiner Einsamkeit hadert, der jedoch narzisstisch genug ist, um seinen Weg langfristig auch allein zu bewältigen.
Auch die zweite, eher subtil geführte Ebene des Films begeistert: Die Sezierung der Sensationssucht des Durchschnittsamerikaners. Nachdem Rettig den öffentlichen Freitod wählt, indem er bewusst darauf verzichtet, die Reißleine zu ziehen und sich zu Tode stürzt, beraumt Browdy gleich für den nächsten Tag, dem 4. Juli einen von Malcolm praktizierten Tributsprung unter denselben Bedingungen an, um Geld für Rettigs Beerdigung zu sammeln. Der die Parade zum Nationalfeiertag anführende Kappellmeister (Thom Conroy) staunt indes nicht schlecht: Die sonst mit Menschen gesäumten Straßen der Stadt sind wie leergefegt, weil sämtliche Einwohner Malcolm beim Springen zuschauen (und natürlich insgeheim auf einen weiteren Unfall hoffen).
Ein stiller, trister Film über zersetzende Lebenslügen und die Einsamkeit inmitten von Vielen ist Frankenheimer da geglückt, eines seiner vielen Meisterwerke.

9/10

John Frankenheimer Kansas Freundschaft amour fou


Foto

ALL FALL DOWN (John Frankenheimer/USA 1962)


"I hate life."

All Fall Down (Mein Bruder, ein Lump) ~ USA 1962
Directed By: John Frankenheimer

Von kleinauf hat der Berufsfilou Berry-Berry Willart (Warren Beatty) von seiner vereinnahmenden Mutter (Angela Lansbury) eingeimpft bekommen, was für ein toller Hecht er doch sei, eine fatale Charakterprägung, die ihn zu einem unsteten Herumtreiber hat werden lassen, hinter dessen attraktivem Äußeren sich irrationale Misogynie und vor allem eine übermächtige Bindungsangst verbergen. Sein jüngerer Bruder Clinton (Brandon De Wilde) himmelt Berry-Berry an, im irrigen Glauben, es handele sich bei ihm um einen höchst kontrollierten, selbstbestimmten Mode-Nihilisten, dem die Welt zu Füßen läge. Erst als die bezaubernde Echo (Eva-Marie Saint) im Haus der Willarts zu Gast ist, zu Clintons erster großer Liebe avanciert, nur um dann Berry-Berry zu Füßen zu liegen, erlangt Clinton die Reife zur Emanzipation vom verqueren Weltbild seines Bruders: Dieser sieht sich außer Stande, seine Tagediebereien zugunsten Echos aufzugeben, was tragische Folgen nach sich zieht.

Phantastisch gespieltes Familiendrama nach James L. Herlihy, Frankenheimers dritte Regiearbeit fürs Kino, die, wenngleich hier und da noch etwas sehr offensichtlich in ihrer Präsentation der Verhältnisse im Hause Willart, bereits sehr eindrucksvoll darlegt, welch großer Filmemacher da am Werk ist. In "All Fall Down" finden sich sämtliche Darsteller im allerbesten Wortsinne mit dem Strich besetzt: allen voran Brandon De Wilde, der ewige Sohn und kleine Bruder; Beatty, unverschämt gutaussehend und dabei hinter der Strahlemann-Fassade doch völlig kaputt; Saint, etwas extrovertierter als gewohnt und dafür gleich nochmal so attraktiv; Lansbury, ein putenhalsige Matriarchin mit unheilvollem Einfluss und glatt zum Verwünschen sowie Karl Malden als gutherziger Vater, Erzkommunist im Herzen und doch zum Alkoholiker verkommen, weil er sich gegen die übergroßen Pantoffeln, die seineGattin im Hause trägt, auch nach drei Jahrzehnten nicht durchzusetzen vermag. "All Fall Down" erinnert somit nicht von ungefähr an die vielen Paul-Newman-Filme dieser Zeit nach Vorlagen von Williams und Faulkner, in denen ja auch er so häufig als großmäuliger Blender mit zerschmettertem Innenleben durch den US-Süden vagabundierte. In Anbetracht dessen fast schon verwunderlich, dass Beatty diesen lumpigen Berry-Berry Willart spielte.

8/10

John Frankenheimer Florida Ohio Familie Brüder Mutter & Sohn amour fou James Leo Herlihy Coming of Age


Foto

DANIEL (Sidney Lumet/USA 1983)


"Let our deaths be his bar mitzvah."

Daniel ~ USA 1983
Directed By: Sidney Lumet

Daniel Isaacson (Timothy Hutton), dessen Eltern (Mandy Patinkin, Lindsay Crouse) während der Ära McCarthy vom HUAC ins Gefängnis gebracht, als bekennende Kommunisten der Atom-Spionage für die Russen bezichtigt und auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wurden, beginnt, sich nach Jahren der ideologischen Passivität bezüglich der Hintergünde jenes furchtbaren biographischen Ereignisses zu informieren. Daniels vormals wesentlich leidenschaftlicher agierende Schwester Susan (Amanda Plummer) ist durch die Umstände, unter denen sie und ihr Bruder als Kinder aufwachsen mussen, schwer traumatisiert und psychisch geschädigt. Auch um ihretwillen ist Daniel an nachträglicher Aufklärung interessiert, seine Suche nach Antworten muss sich jedoch mit Fragmenten begnügen. Seine Eltern waren Opfer einer paranoiden Zeit und ihrer eigenen, beharrlichen Verweigerung zur Denunziation. Immerhin lernt Daniel, dass Opposition gleichbedeutend sein kann mit Integrität.

Ein ebenso leidenschaftlicher wie still erschütternder Film. Basierend auf E.L. Doctorows Roman, der sich semi-authentisch am tatsächlichen Schicksal des Ehepaars Rosenberg orientiert, die als sowjetische Rüstungsspione hingerichtet wurden, entblättert "Daniel" auf multiplen Zeitebenen ein komplexes Bild der Protestkultur in den USA zwischen den vierziger und sechziger Jahren. Paul und Rochelle Isaacson sind leidenschaftliche Linke, 'Reds', die mit den revolutionären Kräften im spanischen Bürgerkrieg und später mit den Sowjets sympathisieren, sich als eingefleischte New Yorker ausschließlich in ihren eigenen ideologischen Kreisen bewegen, die Musik von Paul Robeson flankieren und ihren Kindern den Mut zu reflektierendem Denken mit auf den Weg geben. Schließlich reißt das FBI die Familie auseinander, die Isaacsons sind von einem guten Freund und politischen Gesinnungsgenossen (Joseph Leon) denunziert worden. Ihre Kinder wachsen von diesem Zeitpunkt an als faktisch determinierte Waisen auf, die ihre Eltern ein letztes Mal vor deren Hinrichtung besuchen dürfen. Erst nach Jahren kommen sie zu Adoptiveltern, doch der psychische Schaden ist, zumindest in Susans Fall, nicht wieder gutzumachen. Die schwer verstörte junge Frau landet in einem Sanatorium und nimmt sich nach mehreren erfolglosen Versuchen schließlich das Leben. Für Daniel, der der unfasslichen Kommunistenhatz letzten Endes seine gesamte Familie opfern musste, gibt es schließlich nurmehr einen tragfähigen Weg des Weiterlebens: In die Fußstapfen seiner Eltern und seiner Schwester zu treten und gegen Vietnam auf die Straße zu gehen.
Mittels ausgefeilter Formalia erweckt Lumet diese ebenso tragische wie tapfere Biographie zum Kinoleben und leistet nebenbei eine persönliche, ideologische Offenbarung: "Daniel" propagiert nachdrücklichst das verfassungsmäßige Recht auf freie Meinungsäußerung und porträtiert eine Ära, die ebendieses mit dummen, panischen Füßen getreten hat und damit für eine historische Sekunde nicht minder totalitär agierte, als die vielen Feindbilder.
Atmosphärisch und auch filmhistorisch außerdem eine unabdingbare Ergänzung zu Warren Beattys "Reds".

9/10

Sidney Lumet period piece Familie E.L. Doctorow McCarthy-Ära Kalter Krieg Todesstrafe Biopic


Foto

THE ELECTRIC HORSEMAN (Sydney Pollack/USA 1979)


"You're all bent. Are you sick?" - "Nope. Just bent."

The Electric Horseman (Der elektrische Reiter) ~ USA 1979
Directed By: Sydney Pollack

Der frühere Rodeo-Star Sonny Steele (Robert Redford) führt nurmehr eine daueralkoholisierte Existenz als Werbeflaggschiff für den Multi 'Ampco', deren Frühstücksflocken er bewirbt. Seine Einsätze erschöpfen sich in lustlosen Auftritten als Discokugel zu Ross und im Glühlämpchen-Anzug. Bei einer Veranstaltung in Vegas platzt Sonny dann eines Tages der Kragen. Der einstmals stolze Tournierhengst 'Rising Star' wird unter starke Narkotika gesetzt, um seine zerschundene Vorderhand nicht mehr spüren zu müssen und um vor den Zuschauermassen nicht in Panik zu geraten. Kurzerhand entführt Sonny Rising Star, reitet mit ihm in die Wüste hinaus und plant, ihn bei einer Mustangherde in Utah wieder auszuwildern. Die TV-Journalistin Hallie Martin (Jane Fonda) wittert eine große Story und folgt Sonny in die Prärie...

Zu banal für New Hollywood: Pollacks erste Liebäugelei mit dem profanen Mainstreamkino - unter weiestgehender Missachtung großer politischer oder philosophischer Topoi, in vertretbarem Sinne unliterarisch, uramerikanisch, mit Sinn für Herz und Romantik und betont ohne Schwere inszeniert. Fast (aber wirklich nur 'fast') ein Republikaner-Film. Redford darf seiner bekannten Pferdeliebe frönen (die sich später in seinem eigenen "The Horse Whisperer" nochmal richtig breitärschig präsentieren durfte) und als kerniger Herzensbrecher mit Schnorres die robuste Feministin Fonda betören. Das alles markiert natürlich keinen Weltstoff und auch keinen Fall fürs Pantheon großer Kinomythen; es ist wahrscheinlich noch am Ehesten der Versuch eines Filmemachers, sich von gewissen, als einengend empfundenen Zwängen freizustrampeln; Zwängen von Schwere und Bedeutungsfülle, wie sie noch sein vorheriges Meisterwerk "Bobby Deerfield" kennzeichneten. "The Electric Horseman" nimmt sich im Gegensatz zu diesem opulenten, aber wunderschönen Rührstuck so frugal aus wie das Grillen von Dosenwürstchen am Stock überm Lagerfeuer. Der Existenzialismus hält hierin ein Nickerchen unter der Hutkrempe, Redford schnitzt an seinem eigenen, specksteinigen Denkmal als Frauentyp, Willie Nelson intoniert Cowboy-Songs auf der Tonspur und unser Zossen, ein Brauner, stiefelt als lebender McGuffin durch die ockerfarbenen Täler von Nevada und Utah. Zugegeben: Pollack und Redford haben es sich hier verdammt einfach gemacht. Aber mutmaßlich hatten sie auch gar nichts anderes im Sinn.

6/10

Sydney Pollack Rodeo Pferd Las Vegas Nevada Utah Journalismus Neowestern





Filmtagebuch von...

Funxton

    Avanti, Popolo

  • Supermoderator
  • PIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIPPIP
  • 8.268 Beiträge

Neuste Kommentare