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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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INSIDE LLEWYN DAVIS (Joel Coen, Ethan Coen/USA, UK, F 2013)


"Folk singer with a cat. You queer?"

Inside Llewyn Davis ~ USA/UK/F 2013
Directed By: Joel Coen/Ethan Coen

New York, Winter 1961: Der arrogante, aber überdurchschnittlich talentierte Folk-Sänger Llewyn Davis (Oscar Isaac) lebt in den Tag. Von seinen spärlich bezahlten Auftritten kann er gerade das Nötigste bezahlen, er übernachtet abwechselnd bei Freunden oder Gönnern und träumt vom Durchbruch, den er beim populären Manager Bud Grossman (F. Murray Abraham) in Chicago wittert. Die Reise dorthin wird zu einem bizarren Ausflug ins eigene Selbst und nach seiner Rückkehr verändert sich nichts.

Eine elliptische Reise zurück zum Ausgangspunkt illustriert "Inside Llewyn Davis", nach "O Brother, Where Art Thou?" der zweite Film der Coens, der sich mit einer originär-amerikanischen Musikader des letzten Jahrhunderts befasst und der wie sein "Vorgänger" eine seltsame Reise mit unzweideutigen Anklängen an Homers "Odyssee" in sein Muster einwebt. Zumindest die Titelfigur allerdings bildet einen diametralen Gegensatz zu dem schlichten, pomadierten Provinzhelden Ulysses McGill: Llewyn Davis ist New Yorker durch und durch, sein Vater war Arbeiter auf See und auch der Filius hat sich dereinst als ein solcher versucht. Der Kern seines Herzens jedoch schlägt allein für seine Musik, wobei er als Solokünstler nach dem Suizid seines vormaligen Partners das eher erfolglose Dasein eines Herumtreibers führt. Abseits von seinen Auftritten ist Davis zudem ein ziemlich zynischer Hund: Über wohlhabende Fans von der Upper East Side macht er sich insgeheim lustig, er verweigert sich jeder Verantwortung, pöbelt auch schonmal gegen Kollegen und lässt zig Chancen, etwas Verpfuschtes wieder gutzumachen, verstreichen. Zum Freund möchte man so einen nur bedingt. Am Ende, bevor er dann gerechterweise eins auf die Mütze bekommt und der narrative Kreis sich schließt, rezitieren die Coens, womöglich jedoch unbewusst, Kaufmans "The Wanderers": Ein neues Zeitalter dämmert, als ein junger Nachwuchsmusiker im Gaslight Cafe im Village auftritt und leise Revolution mit Gitarre und Mundharmonika macht: Bob Dylan.

8/10

Coen Bros. New York Musik Reise Chicago period piece Heroin


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ALICE, SWEET ALICE (Alfred Sole/USA 1976)


"Where are you going?" - "None of your business, fatso."

Alice, Sweet Alice (Communion - Messe des Grauens) ~ USA 1976
Directed By: Alfred Sole

Zwei Schwestern, die eine, Karen (Brooke Shields) ein braves Zuckermäuschen, Alice (Paula Sheppard), die andere, ein fieses Biest, die darunter leidet, dass die Eltern sich getrennt haben und den Frust darüber, dass die Mutter (Linda Miller) ihre Liebe ziemlich ungleich verteilt, nur allzu gern an der jüngeren Karen auslässt. Ausgerechnet am Tage ihrer Erstkommunion wird Karen dann grausamst in der Kirche erdrosselt. Und es bleibt nicht bei diesem einen Vorfall: Tante Annie (Jane Lowry) wird mit einem Fleischermesser attackiert, Alices Vater (Miles McMaster) und der dicke Vermieter Mr. Alphonso (Alphonso DeNoble) werden ermordet. Doch die anfangs verdächtigte Alice scheidet wegen wasserfester Alibis aus. Wer also verbirgt sich unter Hexenmaske und gelbem Regenparka?

Im Gefolge von Romeros "Martin" eine weitere Studie um Vorstadt-Puritanismus, Irrsinn und Bigotterie. New Jersey schaut zwar nicht ganz so neoindustriell-schäbig aus der Wäsche wie Pittsburgh, schräge Figuren wie die hysterische Tante oder der fette Alphonso mit riesigem Pissfleck in der Haushose jedoch sorgen bereits ohnedies für eine konstant wenig heimelige Stimmung in der Gegend.
Alfred Soles Erzählung allerdings fällt im Vergleich zu seinem inszenatorischen Talent bezüglich Stimmungen und Gesichtern etwas ab. Eine im Prinzip sicher gelegte Fährte im Hinblick auf die Übeltäterin erweist sich als falsch, dafür wird zum letzten Drittel urplötzlich eine ganz unerwartete Person mit recht fadenscheiniger Motivation als Mordseele aus dem Hut gezogen. Außerdem ist der Film gut zehn Minuten zu lang, was seine vielen positiv zu wertenden Facetten allzu sehr unnötig in den Hintergrund drängt. Ansonsten aber ein brauchbares Stück blutigen Thrills für den willfährigen 70er-Genre-Chronisten.

6/10

New Jersey Kirche Familie Schwestern Madness Slasher


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OVER THE EDGE (Jonathan Kaplan/USA 1979)


"Man, I'm through with LSD."

Over The Edge (Wut im Bauch) ~ USA 1979
Directed By: Jonathan Kaplan

Im Trabantenort 'New Granada' treibt die Stadtflucht faule Blüten: Als eine Handvoll Jungfamilien hierher zieht, in ein um steten Zuwachs bemühtes, durchgeplantes Reihenhaus-"Paradies" mitten im Nirgendwo von Colorado, entkommt man zwar vermeintlich dem urbanen Stress, ignoriert jedoch die brodelnden Energien der sich zusammenrottenden Teenager. Diese vertreiben sich die überkochende Zeit mit Nichtstun, abgeschoben in ein kärgliches Jugendzentrum, herumlungernd, mit Drogen und zunehmend delinquenten Spielchen, die vom bösen Streich bis hin zur offenen Kriminalität reichen. Die paar Polizisten sind mit den Kids hoffnungslos überfordert, ebenso wie die ratlosen Eltern. Als der flüchtende Richie (Matt Dillon) von dem übereifrigen Cop Doberman (Harry Northup) erschossen wird, kommt es zu einer offenen Revolte Jung gegen Alt.

Mit "Over The Edge" schuf Corman-Zögling Jonathan Kaplan inmitten der um diese Zeit brodelnden 'Juvenile-Delinquent'-Welle ein weiteres Meisterwerk, das im Gegensatz zu den vergleichsweise aktionistischen Klassikern "Saturday Night Fever" oder "The Warriors" weniger mit urbanen Subkulturen befasste, sondern mit der vergessenen Provinzjugend, eben jenen Kids, die die 'scenes' im Prinzip bloß vom Hörensagen kennen und aufgrund erzwungener Passivität versuchen, ihr im staubigen Nichts nachzueifern. Etwas Ähnliches probierte Dennis Hopper kurz darauf mit "Out Of The Blue" Immerhin: Punk- und Gitarrenrock schaffen es selbst bis New Granada, 'teenage lobotomy' und parental 'surrender' greifen zumindest via Audio in Hirne und Herzen hinab. Die Saat ist gesetzt und wartet auf die Explosion, der der gierige, unwissende Architekt Jerry Cole (Richard Jamison) forcierten Vorschub leistet, indem er versucht, die Kids exekutiv mundtot zu machen: Es gibt eine abendliche Ausgangssperre, öffentliche Treffen werden zerschlagen, Partys verboten, der Jugendclub geschlossen, Zwangsseparation probiert. Irgendwann knallt es dann und es gibt Tote.
Dabei verzichtet Kaplan auf simple Schuldzuweisungen oder Erklärungen; seine Milieustudie ist sozusagen 'selbstführend', betreibt Eskalationsanalyse im Kammerspielformat und enthält sich jedweder Zeigefreude. Ob sich an der verfahrenen Situation am Ende wirklich etwas ändert, bleibt offen; neue Märtyrer gibt es jedenfalls - und nicht auf Seiten der gleichfalls dezimierten Erwachsenen.

9/10

Jonathan Kaplan Colorado Coming of Age Teenager teenage angst Marihuana LSD Drogen


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DARK TOURIST (Suri Krishnamma/USA 2012)


"You're disgusting."

Dark Tourist ~ USA 2012
Directed By: Suri Krishnamma

Der Wachmann Jim (Michael Cudlitz) hegt ein immenses Interesse an historischen Gewaltverbrechern. Gegenwärtig gilt eine ganze Konzentration dem Serienmörder und Brandstifter Carl Marznap (Pruitt Taylor Vince), der um die Mitte des 20. Jahrhunderts in der kalifornischen Provinz aktiv war und unter anderem seine eigenen Eltern getötet hat. Während seines Urlaubs reist Jim an die authentischen Schauplätze, um Marznaps Leben und Wirken nachzuspüren. Dabei verliert Jim in sich selbst und beginnt, sich mit dem ihm erscheinenden Marznap zu identifizieren...

Hervorragendes, pointiertes Serienkiller-Psychogramm, das, dessen bin ich mir bereits nach dieser Erstbetrachtung gewiss, zu den Höhepunkten des Subgenres gezählt werden kann. Krishnamma und Script-Autor Frank John Hughes tauchen tief hinab in die Psyche des tief gestörten Jim, zeigen seine diversen Zwangsneurosen und psychischen und physischen Narben, die offenbar von schwerem Missbrauch während seiner Kindheits- und/oder Jugendjahre herrühren, wie beiläufig und wählen stattdessen vornehmlich die subjektive Ich-Perspektive für ihre Erzählung. Erst ganz zaghaft, dann mit weiterreichender Konsequenz und schließlich im Nachhinein vervollständigt sich das zuvor infolge der bewusst einseitigen Berichterstattung brüchiges Identitätsporträt Jims, der unter komplexen Störungen leidet und sich infolge dessen ein gewalttätiges Ventil suchen. Krishnamma findet für diesen Abstieg in eine zutiefst menschliche Innenhölle betörend schöne und infolge dessen bald widersprüchliche Bilder und legt nicht nur diesbezüglich einen der beachtenswertesten Filme der jüngeren Zeit vor.

8/10

Suri Krishnamma Serienmord Madness Kalifornien Paraphilie


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DISTURBED (Charles Winkler/USA 1990)


"I'm fine."

Disturbed (Tödliche Visionen) ~ USA 1990
Directed By: Charles Winkler

Da seine Psychiatrie-Klinik mit forensischem Schwerpunkt eher klamm läuft, freut sich Dr. Russell (Malcolm McDowell) erstmal über jeden Neuzugang, so auch über die aggressive Borderlinerin Sandy (Pamela Gidley). Doch, was niemand ahnt: auch der nach außen hin saubere Russell selbst leidet unter einer schweren Störung; er neigt nämlich dazu, attraktive Insassinnen seines Instituts zu betäuben und zu vergewaltigen. Als er dies auch bei Sandy versucht, unterläuft ihm ein folgenschwerer Fehler. Mit Unterstützung des Langzeitpatienten Michael Kahn (Geoffrey Lewis) versucht er hernach, Sandys Leiche zu entsorgen, doch verschwindet diese spurlos, derweil Russell selbst bald glaubt, Gespenster zu sehen.

Psychiatrie-Komödien als Spätnachhall des sich ungebrochener Popularität erfreuenden "One Flew Over The Cuckoo's Nest" erfreuten sich in den endenden Achtzigern einer kurzen Blüte: "The Dream Team" oder "Crazy People" illustrierten mit jeweils prominenter Besetzung die alte Weisheit, derzufolge die gesamte Welt verrückt ist, die Klappsmühlen-Patienten die einzigen sind, die dies erkannt haben und somit gewissermaßen die besseren Gesellschaftsmitglieder. Ein unbekannterer Vertreter dieser kurzen Phase ist Irwin-Sohn Charles Winklers besonders schwarzhumoriger "Disturbed", in dem der ohnehin stets grandiose Malcolm McDowell einmal mehr demonstriert, dass er für die Rolle des verwackelten Soziopathen prädestiniert ist. Tatsächlich sind mir mit Ausnahme von "A Clockwork Orange" und "Caligola" keine famoseren Leistungen von ihm im Gedächtnis und das will angesichts seiner eigentlich vielen Meriten schon manches heißen. Wie in einem alten Hammer-Thriller wird er hierin von der nachtragenden Tochter eines früheren Opfers (Kim McGuire) sukzessive in den Wahnsinn getrieben, im Zuge einer wohlfeil vorbereiteten und einstudierten Selbstjustiz-Rache. Diese ist zwar uneingeschränkt vorhersehbar und im Grunde wenig originell apostrophiert, das schmälert jedoch nicht das Vergnügen an dem witzigen Treiben in Russells Klinikum, in dem unter anderem auch Irwin Keyes, Adam Rifkin, Clint Howard und Deep Roy einsitzen, die man sich ja eigentlich sowieso allesamt und immerdar als Kernpsychos wünscht, optimalst, wie in "Disturbed", unter einem Dach!
Somit: vergnüglich!

7/10

Charles Winkler Psychiatrie Rache Madness


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DAS HERZ VON ST. PAULI (Eugen York/BRD 1957)


"Das is mir schiet-egal!"

Das Herz von St. Pauli ~ BRD 1957
Directed By: Eugen York

Jonny Jensens (Hans Albers) spärlich besuchte, aber urige Eventpinte, 'Das Herz von St. Pauli', droht unter der hohen Steuerschuld in die Pleite zu gehen. Da vermittelt Jensens Sohn Hein (Hansjörg Felmy) dem alten Käpt'n eine Partnerschaft mit dem zwielichtigen Halbweltler Jabowski (Gert Fröbe). Dieser buttert einige Tausender in die Sanierung des Ladens, macht schlüpfrige Attraktiönchen als Publikumsmagneten und nutzt Jensens Rumkeller als Umschlagsplatz für seine krummen Geschäfte, derweil Jensen selbst als rührende Volkslieder schmetternder Tattergreis verheizt wird. Als Jabowski die erst siebzehnjährige Helga (Karin Faber) auftreten lässt und begrapscht, steht Ärger ins Haus...

Fast noch ein bisschen schöner als Albers' vorhergehender Pauli-Film "Auf der Reeperbahn nachts um halb eins" nimmt sich Eugen Yorks Krimödie aus. Albers ist hierin das letzte Mal in seiner ollen Paraderolle als tüchtiger Seebär im Trockendock zu bewundern, merklich steifer werdend, aber doch noch immer der Alte. Seine Anschreigefechte mit dem cholerischen Fröbe, der hier unbewusst bereits Vorübungen für die Rolle des Auric Goldfinger exerziert, sind pures Nachkriegs-Schauspielgold, das durch Nebendarsteller wie Werner Peters noch zusätzlich aufgewertet wird. Zudem markiert "Das Herz von St. Pauli" einen noch vergleichsweise zaghaften, aber doch recht wichtigen Schritt in später folgende Exploitationgefilde des Deutschen Kinos: Nicht nur ein Paar blanker Busen stolzierten durch diesen "Film, wie ihn sich das Publikum wünscht" (Verleihwerbung), auch Karin Faber zeigt in einer beiläufigen Szene elementare Teile ihres "Balkons" (Fröbe). Da werden einige der etwas biedereren Zuschauer, die mit Albers noch goldenen Kniep und Knapp anno Kautaback assoziierten, seinerzeit ähnlich aufgestöhnt haben, wie die gute Frau "Ich bin nicht prüde, aber DAS geht zu weit" Pingel (Elly Burgmer) in Jensens Etablissement.

7/10

Eugen York St. Pauli Kiez Hamburg Familie Vater & Sohn


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AUF DER REEPERBAHN NACHTS UM HALB EINS (Wolfgang Liebeneiner/BRD 1954)


"Oh. Jetzt wird's frivol."

Auf der Reeperbahn nachts um halb eins ~ BRD 1954
Directed By: Wolfgang Liebeneiner

Nach acht Jahren in der Ferne kommt der alte Seebär Hannes Wedderkamp (Hans Albers) zurück nach St. Pauli, um sich dort endgültig häuslich niederzulassen. Er ahnt nicht, dass Anni (Helga Franck) nur die Ziehtochter seines besten Freundes Pitter Breuer (Heinz Rühmann) ist und in Wahrheit sein eigenes Kind. Also konzentriert er sich ganz darauf, Pitters traditionelle Kneipe, das "Hippodrom", wieder auf Vordermann zu bringen. Als Pitter jedoch das Gefühl bekommt, Anni und Hannes sind sich etwas zu intim zugetan, platzt er mit der Wahrheit heraus. Und das ist nicht das einzige Problem: Ein paar Kleinkriminelle wollen die Ladung eines versenkten Marine-U-Boots bergen, dessen Lage nur Hannes und Pitter bekannt ist...

Auf der Suche nach potenten Nachfolge-Prestige-Projekten zu Käutners unsterblicher Reeperbahnade "Große Freiheit Nr. 7" kam man irgendwann auf den cleveren Trichter, dass Hans Albers sich am Besten an der Hamburger Waterkant machte, mit Quetschkommödchen, speckiger Schiebermütze, Pfeifchen und lallendem Sang. Exakt zehn Jahre nach besagtem Großerfolg inszenierte Wolfgang Liebeneiner unter besonderer Prononcierung von Lokalkolorit, Wirtschaftswunder und neuem Heimatstolz also diese Quasi-Fortsetzung, in der Hans Albers exakt denselben Typen noch einmal zu spielen hatte, allerdings unter anderem Nachnamen und leicht veränderter Biographie. Das Titellied allerdings darf auch hier nicht fehlen. Ein bisschen Kriminalogie kam noch mit herein - die große Kolportage, die Olsens fünfzehn Jahre jüngeres Remake auszeichnet, blieb bei Albers jedoch wohlweislich aus. Während sich darin tatsächlich Vater und Tochter ineinander verlieben, um unter Eröffnung der Wahrheit etwas verdattert dreinzuschauen (was andererseits auch zu Curd Jürgens' Image des geflissentlich überdatierten Playboys passt), bleibt es hier bei einer eher eifersüchtigen Vermutung; der Protagonist ist kein Ex-Knacki, Rühmann kein Reincke und auch miese Jugend-Schlägerbanden gehören noch nicht zum guten Ton in einem sauberen deutschen Kinofarbfilm. Das alles heißt jedoch nicht, dass der Pauli-Film-Chronist auf den Liebeneiner verzichten dürfte: "Wer noch niemals in lauschiger Nacht einen Reeperbahn-Bummel gemacht, is' ein armer Wicht, denn er kennt dich nicht - mein St. Pauli, St. Pauli bei Nacht..."

7/10

Wolfgang Liebeneiner St. Pauli Hamburg Kiez Seefahrt Freundschaft


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CHEAP THRILLS (E.L. Katz/USA 2013)


"200."

Cheap Thrills ~ USA 2013
Directed By: E.L. Katz

Für Familienvater Craig (Pat Healey), erfolgloser Autor und Automechaniker aus Existenznot ist es ein ausnehmend beschissener Tag: Er findet eine finale Räumungsandrohung an der Tür und sein Chef (Eric Neil Gutierrez) schmeißt ihn kurzerhand raus. Beim Depri-Bier in der Kneipe trifft er seinen alten High-School-Kumpel Vince (Ethan Embry), der sich deutlich mehr über das Wiedersehen freut als umgekehrt. Und zwei Tische weiter sitzt das Pärchen Colin (David Koechner) und Violet (Sara Paxton), das mit großen Geldscheinen und Koks nur so um sich wirft. Colin macht sich eine Freude daraus, die beiden klammen Männer mit seinem scheinbar unbegrenzten Geldvorrat zu immer gröberen Streichen anzustiften, die vom Wettsaufen über Ohrfeigen bis hin zu einem saftigen Schlag in die Fresse reichen. Zu Haus bei Colin und Violet, bei edlem Whiskey und noch mehr Koks werden Colins Vorschläge analog zur Höhe des gebotenen Geldes schließlich zunehmend entwürdigend und geschmacklos, bis sie gar blutige Züge annehmen...

Wenn selbst die abartigste Gameshow noch nicht entwürdigend genug ist, dann, so berichtet uns Katz' böse Sozialsatire, in der sich nebenbei Healey und Paxton aus Wests "Innkeepers" unter deutlich günstigeren Vorzeichen wiederbegegnen, kann sich die reiche Dekadenz immer noch ein paar arme Schlucker vor dem Existenzaus nach Hause holen, mit großen Scheinen winken und dabei zusehen, wie treue Ehemänner, Familienväter und vermeintlich integre Gesellschaftsmitglieder weit über die persönlichen Grenzen und noch weiter hinaus bis ins ethische Niemandsland driften. Die Idee ist im Prinzip so neu nicht, das alte Manhunt-Subgenre und/oder scharfe Mediensatiren wie Toelles "Millionenspiel" haben sie bereits mehrfach aufgegriffen, kultiviert und variiert. Dennoch lotet Katz neue Grenzen aus, indem er einerseits die Initiatoren und Konsumenten des perversen Spiels unmittelbar als personifizierte Albträume dekadenter Gelangweiltheit denunziert (David Koechner wird man künftig selbst als Champ Kind nicht mehr ohne eine gewisse, grundfeste Antipathie genießen können), deren Reichtum aus letztlich unerheblicher Quelle stammt und seine Teilnehmer von anfänglichen Sympathieträgern zu korrupten Arschlöchern macht. Ein ziemlich schäbiges Weltbild setzt sich da am Ende zusammen, eines jedoch, das tief drinnen vermutlich näher an der globalen Psychorealität liegt als jenes aus 99 Prozent aller übrigen Tinseltown-Komödien.

7/10

E.L. Katz Transgression Satire Los Angeles Alkohol Drogen Kokain Nacht


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YOU'RE NEXT (Adam Wingard/USA 2011)


"I wanna meet your family."

You're Next ~ USA 2013
Directed By: Adam Wingard

Die australischstämmige Erin (Sharni Vinson) freut sich, endlich die wohlhabende Familie ihres Galans Crispian (AJ Bowen), den sie als Dozenten an der Uni kennen und lieben gelernt hat, zu treffen. Doch das umfangreich aufgetragene Diner im heimischen Herrenhaus, zu dem auch Crispians Geschwister mit ihren LebensgefährtInnen geladen sind, wird jäh gestört: Eine Gruppe Meuchelmörder mit Tiermasken greift die Gesellschaft mit Machete, Axt und Armbrust an und schickt einen nach dem anderen von ihnen ins Jenseits. Womit niemand rechnet: Erin hat einst im Outback ein hartes Survival-Training durchlaufen und erweist sich in dieser Krisensituation als gnadenlose Überlebenskünstlerin.

Ein Plot, der nicht ganz von ungefähr an Agatha Christies "Ten Little Indians" erinnert und auch in seiner conclusio stark an die klassische Kriminalromancière gemahnt, verpackt in einen Wingard gemäßen, harten Terrorfilm mit deutlichen Action-Anleihen. An sich setzt "You're Next" dem bereits hinreichend ausgeschöpften Subgenre der 'home invasion'-Thriller wenig Neues hinzu und die Atmosphäre nimmt sich niemals so bedrohlich aus wie bei den in dieser Hinsicht teils sehr viel nachhaltigeren Traditionswerken. Die Tiermasken des gedungenen Killertrios sind zwar eine knorke Idee zur Publikumsverunsicherung, wenn dann jedoch einmal die unspektakulär humanen Individuen darunter offenbart wurden, verpufft rasch der letzte Hauch des Mysteriösen. Abseits davon präsentiert sich Wingards Film als von einem gesunden Sarkasmus geprägt, von immenser visueller Härte (die mich ein ums andere Mal staunen ließ, dass er ungeschnitten mit einer FSK-Freigabe davon gekommen ist) und für Gernhaber moderner Qualitätsgenreware ungezügelter Gangart geradezu verpflichtend.

8/10

Adam Wingard Home Invasion Belagerung Terrorfilm Slasher Splatter Nacht


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CARRIE (Kimberly Peirce/USA 2013)


"I'm warning you, moma."

Carrie ~ USA 2013
Directed By: Kimberly Peirce

Mit dem späten Beginn ihrer Geschlechtsreife beginnt die unter ihrer psychisch kranken, bigotten Mutter (Julianne Moore) leidende Carrie White (Chloë Grace Moretz) auch, ihre bisher latent aufgetretenen telekinetischen Kräfte weiterzuentwickeln. Während einige garstige Schulkameradinnen, allen voran die rotzige Chris (Portia Doubleday) Carrie mittels peinlicher Handyvideos, die sie auch noch ins Internet stellen, mobben, steht die reumütige Sue (Gabriella Wilde) ihr zur Seite. Sie überredet sogar ihren Freund Tommy (Ansel Egort), mit Carrie zum Abschlussball der Schule zu gehen. Doch hier entfesselt Chris die längst lauernde Katastrophe...

De Pamas monolithisches Original muss sich durch diese Neuverfilmung - und da geht es ihm wie nahezu sämtlichen anderen, mittlerweile in Legion gehenden Genreklassikern, die aufs Neue durch die Tretmühlen Hollywoods gejagt wurden und werden, in keinster Weise bedroht fühlen. Tatsächlich scheint mir Peirces "Carrie" wohl sogar eines der redundantesten Remakes jener nicht abreißen wollenden Welle (auf der ich allerdings zugegebenermaßen nach wie vor gern mitsurfe) zu sein, da es De Palma faktisch kaum etwas hinzusetzen kann. Das Thema 'Mobbing' ist natürlich infolge der neuen Medien, die eine virale Verbreitung entsprechender Aktionen in Blitzeile gestatten, hochaktuell und auch die Tatsache, dass Margaret White eine untherapierte Borderlinerin ist, veräußert die Neufassung wesentlich plastischer, das war's dann aber auch: Weder von der exzessiven, multivalenten Emotionalität des Originals, die neben De Palmas hochsensibler, kluger Inszenierung vor allem der durchweg wunderbaren Darstellerriege zu verdanken ist, ist noch etwas übrig geblieben, noch von der fatalistisch-bleiernen Bedrohlichkeit, die im eskaliernden Schulballfinale und insbesondere bei Carries anschließender, reumütiger Heimkehr zu spüren ist. Vor allem der häufig zu vernehmende Vorwurf, die eher als attraktiv wahrnehmbare Chloë Grace Moretz sei als verschlossene Außenseiterin fehlbesetzt, greift in geradezu verhängnisvoller Weise. Das nimmt dir jedenfalls keiner ab, Hit-Girl.
So hat "Carrie" 2013 wohl bestenfalls eine Berechtigung als refreshment für gegenwärtige Pennälerinnen, die sich auf einer Pyjama-Party mit Energydrinks zudröhnen und sich domestiziert gruseln wollen. Aber auch so was darf und muss es ja geben.

5/10

Kimberly Peirce Stephen King Remake Coming of Age Mutter & Tochter Kleinstadt Teenager





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Funxton

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