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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0


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INDAGINE SU UN CITTADINO AL DI SOPRA DI OGNI SOSPETTO (Elio Petri/I 1970)


Zitat entfällt.

Indagine Su Un Cittadino Al Di Sopra Di Ogni Sospetto (Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger) ~ I 1970
Directed By: Elio Petri

Just zum obersten römischen Beamten für Untersuchungen gegen sozial zersetzende Elemente befördert, tötet der 'Dottore' (Gian Maria Volonté) zunächst einmal seine Geliebte (Florinda Bolkan), deren höhnische Arroganz ihm bereits seit längerem zu schaffen macht. Ganz gezielt legt der Dottore Spuren und Indizien, die über kurz oder lang zu seiner Person und damit Verhaftung führen sollten, verhält sich auf der anderen Seite den Kollegen gegenüber jedoch zunächst bedeckt. Alle Versuche jedoch, Parallelen zwischen dem Verbrechen und seiner Person zu evozieren, scheitern - lediglich ein Mitarbeiter (Orazio Orlando) scheint das längst Offensichtliche erkennen zu wollen. Doch die gesamte übrige Präfektur leugnet das nunmehr erfolgende Geständnis des Dottore ab - der Mörder bleibt in Dienst und Würden.

Italien am Scheideweg: Die Demokratie gebiert urplötzlich unbequeme Neuerscheinungen wie radikalpolitische Studenten, homosexuelle Aktivisten und Rote Brigaden. Die Straßen verwandeln sich in Schauplätze für Demonstrationen, Aufmärsche und Sit-Ins, konspirative Wohnungen mit Che-Guevara-Postern liegen im Marihuana-Dunst. Für die altehrwürdigen Anzugträger christlicher Prägung ein undenkbarer Zustand, weshalb rasch ein effektiver Vorzeigepolizist hermuss, der mittels resoluten Konservativismus' die althergebrachten Werte auf populistische Art und Weise wieder geradezurücken hat. Eine zunehmend computerisierte Bürokratie soll ihn dabei unterstützen. Dass jener Beamte ausgerechnet ein narzisstischer, ebenso sexuell inkompetenter wie paraphiler Hassmensch ist, dessen angekratztes Selbstbild sich in einem Mord aus Eitelkeit entlädt, entpuppt sich als eine etwas unangenehme, letzten Endes jedoch zu vernachlässigende Nebenerscheinung seiner ansonsten systemförderlichen Präsenz. Ob dieser Zustand hinnehmbar ist oder nicht, diese Entscheidung überlässt Petri am Ende seiner bissigen Anklage gegen rechten Filz und überkommene biedermännische Ideale weithin seinem Publikum, das zwischen Traum und Realität wählen darf.

8/10

Elio Petri Italien Madness Rom Parabel Satire


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LICENSE TO DRIVE (Greg Beeman/USA 1988)


"I'm a free man!"

License To Drive (Daddy's Cadillac) ~ USA 1988
Directed By: Greg Beeman

Der sechzehnjährige Les (Corey Haim) rasselt trotz eines hervorragenden Praxisteils durch die Führerscheinprüfung; es fehlt schlichterdings an den nötigen Theoriekenntnissen. Anstatt die Blamage preiszugeben, schwindelt er seinen Eltern (Richard Masur, Carol Kane) etwas vor, fliegt jedoch prompt auf. Das hält Les jedoch nicht davon ab, seine große Flamme Mercedes (Heather Graham) am selben Abend auszuführen - heimlich und mit dem in der Garage geparkten Cadillac des Großpapas (Parley Baer). Es komm, wie es kommen muss, alles, was schief gehen kann, geht schief und am nächsten Morgen hat sich der schnieke Oldtimer in einen fahrenden Missstand verwandelt. Doch Les erhält eine letzte Bewährungschance...

Urkomisch, diese zweite filmische Zusammenkunft der beiden Coreys Haim und Feldman, die einen ganz ähnlichen Humor wie Schumachers "The Lost Boys" aufweist, auf dessen Genre-Kapriolen zugunsten reiner Comedy jedoch verzichtet. Dafür musste neuerlich die Gemeinde der typischen Spät-Achtziger-California-Kids herhalten, die ähnlich wie "Bill & Ted" garantiert nichts in der Birne haben und sich stattdessen mittels Dreistigkeit und Impulsivität durchs Leben mogeln. Dabei liegen die besten Scherze natürlich nicht bei den in toto betrachtet eher marginalen Sunnyboys vom BRAVO-Poster, sondern bei den diversen, allenthalben eingeführten Nebenfiguren, seien es Les' soziopathischer Fahrprüfer (James Avery), der mit dem (Grant Godeve) von Les' zeitgleich die Prüfung ablegender Zwillingsschwester Natalie (Nina Siemaszko) parallelisiert wird, Natalies erzkommunistischer Freund Karl (Grant Heslov: "Wir gehen heute Abend auf eine Demo gegen alles") oder der den schönen Cadillac zu Schrott fahrende Besoffski (Henry Alan Miller). Erst diese ganze Latte superwitziger extras macht "License To Drive" aller sonstigen Stromlinienförmigkeit zum Trotze zu einer vollblütigen Lachparade.

7/10

Greg Beeman Los Angeles Familie Freundschaft Satire


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NIGHT TRAIN TO LISBON (Bille August/D, CH, P 2013)


"Did you mind my cigarettes?"

Night Train To Lisbon (Nachtzug nach Lissabon) ~ D/CH/P 2013
Directed By: Bille August

Der alternde Berner Gymnasiallehrer Raimund Gregorius (Jeremy Irons), einsam und zerstreut, rettet eines Morgens eine junge Frau (Sarah Bühlmann) vor dem beabsichtigten Suizid. Die Dame verschwindet alsbald und hinterlässt lediglich ihren Mantel, in dem sich das Buch "Ein Goldschmieed der Worte" eines portugiesischen Autors namens Amadeu de Prado (Jack Huston) sowie eine Zugfahrkarten nach Lissabon befinden. Hals über Kopf bricht Gregorius nach Portugal auf, in der vagen Hoffnung, wahlweise die Unbekannte dort zu finden oder auch den Literaten des von Gregorius bereits nach erster Lektüre heiß verehrten Buches. Gregorius' Recherchen vor Ort ergeben, dass Amadeu De Prado zu Zeiten des späten Estado Novo als Arzt und Widerständler in Lissabon lebte und an einem Aneurysma gestorben ist. Seine einstigen Freunde João (Tom Courtenay) und Jorge (Bruno Ganz) jedoch leben noch und schildern Gregorius die Umstände von Amadeus Leben und Sterben nebst einer bittersüßen Liebesgeschichte. Auch für den in seinem präzisen Schweizer Alltag gefangenen Gregorius offenbaren sich dadurch neue Perspektiven.

Filme wie "Night Train To Lisbon" sind ja mit Regelmäßigkeit zu einem bedauernswert determinierten Dasein als stiefmütterliches Kulturartefakt verdammt: Man ahnt, wie etwas spießige Herrschaften und Dämlichkeiten jenseits der 50 sich dafür in Richtung Programmkino aufmachen, um dann beim nächsten Salontalk in gepflegter Runde bei einem Glas Rotwein und unter gemäßigter Begeisterung davon Kunde zu tun. Verdient hat zumindest Augusts Jüngster diese Monokelexistenz mitnichten, denn er ist schön, entspannt und rührend.
Bille August hat bekanntlich so seine Erfahrungen mit der Adaption von Weltliteratur und stellt seit nunmehr 35 Jahren international verbundenes Qualitätskino her. Mit Jeremy Irons findet er zwei Dekaden nach der Allende-Verfilmung "House Of The Spirits" wieder zusammen, wiederum in einer Aufarbeitung von Diktatur gespaltener Biographien. Witzigerweise sieht Irons mittlerweile wirklich aus wie sein damals auf alt geschminkter Protagonist und spielt nach wie vor auf denkbar höchstem Niveau. Hier und da dickfällig eingeflochtene Symbolismen wie eine neue Brille als Metapher für neue Lebensperspektiven scheinen verzichtbar, wenngleich sie auch kaum weiter stören. Lieber sollte man das formidabel bebilderte Stadtporträt genießen sowie die Tatsache, mit "Night Train To Lisbon" einen verhältnismäßig raren Film über die Landeshistorie sehen zu können.

8/10

Bille August Biopic period piece Bern Lissabon Portugal Historie Pascal Mercier Lehrer


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12 YEARS A SLAVE (Steve McQueen/USA, UK 2013)


"I will take the ones Platt and Eliza."

12 Years A Slave ~ USA/UK 2013
Directed By: Steve McQueen

New York in den frühen 1840ern: Der farbige Solomon Northup (Chiwetel Eijofor) lebt als gebildeter, freier Bürger und anerkannter Violinist ein geordnetes Familienleben, bis ihn ein paar Schlepper unter dem Vorwand eines musikalischen Engagements nach Washington locken, von wo aus er als angeblich entflohener Sklave Platt nach Louisiana verschifft und dort verkauft wird. Solomon kommt zunächst auf die Plantage des relativ freigiebigen Plantagenbesitzers Ford (Benedict Cumberbatch), wo er zunehmend häufg mit dem unterbelichteten Aufseher Tibeats (Paul Dano) aneinandergerät. Dies kostet ihn beinahe das Leben. Schließlich ist Ford gezwungen, Solomon als Schuldtilgung an den Baumwollpflanzer Epps (Michael Fassbender) weiterzureichen, einen sadistischen, bigotten Menschen, der seine Sklaven, allen voran die von ihm insgeheim geliebte Patsey (Lupita Nyong'o), schwer misshandelt. Der umherreisende Arbeiter Bass (Brad Pitt) ermöglicht Solomon schließlich, nach zwölf Jahren der Versklavung, die Rückkehr zu seiner Familie.

Schriften, Filme und TV-Serien über das dunkle Kapitel der Sklaverei im US-Süden gibt es ja zuhauf, was nicht bedeutet, dass jedwede neuerliche Bearbeitung dieses Themas jemals überflüssig sein könnte. Mit Tarantinos "Django Unchained" erfolgte erst letzthin eine - hier und da vielleicht etwas zu - geschmäcklerische Aufbereitung im dem Regisseur typischen Retrostil, der ausnahmsweise eine überfällige Abrechnung mit dem rassistischen Abschaum ermöglichte - eine solche ist in dem auf einer authentischen Zusammenfassung der Solomon Northup zugestoßenen Ereignisse nicht zu erwarten. Anders als gewohnt wird der Hauptcharakter hier nicht aus Afrika angeschleppt oder bereits in der Sklaverei geboren - bei ihm handelt es sich um einen sensiblen, hochkultivierten und vor allem gesellschaftlich etablierten Zeitgenossen, der dazu neigt, die unterwürfigen Hausfaktoten seiner Hautfarbe selbst mit einer gewissen Hochnäsigkeit zu beäugen und dabei nicht erkennen will, dass er für viele Weiße des Nordens auch bloß als 'exotisches Exemplar seiner Gattung' von Interesse ist. Die zwölf Jahre als Sklave setzen somit für Solomon auch Lernprozesse in Gang; über die Individualität jedes Einzelnen, über Identitätsfindung und wahre Zugehörigkeit. McQueen zeichnet derweil seine subtil gehaltene, paradox-ästhetische Bildsprache aus und dass er sich seinem Publikum als einer der wenigen Filmemacher der Gegenwart auch Einstellungen zuzumuten getraut, die die Dauer von drei Sekunden übersteigen.

9/10

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SEIN LETZTES RENNEN (Kilian Riedhof/D 2013)


"Geht doch gut."

Sein letztes Rennen ~ D 2013
Directed By: Kilian Riedhof

Nachdem seine Frau Margot (Tatja Seibt) mehrfach binnen kürzester Zeit zusammengeklappt ist, legt man Paul Averhoff (Dieter Hallervorden) und ihr nahe, doch ins Seniorenheim zu gehen. Dort nimmt sich vornehmlich die junge, einsame Therapeutin Müller (Katharina Lorenz) der alten Menschen an und strukturiert ihr Programm gerade so einfallslos, wie die Konvention es gestattet. Paul, ehemals ein weltberühmter Läufer, weigert sich, seinen Alltag in solch trister Weise zu begehen und nimmt sich stattdessen vor, sich selbst und den anderen ein letztes Mal zu zeigen, was er kann und den Berlin-Marathon zu laufen. Was zunächst mit ungläubgem Staunen und Kopfschütteln quittiert wird, entwickelt sich bald zum festen Lebensziel, wenngleich es unter schweren Verlusten angegangen werden muss.

"Man ist so alt, wie man sich fühlt". Oder sich gibt, sich präsentiert. Dem Interview mit Dieter Hallervorden auf der Blu-Ray nach zu urteilen ist der Mann, der da zum Gespräch gebeten wurde, jener Weisheit zufolge vielleicht halb so alt, wie es in seinem Ausweis steht. Unglaublich, dass ein Mann dieser - nummerischen - Jahre und Lebenserfahrung noch so unverbraucht und unverkrampft aus dem Nähkästchen plaudert. Wenn alt werden so aussieht, dann möchte ich das auch. Paul Averhoff, der Mann, dem Hallervorden in "Sein letztes Rennen" mit stiller Hingabe und wenig Worten eine ganze Biographie einhaucht, ist deutlich älter als der ihn darstellende Schauspieler, so viel ist sicher. Hier und da ein wenig kauzig, allerlei Tütteligkeiten und Sperenzchen pflegend, weiß er, dass er sich im (von Riedhof auch filmisch wunderhübsch illustrierten) Herbst seines Lebens befindet, leugnet ein wenig, dass es seiner Margot täglich schlechter geht und vielleicht auch, dass er tatsächlich selbst zum "Alten Eisen" zählt. Was ihm letztlich den entscheidenden Auftrieb gibt, ist die Tatsache, dass er sich aller Erwartungen und Rollenkonventionen zum Trotz schlichterdings nicht damit abfindet. Averhoff geht bzw. läuft unverdrossen seinen Weg und wird dafür belohnt, mit Freundschaft, Ehrerbietung und neuem Familienglück - ganz unsentimental, ganz realistisch. Und Regisseur KIlian Riedhof ist ein großer Film über das Altwerden in Würde gelungen, mit einem Hallervorden, der im Kino vielleicht noch nie so gut war.

8/10

Kilian Riedhof Berlin Marathon Ehe Alter Familie Herbst


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Z.P.G. (Michael Campus/UK 1972)


"Baby! Baby!"

Z.P.G. (Geburten verboten) ~ UK 1972
Directed By: Michael Campus

In nicht allzu weit entfernter Zukunft greift die Menschheit zu einem letzten verzweifelten Mittel, um dem niederdrückenden Problem der Überbevölkerung Herr zu werden: Geburten sind auf Jahre hinaus verboten. Wer insgeheim dennoch ein Baby bekommt und entdeckt wird, wird umgehend und öffentlich zum sofortigen Erstickungstod verurteilt und hingerichtet. Für die beiden Museumsmitarbeiter Carol (Geraldine Chaplin) und Russ McNeil (Oliver Reed) ist der Wunsch nach Nachwuchs dennoch so stark, dass Carol sich schwängern lässt und ihren Säugling in einem Versteck bekommt. Durch Zufall bekommt das befreundete Ehepaar Borden (Don Gordon, Diane Cilento) Wind davon und besteht zunächst darauf, sich das Baby zu "teilen" um später, unter der Drohung, die Ereignisse zu melden, den kompletten Anspruch auf es zu erheben. Carol und Russ weigern sich jedoch und stellen sich ihrem Schicksal.

"Z.P.G.", die Abkürzung steht für "Zero Population Growth", ist inmitten der gewaltigen Welle an Dystopien jener Jahre etwas ins Hintertreffen geraten. Als gering budgetierter, englischer Produktion ist ihm wahrscheinlich bereits damals keine besondere PR-Kampagne zuteil geworden, dabei ist er nicht minder gräulich und warnhaft anzuschauen als ähnliche Filme wie "Fahrenheit 451" und "Soylent Green". "Z.P.G." bedient eine beinahe lückenlose Vielzahl dystopischer Szenarien und Albträume: Die Atmosphäre ist völlig verschmutzt, die Städte liegen in undurchdringlich-nebulösem Dauersmog und erlauben eine Bewegung außerhalb der kärglichen Appartements nurmehr mit Gasmaske. Letzte Pflanzen werden gehütet wie Schätze, frische Nahrungsmittel wurden längst durch synthetische ersetzt, die in genau abgezählter Kalorienabgabe ausgegeben werden. Um nur ja nicht den Wunsch nach vergangenen, überall als "ungesund" und "barbarisch" verleumdeten Genüssen zu wecken und die Sozietät zu affirmativen, gleichgeschalteten Zombies zu erziehen, beschränken sich die medialen Angebote auf Tele-Einkäufe, derweil soap-opera-ähnliche Szenen, so auch von den McNeils und den Bordens, live vorgespielt werden. Statt Freizeitparks gibt es heißbegehrte "Museen", in denen die Leute sich, oft erst nach monatenlanger Wartezeit, anschauen können, in welch abartiger Undiszipliniertheit ihre Vorgenerationen einst lebten. Die depressiven und/oder apathischen Senioren werden in eng abgeschirmten Wohneinheiten beherbergt; Nachwuchs gibt es lediglich in Form fabrikmäßig hergestellter Kinderpuppen. Die nicht genauer umrissenen, aber allgegenwärtigen Autoritäten besitzen eine nahezu lückenlose Überwachungsgewalt und indoktrinieren die Gesellschaft mittels pausenlos vermittelter, auditiver Botschaften.
Campus gelingt es, dieses Schreckensszenario so angemessen quälend und unerquicklich darzustellen, dass es noch lange nachwirkt. Insofern ein erstklassiger Lehrfilm über werdende Katastrophen und insbesondere für SciFi-Freunde 'not to be missed'.

8/10

Dystopie Zukunft Michael Campus Familie


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BETRAYED /Constantin Costa-Gavras/USA 1988)


"They got more guns in that part of the county than people."

Betrayed (Verraten) ~ USA 1988
Directed By: Constantin Costa-Gavras

Nachdem der als wetternder Hardcore-Satiriker berüchtige Radio-Moderator Sam Kraus (Richard Libertini) von Fanatikern erschossen wurde, wird die junge FBI-Agentin Cathy Weaver (Debra Winger) unter einem Decknamen auf die Spur neonazistischer Verschwörer im Mittelwesten gesetzt. Getarnt als Ernte-Mäherin lernt sie den Witwer Gary Simmons (Tom Berenger) kennen, einen liebevollen Familienvater, der sich in Cathy verliebt, ihr jedoch bald sein wahres Gesicht zeigt: Simmons ist ein besessener Rassist, Terrorist und Gewaltverbrecher, der zum Spaß Menschenjagden auf Schwarze veranstaltet, seine Kinder mit seinem überschäumenden Hass indoktriniert und sogar eine Führungsposition unter den Rechtsextremisten seiner Region innehat. Entsetzt über diese Entdeckung will Cathy aussteigen, doch ihr Chef (John Heard) nötigt sie, weiterzustochern, bis konkrete Beweise gegen Simmons und seine Genossen vorliegen.

Die Tatsache, dass das Script zu "Betrayed" von Joe Eszterhas stammt, lässt bereits eine populistische Simplifizierung des Dargestellten befürchten und tatsächlich: Selbst für Costa-Gavras-Verhältnisse fällt dieser Film ungewohnt polemisch aus, ringt geradezu um dramatische Spitzen und nutzt Holzhammer-Methoden, um auch wirklich dem Letzten klarzumachen, dass inmitten Amerikas eine neonazistische Verschwörung brodelt, die dazu angetan ist, das gesamte Land in seinen Grundfesten zu erschüttern, wenn man sie nicht rechtzeitig bremst. Ihre Basis findet die teils krude dargebrachte Geschichte in dem authentischen Mord an dem zynischen, jüdischstämmigen Radio-Talk-Moderator Alan Berg, der 1984 in Denver von rechten Terroristen ermordet wurde, und eignet sich insofern durchaus als filmischer Anknüpfungspunkt zu Oliver Stones brillantem, faktisch mit derselben Ausgangssituation schließenden "Talk Radio".
Abgesehen von seiner Holzhammermethodik allerdings - und es ist natürlich nicht so, dass ich gegen diese Form liberaler Fahnenschwenkerei überhaupt etwas hätte, im Gegenteil - gelang Costa-Gavras ein spannender, ansprechend inszenierter Thriller, der eine allzu eindimensionale Schilderung der Gegebenheiten zumindest versucht zu vermeiden. Selbst Gary Simmons entpuppt sich hinter seiner abartigen Rassistenfront als armes, intellektuell eher minderbemittelt es Würstchen, das bereits im Vietnamkrieg gewohnt war, Befehle zu befolgen und dessen tiefliegende Aggression Resultat wiederum elterlicher Vorprägung und eines enttäuschten Privatlebens ist. Eszterhas und Costa-Gavras vermeiden es, die im Wochenendcamp zwischen brennenden Kreuzen und Waffenschule grillenden Mittwest-Farmer als wirklich üble Kerle darzustellen, sie sind frustrierte, ungebildete, alleingelassene und somit leicht infiltrierbare und desorientierte Individuen auf der Suche nach Sündenböcken jedweder Kuleur. Ich mag "Betrayed" mit seiner eher plumpen, aber korrekt veräußerten Didaktik sehr gern und werde ihn mir bald, wie früher eigentlich stets, mal wieder im Doppel mit dem damals fast zeitgleich veröffentlichten "Mississippi Burning" zu Gemüte führen.

8/10

Constantin Costa-Gavras Joe Eszterhas Rassismus FBI undercover amour fou Familie manhunt Terrorismus


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THE TALK OF THE TOWN (George Stevens/USA 1942)


"I like people who think in terms of ideal conditions. They're the dreamers, poets, tragic figures in this world, but interesting."

The Talk Of The Town (Zeuge der Anklage) ~ USA 1942
Directed By: George Stevens

Sweetbrook, Massachusetts: Der sozialpolitisch engagierte Arbeiter Leopold Dilg (Cary Grant) wird zum Opfer eines Komplotts. Er soll die örtliche Textilfabrik niedergebrannt und das Leben eines Mitarbeiters auf dem Gewissen haben. Um der drohenden Todesstrafe zu entgehen, flieht Dilg und versteckt sich im Dachboden des Landhauses von Nora Shelley (Jean Arthur), in das sich just zur selben Zeit der berühmte Rechtsgelehrte Professor Lightcap (Ronald Colman) eingemietet hat. Die drei so unterschiedlichen Individuen lernen sich bald besser kennen und werden gute Freunde, bis Leopold, der sich bislang als Gärtner Joseph verkauft hat, seine wahre Identität preisgeben muss. Auf den ehern rechtsverhafteten Professor wartet nun die Entscheidung für oder gegen seine langjährige Überzeugung.

Eine große Menge an Stoff steckt drin in George Stevens' schnippischer Komödie, die im Grunde gleichsam eine etwas komplexere Capra-Geschichte darstellt. Die ernsten Topoi der Korruption und der willkürlich verhängten Todesstrafe bieten die Basis für eine Dreiecks-Romanze nebst philosophischen Grundsatzdiskussionen darüber, wie blasse Akademiker überhaupt Überlegungen über das existenzielle Fragen anzustellen vermögen, wenn sie sich doch stets vom wahren Leben fernhalten. Welche Berechtigung haben graumelierte, bärtige Habilitierte, moralische Maximen aufzustellen und zu verteidigen, wenn sie doch stets vom humanistischen Idealfall ausgehen? Cary Grant als unschuldig Vorverurteilter, der angesichts seiner sich mit dem Professor abtauschenden Wortgefechte neuen Lebensmut und Vertrauen in die Institutionen fasst und seinen vormailgen Sarkasmus wie beiläufig fallen lässt, präsentiert sich als ebensolch ein Gewinn wie Colman als steifer Rechtsphilosoph, der die kleinen Dinge des Lebens nicht vermisst, weil er sie nie kennen gelernt hat und wechselseitig von Leopold Dilg ins Sonnenlicht gestoßen wird. Jean Arthur ist ohnehin wie immer ersatzlos.

9/10

George Stevens Kleinstadt Massachusetts Freundschaft


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MEEK'S CUTOFF (Kelly Reichardt/USA 2010)


"Hell is full o' dem bears."

Meek's Cutoff ~ USA 2010
Directed By: Kelly Reichardt

1845 auf dem Oregon Trail: Die auf Planwagen gen Westen reisenden Siedler haben mit harten Entbehrungen wie Wasserknappheit, Hunger und dem zerklüfteten Terrain zu kämpfen. Drei kleine Familien schließen sich mit ihren Habseligkeiten dem Trapper Stephen Meek (Bruce Greenwood) an, der behauptet, eine Abkürzung durch das unwegige Gelände zu kennen und lösen sich von dem Haupttreck. Aus den geplanten zwei Wochen werden bald noch viel mehr und ein sie mit Abstand begleitender Cayuse-Indianer (Rod Rondeaux) wird kurzerhand gefangengenommen und, nachdem Meek sich trotz anderer Behauptungen als wegunkundig erweist, als Fährtensucher eingesetzt. Doch kann man dem Fremden überhaupt trauen?

Eine Filmemacherin inszeniert einen unbhängig produzierten Treck-Western mit kleinem Ensemble und auf vager historischer Basis. Die Kamera, ehrfürchtiger Begleiter, fängt die Bilder zumeist statisch ein, porträtiert, bildet ab, unbeweglich. Das dramaturgische Gewicht liegt auf Seiten der Siedlerfrauen. Sie spülen, lüften Wäsche durch, hören den Katechismus der Kinder ab, haben Angst vor der Ungewissheit und drohen mitunter zu verzweifeln. Das Nachladen eines Gewehres dauert gut dreißig Sekunden. Ihr Führer, auf dem alles naive Vertrauen liegt, entpuppt sich als unzuverlässiger Aufschneider. Der hinzustoßende Indianer weiß nicht, was die Fremden eigentlich von ihm wollen - erst nehmen sie ihn gefangen und prügeln ihn, dann soll er für sie Wasser suchen - ohne die geringste Möglichkeit sprachlicher oder auch nur mimisch beiderseitig verständlicher Kommunikation.
Aus dieser Prämisse macht Kelly Reichardt ein hypnotisches Kleinod, dessen Ungewöhnlichkeit bereits damit beginnt, dass das Bild im Originalformat 4:3 aufgeführt wird. Im gegenwärtigen Kino fast undenkbar, zumal in einem Genre, dass seine viel beschworene Majestätik so gern aus breiten Landschaftsaufnahmen rekrutiert. Nicht so bei Reichardt, die sich den unverschnittenen Naturalismus ihres Projekts ganz groß auf die Fahne geschrieben hat, durch die ruhige Kraft des Dargestellten jedoch nie in irgendeine Form erzählerischer Zähigkeit verfällt. Ein kleines Meisterwerk, sollte "Meek's Cutoff" gerade wegen seiner gezwungenermaßen auf einen überschaubaren Zirkel beschränkten Rezipientenschaft Einzug halten in den Kanon der unverzichtbaren Western im neuen Jahrtausend.

9/10

Kelly Reichardt Oregon Siedler Treck Historie


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THE TARNISHED ANGELS (Douglas Sirk/USA 1957)


"You'll be sorry."

The Tarnished Angels (Duell in den Wolken) ~ USA 1957
Directed By: Douglas Sirk

New Orleans, um die Mitte der dreißiger Jahre. Der Weltkriegsveteran und Pilot Roger Shumann (Robert Stack) tritt im Rahmen einer Flugshow während des alljährlichen Mardi Gras auf. Im Schlepptau hat er Frau LaVerne (Dorothy Malone), Sohn (Christopher Olsen) und seinen besten Freund und Mechaniker Jiggs (Jack Carson). Auf der Suche nach einer ausgefallenen Story wird der lokale Reporter Burke Devlin (Rock Hudson) auf die seltsame Gruppe aufmerksam und durchschaut rasch das eigenartige Beziehungsgeflecht: Roger zeigt Anflüge von Todessehnsucht und Selbstkasteiungen; er will vorgeblich nichts mehr von seiner Frau wissen, für die sich im Gegenzug jedoch auch Jiggs interessiert. Mit dem hoch dotierten Sieg bei einem Flugzeugrennen hofft Roger, für sich und seine Familie auszusorgen, doch er kommt ums Leben. LaVerne lässt sich in ihrer Verzweiflung von dem feisten Werbeunternehmer Ord (Robert Middleton) einfangen, doch Devlin hält dagegen.

Warum Douglas Sirk dieses späte Meisterwerk nicht in Farbe drehte, wo er doch seit bereits neun Filmen ausschließlich mit von ihm mehr und mehr perfektioniertem Technicolor als dramaturgischem Stilmittel arbeitete, ist wohl der Mutmaßung überlassen. Dennoch entledigte er sich für seine im postiven Sinne larmoyante Faulkner-Adaption ein letztes Mal der Farbe und verwandte für die komplexe Darstellung einer Fünfecks-Beziehung mit einer Frau im Zentrum ferner dasselbe Ensemble wie für "Written On The Wind" (mit Ausnahme der Bacall, für die es in "Tarnished Angels" schlicht keinen angemessenen Platz gab). Doch nicht nur als psychologisch konnotiertes Südstaatendrama brilliert Sirks Film, auch als Porträt des vom Mardi Gras in Ausnahmezustände versetzte, zumal just von der Prohibition befreite, brodelnde New Orleans gibt es kaum Besseres im klassischen US-Kino. Allenthalben platzen grauenhaft maskierte Karnevalsnarren ins Bild, die die zerrissenen Seelenzustände und Beziehungsgeflechte der Protagonisten abbilden; selbst für Sirk eine ungewohnt düstere Art der Symbolsprache. Rock Hudson derweil ist einer seiner schönsten Rollen zu sehen: Als einsamer Autor und Journalist, stark dem Alkohol zusprechend, durch Poesie, Intellekt und Weitblick jedoch dem Rest der Figuren weit überlegen, muss er am Ende die Erfüllung der Ratio beugen. Bedenkt man, wie binnen weniger Jahre aus dem gern naiv porträtierten Kuhjungen ein solch diffiziler Charakter wurde, einfach nur beklatschenswert.

9/10

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Funxton

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